Editorial

Fokus Industrie -> Kultur

„Ein großes Zeitalter ist angebrochen. Ein neuer Geist ist in der Welt. Es gibt eine Fülle von Werken des neuen Geistes; man begegnet ihnen vor allem in der industriellen Produktion.“ (Le Corbusier, 1922)


Was Le Corbusier nicht vorhersah, war der Wandel von einer Produktions- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Die einstigen „Werke des neuen Geistes“ sind heute Relikte vergangener Zeiten. Vielerorts muss der Denkmalschutz um ihren Erhalt kämpfen. Die Suche nach einer neuen Verwendung für aufgegebene Industriebauten mündet dabei oft in einer kulturellen Nutzung. Warum eigentlich?

Das Problem ist nicht ganz neu. Ungefähr seit Ende des Zweiten Weltkriegs werden Industriebauten in nennenswerter Zahl aufgegeben und werfen die Frage auf, was mit ihnen geschehen soll. Schien es zunächst selbstverständlich, die verlassenen Industrieanlagen abzubrechen, weil sie als hässliche Fremdkörper in der Stadt empfunden wurden, so setzte ungefähr ab 1970 ein Wandel in der Wahrnehmung ein und man begriff sie als wesentliche Bausteine der gründerzeitlichen Stadterweiterungen. Neben ihrer stadträumlich prägenden Wirkung rückte in dieser Zeit auch ihre identitätsstiftende Funktion für die jeweilige Umgebung ins Blickfeld. Es regte sich allmählich breiterer Widerstand gegen den Abriss, oftmals verbunden mit der Ablehnung von Verkehrs- oder Großbauten, die an ihrer Stelle vorgesehen waren. Damit einher ging die Forderung nach einer öffentlichen Nutzung, die der ehemals großen Bedeutung der brachgefallenen Bauwerke angemessen schien. Genau diese Protestkultur war es, die eine Welle kultureller Umnutzungen auslöste und damit geradezu eine Tradition begründete, Industrie- in Kulturbauten umzuwidmen.

Daneben gab und gibt es aber eine ganze Reihe anderer Faktoren, die immer wieder dafür sorgen, dass ehemalige Produktionsstätten in Museen, Galerien, Musikzentren oder Theater verwandelt werden. Eine Architektenausbildung, die fast ausschließlich auf den Neubau ausgerichtet war, bewirkte einen Mangel an Altbauexperten. Private Bauherren wagten sich oft nicht an die unwägbaren Risiken heran, die mit der Umnutzung industrieller Bauten verbunden waren, so dass die öffentliche Hand einspringen musste; und diese implantierte naturgemäß eher eine kulturelle als etwa eine Wohn- oder Büronutzung. Inzwischen hat die Lage sich geändert, das wachsende Know-how im Umgang mit alten Industrieanlagen sorgt dafür, dass sich auch private Investoren engagieren.

Je größer die Bedeutung einer Industrieanlage, desto stärker sind die Stimmen, sie als Denkmal zu erhalten, als Erinnerungsstätte an sich selbst. Damit wird sie dann schon allein per Beschluss, ohne jegliche bauliche Veränderung zu einem Ort kultureller Nutzung. Aus denkmalpflegerischer Sicht scheint dies zunächst optimal, da keine baulichen Eingriffe nötig sind. Oft verknüpft sich mit der Umwidmung aber auch die Einrichtung eines Museums, das sich der Geschichte der früheren Produktion widmet. Und damit geht es dem Denkmal meist an den Kragen, denn die erhöhten Anforderungen an Wärmeschutz oder Klimatisierung lassen sich selten ohne Verlust an Originalsubstanz erfüllen.

Bei weniger bedeutenden Industriebrachen geschieht die Umnutzung eher spontan. Das üppige Raumangebot und die niedrigen Kosten locken eine alternative Szene an, die sich andere Räumlichkeiten nicht leisten könnte. Nicht die so genannte Hochkultur hält dort Einzug, sondern etwa Künstlerateliers oder kleine Jazzclubs.

Sensibilität gefragt

Schließlich sind es die baulichen Gegebenheiten der ehemaligen Produktionsstätten selbst, die den Ausschlag für die künftige Nutzung geben. Oftmals hochgradig spezialisiert, sperren sich Industriegebäude gegen Wohn- oder Bürostandards. Ältere Gewerbebauten zeigen sich dabei noch flexibler; die Fabriketagen der New Yorker Textilindustrie etwa ließen sich relativ leicht in Lofts verwandeln, jüngere Industrieanlagen jedoch – im Zeichen des Funktionalismus jeweils ganz auf einen bestimmten Arbeitsprozess zugeschnitten – eignen sich nur bedingt für eine neue Nutzung. Ihre besondere Bauform, ihre teils großen Gebäudetiefen, ihre mitunter gewaltigen Raumhöhen verursachen Erschließungs-, Belichtungs- oder Heizprobleme. Ihre großen Räume verlangen nach kleinteiliger Gliederung, wenn Wohneinheiten entstehen sollen. Abgesehen davon, dass solche Maßnahmen den Charakter des jeweiligen Industriebaus zerstören würden, wäre der bauliche und damit wirtschaftliche Aufwand meist so hoch, dass eine Wohn- oder Büronutzung nicht infrage kommt. Für Ausstellungsflächen oder Theatersäle hingegen eignen sich die großen Räume meist besser.

Wo die Umnutzung nicht spontan geschieht, besteht die eigentliche Herausforderung darin, überhaupt einen Betreiber zu finden, der tatsächlich bereit ist, die Galerie, das Museum, die Veranstaltungsstätte zu führen. Von der Sensibilität der Bauherren und Architekten hängt es dann ab, ob die Industriebauten, die Jahre des Leerstands und beginnenden Verfalls überlebt haben, auch die kulturelle Umnutzung überleben.

Christian Schönwetter

Inhalt

Editorial
03 | Das Haus der Zukunft: ein Haus aus der Vergangenheit

Bestandsaufnahme
06-12 | Projekte: Teehaus auf Bunker von UN Studio, Hauptbahnhof Dresden von Foster, Sanierung Städtische Bühnen Münster, …
13 | Bücher, Termine

Fokus
16-17 | Industrie –> Kultur

Projekte
18-21 | 01 Rock im Ring: The Roundhouse, London
22-27 | 02 Fliegender Koloss: Kohlenwäsche der Zeche Zollverein Schacht XII, Essen
28-31 | 03 Fliegende Hüte: Stadt- und Industriemuseum, Guben
32-39 | 04 Betagte Autos in betagten Hallen: Meilenwerk, Düsseldorf
40-43 | 05 Plastic fantastic: Kunsthülle, Liverpool
44-49 | 06 Mehr als nur Sakralbau: Neue Synagoge mit Gemeindezentrum, Bamberg
50-53 | 07 Kultur statt Kohle – Schacht 9 fördert wieder: Zeche Consolidation 9, Gelsenkirchen
54-61 | 08 Laut und leise: Zeche Consolidation Schacht 4, Gelsenkirchen

Technik
62 | Altlastenbewertung: Günstiger und zuverlässiger mit neuem Verfahren

Rubriken
66 | Vorschau, Impressum, Bildnachweis

Bildnachweis

Cover: Johannes Marburg, Genf
S. 4: links: Olaf Mahlstedt / archenova; Mitte oben: Simon Böhm, Stuttgart; rechts: Frank Welschner / artur
S. 5: links: Richard Bryant / arcaid; rechts oben: Johannes Marburg, Genf; rechts unten: Simon Böhm, Stuttgart
S. 6: Gudrun Haggenmüller, Leipzig
S. 7: Christian Richters, Münster
S. 8 links: Thomas Wadl, Graz
S. 8 rechts: Thüs Farnschläder Architekten
S. 9 links: Thomas Bender, London. rechts: Paul Raftery / View
S. 10 oben: Hanspeter Schiess (Farbfoto). unten: Foster Partners, London
S. 11 links: Jens Linde. rechts: Torben Eskerod
S. 12 oben: Jan Rinke, Münster. unten (SW-Foto): Erwin Schwarzer, Wiesbaden
S. 18 - 21: 01, 05-08: Hufton & Crow / View; 02, 03: Richard Bryant / arcaid
S. 22 - 27: 01: Frank Elschner / artur; 09: Thomas Riehle / artur; 02, 06-08: Thomas Mayer, Neuss; 03-05, Christian Richters, Münster
S. 28 - 31: 01, 02, 05, 06: Stefan Meyer, Berlin; 03, 04: Arcus Planung Beratung, Cottbus
S. 32 - 39: 01, 02, 05-07, 11: Simon Böhm, Stuttgart; 03: „brainstorm TV“, Düsseldorf; 04: H. Blondiau, Köln; 08-10: RKW Architekten, Düsseldorf
S. 40 - 43: 01-03, 06-08: Johannes Marburg, Genf; 04-05: Office for Subversive Architecture
S. 44 - 49: 01, 02, 04-08,10: Gerhard Hagen, Bamberg; 03, 09: Jürgen Rebhan, Bamberg
S. 50 - 53: 01: Manfred Vollmer, Essen; 02, 03: Stadt Gelsenkirchen; 04: PASD Architekten, Hagen
S. 54 - 61: Olaf Mahlstedt / archenova
S. 62: Isodetect GmbH
S. 64 oben: Horstheinz Neuendorff, Baden-Baden. unten: Christian Schönwetter, Stuttgart
S. 66: Jürgen Rebhan, Bamberg

Aufnahmen, die nicht anders gekennzeichnet sind, sind Werkfotos oder stammen von den Architekten, Bauherren oder aus dem Metamorphose-Archiv.

Metamorphose, Mi., 2008.09.24

24. September 2008

Rock im Ring

(SUBTITLE) The Roundhouse, London

Lokomotivschuppen, Gin-Lager, legendärer Treffpunkt der Londoner Alternativkultur – das Roundhouse blickt auf eine wechselvolle Geschichte von rund 160 Jahren zurück. Nach einer langen Zeit des Leerstands beherbergt es heute ein Kultur- und Jugendzentrum. Verantwortlich für den einfühlsamen Umbau ist das Londoner Architekturbüro John McAslan Architects.

Präzise Eingriffe: Das Umbaukonzept

Es hat wilde Jahre hinter sich. Das Roundhouse, ein ehemaliger Lokomotivschuppen im Stadtteil Camden, diente in den 60ern und 70ern als alternatives Veranstaltungszentrum. In Zeiten, als nackte Schauspieler noch einen Skandal statt eines müden Lächelns hervorriefen, fanden hier umstrittene Theateraufführungen statt. Rockkonzerte von Jimi Hendrix, David Bowie, The Doors und The Who machten das Roundhouse so legendär wie populär. Nachdem es in der Thatcher-Ära geschlossen wurde und allmählich zu verfallen begann, hat sich nun der Norman Trust des denkmalgeschützten Bauwerks angenommen und dort ein Kultur- und Jugendzentrum eingerichtet – ein Versuch, die jüngere Nutzungsgeschichte des Baus fortzuschreiben…

28. Januar 2007 Christian Schönwetter

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Betagte Autos in betagten Hallen

(SUBTITLE) Meilenwerk, Düsseldorf

In Düsseldorf hat das Büro RKW Rhode Kellermann Wawrowsky ein Forum für Fahrkultur geschaffen. Oldtimer und Liebhaberfahrzeuge können dort bestaunt, erworben, gelagert, gewartet, restauriert oder auch verkauft werden. Teil der Gesamtanlage: ein denkmalgeschützter, vollständig sanierter Ringlokschuppen aus den dreißiger Jahren.

Automobile Begierde: Das Konzept Meilenwerk

Fan trifft Fan. Mit diesen drei Worten könnte man eine Geschäftsidee zusammenfassen, die unter dem Namen „Meilenwerk“ inzwischen nicht mehr ganz unbekannt ist. Ziel ist es, all jenen Menschen ein Forum zu bieten, für die Oldtimer mehr als bloße Fortbewegungsmittel sind: Liebhaber und Technikbegeisterte treffen auf Fachwerkstätten, Händler, Restauratoren und andere Dienstleister. Über private Einstellboxen sowie den Verkauf und die Pflege der Fahrzeuge hinaus ergänzen Gastronomie- und Eventbereiche das Angebot. Denkmalgeschützte Industriebauten mit ihrer jeweils individuellen Geschichte bieten den geeigneten architektonischen Rahmen für die automobilen Klassiker, die ebenfalls auf eine lange Vergangenheit zurückblicken…

28. Januar 2007 Simon Böhm

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Verkannte Perlen

(SUBTITLE) Verwaltungsbau von Egon Eiermann in Karlsruhe

Liebe MiRO GmbH,

danke! Danke, dass Du Dich nun endlich von Deinem Verwaltungsbau trennst, den Egon Eiermann 1963 auf Deinem Werksgelände am Karlsruher Rheinufer errichtet hat. Es war ja nicht mehr mitanzusehen, wie das Gebäude vor sich hin rostete, weil Du Dich nicht darum gekümmert hast.

Gewiss, der gute Egon hat seinerzeit ein paar bauphysikalische Regeln nicht beachtet, als er die Verwaltungszentrale aus einem außenliegenden Stahlskelett konstruierte. Da war klar, dass sich irgendwann Schwitzwasser auf den Stahlteilen bilden und die angrenzenden Holzausfachungen durchfeuchten würde. Und seit Du 1996 aus dem Zusammenschluss der Raffinerie Dea-Scholven mit der benachbarten Raffinerie der Esso A.G. hervorgegangen bist, hattest Du auf deren Gelände ein größeres und baugeschichtlich sicher nur geringfügig unbedeutenderes Bürogebäude zur Verfügung. Da war es natürlich ganz logisch, den überflüssigen Verwaltungsbau aufzugeben und jahrelang vor sich hin rotten zu lassen. Wozu auch die Kiste in Stand halten? Bloß weil sie von Eiermann stammt? Bloß weil sie Teil eines Ensembles ist? Bloß weil sie aus einem ausgeklügelten Baukastensystem errichtet ist, das auch bei den 21 anderen Gebäuden der Raffinerie – von der Feuerwache bis zur Kantine – Anwendung fand…?

28. Januar 2007

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