Editorial

Fokus Aufgestockt

„Keine Erker oder Türmchen am Dach, kein Kontext von Proportionen, Material oder Farben. Sondern eine visualisierte Energielinie, die von der Straße kommend das Projekt überspannt, das bestehende Dach zerbricht und damit öffnet. “ (Coop Himmelb(l)au zum Dachausbau Falkestraße in Wien, 1984-88)


In dicht besiedelten Städten sind die Dächer von Gebäuden häufig die einzigen freien Flächen, auf denen heute noch gebaut werden kann. Dem Blick der Passanten entzogen, entstehen dort meist exzentrische kleine Bauwerke, die in starkem Kontrast zu den gewachsenen Strukturen ihrer Umgebung stehen.

Der Startschuss fiel Mitte der Achtziger Jahre: Coop Himmelb(l)au läuteten mit ihrem legendären Dachausbau in der Wiener Falkestraße eine Welle eigenwilliger Aufstockungen und Umbauten auf unseren Dächern ein. Die meisten überraschen durch den starken Kontrast, den sie zu den Bestandsgebäuden ausbilden. Es scheint so, als schuldeten diese Fremdkörper auf dem Dach niemandem Rechenschaft, als sei die Welt oberhalb der Traufe von Regeln weitgehend befreit. Der naheliegende Versuch, auf das vorgefundene Gebäude zu reagieren, seine Architektursprache mit modernen Mitteln weiterzuentwickeln, wird erstaunlich selten unternommen – ganz in der Tradition von Coop Himmelb(l)au. Schon das Modell für die Falkestraße spricht Bände: Das eigentliche Bauwerk unterhalb des Dachausbaus ist nur als neutraler Sockel dargestellt.

Was bedeuten solche Projekte für unsere Dachlandschaften? Diese Frage stellt sich vor allem bei Städten mit ausgeprägter Topographie, bei denen man von erhöhter Position auf das Häusermeer hinabschauen kann. Eine allzu freie Formen- und Farbwahl einzelner Aufstockungen stört das Gesamtbild empfindlich. Und was ist mit Dachgärten? Vielerorts wurden diese bislang ungern genehmigt, da auch sie als Fremdkörper in der Dachlandschaft wahrgenommen wurden.

Inzwischen haben sich die Zeiten geändert: Dachgärten werden gefördert, da sie das Mikroklima verbessern und der sommerlichen Überhitzung der steinernen Innenstädte entgegenwirken, und Aufstockungen haben aus vielerlei Gründen Konjunktur: Sie verhindern bei einer Gebäudeerweiterung die Versiegelung des Grundstücks, sie verlangsamen bei städtischem Wachstum die Zersiedelung der Landschaft. Für die Nachverdichtung bestehender Quartiere leisten sie einen wertvollen Beitrag. Denn weil die Wohnfläche pro Person seit Jahren steigt, und in vielen Stadtteilen keine Wachstumsflächen mehr vorhanden sind, droht die Bewohnerdichte dort so stark zu sinken, dass gravierende Probleme für Einzelhandel und ÖPNV entstehen. Aufstockungen sind ein probates Mittel, diese Entwicklung zu bremsen. Nicht zuletzt bemühen sich viele Kommunen um eine stärkere Nutzungsmischung in der Innenstadt und wollen dort den Wohnanteil massiv erhöhen. In Hamburg etwa durfte aus diesem Grund ein vorhandenes Gebäude zwei Stockwerke über die eigentlich zulässige Maximalhöhe wachsen. Auch der Wandel stadtplanerischer Ziele also lässt Aufstockungen an Bedeutung gewinnen.

Mit der Transformation unserer Dachlandschaften werden wir daher noch einige Zeit beschäftigt sein – und vielleicht fällt uns zukünftig dazu auch mehr ein als nur reines Kontrastprogramm zum Bestand.

Christian Schönwetter und Claudia Hildner

Inhalt

Bestandsaufnahme
06 | Leserbriefe
08-13 | Projekte
14 | Bücher
15 | Termine

Aufgestockt
18-19 | Fokus: Aufgestockt
20-23 | Die Stadt über der Stadt: Dachlandschaft Wien
24-29 | 01 Quietschblaues Wunder: „Didden Village“, Rotterdam
30-33 | 02 Jugend obenauf: Haus 558, Siegburg
34-39 | 03 Aufgebockte Karrosserie: Berufsschule in Stuttgart
40-45 | 04 Vision, 270 Meter lang: „Kraanspoor“ in Amsterdam
46-51 | 05 Krönender Abschluss: Hochschulerweiterung auf dem Campus Design, Halle/Saale
52-55 | 06 Silberner Drache: Aufstockung in der Klostergasse, Wien

Technik
56-59 | Lightweight structures: Leichtbaustrategien für das Bauen im Bestand
60-63 | Kleine Teilchen mit großer Wirkung: Nanotechnologie fürs Denkmal?

Produkte
64-67 | Dachsanierung
68-69 | Neuheiten

Ausbildung
70-71 | Ergänzungsstudium Denkmalpflege und Bestandsentwicklung an der TU Dresden

Rubriken
74 | Vorschau, Impressum, Bildnachweis

Bildnachweis

Bildnachweis

Cover: Florian Rist, Wien
S. 4: von links oben im Uhrzeigersinn: Simon Böhm, Stuttgart; Luuk Kramer, Amsterdam; Werner Huthmacher, Berlin; Florian Rist, Wien; Rob`t Hart, Rotterdam
S.6: Markus Bachmann, Stuttgart; Stephan Falk, Berlin / Sigma Kalon, Bochum; Roos Aldershoff, Amsterdam
S. 8: Roman Keller, Zürich
S. 9: Luís Asín, Madrid; SW-Aufnahme: Ricardo González, Valladolid
S. 10: Thomas Jantscher, Colombier
S. 11: Luc Boegly, Paris
S. 12: Walter Mair, Zürich
S. 13: Jens Ziehe / Jüdisches Museum, Berlin; Hochformat: Jan Rinke, Münster
S. 18: Gerald Zugmann, Wien (Konstruktionsmodell des Dachausbaus Falkestraße von Coop Himmelblau, Gelatine Silver Print (1984))
S. 20-23: 01: Michaela Ruttmann, Wien/ Büro für Architektur Heinz Lutter, Wien; 02: Anna Blau, Wien/ Büro für Architektur Heinz Lutter, Wien; 03, 05: Hertha Hurnaus, Wien; 04: Rupert Steiner, Wien; 06: Art for Art Theaterservice GmbH, Wien; 07: Rüdiger Lainer Partner Architekten, Wien
S. 24-29: 01, 04, 05, 07-09: Rob`t Hart, Rotterdam; 02, 03, 10-12: Familie Didden, Rotterdam
S. 30-33: 01: Clemens Birckenbach, Köln; 02, 03, 05: Simon Böhm, Stuttgart; 04: Ute Reiter, Köln
S. 34-39: 01, 03-05, 07, 09, 10: Simon Böhm, Stuttgart; 02, 08: 4a Architekten, Stuttgart; 06: Uwe Ditz, Stuttgart
S. 40-45: 01, 04-07: Luuk Kramer, Amsterdam; 02, 03: OTH Ontwerpgroep Trude Hooykaas bv, Amsterdam; 08, 09: Christiaan de Bruijne, Koog aan de Zaan
S. 46-51: 01-03; 05-08: Werner Huthmacher, Berlin; 04: Anderhalten Architekten, Berlin; 09, 10: Ursula Böhmer, Berlin
S. 52-55: 01-04: Florian Rist, Wien; 05: Lakonis Architekten, Wien
S. 56-59: Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren, Universität Stuttgart
S. 60-62: 01, 04: Institut für Technische Chemie, Leibniz Universität Hannover; 03: Hans Hammarskiöld/Vasamuseet Stockholm
S. 70-71: Denkmalakademie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz
S. 72: links: SLUB Dresden / Abt. Deutsche Fotothek, Fotografin: Margot Schaal (1965); rechts: Susanne Weiß, Berlin
S. 74: Ludwig Thalheimer, Bozen

Aufnahmen, die nicht anders gekennzeichnet sind, sind Werkfotos oder stammen von den Architekten, Bauherren oder aus dem Metamorphose-Archiv.

Metamorphose, Mi., 2008.09.24

24. September 2008

Aufgebockte Karosserie

(SUBTITLE) Aufstockung einer Berufsschule in Stuttgart

Über der Wilhelm-Maybach-Schule in Stuttgart parkt seit diesem Jahr ein metallischer Körper auf langen Stützen. Das alte Gebäude scheint ihm als Standfläche ein wenig zu klein und zu schwach gewesen zu sein: Die eigene Tragstruktur hält ihn daher auf Abstand.

„Das sieht ja aus wie ein Ufo!“, soll einer der Berufsschüler spontan bemerkt haben, als die Gerüste und Hüllen um die Aufstockung der Wilhelm-Maybach-Schule endlich fielen. Die Stuttgarter Planer 4a Architekten, die das Projekt entwickelt und verwirklicht haben, sehen in solchen Äußerungen die Bestätigung ihres Konzepts. Sucht die Aufstockung doch bewusst nicht die formale Nähe zum Altbau, sondern bemüht sich eher, der Lebenswelt der Nutzer entgegenzukommen. Der Entwurf orientiert sich an technischen Leitbildern wie etwa einer aufgebockten Karosserie und möchte damit zur Identität einer Schule beitragen, die Mechatroniker, Techniker oder Kfz-Mechaniker ausbildet…

28. November 2007 Claudia Hildner

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Krönender Abschluss

(SUBTITLE) Hochschulerweiterung auf dem Campus Design, Halle/Saale

Wie ein Relief liegt die schimmernde Fassade über und an einem Fünfziger-Jahre-Bau der Hochschule für Kunst und Design in Halle. Anderhalten Architekten gaben der Erweiterung des DDR-Gebäudes ein goldenes Kleid, das bewusst mit dem grau verputzten Altbau kontrastiert.

Schon von weitem ist sie sichtbar: die Burg Giebichenstein in Halle. Seit über hundert Jahren ist sie Sitz der Hochschule für Kunst und Design, die, aus einer Handwerkerschule hervorgegangen, seinerzeit mit dem Bauhaus in Weimar um die bessere Lehre konkurrierte und später in der DDR die einflussreichste Ausbildungsstätte für Künstler und Designer darstellte. Bereits in den 1970er-Jahren wurde die Hochschule aus Platzgründen um den Standort „Neuwerk“ erweitert, ein Areal unterhalb der Burg in Richtung Altstadt. Einst Klostergebiet und fürstlicher Küchengarten, finden sich hier eine Handvoll repräsentativer Gründerzeitvillen – mit bis heute wechselvoller Geschichte…

28. November 2007 Stefan Rethfeld

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Postfiliale in der Dresdner Neustadt

Liebe Deutsche Post,

vollmundig versprichst Du Deinen Kunden: „Qualität ist kein Zufall. In unserem Wertesystem steht exzellente Qualität an erster Stelle.“ Wie diese Qualität im Detail aussieht, lässt sich an der Postfiliale in der Dresdner Neustadt besichtigen: Graffitis an den Wänden, ein toter Vorplatz und wildwucherndes Buschwerk, wo einst Blumenbeete den Blick auf die Architektur frei ließen. So setzt also ein „führendes Unternehmen … internationale Maßstäbe“.

Seit Beginn der 1960er Jahre steht der Bau markant als dreiteilige Abfolge eigenständiger Volumina an der Königsbrücker Straße, gebaut 1962 bis 1964 nach den Entwürfen von Wolfgang Starke und Kurt Novotny. Vor über vierzig Jahren war er ein aufregendes Gebäude, formulierte er doch den Abschied von der etwas altbackenen „nationalen Tradition“ als offizieller Referenz für Architektur in der DDR. Weil seine Erbauer damals neue Wege bestritten, steht er heute auch unter Denkmalschutz. Und wenn andere Bauten aus derselben Zeit gerade überall abgerissen oder bis zur Unkenntlichkeit überformt werden, könnte ein globaler Konzern wie die Post doch ein leuchtendes Beispiel geben und sich gegen diese Gedankenlosigkeit stellen…

28. November 2007

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