Editorial

Fokus Beton

„Man muß ihn berühren, betasten, beschnuppern, muß ihn erspüren, erfühlen, muß ihn anfassen, man muß mit den Fingerkuppen auskultieren, muß mit den Nägeln ritzen diesen Beton. An purer Schönheit nimmt er es mit jedem Alabaster auf, doch ist er hart wie Kristall. […]“ (Pierre Imhasly in „Hérémence Beton“, Lausanne, 1974)


Von Bauherrn verschmäht, von Architekten verklärt: An keinem anderen Material scheiden sich die Geister so sehr wie am Beton. Was also tun, wenn Gebäude aus diesem Baustoff zum Umbau oder zur Modernisierung anstehen?

Mit der Akzeptanz von Beton ist es nicht weit her. Außer Architekten kann diesem Material kaum jemand etwas abgewinnen, zu sehr wird es mit anspruchslosen so genannten Zweckbauten in Verbindung gebracht: Klärwerken, Tiefgaragen, Autobahn-Schallschutzwänden. Die Abneigung, die Architektur aus Sichtbeton hervorruft, sitzt tief, schnell fällt das Schimpfwort „Betonbunker“. (Ob sich die Tatsache, dass ausgerechnet in der Schweiz besserer Sichtbeton gebaut wird als andernorts, wohl damit erklären lässt, dass dort bis in die 1990er Jahre jeder Neubau einen Luftschutzkeller aufweisen musste? Haben Schweizer ein anderes, ein alltäglicheres Verhältnis zu Bunkern – und damit auch zum Beton?)

Wenn Betonbauwerke umgenutzt oder modernisiert werden sollen, stellt sich die Frage nach dem konzeptionellen und auch dem bautechnischen Umgang mit dem unbeliebten Baustoff. Verstecken oder speziell inszenieren? Instandsetzen oder unbehandelt belassen? Diese Ausgabe der Metamorphose stellt fünf völlig unterschiedliche Beispiele vor. In London etwa wurde eine heruntergekommene Wohnmaschine aus Beton cremeweiß gestrichen. Mag sich dies aus Architektensicht zunächst nach einer völligen Entstellung des Bauwerks anhören, so wurde damit in Wirklichkeit nur vollendet, was schon der Architekt beabsichtigt hatte, der das Gebäude in den 1960er Jahren errichtet hatte. Bei der Erweiterung eines Konferenzzentrums in Genf hingegen wurden zusätzliche Flächen aus Sichtbeton geschaffen, die in Textur und Farbigkeit auf den bestehenden Betonbau reagieren. In Dresden nutzten die Planer die Chance, bei der Modernisierung eines Betonschalenbauwerks von Ulrich Müther mit geschickten Eingriffen die elegante Leichtigkeit der Schale zusätzlich zu betonen.

Vor allem bei Baudenkmalen bereitet Sichtbeton große Probleme. Es ist Bauherren, aber auch Handwerkern oft schwer zu vermitteln, dass eine originale Betonoberfläche schützenswert sein kann. Sind Schäden aufgetreten, so ist es alles andere als einfach, sie denkmalverträglich zu beheben. Bislang wird Beton meist rein ingenieurmäßig instandgesetzt, mit der ausschließlichen Absicht, seine Funktionstüchtigkeit (Tragvermögen, Wetterfestigkeit) wiederherzustellen. Wenn dafür etwa deckende Anstriche oder Beschichtungen erforderlich sind, werden diese aufgebracht, ohne zu berücksichtigen, dass damit das ursprüngliche Erscheinungsbild verlorengeht. Noch gravierender ist es, wenn die alte, häufig nicht ausreichende Betondeckung durch eine neue, deutlich dickere ersetzt wird, die dem heutigen Stand der Technik entspricht. Die ursprüngliche Anmutung der Oberfläche ist dann für immer verloren. Da die Betoninstandsetzung im Denkmalkontext noch nicht zu den Standardaufgaben gehört, fehlen hier gängige, einfache Verfahren. Nur bei hochkarätigen Denkmalen wird man es sich leisten können, von der Betonoberfläche etwa einen Abdruck der ursprünglichen Bretterschalung zu nehmen, bevor man die neue, stärkere Deckung aufbringt und dieser dann mithilfe des Abdrucks wieder die ursprüngliche Struktur gibt. Und da immer mehr Betonbauten allmählich ein Alter erreichen, in dem sie Denkmalreife erlangen, gibt es noch viel zu tun – für Industrie, Handwerk, Denkmalpflege und Architektenschaft.

Christian Schönwetter

Inhalt

Bestandsaufnahme
06-09 | Projekte
10 | Bücher
11 | Termine

Beton
15 | Fokus: Beton
16-21 | Eine ganze Stadt nur aus Beton: Das Zentrum von Le Havre
22-29 | 01 Masse in Bewegung: Kunstzentrum in altem U-Boot-Bunker, Saint Nazaire
30-35 | 02 Weißer Riese: Brunswick Centre, London
36-41 | 03 Rausch bei 45 Grad: Centre International des Conférences, Genf
42-49 | 04 Nordische Meisterschaft: Universitätsgebäude Porthania, Helsinki
50-53 | 05 Zacken an der Elbe: Wasserfahrtzentrum in Dresden-Blasewitz

Technik
54-59 | Kampf gegen den Rost: Verfahren zur Instandsetzung von Sichtbetonfassaden
60-63 | Handarbeit mit Tiefenwirkung: Wie sich Sichtbetonfassaden denkmalgerecht instandsetzen lassen

Produkte
64-66 | Betoninstandsetzung
67 | Putz
68-69 | Rund ums Fenster

Fortbildung
70-71 | Europäische Zusatzqualifizierung „Planen und Bauen im Bestand“

Rubriken
74 | Vorschau, Impressum, Bildnachweis

Bildnachweis

Bildnachweis

Cover: Christian Richters, Münster / LIN, Berlin
S.4 (von links oben im Uhrzeigersinn): Nicolas Faure, Meyrin; Jussi Tiainen, Helsinki / NRT Architekten, Helsinki; Peter Cook, London / VIEW; blickpunkt studio 2, Christoph Reichelt, Dresden; Christian Richters, Münster / LIN, Berlin
S.6: oben: Tabou, Paris; unten: Bayer/Bisig, Basel
S.7: Jesús Granada / fab-pics
S.8: links: Maria Eckerle, Titting
S.9: oben: Paul Raftery / VIEW; unten: Stefan Hohloch, Stuttgart
S.16-21: David Boureau, Paris
S.22-29: 01: Jan-Oliver Kunze / LIN, Berlin; 02-04, 08: Christian Richters, Münster; 05-07, 09-11: Christian Richters, Münster / LIN, Berlin; 12: Christian Schönwetter, Stuttgart; 13: LIN, Berlin
S.30-35: 01: Ed Hill, London; 02-06: Peter Cook / View; 07-09: Levitt Bernstein Associates, London
S.36-41: 01, 02, 04, 05: Nicolas Faure, Meyrin; 03: Nott Caviezel, Bern; 06-09: Anzevui & Deville, Carouge
S.42-49: 01, 05, 08: Jussi Tiainen, Helsinki / NRT Architekten, Helsinki; 02: Rafael Roos / Museum of Finnish Archi¬tecture, Helsinki; 03: Museum of Finnish Architecture, Helsinki; 04, 07: Antti Luutonen, Helsinki / NRT Architekten, Helsinki; 06, 09: Antti Luutonen, Helsinki; 11: Matti Janhunen, Helsinki; 10, 12: NRT Architekten, Helsinki
S.50-53: 01,02: blickpunkt studio 2, Dresden; 03-05 see architekten, Dresden
S.54-59: Ingenieurbüro Prof. Schießl, München
S.60-63: 01-05: Helmut Weber / KBB GmbH, Ebersberg; Wolfgang Wels / Projects & Plans GmbH, Berlin; 06-11: Felix Keller / Eglin Ristic AG, Basel
S.70-71: 01, 03: IFBau, Stuttgart; 02: Peter de Kleine, Berlin
S.72: 01: Stadtmuseum Münster, Sammlung Hänscheid; 02: Roland Borgmann, Münster; 03: Christian Schönwetter, Stuttgart
S.74: Hahn Helten Assozierte, Aachen

Aufnahmen, die nicht anders gekennzeichnet sind, sind Werkfotos oder stammen von den Architekten, Bauherren oder aus dem Metamorphose-Archiv.

Metamorphose, Mi., 2008.09.24

24. September 2008

Masse in Bewegung

(SUBTITLE) Kunstzentrum in altem U-Boot-Bunker, Saint Nazaire

Im französischen Atlantikstädtchen St. Nazaire versperrt ein riesiger U-Boot-Bunker den Weg vom Zentrum zum alten Hafen. Seit Jahren sucht die Stadt nach dem richtigen Umgang mit dem Nazi-Bauwerk. Auf dessen rohe, beeindruckende Gestalt reagieren LIN Architeken nun mit robusten Einbauten für eine kulturelle Nutzung.

480.000 Kubikmeter Beton schaffen Fakten. Fakten, die das Gesicht von Saint Nazaire entscheidend verändert haben. Im Januar 1941 begann die Wehrmacht, das zentrale Hafenbecken der Stadt zu einem Drittel mit einem gewaltigen Betonbunker zu besetzen, einem der wichtigsten Stützpunkte der deutschen U-Boot-Flotte. Von hier ließ sich die Loire-Mündung kontrollieren, und die Flotte konnte schnell in den Atlantik ausrücken...

15. Juli 2007 Christian Schönwetter

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verknüpfte Bauwerke
Umnutzung U-Boot-Bunker

Nordische Meisterschaft

(SUBTITLE) Universitätsgebäude Porthania, Helsinki

Das Universitätsgebäude Porthania ist ein wichtiges Werk der finnischen Nachkriegsarchitektur – gilt es doch als einer der ersten Bauten des Landes, bei dem Stahlbeton-Fertigteile zum Einsatz kamen. Das Architekturbüro Nurmela Raimoranta Tasa hat das Baudenkmal sorgfältig restauriert, an heutige Anforderungen angepasst und dabei die Qualitäten der 1950er-Jahre-Architektur bewahrt.

Ginge es nach Matti Nurmela, so sollten Aufträge für die Sanierung von Baudenkmälern stets nur an Architekten vergeben werden. „Es gibt nach meiner Erfahrung kaum Ingenieure, deren architekturhistorische Kenntnis ausreichen würde, um Erscheinung und Geist solcher Gebäude angemessen würdigen und wiederherstellen zu können“, antwortet er auf die Frage, warum sein Büro NRT mit einer Aufgabe betraut wurde, die neben einer umfassenden Restaurierung vor allem haustechnische Umbauten betraf. Dem einfühlsamen Umgang mit dem Gebäude verdankt das Büro eine Medaille des internationalen Denkmalschutz-Verbandes „Europa Nostra“, welche die umsichtige Sanierung als ein vorbildliches Beispiel für die Bewahrung des Kulturerbes des 20. Jahrhunderts sieht...

15. Juli 2007 Claudia Hildner

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Verkaufspavillon in Münster

Liebe Erben von Ernst Kiffe,

schade, dass Euer Vorfahre Euch statt seines Pioniergeists sein ehemaliges Autohaus vererbt hat.

Das Gebäude hatte er 1956 mitten in der Innenstadt von Münster erbauen lassen, und lange suchte es seinesgleichen. Die Transparenz und Leichtigkeit des Verkaufspavillons waren kaum zu übertreffen. Ein papierdünnes Betondach, nur acht Zentimeter stark, schien über den ausgestellten Opel-Fahrzeugen zu schweben. Es wurde lediglich von zwei flachen Betonbögen und schlanken Rundstützen direkt hinter der Fassade getragen und überspannte einen einzigen, weiten, stützenfreien Raum. Da dieser rundum verglast ist, wirkten die Automobile wie wertvolle Schmuckstücke, die in einer Vitrine zur Schau gestellt werden. Der Blick konnte durch die großen Schaufensterscheiben über die Fahrzeuge hinweg durch das gesamte Gebäude schweifen. Dieses Konzept war seinerzeit so bahnbrechend, dass es weit über die Stadtgrenzen Münsters hinaus Beachtung fand: Sogar amerikanische Autozeitschriften berichteten darüber…

15. Juli 2007

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