Editorial
Die HafenCity Hamburg ist mit 150 Hektar nicht nur Europas größtes Stadterweiterungsgebiet, sondern auch die einzige Hafenrevitalisierung mit direktem Anschluss an die Innenstadt. Eine herausfordernde Aufgabe für Stadtväter, Planer und Architekten, bei der Chancen und Risiken dicht beieinanderliegen. Denn die Geometrie eines Hafenareals ist für eine Bebauung in den gewohnten städtebaulichen Typologien nur sehr bedingt geeignet; zusätzlich problematisch ist die kaum vorhandene infrastrukturelle Verknüpfung mit der angrenzenden Stadt. Und dann bleibt natürlich noch die Frage ob es gelingen wird, ein Gebiet dieser Dimension – geplant und realisiert in einem Zeitraum von nur zwanzig bis 25 Jahren – zu einem urbanen Ort werden zu lassen. Nachdem die ersten Teilbereiche fertiggestellt und bezogen, weitere Wettbewerbe gelaufen und Baugruben ausgehoben sind, ist es Zeit, das Quartier genauer zu betrachten, die neusten Entwürfe vorzustellen und mit Planungsbeteiligten und der Stadt über bisherige Erfolge oder Probleme zu sprechen. uk
Inhalt
Diskurs
03 Kommentar
Der Fall Grassi – Grenzen der Rekonstruktion | David Cohn
06 Magazin
12 On European Architecture
Grimshaw's Arena station | Aaron Betsky
14 Im Blickpunkt
Kattowitz – geheime Hauptstadt der Ostmoderne | Arnold Bartetzky
Schwerpunkt
18 Übersichtsplan Hamburg HafenCity
20 Zum Thema – HafenCity: eine Bilanz | Claas Gefroi
24 Bebauung an Sandtor-, Dalmann- und Kaiserkai | Ralf Lange
36 Interview mit dem Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter | Amelie Osterloh
40 Überseequartier | Gisela Schütte
42 Leuchtturmprojekte | Gisela Schütte
46 Freiraumplanung | Thies Schröder
54 Architekturqualität und Wirtschaftlichkeit – Widerspruch oder Ergänzung? | Claas Gefroi
56 Hochwasserschutz | Thies Schröder
Empfehlungen
62 Kalender / Ausstellungen: Ornament neu aufgelegt (Basel) | Anneke Bokern
63 grün der zeit (Stuttgart) | Dagmar Ruhnau
64 Neu in ...
... Erstein (F) | Gudrun Escher
... Dohna | Frank Peter Jäger
... Hamburg | Claas Gefroi
66 Bücher
Trends
68 Energie
Forschungsprojekt EVA zur Evaluierung von Energiekonzepten für Bürogebäude | Stefan Plesser, Norbert Fisch
74 Ökonomie
Architekten als Sachwalter | Gudrun Escher
78 Produktberichte: Sanierung, Bauen mit Glas, Innenausbau | rm
84 Infoticker | rm
86 Schaufenster
Beschläge | rm
88 Schwachstellen
Dachrand begrünter Dächer | Rainer Oswald
Anhang
94 Planer / Autoren
96 Projektlegenden (Sandtorkai, Dalmannkai und Kaiserkai)
98 Vorschau / Impressum
Die geheime Hauptstadt der Ostmoderne
Die oberschlesische Industriemetropole Kattowitz (Katowice) war wiederholt ein architektonisches Experimentierfeld der Moderne. In der Zwischenkriegszeit sollten funktionalistische Bauten den Aufbruch des wiedererstandenen polnischen Staates in die Zukunft visualisieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg trieb die sozialistische Volksrepublik spektakuläre Großprojekte voran, mit denen sie mit dem Westen wetteifern wollte. Wer das Kattowitzer Erbe der Moderne kennenlernen möchte, sollte sich schleunigst auf den Weg machen. Denn einem Großteil der Bauten drohen Abriss oder Verunstaltung.
Noch im 19. Jahrhundert war das damals preußische Kattowitz, wie die meisten heutigen Städte des oberschlesischen Industriegebiets, ein Dorf. Erst die rasante Entwicklung des Steinkohlebergbaus und der Hüttenindustrie sowie der Anschluss an das Eisenbahnnetz im Jahr 1846 setzten einen lang anhaltenden Wachstumsprozess in Gang. Bis zum ersten Weltkrieg entwickelte sich Kattowitz zu einer großen Mittelstadt.
Das nördlich der Eisenbahnlinie gelegene Stadtzentrum war von drei- bis viergeschossigen Bauten der Gründerzeit und der Jahrhundertwende geprägt, in der Nähe der verstreut liegenden Gruben – wie die Zechen in Oberschlesien genannt werden – entstanden schlichte Arbeitersiedlungen aus rotem Ziegelmauerwerk.
Nach dem Krieg gewann Kattowitz schlagartig an Bedeutung, wurde es doch infolge der Teilung Oberschlesiens zwischen Deutschland und dem nach über einem Jahrhundert staatlicher Nichtexistenz wiedererstandenen Polen zur Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft (Verwaltungsbezirk) Schlesien. Die Einwohnerzahl überschritt rasch die Hunderttausendermarke. Die Bautätigkeit konzentrierte sich fortan vor allem auf die wenig entwickelten Gebiete südlich der Eisenbahn. Dort entstand auch das Verwaltungszentrum der Woiwodschaft, das als polnisches Gegenstück zum bisherigen preußisch-deutschen Stadtzentrum galt.
Als Repräsentationsstil des neuen Polen wurde zunächst ein etwas klobiger, reduktiver Neoklassizismus favorisiert, der an die Spätzeit der untergegangenen polnischen Adelsrepublik im ausgehenden 18. Jahrhundert anknüpfen und einen selbstbewussten Gegenakzent zu der als spezifisch deutsch aufgefassten lokalen Neogotik der Vorkriegszeit setzen sollte. Sein wichtigster Kattowitzer Vertreter ist der Bau des schlesischen Woiwodschaftsamts und Regionalparlaments (1924–29, Architekten: Kazimierz Wyczynski, Ludwik Wojtyczko, Stefan Zelenski, Piotr Jurkiewicz), eine von wuchtigen Risaliten eingefasste Vierflügelanlage, die nicht zufällig an eine Festung erinnert. Doch bereits seit den späten Zwanzigerjahren brach sich in Kattowitz der Funktionalismus Bahn, der als zukunftsweisender Stil des polnischen Fortschritts propagiert wurde. Die bis dahin obligaten klassischen Ordnungen wurden immer sparsamer und in zunehmend abstrakterer Form auf die Fassaden appliziert, um bald vollends glatt verputzten, weißen Wandflächen zu weichen. Von der Woiwodschaftsregierung kräftig gefördert, avancierte der Funktionalismus rasch zum Leitstil sowohl von öffentlichen Repräsentationsbauten als auch von Wohnhäusern, sogar an einigen Kirchen setzte sich der Wille zur kubischen Kargheit gegen die Traditionsliebe der Geistlichkeit durch.
Die polnischen Architekten des neuen Kattowitz ließen sich nicht mehr von Imaginationen altpolnischer Vergangenheit, sondern von Innovationen des Westens inspirieren. Ungeachtet des nationalen Antagonismus blickten sie auf das Neue Bauen der Weimarer Republik, das damals nicht zuletzt das Gesicht der gleich hinter der Grenze gelegenen Städte im deutschen Teil Oberschlesiens zu verändern begann. In Gleiwitz (heute Gliwice) etwa hatte Erich Mendelsohn bereits 1921/22 das avantgardistische Seidenhaus Weichmann errichtet. In Hindenburg (Zabrze) fand 1927 ein Wettbewerb für den radikalen Umbau des Stadtzentrums statt, an dem sich unter anderen Hans Poelzig und Max Berg beteiligten. Gleichzeitig suchte die Stadt Hindenburg durch den Bau funktionalistischer Arbeitersiedlungen die Wohnungsnot in den Griff zu bekommen, die durch den Zuzug deutscher Auswanderer aus den an Polen gefallenen Gebieten Oberschlesiens verschärft wurde.
Mehr noch schauten die Kattowitzer Architekten aber nach Amerika. Schlesien, verkündete enthusiastisch die polnische Zeitschrift »Architektura i Budownictwo« (Architektur und Bauwesen) im Jahr 1932, sei die amerikanischste Region Polens, die mit ihrem Höhendrang die übrigen Landesteile überflügelt habe. Schon das 1928 fertiggestellte Kattowitzer Kulturhaus (Architekten: Stanislaw Tabenski, Józef Rybicki) hatte mit seinem durch in die Höhe strebende Lisenen und vertikale Fensterbahnen gegliederten Baukörper die Typologie das amerikanischen Hochhauses aufgegriffen, auch wenn es die Nachbarbebauung nur wenig überragte. Einige Jahre später leistete sich Kattowitz mit dem bis 1934 erbauten sogenannten »Wolkenkratzer« (Tadeusz Kozlowski) das damals höchste Gebäude Polens und eines der höchsten Europas. Der vierzehngeschossige, scharfkantige Stahlskelettbau wurde zur Ikone der Kattowitzer Moderne der Zwischenkriegszeit. Zu ihrem Abgesang sollte das Schlesische Museum werden. Seit 1934 errichtet, legte der von Karol Schayer entworfene Großbau eine dekorlose Strenge an den Tag, die mit der Tradition der Museumsinszenierung als Kunsttempel brach. Bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde er, noch bevor er eingeweiht werden konnte, von den Nazis als Symbol polnischer Kultur abgebrochen.
Nach dem Krieg, den die Stadt, im Vergleich etwa zum total zerstörten Warschau, relativ glimpflich überstand, wurde Kattowitz wieder polnisch – diesmal vollständig, denn der nach 1918 verbliebene deutsche Teil der Bevölkerung war geflohen oder vertrieben worden. Nunmehr zum Zentrum des gesamten oberschlesischen Kohlereviers aufgestiegen, erlebte die Stadt weitere Wachstumsschübe, die durch den Primat der Industrie in der sozialistischen Wirtschaftspolitik zusätzlichen Auftrieb bekamen.
Seit 1949 wurde den polnischen Architekten die Doktrin des Sozialistischen Realismus aufgezwungen, die dem im Westen als Internationaler Stil triumphierenden Funktionalismus eine »Baukunst nationaler Traditionen« nach sowjetischem Vorbild entgegensetzte. Es mag nicht zuletzt an der starken modernen Tradition des vorkriegszeitlichen Kattowitz liegen, dass der Stalinsche Historismus hier etwas dezenter auftrat als in anderen polnischen Großstädten. Dafür entwickelte sich Kattowitz nach dem architekturpolitischen Kurswechsel in der Mitte der fünfziger Jahre, bei dem der Sozialistische Realismus als Verirrung auf dem Heilsweg geächtet worden war, zu einer Hochburg der sozialistischen Spätmoderne. Zum Brennpunkt der Bautätigkeit wurde wieder das alte Stadtzentrum nördlich der Eisenbahn. Rund um den Marktplatz entstanden anstelle abgebrochener Gründerzeitbauten neue Kauf- und Bürohäuser, mit denen Anschluss an die internationale Entwicklung gesucht wurde. Zeigt etwa das Kaufhaus »Zenit« (1958–62, Jurand Jarecki, Mieczyslaw Król) noch eine monoton gerasterte Lochfassade, so kam im fast gleichzeitig errichteten, filigranen Stahl-Glas-Bau des später als Pressehaus genutzten Sporthauses (1963 fertiggestellt, Marian Sramkiewicz) erstmals in Schlesien eine Vorhangfassade zum Einsatz. Ein Jahrzehnt später setzte das Kaufhaus »Skarbek« (1975 fertiggestellt, Jurand Jarecki) einen ganz neuen Akzent an dem Platz: Mit seiner fensterlosen Wabenfassade in der Nachfolge Egon Eiermanns, die an die einstigen westdeutschen Horten-Kaufhäuser erinnert, galt es seinerzeit als Fanal des Forschritts sozialistischer Konsumkultur. Seit den sechziger Jahren wurde auch eine vom Marktplatz nach Norden verlaufende Magistrale angelegt. Mit ihren streckenweise mehr als hundert Metern Breite, weist sie keine klaren Raumkanten auf, sondern wird, dem Konzept fließender Stadtlandschaft folgend, zu beiden Seiten von locker angeordneten Hochhäusern mit vorgelagerten Pavillons gesäumt. Das Finale dieser in ihren Dimensionen etwas aus dem Ruder gelaufenen Repräsentationsmeile bilden zwei spektakuläre Bauten an einem vom Kreisverkehr umtosten Platz, der heute den Namen Rondo Zietka trägt. Die »Superjednostka« (Supereinheit), ein auf Pilotis aufgeständerter fünfzehngeschossiger Wohnriegel für 3000 Menschen (1961–70, Mieczyslaw Król), rekurriert mit ihrem Namen wie mit ihrer Form auf Le Corbusiers Unité d’Habitation. Mit ihren fast zweihundert Metern Länge übertrifft sie aber deren bisherige Varianten bei Weitem. Schräg gegenüber schwebt über einem flachen Sockel, einem gigantischen Ufo gleich, die im Volksmund treffend »Spodek« (Untertasse) genannte Mehrzweckhalle (1965–71, Maciej Gintowt, Maciej Krasinski, Andrzej Zurawski, Waclaw Zalewski u. a.), eine kühne Schalenkonstruktion, die zu den Spitzenleistungen polnischer Architektur und Ingenieurskunst gezählt wird.
Dem Spodek qualitativ ebenbürtig ist der Hauptbahnhof (1966–72, Waclaw Klyszewski, Jerzy Mokszynski, Eugeniusz Wierzbicki, Waclaw ¬Zalewski). Als Paradebeispiel des Betonbrutalismus apostrophiert, ist er tatsächlich ein Bau von äußerster Leichtigkeit und gestalterischer Raffinesse. Sechzehn in zwei Reihen aufgestellte, kelchartig geformte Sichtbetonständer bilden die Konstruktion und zugleich das durchlichtete Dach der luftigen, raumhoch verglasten Empfangshalle.
Während mit den markanten Solitären im Zentrum eine Leistungsschau sozialistischer Repräsentationsarchitektur entstand, breiteten sich am Stadtrand die berüchtigten Großsiedlungen aus. Doch sie bieten nicht nur die übliche Plattenbautristesse. In der Millennium-Siedlung etwa ragen fünf Hochhäuser auf polygonalem Grundriss heraus (seit 1961, Henryk Buszko, Aleksander Franta), die mit ihren umlaufenden, geschwungenen Balkons die Chicagoer Marina Towers zitieren.
Die zwei Jahrzehnte vor und nach dem Kollaps des Sozialismus bilden ein Kapitel der oberschlesischen Architekturgeschichte, über das man barmherzig den Mantel des Schweigens breiten sollte. Nach Jahren der Kakophonie, wie der Kattowitzer Architekturkritiker Tomasz Malkowski den Wildwuchs der Nachwendezeit treffend charakterisiert, dominiert heute wieder der Funktionalismus, freilich in seiner zeitgemäß geläuterten, milderen Variante. Die neuesten Bauten, etwa der zwischen backsteinerner Schwere und gläserner Leichtigkeit changierende Erweiterungsbau der Musikakademie (2005–07, Tomasz Konior), und die jüngsten Projekte, allen voran das künftige Schlesische Museum auf dem Gelände der früheren Grube »Katowice« (Wettbewerbssieger Riegler Riewe Architekten, Graz), zeigen eindrucksvoll, dass die baukulturelle Talsohle der Transformationsperiode nun überwunden ist. Dies ist umso wichtiger, als sich Kattowitz derzeit auf einen Bauboom einstellt.
Großinvestoren reißen sich um Bauland in der oberschlesischen Metropole, die zwar nach dem Niedergang der klassischen Industrie nur noch gut 300 000 Einwohner hat, aber im Zentrum eines Ballungsraums von fast drei Millionen Menschen liegt.
Dem Erbe der Moderne drohen damit allerdings Entstellung und Zerstörung. Die Bauten der Zwischenkriegszeit werden oftmals unsachgemäß saniert: Dicke Wärmedämmschichten machen den subtilen Fassadengliederungen den Garaus. Der marode Hauptbahnhof ist akut von Abriss bedroht, weil ihn die Polnische Staatsbahn einem Einkaufszentrum opfern will.
Von der städtebaulichen Anlage der Magistrale wird wohl nicht viel übrigbleiben, denn hier ist rigorose Verdichtung durch Neubauten vorgesehen. So fraglos sinnvoll es ist, den ebenso überdimensionierten wie öden Straßenraum zu verengen, so leidet doch dieses zentrale Stadtumbauprojekt zum Teil unter einer ähnlichen Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Bestand wie die modernistische Bebauung der Magistrale, die es doch gerade zu korrigieren gilt. Selbst die ikonische »Supereinheit« soll von einem Hochhaus verstellt und damit, wie die Kattowitzer Kunsthistorikerin Irma Kozina befürchtet, langfristig dem Wertverfall und Abriss preisgegeben werden.
Zusammen mit ihren Kollegen von der Kattowitzer Universität und anderen Gleichgesinnten fordert die Expertin für schlesische Architektur des 19. und 20. Jahrhundert einen sorgsameren Umgang mit dem modernen Erbe. Dabei kann sie auf Unterstützung der internationalen Fachwelt rechnen: Nach Bekanntwerden der Abrisspläne für den Hauptbahnhof etwa wurden in Windeseile mehrere Hundert Protestunterschriften aus verschiedenen Ländern gesammelt. In der lokalen Öffentlichkeit aber haben solche Initiativen einen schweren Stand. Von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Verwahrlosung geplagt, interessieren sich die heutigen Kattowitzer mehr für die Verlockungen der neuen Shopping Malls vor der Toren der Stadt als für die Pflege des urbanen Architekturerbes. Und sie haben wohl für nichts weniger Sinn als für den spröden Charme der Moderne.
[ Der Autor arbeitet als Kunsthistoriker am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und ist als Architekturkritiker tätig. ]db, Mo., 2008.07.07
07. Juli 2008 Arnold Bartetzky
Die Barcelona-Fraktion
(SUBTITLE) Freiraumplanung in der Hafencity
Ruppiges Hafenambiente contra mediterrane Verspieltheit: Mancher vermisst in der HafenCity einen Hauch ihrer industriellen Vergangenheit. Doch wurde bei der Gestaltung der Freiräume bewusst die zukünftige Funktion als Wohn- und Geschäftsquartier in den Vordergrund gestellt. Mit EMBT und BB GG prägen zwei katalanische Architekturbüros die ersten fertigen Freiräume in den westlichen Quartieren und rund um und den Magdeburger Hafen.
Auf dem Vorplatz des Kaispeichers B sind die ersten braunen und rötlichen Granitsteine in Streifen verlegt und mit Asphaltterrazzo zu einem Stadtplatz verbunden. Durch die Materialwahl der Designerin und Landschaftsarchitektin Beth Galí vom Büro BB GG wird die traditionsreiche Backsteinarchitektur des Kaispeichers, heute Ort des Internationalen Maritimen Museums Hamburg, in hervorragender Weise ergänzt. Es sind diese Feinheiten, die den öffentlichen Raum der HafenCity auszeichnen. Keine Hamburg-Folklore! Darum ging es den Verantwortlichen der Stadt. Keine Fortschreibung des Themas Klinker in Anlehnung an die nahe Speicherstadt, sondern eine Betonung des Images der Hansestadt als »Tor zur Welt« wurde erreicht. Die Einladung an Landschaftsarchitekten aus ganz Europa zu einem Wettbewerb für die Freiräume der westlichen HafenCity und eine Entscheidung zugunsten des Entwurfs der Landschafts- und Hochbauarchitekten EMBT aus Barcelona sind erster Ausdruck dieser Haltung.
Noch ist dieser neue Stadtraum erst an einigen Orten im Bereich des Sandtorkais und an den Kopfenden der beiden westlichen Hafenbecken, auf den Magellan- sowie den Marco-Polo-Terrassen zu erleben. Gerade angesichts der Magellan-Terrassen war die Skepsis anfangs groß. So gar nicht hanseatisch kühl und zurückhaltend inszenierte Benedetta Tagliabue von EMBT, Partnerin des 2000 verstorbenen Enric Miralles, die Freiflächen um den zukünftigen Museumshafen. Stattdessen mediterrane Farbstimmungen und eine expressive Verwendung der Materialien Beton und Klinker. Die Klinker in Mustern akzentuieren die Warftwände entlang der Uferpromenaden, eine Idee, mit der die Hamburger fremdeln. Dennoch wurden die Terrassen zum ersten Treffpunkt inmitten der HafenCity-Baustelle.
Die Marco-Polo-Terrassen, die, anders als die Magellan-Terrassen, für ruhige Entspannungsmomente konzipiert sind, laden mit Grasinseln und Holzdecks in einer schrägen Betonsteinfläche sowie mit Vegetationsakzenten aus Amberbäumen, Sumpfzypressen und Weiden zum schattigen Sitzen am Wasser ein. Auf den erfolgreichen Wettbewerbsentwurf gehen auch die Dalmannkaitreppen und die vor Kurzem mit Kirschen bepflanzte Dalmannkaipromenade zurück, die auf 400 Metern Länge bis zur Elbphilharmonie führt. Für die Promenade entwarf EMBT die Sitzmöbelfamilie »lungomares«, die Beton in individuellen und organischen Formen anbietet. Zum Liegen, mehr noch: zum sich liegend Drapieren. In Hamburg.
Spiel mit Ebbe und Flut
Zentrale Konzeptidee für die Freiraumentwürfe von EMBT ist das Wechselspiel von Ebbe und Flut. Die Terrassen inszenieren den Übergang von Wasser zu Land, indem sie auf eine klare Kaikante verzichten. Ein Teil der Flächen liegt unterhalb der hochwassersicheren Marke von 7,50 Metern und wird so bei hoch auflaufender Flut überschwemmt. Die 5600 m² große Pontonanlage für den Traditionsschiffhafen, die im September 2008 eröffnet wird, vermeidet rechte Winkel. Bald werden hier historische Schiffe liegen, die die überbordende Geste der expressiven Laternen auf den Magellan-Terrassen relativieren.
Es ist das allerorten erlebbare Wasser und es sind diese Plätze, die sich als Charaktermerkmale der HafenCity einprägen. Gefeiert wird ein Fest der Formen, nach der langjährigen Dominanz der schieren Funktionalität in diesem Hafenareal. Dazu trägt neben der eigenständigen Formensprache aber auch die differenzierte Materialverwendung bei. Beton wird mit großer Selbstverständlichkeit mit Naturstein kombiniert. Leider korrespondiert die Experimentierfreude der Landschaftsarchitekten nicht an jeder Stelle mit der Architektur, was allerdings kein Mangel der Landschaftsarchitektur ist. Die Freiräume prägen bisher das Bild stärker als die Bauten.
Es wird der Landschaftsarchitektur ganz offensichtlich zugetraut, den Charakter dieses neuen Stadtteils zu prägen. Dies ist eine für Landschaftsarchitekten ungewohnte Verantwortung. Entsprechend zurückhaltend blieben die meisten der Entwürfe beim zweiten internationalen Wettbewerb für die Freiräume der zentralen HafenCity rund um den Magdeburger Hafen im Jahr 2006. Schließlich setzten sich auch in diesem zweiten großen Freiraumwettbewerb mediterrane Einflüsse durch. Allerdings ist der prämierte Entwurf Beth Galís, der derzeit rund um den Magdeburger Hafen realisiert wird, zurückhaltender als die Assoziationsfülle von EMBT. Das katalanische Büro legt ebenfalls großen Wert auf die verwendeten Materialien, setzt diese aber nicht im Kontrast, sondern in Ergänzung zur unmittelbar benachbarten Speicherstadt ein.
Mediterrane Hafenatmosphäre
Das größtenteils eigens für die HafenCity entworfene Stadtmobiliar weist auf eine Bedeutung des Freiraums hin, wie wir sie bisher vor allem aus den Mittelmeerländern kannten. Was im Sonnenhamburg anzieht, muss aber auch im Regenhamburg überzeugen. Und hier ist die Detailschärfe der ausgebildeten Designerin Beth Galí ein Qualitätsmerkmal. Keine Schönwetterplanung, sondern detaillierte Stadtraumgestaltung durch eine überlegte Materialwahl und eine sehr sorgfältige bauliche Ausführung. Selbst die Deckel der Abwasserschächte wurden durch Beth Galí veredelt.
Nun geht es darum, die weiteren zu gestaltenden öffentlichen Räume nach diesem Vorbild fortzuschreiben oder aber starke Gegengewichte zu setzen. Für den Lohsepark wird voraussichtlich 2009 ein weiterer landschaftsarchitektonischer Wettbewerb folgen. Dort entsteht der eigentliche zentrale Stadtpark, der vielerlei Ansprüche erfüllen soll: Wohnen im Grünen, Sport und aktive Erholung, die Idee eines Chinagartens, aber auch das Gedenken an die einst von diesem Hafenplatz ausgegangenen Transporte vieler Hamburger Juden, Sinti und Roma in die Konzentrationslager.
Eine andere Herausforderung bietet der Kreuzfahrtkai: Im sogenannten »Nicht-Operationsfall« lässt sich hier auf der öffentlichen Promenade entlang der Elbe spazieren gehen. Wenn aber, was immer häufiger der Fall sein wird, ein Kreuzfahrtschiff anlegt, sind Sicherheitsanlagen zu aktivieren, die denen an Flughäfen in nichts nachstehen. Die Uferpromenaden, die östlich des Magdeburger Hafens entstehen, sollen die Innenstadt vorbei am Kaispeicher B und der späteren HafenCity Universität mit der Elbe verbinden. Nach 2012 werden sie sich auch im Bereich Baakenhafen fortsetzen – wo sie allerdings vorwiegend von Wohnbauten begleitet werden.
Zuvor werden der Grasbrookpark mit einem maritimen Spielplatz und am Strandkai die Bereiche entlang der Elbe gestaltet. Kleinere Plätze und Höfe entstehen für Spiel und wohnungsnahe Erholung. Um auf den privaten Flächen die Qualität zu erreichen, die den öffentlichen Promenaden und Plätzen eigen ist, bietet die HafenCity Hamburg GmbH privaten Entwicklern die Entwurfsplanung für die Freiflächen durch die Landschaftsarchitekten an, die auch für den öffentlichen Raum verantwortlich sind. So plant EMBT auch die Außenanlagen auf den privaten, öffentlich nutzbaren Flächen des Unilever-Gebäudes mit der charakteristischen Verbindung zur Elbe, und die Hamburger Landschaftsarchitekten WES setzen ihren souveränen Entwurf für die Promenade am Brooktorkai auf den Flächen fort, die von der Spiegel-Verlagsgruppe entwickelt werden.db, Mo., 2008.07.07
07. Juli 2008 Thies Schröder
verknüpfte Bauwerke
HafenCity Hamburg - Freiräume Magellan- und Marco-Polo-Terrassen
Gewollte Vielfalt
(SUBTITLE) Die Bebauung am Sandtorkai, Dalmannkai und Kaiserkai
Die HafenCity gewinnt allmählich Konturen. Wo sich vor ein paar Jahren noch Brachen, marode Lagerschuppen und einsturzgefährdete Kaimauern erstreckten, stehen heute exklusive Loftwohnungen und Bürohäuser. Die Projekte am Dalmannkai und am Kaiserkai stehen kurz vor dem Abschluss, der Sandtorkai ist längst bebaut. Und auch das Überseequartier, das zentrale Dienstleistungsviertel der Hafen-City, wächst bereits über seine Sockelgeschosse hinaus. Die Zeit ist reif für eine architektonische Zwischenbilanz, die allerdings eher durchmischt ausfällt.
Eine gewisse Ernüchterung macht sich mittlerweile breit, zumal wenn man das bisher Gebaute mit den vollmundigen Ankündigungen der Entwickler und Planer vergleicht. Vor allem die gewünschte Vielgestaltigkeit, die nur mühsam durch das Leitthema Klinker gebändigt wird, stößt auf deutliche Kritik. Die Gebäude stehen an breiten Hafenbecken und am offenen Elbstrom. Doch hier wurde paradoxerweise für den Maßstab der gründerzeitlichen Stadt geplant.
Positiv hervorzuheben ist dagegen zunächst einmal der hohe Stellenwert, den das Wohnen in der HafenCity genießt. 5500 Einheiten für 10.000 bis 12.000 Menschen sind geplant, von denen bis Ende Mai 2008 rund zehn Prozent bereits fertiggestellt wurden. Die citynahen Grundstücke haben allerdings auch ihren Preis, und die starke Nachfrage, von der wohl sogar etliche Investoren überrascht wurden, hat noch ein Übriges getan, um das neue Quartier für Normalverdiener nahezu unerschwinglich zu machen. Wer hier wohnen möchte, muss mindestens 3000 Euro pro Quadratmeter zahlen. Die Spitzenwerte liegen zurzeit bei rund 8000 Euro für einzelne Penthouses. Selbst die Baugenossenschaften, die ursprünglich mit ins Boot geholt wurden, um für eine stärkere soziale Durchmischung des Viertels zu sorgen, bieten ihre Wohnungen mittlerweile für 12 bis 13 Euro pro Quadratmeter an. Unwuchten gibt es jedoch nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Es zeigt sich auch deutlich, dass Haushalte mit Kindern in der HafenCity bisher die Ausnahme bilden.
Zu monieren ist auch das städtebauliche Konzept. Die uninspirierte »Klötzchenstruktur« des Masterplans wurde eins zu eins umgesetzt, ohne Rücksicht auf reizvolle Durchblicke und übergeordnete räumliche Zusammenhänge zu nehmen. Die neuen Straßen und Plätze öffnen sich eher ungezielt zu den Wasserflächen und zur gründerzeitlichen Speicherstadt, – eben dort, wo sich gerade zufällig eine Lücke zwischen den schematisch gereihten Baukörpern auftut. Besonders deutlich zeigt sich dies am Sandtorkai, wo ein Ensemble aus acht wuchtigen kubischen Gebäuden die neogotischen Speicherfassaden verstellt. Der ursprünglich versprochene durchlässige Charakter dieser Struktur vermittelt sich kaum. Bereits bei leichter Schrägansicht wirkt das Ensemble wie eine undurchdringliche Wand.
Immer an der Kante entlang: Flutschutz und öffentlicher Raum
Hier rächt sich die vorrangig wirtschaftlich begründete Entscheidung, die HafenCity nicht durch kostspielige Deiche, Schleusen und Sperrwerke vor Sturmfluten zu schützen, sondern das gesamte Gelände stattdessen auf mindestens 7,50 Metern über NN aufzuhöhen (zum Vergleich: die Speicherstadt liegt bei rund 5 bis 5,50 Metern über NN). Mit anderen Worten: Die HafenCity wird vollständig auf einem Plateau errichtet, das fast bis zur Höhe der ersten Obergeschosse der Lagerhäuser reicht. Das führt nicht nur zu problematischen Nahtstellen zwischen der Speicherstadt und der neuen Bebauung, sondern hat auch zur Konsequenz, dass entlang der historischen Kais, die ja auf dem ursprünglichen Niveau liegen, eine geschlossene Sockelzone entsteht, die sich aus naheliegenden Gründen nur sporadisch durch Cafés und Restaurants beleben lässt. Selbst an den attraktiven Wasserseiten wird das »Basement« der HafenCity deshalb vor allem als Tiefgarage genutzt.
Natürlich war dieser »Geburtsfehler« der HafenCity von Anfang an offensichtlich, und es ist daher wohl auch kaum Zufall, dass mit dem Freiraumkonzept von EMBT Architekten aus Barcelona ein besonders extravaganter Entwurf gewählt wurde, um diese Nachteile zu kaschieren. Rampen, Treppen und schiefwinklig übereinandergeschichtete Terrassen überspielen die Niveauunterschiede und lockern zugleich die starren Kaikanten spielerisch auf. Reliefartige Backsteinmuster, die Fische und Vogelschwärme assoziieren sollen oder auch einfach nur Rautenmuster bilden, dekorieren die Sockelmauern. Außerdem gibt es skurrile Leuchtgestänge, skulptural anmutende Betonelemente, Ballkörbe, Sandbahnen zum Boulespielen und am Dalmannkai sogar etwas Rasen. Das ist hübsch anzusehen und wird von den Anwohnern und Spaziergängern auch gerne genutzt. Aber man fragt sich auch unweigerlich, was diese bizarre Szenerie eigentlich mit dem Genius loci der Hafenlandschaft zu tun haben soll?
Winkel, Punkt und Linie: Das städtebauliche Konzept
Mittlerweile sind die Projekte am Dalmannkai nahezu abgeschlossen und lassen sich objektiv beurteilen, während am Kaiserkai noch einige Rohbauten stehen. Eine Erschließungsstraße teilt die Kaizunge in Längsrichtung im Verhältnis eins zu zwei, wodurch am Kaiserkai für die Gebäude kaum mehr als ein schmaler Uferstreifen zwischen zwei öffentlichen Räumen – der Straße und der Kaipromenade – übrig blieb. Nachteilig macht sich hier auch bemerkbar, dass die ruhigere Seite am Sandtorhafen und somit nach Norden liegt. Ein modisches, ovales Glashochhaus von Ingenhoven Architekten durchbricht die lineare Baustruktur. Die beiden Kaienden wurden für Bürohäuser reserviert, von denen das östliche – ein erstaunlich banaler Backsteinbau mit Brüstungsbändern – von David Chipperfield Architects stammt. Überhaupt sind die östlichen Abschnitte bis zum Vasco-da-Gama-Platz auf beiden Seiten der Kaizunge eher enttäuschend geraten und werden hier daher auch nicht weiter thematisiert.
Weitaus gelungener mutet demgegenüber das städtebauliche Konzept für den Dalmannkai an, an dem die Gebäude zu U-förmigen Komplexen zusammengefasst wurden, die sich nach Süden öffnen und private Binnenräume abschirmen. Allerdings wurde dort auf eine vollständig geschlossene Blockrandbebauung zugunsten winkelförmiger Strukturen in Kombination mit Punkthäusern verzichtet, wodurch man ungehindert in die Gartenhöfe und vor allem direkt auf die Terrassen blicken kann. Dabei werden die Wohnungen in den beiden unteren Geschossen ohnehin schon dadurch beeinträchtigt, dass sie sich mit raumhohen Fenstern unmittelbar zur Straße öffnen. Das liegt daran, dass hier ursprünglich vor allem Dienstleistungen – Einzelhandel, Gastronomie, Büros – vorgesehen waren, was aber bei den meisten Investoren kaum auf Interesse stieß, so dass diese Flächen in Maisonetten umgeplant wurden. Hier wohnt man jetzt wie in einem Schaufenster.
Bunt wie eine Wundertüte: Die Wettbewerbsergebnisse
Auffällig ist der heterogene Charakter der Entwürfe, die am Dalmannkai und am Kaiserkai realisiert wurden, ein Eindruck der durch die unterschiedliche Materialfarbigkeit noch verstärkt wird. Der betont monolithische Entwurf von APB.
Architekten antwortet mit Erkern und Lochfassaden auf die benachbarte Speicherstadt und ist außerdem mit orangebraunen, gelben und anthrazitfarbenen Klinkern verkleidet, um die Dreiteilung in zwei individuell geschnittene Eckhäuser und ein Mittelhaus zu unterstreichen. Das Gemeinschaftsprojekt von KBNK Architekten, LRW Architekten und Professor Carsten Lorenzen, das ebenfalls auf die gesamte Palette der traditionellen Ziegelfarben zurückgreift, orientiert sich dagegen an der Vorkriegsmoderne und am gediegenen skandinavischen Bauen (mit einigen charmanten Rückgriffen auf die Nierentisch-Ära). Eine dritte Variante schließlich bestand darin, zumindest einzelne exponierte Bauteile mit Backstein zu verblenden, um die Gebäude gestalterisch ihrer Nachbarschaft anzupassen. Sehr vielversprechend wirken in dieser Hinsicht die Gebäude von Wacker Zeiger Architekten und Bieling Architekten auf dem westlichsten Baufeld, die sich zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses aber noch im Bau befanden. Es gibt aber auch Bauten, die ausschließlich mit Putz oder Naturstein verkleidet sind.
Diese bisweilen verwirrende Vielfalt war jedoch intendiert und wurde sogar vertraglich fixiert. Leitbild war eine möglichst »kleinkörnige« Bebauung für möglichst heterogene Bewohnergruppen (was sich allerdings schnell durch die hohen Preise relativiert hat). Um die Umsetzung dieser Zielvorstellungen zu gewährleisten, wurden die Baufelder am Dalmannkai jeweils an mehrere Investoren vergeben – was angesichts der gemeinsamen Tiefgaragensockel eher widersinnig war – und außerdem getrennte Wettbewerbe für den winkelförmigen Baukörper und für das Punkthaus ausgeschrieben. Paradoxerweise, denn der Winkel wurde anschließend nicht etwa komplett nach dem erstplatzierten Entwurf realisiert, sondern seinerseits wiederum auf mehrere Büros aufgeteilt. Das Ergebnis war eine Art Wolpertinger-Architektur: ein amputierter Siegerentwurf, ergänzt um einen, manchmal sogar um zwei Entwürfe aus der Hand der anderen beiden Preisträger, die ebenso willkürlich zurechtgestutzt wurden, um sie in die verbliebenen Flächen einzupassen.
Man muss sich diese Bedingungen in Erinnerung rufen, um das Sammelsurium zu verstehen, das trotz der vielen herausragenden Einzelentwürfe letztlich entstanden ist. Wenn schon nicht ein insgesamt homogenerer Charakter der Bebauung erwünscht war, so hätte es sich doch zumindest angeboten, jedes Baufeld am Dalmannkai zu einem zwar individuellen, aber in sich stimmigen Ensemble zu formen. Doch offenbar beschränkte sich die Kooperation und Koordination der Architekten im Wesentlichen auf den Vergleich von Mustertafeln für die Fassadenverkleidungen. Und auch der Oberbaudirektor sah sich anscheinend nicht gefordert, den Wildwuchs zu beschneiden. »Junge Wilde« wie LOVE aus Graz wurden vielmehr sogar noch ausdrücklich ermuntert, zu diesem Mix auch noch einen kräftigen Schuss jugendlicher Unbekümmertheit beizusteuern. Das Resultat ist ein Gebäude in der Round-Line-Optik der Pop-Ära, d. h. mit gerundeten Kanten wie bei den damals angesagten Plastikweckern.
Luxus mit Macken: Letztlich hat der Bauträger das Sagen
Um Missverständnissen vorzubeugen: Das richtet sich nicht gegen die Beteiligung von Büros, die noch nicht arriviert sind. Es genügt allerdings auch nicht, jüngere Architekten zu Wettbewerben einzuladen, sie mit ersten Preisen auszuzeichnen und diese Prozesse dann nicht weiter zu steuern. SML Architekten sind mit ihrem virtuosen Projekt offensichtlich an den Vorstellungen des Investors gescheitert. Waren im Wettbewerbsentwurf noch ineinanderverschachtelte Maisonetten mit offenen Grundrissen vorgesehen, so wurden schließlich konventionelle Einheiten mit relativ kleinen Zimmern realisiert – bei Mieten von bis zu 18 Euro pro Quadratmeter und unverbaubarem Elbblick! Und auch die äußere Gestaltung hat sich von der ursprünglichen Idee einer komplex geschichteten Fassade aus edel anmutenden Materialien weit entfernt und wirkt mit den vor die Balkone gehängten Schiebenelementen aus kupferfarbenem Blech nur noch wie grobe Schlosserarbeit. Das Gespür der Architekten für Detailqualität kann man jetzt leider nur noch im Treppenhaus erleben.
Von einem weiteren Newcomer, nämlich spine architects, stammt das exklusive »La Taille Vent«: ein kompakter Solitär, der durch seine Hard-Edge-Architektur im Stil der siebziger Jahre mit braunen Fensterbändern und einer kantigen Kalksteinverkleidung auffällt. Überraschend konventionell, obgleich sehr kultiviert, präsentieren sich hier die Grundrisse: Großzügige und gleichwertige Räume, die sich an langen Korridoren reihen (was an die in Hamburg so beliebten bürgerlichen Wohnungen aus der Kaiserzeit erinnert und räumliche Qualitäten ins Spiel bringt, die in der HafenCity nicht selbstverständlich sind). Der eigentliche Clou ist jedoch die Einschnürung des Baukörpers – die Taille –, die den Vorteil bietet, dass man auch von den rückwärtigen Balkons aus das Hafenpanorama genießen kann. Außerdem war es durch diesen Einschnitt problemlos möglich, die unteren Geschosse in jeweils vier, die oberen dagegen in jeweils zwei Wohnungen aufzuteilen.
Höchsten Ansprüchen sollten auch die yoo-Wohnungen von SEHW Architekten und Léon Wohlhage Wernik Architekten genügen. Die Käufer konnten hier zwischen unterschiedlichen Ausstattungslinien wählen – von »classic« bis »minimal« -, die von dem Stardesigner Philippe Starck vorgegeben wurden (im Kaufpreis inbegriffen war allerdings nur die Grundausstattung, u. a. die bekannten Sanitärelemente). Bis zu 8000 Euro pro Quadratmeter haben die 63 Luxuseinheiten gekostet. Sparsamkeit waltete allerdings bei der Ausführung. Während sich Léon Wohlhage Wernik Architekten glücklich schätzen können, dass ihr Entwurf, ein unprätentiöser kubischer Backsteinbau mit geschlämmten Fassaden, kenntlich geblieben ist, wurden die Details im Abschnitt von SEHW Architekten erbarmungslos »heruntergerechnet« und vergröbert: Kunststoffplatten in Holzoptik statt Echtholz an den Sockelgeschossen, mausgrauer Eternit statt geschliffener sandsteinfarbener Faserbeton an den Seitenwänden der Loggien, gerahmte Glasscheiben statt Ganzglas als Geländer ...
Es ist immer das gleiche Lied. Der Architekt darf bei der Ausführungsplanung bestenfalls noch die Leitdetails festlegen und muss sich ansonsten dem unerbittlichen Willen der Generalübernehmer und der Vertreter anonymer Investoren beugen, die kaum einen Bezug zum Ort haben. Dass es auch anders geht, belegen die Entwürfe von KBNK Architekten, LRW Architekten und Professor Carsten Lorenzen für mehrere traditionelle Hamburger Baugenossenschaften, die sich der Verantwortung, in diesem anspruchsvollen Umfeld zu bauen, bewusst gestellt haben. Das erleichterte vieles. Die Architekten konnten eine Arbeitsgemeinschaft für das Baufeld bilden und wurden mit sämtlichen Leistungsstufen bis zur Ausführungsplanung beauftragt, wobei letztere in der Hand von KBNK Architekten lag. Das Ergebnis ist ein harmonisches Ensemble von zeitlos schönen Klinkerarchitekturen, akzentuiert durch eine Werksteinfassade, die jeweils durch eine geradezu baumeisterlich anmutende Detailqualität und nicht zuletzt auch durch ihren hohen Wohnwert hervorstechen. Man sieht es: Hier wurde nicht für Lifestyle-Konzepte, sondern für Menschen gebaut.db, Mo., 2008.07.07
07. Juli 2008 Ralf Lange
verknüpfte Bauwerke
Bebauung am Sandtorkai, Dalmannkai und Kaiserkai