Editorial

Mit dem Revival des öffentlichen Verkehrs seit den 1980er-Jahren ist die Bedeutung der Umsteigepunkte im Stadtgefüge gewachsen. Sie haben mehr Funktionen übernommen, dienen nicht nur dem Ein-, Aus- und Umsteigen, sondern sind auch Treffpunkte, Einkaufsorte, Arbeitsorte. Erstaunlicherweise ist über die Faktoren, die Bahnhöfe und Haltestellen für Benutzerinnen und Benutzer attraktiv machen, wenig bekannt. Bisher fehlten Methoden, die die Kombination von Verkehrsmittelverknüpfungen und anderen Aktivitäten integral und aus Benutzersicht bewerten. Das Forschungsprojekt «Ausgestaltung von multimodalen Umsteigepunkten» der Vereinigung Schweizerischer Verkehrsingenieure (SVI) hat sich dieser Thematik angenommen – mit teilweise überraschenden Resultaten: Fachpersonen konzentrierten sich bisher auf das reibungslose Zusammenspiel der Verkehrsfunktionen. Doch eine Umfrage zeigt: Den Fahrgästen sind angenehme Bedingungen zum Warten, Sein, Verweilen wichtiger. Han van de Wetering, selber an der Studie beteiligt, erläutert deren Resultate und präsentiert ein Modell, das helfen soll, bei der Planung von Verkehrsknoten die Bedürnisse der Reisenden aufzunehmen.

Wie ein Bahnhof gestaltet sein musste, damit er für alle funktionierte, das wusste einer ganz genau: Max Vogt, 1957 bis 1989 Architekt der SBB-Kreisdirektion III, Erbauer des Zentralstellwerks im Hauptbahnhof Zürich, der Bahnhöfe Zürich Altstetten, Killwangen- Spreitenbach und ähnlicher Betonbrocken in der ganzen Nordostschweiz. Die kompromisslose Materialisierung und die skulpturale Qualität seiner Bauten springen ins Auge, doch ebenso viel Qualität steckt in der Organisation und Proportionierung der Räume und in der Weg- und Lichtführung im Innern. Die wichtigsten Bauten Vogts sind hervorragende Zeugen der «Nachkriegsmoderne», einer unbeschwerten, ungebrochen fortschrittsgläubigen Baukultur während der Hochkonjunktur zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Ölkrise. In jener Zeit gab es noch kaum Diskussionen um Baukosten und umweltfreundliches Bauen, und ein Bahnhof war noch ein Bahnhof – nicht auch noch ein Shoppingcenter und ein Businesspark und, und, und… Vogts Bauten zeugen von einer vergangenen Kultur fragloser Selbstsicherheit. Sie prägten das Corporate Design der SBB, die wichtigsten sind Denkmäler der Schweizer Baukultur des 20. Jahrhunderts. Doch das Grosssystem Bahn entwickelt sich dynamisch; das umfangreiche, zu einem grossen Teil gar nicht bekannte Werk von Max Vogt ist in Gefahr.

Ruedi Weidmann

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Bundesstrafgericht in Bellinzona

10 MAGAZIN
Herausgabepflicht für Pläne | Raum – Kunst – Bau: Ausstellung im Schaulager

14 UMSTEIGEPUNKTE
Han van de Wetering
Wie muss ein Umsteigepunkt gestaltet sein, damit man sich wohlfühlt? Über die Bedürfnisse der Reisenden ist wenig bekannt. Ein Modell soll helfen, ihre Wünsche in die Planung einzubeziehen.

20 MAX VOGT, SBB-ARCHITEKT
Ruedi Weidmann
Max Vogt prägte als SBBArchitekt 1957–1989 die Bahnarchitektur in der Nordostschweiz und das Corporate Design der SBB. Seine skulpturalen Sichtbetonbauten sind Denkmäler der Schweizer Baukultur.

29 SIA
Teambildung bei Projektwettbewerben | Contractworld Award

33 PRODUKTE

37 IMPRESSUM

38 VERANSTALTUNGEN

Umsteigepunkte

Bei Bahnhöfen oder Haltestellen zählt der erste Eindruck. Fühlen sich Benutzerinnen und Benutzer unwohl oder unsicher, werden sie diesen Umsteigepunkt künftig meiden. Doch wie müssen Umsteigepunkte gestaltet werden, um dies zu verhindern?

Bisher war wenig über die Bedürfnisse der Reisenden und der Pendler bekannt. Im Rahmen einer Forschungsarbeit der Vereinigung Schweizerischer Verkehrsingenieure (SVI) entstand ein aus vier Bauteilen bestehendes, räumliches Modell, um die Benutzerwünsche in die Planung von Umsteigepunkten einzubeziehen.

Die Anforderungen an Umsteigepunkte im öffentlichen Verkehr sind vielfältig. Sie dienen dem Einsteigen, Aussteigen und Umsteigen. Gleichzeitig sind sie Orte komplexer betrieblicher Abläufe. Umsteigepunkte haben eine wichtige Funktion in einer Stadt: als Treffpunkt, Einkaufsort und Orientierungspunkt. Für den Handel sind sie aufgrund ihrer stark frequentierten Lage interessant. Dennoch war über die Faktoren, die einen Umsteigepunkt attraktiv machen, bislang wenig bekannt; insbesondere fehlte eine integrale Bewertung der Qualität von Umsteigepunkten aus Benutzersicht, die alle möglichen Kombinationen von Verkehrsmittelverknüpfungen und Aktivitäten einbezieht. Auch die Frage, wie Benutzerbedürfnisse in die Neuentwicklung von Umsteigepunkten integriert werden können, ist noch weitgehend unbeantwortet. Diese Themen standen im Zentrum des Forschungsprojektes «Ausgestaltung von multimodalen Umsteigepunkten»1 der SVI.

Multimodaler Umsteigepunkt

Multimodale Umsteigepunkte sind Orte, an denen verschiedene Verkehrsträger miteinander verknüpft werden. In der genannten Forschungsarbeit wurde der Begriff noch spezifiziert als Bahnhaltepunkte, die mit mindestens einem anderen öffentlichen Verkehrsmittel verknüpft sind, oder als Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs mit mindestens vier verknüpften Tram- oder Buslinien. Multimodale Umsteigepunkte beinhalten die Publikumsanlagen der öffentlichen wie auch der privaten Verkehrsmittel, die Verbindungen zwischen ihnen, die Zugänge zum Umsteigepunkt für die einzelnen Verkehrsmittel sowie Teile des umliegenden Bahnhofsquartiers. Da Umsteigepunkte in ihrer Funktion und Grösse sehr unterschiedlich sind, wurden vier Typen unterschieden: Umsteigepunkte nationaler, regionaler und lokaler Bedeutung sowie solche des städtischen öffentlichen Verkehrs.

Kundenzufriedenheitsforschung

Um die Sicht der Benutzenden zu verstehen, wurden an 14 Umsteigepunkten in der ganzen Schweiz umfangreiche Umfragen durchgeführt und über 3200 Fragebogen ausgewertet. Methodischer Hintergrund war die Kundenzufriedenheitsforschung. Die Bedeutung eines Merkmals für die Gesamtbeurteilung des Umsteigepunkts wurde nicht direkt über die Befragung von Wichtigkeiten erhoben, sondern indirekt über eine Qualitätseinschätzung der einzelnen Elemente (vgl. Kasten «Fiktiver Dialog»). Diese Qualitätseinschätzungen wurden durch statistische Analysen in einen Zusammenhang mit der Gesamtqualität des Umsteigepunkts gebracht. Der Hierarchiebaum (Bild 1) zeigt die wichtigsten Zusammenhänge. Als zweites Ergebnis der Auswertung zeigt die Existenzanalyse, inwieweit es einen Zusammenhang zwischen dem Fehlen eines Elements und der Beurteilung der Qualität des Umsteigepunktes gibt.

Den Umsteigepunkt als Ganzes wahrnehmen

Eine wichtige Erkenntnis ist, dass Benutzende den Umsteigepunkt als Ganzes wahrnehmen. Im Vergleich mit Fachpersonen differenzieren sie deutlich weniger. Die Beurteilung eines Umsteigepunkts lässt sich demnach nicht wesentlich über einzelne Elemente wie ein schönes Wartehäuschen oder einen benutzerfreundlichen Billettautomaten beeinflussen. Weiter fällt auf, dass sich die Hierarchiebäume der verschiedenen Benutzergruppen nur geringfügig unterscheiden. Behinderte oder Autofahrer beurteilen den Umsteigepunkt nicht wesentlich anders oder vermissen keine anderen Einrichtungen als der Durchschnitt der Benutzenden. Der Fokus bei der Entwicklung oder Umgestaltung soll sich darum auf die integrale Optimierung eines Umsteigepunkts richten. Eine konzeptuelle Gesamtbetrachtung, insbesondere bei grösseren Umsteigepunkten, ist unerlässlich.

Qualitätsmerkmale

Deutlich ist, dass bei allen Umsteigepunkttypen die Qualitätsmerkmale Ambiance, Gestaltung und Beleuchtung die wichtigste Rolle spielen. Diese Elemente sollen eine Balance zwischen Übersichtlichkeit und Klarheit und einem guten Aufenthaltswert schaffen. Die Qualität des Umsteigens selber – der eigentliche Hauptzweck eines Umsteigepunkts – ist zwar ebenfalls wichtig, rangiert in der Wichtigkeitshierarchie aber erst an zweiter Stelle. Ein zentraler Faktor hierbei sind die Wege. Sie sollten direkt, hindernisfrei und kurz sein. Zudem sind möglichst viele, gut auffindbare Zugänge zum Umsteigepunkt und Wegweiser zur Orientierung erwünscht. Weiter gehören gemäss den Befragungen bediente Schalter, Personal, Trinkwasserbrunnen und Einkaufsmöglichkeiten zu jedem Umsteigepunkt. Das als gut empfundene Sicherheitsniveau soll beibehalten werden.

Gewisse Erkenntnisse aus der Studie beziehen sich jeweils auf einen bestimmten Umsteigepunkttyp. So hat sich herausgestellt, dass bei grossen Umsteigepunkten, wie zum Beispiel dem Hauptbahnhof Zürich, Einkaufsmöglichkeiten zwar erwünscht, aber eher zu zahlreich sind und so die Transferfunktion beeinträchtigen. Eine andere Anordnung und Organisation von Umsteigepunkt und Einkaufszentrum wäre hier empfehlenswert.

Bei Umsteigepunkten von regionaler Bedeutung, wie zum Beispiel den Bahnhöfen Zug oder Montreux, ist die Aufmerksamkeit auf die Verbesserung von Aufenthaltsmerkmalen zu richten. Vor allem Einrichtungen, die das Warten auf die nächste Verbindung angenehmer machen, sind von Bedeutung, etwa die Verlängerung von Perrondächern, Wartehäuschen mit Sitzgelegenheiten auf den Perrons, Wetterschutz bei umliegenden Haltestellen und ein gutes Angebot an Einkaufsmöglichkeiten. Daneben sind bediente Schalter mit kompetentem Personal wichtig.

Die Umsteigepunkte von lokaler Bedeutung (S-Bahn-Stationen, ländliche Umsteigepunkte) sind kleiner und übersichtlicher, deshalb kann mit einer gezielten Verbesserung einzelner Merkmale bereits eine merkbare Wirkung erreicht werden. Auch hier ist der Fokus auf die Verbesserung von Aufenthaltsfaktoren zu richten. Einsparungen beim Personal führen aus Sicht der Benutzenden zu einem starken Qualitätsverlust.

Die städtischen Umsteigepunkte sollen in erster Linie als Verkehrsdrehscheiben konzipiert werden. Wichtig ist jedoch auch hier eine angenehme Atmosphäre beim Warten. Die Einführung von bedienten Schaltern würde in den Augen der Benutzenden am meisten zur Verbesserung der Qualität beitragen. Um einen guten ersten Eindruck zu erwecken und um die Orientierung und Auffindbarkeit in der Stadt zu unterstützen, müsste der Gestaltung der städtischen Bus- und Tramknoten mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Benutzerwünsche in Bauteilen umsetzen

Benutzerwünsche werden häufig nur als Checklisten oder als ganz allgemeine Empfehlungen behandelt und sind für die Bahnhofsplanung kaum verwendbar. Um ein Instrument zur Umsetzung der Erkenntnisse zu erstellen, wurde in der Forschungsarbeit ein System von Bauteilen entwickelt. Sie ergeben zusammen den Prototyp eines Umsteigepunkts. Im Schlusskapitel des Forschungsberichts wird dieser Prototyp detailliert erläutert.

Die einzelnen Teile entsprechen je einer Gruppe von Benutzerwünschen und stellen mögliche bauliche Zusammenhänge oder Trennungen dar. Die Bauteile sind flexibel konzipiert, damit sie in jeder spezifischen Situation möglichst einfach angewendet werden können. Die Arbeit mit den einzelnen Bauteilen soll helfen, die komplexe Benutzersicht in konkrete Verbesserungen umzusetzenDen ersten Teil eines Umsteigepunkts bildet der Transferbereich, die sogenannte «schnelle Zone». Wichtig für die Benutzenden sind kurze und direkte Wege. Die verschiedenen Verkehrsmittel werden deshalb möglichst nah zueinander angeordnet. Weil die Verkehrsmittel in der Realität aber oft weiter auseinander liegen, zum Beispiel wegen der Grösse der Umsteigepunkte, wird für eine direkte und logische Fussgängerführung gesorgt. Unterbrüche durch Geschosswechsel (Unter- oder Überführungen) und Umwege werden möglichst vermieden. Teil der «schnellen Zone», und damit direkt mit dem Haupttransferweg verknüpft, sind die Reiseservices wie Billettverkauf und Informationen und reiseorientierte Einkaufsmöglichkeiten.

Der «Bahnhofplatz» ist das zweite Bauteil. Zum Bahnhofplatz gehören der öffentliche Raum in der Umgebung sowie die Zugänge und Zugangswege zum Umsteigepunkt. Dieses Bauteil wird bei Planungen oft vernachlässigt. Für die Benutzenden (insbesondere für den Fussverkehr) ist die verkehrliche und räumliche Vernetzung des Umsteigepunkts mit seiner Umgebung wichtig. Darum gibt es nicht nur einen Haupt-, sondern auch mehrere Nebenzugänge. Logische, direkte Fussgängerführungen, Wegweiser und visuelle Bezüge zu diesen Zugängen dienen der Orientierung. Durch ihre architektonische Gestaltung sind die Zugänge und Verkehrsmittel schon aus der Ferne zu erkennen. Im und um den Umsteigepunkt sind grosszügige Fussgängerflächen angelegt. Stark befahrene Strassen werden aus der direkten Umgebung verlegt, oder ihre Barrierewirkung wird reduziert.

Mit der «langsamen Zone» hat man sich bei der integralen Planung von Umsteigepunkten bis jetzt nur wenig befasst. Sie spielt für die Benutzenden aber eine zentrale Rolle: In dieser Zone überbrückt man Wartezeiten, hier trifft man sich, hält sich auf und findet eventuell nicht reiseorientierte Einkaufsmöglichkeiten, das sogenannte «Funshopping». Sie befindet sich etwas abseits des Haupttransferweges und stört darum das schnelle Umsteigen nicht, ist aber doch direkt sichtbar und erreichbar. Sie liegt zum Teil in der direkten Umgebung des Umsteigepunkts, zum Beispiel in angrenzenden Gebäuden. Damit der Umsteigepunkt auch am Abend frequentiert wird und sicherer wirkt, befinden sich in unmittelbarer Nähe Wohnungen und abends belebte Funktionen.

Beim letzten, für die Benutzenden wichtigsten Bauteil handelt es sich um «Komfort und Ambiance», die Gestaltung, die Beleuchtung, die Materialisierung und die Möblierung. Die grosse Herausforderung besteht darin, mit der Gestaltung sowohl Übersichtlichkeit und Klarheit als auch «Wohnlichkeit» zu vermitteln. So kann eine für die Benutzenden gute Ambiance geschaffen werden. Dazu wird der Umsteigepunkt gut unterhalten und sauber gehalten, die Anwesenheit von Personal sorgt für ein gutes Sicherheitsgefühl. Die Umsetzungsideen verursachen nicht unbedingt Mehrkosten, und es werden keine Elemente vorgeschlagen, die nicht bereits existieren. In erster Linie geht es darum, ein bewusstes Vorgehen bei der Planung, beim Bau und bei der Umgestaltung von Umsteigepunkten zu fördern.

Die Studie (Forschungsnummer FB 1197) kann beim VSS (info@vss.ch) bestellt werden.

[Han van de Wetering, Dipl. Ing. TU Städtebau / SIA, Van de Wetering Atelier für Städtebau, Zürich]

TEC21, Di., 2008.05.13

13. Mai 2008 Han van de Wetering

Max Vogt, SBB-Architekt

Wer in der Ostschweiz Zug fährt, kennt seine skulpturalen Bauten aus rohem Beton: das Zentralstellwerk Zürich, die Bahnhöfe im Limmattal, an den Zürichseeufern und bis hinauf nach Landquart und an den Bodensee.

Max Vogt prägte von 1957 bis 1989 als SBB-Architekt die Bahnarchitektur im damaligen SBB-Kreis III und das Corporate Design der SBB. Wie viele Bauten er realisiert hat, weiss niemand. Die wichtigsten davon sind hervorragende Zeugen der «Nachkriegsmoderne» und Denkmäler der Schweizer Baukultur im 20. Jahrhundert. Doch sie sind in Gefahr – weil die Bahn in Bewegung ist. Max Vogt wirkte von 1957 bis 1989 in der Sektion Hochbau der SBB-Kreisdirektion III in Zürich als leitender Architekt, ab 1974 als Sektionschef. Zuvor hatte er 1945–49 an der ETH Zürich bei Friedrich Hess, William Dunkel und Hans Hofmann studiert und danach bei Robert Winkler in Zürich und bei Walter Belart und Hermann Frey in Olten gearbeitet. 1957 meldete er sich auf ein Stelleninserat der SBB.

Mit rund zwanzig Angestellten funktionierte die Sektion Hochbau wie ein Architekturbüro. Sie realisierte rund vierzig Projekte pro Jahr. Als Vogt seine Arbeit aufnahm, hatten die SBB seit Jahren keine architektonisch richtungsweisenden Bauten mehr erstellt. Die Architektur orientierte sich an Konventionen, die schon lange nicht mehr reflektiert worden waren. Seit Mitte der 1920er-Jahre hatten die SBB kaum gebaut, ja nicht einmal die zur Substanzerhaltung ihrer Anlagen nötigen Investitionen getätigt. Das Geld floss vor allem in die Elektrifizierung. Nach dem Krieg bestand deshalb grosser Erneuerungsbedarf; gleichzeitig verdoppelte sich von 1945 bis 1965 der Bahnverkehr. Doch erst zwischen 1955 und 1965 verdreifachten die SBB die Investitionen, nachdem der Bundesrat die gesetzliche Investitionsbeschränkung gelockert hatte. Nun wurden Knotenpunkte erweitert, neue Grenzrangierbahnhöfe erstellt, zahlreiche Strecken auf durchgehende Doppelspur ausgebaut und die Bahnhöfe entsprechend angepasst; neue Stellwerke erhöhten Kapazität und Sicherheit. Die Bauprojekte der Sektion Hochbau waren meist Teil dieser grösseren Programme; Max Vogt übernahm als leitender Architekt sämtliche Neubauten.

Spielräume und Systemzwänge

Bahnbauten waren gewissermassen «exterritorial»: Soweit sie dem Betrieb und der Sicherheit des Bahnverkehrs dienten, galten kommunale Zonenpläne und Bauvorschriften auf Bahnarealen nicht. Nur Bauten oder Bauteile, die nicht Betrieb und Sicherheit dienten, etwa Wohnungen, blieben den Baugesetzen unterworfen und benötigten eine Baubewilligung der Gemeinde. Diese Freiheit des SBB-Architekten wurde allerdings durch technische und bürokratische Zwänge des Grosssystems Bahn eingeschränkt. Die SBB machten zwar keine Stilvorgaben, doch aus Sicherheitsgründen war das Bauen am Gleis reglementiert. Das betraf etwa äussere Abstände, aber auch Innenräume: Die Angestellten eines Bahnhofs verfügten über festgelegte Instrumente, die an vorgeschriebenen Plätzen standen. Sogar die Schubladeneinteilung der Pulte und Schalterkorpusse war normiert, damit «Ambulante» (Ablöser) oder im Notfall einspringende Beamte sich sofort zurechtfanden und die Arbeit aufnehmen konnten. Im Prinzip galt eine gewisse Normierung auch für die Wohnungen. Das Karrieremodell der SBB sah vor, dass die Beamten oft versetzt wurden. Weil ihr Hausrat in jede Dienstwohnung passen musste, durften diese keine ungewöhnlichen Grundrisse aufweisen.

Max Vogts Vorstellung von Architektur gab während seiner gesamten Zeit beiden SBB Anlass zu Konflikten. In seiner Auffassung bildeten Gebäude, Vorplatz, Unterführung, Perronaufbauten, Perrondächer und Beleuchtung eine gestalterische Einheit. Doch eine solche Gestaltung stand quer zur Verwaltungsstruktur der SBB. Die Bauabteilung des SBB Kreises III umfasste neben Vogts Sektion Hochbau sechs weitere Sektionen. Für Planung und Bau der Perrondächer war die Sektion Brückenbau zuständig, für Unterführungen die Sektion Tiefbau, für die Beleuchtung der Gebäude die Sektion Niederspannung und Fernmeldewesen. Die Sektion Fahrleitung platzierte die Fahrleitungsjoche. Die Gestaltung der Aussenräume geschah in Zusammenarbeit mit dem Sachbearbeiter für Strassenverkehrsfragen in der Betriebsabteilung. Die unterschiedlichen Prioritäten der Sektionen waren schwer unter einen Hut zu bringen. Die Kompetenzbereiche waren klar definiert. Eine übergeordnete Rolle des Architekten war nicht vorgesehen. Mit seinen Gesamtentwürfen frass Vogt auf allen Seiten über den Zaun. Das löste Widerstand aus, Vogt galt als Enfant terrible der Bauabteilung. Doch sein Vorgesetzter, Sektionschef Max Fehr, half ihm, seine Bauten zu realisieren. Ohne diese Unterstützung wäre Vogts Schaffen beiden SBB wohl nie fruchtbar geworden. Aber auch von Vogt selbst war viel Überzeugungsarbeit gefragt und manchmal eine gute Portion Sturheit.

Vogt nahm unterschiedlich stark Einfluss auf die Projekte; nicht alle interessierten ihn gleichermassen. Er verteilte die Aufgaben unten den Angestellten, je nachdem, was er ihnen zutraute. Bei weit entfernten Stationen betraute er oft lokale Privatarchitekten mit der Ausführung und machte nur das Vorprojekt selber. Wegen dieser Entwurfspraxis ist Vogts Handschrift an den Bauten der Sektion Hochbau unterschiedlich deutlich, und sein Werk wird deshalb wohl nie eindeutig eingegrenzt werden können. Immerhin ist seine Autorschaft in zahlreichen Fällen belegt. In seinem vor allem in den 1960er- und 70er-Jahren entstandenen Werk finden sich Aufnahme- und Nebengebäude, Güterschuppen und Wohnungen, Stellwerke, Lokremisen, Unterwerke und viele Kleinbauten – die meisten aus Beton, aber auch Hallen aus Stahl und Landbahnhöfe aus Backstein und Holz.

Ölkrise, Denkmalschutz und die Neuerfindung der Bahn

1974 wurde Vogt zum Sektionschef befördert. Danach fand er nur noch selten Zeit zum Entwerfen und musste das Ausführen anderen überlassen; er beschränkte sich auf Vorprojekte und Bauten, die ihm besonders wichtig waren. Gleichzeitig veränderten gesellschaftliche Umbrüche die Rahmenbedingungen für die Sektion Hochbau. Ölkrise und Rezession knickten die Wachstumseuphorie der Hochkonjunktur; auch die Einnahmen der SBB sanken. Das plötzliche Bewusstsein von der Endlichkeit der Ressourcen, der Zerstörung der Natur und der Unwirtlichkeit der Städte zerbrach Gewissheiten, löste politische Unsicherheit und Identitätskrisen aus, verschob Wahrnehmungen, Weltbilder und Werte.

Für die Bahn wurde die Krise zur Chance; sie erfand sich quasi neu. In Zürich entstand das erste S-Bahn-Netz der Schweiz. Max Vogt musste vor allem koordinierende Aufgaben in grossen Projekten übernehmen: Unter seiner Leitung wurde 1976–1980 in Zürich das Aufnahmegebäude von Jakob Friedrich Wanner von 1871 restauriert. Die Bahnhöfe wurden komplexer. Der Flughafen Kloten wurde unterirdisch ans Bahnnetz angeschlossen, im Hauptbahnhof Zürich musste der unterirdische S-Bahnhof Museumsstrasse integriert werden. Bei rasch wachsenden Pendlerzahlen wurde die Kommerzialisierung der Bahnhöfe zum Programm; der «Knoten Zürich» wurde durch verschiedene Privatarchitekten zu einem Shopping- und Dienstleistungszentrum ausgebaut. Vogt musste eine ganzheitliche Gestaltung sicherstellen. Seine Sektion Hochbau organisierte nun vermehrt Wettbewerbe, etwa jenen für den Bahnhof Zürich Stadelhofen, der zum Neubau durch Santiago Calatrava führte. 1989 wurde Max Vogt pensioniert. Er war der letzte bauende SBB-Architekt. Seit 1996 unterliegen die SBB den Vorschriften über das öffentliche Beschaffungswesen und müssen Architekturaufträge ausschreiben.

Poetischer Funktionalismus?

Vogts Werk lässt sich in drei Phasen einteilen: Auf einige frühe, eher feingliedrige Kompositionen wie den Bahnhof Effretikon und das Ablaufstellwerk Buchs SG, in denen jedoch alle späteren Qualitäten bereits angelegt sind, folgt die «Reifeperiode» mit ausdrucksstarken, schweren Betonskulpturen wie dem Zentralstellwerk Zürich, den Bahnhöfen Killwangen- Spreitenbach, Altstetten und zahlreichen Bahnhöfen an den beiden Zürichseelinien. Die Bauten nach 1974 sodann können nur noch teilweise an diese Qualitäten anschliessen, etwa die rund dreissig Gebäude im Rangierbahnhof Limmattal oder der Bahnhof Schwerzenbach. Nun häufen sich Verunklärungen in Formensprache und Materialisierung, die Konstruktionen werden sichtbarer, die Körper lösen sich teilweise auf. Dies betrifft allerdings vor allem die Ausführung, die Vogt nun abgeben musste, und nicht die Funktionalität und Klarheit der räumlichen Organisation auf der Ebene der Vorprojekte, die er weiterhin selber machte. Vorsicht ist bei dieser vorläufigen Einschätzung angebracht, weil zahllose nachträgliche Veränderungen, die oft wenige Jahre nach Fertigstellung einsetzten und deshalb nicht immer sofort als solche erkennbar sind, viele Bauten beeinträchtigen.

Vogts Architektur hat ihre Wurzeln in der modernen Architektur der 1920er- und 30er-Jahre und im Werk Le Corbusiers nach 1945. Vogts Bauten sind Kompositionen aus reduzierten, ineinandergeschobenen Körpern. Die Volumen sind möglichst rein. Die rohen Formen sind vom rechten Winkel dominiert, ohne Details, spröd und rau. Die Wände sind fugenlos, die Konturen hart, die Kanten scharf, ohne Kanthölzer betoniert. Die Fassaden wirken sehr grafisch, vor allem durch die scharfen Schatten tiefer Einschnitte, Vor- und Rücksprünge. Die von Vogt selber ausgeführten Betonbauten sind ausnahmslos monolithisch betoniert. Eine gewisse Verwandtschaft zum britischen «New Brutalism» um 1960 besteht in der Verwendung des rohen Betons, nicht aber in Bezug auf die Transparenz der Konstruktion: Vogt integrierte die Tragstrukturen in die Baukörper.

Aus der Ferne wirken die Betonbahnhöfe hermetisch, undurchdringlich, erinnern an Felsen oder gar Bunker. Doch betritt man sie, überrascht ihre überdurchschnittliche Funktionalität. Eingang, Schalter oder Toiletten findet man auf Anhieb. Es ist hell, wo es Licht braucht, offen, wo man passieren muss, weit, wo Platz gefragt ist. Für Vogt musste ein Bahnhof funktionieren wie ein Uhrwerk. Die einfachen, sauberen Entwürfe sind bis ins Detail durchgezogen; es gibt keinen Sicherungskasten, keinen Blechdeckel, der nicht Teil der Komposition wäre. Vogt entwarf Brunnen und Pflanzentröge aus Beton, Möbel und Leuchten. Es waren immer etwa dieselben, sehr einfachen Formen.

So funktional die Räume sind, ihr Ausdruck erschöpft sich keineswegs im Rationalen. Immer schwingt noch anderes mit – raffinierte Raumverschränkungen, vielfältige Lichteinfälle, überraschende Formen, formale Spannung, ein witziges Spiel mit Mass und Masse. Eine Klassifizierung Vogts als Funktionalist würde die Bedeutung des freien Gestaltens, die skulpturalen Qualitäten und damit gerade das Spezielle an seiner Architektur ausser Acht lassen. Ein angenehmes Raumgefühl rechnete er zu den Bedürfnissen, welche die Bauten zu erfüllen hatten. Für die Wirkung der Räume, ihre Proportionen und Verhältnisse zueinander sowie die Wirkung des Lichts auf das Wohlbefinden der Benutzer galten alte Regeln. Zum Beispiel die, dass man ein Gebäude lieber betritt, wenn auf eine kleine Vorhalle ein grösserer Raum folgt und wenn keine Säule oder Wand im Weg steht. So führen seine Eingänge oft auf ein Fenster zu.

Die Bauten weisen keine durchgehenden Raster auf; Ordnungen bleiben lokal, auf ein Fensterband oder eine Stützenreihe beschränkt. Das Platzieren von Fenstern oder die Einteilung von Stahl-Glas-Fassaden an Schalter- und Wartehallen geschah in freier Gestaltung. Wichtiges Hilfsmittel war der Goldene Schnitt. Doch vieles, was nach freier Gestaltung aussieht, ist bei Vogt noch von einer Funktion abgeleitet. Ein schmales, hochrechteckiges Fenster ist nicht einfach ein formales Element zur Fassadengestaltung, sondern funktional begründet durch ein bestimmtes Licht, das es im Innenraum bewirken muss. Wohn-, Schlafoder Durchgangsräume erhielten deshalb verschiedene Fenster. Vogt gelang es, diesen Nutzen im Inneren mit der angestrebten starken Wirkung gegen aussen zu verbinden.

An Vogts Bahnhöfen war vieles neu – neben Formen und Material auch die Typologie. Die Kompaktheit alter Landbahnhöfe ist aufgelöst, die Funktionen nach Betriebsabläufen, Lärmschutz, Besonnung und örtlichen Bedingungen gegliedert, zum ersten Mal beim Bahnhof Effretikon von 1961. Hier ist der Wohntrakt um 90 Grad vom Bahnlärm weg- und der Sonne zugedreht. Er schwebt aufgeständert über Aufnahme- und Nebengebäude, zwischen denen so eine vier Meter hohe Halle mit gedeckter Vorfahrt entsteht. Die Dachterrassen der Maisonettewohnungen mit Sicht in die Alpen und ein begrüntes Atrium für die Aufenthaltsräume des Personals waren für die SBB revolutionär.

Gesten am Gleis

Zum Entwurfsprozess gehörte für Vogt auch das Ordnen von Funktionen der Umgebung. Abgesehen von der Organisation des Verkehrs betraf das auch ästhetische, städtebauliche Bedürfnisse. Vogt sagt dazu: «Die Strassenseite ist ein räumlich gefasster Platz, die Gleisseite ein linearer Raum ohne sichtbare Enden. Dazwischen steht der Bahnhof – man muss ihn anbinden! Er darf nicht davonfahren! Man muss ihn am Ort, im gefassten städtischen Raum verankern. Wenn es keinen festen Ort gibt, muss man einen schaffen, an dem der Bahnhof verankert ist, damit er an der Gleislinie ein Zeichen, einen Haltepunkt markieren kann.»2 Diese Geste, den Haltepunkt zu markieren, machen Vogts Bahnhöfe auf verschiedene Arten: mit einem Querbau (Effretikon, Buchs SG), einem Tor als Ortseingang (Oberrieden), einer Erhöhung in der Dachkante (Dietlikon) oder einem Kamin als Vertikalakzent (Seebach). Auf der Gleisseite betonen die Bauten die Linearität des Raums. Die Vordachkante von Aufnahmegebäude, Nebengebäude und Güterschuppen bildet eine einzige dynamische Linie mit vertikalen Versätzen, die auf Passagen, Eingänge und Tore weisen.

Vogts Bauten halten stand: im wörtlichen Sinn der starken Beanspruchung durch Bahnbetrieb und Publikum und im übertragenen Sinn dem Zug des linearen Raums oder dem Tempo des vorbeifahrenden Betrachters. Vogt baute seine Bahnhöfe im Hinblick auf die perspektivische Sicht der Passagiere. Für die beabsichtigte Wirkung rechnete er mit den stürzenden Vertikalen und den sich in den Fluchtpunkten treffenden Horizontalen. Ein Bahnhof war für ihn eine durch extreme Perspektiven geprägte, durch Gleise und Fahrleitungen linierte Landschaft. In sie hinein komponierte er seine Volumen, Körper, Skulpturen.

Beton und andere Materialien

Vogt schätzte die plastische Formbarkeit von Beton. Beton war robust und alterte besser als andere Materialien, was bei der grossen mechanischen Beanspruchung durch Publikum und Bahnbetrieb wesentlich war. Schwer Bauen war sinnvoll am Gleis, die Masse minimierte die Erschütterungen durch Loks und Züge, und es passte thematisch zur Bahn mit ihren schweren Lokomotiven, ihren Stützmauern und Brücken aus Beton. Die Eigenschaften von Vogts Architektur – schwer, kraftvoll, robust und gleichzeitig präzis – sind auch die Eigenschaften der Bahn. Seine Bauten können deshalb als «typisch Bahn» gelesen werden und bilden dank ihrem einheitlichen Charakter und ihrer weiten Verbreitung einen Teil des Corporate Designs der SBB.

Ein Ensemble dieser Betonarchitektur entstand rund um das Gleisfeld im Zürcher Hauptbahnhof mit Zentralstellwerk, Betriebsleitzentrale Langstrasse, Stellwerk Nord, TEE-Halle und Wohnhochhaus beim Depot G. Zahlreiche Betonbauten finden sich auch unter den rund dreissig Hochbauten des 1967–1981 erstellten Rangierbahnhofs Limmattal. Zu diesem grössten Ensemble von Vogt-Bauten gehören ein Hauptdienstgebäude mit Büros, Personalräumen, Kantine, Werkstätten und Magazinen, zwei grosse Stellwerke, zwei Einfamilienhäuser mit Dienstwohnungen, eine Wagenreparaturwerkstätte, ein Lokdepot, Güterumschlaghallen, diverse Dienstgebäude und Kleinbauten. Sie sind noch vergleichsweise nahe am Originalzustand.

Beton war aber nicht das einzige Baumaterial, das Vogt auf bemerkenswerte Art einsetzte. Stahlbauten zeigen dieselben entwerferischen Qualitäten. Vor allem frühe Bauten spielen mit starken Materialkontrasten. In ländlichen Gegenden nahm Vogt Rücksicht auf die Umgebung, etwa in Mörschwil oder beim Bahnhof Dietlikon, wo ein Satteldach aus Eternitschiefer über Giebelfeldern aus Lärchenholz und Sichtbacksteinmauern liegt.

Zur Bedeutng von Max Vogts Architektur

Die wichtigsten Bauten von Max Vogt sind Denkmäler der Schweizer Baukultur im 20. Jahrhundert. Sie sind hervorragende Zeugen der «Nachkriegsmoderne», einer unbeschwerten, ungebrochen fortschrittsgläubigen Baukultur während der Hochkonjunktur zwischen dem Zweiten Weltkrieg und der Ölkrise. In jener Zeit gab es noch kaum Diskussionen um Baukosten oder umweltfreundliches Bauen – und damit mehr Freiheit für die Architekturschaffenden. Seither ist diese Art zu bauen unmöglich geworden. Zahlreiche Auflagen für die Umweltverträglichkeit und eine kritischere Öffentlichkeit haben die Bauplanung komplizierter gemacht. Heute ist der Entwurfsansatz der meisten Architekturschaffenden geprägt von der Suche nach spezifischen Lösungen für jede Bauaufgabe und jeden Ort, nach neuen Formen und Materialien. Max Vogt hingegen hatte ein festes Vokabular, das ihm richtig schien. Auch von dieser vergangenen Kultur fragloser Selbstsicherheit zeugen seine Bauten.

Vogts Arbeitsbeginn beiden SBB fällt mit einem Umbruch in der Schweizer Architekturszene zusammen. In der politisch und militärisch isolierten Schweiz hatten sich die Architekturschaffenden jahrelang auf einen eigenen Weg konzentriert. Vom Krieg verschont und nicht durch ein totalitäres Regime eingeschränkt, konnten sie die moderne Architektur kontinuierlich weiterentwickeln. Nach 1945 fand die Schweizer Architektur in Europa starke Beachtung. Zehn Jahre später wandte sie sich wieder dem Geschehen im Ausland zu.3 Zwischen 1955 und 1960 fand an der Architekturabteilung der ETH Zürich ein Generationenwechsel statt, der zu dieser Öffnung beitrug: Mit Hans Hofmann, Friedrich Hess und William Dunkel (1959) trat die Generation ab, die die gemässigte moderne Architektur der Landi-Schweiz etabliert hatte. Alfred Roth, Albert Heinrich Steiner, Charles-Edouard Geisendorf, Werner M. Moser, Rino Tami und Jacques Schader nahmen ihre Lehrtätigkeit auf. Gleichzeitig begann eine junge Architektengeneration zu bauen, die sich stark am internationalen Architekturschaffen orientierte, insbesondere an den Vorbildern Le Corbusier, Ludwig Mies van der Rohe, Frank Lloyd Wright und Alvar Aalto. Jean Tschumi in Lausanne, das Atelier 5 in Bern, die «Solothurner Schule» am Jurasüdfuss und zahlreiche weitere Architekten schufen die ersten Bauten der sogenannten Nachkriegsmoderne. Vogts Werk, so eigenständig es ist und so unabhängig es entstand, ist Teil dieser Bewegung und war ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Öffnung der Schweiz in der Nachkriegszeit.

Zustand und Zukunft der Bauten

Vogts Werk ist durch die fortlaufende Entwicklung der Bahn gefährdet. Wegen der beschriebenen Arbeitsteilung in der Sektion Hochbau sind nicht alle Bauten gleich wertvoll. Doch je mehr vom Gesamtwerk erhalten bleibt, umso grösser bleiben sein Wert und seine Wirkung als Corporate Design der SBB. Einige Bauten wurden in den letzten Jahren sorgfältig renoviert, so die Aufnahmegebäude in Effretikon, Killwangen-Spreitenbach und Altstetten. Der Bahnhof Altstetten ist bisher als einziges Gebäude Vogts in einem Denkmalinventar aufgeführt; unter Schutz steht keines. Viele wurden weniger rücksichtsvoll umgebaut. Denn nach Ablauf der zweijährigen Garantiefrist gingen alle Hochbauten in die Verantwortung der Sektion Bahndienst über, viele wurden vom Bahndienst oder von anderen Architekten umgebaut. Ein Problem ist, dass Vogt in seinen funktional ausgeklügelten Monolithen die damalige Nutzung buchstäblich in Beton gegossen hat. Er hat dabei das Tempo des gesellschaftlichen Wandels unterschätzt. Die Anforderungen an Bahnhöfe haben sich massiv verändert.

Doppelstockzüge benötigen mehr Platz, die Passagiere brauchen Rampen und Lifte, die Bauten eine bessere Isolation. Vor allem aber braucht ein Bahnhof heute kommerzielle Flächen. Die Fernsteuerung der Anlagen hat zwar Betriebsräume überflüssig gemacht, doch sind diese für Läden eher zu klein und zu niedrig. Vogts Solitäre sind nicht für modulare Erweiterungen gedacht. Bei Umbauten müssen tragende Wände durchbrochen, Anbauten erstellt und umlaufende Vordächer abgeschnitten werden, was die sorgfältigen Kompositionen beeinträchtigt.

Ein kritischer Punkt ist das Altern des Betons. Am Bahnhof Altstetten wurde Ende der 1990er- Jahre eine Betonsanierung vorgenommen. Eine versiegelnde Lasur verleiht dem Beton seither einen speckigen Glanz, der dem Bau seine raue, felsige Wirkung und damit einen Teil seiner Eigentümlichkeit und Kraft nimmt. Das zeigt der Vergleich mit Vogts originalen Perrondächern. Noch weiter vom Original entfernen sich die vielen nachträglichen Verkleidungen, sei es mit Aluminium wie bei der Betriebsleitzentrale Langstrasse in Zürich, Holz wie beim Bahnhof Herrliberg-Feldmeilen, Holzzementplatten wie in Seebach, Eternitschindeln am Personalwohnhaus in Ziegelbrücke oder Blech an zahlreichen Bauten. Solche Eingriffe verwischen den monolithischen Charakter der Architektur, die über die Hausecken hinweg aufgebaute formale Spannung und die gewollten Materialkontraste – glücklicherweise sind sie oft reversibel.

Max Vogt hat als hervorragender Architekt und mit zäher Beharrlichkeit gezeigt, welche kulturelle Leistung im Rahmen eines staatlichen Regiebetriebs möglich war. Sein Werk hat das Erscheinungsbild der SBB wesentlich geprägt und ist ein wichtiger Beitrag zur schweizerischen Architektur im 20. Jahrhundert. Sein Stil wurde von Architekten in den Kreisen I und II aufgenommen und hat so das Erscheinungsbild der SBB auch in der West- und Zentralschweiz beeinflusst. Mit ihrer zeitlosen Modernität und ihren dem Wesen des Bahnverkehrs verwandten Qualitäten hat diese Architektur – bewusst gepflegt – auch weiterhin ein grosses Potenzial, die Corporate Identity der SBB zu stärken – und der bahnfahrenden Bevölkerung ein Stück Heimat zu sein.

TEC21, Di., 2008.05.13

13. Mai 2008 Ruedi Weidmann

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