Editorial
Es ist eine einfache Gleichung – der Vorzug des einen Mediums ist das Manko des andern: Die Architektur wünscht sich die Illusion des bewegten, der Film die des begehbaren Raums. Schon in den frühesten Filmen entwarfen Architekten das Set – Hans Poelzig etwa in «Der Golem, ...» (1920). Der Architektensohn Sergej Eisenstein schuf mit «Panzerkreuzer Potemkin» (1925) ein oft zitiertes Werk: Terry Gilliam spielte in «Brazil» mit dem eine Freitreppe herabstürzenden Kinderwagen auf die analoge Szene auf der «Potemkinschen Treppe von Odessa» an (siehe «Filmglossar»). Emotional lud Eisenstein den Film auf, indem er sich des Kuleschow-Effekts bediente. Wie sich Architekten an dieser Montagetechnik versuchen, zeigt der Artikel «Berührungen».
Als Vehikel, um Neues Bauen mit Neuem Sehen zu verbinden, diente das Medium Film. In «Marseille Vieux Port» (1929) inszenierte László Moholy-Nagy den Pont Transbordeur als ingenieurtechnische Meisterleistung. Dabei nahm er die «Architekturmaschine» als einen «überdimensionierte(n) Lichtmodulator» ins Visier.[1]
Im Herbst 1928 traf Le Corbusier in Moskau Eisenstein. Dieser zitierte den Architekten: «It seems to me that in my creative work I am thinking the way Eisenstein is thinking as he creates his movies.»[2] Der Einfluss manifestierte sich in der Villa, die Le Corbusier für Charles de Beistegui in Paris 1930–1932 realisierte – nicht nur wegen des Filmprojektionsraums, sondern auch, weil das Haus, verdoppelt durch ein Periskop, selbst zur Filmkamera wurde. Brian de Palma übernahm die Idee – mit John Lautners Chemosphere-Haus (1960). Die «homerische Dachlandschaft»[3] der Unité d’habitation in Marseille hingegen mag Godard bewogen haben, die Odysseus-Schlussszene in «Le mépris» auf dem Dach der Villa Malaparte zu drehen (siehe «Filmglossar») ...
Jean Nouvel betont allgemein den Einfluss des Films auf seine Bauten, Bruce Goff konkretisierte die Inspirationsquellen: Langs «Metropolis» und Wienes «Cabinet des Dr. Caligari».[4] Derweil Rem Koolhaas überhaupt erst vom Film zur Architektur kam ... Und doch: Obwohl die Gebrüder Lumière bereits 1903 mit dem Kurzfi lm «L’Arrivée d’un Train» in 3 D experimentierten und man sich heute dank IMAX-Technologie selbst als Teil des Filmgeschehens wähnt, steckt die Dynamisierung der Architektur mit filmischen Mitteln noch in den Kinderschuhen (siehe «Architektur filmisch animiert»).
Rahel Hartmann Schweizer
Anmerkungen:
[1] Jan Sahli: Filmische Sinneserweiterung – László Moholy-Nagys Filmwerk und Theorie. Schüren Verlag, Marburg 2006, S.14
[2] Sergei Eisenstein: Novaia klientura gospodina Korb’zu’e’. Sovjetskii ekran, Nr. 46/1928, S.5, zitiert nach: Oksana Bulgakowa: Eisenstein, the Glass House and the Spherical Book – From the Comedy of the Eye to a Drama of Enlightenment. Rouge, Nr. 7/2005
[3] Roman Hollenstein: «Südländische Traumgärten», in NZZ, 10. Nov. 2004
[4] David Gilson De Long: Bruce Goff – Toward Absolute Architecture. The MIT Press, 1988, S.9
Inhalt
05 WETTBEWERBE
Oberer Leonhard, ETH Zürich
14 MAGAZIN
LACMA: Erweiterungsbau als Chance | Wohnen in der zweiten Lebenshälfte | Internationale Passivhaustagung
24 BERÜHRUNGEN
Doris Agotai
Die Faszination für den Film ist so alt wie das Medium selbst. Woran liegt es, dass sich Architekten immer wieder für den Film interessieren, Beispiele aus Filmen zitieren oder selbst Filme drehen möchten?
29 ARCHITEKTUR FILMISCH ANIMIERT
Doris Agotai
Die Architektur arbeitet heute zunehmend mit Animationen, die technisch dem Film sehr nahe stehen. Doch das Potenzial der Verflechtung von Film und Architektur ist noch nicht ausgeschöpft.
33 FILMGLOSSAR
Jean-Claude Campell/Red.
Welch herausragende Rolle Regisseure der Architektur immer wieder einräumen, vermittelt dieses Glossar. Es illustriert, auf wie vielfältige Art und Weise Architektur das Filmschaffen prägt.
43 SIA
Tücken des CE-Kennzeichens | Bauhandwerker-Pfandrecht
46 PRODUKTE
61 IMPRESSUM
62 VERANSTALTUNGEN
Berührungen
Die Faszination für den Film ist so alt wie das Medium selbst. Woran liegt es, dass sich auch Architekten immer wieder für den Film interessieren, Beispiele aus Filmen zitieren oder selbst Filme drehen möchten?
Vielleicht spiegelt sich in der Wahrnehmung filmischer Raumillusionen der Wunsch, neben der Beständigkeit des Gebauten auch flüchtige Raumqualitäten zu erfassen. Vielleicht erfüllt der Film die Sehnsucht, mit dem bewegten Raum auf eine Zeitlichkeit einzugehen, die an die persönliche Raumerfahrung gebunden ist. Vielleicht gibt der Film aber auch eine Realität wieder, die unserem subjektiven Empfinden näher kommt als die Architekturdarstellung. [1]
Das Verhältnis von filmischen und architektonischen Räumen ist durch eine ästhetische Nachbarschaft geprägt, unterscheidet sich aber in vielen Wahrnehmungsbedingungen. Während die Zuschauerinnen und Zuschauer im abgedunkelten Kinosaal im Sessel versinken, bewegte Räume als Lichtprojektion vorüberziehen lassen und in eine Welt eintauchen, welche die physische Präsenz der Gegenwart vergessen lässt und den Erzählraum zur momentanen Wirklichkeit macht, fordert die Architektur den bewegten Blick und das aktive Erkunden des Raums. [2]
Dort, wo dann die Architektur im Film zum Ausdruck des jeweiligen Zeitgeists wird, zur Projektionsfläche architektonischen Gestaltungswillens oder zum Schauplatz städtebaulicher Visionen, verschmelzen die beiden Bereiche. [3] Oder dort, wo die Architekturdarstellung zeitbasierte Visualisierungsformen wählt, nähert sich das eine Medium dem anderen an. Eine schwieriger zu ergründende Verbindung erschliesst sich uns dort, wo im Film Räume vorbeiziehen, die wir zwar nicht bewusst wahrnehmen, aber dennoch mit Befindlichkeiten, Tagträumen und Stimmungslagen vermischen. Hier zeigt sich, dass der Film über Gestaltungsmittel verfügt, die unsere Emotionen beeinflussen und die Imagination anregen. Wir sehen, wie filmische Raumkonzepte wie beispielsweise der Schnitt oder die Montage subjektive Raumbezüge schaffen und die Sehnsucht der Architekten einlösen, den oft diffus verhandelten Begriff der Stimmung zu präzisieren [4] – und sich damit als Untersuchungsmodell anbieten, um Raumwirkungen in der Architektur neu zu begreifen und vermeintlich bekannte Wahrnehmungsmuster aufzubrechen.
Kontextexperimente im Film
Mit einem kleinen Exkurs in die Filmgeschichte der 1920er-Jahre lässt sich zeigen, wie ein filmisches Experiment Ausgangspunkt für raumgestalterische Überlegungen sein kann. 1921 unternahm Lev Kuleschow, Regisseur und Lehrer an der 1919 gegründeten weltweit ersten Filmhochschule in Moskau, verschiedene Kontextexperimente, die unter dem Namen «Kuleschow-Effekt» in die Filmgeschichte eingegangen sind. Geprägt durch die Auseinandersetzung mit bedeutungsgenerierenden Strukturen im Umfeld des sowjetischen Formalismus, geht Kuleschow davon aus, dass das Wesen des Films nicht innerhalb der Grenzen einer einzelnen Einstellung gesucht werden muss, sondern in der Verkettung dieser Fragmente: «Kurz nach der Oktoberrevolution wurde dem jungen Filmemacher Lev Kuleschow eine Filmwerkstatt übergeben. Pudowkin war einer seiner Studenten, wie auch, für kurze Zeit, Eisenstein. Da sie nicht genügend Rohmaterial für ihre Projekte finden konnten, begannen sie, bereits fertige Filme neu zu schneiden, und bei diesem Prozess entdeckten sie eine Reihe von Wahrheiten über die Technik der Filmmontage. [...] In ihrem wohl berühmtesten Experiment nahm die Kuleschow-Gruppe drei identische Aufnahmen des bekannten vorrevolutionären Schauspielers Mosjukin und fügte sie mit Aufnahmen von einem Teller Suppe, einer Frau in einem Sarg und einem kleinen Mädchen zusammen. Nach Pudowkin, der später die Ergebnisse des Experiments beschrieb, zeigte sich das Publikum höchst begeistert von Mosjukins subtiler und affektiver Fähigkeit, solch unterschiedliche Emotionen wie Hunger, Traurigkeit und Zuneigung zu vermitteln.» [5] (Bild 1)
Subjektive Raumvorstellugen Dieses Experiment zeigt, dass die Zuschauer eine Kausalverbindung zwischen den einzelnen Einstellungen aufbauen. Aus wahrnehmungspsychologischer Sicht sind sie offensichtlich durch das Erzählkino konditioniert. Allein durch die Reihenfolge der Einstellungen nehmen sie auch die Folgerichtigkeit der Bezüge untereinander an. Die erzählerische Logik und die visuellen Verbindungen bauen im Film eine Erwartungshaltung auf, die es ermöglicht, die einzelnen Einstellungen in einen kausalen Zusammenhang zu stellen. [6]
Nun gibt es aber auch Situationen, in denen der Regisseur von den Regeln dieser sogenannten Kontinuitätsmontage abweicht und bewusst einen Bruch herbeiführt: In der Verfilmung von Franz Kafkas «Der Prozess» (1962) akzentuiert Orson Welles die Befindlichkeit des Protagonisten und setzt deshalb einen falschen Anschluss.
Der Film erzählt die alptraumähnliche Geschichte des Josef K., der Opfer eines Prozesses wird, ohne die Gründe der Anklage zu kennen. In der Folge gerät Josef K. in den Sog eines undurchsichtigen und vernichtenden Gerichtsprozederes. Welles überträgt mit seiner Verfilmung Kafkas Roman in eine visuelle, ja räumliche Sprache. Labyrinthartige Raumbezüge deuten die Normalität ins Bedrohliche und Paranoide um. In der gezeigten Szene wird Josef K. als Angeklagter zu einer Gerichtsverhandlung vorgeladen. Im berstend vollen Saal ergreift er selbst das Wort und wendet sich in einem leidenschaftlichen Plädoyer an die unbekannte, bedrohliche Menge. Er verlässt daraufhin fluchtartig den Saal und sammelt sich erschöpft vor der unvermittelt übergrossen Türe des Gerichtssaals. Welles entwirft in dieser kurzen Abfolge von Einstellungen einen szenischen Raum, der erst im Bezug der Bilder zueinander die erwünschte Wirkung entfaltet, wie dies im «Kuleschow- Effekt» beschrieben wird. Zum einen ist die Tür zum Gerichtssaal im Innenraum deutlich kleiner als in der Ansicht von aussen. Zum anderen spannen die Einstellungswinkel der Kamera eine schiefe Ebene auf. Die Ansicht der Tür, unterstützt durch die Untersicht der Kamera, verzerrt die tatsächlichen Proportionen und zeigt eine emotional gezeichnete, subjektive Vorstellung eines Raums, der so nicht gebaut sein kann, der aber die innere Befindlichkeit des Protagonisten spiegelt. Welles bedient sich hier eines falschen Anschlusses, um mit diesem Stilmittel die emotionale Ebene der Szene räumlich nachzuzeichnen. (Bilder 4–8).
«Der Kuleschowsche Raum»
Ausgehend von der filmischen Raumkonstellation in «Der Prozess» stellt sich für die Architektur die Frage, welche Wirkungsästhetik der Kontext in der Wahrnehmung von realem Raum zu entfalten vermag. So ist ein gebauter Raum zwar physisch messbar, in der subjektiven Wahrnehmung jedoch vom Kontext abhängig, also von den ihn umgebenden Räumen, die seine eigenen Raumqualitäten determinieren. Ein Raum ist beispielsweise nicht an sich hoch, sondern hoch im Vergleich zu angrenzenden Räumen, zu vertrauten Massstäben, zu einer bestimmten Funktion oder zu Räumen in der Erinnerung. Der Eindruck eines Raums wird einerseits durch den vorhergehenden konditioniert, andererseits durch die Erwartungshaltung an den nächstfolgenden Raum geprägt: «Architektur ist Gliederung des Raums, um im Teilnehmer eine bestimmte Raumerfahrung gemäss früheren oder erwarteten Raumerfahrungen hervorzurufen.» [7]
Überraschungsmomente treten dann auf, wenn genau wie im Film gegen dieses Syntagma verstossen wird und eine Raumfolge mit der Erwartung der Betrachter bricht. Peter Märkli führt dieses Phänomen am Beispiel von «La Congiunta» (1992), einem Ausstellungsbau für die Eisenplastiken Hans Josephsons in Giornico, geradezu paradigmatisch vor (Bilder 9–11). Märkli nimmt Bezug auf die klassische Enfilade, entlang deren er die drei langgezogenen Baukörper einander folgen lässt. Zunächst rückt er die Durchgänge seitlich aus der Symmetrieachse, verändert dann aber zudem die Raumhöhen von einem Ausstellungsraum zum nächsten, was wohl die am seltensten veränderte Variable in der Raumgestaltung ist. Die Räume unterliegen sorgfältig durchdachten Proportionsverhältnissen, treten vermutlich gerade deshalb in ein dialektisches Verhältnis zum Betrachter und fordern dessen bewegte Erkundung entlang der Exponate. Just beim Übergang von einem Raum zum nächsten, dem Schwellenmoment, da das Unerwartete eintrifft und der Raum sich anders präsentiert als erwartet – zunächst tiefer, dann viel höher –, destabilisiert dieser Bruch die Wahrnehmung des Betrachters. Diese Raumkonstellation, welche die Bewegungserfahrung mit einschliesst, könnte man in Analogie zum filmischen Kontextexperiment einen «räumlichen Schnitt», einen «Kuleschowschen Raum» nennen.
Auch beim «Tulach a’tSolais»-Memorial (1998) in Oulart Hill in Irland von Scott Tallon Walker Architects treffen wir auf einen Raum, der unsere Erwartungshaltung bricht. Die Gedenkstätte befindet sich unter einem künstlich angelegten Hügel und lehnt sich damit formal an die Ausprägung keltischer Kultstätten an. Einzig eine schmale Kerbe, bestehend aus zwei Betonscheiben, zerschneidet den Hügel und führt den Blick symbolisch in die Weite. Beim Betreten dieses Korridors öffnet sich im Inneren des Hügels ein breiter, offener Raum, der sich der anfänglich dominanten Ausrichtung des schmalen Zwischenraums entgegensetzt. Im Inneren verbleibt die Schneise durch den Hügel nurmehr als Linie zum Himmel, die in Form von Licht die Symbolik im Innenraum abbildet. Dieser überraschende Richtungswechsel spielt mit den Raumbezügen und setzt die Wirkung des Kontexts voraus. [8]
Unterscheiden sich Raumkonzepte im Film und in der Architektur in vielen Belangen, zeigen diese Beispiele doch, wie die ästhetische Nachbarschaft für den Umgang mit gestalterischen Problemen neue Wege öffnen kann. Der «Kuleschowsche Raum» erfasst phänomenologisch ein Erlebnismoment, beschreibt eine Raumerfahrung, die mit dem unmittelbaren Kontext und der subjektiven Erwartungshaltung verbunden ist. Der Begriff führt ein raumchoreografisches Element ein, das im Vokabular der Architektur bislang fehlt. Die Metapher wird hier zum Erkenntnisinstrument:9 Neben dem terminologischen Transfer schärft sie die Wahrnehmung, hinterfragt vermeintlich Bekanntes und eröffnet eine neue Perspektive, die in der Auseinandersetzung mit entwerferischen Fragen neue Impulse zu setzen vermag. TEC21, Mo., 2008.05.05
05. Mai 2008 Doris Agotai
Architektur filmisch animiert
Von zweidimensionalen Plänen über perspektivische Ansichten bis zu fotorealistischen Computervisualisierungen arbeitet die Architektur heute zunehmend mit Animationen, die technisch dem Film sehr nahe stehen, ohne jedoch dessen spezifische Gestaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Hier eröffnet sich ein Feld, das ein grosses Gestaltungspotenzial birgt und eine zunehmende Verflechtung von Film und Architektur zur Folge haben wird.
Das Forschungsprojekt «Compositing Spaces» (siehe Kasten) untersucht, in welchen Bereichen Architekturanimationen Anstösse aus dem filmischen Gestaltungsinstrumentarium aufnehmen können. Eines der Hauptprobleme zeigt sich bei der Erstellung solcher Animationen: Hier sind vorwiegend ausgebildete Architekten am Werk, die sich in filmgestalterischen Fragen nicht hinreichend auskennen. Da wir aber als Zuschauerinnen und Zuschauer durch Konventionen geprägt sind, die der Film über Jahrzehnte etabliert hat, kann dies auf visueller Ebene zu Verständnisschwierigkeiten, zu unbedacht angefertigten Aufnahmen führen, die nicht auf die Konditionierung des Betrachters eingehen. Bekannt ist dieses Phänomen aus langen, ungeschnittenen Kameraflügen durch Projekte hindurch, die wenig mit vielfältigen Blickwinkeln der subjektiven Raumbetrachtung gemein haben.
Regieanweisungen an die virtuelle Kamera
Hier setzt das Forschungsprojekt an: Die lange, ungeschnittene Einstellung ist ein Stilmittel, das auch in der filmischen Sprache existiert. Plansequenzen treten immer dort auf, wo ein besonderer Gestaltungswille vorliegt, eine Szene speziell betont wird oder schlicht die Kunstfertigkeit des Regisseurs unterstrichen werden soll, da Plansequenzen aufwendig zu filmen sind (Bilder 1–5).1 Der Normalfall sind aber Schnittsequenzen, also Szenen, die aus einzelnen Einstellungen zusammengeschnitten sind, unterschiedliche Blickwinkel einnehmen und nach den Prinzipien der Kontinuitätsmontage die Betrachter Schritt für Schritt in den Raum einführen. Daher haben wir versucht, eine Narration für die Architekturanimation zu erstellen und real gefilmte Personen per Bluescreen-Verfahren ins Bild zu integrieren, damit der fiktive Betrachter wie im Film den Identifikationstransfer zu den Zuschauern herstellen kann (Bilder 6, 7). Doch die gerenderten dreidimensionalen Modelle waren sehr gross und die Qualität der Bildüberlagerung nicht zufriedenstellend – schliesslich sollte die zu entwickelnde Technik nicht nur in Hollywood, sondern auch durch normale Architekturbüros einsetzbar sein. Bei der weiteren Analyse wurde deutlich, dass der filmische Raum nicht immer bewegt, sondern häufig aus statischen Einstellungen zusammengeschnitten war. Diese fixen Raumeinstellungen sind in der Architektur zur Genüge vorhanden: hochauflösende Visualisierungen, die als Standbilder der «Compositing-Technik» zur Verfügung stehen. Mit dem digitalen Zusammenfügen und Animieren von Bildelementen mit Softwaretools wie Motion, After Effects oder ähnlichen Produkten war der Weg zu einer attraktiven Bearbeitungstechnik geebnet. Bei der Abfolge der räumlichen Perspektiven griffen wir auf Gestaltungskonventionen zurück, die aufzeigen, wie die Informationen im filmischen Raum beiläufig und ohne Redundanzen vermittelt werden. Waren die Bildausschnitte gewählt und zu einer kontinuierlichen Bewegungschoreografie zusammengefügt, konnten einzelne Ausschnitte weiterbearbeitet werden. So haben wir im einen Fall die Tiefenebenen einer Visualisierung in einem «Shifting» (Bilder 10, 11) leicht zueinander verschoben, sodass sich die auf der Zweidimensionalität eingefrorene Raumtiefe unmerklich zu verändern schien. Oder aber der gezeigte Bildausschnitt glitt wie eine Maske über das dahinter liegende Bild, tauchte darin ein und generierte eine Bewegung innerhalb des ursprünglich statischen Bildes.
«Compositing Spaces»
Der Ansatz des «Compositing» stellt eine Rückbesinnung zum Standbild als Ausdrucksform dar, die sich visuell, narrativ und ökonomisch bestätigt. Mit dem Einsatz dieser eigentlich alten Kulturtechnik2 (Bilder 8 und 9) nahm das Projekt eine überraschende Wende, die mehrere Probleme gleichzeitig löste: «Compositings» unterscheiden sich formal zunächst nicht von Renderings eines 3-D-Modells. Die Bildqualität ist trotz viel geringerer Datenmenge besser, da das Ausgangsmaterial, also die Visualisierung, hochauflösend ist. Der Compositing- Ansatz ist zudem eine kostengünstige Lösung, da er ohne ein aufwendig detailliertes und dadurch teures 3-D-Rendering auskommt. Denn die computergenerierten Standbilder, welche die Basis für diese Bearbeitung liefern, sind häufig Fotomontagen. Dadurch fliessen fotorealistische Elemente in die Bildsprache ein, die das Bedürfnis nach einer haptischsinnlichen Ausdrucksform einlösen. Die im Forschungsprojekt erstellten Animationen führen die Bildsprache in Richtung einer filmischen Schnittsequenz fort. Dabei wird die zu Beginn des Projektes formulierte Hypothese aufgenommen, dass bruchlose Realitätskonstruktionen die Wirklichkeitsvorstellung nicht fördern, Lücken und Brüche dagegen einen Vorstellungsfreiraum für die Betrachter schaffen. Mehrere Compositings können, als Schnittsequenz angelegt, den narrativen Anspruch einer Animation einlösen. Hier zeigt sich eine Chance zur Weiterentwicklung und Neudefinierung einer genuinen Bildsprache, die nicht den Film für die Architektur kopiert, sondern den Umgang mit diesem Medium reflektiert und zu einem eigenständigen Ausdrucksmittel für die Darstellung von Raum werden kann.TEC21, Mo., 2008.05.05
05. Mai 2008 Doris Agotai