Editorial

Die Ausstellung «Jardins réduits» präsentierte das Textilmuseum in St. Gallen vor knapp zwei Jahren – eine Replik gewissermassen der 8. Internationalen Minitextilien- Triennale, welche die Musées d’Angers (F) organisiert hatten. Zwei Bedingungen waren an die Teilnahme geknüpft: Die Objekte durften die Grenzen der Masse 12×12×12 cm nicht sprengen, und sie mussten mit einem textilen Werkstoff – einem Faden – gearbeitet sein. 585 Arbeiten wurden eingereicht; die Jury wählte 70 Werke für die Schau aus, darunter auch den «Garten der Venus» von Ursula Gerber Senger. Dieser besteht aus einem Bronzegefl echt, in das zu einem Büschel komponierte Elektrodrähte gesteckt sind, die sich wie Keimlinge ausnehmen.

«Jardins réduits» meint wörtlich übersetzt zunächst einfach nur «verkleinerte Gärten» und verweist auf den Miniaturcharakter der Objekte. In der Ausstellung wurde der Ausdruck aber mit «verborgene Gärten» übersetzt. Das beschwor die Idylle eines abgeschiedenen Orts der Kontemplation in italienischen Renaissancegärten, spielte aber auch auf die Rezeption an: Obwohl durchwegs auf Basis künstlicher Materialien gestaltet, erweckten die Objekte den Eindruck von Naturnachbildung.

Objekte wie der «Garten der Venus» lassen sich aber auch als Replik des Naturverständnisses lesen, das sich in manchen landschaftsarchitektonischen Schöpfungen manifestiert, in denen die Pfl anzenvielfalt zugunsten künstlicher Materialien – vorab Beton – reduziert wird. Davon handelt der Fachartikel «Naturbegehung». Dafür, dass sich die Natur nicht ins «Réduit», in einen geheimen, geschützten Rückzugsort als letztem Bollwerk – eine weitere Übersetzungsvariante – zurückziehen muss, setzen sich die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau ein. Diesem gilt die Würdigung im Fachartikel «Pfl anzen in Gesellschaft».
Rahel Hartmann Schweizer

Inhalt

05 WETTBEWERBE
Europan – fünf Mal in der Schweiz

12 MAGAZIN
Jardins dessus dessous | Hightech in Holz | Zunahme tropischer Wirbelstürme | Zürich: Leitbild Landschaft

20 PFLANZEN IN GESELLSCHAFT
Claudia Moll
Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt
bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schulthess-Gartenpreis.

25 NATURBEGEGNUNG
Hansjörg Gadient
Unsere Umwelt verstädtert. Der Nutzungsdruck auf die öffentlich zu - gänglichen Aussenräume steigt. Aber die neueren Schöpfungen der Landschaftsarchitektur zielen an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Auf allen Ebenen sind Anstrengungen nötig, um wieder mehr Begegnung mit der Natur zu ermöglichen.

31 SIA
CO2-Reduktion durch Sanierung | SIA-Mitglieder stellen vor | Vernehmlassungen SIA 274 und SIA 280 | Bürospezifischer Stundenansatz | Kostengarantievertrag

35 PRODUKTE

45 IMPRESSUM

46 VERANSTALTUNGEN

Pflanzen in Gesellschaft

Mit abwechslungsreichen Pflanzungen öffentliche Flächen in der Stadt bereichern – dies wollten die Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau in Wädenswil1 und entwickelten zu diesem Zweck integrierte Pflanzsysteme. Dafür verleiht ihnen der Schweizer Heimatschutz dieses Jahr den Schult hess- Gartenpreis.

Sie sind schön anzuschauen, machen aber auch viel Arbeit: öffentliche Pflanzfl ächen mit so genanntem Sommerfl or, akkurat gepflanzt, streng gepflegt und jährlich mehrfach erneuert. Wegen der hohen Pflegekosten sind die bunten Schmuckrabatten jedoch in Gefahr, aus dem Stadtbild zu verschwinden – ersetzt durch Kleingehölze, die jahrein, jahraus mehr oder weniger gleich aussehen. Gegen das «Einheitsgrün» im öffentlichen Raum entwickelten Forscherinnen und Forscher des Zentrums Urbaner Gartenbau an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil Stauden-Mischpflanzungen, so genannte integrierte Pflanzsysteme.

Grundlagenforschung

Integrierte Pflanzensysteme basieren auf den Erkenntnissen der Pflanzensoziologie, eines Fachgebiets der Geobotanik. Laut dieser Theorie leben Pflanzen nicht isoliert, sondern bilden von Standort und klimatischen Bedingungen abhängige Gruppen, sprich Gesellschaften. In diesem Verbund bilden die Pflanzen ein wechselseitiges Wirkungsgefüge, das im Laufe der Zeit stabil ist. Dies ist auch bei den integrierten Pflanzsystemen – eigentliche künstlich geschaffene Pflanzengesellschaften – der Fall. Praktisch umgesetzt werden sie folgendermassen: Gärtner pflanzen auf Freifl ächen von mindestens 30 Quadratmetern eine Mischung aus Stauden, Gräsern und Zwiebelgewächsen, durchsetzt von eingesäten ein- bis zweijährigen Krautpflanzen. Letztere wachsen schnell und decken die Fläche bereits im Sommer nach der Einsaat ab, sodass nicht erwünschtes Unkraut geringe Chancen hat, zu wachsen. Die sich langsamer entwickelnden Stauden – mehrjährige nicht verholzende Pflanzen mit Blütenschmuck – dehnen sich dann aus, wenn die Krautpflanzen sich bereits reduzieren oder weiter wandern, das heisst, in der zweiten oder dritten Vegetationsperiode. Die ausgewählten Stauden blühen vom Frühsommer bis im Herbst, die dazwischen eingebrachten Zwiebelpflanzen setzen schon im Frühjahr leuchtende Akzente.

«Silbersommer»

Das Bild von Pflanzungen mit integrierten Pflanzsystemen verändert sich von Jahr zu Jahr. Im ersten dominieren die eingesäten Arten, im Laufe der Zeit nehmen die Stauden Überhand. Je nach Standortbestimmungen und Pflegeeingriffen entwickeln sich die einen mehr als die anderen. Auf Basis derselben Initialpflanzung entstehen immer wieder andere Bilder. Diese Dynamik der Pflanzen fasziniert Jean Bernard Bächtiger, der mit seiner Crew die Pflanzenmischungen entwickelte, und ist für die Forschergruppe Antrieb für ihre Arbeit. Erste Schritte in der angewandten Forschung zu integrierten Pflanzsystemen machte die Hochschule Wädenswil in Zusammenarbeit mit deutschen Fachhochschulen; zu diesem Zweck entstand der Arbeitskreis Pflanzenverwendung. Im Frühjahr 1999 konnte die aus dieser Zusammenarbeit entstandene Mischung aus Stauden und Zwiebelpflanzen, «Silbersommer » (Bild 1), auf Versuchsfl ächen in acht Städten der Schweiz ausgebracht werden. Die begonnenen Studien setzte die Hochschule Wädenswil im Rahmen eines neuen Forschungsprojektes fort. Nun entwickelten die Forscher integrierte Pflanzungen, bei denen zusätzlich zu Stauden- und Zwiebelpflanzen Krautpflanzen eingesät werden.

«Sommernachtstraum»

2001 hatte Bächtiger zusammen mit Mirjam Bucher und Martina Föhn sechs verschiedene integrierte Pflanzsysteme zusammengestellt. Auf Versuchsfl ächen an der Hochschule Wädenswil und an 13 weiteren Standorten in mehreren Schweizer Städten wurden die Mischungen angepflanzt. Sie konnten so unter unterschiedlichen klimatischen und edaphischen (den Boden betreffenden) Bedingungen auf ihre Tauglichkeit getestet werden. Die damit betrauten Gartenbaubetriebe bewerteten die Pflanzfl ächen mittels eines Fragebogens. Am besten schnitt die Mischung «Sommernachtstraum» ab. Bei dieser Mischung kombinierten die Fachleute aus Wädenswil dunkellaubige Stauden mit fi ligranen Gräsern. Die ausgewählten Pflanzen blühen von Mai bis Oktober in blauen, violetten und weissen Tönen, die Zwiebelpflanzen bereits ab Februar, ebenfalls in unterschiedlich abgestuften Blautönen. Schon in der ersten Vegetationsperiode wiesen die Pflanzfl ächen dieser Zusammensetzung einen hohen Deckungsgrad auf, zudem bewerteten sie die Gärtner in allen Jahreszeiten als attraktiv. Seit 2005 kann der «Sommernachtstraum» bei den Partnern des Stauden Ring – ein Zusammenschluss von Staudenproduzenten im deutschsprachigen Raum – von Garten- und Landschaftsbauern per Quadratmeter bestellt werden.

Neue Aufgaben

Zurzeit beschäftigen sich die Spezialistinnen Doris Tausendpfund und Martina Föhn in Wädenswil mit einem Pflanzenmix für Flächen im «trockenen Schatten», also beispielsweise unter dichten Baumkronen, wo Licht, Wasser und Nährstoffe ein rares Gut sind. Im Frühjahr 2006 startete die Hochschule in Wädenswil mit den Gartenbauämtern von Chur, Luzern, St. Gallen und Zürich eine Zusammenarbeit, um diese oftmals stiefmütterlich behandelten Flächen aufzuwerten. Getestet wird, welche Pflanzen in welcher Zusammensetzung den nicht optimalen Standortbestimmungen standhalten können und die Flächen zudem ansprechend erscheinen lassen. Aussagen zu diesen Pflanzsystemen lassen sich noch keine machen. Die auch bei diesen Mischungen eingebrachten Zwiebelpflanzen erfreuten jedoch bereits Anwohner und Passanten. Die Entwicklung der «Robinsonschen Blumenwiese » ist ein weiteres Projekt, mit dem sich das Zentrum Urbaner Gartenbau seit 2004 auseinandersetzt. Hier greifen sie die Idee des irischen Gärtners William Robinson (1838– 1935) auf, der Blütenpflanzen in Wiesen pflanzte. So sollen Stauden und Zwiebelpflanzen künftig monoton wirkende Rasenfl ächen durchsetzen, ihre Attraktivität steigern – mit einem geringeren Pflegeaufwand als für die Rasenpflege.

Neue Kompetenzen

Das für die öffentliche Hand überzeugendste Argument, diese Pflanzsysteme anzuwenden, ist denn auch der deutlich reduzierte Pflegeaufwand: Nur noch 12 Minuten müssen pro Jahr und Quadratmeter für den Unterhalt aufgewendet werden; bei Mosaikpflanzungen eines klassischen Staudengartens rechnet man für dieselbe Fläche mit dem Fünffachen an Zeit. Die Unterhaltsarbeiten der in Wädenswil erforschten Pflanzenmischungen sind auf ein Minimum reduziert: Bewässern muss man nur während der Anwachsphase oder einer ausserordentlichen Trockenperiode. Im November werden die Stauden, mancherorts sogar maschinell, eine Handbreit über dem Boden abgeschnitten, und da die gewählten Stauden allesamt winterhart sind, entfällt auch ein Winterschutz. Im ersten Wachstumsjahr der Pflanzung ist aber vor allem im Frühjahr eine aufmerksame Pflegeleistung gefragt. Dann gilt es nämlich, die nicht gewollten spriessenden Blättchen des Unkrauts von denen zu unterscheiden, die sich weiterentwickeln sollen. Damit die Pflegefachleute hierfür den richtigen Blick gewinnen, bietet die Hochschule in Wädenswil Weiterbildungskurse an. Sie sind in gewisser Weise Teil des Pakets, für das sich Auftraggeber entscheiden. Denn: «Die gärtnerische Arbeit ist eine andere», meint Jean-Bernard Bächtiger. «Es geht nicht mehr nur um Sauberkeit in der Pflanzfl äche – die Gärtner müssen die einzelnen Pflanzen und ihr Wuchsverhalten kennen.» Die Gärtner entwickeln ihrerseits eine Eigenverantwortung für «ihre» Pflanzen, und das sieht man den Rabatten auch an. «Der Gärtner moderiert die Pflanzungen, er wehrt nicht mehr nur Veränderungen ab», so Bächtiger. Dadurch werden diePflegepersonen zu Fachleuten und auch als solche wahrgenommen: Passanten stellen ihnen immer wieder Fragen zu den einzelnen Pflanzenarten, klagen ihr Leid, wenn die Topfpflanze in der Stube serbelt, und holen sich Rat für den eigenen Garten.

Blumenwiese statt Rasen

Die Jahreszeiten in der Stadt erfahrbar zu machen und der Stadtbevölkerung einen direkten Kontakt zu Pflanzen zu ermöglichen ist für Bächtiger das Ziel hinter der Entwicklung der integrierten Pflanzsysteme, das Geldeinsparen ein willkommener Nebeneffekt. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn ein Kurs, den er in einem Primarschulhaus in Thalwil gab. Kinder, dazu befragt, was für sie Natur sei, nannten unter anderem den Rasen2 – eine botanisch und ökologisch verarmte Wuchsform. Bächtiger ist davon überzeugt, dass das Potenzial von Grünfl ächen im urbanen Raum bei weitem noch nicht ausgeschöpft ist, und möchte das Bild einer Blumenwiese wieder in das Bewusstsein der Menschen bringen.

[ Claudia Moll, Landschaftsarchitektin BSLA, Institut für Landschaftsarchitektur ETHZ ]

TEC21, Mo., 2008.03.17

17. März 2008 Claudia Moll

Naturbegegnung

Unsere Umwelt verstädtert. Der Nutzungsdruck auf die öffentlich zugänglichen Aussenräume steigt. Aber die neueren Schöpfungen der Landschaftsarchitektur zielen an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Auf allen Ebenen sind Anstrengungen nötig, um wieder mehr Begegnung mit der Natur zu ermöglichen.

Auf dem Ast eines Gummibaums sitzt ein Riesentukan und wirft sich Apfelwürfelchen in den Schnabel, eins nach dem anderen. Zwischen zwei Bissen äugt er auf den Schreibenden. Der hat sich mit dem Laptop auf eine ruhige Bank im Palmenhaus zurückgezogen und sinniert dort über das verlorene Paradies.

Designerparks

Die zeitgenössische Landschaftsarchitektur hat ein Problem. Sie baut zu oft Parks, die niemand will. «Designerparks» hat eine Zürcher Lokalzeitung diese Anlagen genannt und meint das als Schimpfwort. Kritisiert werden die «Kälte» und der «Beton». Das ist das normale Laienvokabular, wenn räumliche Leere, strenge Linienführung und eine reduzierte Pfl anzenpalette gemeint sind. Die Fachleute freuen sich an den strengen Entwürfen und halten sie für den Fortschritt; sie irren im Hinblick auf die Akzeptanz in der Bevölkerung. Die Anlagen stehen leer, werden verschmutzt und zerstört. Die Menschen fahren weit weg, um die Natur zu suchen. Es gibt bessere Ansätze, den Nutzern mehr zu bieten, aber noch sind sie vereinzelt. Die «Blumenberge» von Vogt Landschaftsarchitekten in St. Gallen oder der «MFO-Park» von Raderschall Landschaftsarchitekten sind sehr gute Beispiele.1 Parks und andere öffentliche Freiräume müssen zu wirklich genutzten Erholungsräumen werden. Dafür sind Anstrengungen aller Beteiligten nötig. Die Planenden müssen von überholten Vorstellungen betreffend entfl ochtene Funktionen abrücken und das Potenzial von überlagerten Nutzungen erkennen und planerisch ermöglichen. Die Verwaltungen müssen innovative Lösungen im Umgang mit bestehenden und neuen Anlagen fi nden, um deren Attraktivität langfristig zu erhalten. Die Landschaftsarchitektur muss von ihrer Fixiertheit auf modernistische Reduktion abrücken und sich wieder mehr ihrer Kernkompetenz, der Gestaltung mit Pfl anzen, zuwenden. Die Nutzer sollten zweierlei tun, erstens ihre Ansprüche lauthals geltend machen und zweitens die Anlagen respektvoll nutzen. Und die Politik muss einsehen, dass die Grenzen des Sparens dort erreicht sind, wo die neuen Anlagen ihre Funktion nicht mehr erfüllen. Attraktive Freiräume tragen wesentlich zur Lebensqualität bei, aber sie kosten Geld. Das Zentrum Urbaner Gartenbau in Wädenswil schafft Grundlagen, die unter den gegebenen – widrigen – Umständen zur Verbesserung der städtischen Freiräume beitragen. Dafür hat es den diesjährigen Schulthess-Gartenpreis erhalten (siehe Seite 20 ff). Sein Ansatz, trotz fehlenden Pfl egemitteln ansprechende Pfl anzungen für den öffentlichen Raum zu entwickeln, ist eine sehr gute Strategie. Im Folgenden werden zwei weitere Ansätze vorgestellt, wie Aussenräume attraktiver werden könnten: privatisierte Pärke und mehrfach genutzte Anlagen. Beide haben ihre Nachteile, können aber Denkanstösse liefern.

Privatistierte Pärke

Das Konzept ist einfach. Die Anlagen werden eingezäunt und privat oder von staatlich beauftragten Betreibergesellschaften unterhalten und vermarktet. Der Vorteil liegt in der Kostenkontrolle und der delegierten Verantwortung für die öffentliche Hand. Der Nachteil ist der, dass solche Anlagen nicht mehr als öffentliche Räume gelten können, weil in ihnen das Hausrecht des Betreibers gilt

Jardin Majorelle in Marrakesch
In der staubigen Stadt Marrakesch haben Yves Saint Laurent und Pierre Bergé den Garten des Malers Jacques Majorelle2 gekauft, saniert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Garten ist eine paradiesische Oase mit einer reichen Pfl anzenpalette, gegliedert in verschiedene Lebensbereiche wie Bambuswald oder Kakteenfeld. Die knapp fünf Hektaren grosse Anlage wird von 40 Gärtnern gepfl egt und sieht entsprechend kultiviert aus. Der Garten ist einer der wichtigsten touristischen Anziehungspunkte der Stadt; jährlich empfängt er etwa 600 000 Besucher! Selbstverständlich ist das nicht gratis. Der Eintritt beträgt 30 Dirham, was etwa Fr. 4.50 entspricht, eine unerschwinglich hohe Summe für die Einheimischen. Das ist denn auch der grosse Nachteil. Die Lehre, die sich daraus aber ziehen lässt: Wenn eine gärtnerische Anlage so anspruchsvoll und ansprechend ist, dass sie viele Besucher anzieht, lässt sie sich über Eintritte fi nanzieren. In einer Stadt könnte dieses Modell für besondere Höhepunkte der Gartenkunst durchaus geeignet sein.

Gärten der Welt in Berlin
Im äussersten Osten der Hauptstadt, zwischen den Grosssiedlungen Marzahn und Hellersdorf, wurde eine Fläche von 21 Hektaren eingezäunt und zu einem Park3 mit verschiedenen Ländergärten gemacht, dem Chinesischen, dem Japanischen, dem Orientalischen etc. Weitere sollen im Verlauf der Jahre dazukommen. Die nationalen Gärten wurden alle von renommierten Gartengestaltern des entsprechenden Landes entworfen. Die ganze Anlage wird minutiös gepfl egt. Auch dieser Garten kostet Eintritt. Dieser ist allerdings mit 2 Euro pro Eintritt erschwinglich. Mit einer Jahreskarte für 20 Euro wird er auch als Naherholungsraum für Anwohner bezahlbar. Der Nachteil ist, dass die Vorschriften in dem Park geradezu preussisch anmuten: Fast alles, ausser gemessenen Schrittes auf den Wegen spazieren, ist verboten. Und ein zweiter Nachteil sind die endlosen Warteschlangen, die sich an schönen Tagen vor der Kasse bilden. Aber das System funktioniert. Der Park ist ausgesprochen beliebt, selbst Einwohner, die ganz Berlin durchqueren müssen, frequentieren ihn häufi g dank seiner Grösse, den verschiedenen jahreszeitlichen Stimmungen und den Ländergärten, die traditionelle Gartenkultur auf hohem Niveau erlebbar machen.

Masoala-Halle des Zürcher Zoos
Die Anlage ist mehr Park als Zooteil. Die Pfl anzen dominieren und faszinieren. Wenn man einmal ein Tier zu Gesicht bekommt, ist das eher Zugabe. Als Erholungsraum funktioniert der Dschungel unter dem Plastikdach perfekt. Überwiegend endemische Pfl anzen der madagassischen Halbinsel Masoala sind zu einer dichten urwaldähnlichen Gemeinschaft gruppiert. Darin fi nden sich aber auch Hütten und Zäune, die an die im madagassischen Wald lebenden Menschen erinnern. Auch Nutzpfl anzen wie Zuckerrohr oder Vanille wachsen hier. Den Landschaftsarchitekten Kienast und Vogt4 ist es gelungen, in der 11 000 m² grossen Halle ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der Illusion, sich im Urwald zu befi nden, und der Brechung dieses Wunschdenkens. Im imposanten Zoo-Shop, wo das Merchandising zur Gewinnsteigerung des Zoos überhand nimmt, bricht die Illusion dann aber in sich zusammen. Wie beim Jardin Majorelle ist der grösste Nachteil auch hier der sehr hohe Eintrittspreis von 22 Franken, der einen häufi gen Besuch der Anlage ausschliesst.

Doppelt genutzte Anlage

Der zweite Ansatz macht sich bestehende Anlagen zu Nutze, deren Pfl ege und Unterhalt schon gesichert sind. Sie sind in aller Regel öffentlich zugänglich oder sollten es sein. Ein gutes Beispiel sind die botanischen Gärten, sie könnten für andere Anlagen Vorbildcharakter haben. Die Chance liegt in der besonderen Atmosphäre, die nicht allein für eine Parknutzung bestimmte Anlagen meist bieten. Ein Hindernis ist oft die überholte Vorstellung einer monofunktionalen Nutzung. Die Verstädterung und Verdichtung wird uns immer mehr dazu zwingen, Aussenräume mehrfach zu nutzen und Nutzungsüberlagerungen nicht nur nachträglich zu ermöglichen, sondern aktiv zu planen.

Gartenquartiere
Der abendliche Spaziergang durch ein Gartenquartier ist oft lohnender als der Aufenthalt in einem öffentlichen Park. Die meisten Baugesetze lassen keine überhohen Einfriedungen auf der Grundstücksgrenze zu. So gewähren fast alle Gärten nolens volens Einblick in ihr Inneres; vom grausig gemischten Grundsortiment bis zum kunstvoll gestalteten Themengarten mit absolut exklusiven Raritäten fi ndet sich alles. Und alles umsonst. Voraussetzung ist, dass die Strassen in diesen Quartieren ruhig genug sind, um fl anierend den Gärten ent - lang gehen zu können. Auch aus Schrebergartenkolonien liessen sich durchquerbare Gartenquartiere machen, wenn sie planerisch anders behandelt würden und die Kleingärtner verpfl ichtet wären, öffentliche Wege durch ihre eifersüchtig gehüteten Kolonien zuzulassen.[5]

Friedhöfe
Einer der schönsten Friedhöfe ist der Waldfriedhof von Schaffhausen. Die Anlage ist mit 17 Hektaren so weiträumig, dass sich zwischen den Gräberfeldern grosse bewaldete Partien mit weit geschwungenen Spazierwegen fi nden. Die Gräberfelder selbst stammen aus verschiedenen Epochen und sind entsprechend abwechslungsreich und interessant. Das Feld mit den Urnenstelen von 1972 zum Beispiel oder die Plastik von Hans Josephson sind Attraktionen, denen man auf einem Spaziergang begegnet. Bei neueren Friedhofanlagen fehlt dagegen meist die räumliche Grosszügigkeit, die sie auch zum Park macht. In Zürich ist der 1966 angelegte Friedhof Eichbühl von Fred Eicher6 ein Beispiel, wie dies aussehen und funktionieren kann. Und er liegt im Gegensatz zu den meisten neuen Friedhöfen nicht am fernen Stadtrand, sondern mitten in einem an Grünfl ächen armen Quartier. Entsprechend gut ist er frequentiert.

Felder und Wälder
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Felder und Wälder, die an die Stadt angrenzen, zu den beliebtesten Naherholungsräumen gehören. Entsprechend werden in Richtplänen die Belange der Erholungssuchenden höher gewichtet. So werden beispielsweise Spazierwege entlang von attraktiven Landschaftselementen geplant und quer über Felder zu Netzen verbunden, nicht immer zur Freude der Bauern. Hier muss das Zusammenleben noch geübt werden. Andere Bauern haben die Flucht nach vorn angetreten und informieren auf Tafeln am Wegrand über ihre Feldfrüchte und Wirtschaftsweisen, eine Art agronomischer Lehrpfad. Wer kann Gerste von Weizen und Raps von Kohl unterscheiden? In der Forstwirtschaft sind Nutzungskonfl ikte zwischen Holzproduktion, Jagd und Erholungssuche schon länger ein wichtiges Thema. Auch hier verstehen sich manche Stadtförstereien längst als Dienstleister am Erholung findenden Waldbesucher.

Naturbezug und Gartenkultur

Trotz diesen Möglichkeiten bleibt das Fazit: Öffentliche Parks sind in den Städten unentbehrlich. Sie ermöglichen Naturbezug und tragen zur Gartenkultur bei. Aber sie kosten Geld; und zwar nicht nur bei ihrer Anlage, sondern vor allem bei Pfl ege und Unterhalt. Das ist etwas, was sich Politik und Planung eingestehen müssen. Der Riesentukan, der so reizend mit seinem Essen spielt, lebt nicht im brasilianischen Regenwald, sondern im Palmenhaus der Stadtgärtnerei Zürich: geöffnet an 365 Tagen im Jahr, Eintritt frei.

TEC21, Mo., 2008.03.17

17. März 2008 Hansjörg Gadient

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