Editorial

Glas ist eine unterkühlte Flüssigkeit und trotzdem ein Festkörper. Es weist eine amorphe Struktur auf und ist aus verschiedenen Verbindungen zusammengesetzt, sodass keine eigentliche chemische Formel dafür existiert. Man kann seine Zusammensetzung nur annähernd definieren, indem seine Bestandteile in Bandbreiten angegeben werden: Siliciumdioxid 69 bis 74 %, Natriumoxid 12 bis 16 %, Calciumoxid 5 bis 12 %, Magnesiumoxid 0 bis 6 %, Aluminiumoxid 0 bis 3 %, andere Oxide und diverse Metallionen in kleinen Mengen. Daraus folgen variable Eigenschaften, die zum Experimentieren einladen. Physikalische, chemische und optische Eigenschaften wie Oberflächenhärte, Beständigkeit oder Färbung werden variiert. Wegen der vielen Bearbeitungs- und Formgebungsmöglichkeiten zeigt sich die Experimentierfreudigkeit auch in der Anwendung. Drei Fachartikel zeigen eine Auswahl experimenteller Einsätze des sich immer wieder neu definierenden Baumaterials.

Für ein Gourmetrestaurant im katalanischen Olot wurden Übernachtungspavillons aus Glas errichtet. Der erste Artikel geht auf die gläserne Struktur der unkonventionellen Räume ein. Die eigenwillige Architektur vermittelt den Anschein, sich in einem architektonischen Experiment zu bewegen. Die gläsernen Bauelemente stellen nicht mehr nur durchsichtige Trenn- oder Verbindungsflächen dar, vielmehr wird ihnen eine vielschichtigere Durchlässigkeit zugeordnet, die den Gast beeinflusst.

Ein Experiment zu Forschungszwecken sind die Entwicklungen und Unersuchungen für das Projekt aus Glas im zweiten Artikel. Die darin beschriebene Vollglasbrücke war Aufgabe zweier Diplomanden der HTA Luzern. Die Planer wiesen dem an sich spröden Material Glas eine tragende Funktion zu und erstellten das Tragwerk hauptsächlich daraus. Das Projekt erhielt auf diese Weise ungewöhnlich viel Transparenz. Der Blick wird durch die Tragelemente kaum unterbrochen, lediglich einige unterstützend wirkende Aussteifungen aus Stahl unterbrechen die Durchsichtigkeit. Für eine derartige Anwendung sind neue Bemessungskonzepte und Regeln der Baustatik erforderlich, sie wurden in diesem Experiment angewandt und analysiert.

Im dritten Artikel wird das Experiment vorgestellt, mit dem Einsatz einer gläsernen Fassade an einem Getränkemarkt den Verkauf der Flaschen zu fördern. Eine repräsentative Wirkung zu erzielen und etwas Exklusives aufzustellen, diesem Wunsch des Bauherrn mussten die Architekten des Getränkemarktes gerecht werden. Um dieses Anliegen umzusetzen, verwendeten die Planer Profilbaugläser, die das Gebäude nicht nur einhüllen, sondern auch optisch gestalten. Dadurch soll sich der Gewerbebau von anderen Bauten mit gleicher Funktion architektonisch abheben und mehr Kundschaft mobilisieren. Man darf gespannt darauf sein, ob dieses zugewiesene Ziel erreicht wird. Überhaupt wird die künftige Nachfrage nach allen drei Anwendungen zeigen, ob diese und ähnliche Projekte bloss auf gläsernen Füssen stehen oder ihre Rechtfertigung in ihrer zugewiesenen Funktion finden und in der Bauwirtschaft Fuss fassen.
Clementine van Rooden

Inhalt

Wettbewerbe
Primarschulzentrum Laufen

Magazin
Mehr Glas als vermutet | Daniel Liebeskind: Laubhütte aus Glas | HdM: Gläserne Gletscherspalte | Wechsel in der Chefredaktion von TEC21 | Baufachfrauen in den Zürcher Zünften

Durchlässig
Sandy Brunner | Die als Nachtlager konzipierten gläsernen Pavillons von Olot stellen eine eigenwillige Architektur dar. Deren Wahrnehmung wird dabei von der Dauer des Aufenthaltes beeinflusst.

Tragfähig
Daniel Meyer, Michael Preindl, Riccardo Dorn | Glas dient nicht mehr nur als durchsichtige Raumtrennung, es übernimmt tragende Funktionen. Zwei Diplomanden der MTA Luzern setzten dies bei einer Vollglasbrücke um.

Einhüllend
Clementine van Rooden | Profilbaugläser hüllen den neuen Getränkemarkt in Baar ein. Der Klassiker unter den Fassadensystemen gibt dem Innenraum viel Helligkeit.

SIA
Treffen mit chinesischen Architekten | Fak­ten der Bauphysik | Brandschutz-Doku­mentation | Forum e-geo.ch | 2000-Watt-Gesellschaft | Schallschutz beim Fenster | Preis für Jean-Claude Badoux

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Durchlässig

Die Gästepavillons des Gourmetrestaurants «Les Cols» im katalanischen Städtchen Olot (Provinz Girona) sind ein ungewöhnliches Übernachtungslager. Die fünf zu einem gläsernen Labyrinth zusammengefügten Einheiten bieten den Gästen die Möglichkeit, nach dem Essen die Nacht im Gemüsegarten zu verbringen. Seit zwei Jahren nehmen die Restaurantbesucher dieses Angebot wahr und lassen sich während des Verbleibs im Nachtlager beeindrucken, inspirieren und faszinieren – aber auch irritieren oder gar verängstigen und abschrecken. Mit den Stunden, die der Besucher in dieser Architektur verbringt, entdeckt er einen ungewöhnlichen Austausch mit dem Ort.

Das Bauland für die Gästepavillons gehörte ursprünglich zum Nutzgarten eines alten katalanischen Bauernhauses. In dieses hatten die Architekten Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramón Vilalta im Jahre 2002 das Gourmetrestaurant «Les Cols» eingebaut. Nachdem das Restaurant seinen Betrieb aufgenommen hatte, entstand der Wunsch, den Gästen ein Nachtlager anzubieten. Die Bauaufgabe wurde wieder denselben Architekten anvertraut. Bei der konzeptionellen Planung liessen sich die Entwerfer – ebenso wie die Küche des Gourmetrestaurants – vom Gemüsegarten des Bauernhofes inspirieren. Wie die kunstvoll zubereiteten Speisen, die den Gast direkt zum Urgeschmack der lokalen Produkte zurückführen, kommt beim Aufenthalt in einem der fünf gläsernen Gästepavillons die Illusion einer Übernachtung unter freiem Himmel auf – ohne konventionelle optische Raumabgrenzungen, aber dennoch geborgen in der Schönheit der Natur. Sowohl die Pavillons als auch die dazwischenliegenden Korridore sind leicht vom Boden abgehoben. Sie bilden ein orthogonales, gläsernes Labyrinth, dessen Grundrissdisposition von den parallel angelegten, mit Hecken abgegrenzten Gemüsebeeten des ursprünglichen Nutzgartens inspiriert ist.

Ausflug in eine künstliche Natürlichkeit

Durch einen unscheinbaren Schlitz im alten Gemäuer des Wirtschaftsgebäudes betreten die Gäste in Begleitung der Hotelbesitzerin den Gästetrakt. Dabei gelangen sie in einen dunklen, kühlen und hohen Raum, der nur durch ein altes Gebälk überdeckt ist. Schwarzer Vulkansand knistert unter den Füssen; der grobe Verputz der Wände schimmert grau, weil er ebenfalls mit dunklem Vulkansand durchmischt ist. Auf einem schwarzen Tresen brennen ein paar Kerzen und beleuchten grüne Kohlköpfe – jene Cols, die dem alten Bauernhof seinen Namen gegeben haben. Die Dunkelheit lässt den Gast zur Ruhe kommen. In diesem Moment lässt er den Koffer samt Alltagssorgen auf dem schwarzen Vulkansand stehen. Ein weiterer Schlitz auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes führt hinaus in den Park, wo sich der Gästebereich befindet. Über den weichen, schwarzen Vulkankiesweg geht man an einem Schilfrohrwald aus dunkelgrünblau lackierten Stahlrohren vorbei und kommt zu Stegen aus Edelstahlgitter, die den Besucher an Hecken aus grünblauen, transluzenten Glaslamellen entlangleiten. Diese gläsernen Hecken bilden die Fassade der einzelnen Pavillons; sie ermöglichen zwar Ein- und Ausblicke, aber stets so, dass die Privatsphäre nicht gestört wird. Die Eingangstüren aus blaugrün laminiertem Glas fügen sich in den linearen Glaslamellenvorhang ein. Jeder Pavillon besteht aus einem vollklimatisierten Glaskubus mit Zimmer und Bad, der von zwei privaten Höfen flankiert wird. Wände und Boden des zentralen Kubus bestehen aus fast fugenlosen, transparenten Glasscheiben. Die begehbare Glasfläche ist mit Sand leicht aufgeraut, um die Rutschfestigkeit zu verbessern. Darunter scheint ein Lavastrom hindurchzufliessen. Der mit schwarzem Asphalt bestrichene Betonboden erinnert an den vulkanischen Ursprung der Region; damit er glänzt und leicht spiegelt, wird er regelmässig bewässert. Einziges Möbelstück im Zimmer ist ein gepolsterter, mit Segelstoff bespannter und metallisch lackierter Quader. Tagsüber dient er als Sitzfläche und als Tisch, für die Nacht wird er zur Schlafstätte umgewandelt. Minibar, Ablagefläche und Hängeschrank sind beim Durchgang vom Zimmer ins Bad in die Gebäudehülle integriert. Dort befindet sich auch der Touchscreen für die Kontrolle der diskreten Beleuchtung, der Sonnenschutzrouleaus und des Klimas.

Das Bad besteht komplett aus glänzenden und spiegelnden Oberflächen aus Glas, lackiertem Stahl und Wasser. Im Waschbecken aus glänzend grün lackiertem Stahl generieren Bewegungssensoren einen Wasserfluss; die Duschwanne – ein quadratisches Kiesbett – ist ständig mit ein wenig Wasser gefüllt. Als präzises Spiegelbild der Dusche ist auch der quadratische Badetrog mit schwarzen Kieseln ausgelegt und mit kontrolliert temperiertem Wasser gefüllt, das laufend erneuert wird, um Algenbildung zu verhindern. Das ständige Rauschen des Wassers und die schwarzen Kiesel vermitteln das Gefühl, sich in einem Waldbach zu waschen. In den grün schimmernden Oberflächen des metallisch lackierten Stahls, den Glaswänden und den Wasserflächen spiegelt sich der Raum und scheint sich bis ins Unendliche zu vervielfachen.

Materialisierung

Das Tragwerk der Gebäudekörper besteht aus Stahlrahmen. Sie stehen auf Stahlstelzen, die in Betonfundamente eingespannt sind. In diese grünmetallisch lackierten Stahlrahmen fügen sich transparente Glasplatten ein und schliessen die klimatisierten Räume der Gäs­tepavillons ab. Die vertikalen Glasschichtungen der transparenten Gebäudehülle über­lagern sich mit dem grünlich schimmernden, drei Meter hohen Vorhang aus drehbaren Glaslamellen. Das Glas dieses Lamellenvorhangs ist leicht texturiert und grün laminiert. Dadurch bekommt die gläserne Hecke eine opake, aber dennoch reflektierende Tiefe. Je nach Lichteinfall taucht die Anlage in eine grünliche, bläuliche oder gar violette Farbstimmung. Die Entwicklung der Pavillons wurde zum systematischen Erforschen der technischen Möglichkeiten des Glases als architektonisches Element – von der rauen, getrübten Oberfläche bis zum komplett glatten und transparenten Glas.

Dematerialisierung

Durch die Präsenz des Glases und des Wassers scheint sich der Innenraum aufzulösen, zum Himmel zu öffnen. Obwohl der Gast sich in einer künstlich gebauten Welt befindet, bekommt er das Gefühl, umgeben von den Geräuschen des Waldes in einer Lichtung zu schlafen. Das Wasser plätschert im Bad und der Wind weht durch die Bäume des Parks. Das Raumgefühl löst sich auf, Innen und Aussen fliessen ineinander über: Der Gast fühlt sich der Natur ausgesetzt, gleichzeitig ist er aber sich selbst und seiner gläsernen Welt überlassen. Die optische Aufhebung der Raumgrenzen vermittelt Unsicherheit, die Wahrnehmung der Natur hingegen Geborgenheit. Dabei wird die eigenwillige Glasarchitektur sehr unterschiedlich wahrgenommen. Vor allem ältere Gäste, die Ruhe suchen, fühlen sich im ersten Moment verunsichert. Mit der Zeit kommt jedoch in der neuen Umgebung ein Wohlbefinden auf – spätestens, wenn sich frühmorgens der Sonnenaufgang im Glas spiegelt. Experimentierfreudige Gäste kommen schneller mit der ungewöhnlichen Umgebung zurecht, doch dafür verschlafen sie vielleicht den Sonnenaufgang. In jedem Fall aber werden konventionelle Raumvorstellungen aufgehoben und durch eine Reise in eine neue, künstliche Natürlichkeit ersetzt. Dabei erfährt man nicht nur eine Vielfalt an sinnlichen Eindrücken, sondern wird sich auch der Veränderungen bewusst, denen die eigene Wahrnehmung von Architektur im Verlauf der Zeit unterworfen ist.

[ Sandy Brunner, dipl. Architektin ETH Zürich, selbstständige Architektin in Barcelona ]

TEC21, Mo., 2007.10.29

29. Oktober 2007 Sandy Brunner



verknüpfte Bauwerke
Hotelpavillons »Les Cols«

Tragfähig

Die Nachfrage und die Forderung nach mehr Transparenz bei Bauprojekten steigen von Jahr zu Jahr. Isolierglasfenster nehmen beeindruckend grosse Abmessungen an, vollflächig aus Glas verkleidete Doppelhautfassaden öffnen die Sicht auf das Innenleben eines Gebäudes und präsentieren dessen Tragkonstruktion. Sichtverdeckend störende Pfosten und Balken werden durch transparente Glasschwerter ersetzt. Glas dient nicht mehr nur als durchsichtige Raumtrennung, es übernimmt tragende Funktionen. Das Kompetenzzentrum Fassaden- und Metallbau an der Hochschule für Technik und Architektur in Horw beschäftigt sich seit längerem intensiv mit dem Thema des tragenden Glases. Dabei stehen vor allem die Erforschung der Trag- und Konstruktionsweisen im Vordergrund.

Zwei Bauingenieurstudenten der HTA Luzern, Michael Preindl und Riccardo Dorn, liessen sich von der steigenden Nachfrage nach dem transparenten Baumaterial inspirieren und untersuchten in ihrer Diplomarbeit den Entwurf, die Bemessung und die Konstruktion ­einer Fussgänger- und Radwegbrücke aus Glas. Das spröde Material als Ersatz für den duktilen Baustahl, das biegsame Holz oder den massiven Stahlbeton einzusetzen scheint widersprüchlich. Sie haben aber eine Lösung für die Konstruktion gefunden.

Die grobe Geometrie mit einer Spannweite von 8 m und einer begehbaren Wegbreite von 1.5 m war in der Aufgabenstellung der Diplomarbeit festgelegt. Mit dieser Forderung zwang man die Studenten zum Entwurf einer Trägerkonstruktion aus mehreren Glaselementen, denn die industrielle Herstellung von Flachglas beschränkt sich derzeit noch auf eine maximale Scheibendimension von 6x3 m. Gesucht war ein geeignetes System, das durch gelenkige oder steife, durch geklebte oder punktgehaltene Verbindungen einen Brückenträger für den betreffenden Geländeeinschnitt zusammenfügt. Als zusätzlich herausforderndes Ziel dieser Arbeit stellte sich die durch Sponsoren ermöglichte Realisation dar.

Verflechten von Architektur und Technik

Während eines kurzen Vorprojekts wurden erste Querschnitte durch Vordimensionieren bestimmt und als grobe Struktur der Brücke in einem Entwurf festgehalten. Das Projekt sollte auch ästhetischen Anforderungen genügen. Im Dialog mit Kollegen und Kolleginnen aus dem Architekturstudium und mit dem renommierten Brückenarchitekten Eduard Imhof verflocht sich das ingenieurhafte Geschick mit der architektonischen Kunst. Mit einfachen Mitteln und unkomplizierten Bauteilen passte sich der Entwurf des Projekts einer modernen und zeitgemässen Architektur an. Die Gestaltung der Brückenträger ergab sich aus dem statischen Konzept der primären Tragstruktur. Die Bauingenieure gingen dabei auf ein visuelles Spiel mit dem Kraftfluss ein, das seinen Ursprung im Tragwerkskonzept hat und sich in der Tragstruktur zeigt. Durch Überlagerung der Trägerquerschnitte passte sich die Brückenstruktur dem Biegemomentenverlauf eines einfachen Balkens an. Dem Betrachter wird so die Momentenlinie des Trägers sichtbar gemacht.
Im Auflagerbereich schaffen Aussparungen einen fliessenden Übergang von der Glasbrücke ins Betonfundament. Eine geringe Steigung der Glasbrücke von weniger als 6% aus dem Fundament hinaus deutet auf die Überhöhung des Brückenbogens hin – eine kleine Massnahme, die eine grosse Wirkung erzielt und die Bogenform ästhetisch leicht und nicht durchhängend erscheinen lässt.

Krafteinleitungszonen sind die Herausforderung

Um die entworfene Balkenbrücke baustatisch zu bemessen und zu dimensionieren, ­mussten keine anspruchsvollen Systeme gelöst werden. Vielmehr galt es, die Bereiche der Krafteinleitung genauer zu untersuchen. Spannungskonzentrationen können vom spröden Material Glas nicht abgebaut und müssen verhindert werden. Die Diplomanden trennten darum die Krafteinleitungszonen, in denen Glas auf Glas oder Glas auf Stahl trifft, konstruktiv voneinander. Das Material der Zwischenschichten musste dabei genügend elastisch sein, um keine Spannungsspitzen im Glas zu erzeugen, und eine entsprechende Steifigkeit aufweisen, damit es sich nicht stark verformt. Die punktförmige Bolzenverbindung zwischen den einzelnen Glasschwertern der Primärträger zeigte eine ebensolche Schwachstelle auf. Durch eine eigens für dieses Projekt angefertigte zentrierbare Minischalung wurde eine Polyoximethylen-Hülse (POM) im Bohrloch ausgerichtet und mit einem schnell abbindenden Injektionsmörtel (Hilti Hit 50) ausgegossen. Die POM-Hülse verhindert den Kontakt zwischen dem spröden Glas und dem duktilen Stahl. Zusätzlich lässt sie Verdrehungen um die eigene Achse zu und garantiert die Freiheit der statisch bedingten Trägerbewegungen, sodass Zwängungen und unerwünschte Eigenspannungen verhindert werden. Der Injektionsmörtel gleicht einen allfälligen Versatz im Verbundglas aus und stellt eine korrekte und gleichmässige Krafteinleitung in beide Scheiben sicher. Spannungsspitzen werden durch diese Zwischenlagenkonstruktion gedämpft und unter einem zulässigen Wert gehalten.

Tragende Bauteile aus Glas

Die drei Scheiben, aus denen jeweils ein Träger zusammengefügt wird, bestehen aus Verbundsicherheitsgläsern (VSG). Sie setzen sich aus zwei 15mm dicken Einscheibensicherheitsgläsern (ESG) mit einer 1.52mm starken Polyvinylbutyral-Folie zusammen (Kurzbezeichnung: VSG aus ESG 15 mm/PVB 1.52mm/ESG 15mm). Diese Glasschwerter wurden vorgängig auf einem Traggerüst mit den horizontal verbindenden Vollstahlstreben (RND40 S235) und den aussteifenden, korrosionsbeständigen Winderverbänden (Spiralseile d=10mm) zur Trägerkonstruktion zusammengefügt. Mittels Kranbahn hob man die vorgefertigte Konstruktion an und legte sie in die Betonauflager. Die gläsernen Primärträger liegen in der Auflagerkonsole auf einer EPDM-Bettung (Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk bzw. Neopren) auf. Dadurch wird auch hier ein flächiger Krafteintrag geschaffen, und damit werden zu hohe Spannungskonzentrationen im Glasquerschnitt verhindert.

Auf den Primärträgern liegen die 1.50 x 2.05 m grossen Glasplatten des Gehweges. Es kommen Verbundsicherheitsgläser zum Einsatz, die aus zwei 15mm dicken Floatgläsern bestehen und eine 1.52mm dicke PVB-Folie einklemmen. Die Platten bieten eine nur geringe Rutschsicherheit. Da das Projekt jedoch ein Experiment war, bei dem möglichst viel Transparenz erzielt werden sollte, wurde auf eine Ätzung oder spezielle Folienbeschichtung verzichtet. Die Glasplatten sind durch Ultraviolett-resistente Auflagerstreifen aus Polyethylen von der Trägeroberkante getrennt und nur mit Silikon seitlich verklebt. Dadurch wird ein horizontales Weggleiten der Gehwegplatten verhindert. Zusammen mit der Unterstützung der aussteifenden Windverbände unterhalb der Gehwegplatte gewährleisten die Silikonverklebungen die seitliche Aussteifung der Glasbrücke.

Um die komplexen Berechnungen für die Krafteinleitung und das Kippen durchzuführen, behalfen sich die Diplomanden mit einem Finite- Elemente-Programm. Das statische System wurde mit Schalenelementen modelliert, und die Eigenschaften der Trenn- oder Auflagerschichten wurden mit Federelementen simuliert. Die verschiedenen Bereiche der Krafteinleitung, aber auch alle Tragsicherheits- und Gebrauchtauglichkeitsnachweise am gesamten statischen System konnten auf diese Weise untersucht werden.
Neben den üblichen Nachweisen wurde auch die seitliche Aussteifung durch Verkleben der Gehplatten an der Trägeroberkante untersucht. Die Verklebung modellierten die Tragwerksplaner mit Liniengelenken und Federelementen, denen man die gleichen Eigenschaften wie Silikon zuordnete. Schwierig gestaltete sich jedoch die Auswertung dieser Ergebnisse, und die Frage nach einer genügenden seitlichen Steifigkeit konnte nicht abschliessend, beantwortet werden. Eine Kontrolle des Durchbiegungsverhaltens bestätigte aber die erwarteten Verformungen und Verdrehungen der eingesetzten Gelenke und Federelemente.

Schlankheit birgt Schwingungsprobleme

Diese Fussgängerbrücke ist als schlanke Konstruktion ausgeführt. Solche Konstruktionen neigen infolge ihrer geringen Steifigkeit zu Schwingungsanfälligkeit. Damit die Glasbrücke bei Fussgängerverkehr nicht aufzuschaukeln droht, wurden die Phänomene der personeninduzierten Schwingungen mit einer mathematischen Analyse der Eigenwerte untersucht. Es erfolgte ein direkter Vergleich der Eigenfrequenz der Brücke mit der Frequenz gehender oder hüpfender Personen, die aus Feldversuchen ermittelt wurde. Durch einfache Berechnungen konnte ein allfälliges Resonanzproblem ausgeschlossen werden. Da die Eigenfrequenz der Fussgängerbrücke aber in einem schwingungsanfälligen Bereich zwischen ein bis vier Hertz liegt, besteht die Gefahr, dass die schwingungsbedingte Beschleunigung zu hohe Werte erreicht. Das subjektive Empfinden eines Passanten würde die erhöhte Beschleunigung als störend registrieren und unangenehm empfinden. Eine detaillierte Schwingungsanalyse zeigte aber, dass die Beschleunigungsamplituden auf einem für die Allgemeinheit akzeptablem Niveau bleiben. Ausserdem bestätigen die effektiven Begehungen der Fuss- und Radwegbrücke die theoretischen Berechnungen – man spürt zwar die Beschleunigungen der Schwingungen, doch nur in einem äusserst geringen Mass.

[ Daniel Meyer, dipl. Bauingenieur ETH SIA SWB, Leiter des CC Fassaden- und Metallbau und Dozent an der HTA Luzern; Michael Preindl, dipl. Bauingenieur FH, Assistent HTA Luzern; Riccardo Dorn, dipl. Bauingenieur FH bei Dr. Lüchinger und Meyer Bauingenieur AG ]

TEC21, Fr., 2007.10.19

19. Oktober 2007 Daniel Meyer, Michael Preindl, Riccardo Dorn

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