Editorial

«Erst als Benedikt Loderer den Stadtrat böswillig bezichtigte, er mache Drecksgeschäfte, begann der Ärger», so spricht Kathrin Martelli, Städträtin von Zürich, in einem Interview des ‹Tages-Anzeiger› zum Kongresshaus. Mit Verlaub, Frau Stadträtin: Benedikt Loderer «bezichtigte» nichts. Er schrieb städtebauliche und architektonische Kritiken, und er wies zusammen mit dem Komitee prokongresshaus nach, wo Zürich sein Kongresshaus bauen soll. In dieser Ausgabe schlägt er einen neuen Ort vor: mit Seeanstoss, in der Nähe eines Bahnhofs. Er sprach mit dem Grundeigentümer, er präsentiert Skizzen der Machbarkeit. Lesen Sie, liebe Frau Martelli, die Lösung auf Seite 58.

Streitbaren Städtebau stellt Ivo Bösch auch in der aktuellen Ausgabe von hochparterre.wettbewerbe vor: In Köniz wurden 15 junge Büros zu einem Wettbewerb auf fünf Baufeldern eingeladen. Die Siegerprojekte jedes Feldes werden nun nebeneinander aufgereiht. So soll Städtebau für Investoren und Agglomerationstheoretiker attraktiv werden. Ausserdem berichtet das Heft über:

--› Neubau Zentrum für Baukultur, Villa Patumbah in Zürich
--› Seeufergestaltung in Yverdon
--› Um- und Neubau-ten im Weinbergli in Luzern
--› Wohnen in der Bächtelen in Köniz
--› Erweiterung der Kantonsschule in Heerbrugg
--› Friedhof in Erlenbach

Wer hochparterre.wettbewerbe möchte, findet den Talon auf Seite 48, wo auch ein Kommentar zum Städtebau im ‹urban sprawl› von Köniz zu lesen ist.

Hochparterre gibt seinen Abonnentinnen und Abonnenten Sonderhefte mit. Mit dieser Ausgabe eines über Licht, Technik und Stimmung und eines über das Wohnen im Alter – einen Bericht des Wettbewerbs der Age Stiftung. Also: sofort an verlag@hochparterre.ch schreiben oder den Coupon auf Seite 16 ausfüllen und einschicken. GA

Inhalt

In eigener Sache
07 Hochparterre Bücher: Ein Laden wird eröffnet

08 Funde
11 Stadtwanderer: Die Anhandgabe
13 Jakobsnotizen: Land- und Wissenschaft
16 Impressum

Titelgeschichte
20 Möbelland Schweiz: Eine Auslegeordnung mit Poster

Brennpunkte
30 Gigon / Guyer in Holland: Häuserschau in Almere
38 Genf: Adieu Institut d’Architecture
42 Zürich: Der Turmbau zu Affoltern
48 Wettbewerb: Zerkleinern für die Grossform
52 Design: Die Balance zwischen Luft und Drachen
58 Kongresshaus Zürich: Standort Nummer vier
62 Sarnen: Noblesse im Rathaus
70 Interview Norbert Bolz: Trendforscher und Bang-Designer
72 Genf: Eine Stadt erwacht

Leute
78 Drei Helden treten ab: Ein Apéro im Atelier 5 in Bern

Bücher
80 Vogts Auslage, Burkhard Meyer, Eisenmann, Denkmäler

Siebensachen
82 Anziehend: Ein Stuhl, Sportschuhe und ein Mantel

Fin de Chantier
86 Viel Holz und wenig Lärm, farbig und metropolitisch

An der Barkante
95 Mit Stefan Zwicky, Erfinder der ‹Neuen Räume›, in Zürich

Der Turmbau zu Affoltern

Wieder baut Zürich einen neuen Stadtteil: in Affoltern, hinter dem Hönggerberg. Auf dem Landstrich ‹Ruggächern› werden 1000 Wohnungen hochgezogen. Aber eine städtebauliche Idee für das Areal fehlt. Das Pla-nungsinstrument heisst hier Arealüberbauung, das Zepter führt der Immobilienmarkt. Statt eines durchdachten Quartiers entsteht darum eine Reihe Grossblocks.

Zürich platzt aus allen Nähten. Darum wird gebaut, wo es noch Platz hat. Zum Beispiel in Affoltern hinter dem Hönggerberg. In diesem Aussenquartier sei, rechnete die Stadt Anfang 2000 aus, noch Platz für 10 000 Einwohner oder 3500 Wohnungen. Die Mehrzahl davon sind schon gebaut oder bewilligt. Eindrücklich zeigt die Karte aller Projekte, was im Rücken der Stadt entsteht. Eindrücklich ist für die Besucherin aus der Innenstadt auch, in Affoltern aus der S-Bahn zu steigen und vor einem Feld neuer Backsteinblöcke zu stehen. Die Siedlung der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich ABZ (HP 6-7/2007) macht den Auftakt zum Areal ‹Ruggächern›. Auf dem über einen Kilometer langen Landstrich sollen 1000 Wohnungen gebaut werden. Im Süden trennt die Bahnlinie das Areal vom Quartier ab, im Norden rauscht die Autobahn A1 vorbei. Sieht man über beides hinweg und unter einigen Fliegern hindurch, schweift der Blick über Dorf, Feld, Wald. Überzeugte Agglomeriten würden sagen, man wohne hier im Grünen.

Affoltern, ein Rückschritt

Wohnen im Grünen? Dazu ist es zu spät. Gebaut werden auf dem ‹Ruggächern› Grossblocks, die beziehungslos hin-ter- und nebeneinanderstehen. Ausser Kinderkrippen sind für die gut 3000 Bewohnerinnen und Bewohner keine Dienstleistungs- oder Gewerberäume geplant. Einzig ein – noch leeres – Schulhausareal und drei Parks sorgen für öffentlichen Raum. Im Stadtmodell, wo das neue Viertel zu besichtigen steht, erinnert es an Satellitenstädte des letzten Jahrhunderts. Ein Rückschritt in Zürich, das seinen Städtebau in dicken Büchern feiert.

Begonnen hat alles wie gewohnt. Die 150 000 Quadratmeter – etwa 20 Fussballplätze – waren auf ein gutes Dutzend Parzellen und zehn Grundeigentümer verteilt, darunterfi die Stadt. Die Generalunternehmung Allreal besass die grösste Parzelle beim Bahnhof Affoltern und wollte Ende der Neunzigerjahre bauen. Die Stadt reagierte und brachte die Grundeigentümer dazu, einen Quartierplan auszuar-beiten. Die Architekten Marco Graber, Thomas Pulver und Regula Iseli gewannen 2000 den Studienauftrag dafür. Ins Team holten sie Landschaftsarchitekt Guido Hager, der später den Studienauftrag für die öffentlichen Räume gewann. Graber, Pulver und Iseli begradigten die Grundstücke zu parallelen Parzellen und zogen Strassen ein. Das den Besitzern für Freiflächen abgerungene Land verteilten sie auf drei Parks entlang der Bahnlinie. Sie zeigten auch, wie das ‹Ruggächern›, gemäss Bau- und Zonenordnung BZO in der Zone W3, mit 90 Prozent Ausnützung und dreigeschossigen Häusern bebaut werden könnte.

Aber ein Quartierplan regelt Erschliessung und Freiflächen, nicht die Bebauung. Diese wollte man über die Arealüberbauung steuern. Jenes Planungsinstrument also, das eine höhere Ausnützung gestattet als in der BZO vorgesehen, sofern eine Parzelle mindestens 6000 Quadratmeter gross ist und das Bauprojekt erhöhte architektoni-sche Ansprüche erfüllt. Dafür muss die Bauherrschaft ei-nen Wettbewerb durchführen oder das Projekt dem Baukollegium – eine Art städtischer Gestaltungsbeirat – vorlegen. Überzeugt das Projekt, gewährt die Stadt Zürich 10 Prozent mehr Ausnützung. Dies erhöht den Wert eines Grundstücks drastisch. Trotzdem verzichtete die Stadt auf einen Gestaltungsplan, um Bauregeln für alle festzulegen, etwa die maximale Gebäudehöhe. «Wir wussten, dass wir dank der Arealüberbauung die Qualität der Projekte würden kontrollieren können, entweder über die Konkurrenzverfahren oder die Begleitung durch das Baukollegium», erklärt Peter Noser, Leiter Stadtplanung im Amt für Städtebau. Der am Quartierplan beteiligte Architekt Thomas Pulver ergänzt: «Nicht alle Grundeigentümer dachten ans Bauen. Druck auf den Boden war nicht spürbar, ausser auf der Parzelle am Bahnhof. Zudem war die Festlegung der Bebauung im Rahmen des Quartierplans ausgeschlossen. Dazu hätte es einen Gestaltungsplan gebraucht. Aber vielleicht war es naiv zu glauben, dass ohne Steuerung freiwillig auf Ausnützung verzichtet wird.»

Schnell und viel

Tatsächlich geriet das ‹Ruggächern› bald in den Strudel des Immobilienmarkts. 2006 waren mit einer Ausnahme auf allen Parzellen Bauprojekte bewilligt sowie links und rechts die Grosssiedlungen der Beamtenversicherungskasse BVK des Kantons Zürich und des Unternehmers Leopold Bachmann im Bau. Niemand hatte mit diesem Tempo gerechnet. «Der Druck auf Grundstücke in Zürich ist enorm, so gross wie nirgends in der Schweiz», sagt Jürg Gros-senbacher, Projektentwickler bei der Implenia, die in Affoltern 400 Wohnungen baut. «Darum sind auch am Stadt-rand die Bodenpreise explodiert.» Warten – das könne sich niemand leisten. Wenn ein Investor ein Grundstück kaufe und darauf plane, müsse er so schnell wie möglich bauen – und so viel wie möglich.

«‹Ruggächern› wird nach den Gesetzen des Markts abgefüllt», sagt Grossenbacher. Landpreis und Mieten kann ein Investor nur gering beeinflussen – in Affoltern werden tiefere Mieten als in den Innenquartieren bezahlt –, also muss er möglichst viele Wohnungen bauen. «Um die Überbauung zu kont-rollieren, hätte die Stadt mehr bauliche Vorgaben ma-chen müssen für dieses grosse Gebiet», kritisiert Jürg Grossenbacher.Immerhin bauen hier auch drei Genossenschaften. Sie erhalten günstigen Boden von der Stadt, müssen keine Ren-dite herausholen, die Ausnützung also nicht ausreizen und können schliesslich qualitativ besser bauen. Anders die BVK: Die Anlage von Pensionskassengeldern muss laut Gesetz Höchstrenditen bringen. So knechtet das öffentliche Kapital die Bauwirtschaft und die letzten in der Reihe: die Mieterinnen und Mieter.

Vielfalt der Wohnarten verarmt

Zurück zur Arealüberbauung. Dank des Ausnützungsbonus von 10 Prozent pro Geschoss kann in der Zone W3 die Ausnützung von 90 Prozent auf 130 Prozent und die Zahl der Vollgeschosse von drei auf sieben erhöht werden; das Dachgeschoss muss angerechnet werden. Dies führt auf dem ‹Ruggächern› dazu, dass die meisten Bauten ein Erdgeschoss, sechs Obergeschosse und ein Dachgeschoss aufweisen. Sie werden also bis zu acht Geschosse hoch statt der in der BZO vorgesehenen drei.

Man muss sich fragen, ob die Arealüberbauung überhaupt die richtige Bebauung für den Stadtrand ist. Denn sie bedeutet Dichte und Höhe auch dort, wo es ringsherum lockerer und niedriger ist. Doch für Stadtplaner Peter Noser ist klar: «Gerade hier wollen wir dicht und konzentriert bauen. Für mich sind diese Siedlungen im Quartier Rugg-ächer eine Art Stadtmauer, eine klar lesbare Grenze zwischen Stadt und Land». Aber die krasse Erhöhung von drei auf acht Geschosse ist städtebaulich weder gesteuert noch kontrolliert. Sie ist eine Folge von Gesetz und Markt. Eine städtebauliche Idee für das ‹Ruggächern› fehlt. Die Arealüberbauungen sind Einzellösungen und viele Projektwettbewerbe machen noch keinen Städtebau. Warum pochte die Stadt nicht auf einen Gestaltungsplan? «Das wäre hier kaum mehr gegangen», antwortet Stadtplaner Peter Noser. «Die Grundeigentümer zu überzeugen, nach zwei Studienaufträgen und dem Prozedere des Quartierplans, also nach einem fünfjährigen Planungsprozess, nochmals ein Verfah-ren durchzuführen – das ist unter dem enormen Druck des Marktes sehr schwierig.»

Schwierig, aber nicht unmöglich. Wie die Planung des Berner Quartiers Brünnen beweist: Dort legten Stadt und Grundeigentümer in langen Verhandlungen Baufluchten und Gebäudehöhen fest (HP 11/06). Auf dem ‹Ruggächern› war der Druck der Investoren stärker und der Einfluss der Stadtplaner schwächer. Zur Dynamik des Markts hinzu kommt die gegenwärtige Begeisterung für Dichte, der auch die Architekten erliegen. Kaum jemand hinterfragt die aufgeflammte Mode der Mega-Blocks, es findet keine Diskussion darüber statt. Die Mehrheit der viel zitierten 10 000 Wohnungen, die Zürich in den letzten Jahren versprach und auch baute, sind Geschosswohnungen. Kleine Haustypen wie Reiheneinfamilienhäuser entstanden nur wenige. Die Folgen: Die Vielfalt der Wohnarten verarmt. Gerade auf einem Teil des ‹Ruggächern› wäre eine Gartenstadt vorstellbar gewesen, also Häuser und Wohnungen mit direktem Zugang zum Boden.

Das Amt für Städtebau hat die Bebauung des Areals aufgegleist und begleitet – kontrolliert aber hat es sie nicht. Für öffentlichen Raum sorgen zwar Wege und drei Parks, aber diese liegen an der Bahnlinie schlecht. Städtebauer ist der Markt. Die Folgen sind bekannt: Eintönige Bautypen und keine Läden oder Restaurants, die die Einöde beleben und die Bewohner unterhalten. Den Satelliten zum Leben zu erwecken, wird schwer, einmal mehr.

hochparterre, Di., 2007.10.02

02. Oktober 2007 Rahel Marti

Genf erwacht

Von der Deutschschweiz kaum beachtet, entsteht in Genf ein neues Stück Stadt, grösser als Zürich West. Genf hat zwei Ziele: seine Stellung als die internationale Stadt der Schweiz ausbauen und sein Wohnungsdefizit mildern. Der Masterplan ‹Praille-Acacias-Vernet› ist in Kraft.

Bis vor Kurzem war Genf blockiert. Der strenge Mieterschutz machte die Investoren kopfscheu, gebaut wurde wenig. Genauer, der Wohnungsbau fand vor allem jenseits der Grenze, in Frankreich, statt. Mit den entsprechenden Verlusten an Steuerkraft und den dazugehörenden Pendlerströmen, die überwiegend mit dem Auto bewältigt werden. Die Genfer Kantonsregierung hat diesem Zustand abgeschworen. Sie gelobte sie im Serment de St- Pierre: «Man muss jene, die durch ihre Arbeit oder ihre Investitionen unseren Reichtum schaffen, für Genf erhalten. Im Wohnungsbau will die Regierung jene Projekte fördern, die rasch realisierbar sind.» Im Vordergrund steht das riesige Gebiet ‹Praille-Acacias-Vernet›.

Den Anstoss gab der BSA

Im Südwesten der Stadt liegt dieses Industrie- und Gewerbeareal, 230 Hektaren gross, was rund 2,15 Millionen Quadratmeter Bruttogeschossfläche zulässt. Über die Fondation pour les Terrains Industriels de Genève (FTI) und aus direktem Eigentum verfügt der Kanton über rund 85 Prozent der Arealfläche. Das städtebauliche Muster ist von der Eisenbahn geprägt, die mit einem grossen Bogen die Lagerhäuser bedient. Die drei Gemeinden Carouge, Lancy und Genf teilen sich das Gebiet. Das Gelände ist im Umbruch. In jüngster Zeit sind im Süden das neue Stadion ‹La Praille› und ein Einkaufszentrum entstanden, im Zent-rum ist die Überbauung ‹Sovalp› im Entstehen und die Bank Pictet hat hier ihren neuen Verwaltungsbau errichtet (HP 9/07). Die Kaserne von Les Vernets sucht eine neue Nutzung, die neue Bahnlinie Cornavain, Eaux-Vives-Anne-masse (Ceva) wird mit zwei Stationen das Gebiet zusätzlich erschliessen. Ihre Finanzierung aus dem Agglomerationsfonds des Bundes ist schon zugesichert.

Die Ortsgruppe Genf des BSA war zuerst. Sie organisierte 2005 einen Wettbewerb, der die richtigen Fragen stellte. Es war ein Geschenk an die Stadt Genf. Der Kantonsregierung gingen die Augen auf. Sie reagierte mit einer Diagnose. Zusammen mit den Vertretern der Landeigentümer und der Wirtschaft, unterstützt von Experten, entstand eine Strategie zur Umnutzung des Areals. Im Juli 2006 startete eine Parallelprojektierung mit acht Planerteams. Gefordert waren: Verdichtung, Identitätsbil-dung, Grünräume, kurz, Städtebau durch Umnutzung. Ernst Niklaus Fausch aus Zürich schwangen obenaus.

Der nächste Schritt war ein Masterplan. Die Zürcher Planer zeigten ihren Genfer Kollegen Neu-Oerlikon und Zürich West, Planungen, die die Kollegen aus der Romandie beeindruckten. Diese wunderten sich über die intensive Zusammenarbeit der Verkehrsleute, Stadtplaner, Naturschützer, Politiker, Grundeigentümer und Wirtschaftsvertreter. In Genf entstanden in Anlehnung an die Zürcher Konsenspla-nung drei Workshops mit bis zu 50 Teilnehmern. Die Anliegen der drei Gemeinden waren klar: mehr Wohnungen. Schon im Mai 2007 wurde der Masterplan vom Regierungsrat genehmigt. Man spürt, der Kantonsregierung ist es ernst, es pressiert. Der Druck kommt von aussen, in Genf herrscht Büro- und Wohnungsnot. Die Investoren stehen Schlange, Goldgräberstimmung ist ausgebrochen.

Neun Hochhäuser

Auf dem Gelände befinden sich heute bereits rund 20 000 Arbeitsplätze und 3000 Wohnungen. Ernst Niklaus Fausch gehen vom Bestand aus, mit deutschschweizer Pragmatismus bauen sie weiter, nicht Visionen, wie sie ihre Kollegen aus der Romandie vorschlugen. Das Siedlungsmuster ergänzen sie, sie pflügen nichts um. Der Masterplan ist in vier Abschnitte unterteilt: ‹Acacias / Vernets› im Norden, ‹Carouge› in der Mitte und ‹Praille› im Süden. Bei der S-Bahn--station Lancy Pont Rouge entsteht der ‹Pôle économique d’exellence›, das Geschäftszentrum, genannt Place de l’Etoile, mit neun Hochhäusern, von denen das höchste 175 Meter werden soll. Dieser Höhenrekord ist das Ein-zige, was bisher in der Deutschschweiz zur Kenntnis genommen wurde. Aber hier entsteht mehr: das Zentrum eines neuen Stadtteils. Hier will das internationale Genf wachsen und sich darstellen. Der bereits vorhandene hohe Anteil an Gewerbenutzungen hingegen ist regional ausge-richtet. Die Wohnungen, die vor allem an den Rändern liegen und sich mit den bestehenden Quartieren verzahnen, sollen den lokalen Wohnungsmarkt entlasten. Die Ausnützungsziffer übers Ganze ist hoch: 2,5. Darum sind in den Hochhäusern auch Wohnungen vorgesehen.

Der Masterplan muss flexibel sein. Die Nutzungsfestlegung ist recht vage umschrieben: ‹Activités› für Gewerbe, ‹Equipement public› für Sport- und Schulbauten, ‹Mixte (dominante logement)›, wo man Wohnungen bauen will, und ‹Mixte (dominante activités)›, wo Büros entstehen sollen. Die Erdgeschosse gehören den öffentlichen Nutzungen und dem Gewerbe. 40 000 Arbeitsplätze und 9000 Wohnun-gen sollen hier entstehen. Besondere Sorgfalt schenkten die Planer den öffentlichen Räumen, ob grün oder städtisch. Den Gleisen entlang ist ein Grüngürtel geplant, im Innern des Geländes verschiedene ‹Pocket Parks› und ein grünes Band, das dem Rückgrat der Gleise folgt, die schritt-weise verschwinden werden.

Wie funktioniert die Qualitätskontrolle?

Der Masterplan ist in Kraft, die Ziele sind festgelegt. Eine durch-mischte, lebendige Stadt soll es werden, selbstverständlich mit hoher architektonischer Qualität und vor-bildlichem Städtebau. Doch wer sorgt bei der Umsetzung fürs Einhalten der Versprechen? Geplant ist ein Lenkungsgremium, das speziell für dieses Areal zuständig ist und für Qualität sorgen soll, aber auch auf die sich verändernden Anforderungen mit abwägender Vernunft reagieren kann. Dabei kommt den zehn Schlüsselprojekten eine entscheidende Bedeutung zu. Die Planer haben für jedes ein Ziel gesetzt und Empfehlungen abgegeben, wie es zu erreichen ist. Vier davon zeigen, was gemeint ist.

Genf erwacht. Mit dem Masterplan ‹Praille Acacias Vernets› steht der Stadtumbau erst am Anfang. Es ist eine Entwicklung, die Hochparterre noch weiter verfolgen wird.

hochparterre, Di., 2007.10.02

02. Oktober 2007 Benedikt Loderer

Noblesse in ‹der Landlüten Hus›

Im Sommer 2005 wurde Sarnen überschwemmt und die Sarneraa setzte auch das Rathaus unter Wasser. Dies beschleunigte den geplanten Umbau. Die Architekturbüros Joos & Mathys mit Diener & Diener gewannen den Studienauftrag. Der gläserne Lift ist der Blickfang im umgebauten Haus, wo sich Alt und Neu kontrastieren, aber nicht konkurrieren.

Stolz ragt das Rathaus am Dorfplatz von Sarnen empor. ‹Der Landlüten Hus› mit seiner barocken Pracht ist der bedeutendste Profanbau des Kantons Unterwalden ‹ob dem Wald› und zeugt von seiner jahrhundertealten Geschichte. Dass ‹ob dem Wald› nicht ‹hinter dem Wald› bedeutet wird spätestens klar, wenn man die paar Stufen der Aussentreppe erklimmt und das Haus durch sein Hauptportal betritt. Zwar entspricht der edle Raum mit seinen feinen Stuckaturen an der Decke und dem feinen Sandsteinboden durchaus den Erwartungen. Doch mittendrin steht ein Schrank, hinter dessen gläsernen Wänden ein ebenfalls gläserner Vorhang den Durchblick verwehrt. Grosse, dunkle Rahmen fassen die Glasscheiben, drei in der gleichen Manier gearbeitete Tore teilen den Raum.

Der gläserne Kubus ist der Liftschacht, der das Haus durchstösst und das Rathaus auch für Behinderte zugänglich macht. Die grossen Tore schirmen die Büros und Ratssäle vor ungewünschten Besuchern ab, die es – wie der Amokschütze von Zug gezeigt hat – auch hierzulande geben kann. Der mit seinem Vorhang geheimnisvoll schimmernde Liftschacht fordert zum Nähertreten auf, zum Betrachten und Berühren. Er ist ein Meisterwerk der Handwerkskunst: Die dunklen Rahmen sind aus Stahl und Holz gefertigt und mit Kunstleder überzogen, der Vorhang besteht aus unzähligen Glasstäben, die fast, aber nicht ganz präzise hinter den grossen Glasscheiben eingespannt sind. Auch die Lifttür ist gläsern und raumhoch; eine übliche Liftkabine ist im Schacht jedoch nicht zu sehen. Der Liftbauer hat ganze Arbeit geleistet. Dank einer zweifachen Übersetzung pendelt das Gegengewicht nur versteckt in den beiden oberen Geschossen, wo der Lift nicht freisteht, und die Kabine ist ein edler, 3,5 Meter hoher Schrein, der Erinnerungen an die Art-déco-Zeit weckt. Bei grösseren Anlässen und den Sitzungen des Kantonsrats sind die grossen Tore in der Halle auf die Seite geklappt und ein Sicherheitsmann sorgt für die Personenkontrolle. Dann kommt die Noblesse, die der Raum ausstrahlt, besonders zur Geltung.

Das Original gibt es nicht

Die Eingriffe in die historische Bausubstanz waren massiv und man stellt sich die Frage: Darf man das? Ja, man darf – zu diesem Schluss kam auch die Denkmalpflege. Denn das Gebäude ist ja nicht einfach sechshundert Jahre alt (1419 wurde es erstmals erwähnt), sondern es hat eine sechshundertjährige Geschichte, während der jede Epoche ihren Teil zum heutigen Bau beigetragen hat. So baute man das Gebäude nach dem Dorfbrand von 1468 wieder auf und Mitte des 16. Jahrhunderts gestaltete es Werkmeister Heinz Troger um. Damals richtete man im Erdgeschoss das obrigkeitliche Metzglokal ein, denn die Metzgbänke waren ein Vorrecht der Obrigkeit. Anfang des 17. Jahrhunderts gesellte sich zur Metzg das Salzmagazin. Um 1730 setzte Werkmeister Hans Georg Urban auf das alte Erdgeschoss einen Neubau, dessen Südwestecke man dreissig Jahre später mit einem Archiv zubaute. Kurz vor 1900 erhielt das Haus die erste Warmwasserheizung, die Metzgerei zog aus dem früheren obrigkeitlichen Metzglokal im Erdgeschoss aus und beim Innenumbau von 1907 bis 1909 wirkte mit Robert Durrer erstmals ein Historiker mit. Als letzte Zutat erhielt das Haus 1948 auch moch in der Südostecke einen Anbau, nachdem die Schweizerische Organisation für Landschaftspflege ‹Pro Campagna› die denk-malpflegerischen Bedenken ausgeräumt hatte. Vor dreissig Jahren schliesslich erlebte das Sarner Rathaus seine letzte gründliche Restaurierung: 1975, im Europäischen Jahr für Heimatschutz und Denkmalpflege, genehmigte die Landsgemeinde den Kredit für das Projekt von Architekt Klaus Beat Gasser und im April 1978 nahm der Kantonsrat das Rathaus wieder in Besitz.

Getreu der damaligen Denkmalpflege-Praxis versuchte man das Gebäude in den ‹ursprünglichen› Zustand zurück-zuversetzen. Die wechselvolle Geschichte zeigt, dass es diesen Zustand gar nie gab, also behalf man sich mit dem ‹So-Tun-als-ob›. Die Eidgenössische Denkmalpflege wollte den Anbau von 1949 abreissen lassen, wogegen sich die Kantonsregierung energisch wehrte, weil sie die Räume dringend brauchte. Also mauerte man, dem Gebot der ‹Stilreinheit› folgend, hier ein Fenster zu, brach dort eine neue Öffnung aus und machte das Gebäude so fast originaler als das Original. Auch im Innern verwischte man Spuren der Geschichte. Die neu eingefügte Treppe aus dem Erd- ins 1. Obergeschoss tut so, als ob sie schon immer da-gestanden hätte, und im Empfangsraum des Erdgeschosses legte man die Holzbalkendecke frei, obwohl sie in der ganzen Geschichte zuvor gar nie zu sehen war. Die gemütliche Stube mit Schiefertischen und Stabellenstühlen, die man hier einrichtete, erinnert eher an ein Tirolerhaus als ans Rathaus des Standes Obwalden.

Sarneraa als Katalysator

Der Auslöser für die jüngsten Arbeiten war die Hochwasserkatastrophe vom Sommer 2005, als die Sarneraa ihr Bett verliess, den ganzen Ortskern unter Wasser setzte und Schä--den in Millionenhöhe verursachte. Im Rathaus stand das Wasser im Erdgeschoss brusthoch, machte das Haus unbenutzbar und beschleunigte den seit längerer Zeit vorgesehenen Umbau. Neben dem Schutz vor Hochwasser standen vor allem die Zugänglichkeit für Behinderte und eine verbesserte Sicherheit im Pflichtenheft des Studienauftrags, zu dem der Kanton noch im selben Jahr sechs Architekturbüros einlud (hpw 2/06).

Das siegreiche Projekt der Architektengemeinschaft Joos & Mathys und Diener & Diener, dessen Lift so spektakulär die Hallen des Erd- und des 1. Obergeschosses durchstösst, ist im Grunde ebenso pragmatisch wie die Umbauten in den früheren Jahrhunderten. Was sich erhalten liess, das blieb, was heute keinen Sinn mehr macht oder am falschen Platz sass, hat man entfernt. So hat der Schreiner die beiden überzähligen Plätze an den Regierungspulten abgeschnitten und die Verkleidung der Heizkörper entfernt, sodass sie nun den Raum ausreichend zu heizen vermögen. Ein zeitgemässer hellgrüner Teppich schluckt den Schall und unterstützt das Empire-Ambiente dieses einzigen nicht-barocken Raums im Haus. Wer nicht weiss, wies vorher war, merkt vom Umbau nichts – ausser dem Geruch des neuen Teppichs.

Am meisten veränderten die Architekten die Raumstruktur zuunterst und zuoberst. So drehten sie im Erdgeschoss den Empfangsraum um neunzig Grad, räumten eine der ältesten Wände beiseite und schufen daneben ein Foyer. Während der Bauarbeiten kamen in den Deckenkonstruktionen neben morschen Balken auch Stahlträger zum Vorschein und schliesslich beschloss man, die Decke über dem Foyer abzubrechen, als Stahl-Beton-Verbundkonstruktion neu aufzubauen und so eine Basis für den neuen Sandsteinboden der Haupthalle zu schaffen – auch die kommenden Generationen dürften also ihre Überraschungen erleben. So wie jetzt die Architekten im dritten Stock, wo unter der grauen, scheinbar alten Kassettendecke des Vorplatzes gewöhnliche Spanplatten zum Vorschein kamen. Der erweiterte Vorplatz bildet den Schlusspunkt des Weges durch das Haus und dient als Pausenraum. An die telle der Hauswartwohnung sind Büros und Besprechungszimmer getreten. Einbauschränke – in Nussbaum oder Weiss – schliessen die Räume ab.

Der Hochwassergefahr begegneten die Architekten mit baulichen und organisatorischen Massnahmen. So erhielten die Türen des Erdgeschosses neue Schwellen, die ins Erdreich stossen und verhindern, dass das Wasser einfach unten reinläuft. Ausserdem sind die Türen nun massiver und mit doppelten Gummidichtungen versehen und die Fenster lassen sich von aussen mit Holzabdeckungen abdichten. «Schotten dicht!», heisst es nun bei drohendem Hochwasser. Sollte dennoch einmal Wasser ins Haus laufen, hat man dafür gesorgt, dass die Schäden möglichst gering bleiben. Sämtliche Elektrotableaus, der Hauptanschluss und die Steuerungen sind im ersten Obergeschoss installiert und das Archiv ist nach oben umgezogen.

Um das Dorf vor Überschwemmungen zu schützen, will der Kanton das Bett der Sarneraa ausweiten und vertiefen. Ende November stimmt die Bevölkerung über das Projekt ab. Die Sarner hätten zwar einen Entlastungsstollen bevorzugt, der jedoch an den hohen Kosten scheiterte.

Der Wandel der Denkmalpflege

Der Umbau des Rathauses zeigt, welchen Weg die Denkmalpflege in den letzten Jahrzehnten gegangen ist. Strebte man vor dreissig Jahren danach, einen möglichst ursprünglichen Zustand wieder herzustellen –  den Lift hätte man bis zur Unauffindbarkeit kaschiert –, hätte man vor fünfzehn Jahren den Kontrast zwischen Alt und Neu um jeden Preis betont. Wo man 1977 historisierende Schmiedeeisenleuchten aufgehängt hatte, wären 1992 Halogenleuchten an Stahlseilen aufgespannt worden.

Auch den Einbauten von 2007 sieht man an, dass sie nicht aus der Barockzeit stammen, doch sie setzen sich nicht in Szene. So vereinen sich in den Schreinerarbeiten die Präzision des Computerzeitalters und die runden Formen der Barockzeit. Auch die neuen Leuchten biedern sich weder beim Alten an, noch suchen sie die Konfrontation: Im Em-pfangsraum des Erdgeschosses hängen zwei grosse Kristallleuchter aus denselben Glasstäben, die auch den Liftvorhang bilden und die andernorts als Wandappliquen vorkommen. Das Haus hat sich vom mumifizierten Museumsstück zu einem lebendigen Gebäude gewandelt, das die Spuren seiner Geschichte nicht verleugnet, sondern selbstbewusst –  aber unaufdringlich – zeigt.

hochparterre, Di., 2007.10.02

02. Oktober 2007 Werner Huber



verknüpfte Bauwerke
Rathaus Sarnen - Sanierung und Umbau

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