Editorial
«Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden, dass er nichts mehr hält |
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt |
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht |
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der betäubt ein grosser Wille steht |
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille sich lautlos auf. Dann geht ein Bild hinein | geht durch der Glieder angespannte Stille und hört im Herzen auf zu sein.»[1]
Exotische Tiere faszinieren die Menschen schon seit Jahrtausenden. Zu Zeiten der Menagerien wurden sie noch in engen Käfigen eingesperrt und ausgestellt. Verfolgt man die Entwicklung der Zoos und Tierparks, fällt auf, dass die Gehege immer mehr Platz beanspruchen. Wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben, wird im ersten Artikel zusammengefasst.
Durch die Erwartung der Besucher und durch die neuen Erkenntnisse der Verhaltensforschung verändern sich die Anforderungen an die Gehege auch heute noch laufend. Die Verhaltensbereicherung und die Bewegungsfreiheit sind bei jeder Tierart neu zu definieren. Laut Kurt Brägger, der massgeblich das Bild des Basler Zoos beeinflusste, müssen bei der Gestaltung eines Tiergartens drei Dinge zu einer Einheit verschmolzen werden: das offene, aber nie allseitig einsichtige Tiergehege, der trennende Graben mit Wasser und Vegetation und der im Verborgenen liegende Spaziergang für die Besucher. Daher sind der künstlerischen Freiheit von Architekten und Ingenieuren enge Grenzen gesetzt. Architektonisch interessante Gebäude oder Aussenanlagen sind aus Sicht der Tierhaltung nicht immer geeignet. Die Vorgaben reichen von tierpflegerischen Aspekten über die Tierbiologie bis hin zur Attraktivität für die Besucher. Im Zoo Basel zum Beispiel gibt es kein geschöntes «Naturbild». Die sichtbare Verbindung zur Realität der Stadt und der «bedingten Freiheit» für die Tiere bleibt erhalten. Diese Philosophie wurde auch im renovierten Gehege der Panzernashörner umgesetzt.
Im Februar 2007 meldete die BBC, dass das neue Gehege der Goldäffchen im Zoo von Los Angeles von einer Feng-Shui-Meisterin kreiert wird. Ganz so weit gehen die Zoos und Tierparks in der Schweiz noch nicht. Dennoch wird die Umgebung für die Tiere so angenehm wie möglich gestaltet und ihrem natürlichen Lebensraum nachempfunden. Das allerdings nicht ganz uneigennützig, denn Besucher wollen eben meist viele Tiere sehen. Damit die Besucher tatsächlich Tiere zu Gesicht bekommen, werden Teiche, Heizplatten und andere Extras so angelegt, dass die Tiere sich unweigerlich vor den Besuchern bewegen, wie zum Beispiel bei der neuen Gemeinschaftsanlage für Bären und Wölfe des Natur- und Tierparks Goldau. Daniela Dietsche, Katinka Corts
[1] Rainer Maria Rilke: Der Panther. Im Jardin des Plantes. Paris, 6.11.1902
Inhalt
Wettbewerbe
Blüten – Wohnüberbauung in Zürich
Altstetten
Magazin
Kurzmeldungen: Zoos, Pärke und Tier-
haltung
Sia
PPP – Anspruchsvolle Partnerschaft |
«Umsicht in Rapperswil | Vernehmlassung LHO SIA 106
Produkte
Abschied vom Käfig?
Daniela Dietsche | Zoos und Tierparks sind seit je Publikumsmagneten. Aus den kleinen Gitterkäfigen wurden im Laufe der Jahre grosszügige Gehegelandschaften.
Auf Augenhöhe
Katinka Corts | Im Basler Zoo entsteht eine neue Grossanlage, der «Fuss des Himalayas». Die Panzernashörner, die darin eine Hauptattraktion sind, erhalten bis Herbst 2007 eine neue Aussenanlage.
5-Sterne-Natur
Daniela Dietsche | Betreutes Wohnen für Bären und Wölfe in einer einzigartigen Naturlandschaft: Der Natur- und Tierpark Goldau erweitert seine Fläche.
Impressum
Veranstaltungen
Abschied vom Käfig?
Zoos und Tierparks sind weltweit Publikumsmagneten. Doch ihre Gestaltung hat sich verändert. Grosszügige, naturnah gestaltete Gehege lösten im Laufe der Zeit die engen Käfige ab. Die Besucher tauchen heute scheinbar in den Lebensraum der Tiere ein.
Die ersten zooähnlichen Anlagen entstanden schon im zweiten Jahrtausend v. Chr. in Ägypten. Bei den königlichen Palästen wurden wilde Tiere zu rituellen Zwecken gehalten. Legendär war der «Garten des Ammon» der Königin Hatschepsut in Theben. Sie versammelte 1500 v. Chr. in den Tempelanlagen Deir al Bahri Wasserböcke, Antilopen, Gazellen, Strausse, Giraffen und Elefanten. Bekannt ist auch der «Park der Intelligenz», den Kaiser Wu-Wang 1150 v. Chr. errichtete. Der Park am kaiserlichen Hof nahe Peking bestand bis 1900 n. Chr. Auf 400 ha wurden zahlreiche Säugetiere, Vögel, Reptilien und Fische gehalten.
Menagerien
Im Europa des 16. Jahrhunderts, des Zeitalters der grossen Entdeckungen, begann der weltweite Tierhandel. Fürsten und Königshäuser hielten exotische Tiere zu Repräsentationszwecken in Gärten und Parks. Damit war die Urform des Zoos, die Menagerie, geboren. Die Menagerie beim Schloss Schönbrunn bei Wien, die 1752 eingerichtet wurde, gilt als der älteste Zoo der Welt. Diese Tiergärten der königlichen Höfe waren für das Volk meist nicht zugänglich. Später entwickelten sich «Fahrende Menagerien», und die wilden Tiere wurden als Attraktion auf Jahrmärkten gezeigt. Bis ins 19. Jahrhundert waren Zoos «Menagerien», in denen möglichst viele Tiere aus allen Erdteilen gesammelt wurden. Die Haltung der Tiere spielte keine Rolle, enge Käfige waren die Regel. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde Kritik an dieser Art der Tierhaltung laut. 1793 führte die Französische Revolution dazu, die Menagerie in Versailles aufzulösen. Der Tierbestand war die Grundlage für den «Jardin des Plantes». Der Pariser Tierpark war der erste bürgerliche Zoo in Europa, der für alle Volksschichten geöffnet war. Die Gründung des Zoos in London 1828 löste eine Zoogründungswelle in Europa, später auch in Amerika, Japan und Australien aus. Die Besucher konnten nun durch eine Parklandschaft spazieren und die Tiere in ihren mehr oder weniger geräumigen Käfigen bestaunen. Die Tiere waren oft in architektonisch spektakulären Gebäuden untergebracht. Ab 1870 begannen die zoologischen Gärten nordische Holzkirchen für Hirsche, orientalische Maharadscha-Paläste für Elefanten und Burgen für Greifvögel zu bauen. Doch wurden nicht nur Tiere vorgeführt. Es wurden beispielsweise ganze Dörfer eingerichtet, in denen Nubier, Marokkaner oder Singhalesen für Wochen eingesperrt wurden und ihre Kriegs- und Maskentänze oder Schlangenbeschwörungen vorführen mussten. Diese Tier- und Völkerschauen zum Beispiel im Basler Zoo erfreuten sich bis 1932 grosser Beliebtheit bei der Bevölkerung.
Natur imitieren
Eine neue Epoche begann um 1900 mit dem Schweizer Kunststeinpionier und Bildhauer Urs Eggenschwyler und dem Hamburger Menageriebesitzer Carl Hagenbeck. Er hatte die Idee, Tiere in einem möglichst authentischen Lebensraum zu präsentieren. Nach jahrelangen Versuchen zum Sprungvermögen der Tiere eröffnete er 1907 bei Hamburg den ersten «Gitterlosen Tierpark». Es wurden erstmals künstliche Landschaften, Gebirge, Schluchten,
Abstufungen im Gelände, Seen und Wassergräben geschaffen. Diese wirkten zwar immer noch wie Theaterkulissen und waren aus Sicht der Menschen gestaltet. Dennoch stellten sie in Sachen artgerechter Haltung einen Quantensprung dar.[1]
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam die Verhaltensforschung auf, und man begann vermehrt, Gehege zu bauen, die dem natürlichen Verhalten der Tiere entgegenkamen. 1942 veröffentlichte der Schweizer Zoologe Heini Hediger sein Buch «Grundriss der Tiergartenbiologie». Heini Hediger und der Basler Wildbiologe Rudolf Schenkel widerlegten den Mythos der unbeschränkten Freiheit der Wildtiere. Ihrer Ansicht nach leben Tiere auch in der Wildnis in natürlicher Unfreiheit; in Revieren, in denen es Futter und Wasser geben muss und die von Nahrungskonkurrenten und Artgenossen bedrängt werden. Ihre These war, dass Tiere artgerecht gehalten würden, wenn es gelänge, dieses natürliche Territorium organisatorisch nachzubilden.
Naturnah gestalten
Ab 1950 ermöglichten abwaschbare Baumaterialien wie Fliesen, Edelstahl, Beton und Sicherheitsglas eine hygienischere Tierhaltung. Futter wurde nicht mehr nur auf den Boden geworfen, sondern in Futterkrippen verteilt. Zoos bauten vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren sterile und funktionalistische Gehege. Ab 1980 war ein Wandel spürbar. Aufgrund der veränderten Ansichten der Besucher und didaktischer Überlegungen wurden die Gehege vermehrt naturnah gestaltet. Tiere werden nun in Ausschnitten ihres Lebensraums präsentiert. Grosszügige, natürlich aussehende Freianlagen, in denen Zootiere in Gruppen miteinander leben, lösen langsam die Käfighaltung ab. Der Besucher betritt scheinbar den natürlichen Lebensraum der Tiere. Das Tier soll kein reines Ausstellungsstück mehr sein und hat zum Leidwesen der Besucher auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.
Die Gehege und Parks heute
Der Auftrag der wissenschaftlich geführten Zoos («verein zooschweiz») ist es heute, Erholung, Bildung, Forschung und Naturschutz zu vereinen. Sie möchten ihren Besuchern und Besucherinnen die Natur näher bringen und sie für das Verständnis natürlicher Zusammenhänge sensibilisieren. So werden nicht nur die einzelnen Gehege Schritt für Schritt in grosszügige, naturnahe Anlagen umgebaut, auch die gesamte Gestaltung der Parks verändert sich. Sichtbar wird dies durch das Anlegen der Wege und der offenen Flächen. Natursteine, Wasser und Bepflanzung sollen den Zoos eine natürliche Wirkung verleihen. So sind im Laufe der Jahre zum Beispiel viele von Menschen geformte Gartenmotive wie Blumenbeete, geschnittene Hecken und Bäume oder auch gepflegter Rasen verschwunden.
In unserer Zeit dienen die Zoos neben der Erholung auch immer mehr der Forschung und der Erhaltung bedrohter Arten. Denn inzwischen sind auch freilebende Tiere einem «allumfassenden, menschlichen Management unterworfen»[2]. Einziger Unterschied: In der Natur überleben nur die Starken, im Zoo bekommen auch die Schwachen eine Chance.TEC21, Mo., 2007.06.11
Anmerkungen/Literatur:
[1] Von der Menagerie zum Naturschutzzentrum. Natur- und Tierpark Goldau (Autor unbekannt)
[2] Heini Hediger: Ein Leben mit Tieren. Autobiografie, 1990. Zoos im Wandel. Natur- und Tierpark Goldau (Autor unbekannt)
Brockhaus Enzyklopädie
11. Juni 2007 Daniela Dietsche