Editorial

«Der Entscheid ist endgültig und nicht verhandelbar», so die Sprecherin der Generalunternehmung Karl Steiner AG. Deren Geschäftsleitung hat beschlossen, die Beziehungen zu Hochparterre abzubrechen und künftig weder Inserate zu schalten noch Projekte mitzufinanzieren. Dem Baukonzern missfällt Hochparterres Engagement für die Erhaltung des Kongresshauses Zürich. Es ist also nötig, dem Präsidenten des Verwaltungsrates einen ‹offenen Brief› zu schreiben. Er steht auf Seite 11. Ebenfalls in schwierigen geschäftlichen und kulturellen Beziehungen steht der Zürcher Architekt Christian Kerez in Warschau. Sein Projekt für ein Museum für Moderne Kunst hat den internationalen Wettbewerb gewonnen, aber etliche Warschauer wollen den «potenzierten Minimalismus» auf keinen Fall haben. Rahel Marti berichtet über den Architekturstreit in Polens Hauptstadt auf Seite 26. Auch Hochparterres Ausstellungen sind gut in Fahrt. Nach der Reise von New York über São Paolo, Berlin und Japan macht ‹criss cross› noch bis Ende Mai im Mu.dac in Lausanne Station. Die Ausstellung stellt in sechs Holzkisten und einem Kino das Design aus der Schweiz und seine Geschichte vor. Zur Vernissage erschien in Englisch und Französisch ‹criss cross – design en suisse›, ein Bilderbuch mit Essays über Schweizer Mentalitäten und Ökonomien von Barry, dem Lawinenhund, bis zu Martin Lotti, Alfredo Häberli oder Anita Moser, den Heldinnen und Helden zeitgenössischen Designs aus der Schweiz. Das Buch ist auf Hochparterres Website oder über die Telefonnummer 41 44 444 28 88 zu bestellen. GA

Inhalt

06 Funde
09 Stadtwanderer: Nicht der Neubau, die Übernutzung
11 Jakobsnotizen: Offener Brief an Peter Steiner
13 Estermann: Gipfelstürmer
14 Impressum

Titelgeschichte
16 Eine Hochschule sucht ihr Zentrum

Brennpunkte
26 Wettbewerb: Schweizer Museum in Warschau?
28 FIFA-Hauptsitz: Ein Thron für den Weltfussball
30 Von flinken Freunden: Ein Rucksack für alle Fälle
36 Bern: Ausfahrt aus dem Sackbahnhof
38 Drei Monografien: Im Dienste seiner selbst
44 Erweiterung Museum Rietberg: Dramatik im Untergrund
48 Blick nach Dänemark: Blitzstart mit Schaukelstuhl
52 Schweizer Architektur in Köln: Gehversuch in der EU
54 Swatch-Sitz in Tokio: Ein solches Haus gibts nirgendwo
58 Vitra-Workshop: Heisse Tipps vor dem Brand
60 Sanierung der Hardau Zürich: Nervenkitzel im Hochhaus

Leute
64 ‹Wohnstadt Bern› im Naturhistorischen Museum Bern

Bücher
66 Über Schrumpfstädte, Designforschung, Türme und mehr

Siebensachen
70 Gegen den Wind, aus- und zuklappen und aus dem Weg

Fin de Chantier
72 Pausendächer, Wohnhäuser am Weinberg, Sporthalle

An der Barkante
79 Mit Konstantin Grcic in Zürich

Gehversuch in der EU

Am Rand von Köln entwickelt ein Baulöwe ein Gewerbegebiet. Bewusst setzt er auf Architektur und Naturnähe statt gut erschlossene Blechkisten. Nun haben die Zürcher Architekten Giuliani Hönger das erste Haus fertig gestellt: einen flexibel nutzbaren Lager- und Bürobau im Klinkerkleid.

Anton Bausinger ist ein Patron der alten Schule. Wenn der Besitzer der Friedrich Wassermann Bauunternehmung mit seinem neuen schwarzen Audi über die staubige Grossbaustelle neben seinem Werkhof rollt, grüsst er jeden Arbeiter aus dem Fenster heraus mit Namen. Die Firma ist noch heute ein Familienbetrieb, wenn auch die Wassermanns nur noch den Namen geben: Angefangen hat der Gründer 1906 mit Kanalbau und Kiesförderung; nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Firma massgeblich zur ‹Entschuttung› der Innenstadt beigetragen, später war sie am Wiederaufbau beteiligt. Für die Lastwagen, Bagger, Baumaterialien und vor allem für die hohen Schuttberge, die die Arbeiter nach dem Krieg aus der Kölner Innenstadt herausgekarrt haben, hat Friedrich Wassermann ein riesiges Grundstück am Rand des nördlichen Grüngürtel erworben. Das lag damals noch ‹JWD› – also ‹Janz weit draussen›. Heute liegt das Gebiet, durch S-Bahn und Schnellstrasse gut erschlossen, am Stadtrand.

Inspiriert vom Hafen Hamburg

Der gesunkene Platzbedarf und die gut erschlossene Lage waren Anlass für die Entwicklung der zwölf Hektaren grossen Brache. Vor allem aber nutzt der Unternehmer seinen Heimvorteil: Das Land ist abgeschrieben und er kann es als Startkapital einsetzen. Bausinger will die Konkurrenz mit hoher Ausbau- und Raumqualität schlagen, deshalb setzt er einen Teil der eingesparten Landkosten für Architektur und Materialien ein. Das Gewerbehaus von Giuliani Hönger, die Bausinger von seinen Aufenthalten in der Schweiz kennt, ist nun der erste fertig gewordene Baustein im Masterplan. Die Zürcher massen sich an den Ambitionen des Bauherrn und versuchten, einen eigenen Typus Lagerhaus zu entwickeln: In Anlehnung an die hohen Speicher im Hamburger Hafen bauten sie den ersten Schritt zu einer flachen Speicherstadt. Wie in der Hansestadt befinden sich Büro- und Lagerfläche im selben Bau.

Anders als in der Speicherstadt hingegen ist der Umgang mit den Öffnungen: In die raue, dunkelrot leuchtende Klinkerfassade sind riesige sprossenlose Fenster eingelassen. Die Rahmen und die Lüftungsflügel sind vollständig hinter den Brüstungen respektive Leibungen versteckt. So entsteht ein ausgewogenes Stein-Glas-Verhältnis, was dem Haus Eleganz und Ruhe verleiht. An den beiden Stirnseiten sind Eingang, Treppen und Nebenräume untergebracht. Diese dreigeschossige Raumklammer spannt die 830 Quadratmeter grosse zweigeschossige stützenfreie Lagerhalle ein. Die Materialien sind einfach und in den meisten Fällen unbehandelt. Sie untermalen den industriellen Charakter: torfgebrannter und handverlesener Klinker an der Fassade, Sichtbeton in der Halle, Hartsteinholz am Boden sowie im Obergeschoss Faserplatten an der Decke und Gipswände als Raumteiler.

Die Konstruktion ist Teil der Architektur: Im Inneren überspannen mächtige Vierendeel-Träger in Sichtbeton die gesamte Breite der Halle von zwanzig Metern. Zusammen mit dem Fensterraster versetzen sie den Raum in einen beschwingten, aber strengen Rhythmus. Der architektonische Anspruch des Bauherrn manifestiert sich an der oberen Fensterreihe der Halle: Hier hätte auch eine Anzahl kleinerer und damit deutlich günstigerer Bullaugen gereicht. Doch die Gleichbehandlung mit der Reihe auf Bodenhöhe sieht nicht nur eleganter aus, sie macht den Einzug eines zweiten Lager- oder Bürobodens in die Halle möglich. Damit gewinnt das Haus an Flexibilität und an Raumqualität. Das räumliche Erlebnis ist mit dem weiten Atem der Halle nicht vorbei: In der Mittelachse der darüber angelegten Büroebene liegen zwei Lichthöfe. Einer öffnet sich zum Himmel und dient als Pausenhof und Raucherecke, dem anderen fehlt der Boden – er gibt die Sicht in die darunter liegende Halle frei. So holen die Aussparungen zusätzliches Tageslicht ins Innere der Büroetage, gleichzeitig entstehen unerwartete Durchblicke und Sichtbeziehungen in der Horizontalen wie auch in der Vertikalen.

Bauen nach anderen Normen

Die Architekten sind mit ihrem ersten Gehversuch in einem EU-Land zufrieden. Das Haus ist auch dank einer guten Bauleitung vor Ort so herausgekommen, wie sie es geplant hatten. Gewöhnungsbedürftig war für Giuliani Hönger der Widerstand gegen Sonderlösungen jeglicher Art: Für Bauelemente, die zwar einzeln, aber nicht in Kombination DIN-geprüft und zertifiziert sind, wollten weder die Bauherrschaft, die Behörden noch die Unternehmer die Haftung übernehmen. Und für Einzelzulassungen, die in der Schweiz reine Formsache sind, war keine Zeit: Die kurze Entwicklungs- und Bauzeit von 16 Monaten vom ersten Entwurf bis zum Einzug des Mieters zwang die Architekten, nur zugelassene Elemente zu verwenden. Staunend haben Giuliani Hönger auch erfahren, dass der Statiker jeden Träger einzeln berechnet hat, um den Armierungsstahl minimal zu halten. Dass die Eisenleger dann deutlich mehr Aufwand auf der Baustelle hatten, fiel wenig ins Gewicht; deutsche Arbeit ist deutlich günstiger als Schweizer. Das Gewerbehaus kostet trotz ähnlicher Materialpreise rund zehn Prozent weniger als ein vergleichbares Objekt in der Schweiz.

hochparterre, Mi., 2007.04.04

04. April 2007 Roderick Hönig



verknüpfte Bauwerke
Büro-/Logistikcenter Alpha Eins

Ein Thron für den Weltfussball

Tilla Theus hat dem Fussball einen Sitz am Zürichberg gebaut: in Hochgeschwindigkeit, mit opulenten Materialien, brillanten Oberflächen und einem tief in der Erde liegenden Regierungssaal für das Exekutivkomitee. Hier tagt die FIFA, die Fédération Internationale de Football Association.

Bis anhin hatte die FIFA ihre rund 250 Mitarbeiter auf sechs Häuser von Zürich bis nach Zug verteilt. Um sie an einem Ort zu versammeln, hat sich der Dachverband aller Fussballverbände ein einziges ‹Home of FIFA› auf dem Zürichberg geschenkt, gelegen zwischen der Masoalahalle des Zoos und dem ehemaligen Geschäftssitz auf dem Sonnenberg. Das Haus kostete satte 240 Millio-nen Franken und übersetzt das gutschweizerische Verhältnis zum Reichtum in Architektur: von aussen ein VW Golf, innen ein Maybach. Neben den Quadratmetern war auch die geforderte architektonische Augenhöhe für diesen Direktauftrag keineswegs durchschnittlich: Elegant, exklusiv und vor allem repräsentativ sollte der Hauptsitz werden. Und herausragend in geringem Energieverbrauch und bester Haustechnik. Die Architektin Tilla Theus, die bereits den Sitz des Internationalen Hockeyverbands erweitert hat, bewältigte ein Hochgeschwindigkeitsprojekt: Grundstückkauf 2003, dann politische Durchsetzung inklusive Gestaltungsplan, ein komplexer Bauprozess, Bezug im April 2006 und schliesslich Eröffnung im Mai 2007.

Zwei Drittel unter der Erde

Die Architektin hat den Grundriss einfach strukturiert: Er erinnert in seinen Geschossen über der Erde an ein Klos-ter. Entlang der Längsseiten reiht sich ein Büro ans andere. Die Fussball-Verwalter blicken entweder in den Park oder in den geheimnisvollen Urwald im Innenhof – beide hat der Landschaftsarchitekt Günther Vogt gestaltet. Und wie bei einem Kloster bleibt uns Normal-sterblichen nur der Blick auf die Fassade, auf ein silbern schimmerndes Aluminiumgewebe, das den 140 Meter langen und knapp 50 Meter breiten Bau rundherum einwickelt und so die FIFA-Beamten vor zu viel Sonnenlicht schützt. Wer es ins Kloster schafft, darf staunen, wie teure Materialien adeln: kostbare Glasarbeiten, gebrochene Schiefersteinstreifen aus Brasilien und amerikanisches Nussbaumholz an der Wand, Lapislazuli am Boden, von einer eigens konstruierten Maschine gehämmerte, kunstvoll verzogene Aluminiumwände, ein Andachtsraum für die fünf Weltreligionen aus hinterleuchteten Onyxplatten sowie Chromstahlhandläufe als Reflektoren der Lichtinstallationen des amerikanischen Künstlers James Turrell.
Das ‹Home of FIFA› ist nicht nur wegen der exquisiten Lage und der eindrücklichen Materialsammlung ein besonderer Konzernsitz, sondern auch wegen der Art, wie hier Grösse bewältigt wird. Nur ein Drittel des Gebäudes ist sichtbar: 6000 Quadratmeter für Archive und Lager, 3000 Quadratmeter für Technik und 240 Parkplätze hat Tilla Theus in der Erde vergraben. An die Oberfläche kommen also nur die Eingangshalle, ein Auditorium, die rund 300 Arbeitsplätze sowie eine 1750 Quadratmeter grosse Sport- und Fitnessanlage neben dem Haus. Das Raumprogramm, das Budget und die Wucht des Tiefbaus beeindrucken. In der Bearbeitung der Ausstattung stecken Fantasie, Spielfreude und Kunstfertigkeit. Was Raumfolgen und -gefüge angeht, ist das ‹Home of FIFA› kein Meilenstein. Exemplarisch gilt das für den mickrigen Eingang in die riesige Empfangshalle und den banalen Weg von hier über ein Treppenhaus oder einen Glaslift ins Auditorium, dessen gestauchtes Foyer unmittelbar an die Treppen anschliesst. Die Geschichte kennt berauschendere Beispiele, wie der eine Mächtige dem anderen Mächtigen seine Bedeutung mit Raumdramatik und der ‹Dimension princière› zeigt.

Rundleder-Machtzentrale

Die Bedeutung von Architektur und Macht spielt dieses Haus im Untergrund aus. Im dritten Untergeschoss ist der Saal des Exekutivkomitees untergebracht: ein zwei Geschosse hoher, fensterloser Raum, dessen Boden mit dicken Lapislazuliplatten belegt ist und dessen Wände in dunklem Edelholz schimmern. Hier regieren – eingerichtet von einer Frau – 24 hohe Herren unter Leitung von Josef ‹Sepp› Blatter den Weltfussball. Die Funktionäre sitzen auf Polstersesseln unter einem prächtigen Kronleuchter. Der Thron des Königs ist zwei Zentimeter höher als die anderen Sessel, Bildschirme fahren aus und ein, unsichtbare Übersetzer flüstern aus drahtlosen Ohrmuscheln, leise summen versteckte Datenserver – Machtarchitektur pur.

hochparterre, Mi., 2007.04.04

04. April 2007 Roderick Hönig



verknüpfte Bauwerke
FIFA-Hauptsitz

Lernen am Flügeldach

Mit dem Projekt ‹1:1 Metal Works› der Architekturabteilung der ETH Zürich haben rund zwanzig Studentinnen die Chance wahrgenommen, aus dem Elfenbeinturm der Architekturlehre in die Niederungen eines Pausenplatzes im Zürcher ‹Chreis Cheib› herabzusteigen. Dafür haben die Professuren Architektur und Konstruktion sowie CAAD zwei Arbeitswochen zum Thema ‹Materialspektrum Metall› organisiert. In der ersten Woche gab es einen Crash-Kurs fürs Schweissen, Blech-Laserschneiden und Blechabkanten, danach entwarfen die Studierenden in einem internen Wettbewerb ein Pausendach für ein Schulhaus. Während der zweiten Woche konnten sie in der Werkstatt der Firma Blechteam in Rümlang die Bauteile der fünfzehn flügelartig geknickten Dachelemente des Siegerprojekts herstellen. In den Sommerferien haben sie die Teile zusammengesetzt und auf die Stützen montiert. Dann kam der Praxistest: Mit viel Geduld und Feinarbeit haben die angehenden Architekten im Herbst ihre ‹Flügelsäulen› in die Fundamente auf dem Pausenplatz eingepasst. Dabei haben sie die Unterschiede zwischen Planung und Ausführung am eigenen Leib erfahren.

hochparterre, Mi., 2007.04.04

04. April 2007 Roderick Hönig



verknüpfte Bauwerke
Pausendächer Schulhaus Kern

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