Editorial

«Weitgehend ohne Protest und ohne dass die Öffentlichkeit auch nur Notiz davon genommen hätte, haben sich Politik, Religion, Nachrichten, Sport, Erziehungswesen und Wirtschaft in kongeniale Anhängsel des Showbusiness verwandelt», schreibt Neil Postman in seinem kulturkritischen Buch «Wir amüsieren uns zu Tode» schon in den späten Jahren des 20. Jahrhunderts. Das Leben ist «eine endlose Reihe von Unterhaltungsveranstaltungen, ein gigantischer Amüsierbetrieb». Die Suche nach Zerstreuung, Abwechslung, Sinneslust, Selbstverwirklichung und Individualität ist zum zeitgeistigen Imperativ geworden.

Und wie, so fragt man sich, bewegt sich die Landschaftsarchitektur, die ja seit jeher mit den Mitteln der Illusion und Inszenierung schafft, heute in diesem Mainstream?

Wenn in einem Vergnügungspark die Weltmeisterschaften im Hot-Dog-Essen veranstaltet werden, bei denen der Sieger (Takeru Kobayashi) vor 25 000 begeisterten Zuschauern in 12 Minuten 54 Hot-Dogs verschlingt (so am 4. Juli 2006 in Coney Island), ist das sicher nicht die Schuld der Landschaftsarchitektur. – Was aber trägt sie bei zum «Erlebnis-Setting»? 180 Millionen Europäer besuchen jährlich die Scheinwelten der Freizeit- und Erlebnisparks. Auch Einkaufszentren überbieten sich seit langem, der Lust am Kaufen etwas nachzuhelfen. So entsteht im Rontal zwischen Zug und Luzern mit «Ebisquare» ein «Urban Entertainment Center», wo man in «destillierten Landschaften» auch auf Berge klettern und in Grotten tauchen kann.

Neben diesen real künstlichen gibt es noch die virtuellen, von den Entwicklern der Computerspiele kreierten Landschaften, denn auch Spiele kommen ohne «Landschaft» selten aus. Werden hier vielleicht ganz neue Wahrnehmungen geschaffen und damit auch neue Realitäten? Unterhöhlen diese gar unsere Gestaltungsspielräume und beschleunigen die Entwicklung zu einer globalisierten Landschaft?

Auch Tourismusregionen kreieren zunehmend Angebote, die das Erlebnis der – echten – Landschaft steigern sollen. Was aber weckt beim Gast die Lust auf die reale Landschaft? Und wie lässt sich diese sinnvoll «inszenieren», ohne dass man den Respekt vor ihr verliert, sie gar zerstört?

Ein neuer – gesetzlich verankerter – Parktyp trägt das Erleben schon in seinem Namen, der «Naturerlebnispark». Die neue Biber- und Fischotteranlage im Sihltal, als Teil eines zukünftigen Naturerlebnisparks, gewährt den Besuchern überraschende Einblicke in das Leben dieser Tiere. Auch die Zoologischen Gärten gehen neue Wege, um das Erleben der Tiere in einer ihrem natürlichen Lebensraum möglichst angepassten und tiergerechten Umgebung zu gewährleisten, wie im gerade eröffneten Löwengehege des Zürcher Zoos.

Und es gibt sie schliesslich auch noch, die (inszenierten) «Inseln der Seeligen», die «verwunschenen Paradiese», wo sich Kunst zum Anfassen mit idyllischer Landschaft vereint, wie in Hombroich – und auch die kleinen innovativen Massnahmen mit grosser Wirkung, wie im historischen Park Mon Repos in Lausanne, die neue soziale und kulturelle Aktivitäten zur Folge haben und dem Park ein neues Leben schenken. Bernd Schubert

Inhalt

- Editorial

Hannes Krauss
- Freizeit- und Erlebnisparks

Sonja Gerdes, Dominik Siegrist
- Erlebnisangebote im naturnahen Tourismus

Franz Hohler
- Mons rigidus

Stefanie Krebs
- Wirklich künstlich! Landschaften im Computerspiel

Walter Vetsch
- Indien in Zürich – das neue Löwengehege

Balz Hofmann
- Botschafter des Flusses – die neue Biber- und Fischotteranlage

Axel Simon
- Hombroich – Insel der Seeligen

Claudia Moll
- Destillierte Landschaft in der Shopping-Mall

Karsten Feucht
- Wahrnehmung verändert Landschaft

Jürg Altherr, Jacqueline Parish
- Die Organisation der Leere – ein Workshop am San Gottardo

Klaus Holzhausen, Julien Burri
- Die Folie Voltaire – ein Teesalon im Grünen

Börries von Detten, Antje Havemann
- Inszenierung weiterdenken

- Gartenjahr 2006
- Schlaglichter
- Wettbewerbe und Preise
- Literatur
- Agenda
- Mitteilungen der Hochschulen
- Markt
- Produkte und Dienstleistungen
- Impressum

Freizeit- und Erlebnisparks

Die Eröffnung des Tivoli in Kopenhagen im Jahre 1843, aber auch noch die Errichtung von Disneyland im kalifornischen Anaheim 1955 erregten weltweites Aufsehen. Inzwischen haben solche künstlichen Erlebniswelten ihren Exotenstatus längst verloren. Es gibt sie auf allen Kontinenten, sie sind ein wichtiger Faktor organisierter Freizeitgestaltung, kalkulieren mit wachsenden Besucherzahlen und werden durch verschiedene Fachverbände repräsentiert. Seit 1918 schon existiert die «International Association of Amusement Parks and Attractions» (IAAPA); 1978 wurde der «Verband Deutscher Freizeitparks und Freizeitunternehmen e.V.» (VDFU) gegründet und 1981 «Europarks – European Federation of Leisure Parks». Die Vielfalt der Parks ist beinahe unüberschaubar. Neben klassischen Freizeitparks (Holiday Park, Disneyland) gibt es Ferienparks (Center Parcs), Erlebnisparks (Mystery Park Interlaken, Legoland Günzburg), Badewelten (Erlebnisbäder, Wellness), Indoor-Sport-Anlagen (Skihallen, Indoor-Surfing) und Natur-Freizeitanlagen (Erlebniszoos, Tiergärten).

Als Freizeit- und Erlebnisparks werden im Folgenden Anlagenkomplexe verstanden, die einen mehr oder weniger grossen Anteil an überbauter Fläche aufweisen. Der Überbauungsgrad reicht vom reinen Bauwerk über Gebäudekomplexe bis zu durchkonzipierten parkähnlichen Anlagen. Eine exakte Terminologie existiert nicht; die Übergänge zwischen den einzelnen Varianten sind fliessend.

Konsummentalität und Erlebnisgarantie

Natur spielt seit jeher eine wichtige Rolle bei der Freizeitgestaltung. So mag der Erfolg künstlicher Freizeit- und Erlebniswelten befremden, weil er eine wachsende Bereitschaft signalisiert, Eigenverantwortung für die Gestaltung der Freizeit preiszugeben zugunsten risikolosen Konsums mit Erlebnisgarantie. Und doch ist diese Entwicklung letztlich nur ein Beleg für die Durchsetzung des Konsumprinzips in allen Lebensbereichen. Individuelle Bemühungen, dieses Prinzip zu unterlaufen, mögen ehrenwert sein; gesellschaftliche und ökonomische Trends aufhalten oder gar umkehren können sie sicher nicht.

Befremden mag auch die Art und Weise, in der beispielsweise der Mystery Park in Interlaken (durch den drohenden Konkurs in die Schlagzeilen geraten) Informationen über fremde Kulturen und vergangene historische Epochen inszeniert: In Gewerbehallenarchitektur werden Themenwelten zur Kulturgeschichte der Menschheit präsentiert, wie die Pyramiden von Gizeh, die Kulturen der Maya, die Einwohner von Papua-Neuguinea und dergleichen mehr. Warum soll man sich durch mühsame Lektüre aneignen, was sich hier an einem Nachmittag durch Anschauung erledigen lässt? Den Rezeptionsgewohnheiten einer durch Fernsehen und andere elektronische Medien geprägten Generation kommen solche «Bildungsangebote» entgegen.

Marketing und Wirtschaftspartner

Freizeit- und Erlebnisparks sind ein bedeutender Zweig der Tourismusindustrie (siehe Kasten). Ihre Errichtung basiert in der Regel auf ausführlichen Expertisen zur Rentabilität (zum Beispiel Kosten-Nutzen-Analysen oder Prognosemodelle), weil Investoren durch eine ausgeklügelte Standortwahl wirtschaftliche Risiken minimieren wollen. Das Beispiel des Mystery Parks zeigt jedoch, dass die Schweiz ein schwieriges Pflaster für die Etablierung grosser Freizeit- und Erlebniswelten ist. Vielleicht ist das Land zu klein, die Konkurrenz durch natürliche, landschaftliche «Highlights» zu gross, um einen wirtschaftlichen Erfolg zu garantieren. Eine mögliche Alternativstrategie ist die Einrichtung «kleiner Erlebniswelten » (wie «Appenzeller Brunch» und «Älpler Barbecue» auf dem Säntis-Gipfel).

Bei vielen Anlagen besteht ein perfektes Zusammenspiel von Gastronomie, Souvenirindustrie und oft auch Hotellerie. Durch eine geschlossene Konzeption der Anlage wird der Besucher gezwungen, alle einschlägigen Bedürfnisse in der Kunstwelt zu befriedigen (sprich: sein Geld dort zu lassen). So werden Freizeit- und Erlebnisparks zum Kurzurlaubsressort, in dem Erleben und Vergnügen sowie Relaxen gleichermassen möglich sind. Mehrtagesaufenthalte als «Package» (Fahrt, Unterkunft, Eintritt) liegen im Trend.

Wie eng Produktplacement und Marketing zusammenhängen, zeigt das Beispiel des Legolands Deutschland im bayerischen Günzburg. Dort fungieren Audi, Coca-Cola, Hipp, Intel, Langnese und Müller Milch als Wirtschaftspartner. So können Kinder in der Audi-Legoland- Fahrschule eine Art ersten Führerschein in einem Audi TT-Roadster machen. Der Freizeitpark dient also auch dazu, frühe Markenbindungen (das heisst wirtschaftliche Abhängigkeiten) zu erzeugen.

Indoor kontra Outdoor

Aus landschaftsplanerischer Sicht stellt sich die spannende Frage, ob durch die Konzentration der Erholungsuchenden in künstlichen Erlebniswelten die Natur entlastet werden kann. Ein Blick hinter die Kulissen der Jever-Skihalle Neuss (Deutschland) hilft bei der Suche nach einer Antwort. Die Gründer der Skihalle sind Reiseveranstalter und Skilehrer. Verantwortlich für den Schnee und die Pisten sind das Salzburger Land und seine führenden Skigebiete – Motto «Snowed by Salzburger Land». Regelmässig präsentieren sich Top-Skigebiete in der Neusser Skihalle, und im angeschlossenen integrierten Reisebüro können Skireisen dorthin gebucht werden. Die Antwort auf die eingangs gestellte Frage lautet also «nein»; Indoor funktioniert als «Appetizer» für Outdoor! Umso verwunderlicher, dass gerade Reinhold Messner, der sich sehr gegen die «Kapillarerschliessung» der Alpen aussprach, die Eröffnung der Kletterwand an der Jever Skihalle in Neuss zelebrierte.

Natur- und Landschaftsschutz

Aus dem Blickwinkel von Natur- und Landschaftsschutz können negative Auswirkungen vieler Freizeit- und Erlebnisparks auf die Umwelt festgestellt werden. Auch wenn moderne Anlagen unter Energiesparaspekten errichtet werden, schlägt ein unverhältnismässig grosser Energie-, Wasser- und Raumbedarf zu Buche. Abwässer, Abgase, Müll, Bodenverfestigung und -verbrauch belasten die Landschaft stark. Die Pflanzen- und Tierwelt wird gestört, Emissionen aus dem Freizeitverkehr nehmen zu. Im Legoland Günzburg wurden die Bedenken von Umweltschützern nachhaltig bestätigt: Etwa 90 Prozent der Besucher kommen mit dem Auto, da die Anreise mit Bahn und Shuttlebus zu umständlich ist. Weil Grossanlagen zur besseren Auslastung auf Massenbetrieb ausgelegt sind, werden die negativen Auswirkungen maximiert. Da die Besucher trotz aller Künstlichkeit nicht ganz auf die echte Natur verzichten wollen, werden Freizeit- und Erlebnisparks oft in oder nahe bei schönen Landschaften errichtet, was zu erheblichen Eingriffen führt.

Bei aller Kritik soll aber nicht verschwiegen werden, dass beim Bau solcher Anlagen auch Nachhaltigkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen können. Die Jever-Skihalle in Neuss entstand beispielsweise auf einer ehemaligen Mülldeponie. Der Verlust von ursprünglicher Landschaft konnte so vermieden werden. Das «Ferienparadies Tropical Island», das in der Niederlausitz (Deutschland) auf einer Fläche von 66 000 Quadratmetern in der grössten freitragenden Halle der Welt entstanden ist, nutzt die Halle eines noch vor Markteintritt in Konkurs gegangenen Luftschiff-Projektes (Cargo Lifter). Künstliche Bade- und Tropenwelten als Folgenutzung von Gewerbebauten – ein Modell für die Zukunft?

Freizeit- und Erlebnisparks und die Landschaftsarchitektur

Es gibt beachtenswerte Schnittstellen zwischen Freizeit- und Erlebnisparks und der Landschaftsarchitektur. Die Innenwelt von «Tropical Island» wurde von internationalen Landschaftsarchitekten gestaltet. Und in der Schweiz sind derzeit bekannte Landschaftsarchitekturbüros beispielsweise mit grösseren Um- und Neugestaltungen von zoologischen Anlagen befasst. Auch die Indoor-Gestaltung bietet interessante Perspektiven für unseren Berufsstand.

Qualifizierte Landschaftsarchitekten können zudem durch den intelligenten Einsatz von landschaftsplanerischen Instrumenten in erheblichem Masse dazu beitragen, die negativen Auswirkungen von Freizeit- und Erlebnisparks zu minimieren. Auf übergeordneter Ebene gilt es, die mit der Standortwahl einhergehenden Konflikte frühzeitig zu erkennen und sachgerecht zu lösen, die Einbindung in Landschaft und Umgebung sicherzustellen. Ein fundierter Landschaftsrichtplan, der den spezifischen Anforderungen von Freizeit- und Erlebnisparks Rechnung trägt, aber auch ein regionales oder kommunales Landschaftsentwicklungskonzept sind Instrumente, die zum Einsatz kommen sollten. Mit Hilfe einer UVP sollte sichergestellt werden, dass bei der Planung den Anforderungen des Umweltschutzes frühzeitig Rechnung getragen wird.

Auch auf der freiraumgestalterischen Ebene leistet die Landschaftsarchitektur einen unverzichtbaren Beitrag zur funktionalen, ästhetischen und ökologischen Qualität des Projektes und zur Integration von Freizeit- und Erlebnisparks in unsere Umwelt. Die Entwurfsqualität kann die Eingliederung der Anlagen in das Landschaftsbild garantieren, Detailaspekten, wie zum Beispiel einer art- und standortgerechten Bepflanzung, kann Rechnung getragen werden.

anthos, So., 2006.10.01

01. Oktober 2006 Hannes Krauss

Wirklich künstlich!

(SUBTITLE) Landschaften im Computerspiel

Ein klärendes Licht auf das Verhältnis zwischen Realität und Virtualität zu werfen, ist zweifelsohne Aufgabe der Philosophen. [1] Zu schnell begeben wir uns auf Glatteis und verfangen uns in Widersprüchen. Will man die Wirklichkeitsnähe einer Sache betonen, sucht man gerne sprachlich-metaphorische Unterstützung in der Begriffswelt der Landschaft, spricht von bodenständig oder felsenfest.

Konträr dazu ist die Auffassung, Landschaft werde durch unsere Wahrnehmung überhaupt erst konstruiert, sei also höchst subjektiv. Landschaft ist dann das Bild des von mir wahrgenommenen Raumes, die Realität wird mittels der Wahrnehmung in eine Imagination überführt. Dieser Argumentation folgend, verwischt auch der Unterschied zwischen der realen Landschaft, in der ich stehe, und der virtuellen Landschaft eines Computerspiels, deren verblüffend realistische Grafik mir das Gefühl vermittelt, mich in ihr zu bewegen. Ob reale oder virtuelle Landschaft – beide werden erblickt, beide werden aber auch hergestellt.

Virtuelle Landschaften zu kreieren, ist Aufgabe einer vergleichsweise jungen Profession, der Spieleentwickler. Diese konstruieren Landschaften als virtuelle Räume, welche technische Möglichkeiten und Vorgaben mit den Erwartungen der zukünftigen Nutzer verbinden.

Landschaft als Setting

In den Werkstätten der Game Studios erfährt man einiges über Regeln und Bedingungen virtueller Landschaftsproduktionen. Zwar wird ein hoher Detailgrad in der Landschaftsdarstellung angestrebt, jedoch geht es nicht in erster Linie um fotorealistische Wiedergaben. Die Arbeit mit dem Medium Computerspiel stellt spezifische Anforderungen. Man will nicht nur die Wirklichkeit vermitteln, sondern, so ein Entwickler von Strategiespielen, auch das, was die Menschen sich vom Setting vorstellen. Man müsse versuchen, die Erwartungshaltung der «User» zu treffen. Dazu gehöre die Landschaft genauso wie die Ritterrüstung.[2] Diese Erwartungen seien zu bedienen und nicht das korrekte Abbild zu erschaffen.

Um dreidimensionale Landschaftsbilder zu erstellen, greifen die Konstrukteure selber auf vorhandenes Bildmaterial zurück. Als Quelle wird vor allem das Internet genutzt: Fotos, Gemälde – gerne Rembrandt – Satellitenbilder, alte Pläne. Nur selten wählt man die aufwändige Recherche vor Ort, um «Locations mit der Digicam zu scouten», wie es im Fachjargon heisst. Und wenn gar nichts anderes mehr geht, greift man auf ein Spezialwerkzeug zurück: die so genannten fraktalen Landschaftsgeneratoren, die nach bestimmten Vorgaben, etwa Berglandschaft mit Tannenwald, unendlich viele Variationen dieses Landschaftstyps liefern.

Stilisierte Landschaften

Abgestimmt auf die Ansprüche der potentiellen Nutzer, wird digitales Bildmaterial zu neuen Landschaftsbildern transformiert, von Abbild zu Abbild. Doch gibt es auch die Rückkopplung vom mehrfach modifizierten Abbild zurück zu der Landschaft, die zu gestalten Aufgabe der Landschaftsarchitekten ist? John Stilgoe, Professor für Landschaftsgeschichte an der Universität Harvard, formuliert diese Frage unter dem Vorzeichen globalisierter Märkte. «Wie gestalten wir Landschaften für Computerspiele, wenn die Spiele weltweit vermarktet werden sollen? Die Japaner können das sehr gut: stilisierte Wälder, stilisierte Felder, alles ist stilisiert. Immer unter der Fragestellung, wie kann ich es verkaufen? Man darf nie vergessen, dass diese Spiele entwickelt wurden, um Profit zu machen.»[3]

Von Seiten der Macher solch stilisierter Landschaften wird diese Einschätzung wiederum relativiert. Man könne auch als Europäer seinen eigenen Stil haben, man müsse nicht alles machen wie die Japaner. Allerdings müsse man sich schon ein bisschen angleichen und einen Stil finden, der auch im europäischen Ausland funktioniere und am besten auch in den Vereinigten Staaten. Schliesslich mache man ja Konsumgüter und wolle damit Geld verdienen. Womit doch wieder Stilgoes These stilisierter Landschaften bestätigt wäre. Dabei richtet Stilgoe sein Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen Globalisierung und persönlicher Landschaftserfahrung des Einzelnen, die nach seiner Auffassung bereits in der Kindheit geprägt wird. Wenn, so Stilgoe, beispielsweise in Deutschland ein Kind den Schwarzwald als ersten Wald seines Lebens sieht, dann meint das Wort Wald für dieses Kind «Schwarzwald». Ganz anders in Mexiko, dort sieht ein Kind einen vollkommen anderen Typ von Wald.

Die prägende Bedeutung von Landschaftserfahrungen in der Kindheit beschreibt auch die tschechische Schriftstellerin Libuˇse Moníková. Mit zunehmendem Alter, stellt sie fest, werde Landschaft immer wichtiger, zu etwas Einmaligem, das sich nicht ersetzen lässt. So habe Claude Lévi-Strauss am Ende seiner Reisen in den «Traurigen Tropen» resümiert, welche Landschaft ihn am meisten beeindruckt habe. Er habe Dschungel und Hochplateaus gesehen, Hochgebirge, Küste, Meer – Landschaften in extremen Zuständen. Er sei aber zu dem Schluss gekommen, dass für ihn am beeindruckensten die urvertraute Landschaft seiner Kindheit sei – «das europäische Mittelgebirge mit Mischwald».[4]

Standards virtueller Realitäten

Doch welche Folgen hat es, wenn es für Kinder in Zukunft nur noch «den» Wald geben wird, eben jenen stilisierten Wald, der ihnen durch ihre Computerspiele vertrauter ist als der Wald vor der eigenen Haustür, in dem ihre Eltern sie vielleicht gar nicht mehr spielen lassen?

Wenn Kinder ihre Umgebung tatsächlich immer stärker nach den Standards virtueller Realitäten beurteilen – und das bezieht sich nicht nur auf die Art, sondern auch auf das wachsende Ausmass gestalteter Räume –, so wird sich das langfristig auch auf die Arbeit der Landschaftsarchitekten auswirken. Deren Kreativität und Gestaltungsspielraum würden unterhöhlt und kanalisiert, so die pessimistischen Stimmen in der Debatte. Das Gegenteil sei der Fall, sagen die Optimisten – tendenziell die finanziellen Gewinner. Die wachsenden technischen Möglichkeiten setzten ein ungeahntes kreatives Potential für die unterschiedlichsten Bereiche frei. Und gerade der Boom der Spielebranche böte auch kleineren Independentproduktionen ihre Nischen. Divergierende Einschätzungen gegenüber einer noch jungen Entwicklung, die kritisch zu beobachten in Zukunft unabdingbar sein wird.

anthos, So., 2006.10.01

[1] Siehe dazu auch: Wirklichkeit! Wege in die Realität. Sonderheft Merkur 677/678, Heft 9/10-200
[2] Auszüge aus einem Interview der Autorin mit Tobias Severin, Spieleentwickler 4head studios, November 2005 in Hannover
[3] John Stilgoe, Professor für Landschaftsgeschichte an der Universität Harvard, äusserte seine Positionen in einem Interview mit der Autorin im Oktober 2005 in Harvard
[4] Libuˇse Moníková: Prager Fenster. Carl Hanser Verlag, München, Wien 1994

01. Oktober 2006 Stefanie Krebs

Wahrnehmung verändert Landschaft

Seit 2002 bietet die IBA Fürst-Pückler-Land mit grossem Erfolg «sinnliche Tagebauerkundungen» an. Diese geführten Wanderungen durch stillgelegte Braunkohle-Tagebaue kurz vor deren Flutung machen Landschaftsbereiche, die jahrzehntelang gesperrt waren, erstmals zugänglich. Durch die Art der Besucherführung wird eine neue Wahrnehmung der bisher eher als Schandflecken betrachteten «Restlöcher» eröffnet.

In die Wahrnehmung führen

Den dramaturgischen Rahmen der vom Autor zusammen mit dem Künstler Rainer Düvell entwickelten Tagebauerkundung bilden Informationen und Installationen während der Tour – wie zum Beispiel ein Imbiss an weiss gedeckter Tafel direkt am schwarzen Kohleflöz oder ein mit Helium gefüllter Luftballon, der als «Boje» den zukünftigen Seewasserstand auf 38 Meter Höhe über dem jetzigen Grund des Sees anzeigt. Hauptsächlich aber geht es darum, die Besucher in ihre eigene Wahrnehmung zu führen. Dazu werden die Teilnehmer aufgefordert, einen Teilabschnitt schweigend zu gehen oder sich mit verbundenen Augen von anderen führen zu lassen. Anschliessend werden sie angeregt, ihre Eindrücke mitzuteilen.

Wirklichkeitsebenen aufdecken

Je nach Herkunft erlebt jeder Besucher die Grube anders. Durch die Äusserungen der Teilnehmer treten diese verschiedenen Wirklichkeitsebenen des Ortes zu Tage. Der eine fühlt sich in eine unwirkliche Welt versetzt. Vor den Augen des anderen entsteht eine Landschaft, die er mit anderen Orten der Welt vergleicht. Der ehemalige Bergmann befindet sich in seinem «Tagebau-Restloch Nr. 244», während der umgesiedelte Bewohner sich an seine für immer verlorene Heimat erinnert.

«Sich einen Begriff machen»

Das Mitteilen des Erlebten ist für den Erkundenden der entscheidende Moment, das, was er sieht, spürt und erlebt, zu begreifen. Denn erst im Sprechen macht man sich einen Begriff. Die eigene Wahrnehmung kommt durch das Zuhören der anderen zu ihrem Recht. Im Mitteilen und Zuhören konstruieren die Teilnehmer die Wirklichkeit des Ortes.

Landschaft als soziale Konstruktion

Indem sie kommunizieren, werden die Beobachter zu Akteuren. Sie verleihen den Tagebaugruben eine neue Bedeutung und Wertigkeit. Durch den Tourismus der IBA wird also aus dem technisch zu bewältigenden «Sanierungsfall Tagebaurestloch» ein Raum für einzigartige Natur-Erlebnisse, für Kommunikation und Begegnung sowie für neue Identifizierung mit der Heimat. Im Zusammenspiel von Inszenierung, Erlebnis und Gespräch entsteht eine neue Landschaft.

Grube als Bühne

Aus dieser Art der sinnlichen Tagebauerkundung ist nicht zuletzt auch ein öffentlich sehr rege wahrgenommenes Theaterprojekt hervorgegangen, das der Schweizer Regisseur Jürg Montalta mit Bewohnern des abgebaggerten Ortes Bückgen direkt im Tagebau inszenierte. Dabei gelang es ihm, ehemalige Bückgener direkt an den Ort ihres schmerzhaften Verlustes heranzuführen. Viele von ihnen hatten ihn bereits verdrängt oder scheinbar vergessen. Die lebhaft erzählten und dargestellten Geschichten auf einem im Sand nachgezeichneten Grundriss liessen die Vergangenheit der verschwundenen Gemeinde vor den Augen der Zuhörer wieder aufleben und machten eine wesentliche Wirklichkeitsebene der Landschaft auch für andere begreifbar. So entstand für die Protagonisten wie für das Publikum eine tief greifende Erfahrung – auch mit heilender Wirkung. Eine Teilnehmerin brachte das so auf den Punkt: «Jetzt ist es verschmerzt, jetzt freu’ ich mich auf den See!»

Tourismus und Theater als Landschaftsgestaltung

Am Tagebau selbst hat sich seit den Touren und Veranstaltungen – ausser einigen wenigen sanierungstechnischen Veränderungen – kaum etwas verändert. Doch die Grube ist nur scheinbar dieselbe geblieben: Deren veränderte öffentliche Wahrnehmung und die entsprechende Kommunikation über sie haben sie «renoviert». Wenn heute «Tagebaulandschaft »gesagt wird, ist nicht mehr dasselbe gemeint wie vor drei Jahren. Konnotierte man mit ihr vorher «devastiert, zerstört, hässlich», so meint man heute «aussergewöhnlich, zukunftsorientiert, interessant». Insofern sind die Touren und Veranstaltungen in der Grube auch als ein Mittel der Landschaftsgestaltung zu verstehen.

anthos, So., 2006.10.01

01. Oktober 2006 Karsten Feucht

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