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04. November 2011Stefanie Krebs
dérive

Für eine neue Kultur des Entwerfens

Ausgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs als Geniestreich – durch göttlichen Funken inspiriert. Diese Grundhaltung...

Ausgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs als Geniestreich – durch göttlichen Funken inspiriert. Diese Grundhaltung...

Ausgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs als Geniestreich – durch göttlichen Funken inspiriert. Diese Grundhaltung eint zwei Publikationen, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Intentionen sowie mit Kulturen räumlichen Entwerfens befassen.

»Der Prozess des Entwerfens gilt gemeinhin als geheimnisumwitterte Technik zur Konzeption von zukunftsweisenden Gestaltungsvorschlägen in Architektur und Design. Eher selten wird er [...] in Hinblick auf die Techniken, Verfahren, Regeln, Prozesse und Praktiken untersucht, die für das Entwerfen konstitutiv sind.« Um dies zu leisten, haben die Herausgeber Daniel Gethmann und Susanne Hauser in ihrem Buch zur Kulturtechnik Entwerfen Beiträge von Theoretikern und Praktikern des Entwerfens in Architektur und Design versammelt. Nicht das Resultat, sondern der Prozess des Entwerfens wird in einem historischen Querschnitt von der Renaissance bis in die Gegenwart darauf befragt, wie sich Entwerfen und unterschiedliche Kulturtechniken wechsel­seitig beeinflussen und etwas zum Ent­stehen bringen.

Dieser Frage widmet sich auch die Publikation Creating Knowledge und fokussiert auf ein hochaktuelles Thema, auf »Innovationsstrategien im Entwerfen urbaner Landschaften«, so der Untertitel. Dass dieses Buch ein Anliegen hat, zeigt sich schon im Layout. Markante Grafik, Paperbackformat und PVC-Umschlag bringen zum Ausdruck, dass das Buch intensiv benutzt werden will, um Eingang zu finden in Planungspraxis und Lehre. Und das wünscht man ihm auch!

Die Kernaussage, dass neue Entwurfsstrategien vonnöten seien, um mit der hohen Komplexität großräumiger urbaner Landschaften gestalterisch umzugehen, wird aus zwei Richtungen gespeist. Während im ersten Teil Exploration. Kreativität, Verstehen und Idee Experten zu Wort kommen, die den Kreativitätsprozess in grundsätzlicher Weise beleuchten, bildet Teil zwei den Fokus. Urbane Landschaften, Entwerfen und Innovationsstrategien. Scharnierartig verbunden werden beide Teile durch den Beitrag von Hille von Seggern, der die im Studio Urbane Landschaften an der Leibniz Universität Hannover entwickelte Entwurfsphilosophie darlegt. Der Titel »Ohne Verstehen keine Entwurfsidee« enthält von Seggerns Kernthese, die diese unter Rückgriff auf den Philosophen Gadamer auf das Entwerfen von Landschaften überträgt. Die (nicht ganz neue) Erkenntnis, dass sich Analyse und Entwurf nicht voneinander trennen lassen, ist folgenreich für Planungspraxis und Lehre. Das spezifische Lehrkonzept, das im Studio Urbane Landschaften angewandt bzw. kontinuierlich weiterentwickelt wird, erläutert Julia Werner. Lucia Grosse-Bächle weist die Notwendigkeit spezifischer Entwurfsstrategien im Umgang mit dem dynamischen Medium Landschaft nach. Der Beitrag von Thomas Sieverts
ermöglicht eine Verortung in der aktuellen Debatte um die fragmentierten urbanen Landschaften, ein Begriff, der die Zwischenstadt mittlerweile abgelöst hat. Dass nicht alle Beiträge eins zu eins den Grundthesen des Herausgebertrios folgen, tut der Konzeption des Buches keinen Abbruch, im Gegenteil. Der Leser wird herausfordert, gegenüber den vorgebrachten durchaus streitbaren Thesen selber Position zu beziehen.

Dass die interdisziplinäre Konzeption von Creating Knowledge aufgeht, liegt an der klaren Fragestellung »Wie kommt Wissen in die Welt?«, die konkret auf das Entwerfen großräumiger urbaner Landschaften angewandt wird. So gelingt es, dass sich die auch in ihrer Methodik so unterschiedlichen Disziplinen, von Hirnforschung über Psychologie, Kunstwissenschaft bis hin zu den raumgestaltenden Fächern, ergänzen, den Faden der anderen Beitragenden aufnehmen und weiterspinnen, so dass sich dem Leser schließlich ein zwar nicht einheitliches, aber doch kohärentes Ganzes darbietet. Was zu kurz kommt, ist eine kritische Reflexion der eigenen Position. Vielleicht ist das auch zuviel verlangt von einem Buch, das im Feld der Entwurfsforschung eine Bresche schlagen will.

Wer eine eher historisch-kritische Sichtweise auf das Forschungsthema Entwerfen richten möchte, dem sei das Buch Kulturtechnik Entwerfen zur ergänzenden und vertiefenden Lektüre empfohlen. So lässt sich die Verve, mit der Creating Knowledge heute für die Anerkennung des Entwerfens als Forschung kämpft, besser verstehen, wenn man in der stärker kulturwissenschaftlich ausgerichteten Anthologie verfolgt, wie man sich etwa in den sechziger Jahren bemüht hatte, räumliches Entwerfen im Sinne naturwissenschaftlicher Methodik zu formalisieren. Im Abschnitt Praktiken, der Entwurfsprozesse der Gegenwart untersucht, fragt die Philosophin Elisabeth List aus phänomenologischer Sicht nach den Bedingungen und Strukturen die Neues entstehen lassen. In Abkehr von einer reinen Objektsicht beschreibt sie Entwerfen als Produkt eines physischen Tätigseins, aus menschlichen Praktiken und deren Bezogenheit auf eine eigene Leiblichkeit. Damit unterstützt sie wiederum eine Grundthese von Creating Knowledge, Entwerfen als ganzheitlichen Vorgang zu begreifen, der »mit Kopf, Herz und Verstand die Welt verstehend verändert«, wie es der Generalsekretär der Volkswagenstiftung Wilhelm Krull im dortigen Vorwort emphatisch formuliert.

dérive, Fr., 2011.11.04



verknüpfte Zeitschriften
dérive 45 Urbane Vergnügungen

01. Oktober 2006Stefanie Krebs
anthos

Wirklich künstlich!

Ein klärendes Licht auf das Verhältnis zwischen Realität und Virtualität zu werfen, ist zweifelsohne Aufgabe der Philosophen. [1] Zu schnell begeben wir uns auf Glatteis und verfangen uns in Widersprüchen. Will man die Wirklichkeitsnähe einer Sache betonen, sucht man gerne sprachlich-metaphorische Unterstützung in der Begriffswelt der Landschaft, spricht von bodenständig oder felsenfest.

Ein klärendes Licht auf das Verhältnis zwischen Realität und Virtualität zu werfen, ist zweifelsohne Aufgabe der Philosophen. [1] Zu schnell begeben wir uns auf Glatteis und verfangen uns in Widersprüchen. Will man die Wirklichkeitsnähe einer Sache betonen, sucht man gerne sprachlich-metaphorische Unterstützung in der Begriffswelt der Landschaft, spricht von bodenständig oder felsenfest.

Konträr dazu ist die Auffassung, Landschaft werde durch unsere Wahrnehmung überhaupt erst konstruiert, sei also höchst subjektiv. Landschaft ist dann das Bild des von mir wahrgenommenen Raumes, die Realität wird mittels der Wahrnehmung in eine Imagination überführt. Dieser Argumentation folgend, verwischt auch der Unterschied zwischen der realen Landschaft, in der ich stehe, und der virtuellen Landschaft eines Computerspiels, deren verblüffend realistische Grafik mir das Gefühl vermittelt, mich in ihr zu bewegen. Ob reale oder virtuelle Landschaft – beide werden erblickt, beide werden aber auch hergestellt.

Virtuelle Landschaften zu kreieren, ist Aufgabe einer vergleichsweise jungen Profession, der Spieleentwickler. Diese konstruieren Landschaften als virtuelle Räume, welche technische Möglichkeiten und Vorgaben mit den Erwartungen der zukünftigen Nutzer verbinden.

Landschaft als Setting

In den Werkstätten der Game Studios erfährt man einiges über Regeln und Bedingungen virtueller Landschaftsproduktionen. Zwar wird ein hoher Detailgrad in der Landschaftsdarstellung angestrebt, jedoch geht es nicht in erster Linie um fotorealistische Wiedergaben. Die Arbeit mit dem Medium Computerspiel stellt spezifische Anforderungen. Man will nicht nur die Wirklichkeit vermitteln, sondern, so ein Entwickler von Strategiespielen, auch das, was die Menschen sich vom Setting vorstellen. Man müsse versuchen, die Erwartungshaltung der «User» zu treffen. Dazu gehöre die Landschaft genauso wie die Ritterrüstung.[2] Diese Erwartungen seien zu bedienen und nicht das korrekte Abbild zu erschaffen.

Um dreidimensionale Landschaftsbilder zu erstellen, greifen die Konstrukteure selber auf vorhandenes Bildmaterial zurück. Als Quelle wird vor allem das Internet genutzt: Fotos, Gemälde – gerne Rembrandt – Satellitenbilder, alte Pläne. Nur selten wählt man die aufwändige Recherche vor Ort, um «Locations mit der Digicam zu scouten», wie es im Fachjargon heisst. Und wenn gar nichts anderes mehr geht, greift man auf ein Spezialwerkzeug zurück: die so genannten fraktalen Landschaftsgeneratoren, die nach bestimmten Vorgaben, etwa Berglandschaft mit Tannenwald, unendlich viele Variationen dieses Landschaftstyps liefern.

Stilisierte Landschaften

Abgestimmt auf die Ansprüche der potentiellen Nutzer, wird digitales Bildmaterial zu neuen Landschaftsbildern transformiert, von Abbild zu Abbild. Doch gibt es auch die Rückkopplung vom mehrfach modifizierten Abbild zurück zu der Landschaft, die zu gestalten Aufgabe der Landschaftsarchitekten ist? John Stilgoe, Professor für Landschaftsgeschichte an der Universität Harvard, formuliert diese Frage unter dem Vorzeichen globalisierter Märkte. «Wie gestalten wir Landschaften für Computerspiele, wenn die Spiele weltweit vermarktet werden sollen? Die Japaner können das sehr gut: stilisierte Wälder, stilisierte Felder, alles ist stilisiert. Immer unter der Fragestellung, wie kann ich es verkaufen? Man darf nie vergessen, dass diese Spiele entwickelt wurden, um Profit zu machen.»[3]

Von Seiten der Macher solch stilisierter Landschaften wird diese Einschätzung wiederum relativiert. Man könne auch als Europäer seinen eigenen Stil haben, man müsse nicht alles machen wie die Japaner. Allerdings müsse man sich schon ein bisschen angleichen und einen Stil finden, der auch im europäischen Ausland funktioniere und am besten auch in den Vereinigten Staaten. Schliesslich mache man ja Konsumgüter und wolle damit Geld verdienen. Womit doch wieder Stilgoes These stilisierter Landschaften bestätigt wäre. Dabei richtet Stilgoe sein Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen Globalisierung und persönlicher Landschaftserfahrung des Einzelnen, die nach seiner Auffassung bereits in der Kindheit geprägt wird. Wenn, so Stilgoe, beispielsweise in Deutschland ein Kind den Schwarzwald als ersten Wald seines Lebens sieht, dann meint das Wort Wald für dieses Kind «Schwarzwald». Ganz anders in Mexiko, dort sieht ein Kind einen vollkommen anderen Typ von Wald.

Die prägende Bedeutung von Landschaftserfahrungen in der Kindheit beschreibt auch die tschechische Schriftstellerin Libuˇse Moníková. Mit zunehmendem Alter, stellt sie fest, werde Landschaft immer wichtiger, zu etwas Einmaligem, das sich nicht ersetzen lässt. So habe Claude Lévi-Strauss am Ende seiner Reisen in den «Traurigen Tropen» resümiert, welche Landschaft ihn am meisten beeindruckt habe. Er habe Dschungel und Hochplateaus gesehen, Hochgebirge, Küste, Meer – Landschaften in extremen Zuständen. Er sei aber zu dem Schluss gekommen, dass für ihn am beeindruckensten die urvertraute Landschaft seiner Kindheit sei – «das europäische Mittelgebirge mit Mischwald».[4]

Standards virtueller Realitäten

Doch welche Folgen hat es, wenn es für Kinder in Zukunft nur noch «den» Wald geben wird, eben jenen stilisierten Wald, der ihnen durch ihre Computerspiele vertrauter ist als der Wald vor der eigenen Haustür, in dem ihre Eltern sie vielleicht gar nicht mehr spielen lassen?

Wenn Kinder ihre Umgebung tatsächlich immer stärker nach den Standards virtueller Realitäten beurteilen – und das bezieht sich nicht nur auf die Art, sondern auch auf das wachsende Ausmass gestalteter Räume –, so wird sich das langfristig auch auf die Arbeit der Landschaftsarchitekten auswirken. Deren Kreativität und Gestaltungsspielraum würden unterhöhlt und kanalisiert, so die pessimistischen Stimmen in der Debatte. Das Gegenteil sei der Fall, sagen die Optimisten – tendenziell die finanziellen Gewinner. Die wachsenden technischen Möglichkeiten setzten ein ungeahntes kreatives Potential für die unterschiedlichsten Bereiche frei. Und gerade der Boom der Spielebranche böte auch kleineren Independentproduktionen ihre Nischen. Divergierende Einschätzungen gegenüber einer noch jungen Entwicklung, die kritisch zu beobachten in Zukunft unabdingbar sein wird.

anthos, So., 2006.10.01



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2006/4 Erlebniswelten - Inszenierungen

Presseschau 12

04. November 2011Stefanie Krebs
dérive

Für eine neue Kultur des Entwerfens

Ausgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs als Geniestreich – durch göttlichen Funken inspiriert. Diese Grundhaltung...

Ausgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs als Geniestreich – durch göttlichen Funken inspiriert. Diese Grundhaltung...

Ausgedient hat heute die Denkfigur des (landschafts-)architektonischen Entwurfs als Geniestreich – durch göttlichen Funken inspiriert. Diese Grundhaltung eint zwei Publikationen, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Intentionen sowie mit Kulturen räumlichen Entwerfens befassen.

»Der Prozess des Entwerfens gilt gemeinhin als geheimnisumwitterte Technik zur Konzeption von zukunftsweisenden Gestaltungsvorschlägen in Architektur und Design. Eher selten wird er [...] in Hinblick auf die Techniken, Verfahren, Regeln, Prozesse und Praktiken untersucht, die für das Entwerfen konstitutiv sind.« Um dies zu leisten, haben die Herausgeber Daniel Gethmann und Susanne Hauser in ihrem Buch zur Kulturtechnik Entwerfen Beiträge von Theoretikern und Praktikern des Entwerfens in Architektur und Design versammelt. Nicht das Resultat, sondern der Prozess des Entwerfens wird in einem historischen Querschnitt von der Renaissance bis in die Gegenwart darauf befragt, wie sich Entwerfen und unterschiedliche Kulturtechniken wechsel­seitig beeinflussen und etwas zum Ent­stehen bringen.

Dieser Frage widmet sich auch die Publikation Creating Knowledge und fokussiert auf ein hochaktuelles Thema, auf »Innovationsstrategien im Entwerfen urbaner Landschaften«, so der Untertitel. Dass dieses Buch ein Anliegen hat, zeigt sich schon im Layout. Markante Grafik, Paperbackformat und PVC-Umschlag bringen zum Ausdruck, dass das Buch intensiv benutzt werden will, um Eingang zu finden in Planungspraxis und Lehre. Und das wünscht man ihm auch!

Die Kernaussage, dass neue Entwurfsstrategien vonnöten seien, um mit der hohen Komplexität großräumiger urbaner Landschaften gestalterisch umzugehen, wird aus zwei Richtungen gespeist. Während im ersten Teil Exploration. Kreativität, Verstehen und Idee Experten zu Wort kommen, die den Kreativitätsprozess in grundsätzlicher Weise beleuchten, bildet Teil zwei den Fokus. Urbane Landschaften, Entwerfen und Innovationsstrategien. Scharnierartig verbunden werden beide Teile durch den Beitrag von Hille von Seggern, der die im Studio Urbane Landschaften an der Leibniz Universität Hannover entwickelte Entwurfsphilosophie darlegt. Der Titel »Ohne Verstehen keine Entwurfsidee« enthält von Seggerns Kernthese, die diese unter Rückgriff auf den Philosophen Gadamer auf das Entwerfen von Landschaften überträgt. Die (nicht ganz neue) Erkenntnis, dass sich Analyse und Entwurf nicht voneinander trennen lassen, ist folgenreich für Planungspraxis und Lehre. Das spezifische Lehrkonzept, das im Studio Urbane Landschaften angewandt bzw. kontinuierlich weiterentwickelt wird, erläutert Julia Werner. Lucia Grosse-Bächle weist die Notwendigkeit spezifischer Entwurfsstrategien im Umgang mit dem dynamischen Medium Landschaft nach. Der Beitrag von Thomas Sieverts
ermöglicht eine Verortung in der aktuellen Debatte um die fragmentierten urbanen Landschaften, ein Begriff, der die Zwischenstadt mittlerweile abgelöst hat. Dass nicht alle Beiträge eins zu eins den Grundthesen des Herausgebertrios folgen, tut der Konzeption des Buches keinen Abbruch, im Gegenteil. Der Leser wird herausfordert, gegenüber den vorgebrachten durchaus streitbaren Thesen selber Position zu beziehen.

Dass die interdisziplinäre Konzeption von Creating Knowledge aufgeht, liegt an der klaren Fragestellung »Wie kommt Wissen in die Welt?«, die konkret auf das Entwerfen großräumiger urbaner Landschaften angewandt wird. So gelingt es, dass sich die auch in ihrer Methodik so unterschiedlichen Disziplinen, von Hirnforschung über Psychologie, Kunstwissenschaft bis hin zu den raumgestaltenden Fächern, ergänzen, den Faden der anderen Beitragenden aufnehmen und weiterspinnen, so dass sich dem Leser schließlich ein zwar nicht einheitliches, aber doch kohärentes Ganzes darbietet. Was zu kurz kommt, ist eine kritische Reflexion der eigenen Position. Vielleicht ist das auch zuviel verlangt von einem Buch, das im Feld der Entwurfsforschung eine Bresche schlagen will.

Wer eine eher historisch-kritische Sichtweise auf das Forschungsthema Entwerfen richten möchte, dem sei das Buch Kulturtechnik Entwerfen zur ergänzenden und vertiefenden Lektüre empfohlen. So lässt sich die Verve, mit der Creating Knowledge heute für die Anerkennung des Entwerfens als Forschung kämpft, besser verstehen, wenn man in der stärker kulturwissenschaftlich ausgerichteten Anthologie verfolgt, wie man sich etwa in den sechziger Jahren bemüht hatte, räumliches Entwerfen im Sinne naturwissenschaftlicher Methodik zu formalisieren. Im Abschnitt Praktiken, der Entwurfsprozesse der Gegenwart untersucht, fragt die Philosophin Elisabeth List aus phänomenologischer Sicht nach den Bedingungen und Strukturen die Neues entstehen lassen. In Abkehr von einer reinen Objektsicht beschreibt sie Entwerfen als Produkt eines physischen Tätigseins, aus menschlichen Praktiken und deren Bezogenheit auf eine eigene Leiblichkeit. Damit unterstützt sie wiederum eine Grundthese von Creating Knowledge, Entwerfen als ganzheitlichen Vorgang zu begreifen, der »mit Kopf, Herz und Verstand die Welt verstehend verändert«, wie es der Generalsekretär der Volkswagenstiftung Wilhelm Krull im dortigen Vorwort emphatisch formuliert.

dérive, Fr., 2011.11.04



verknüpfte Zeitschriften
dérive 45 Urbane Vergnügungen

01. Oktober 2006Stefanie Krebs
anthos

Wirklich künstlich!

Ein klärendes Licht auf das Verhältnis zwischen Realität und Virtualität zu werfen, ist zweifelsohne Aufgabe der Philosophen. [1] Zu schnell begeben wir uns auf Glatteis und verfangen uns in Widersprüchen. Will man die Wirklichkeitsnähe einer Sache betonen, sucht man gerne sprachlich-metaphorische Unterstützung in der Begriffswelt der Landschaft, spricht von bodenständig oder felsenfest.

Ein klärendes Licht auf das Verhältnis zwischen Realität und Virtualität zu werfen, ist zweifelsohne Aufgabe der Philosophen. [1] Zu schnell begeben wir uns auf Glatteis und verfangen uns in Widersprüchen. Will man die Wirklichkeitsnähe einer Sache betonen, sucht man gerne sprachlich-metaphorische Unterstützung in der Begriffswelt der Landschaft, spricht von bodenständig oder felsenfest.

Konträr dazu ist die Auffassung, Landschaft werde durch unsere Wahrnehmung überhaupt erst konstruiert, sei also höchst subjektiv. Landschaft ist dann das Bild des von mir wahrgenommenen Raumes, die Realität wird mittels der Wahrnehmung in eine Imagination überführt. Dieser Argumentation folgend, verwischt auch der Unterschied zwischen der realen Landschaft, in der ich stehe, und der virtuellen Landschaft eines Computerspiels, deren verblüffend realistische Grafik mir das Gefühl vermittelt, mich in ihr zu bewegen. Ob reale oder virtuelle Landschaft – beide werden erblickt, beide werden aber auch hergestellt.

Virtuelle Landschaften zu kreieren, ist Aufgabe einer vergleichsweise jungen Profession, der Spieleentwickler. Diese konstruieren Landschaften als virtuelle Räume, welche technische Möglichkeiten und Vorgaben mit den Erwartungen der zukünftigen Nutzer verbinden.

Landschaft als Setting

In den Werkstätten der Game Studios erfährt man einiges über Regeln und Bedingungen virtueller Landschaftsproduktionen. Zwar wird ein hoher Detailgrad in der Landschaftsdarstellung angestrebt, jedoch geht es nicht in erster Linie um fotorealistische Wiedergaben. Die Arbeit mit dem Medium Computerspiel stellt spezifische Anforderungen. Man will nicht nur die Wirklichkeit vermitteln, sondern, so ein Entwickler von Strategiespielen, auch das, was die Menschen sich vom Setting vorstellen. Man müsse versuchen, die Erwartungshaltung der «User» zu treffen. Dazu gehöre die Landschaft genauso wie die Ritterrüstung.[2] Diese Erwartungen seien zu bedienen und nicht das korrekte Abbild zu erschaffen.

Um dreidimensionale Landschaftsbilder zu erstellen, greifen die Konstrukteure selber auf vorhandenes Bildmaterial zurück. Als Quelle wird vor allem das Internet genutzt: Fotos, Gemälde – gerne Rembrandt – Satellitenbilder, alte Pläne. Nur selten wählt man die aufwändige Recherche vor Ort, um «Locations mit der Digicam zu scouten», wie es im Fachjargon heisst. Und wenn gar nichts anderes mehr geht, greift man auf ein Spezialwerkzeug zurück: die so genannten fraktalen Landschaftsgeneratoren, die nach bestimmten Vorgaben, etwa Berglandschaft mit Tannenwald, unendlich viele Variationen dieses Landschaftstyps liefern.

Stilisierte Landschaften

Abgestimmt auf die Ansprüche der potentiellen Nutzer, wird digitales Bildmaterial zu neuen Landschaftsbildern transformiert, von Abbild zu Abbild. Doch gibt es auch die Rückkopplung vom mehrfach modifizierten Abbild zurück zu der Landschaft, die zu gestalten Aufgabe der Landschaftsarchitekten ist? John Stilgoe, Professor für Landschaftsgeschichte an der Universität Harvard, formuliert diese Frage unter dem Vorzeichen globalisierter Märkte. «Wie gestalten wir Landschaften für Computerspiele, wenn die Spiele weltweit vermarktet werden sollen? Die Japaner können das sehr gut: stilisierte Wälder, stilisierte Felder, alles ist stilisiert. Immer unter der Fragestellung, wie kann ich es verkaufen? Man darf nie vergessen, dass diese Spiele entwickelt wurden, um Profit zu machen.»[3]

Von Seiten der Macher solch stilisierter Landschaften wird diese Einschätzung wiederum relativiert. Man könne auch als Europäer seinen eigenen Stil haben, man müsse nicht alles machen wie die Japaner. Allerdings müsse man sich schon ein bisschen angleichen und einen Stil finden, der auch im europäischen Ausland funktioniere und am besten auch in den Vereinigten Staaten. Schliesslich mache man ja Konsumgüter und wolle damit Geld verdienen. Womit doch wieder Stilgoes These stilisierter Landschaften bestätigt wäre. Dabei richtet Stilgoe sein Augenmerk auf den Zusammenhang zwischen Globalisierung und persönlicher Landschaftserfahrung des Einzelnen, die nach seiner Auffassung bereits in der Kindheit geprägt wird. Wenn, so Stilgoe, beispielsweise in Deutschland ein Kind den Schwarzwald als ersten Wald seines Lebens sieht, dann meint das Wort Wald für dieses Kind «Schwarzwald». Ganz anders in Mexiko, dort sieht ein Kind einen vollkommen anderen Typ von Wald.

Die prägende Bedeutung von Landschaftserfahrungen in der Kindheit beschreibt auch die tschechische Schriftstellerin Libuˇse Moníková. Mit zunehmendem Alter, stellt sie fest, werde Landschaft immer wichtiger, zu etwas Einmaligem, das sich nicht ersetzen lässt. So habe Claude Lévi-Strauss am Ende seiner Reisen in den «Traurigen Tropen» resümiert, welche Landschaft ihn am meisten beeindruckt habe. Er habe Dschungel und Hochplateaus gesehen, Hochgebirge, Küste, Meer – Landschaften in extremen Zuständen. Er sei aber zu dem Schluss gekommen, dass für ihn am beeindruckensten die urvertraute Landschaft seiner Kindheit sei – «das europäische Mittelgebirge mit Mischwald».[4]

Standards virtueller Realitäten

Doch welche Folgen hat es, wenn es für Kinder in Zukunft nur noch «den» Wald geben wird, eben jenen stilisierten Wald, der ihnen durch ihre Computerspiele vertrauter ist als der Wald vor der eigenen Haustür, in dem ihre Eltern sie vielleicht gar nicht mehr spielen lassen?

Wenn Kinder ihre Umgebung tatsächlich immer stärker nach den Standards virtueller Realitäten beurteilen – und das bezieht sich nicht nur auf die Art, sondern auch auf das wachsende Ausmass gestalteter Räume –, so wird sich das langfristig auch auf die Arbeit der Landschaftsarchitekten auswirken. Deren Kreativität und Gestaltungsspielraum würden unterhöhlt und kanalisiert, so die pessimistischen Stimmen in der Debatte. Das Gegenteil sei der Fall, sagen die Optimisten – tendenziell die finanziellen Gewinner. Die wachsenden technischen Möglichkeiten setzten ein ungeahntes kreatives Potential für die unterschiedlichsten Bereiche frei. Und gerade der Boom der Spielebranche böte auch kleineren Independentproduktionen ihre Nischen. Divergierende Einschätzungen gegenüber einer noch jungen Entwicklung, die kritisch zu beobachten in Zukunft unabdingbar sein wird.

anthos, So., 2006.10.01



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anthos 2006/4 Erlebniswelten - Inszenierungen

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