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Presseschau

12. April 2008Wojciech Czaja
Der Standard

Oper für alle

Heute Abend wird in Oslo das neue Opernhaus eröffnet. Land und Leute zogen an einem Strang und ebneten der Architektur den Weg. Das norwegische Büro Snøhetta schuf ein Gebäude für die ganze Stadt. Was will man mehr.

Heute Abend wird in Oslo das neue Opernhaus eröffnet. Land und Leute zogen an einem Strang und ebneten der Architektur den Weg. Das norwegische Büro Snøhetta schuf ein Gebäude für die ganze Stadt. Was will man mehr.

Kennen Sie vielleicht ein Büro namens Schneemütze? In Norwegen kann jedes Kind ein Lied davon singen. Denn Snøhetta ist nicht nur der höchste Berg im Süden des Landes, sondern auch das größte und coolste Architekturbüro weit und breit. „Man weiß schon gar nicht mehr, worüber die Kinder in der Schule zuerst lernen“, sagt die Osloer Journalistin Sissil Gromholt, „über den Berg im Naturkunde-Unterricht oder doch über die Architekten, wenn die Lehrerin wieder mal über Landeskultur spricht.“

Dem nicht genug. Mit 100 Mitarbeitern und etlichen internationalen Projekten ist Snøhetta international ein Renner. 2001 machte sich das Büro mit dem Bau der neuen Bibliotheca Alexandrina in Ägypten einen Namen, in New York bauen sie gerade an einem Memorial für Ground Zero. Snøhetta hat sich aber auch in Österreich einen Namen gemacht. Anfang des Jahres stellte das norwegische Architekturbüro einen Einzelantrag und klagte damit die ÖBB, die mit dem Bau der BahnhofCity in Wien virtuos das Bundesvergabegesetz zu umschiffen versuchten (der Standard berichtete). Die Folge der österreichischen Verschleiertaktik war ein Aufschrei, der weit über die Landesgrenzen hinaus zu hören war. Doch wie kommt ein norwegisches Büro dazu, einen österreichischen Staatsbetrieb zu klagen? Ole Gustavsen, Managing Director von Snøhetta, kurz und bündig: „Aus Prinzip.“

Und während sich die großen Bauherren in Österreich vor der vermeintlich lauernden Gefahr moderner Architektur fürchten und sich hinter dem Mauerwinkel provinziellen Kleingeisttums verstecken, werden in der norwegischen Hauptstadt derweil die Wadeln warmtrainiert. Heute, Samstagabend, eröffnet der größte Kulturbau der letzten Jahrzehnte, das neue Osloer Opernhaus, mit einer Aufführung des norwegischen Nationalballetts. Pressesprecher Sverre Gunnar Haga ist schon aufgeregt. In einer Umfrage der Tageszeitung Nationen erklärten 43 Prozent der Osloer, in Zukunft regelmäßig in die neue Oper gehen zu wollen. Das sind große Pläne. „Die Leute sind sehr neugierig, und was die Eröffnungsgala heute Abend betrifft, wird man uns wohl überrennen.“

Zum Glück gibt es da die Open-Door-Policy, die man in Zukunft fahren wird. Dazu gehören nicht nur zwei Restaurants innerhalb des Gebäudes, die Tag und Nacht geöffnet haben werden, sondern auch das öffentlich zugängliche Dach. „Das ist das einzige Opernhaus auf der ganzen Welt, wo die Besucher auf dem Dach spazieren gehen können“, erklärt Haga nicht unstolz. Schon in der Bauphase pilgerten hunderte Familien regelmäßig hierher, um den Baufortschritt des neuen Juwels zu begutachten. Eines heißen Augusttages im Jahre 2007 zählte man 20.000 Besucher auf dem Dach. Die Statik hat's getragen.

Impulsgeber für die Docks

Zurück zum Anfang: Jahrelang hatte die Politik den Bau einen neuen Opernhauses diskutiert. Das alte Gebäude mitten in der Stadt war ein umgebautes Kino aus den Vierzigerjahren. Die Akustik, erzählt man sich, soll schrecklich gewesen sein. Der Bedarf nach einem Kulturneubau wurde geschickt mit einer städtebaulichen Vision verknüpft. Die da wäre: In unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs, zu Fuß aber Lichtjahre davon entfernt, liegt die ehemalige Hafengegend Bjørvika. Eine achtspurige Schnellstraße zerreißt die Stadt in zwei Teile und macht die ungenutzten Docks nur schwer zugänglich und damit alles andere als attraktiv. Das soll sich nun ändern.

In einem ersten Schritt soll das neue Opernhaus der Bevölkerung deutlich machen, dass man es mit der Revitalisierung der Docks ernst meint. In weiterer Folge wird man hier Büros, Wohnungen und Einkaufsmöglichkeiten ansiedeln. Als wichtiger Schritt wird bis zum Jahr 2011 die Schnellstraße unter die Erde - besser gesagt unter das Wasser - verlegt, damit das neue Viertel wieder an die Stadt angebunden wird. Die Bauarbeiten dafür haben bereits begonnen. Keine fünf Minuten wird man dann zu Fuß vom Hauptbahnhof zur Oper brauchen.

„Der Bau der Oper ist mehr als nur ein einzelnes Projekt“, sagt Architekt Simon Ewings, Projektleiter bei Snøhetta, „es ist die Initialzündung für eine ganze Reihe von Bauvorhaben. Und es ist Resultat dessen, wie Politik, Wirtschaft und Kultur gemeinsam an einem Strang ziehen.“

Dass man es nicht nur auf die Hochkultur und auf gut betuchte Klientel abgesehen hat, zeigt sich bereits an der Landschaftsgestaltung. Wie ein kalbender Gletscher rutscht das Dach der Oper in den Bjørvika-Fjord hinab. Die weißen Eisschollen in Schieflage bieten allerhand Möglichkeiten. Ewings: „Im Sommer hat das Wasser im Fjord manchmal 20 Grad. Hier werden Leute baden und in der Sonne liegen, werden fischen, mountainbiken, Skateboard fahren und werden am Abend am Boden sitzen und schmusen. Und ach ja: In die Oper werden sie auch gehen.“

Die schiefe Ebene, weißer Marmor aus Carrara, ist eine begehbare Dachlandschaft, die in Österreich allein dadurch schon unrealisierbar wäre, weil's jedem Baupolizisten die Haare aufstellen würde. „So eine Neigung? Das ist gegen die Bauordnung!“, hört man den Bürokraten murmeln. In Norwegen jedoch ist das Dach Ausdruck von Demokratie: „Wir wollen nicht nur für einen bestimmen Bevölkerungskreis planen“, sagt Ewings. „Was ist schon eine Oper, wenn sie der Bevölkerung nicht entspricht? Wir wollten ein Gebäude schaffen, das jeder nach eigenem Ermessen nutzen kann - ganz gleich, in welchen Klamotten er hier aufkreuzt.“

Dass das Gebäude nicht nur als städtischer Aussichtsbalkon, sondern auch als Oper taugt, versteht sich von selbst. Im Inneren des harten Glaskristalls liegt das eigentliche Herz des Hauses: das Auditorium. Wie eine dunkle Nussschale schließt es sich nach außen ab und zeigt dem Foyer seine Rückseite. Der wahre Kunstgenuss bleibt verborgen, umgeben von geräucherter Eiche und rotem Samt. „Als der Hörsaal akustisch getestet wurde, saßen alle wie versteinert da und redeten kaum ein Wort“, erinnert sich ein Haustechniker, „als dann das Ergebnis bekannt gegeben wurde, konnten die Architekten nicht aufhören zu grinsen.“

Qualität durch Wettbewerb

Snøhetta, die Schneemütze Norwegens, ist Ausdruck kulturellen Engagements eines ganzen Landes. In Auftrag gegeben vom Ministerium für Kirche und Kultur sowie von der Statsbygg, der staatlichen Immobiliengesellschaft Norwegens, wurde 2000 ein internationaler Wettbewerb ausgeschrieben. Aus 240 Einreichungen ging das Osloer Büro Snøhetta als Sieger hervor. Pünktlich zum heutigen Tag wird das Bauwerk ohne zeitliche und budgetäre Verzögerungen der Öffentlichkeit übergeben.

Wie in der Ausschreibung festgesetzt belaufen sich die Baukosten auf etwa 500 Millionen Euro. Ja, das ist ein Batzen Geld. „Es ist bei Weitem die größte Investition, die der Staat Norwegen jemals in ein Kunstgebäude gesteckt hat“, sagt Projektleiter Simon Ewings, „doch Visionen erfüllen sich nicht von alleine. Man muss sie schon am Schopf packen.“

Warum hat man in Österreich nur so viel Angst vor diesem sichtlich Erfolg versprechenden Modell? Sich an Vergabegesetze zu halten ist keine Knebelei, sondern die Chance auf einsame Spitze.

01. März 2008Aldo Keel
Neue Zürcher Zeitung

Eine Oper für die Zukunft

(SUBTITLE) In Oslo geht ein jahrzehntelanges Provisorium zu Ende

Oper ist in Norwegen ein junges Phänomen. Erst 1959 wurde auf Initiative der Sängerin Kirsten Flagstad die «Norwegische Oper» gegründet. Doch nun holt Oslo mit einem prunkvollen neuen Opernhaus gegenüber den nordischen Nachbarstaaten auf.

Oper ist in Norwegen ein junges Phänomen. Erst 1959 wurde auf Initiative der Sängerin Kirsten Flagstad die «Norwegische Oper» gegründet. Doch nun holt Oslo mit einem prunkvollen neuen Opernhaus gegenüber den nordischen Nachbarstaaten auf.

Wenn es um Norwegens Prestige geht, spielt Geld keine Rolle: 880 Millionen Franken kostet Oslos neue Oper, die am 12. April eröffnet wird. Allerdings wurde jetzt zum allgemeinen Entsetzen bekannt, dass die Eröffnungspremiere ausfällt. Die Bühnentechnik sei zu spät geliefert worden, weshalb die Uraufführung von Gisle Kverndokks Oper «In 80 Tagen um die Welt» auf Dezember 2009 verschoben werde. Stattdessen sind für die Monate April, Mai und Juni Galaabende mit Perlen der Opern- und Operettenliteratur vorgesehen. Als erste reguläre Opernproduktion wird dann im September Verdis «Don Carlo» gegeben. Bereits zu Silvester fiel der letzte Vorhang im alten Haus.

Langlebiges Provisorium

Oper ist in Norwegen ein junges Phänomen. Während es in Kopenhagen und Stockholm Königliche Opern seit dem 18. Jahrhundert gibt, gründete die Wagner-Sängerin Kirsten Flagstad erst 1959 die «Norwegische Oper», die sie im früheren Volkstheater mit Eugen d'Alberts «Tiefland» eröffnete. Norwegens Verspätung ist erklärbar. Das einstige Beiland Dänemarks und Schwedens wurde erst 1905 unabhängig. Schon im 14. Jahrhundert hatte aber die Pest die Aristokratie dahingerafft. Aufgebaut wurde die Nation von der Bauern- und später von der Arbeiterbewegung. Heute ist Norwegen dank seinen Erdölschätzen der Krösus des Nordens. Schon beim Einzug ins Volkstheater galt diese Spielstätte als Provisorium. Seither wurden Pläne geschmiedet und wieder verworfen. Opposition kam von der rechtsgerichteten Fortschrittspartei, deren Chef sagte, es könne nicht Sache des Steuerzahlers sein, das Vergnügen einiger weniger zu finanzieren.

Der Vorsitzende der Sozialdemokraten wiederum verkündete, solange der Staat nicht jedem Norweger und jeder Norwegerin ein Einzelzimmer im Altersheim garantieren könne, sei der Bau eines Opernhauses kein Thema. Schliesslich schnappten die Leute vom Friedensnobelpreis der Oper den besten Standort vor der Nase weg, um ein «Friedenszentrum» zu bauen. Um Norwegen in der Welt zu profilieren, eigne sich nichts so gut wie «der Frieden», gab der Direktor des Nobel-Instituts zu bedenken.

Nach norwegischem Verständnis soll Oper nicht elitär, sondern volksnah sein. Anders als in Deutschland oder Frankreich gibt es nur ansatzweise eine Elite, die sich durch Kultur sozial abheben möchte. Deshalb wurde die Eröffnungspremiere «In 80 Tagen um die Welt» nicht etwa als Highlight der Extraklasse, sondern als «Familienoper» angekündigt. «Damit wollen wir zeigen, dass die Oper der Zukunft gehört, den Familien und den Kindern», sagte Intendant Bjørn Simensen, als er das Werk der Presse vorstellte. Im megalomanen Opernhaus kommt denn auch weniger die bürgerliche Sehnsucht nach einer kulturellen Trutzburg zum Ausdruck als vielmehr nationaler Ehrgeiz. Man horchte im Erdölland auf, als 1993 in Helsinki ein Opernhaus eröffnet wurde, das eine ganz besondere Aura ausstrahlte.

1999 beschloss das Parlament den Neubau. Realisiert wurde ein Projekt des Architekturbüros Snøhetta. Der grosse Saal bietet 1350, der kleine 400 Zuschauern Platz. Norwegens prominenteste, aber auch umstrittenste Baustelle kam immer wieder in die Schlagzeilen. Als für die Verkleidung die Wahl auf Carraramarmor fiel, fragte die Chefin der bäuerlichen Zentrums-Partei erstaunt, ob es denn nicht genug Steine in Norwegen gebe. Ihre Skepsis sollte sich als begründet erweisen, als sich der weisse Marmor im letzten Herbst plötzlich verfärbte. «Gelb wie Urin» titelte eine Zeitung. – Während sich Tausende für Führungen anmelden und Opernchef Simensen das Haus vollmundig rühmt als Norwegens wichtigsten Kulturbau seit dem Dom von Trondheim, der im Mittelalter errichtet wurde, spricht der junge Komponist Fredrik Brattberg vom Anachronismus eines Prunkbaus für eine Handvoll Werke, als ob man dem Potentaten eines vergangenen Zeitalters zu huldigen gedächte. Wenn es den Bauherren tatsächlich um die Oper und nicht um das Prestige gegangen wäre, hätten sie zwei oder drei bescheidenere Häuser errichtet und für den Rest des Geldes Kompositionsaufträge vergeben können.

Kultureller Spagat

Ein Opernhaus nur um der Oper willen zu bauen, würde nach Meinung der Lokalpolitiker die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft schmälern. Die Oper, die auf dem ehemaligen Hafenareal hinter dem Bahnhof liegt, fügt sich deshalb in das umfassende Stadt-Erneuerungs-Projekt «Fjord City» ein. Die Stadt will sich ihrem schönsten Juwel, dem Fjord, dem sie bisher den Rücken zuwandte, voll und ganz öffnen.

Selbst wenn es noch zu weiteren Pannen kommen sollte – der Wirt des Restaurants ist für das neue Opernzeitalter gerüstet. Er eröffnet sein Lokal so oder so am 12. April und wagt den Spagat zwischen Volkstümlichkeit und Hochkultur, indem er Oslos billigsten Champagner in Aussicht stellt. Intendant Simensen jedoch wird Ende 2008 nach Jahrzehnten zurücktreten. Sein Nachfolger Paul Curran verspricht eine «sehr moderne Oper» – nicht eine Oper des 19. Jahrhunderts, sondern ein Musiktheater für die Zukunft.

20. Juni 2002Neue Zürcher Zeitung

Eine neue Oper für Oslo

Nach jahrzehntelangem Streit (vgl. NZZ 6. 7. 99) hat das norwegische Parlament endgültig «grünes Licht» für den Bau einer neuen Osloer Oper gegeben.

Nach jahrzehntelangem Streit (vgl. NZZ 6. 7. 99) hat das norwegische Parlament endgültig «grünes Licht» für den Bau einer neuen Osloer Oper gegeben.

Die vor über vierzig Jahren von der Wagner-Sängerin Kirsten Flagstad gegründete Norwegische Oper (Den Norske Opera) bespielt bis heute ein Provisorium. Realisiert wird jetzt ein monumentales Projekt des norwegischen Architekturbüros Snøhetta, das ein Grosses Haus mit 1350 und ein Kleines Haus mit 400 Zuschauerplätzen umfasst. Die neue Oper soll am 20. September 2008 mit Pomp eröffnet werden. Die Baukosten sollen die stolze Summe von umgerechnet 650 Millionen Franken nicht überschreiten. Hinzu werden noch Folgekosten für die Stadtentwicklung sowie den Bau eines Autotunnels kommen. Die neue Oper beansprucht ein Areal von 35 000 Quadratmetern. Ein Opernhaus nur um der Oper willen zu bauen, hiesse, die Bedeutung der Kunst in der Gesellschaft zu schmälern, sagte die Sprecherin der Sozialdemokraten. Deshalb wird in der Umgebung ein neues Stadtquartier entstehen. Die Gemeinde Oslo plant die Errichtung von 5000 Wohnungen. Der Bau der neuen Osloer Oper wurde mit den Stimmen aller Fraktionen gegen jene der rechtspopulistischen Fortschrittspartei beschlossen.

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