Pläne

Details

Adresse
Siccardsburggasse 72-74, 1100 Wien, Österreich
Mitarbeit Architektur
Gerhard Roth, Wolfgang Wagner, Jens W. Böttner, Stefan Jirsa
Bauherrschaft
Neues Leben
Tragwerksplanung
Anton Harrer
Fotografie
Andrew Phelps
Maßnahme
Neubau
Funktion
Wohnbauten
Planung
2000 - 2003
Ausführung
2002 - 2003

Publikationen

Presseschau

17. Januar 2004Judith Eiblmayr
Spectrum

Sehfelder, gerahmt

„Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser.“ Patricia Zacek über Innen- und Außenraum, Bewegungsräume, räumliche Pausen und ihr Wohnhaus in Wien-Favoriten.

„Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser.“ Patricia Zacek über Innen- und Außenraum, Bewegungsräume, räumliche Pausen und ihr Wohnhaus in Wien-Favoriten.

Patricia Zacek, Jahrgang 1962, hat an der TU Wien 1991 über „Die ästhetische Komponente des Wiener Wohnbaus der 80er Jahre“ dissertiert. Sie arbeitet als Architekturkritikerin und Architektin, seit 1995 führt sie ihr eigenes Architekturbüro in Wien. Über Innenraumgestaltungen wie das Foyer des Palais Harrach und Wettbewerbsprojekte führt ihre „Denkspur“ zu einem im letzten Jahr fertig gestellten Wohnbau in Wien-Favoriten.

JE: Patricia Zacek, Sie haben kürzlich einen Wohnbau in Wien-Favoriten im Auftrag der Genossenschaft „Neues Leben“ fertig gestellt, der meiner Meinung nach zum Besten zählt, was in Wien in den letzten Jahren im sozialen Wohnungsbau errichtet wurde. Das Eckgebäude an Siccardsburg- und Hardtmuthgasse fügt sich rein baulich durch seine hohe strukturelle und ästhetische Qualität wie selbstverständlich in die schlichte Bebauung der Umgebung ein. Wie steht es um die Akzeptanz durch die Bewohner und Bewohnerinnen im Grätzel?

PZ: Das Gebäude kommt sehr gut an, es gibt viel positives Echo in der Nachbarschaft. Es handelt sich hier um ein sehr heterogenes Gefüge, sowohl baulich als auch sozial: Es findet sich niedrige Bebauung mit gewerblich genutzten Hinterhöfen neben Gründerzeithäusern und sozialem Wohnbau.
Ich versuche mit meiner Architektur nicht nur ein auf das jeweilige Grundstück beschränktes Konzept umzusetzen, sondern dem Quartier einen adäquaten Baustein hinzuzufügen, der eine Aufwertung für die ganze Gegend bedeutet.

JE: Sie sprechen in diesem Zusammenhang von der „Rückgabe an den Stadtraum“.

PZ: Ja, der Bebauungsplan definiert fiktive Bauvolumina, die stadtbildend wirksam werden. Wenn ich mir mit einem Neubau einen Teil des Stadtraumes aneigne, dann verstehe ich das gleichzeitig als Verpflichtung, architektonisch etwas zurückzugeben. Das versuche ich über die strukturelle Konzeption eines Bauwerks. In der Siccardsburggasse gibt es zum Beispiel den großen Einschnitt bei Stiege 1, wo der Stadtraum förmlich ins Haus einfließen kann, wie durch ein geöffnetes Tor wird die Durchsicht bis zum Gartenhof gewährt. Diese Zwischenzonen sind wichtig, die Bereiche zwischen draußen und drinnen oder, anders gesagt, zwischen Öffentlichkeit, Halböffentlichkeit und Privatheit. Die kann man natürlich architektonisch gut herausarbeiten. Dort spielt sich Leben und Begegnung ab.

JE: Diese Betonung des Schwellenbereichs setzt sich ja im Inneren fort, das Foyer an sich ist Ihnen ein wichtiges Thema, nicht nur im Wohnbau.

PZ: Wichtig ist, dass man sich nicht erst ab der eigenen Wohnungstüre mit seinem Zuhause identifiziert. Dazu gehören schon die Vorbereiche. Ich bezeichne das Foyer als die räumliche Pause vor dem Nachhausekommen oder vor dem Arbeitsbeginn. Da muss genug Raum vorhanden sein. Ich spreche bei diesen Zonen auch gerne von Bewegungsräumen, weil sie ja meistens einen Übergang darstellen. Hier kann man nicht nur mit den anderen Hausbewohnern plaudern, sondern auch beobachten, was auf der Straße passiert. Auch bei meinem nächsten Wohnbauprojekt in der Schenkendorfgasse in Floridsdorf ist der Eingangsbereich zur Straße hin komplett verglast und auf leicht erhöhtem Niveau. Das bewirkt, dass man einen guten Überblick bekommt und eben auch die Kommunikation nach außen hin möglich ist. Bei der Gestaltung des Foyers des Gesundheitsamtes der Stadt Wien wollte ich ebenfalls den Bezug zum Außenraum herstellen. Der sechseinhalb Meter hohe Raum in einem Bau von Theophil Hansen liegt ebenerdig direkt am Schottenring. Eine tolle Aufgabe, wenn man mit diesen Dimensionen arbeiten darf. Die muss man natürlich auch erhalten und für das Neue interpretieren.
Ich habe die zwei raumhohen Torbögen in der Fassade vollflächig verglast und durch ein einziges begrenztes Feld auf Augenhöhe horizontal gegliedert. Somit ist ein Sichtbereich definiert, wenn jemand zum Warten in der Nische Platz nimmt und aus dem Fenster schaut. Mit diesem gerahmten Sehfeld habe ich versucht das menschliche Maß einzubringen. Gleichzeitig ergibt sich von der Ringstraße aus ein fast ungehinderter Einblick bis auf das Informationspult.

JE: Sie gewähren gerne Aus- und Einblick durch große Glasflächen – wo beginnt für Sie die Privatheit für die Nutzer?

PZ: Da spielt das Planen mit Licht eine große Rolle. Wenn die Wohnungen schon klein sind, dann sollen sie hell sein, und zwar auch die in den unteren Geschossen.
Beim Gebäude in Favoriten liegen die kleineren Wohnungen südseitig und verfügen über eine verglaste Außenwand. Sicherlich für manche ein bisschen gewagt, aber vom Lichteinfall her unvergleichlich. Vor die Glasfassade ist eine Aluminium-Rahmenkonstruktion gesetzt, darin ist der Sonnenschutz integriert. Man kann quasi das ganze Haus verhüllen.
Jeder Einzelne kann seine Fenster außen mit diesen Sonnensegeln schließen, oder innen die Vorhänge zuziehen und ist uneingesehen. Diese Schichtung in Stores, Schiebeelemente aus Glas und Vorhang erlaubt die individuelle Aneignung durch die Nutzer, also Privatheit, und bietet obendrein ein schönes architektonisches Fassadenspiel. Ich hoffe natürlich auch, dass die Leute nicht so sehr ans Abschotten denken, sondern eher den freien Blick, die Helligkeit und Großzügigkeit genießen.

JE: Sie gehen an ein Projekt bereits in einem frühen Planungsstadium detailgenau heran, inwiefern lohnt sich dieser Mehraufwand?

PZ: Wesentlich ist erst einmal eine Gesamtidee und die muss immer wieder hinterfragt und einjustiert werden. Und darauf aufbauend kommt die Detailarbeit. Sich als Architekt bei der Arbeit selbst auszureizen und zu einem frühen Zeitpunkt im Detail zu planen, lohnt sich! Vorerst ganz pragmatisch, da man die Arbeiten bereits sehr genau ausschreiben kann, das wird dann Vertragsbedingung für den Ausführenden. Dennoch ist es leider so, dass man um jedes Detail bis zum Schluss kämpfen muss. Generell ist zu sagen: Alles was ich damit an Mehrwert schaffe, bringt etwas – dem Bauherrn, den Nutzern, selbst den Bewohnern in der Umgebung. Aber ganz allgemein impliziert für mich das Planen im Großen das Nachdenken im Kleinen, die Detailarbeit ist von Anfang an wesentlicher Bestandteil der Denkarbeit auch bei einem großen Projekt. Ein gutes Detail bleibt auch dann gut, wenn das Material schon ein bisschen abgenutzt ist. Ein schlechtes Detail wird auch mit den Jahren nicht besser. Ich bevorzuge ein klar strukturiertes Konzept, das dann auch in der Detailausführung, beim Zusammenfügen von einzelnen Bauteilen und unterschiedlichen Materialien halten muss.

JE: Da Sie ja auch Architekturkritikerin sind, hat die Sprache sicherlich einen besonderen Stellenwert.

PZ: Es gilt nun einmal, die Bilder, die wir als Architekten im Kopf haben, in jedem Planungsstadium so weiterzugeben, dass es alle verstehen und am gleichen Bild arbeiten. Man glaubt gar nicht, wie die Vorstellungen auseinander driften. Da muss man zuhören und gut argumentieren, um alle wieder auf eine Linie zu bringen.
Für mich gibt es begleitend zur Planung immer auch die gedankliche Beschäftigung mit der Architektur, dazu war und ist das Schreiben über Architektur eine wesentliche Bereicherung; so wie ich Handskizzen mache, bearbeite ich begleitende Themen in Form von Notizen und architektonischen Ideenbüchern. Es ist aber immer wieder ein schöner Moment, die Arbeit dann wirklich gebaut zu sehen und die architektonischen Gedanken somit ins Leben zu schicken.

08. November 2003Isabella Marboe
Der Standard

Seerosen im Lattenrost

Die Zahl hochwertiger Bauten im klassischen Arbeiterbezirk Favoriten steigt. Architektin Patricia Zacek und die Genossenschaft Neues Leben setzten einen neuen, feinen Stadt-Wohnbaustein ins dicht verbaute Viertel.

Die Zahl hochwertiger Bauten im klassischen Arbeiterbezirk Favoriten steigt. Architektin Patricia Zacek und die Genossenschaft Neues Leben setzten einen neuen, feinen Stadt-Wohnbaustein ins dicht verbaute Viertel.

Wohnen ist eine essenzielle Notwendigkeit, mit dem Bau des Hauses begann die Geschichte der Architektur. Sozialen Wohnbau zu fördern zählt zur grundsätzlichen Infrastrukturleistung einer Stadt. Der Kostendruck ist enorm, die Basisanforderungen von Zimmern, Küche und Bad rasch erfüllt, früher oder später findet jede Wohnung ihren Abnehmer. Starstatus erringen Architekten mit dieser unspektakulären Bauaufgabe nicht. Reich und berühmt wird mit sozialem Wohnbau keiner. Die Versuchung, der Routine zu erliegen, ist groß. Umso erfreulicher ist es, wenn Architekten dieser Aufgabe mit Verantwortungsbewusstsein und Engagement begegnen.

Die neue Anlage in der Siccardsburggasse in Favoriten, die Patricia Zacek für die Genossenschaft Neues Leben plante, ist so ein Fall. Sie beweist, dass sehr viel Lebensqualität im sozialen Wohnbau möglich ist und erfüllt weit mehr als das Grundbedürfnis Wohnen. Die Auseinandersetzung mit urbanen Lebensformen, Angsträumen, Zwischenzonen und die hingebungsvolle Detailarbeit bilden die solide Basis dieser umsichtigen Planung. Das beginnt beim Städtebau und endet im Fahrradabstellraum, wo es eine zusätzliche Fenstertür gibt, damit Dreiräder und Ähnliches ohne Umweg über den Gang direkt auf den Spielplatz im Hof gehoben werden können.

Das Haus endet für Zacek nicht an der Baulinie, die Wohnung nicht an der Tür: Von Anfang an plante sie großzügige Gemeinschafts- und Freiräume, Erschließungszonen und viele Details mit ein. Die lieferte sie als Vertragsgrundlage mit, so waren die Kosten für den Bauträger Neues Leben kalkulierbar. Er ließ sich vom Mehrwert der Ausführungsqualität, kommunikationsfördernden Raumangeboten und Hofgestaltung als innere Regenerationszone überzeugen. „Man nimmt Bauvolumen aus der Stadt, ich möchte ihr dafür etwas zurückzugeben“, sagt Zacek. „Ich wollte einen Baustein fürs Grätzel setzen.“

Kleine Gewerbehöfe, gräuliche Gründerzeitfassaden, Nachkriegsbauten, staubige Autos und Bäume prägen die dicht verbaute Nachbarschaft, der neue Baustein sitzt am Eckgrundstück Siccardsburggasse/Hardtmuthgasse. Er besteht aus zwei Trakten mit unterschied- lichem Charakter, die den Innenhof umschließen.

In der Hardtmuthgasse öffnet sich das Haus mit einer eleganten Glasfassade zur Stadt, spiegelt nicht nur die gegenüberliegende Straßenfront, sondern eine Haltung prinzipieller Wertschätzung, die auf die Umgebung rückwirkt. Die tragenden Scheiben im Erdgeschoß sind in Stützen auflösbar, theoretisch könnte sich hier ein Büro einmieten. Ein Rahmen mit weißen, steuerbaren Sonnensegeln wirkt wie eine schützende Haut, verschiedene Höhen, Rollos, Vorhänge und Pflanzen hinter den Fenstern lassen das Leben dahinter erahnen. Die Fassade liegt südseitig, Sonnenlicht durchflutet die Wohnungen zur Gänze. Sie sind für urbane Singles oder Paare konzipiert, deren Blick sich auf die Stadt richtet. 58 m² lassen keinen Platz für eine Loggia. Das Gefühl, fast im Freien zu sitzen, kann sich trotzdem einstellen: Die raumhohe Verglasung ist in drei horizontale Bänder unterteilt, das Mittlere enthält zwei Schiebefenster. Ohne Raumverlust lassen sie sich öffnen, Frischluft strömt herein, man kann sich hinauslehnen.

Innen bieten die Zweiraumwohnungen viel Bewegungsfreiheit. Der Raum am „Schaufenster“ zur Stadt lässt sich durch eine Schiebewand teilen, dahinter bilden Bad und WC mit der Küchenzeile an der Rückwand einen umgehbaren Sanitärblock. Man betritt die Wohnungen im Norden über den zum Innenhof offenen Laubengang. Elegant mit anthrazitgrauem Eternit verkleidet, vermitteln gelbgrün gestrichene Untersichten und gleichfarbige Elemente neben den Eingangstüren fast südliches Flair, beugen Isolation und Anonymität vor. Der Blick auf den schön gestalteten Garten verführt dazu, sich an die Brüstung zu lehnen, zu beobachten, was sich dort tut, seine Mitbewohner kennen zu lernen.

Weiß verputzt, mit horizontalen Fenstereinschnitten, verglaster Erdgeschoßzone und zwei Eingängen präsentiert sich das Haus auf der Siccardsburggasse als Stadtbaustein mit hohem Wiedererkennungswert. An zwei Stiegenhäusern liegen hier durchgesteckte, ost-west orientierte, familientaugliche Wohnungen. Küche und Sanitäreinheiten sind in der Mitte, straßenseitig gibt es zwei Zimmer, der großzügige Wohnraum erweitert sich hofseitig zur Loggia. Von dort können besorgte Mütter ab und zu einen Blick auf ihre Kinder werfen.

Wo der Singletrakt endet, markiert ein vier Geschosse hoher Schlitz als Schnittstelle zwischen Haus und Stadt den Haupteingang. Leicht zurückgesetzt sitzt der mit pulverbeschichtetem Blech verkleidete Lift wie eine Skulptur in dieser schluchtartigen Passage, sechs Stufen locken hinauf auf die erste Laubengangebene, hell strahlt der Hof nach außen. Rechts davor die Stiege als fußläufige Erschließung. Neonröhren beleuchten die Untersichten, geschoßweise versetzte Ebenen ragen in den Luftraum, bandartig umlaufende Brüstungen aus Metall lassen sie sehr dynamisch wirken. Die Stiege ist leicht von der Wand abgesetzt, was nicht nur Wohnungstüren einen Hauch Gangfläche schenkt, den Fußabstreifer brauchen, sondern auch einen fulminanten Blick von oben nach unten bietet. Im fünften Geschoß befinden sich in beiden Trakten Maisonettewohnungen; sie bilden die horizontale Klammer über dem Eingangsschlitz. Wie ein Helm sitzt die schräge Zinkverblechung auf der Hardtmuthgasse, setzt sich geradlinig mit Terrasse und Flachdach auf der Siccardsburggasse fort, fügt sich so in die patchworkartige Dachlandschaft der Umgebung.

Zwischen den zwei Stiegenhäusern liegt straßenseitig ein voll verglastes Foyer mit Postfächern und blauen Rundstützen, in der Mitte führt eine einläufige Stiege in den Keller. Zwei gebogene Plexiglaselemente mit gelben Tupfen hängen frech von der Decke, umrahmen kreisförmig den Kinderwagenabstellplatz. Von außen kann man das Kommen und Gehen der Bewohner beobachten, von innen das Treiben auf der Straße. Hinterm Foyer liegt der Gemeinschaftsraum, ein raumhohes Fenster mit Tür öffnet ihn zum Hof. Scheinwerfer an der Decke, Minikühlschrank und Waschbecken warten auf das erste Fest.

Gedämpft dringen die Rufe ausgelassener Jugendlicher als lebendige Geräuschkulisse vom nahen Paltramplatz in den Hof. Eingefasst von Lärchenholzlatten, wirkt er wie ein japanischer Garten, meditativ und still. Sonnenstrahlen tanzen über das schmale Wasserband mit den Seerosen im Lattenrost, eine Sitzstufe lädt zum Blick auf die in geometrischen Mustern mit Kies und Bodendeckern gestaltete Grünfläche in der Mitte. Eine kleine Sandkiste ist auch da. Noch spielt hier kein Kind, doch in den Loggien haben die ersten Bewohner schon Rankgerüste und Blumen aufgestellt.

„Ich möchte einmal ein Haus für jemand bauen, der mir eine Geschichte erzählt“, sagt Patricia Zacek. Die Geschichten derer, die hier in 32 Wohnungen einziehen, kannte sie nicht. Sie hat ihnen ein Stadthaus entworfen, in dem sie sich entfalten können.

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