Details

Adresse
Corso Bettini 43, 38068 Rovereto, Italien
Architektur
Mario Botta
Ausführung
1997 - 2002

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Presseschau

26. Februar 2003Hubertus Adam
Neue Zürcher Zeitung

Der Kunst eine Gasse

(SUBTITLE) Das Museum MART von Mario Botta in Rovereto

Durch die Zusammenlegung zweier Sammlungen ist in Rovereto das MART, eines der grössten Museen moderner Kunst in Italien, entstanden. Der Neubau von Mario Botta gruppiert sich um einen Lichthof. Geschickt in die Topographie eingefügt, erweist sich das Museum hinsichtlich der räumlichen Organisation indes als eher problematisch.

Durch die Zusammenlegung zweier Sammlungen ist in Rovereto das MART, eines der grössten Museen moderner Kunst in Italien, entstanden. Der Neubau von Mario Botta gruppiert sich um einen Lichthof. Geschickt in die Topographie eingefügt, erweist sich das Museum hinsichtlich der räumlichen Organisation indes als eher problematisch.

Nähert man sich, die Etsch entlang von Verona aus Richtung Norden fahrend, der Stadt Rovereto, so sticht am Hang oberhalb des Ortes ein gewaltiges zylindrisches Bauwerk ins Auge: Ferdinando Discaccianti errichtete den «Sacrario Militare di Castel Dante» 1936 als monumentales Ossuarium für die mehr als 20 000 Soldaten der österreichischen Monarchie und Italiens, die zwischen 1915 und 1918 im Kampf um Rovereto und den nahe gelegenen, strategisch bedeutsamen Monte Pasubio fielen. Im Ersten Weltkrieg österreichisch, 1919 mit Südtirol an Italien abgetreten, wird das im Kern beschauliche Städtchen Rovereto wenig wahrgenommen; zu nahe sind die eigentlich attraktiven Ziele - der Gardasee im Westen, Verona im Süden, Bozen und Meran im Norden. So dient das nach zehnjähriger, durchaus umstrittener Planung eröffnete Museo di arte moderna e contemporanea di Rovereto e Trento (MART) nicht zuletzt dazu, kulturinteressierte Besucher in die Region zu locken. Zwei eigenständige Sammlungen wurden 1987 zum MART vereinigt: die Abteilung 20. Jahrhundert des Trentiner Landesmuseums und der in der «Casa Museo Depero» aufbewahrte Nachlass des in Rovereto tätigen Futuristen Fortunato Depero (1892-1960). Als «Archivio del '900» ist die Kollektion unter der agilen Leiterin Gabriella Belli ausgebaut und um ein internationales Zentrum für Futurismusforschung ergänzt worden.


Rotunde als Geste

Schon 1987 mit ersten Planungen betraut, entwarf Mario Botta gemeinsam mit Giulio Andreolli 1992/93 sein Ausführungsprojekt, das 1995 seitens der Provinz Trient bewilligt wurde. Dabei entstanden für ungefähr 50 Millionen Euro neben Räumlichkeiten für Museum, Verwaltung und Forschung auch eine Bibliothek, ein Café und ein 450 Plätze umfassender Vortragssaal für die Gemeinde. Spricht man das Akronym MART englisch aus, so lässt sich auch an eine Markthalle denken - eine Markthalle der Kultur.

Botta ist ein Architekt, der seit je den kleinen Massstab besser beherrscht als den grossen. Gleichwohl hat er sich in den vergangenen Jahren immer wieder an Grossprojekten versucht, bei denen die Vorliebe für architektonische Primärformen verschiedentlich zu kulissenartigen Formcollagen geriet. Auch beim Hauptgebäude in Rovereto handelt es sich um ein mächtiges, mit gelblicher Pietra Dorata verkleidetes Volumen; seine Abmessungen betragen 90 mal 75 Meter. Doch ist es innerhalb der Stadt kaum sichtbar, weil es zurückgesetzt hinter dem vom Zentrum aus Richtung Norden führenden Corso Bettini liegt und Richtung Osten in den ansteigenden Hang eingeschnitten ist. Der Corso Bettini wird von repräsentativen Gebäuden des 18. Jahrhunderts gesäumt; eine Gasse zwischen dem Palazzo dell'Annona, in dem sich die Biblioteca Civica befindet, und dem von der Stadtverwaltung genutzten Palazzo Alberti wurde als Zugangsachse ausgebaut. Zwischen den beiden aus Kalkstein gemauerten Palazzi gelangt man entlang an Mauern, hinter denen sich die vorgelagerten Baukörper der Bibliothekserweiterung und des Vortragssaals befinden, in einen kreisförmigen gläsernen Lichthof von 40 Metern Durchmesser. Dieser liegt inmitten des Museumsgevierts, dessen Fassaden nicht in Erscheinung treten, und fungiert mit dem zentralen, von Mimmo Paladinos archaisierender Figurengruppe «Pietre» (1998) umstandenen «Marktbrunnen» als öffentliche Plaza.

Diese versteckte Rotunde der Lebenden bildet als Hohlform die Antithese zu dem über Rovereto thronenden Zylinder des Ossuariums als des Ortes der Toten. 19 Gitterträger - der letzte ist der Erschliessungsachse geopfert - stützen das flach verglaste Zeltdach, dessen mittiger Druckring als Oculus ausgebildet ist und damit das Vorbild des Pantheons in Erinnerung ruft. Zweifellos ist die Einschachtelung einer Rundform in ein orthogonales Volumen eines der im Œuvre Bottas ostinaten Motive - nicht nur im Bereich des Museumsbaus, wie beispielsweise beim San Francisco Museum of Modern Art. Deutlicher als dort klingt indes in Rovereto das klassizistische Vorbild für diese Lösung an: Schinkels Altes Museum auf der Berliner Museumsinsel, auf das schon James Stirling bei seiner Stuttgarter Staatsgalerie rekurrierte. Konnte der Berliner Baumeister indes am Beginn des 19. Jahrhunderts die Kombination einer auratisierten Rotunde als eines ideellen Nukleus mit zweckmässigen Museumssälen im Sinne eines idealistischen Kulturverständnisses legitimieren, so reduziert sie sich bei Botta auf das Formale; die parasakrale Geste nobilitiert eine Raumsituation, die im besten Fall quirligem Kommen und Gehen Platz bietet, zuweilen aber auch nur wie ein überdimensionierter Durchgangsort wirkt.

Schinkel hatte seine Pantheon-Rotunde bewusst nur als Innenraum erlebbar werden lassen - Botta dagegen versucht, den Mauerzylinder begehbar zu machen. Allerdings ist der von aussen zu betretende Umgang auf Höhe des ersten Obergeschosses ebenso zwecklos wie die beidseitig hinter den schlitzähnlichen Wanddurchbrüchen emporsteigenden Treppenrampen: Wer am Ende vor den verschlossenen Stahltüren des obersten Ausstellungsgeschosses steht, merkt, dass es sich einzig um Fluchtwege handelt. Nur die gläserne Brücke über der Eingangsachse als Verbindung der beiden Museumsflügel ermöglicht einen kurzen Einblick in den Lichthof.


Grosszügige Ausstellungsflächen

Der Haupteingang des Museums liegt in der Achse der Erschliessung und führt in eine rechteckige Halle, die von dem rückwärtigen, doppelläufig nach unten (zum Archiv, zur Museumsbibliothek, zum Studienzentrum und zu den Depoträumen) und oben führenden Treppenhaus beherrscht wird. Café und Shop, Kasse, Garderoben und Auditorium haben im Erdgeschoss Platz gefunden, während im ersten Obergeschoss beidseitig der Erschliessungsbereiche Ausstellungsräume zur Verfügung stehen. Weitgehend künstlich belichtet, bieten sich diese zur Präsentation von Grafiken oder Videokunst an. Die in ihren Ausmassen nachgerade gigantische Hauptausstellungsebene befindet sich im zweiten Obergeschoss. Wie auch in der Ebene darunter ist die fliessende Struktur der weissen Ausstellungsräume durch den Quadratraster aus Rundstützen und versetzbaren Wänden gegliedert. Der kräftige Deckenraster wird durch insgesamt 183 Oberlichter natürlich belichtet.

Die sehenswerte Eröffnungsausstellung unter dem Titel «Le Stanze dell'Arte» gibt einen - an den Sammlungsbeständen orientierten - Überblick über die Kunst des 20. Jahrhunderts, ergänzt durch internationale Leihgaben. Die Schau beginnt mit Segantini und Medardo Rosso, setzt ihren ersten Schwerpunkt im Bereich des Futurismus und endet mit minimalistischen Positionen sowie der Sektion «Unrecognized», in der die grosse Arbeit «Work in Progress» (2002) von Magdalena Abakanowicz hervorsticht. Im Geschoss darunter sind unter dem Titel «L'arte del colore» amerikanische Arbeiten der achtziger und neunziger Jahre aus der Sammlung Panza di Biumo sowie Werke unter dem Schlagwort «L'Archivio e la sua immagine» ausgestellt.


[Die Eröffnungsausstellung dauert bis zum 13. April; Katalog: Le Stanze dell'Arte. Figure e Immagini del XXo Secolo. Hrsg. Gabriella Belli. Skira, Mailand 2002. 536 S., Euro 40.-.]

18. Dezember 2002Neue Zürcher Zeitung

Kunst in Rovereto

Ein Museumsneubau von Mario Botta

Ein Museumsneubau von Mario Botta

Fünf Jahre nach Baubeginn konnte am Sonntag in der norditalienischen Stadt Rovereto das von Mario Botta entworfene Museum für zeitgenössische Kunst eröffnet werden. Der Tessiner Architekt versteht das Museo Arte Rovereto Trento (MART) nicht als Museum im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr als ein Kunst- und Ideenlabor. Das MART, das neben Ausstellungs- und Depoträumen für über 7000 Kunstwerke aus dem 19. und 20. Jahrhundert auch ein Auditorium und eine Bibliothek besitzt, soll zu einem weltweit vernetzten Zentrum für zeitgenössische Kunst werden. Es ist in einem Quartier aus dem 17. Jahrhundert untergebracht und hat eine Gesamtfläche von 29 000 Quadratmetern. Das Hauptgebäude wird von einer Kuppel aus Stahl und Glas überdacht. Diese ist 25 Meter hoch und hat - wie das Pantheon in Rom - einen Durchmesser von 40 Metern. Nach der Kunstgalerie Watari-um in Tokio, dem Museum of Modern Art in San Francisco, dem Jean-Tinguely-Museum in Basel und dem Centre Friedrich Dürrenmatt in Neuenburg trägt somit ein weiterer musealer Prestigebau die Handschrift Bottas.

16. Dezember 2002Gerhard Mumelter
Der Standard

„Ein Pantheon ohne Fassade“

Das Trentino eröffnete am vergangenen Wochenende sein neues von Mario Botta gestaltetes Kunstmuseum - das „Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto“ („MART“) ist in Italien die wichtigste einschlägige Neugründung der letzten Jahrzehnte.

Das Trentino eröffnete am vergangenen Wochenende sein neues von Mario Botta gestaltetes Kunstmuseum - das „Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto“ („MART“) ist in Italien die wichtigste einschlägige Neugründung der letzten Jahrzehnte.

Rovereto - Für Gabriella Belli ist es schlicht „das Ende eines schwierigen, geradlinigen Wegs“. Natürlich weiß sie, dass Museumsdirektoren in aller Welt sie um ihren Neubau beneiden. Doch eine Frau großer Worte war Belli nie. 20 Jahre lang bereitete sie beharrlich ihr Lebenswerk vor, das an diesem Wochenende eröffnet wurde: das 50 Millionen Euro teure Museum für moderne Kunst in Rovereto.

In jahrelanger Kleinarbeit überzeugte Belli Landes- und Kommunalpolitiker, richtete im historischen „Palazzo delle Albere“ in Trient eine erste Sammlung moderner Kunst ein, bemühte sich um Ankäufe und Leihgaben und rückte mit über 100 Ausstellungen die kulturbeflissene Kleinstadt Rovereto südlich von Trient in den Blickpunkt internationaler Aufmerksamkeit.

Wenn Gabriella Belli von der „kulturellen Berufung“ der Stadt spricht, meint sie damit nicht Mozarts erstes italienisches Konzert im Winter 1769 oder Goethes Aufenthalt im Jahre 1784. Sie denkt etwa daran, dass die Stadt 1784 für ihre 6000 Einwohner ein Theater errichtete, das so groß war wie jenes von Petersburg. Sie denkt an die 1750 gegründete „Accademia degli Agiati“. Vor allem aber denkt sie an den aus Rovereto stammenden Pionier des Futurismus, Fortunato Depero, der die Bürger der Stadt mit Kunstaktionen provozierte.

Allein von Depero hat Belli 3000 Arbeiten gesammelt - von der Skulptur bis zum Theaterplakat. Mit 80.000 Dokumenten hat sie das weltweit größte Archiv des Futurismus zusammengetragen. Was ihr bisher fehlte, war nur ein geeignetes Gebäude für die Sammlungen.

Fünf Jahre dauerten die Bauarbeiten auf dem 29.000 Quadratmeter großen Areal. Erste Skizzen von Mario Botta reichen ins Jahr 1988 zurück. Die Aufgabe des Tessiner Architekten war wegen des historischen Kontexts verzwickt. Denn der Bauplatz liegt hinter zwei Palazzi aus dem 18. Jahrhundert - an der historischen Via Bettini mit ihren vornehmen Bürgerhäusern. So ent-stand ein Bau, den Botta als „Pantheon ohne Fassade“ bezeichnet - wegen der mächtigen Glaskuppel, deren Durch-messer mit 40 Meter dem des Pantheons entspricht.


„Ausdruckswelten“

Von dieser lichtdurchfluteten, zentralen „Agora“ aus erreicht der Besucher Ausstellungsräume, Bibliothek, Auditorium und Restaurant. Die Hälfte der 12.000 Quadratmeter des Neubaus sind Ausstellungsflächen, die andere Hälfte ist der Forschung und Zweckräumen wie Museumsshop und Cafeteria vorbehalten. Die Agora, die 1200 Personen Platz bietet, erschließt sich über zwei Wendeltreppen: „Das erinnert ein wenig an das Guggenheim-Museum“, meint Botta. Der erste Stock ist für wechselnde Ausstellungen konzipiert, im zweiten zeigt das Museum einen Teil seiner ständigen Sammlung. Die umfasst über 7000 Arbeiten - von Mario Merz bis Joseph Beuys, von Tony Cragg bis Anselm Kiefer.

„Räume der Kunst“ nennt sich die Eröffnungsausstellung, mit der sich das Museo di arte moderna e contemporanea di Trento e Rovereto (MART) seinen Besuchern präsentiert. „Es ist ein Rundgang durch die Ausdruckswelten des 20. Jahrhunderts“, so Belli. Vom Trentiner Giovanni Segantini bis zur Visual Art. 100 Leihgaben aus aller Welt ergänzen die eigenen Exponate. Belli will damit „Beziehungen, Bruchlinien, Wechselwirkungen und Affinitäten“ aufzeigen - vom Kubismus über den Futurismus bis zur Konkreten Kunst, von der Po-Art über den Wiener Aktionismus bis zur Performance-Art von Marina Abramovic.

Zum MART gehören auch das Museum moderner Kunst in Trient, das dem 19. Jahrhundert vorbehalten ist, und das Wohnhaus des Futuristen Depero in Rovereto, das zurzeit restauriert wird. Für die autonome Provinz Trient ist Italiens wichtigster Museumsneubau seit einem halben Jahrhundert ein Prestigeobjekt. Großzügig wird er von der Landesregierung unterstützt. Die Museumsdirektorin ist also nicht von finanziellen Sorgen geplagt. Während sie hinaufblickt in die 25 Meter hohe Glaskuppel, lässt sich Gabriella Belli kurz von der Emotion überwältigen: „Das ist die Verwirklichung eines großen Traumes.“

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