01. April 2015 - Architekturzentrum Wien
Der Bildungscampus ist die gebaute Antwort auf das innovative Bildungskonzept der Stadt Wien. An Stelle eines Pflichtenheftes mit eng gestecktem Rahmen bildete ein Qualitätenkatalog mit einer detaillierten Beschreibung moderner Pädagogik die Grundlage für den Wettbewerb. Die Architekten waren eingeladen, das passende Haus für diese neue Form der Pädagogik zu planen und den Begriff „Schule“, der bislang von Normen determiniert war, umfassend neu zu denken. Umfassend heißt im konkreten Fall: Kindergarten, Volksschule und Hauptschule/neue Mittelschule.
Die Anlage ist zweigeschossig angelegt, wobei die beiden Geschosse versetzt übereinander gestapelt sind, sodass im Gebäudeverband überdeckte Freiräume entstehen, die als Freiklassen genutzt werden. Der Freiraum mäandriert zwischen den verästelten Gebäudeteilen und bildet kleine Dorfplätze und Gässchen. Da Rasenflächen dem Nutzungsdruck der Kinder nicht Stand halten könnten, simulieren eingefärbte Kunststoffbeläge das natürliche Grün.
Im Gebäude bilden Einheiten aus jeweils vier Klassen, einem Projekt- und einem Team-Raum sowie einem „Marktplatz“ die organisatorische Grundeinheit, den „Cluster“. Der Marktplatz ist eine verbindende Fläche, die den Klassen- bzw. Gruppenräumen vorgelagert ist und gemeinsam genutzt wird. Die einzelnen Bildungseinrichtungen am Bildungscampus (Kindergarten, Volksschule, HS/NMS) bestehen aus jeweils vier dieser Cluster. Vergleichbar mit einem Baum entwickelt sich der Bildungscampus von der Mitte ausgehend und verästelt zunehmend zum Rand hin. Die Mitte wird von Gemeinschaftsräumen gebildet: Speisesaal, Gymnastiksaal, Dreifachsporthalle, Mehrzwecksaal, Spezialunterrichtsräume und ein Theater- und Kinoforum.
Der ambitionierte Entwurf verlangte Einsparungen, so musste die geplante vorgehängte Fassade einer Putzfassade weichen. Im Gegenzug konnte der Ausstattungsstandard der Innenräume ohne Abstriche umgesetzt werden. Zum Marktplatz hin sind die Räume komplett verglast. Im Konzept der Architekten sollten die Glaswände eine Rolle bei der Versorgung des Gebäudeinneren mit Tageslicht übernehmen. Die relativ große Gebäudetiefe verlangt ein hohes Maß an Lichtdurchlässigkeit, nur so kommt der Marktplatz ohne künstliche Beleuchtung aus. Die Glaswände bieten den Kindern willkommene zusätzliche Klebeflächen für ihre Kunstwerke.
Jedes Klassenzimmer verfügt über eine dem Marktplatz zugewandte, leicht erhöhte Nische, die Raum für Sitzkreise und sonstige informelle Unterrichtseinheiten bietet. Metallspiegelnde Lichtröhren versorgen diese Nischen – die Architekten haben ihnen den Namen „Nest“ gegeben – mit Tageslicht, wobei die metallisch-violette Oberfläche der Zylinderwand eine ganz besondere, entrückte Lichtstimmung erzeugt. Die Idee des Nests ist, dass es jederzeit spontan genutzt werden kann, z.B. wenn schnell auf einen Konflikt reagiert werden soll, ohne dass alle Tische und Sessel im Raum verschoben werden müssten.
Die Entwürfe für die Schultische und Sessel stammen ebenfalls von PPAG Architekten. Nach einer eingehenden Prüfung wurden die Prototypen für den Schulbetrieb zugelassen. Das ist angesichts der strengen Sicherheitsbestimmungen und der Form, die aus der Norm fällt, als Sensation zu werten. Die Form der Tische führte zum Spitznamen „Manta“. Die Tische ermöglichen mit diversen Kombinationsmöglichkeiten ein Lernen in Gruppen. Den Manta entdeckt man außerhalb des Klassenzimmers auch im Muster der Spannteppiche.
Neu ist neben der Form der Tische auch deren Höhe: die Kinder sitzen, gemessen an Volksschulstandards, deutlich erhöht. Für die Lehrer ermöglicht die erhöhte Position eine vergleichsweise entspannte Körperhaltung bei den Interaktionen am Tisch. Die Sitzhöhe fördert zudem den Bewegungsdrang der Schüler, was förderlich ist, denn im Unterschied zu früher ist das Aufstehen und Verlassen des Tisches während der Unterrichtsstunde Teil des pädagogischen Konzepts. Apropos Unterrichtsstunde: die aktuellste Debatte führt in die Richtung, dass der Unterrichtseinheit bald die letzte Stunde geschlagen hat. Dann folgt nach der räumlichen Öffnung auch eine zeitliche Öffnung des Unterrichts.
Für eine bessere Orientierung im Gebäude wurde ein grafisches Code-System entwickelt das Anleihe an jenen Codes nimmt, die schottische Clans verwenden (Schottenkaro, Wappen). Für nicht-Eingeweihte sind die Unterschiede einzelner Klassencodes kaum ablesbar. Die Clan-Mitglieder hingegen – also die Schüler – dechiffrieren ihren Klassencode. Im Schulalltag erwies sich das System leider als zu dezent, der Lehrkörper greift auf altbewährte Klassenmaskottchen zurück: Igel, Frosch & Co. (Text: Martina Frühwirth)