Details

Adresse
135 North Grand Avenue, 90012 Los Angeles, Vereinigte Staaten von Amerika
Architektur
Frank O. Gehry
Fertigstellung
2003

Presseschau

07. November 2003Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Wogende Wände

(SUBTITLE) Frank Gehrys fulminantes Wahrzeichen für Los Angeles

Vor sechzehn Jahren wurde die Walt Disney Concert Hall, das neue Haus des Los Angeles Philharmonic, von Frank Gehry entworfen. Nach einer turbulenten Baugeschichte und vielen konzeptuellen Änderungen konnte das spektakuläre Gebäude vor zwei Wochen eröffnet werden. Mit ihm erhält Los Angeles ein neues Wahrzeichen.

Vor sechzehn Jahren wurde die Walt Disney Concert Hall, das neue Haus des Los Angeles Philharmonic, von Frank Gehry entworfen. Nach einer turbulenten Baugeschichte und vielen konzeptuellen Änderungen konnte das spektakuläre Gebäude vor zwei Wochen eröffnet werden. Mit ihm erhält Los Angeles ein neues Wahrzeichen.

Der Anblick ist betörend: Matt glänzende Wandflächen aus Edelstahl wogen über einem Sockel aus hellem Stein, unter dem sich - wie in downtown Los Angeles nicht anders zu erwarten - eine vielgeschossige Tiefgarage verbirgt. Kaum vollendet, erweist sich der fulminante Bau der Walt Disney Concert Hall auch schon als neustes Wahrzeichen einer Stadt, die aus dem Auto erfahren werden will. Doch wird eine solche Wahrnehmung Gehrys Geniestreich nur bedingt gerecht. Erst dem Flaneur erschliesst sich nämlich der Zauber dieser gebauten Sinfonie, dieser kinetischen Riesenskulptur, die (ähnlich wie die Stadt Los Angeles selbst) ihre Erscheinung stets wandelt und doch gleich bleibt. Auch wenn das neue Haus des L. A. Philharmonic kaum die Grossartigkeit des ebenfalls von Frank Gehry entworfenen Guggenheim-Museums in Bilbao erreicht, so übertrifft es dieses doch an Schönheit und Verführungskraft. Schwankend zwischen Hochkunst und Hollywood-Kitsch, verkörpert das Konzerthaus wie kein anderes Gebäude den auf Bewegung, Effekt und Show basierenden Genius loci der südkalifornischen Riesenstadt. Es offenbart zudem, dass Gehry - wie auch die ihm zurzeit im benachbarten MOCA gewidmete Schau zeigt - seit Bilbao im Grunde den immer gleichen Bau verwirklicht: mit solcher Hartnäckigkeit, dass er aus den rein künstlerischen Sphären, in denen er sich zu drehen scheint, kaum mehr auf den aktuellen Architekturdiskurs einwirken kann.


Das Wunder von Los Angeles

Als Gehry 1991 auf der fünften Architekturbiennale von Venedig die neusten Entwürfe der Disney Hall vorstellte, hielt man das als gigantische steinerne Blüte konzipierte Projekt für eine kalifornische Verrücktheit. Doch gegenüber dem plumpen, eher an ein Shopping-Center denn an einen Musentempel gemahnenden Vorschlag, welcher Gehry in dem 1987 (dank einer 50-Millionen-Dollar-Spende von Lillian Disney) lancierten Wettbewerb über Böhm, Hollein und Stirling hatte triumphieren lassen, bedeutete es einen grossen Fortschritt. Der lässt sich mit der späten Selbstfindung des heute 74-jährigen Architekten erklären: Seit dem «dekonstruktivistischen» Umbau seines Wohnhauses in Santa Monica vor dreissig Jahren hatte sich Gehry nämlich auf einer Gratwanderung zwischen Architektur, Kunst und Bricolage befunden. Erst der Beizug des Computerprogramms CATIA im Jahre 1991 ermöglichte es ihm, seine Visionen - die sich in ungezählten Skizzen, zerknüllten Papieren und Materialcollagen niedergeschlagen hatten - in Bauten umzusetzen. Als dann die Auswirkungen der Rezession, der Rodney-King-Unruhen und des Northridge- Erdbebens das Disney-Projekt im Jahre 1994 zum Stillstand brachten, nutzte Gehry die Atempause, um über dessen Erscheinungsbild nachzudenken. So fand er - zeitgleich mit dem 1991-1997 verwirklichten Guggenheim Bilbao - von einer steinernen Hülle zu jenem viel leichter, selbstverständlicher und eleganter wirkenden Schuppenkleid aus matt schimmerndem Metall, das seither zu seinem Markenzeichen geworden ist.

Gehry, ein Meister des prozesshaft-intuitiven Schaffens, behielt von dem in Venedig ausgestellten Entwurf nur den Konzertsaal bei: eine mit dem Akustiker Yasuhisa Toyota erarbeitete Kreuzung der klassischen Schuhschachtel mit Hans Scharouns Berliner Weinbergprinzip. An den leicht eingeknickten quaderförmigen Saal fügte Gehry in der Art des synthetischen Kubismus das Foyer, die gipsern flammende Grotte des Founders Room sowie Arbeitsräume an und umspielte das Ganze mit gewaltigen Girlanden aus Edelstahl, welche nun die im Grunde einfache Disney Hall hinter einer aufsehenerregenden kubosurrealistischen Kulisse verbergen. Diese nimmt man bald als silberne Seerose oder als Segelschiff in der endlos flutenden Stadtlandschaft wahr, bald aber auch als Stadtkrone, die im harten Mittagslicht weiss gleisst und bleigrau schimmert, um dann bei Sonnenuntergang langsam zu verglühen. Auf den Höhen von Bunker Hill darf dieses architektonische Kunstwerk nun als verspieltes Symbol der Stadtwerdung und der kulturellen Reifung von «La-La-Land» in Erscheinung treten.


Eine hölzerne Barke

Eine Freitreppe weist hinauf zur Plattform, auf der sich Gehrys 274 Millionen Dollar teure Bauskulptur erhebt. Von hier betritt der Besucher zwischen stählernen Wogen und durch eine nicht ganz stimmige Glasfassade das Foyer, sofern er nicht über die Rolltreppen direkt aus der Tiefgarage ankommt. Der weisse, sich über mehrere Ebenen ausdehnende Eingangsbereich wird von baumartigen Holzgebilden akzentuiert, in deren Ästen sich die tragende Struktur, die Klimaanlage sowie Lichtquellen verbergen. Einzig die sich zur Stadt hin öffnenden Glaswände erlauben einen Einblick in die Konstruktion dieses futuristischen Gebäudes, das wie aus einem Stück Metall gefräst erscheint, dessen eisernes Skelett letztlich aber auf den Erkenntnissen des Eiffelturms aufbaut und formal einer Berg-und-Tal-Bahn gleicht. Aus dem Foyer, das (im Gegensatz zur genialen Eingangshalle von Bilbao) etwas gar unruhig und zerfahren wirkt, gelangt man in den Konzertsaal - eine in ihrer Klarheit ebenso grossartige wie überzeugende Raumschöpfung. Trotz Einfachheit und strenger Symmetrie wirkt der 2265 Plätze anbietende Saal weniger monumental als fast schon intim. Bei Tag wird er von natürlichem Licht erhellt, am Abend aber verleiht ihm das Holz der terrassenförmigen Weinbergbestuhlung und der baldachinartigen Decke eine ruhige Atmosphäre, welche von der wie eine goldene Monstranz strahlenden Orgel mit hollywoodesker Theatralik ins Quasi-Sakrale überhöht wird.

Der Raum, den Gehry gerne mit einer hölzernen Barke vergleicht, zählt nicht nur zu den stimmungsvollsten Musiksälen der jüngsten Zeit. Mit seinem «Fülle, Wärme und direkt einwirkende Kraft» ausstrahlenden Klang (NZZ 28. 10. 03) vermag er auch die Musikkritiker zu überzeugen. Dürfte der Konzertsaal eher eine musikalisch gebildete Elite ansprechen, so begeistert die äussere, entfernt an das Opernhaus von Sydney erinnernde Hülle alle. Als leicht zugängliche Pop- Architektur, die von den Medien unisono zum Meisterwerk erklärt wurde, soll die Disney Hall auch den Zaungästen aus ärmeren Stadtteilen die Schwellenangst nehmen. Einladend gestaltet wurden deshalb gerade auch die Gartenterrassen (mit dem 300-plätzigen Freilufttheater), die das Konzertgebäude auf zwei Seiten umfassen und es vom fast schon schweizerisch einfachen Verwaltungstrakt trennen. In diesem so gar nicht an Gehry erinnernden Gebäude befinden sich auch das experimentelle Redcat Theater und eine Galerie, die nun zusammen mit Café, Restaurant und Music- Shop die Kulturmeile der Grand Avenue weiter beleben dürften.

07. November 2003Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Stadtwerdung einer Metropole

Die Disney Hall als Symbol urbanistischer Erneuerung

Die Disney Hall als Symbol urbanistischer Erneuerung

Amerikas Städte leben schnell. Galt downtown Los Angeles - die von öden Parkplatzarealen geprägte Stadtlandschaft zwischen dem vor 222 Jahren gegründeten Pueblo und den Türmen des Geschäftsviertels - unlängst noch als «City of Fear», so erlebt das Herz der südkalifornischen Metropole gegenwärtig eine wunderbare Transformation: Ein mexikanisch bunter Broadway, ein geschäftiger Fashion District, betriebsame Markthallen, restaurierte Baudenkmäler, noble Wohnhochhäuser und prachtvolle Sakral- und Kulturbauten machen Downtown zum neusten In-Bezirk der Riesenstadt, in dem man - laut «San Francisco Chronicle» - die «Bohemian Rhapsody» eines aufkeimenden Nachtlebens von der Roof Bar des hippen Standard-Hotels bis hin zu Little Pedro's Blue Bongo Bar vernehmen kann.

Die Stadtwerdung der auch schon «Kapitale der Dritten Welt» genannten Megalopolis ist das Resultat vieler Häutungen und Metamorphosen. Als ihr strahlendes Symbol darf Frank Gehrys soeben eröffnete Disney Hall bezeichnet werden. Denn trotz schwindelerregender Erscheinung ist dieses weltweit beachtete Monument ein Zeichen der Verdichtung in einer bis anhin von zentrifugalen Kräften und städtebaulichem Wildwuchs geprägten Stadt, die nun durch Schaffung von Wohnbauten, Boulevards und Grünanlagen neue Lebensräume erhalten soll. Angesichts der Aufbruchstimmung geht leicht vergessen, dass Downtown in den Roaring Twenties mit bombastischen Premierenkinos und Theatern bereits einmal das pulsierende Herz der Stadt war. Doch dann läutete der Siegeszug des Autos den Niedergang der Innenstadt ein. Nach dem Wegzug der Oberschicht verlotterten die viktorianischen Herrensitze auf Bunker Hill, dem zentral gelegenen Villenhügel, so dass die mächtige Community Redevelopment Agency (CRA) in den zukunftstrunkenen fünfziger Jahren das Viertel niederwalzen liess, um Platz zu schaffen für die Glitzertürme einer bald schon weithin sichtbaren Skyline.

Den Auftakt zur Neugestaltung von Bunker Hill machte das Hochhaus der Wasserwerke, das seither zusammen mit dem 27-stöckigen Art- déco-Turm der City Hall die Eckpunkte der Verwaltungsachse des Civic Center markiert. Quer dazu wurde entlang der auf dem abgeflachten Hügel verlaufenden Grand Avenue die dreiteilige Akropolis des Music Center mit der 1964 eröffneten Dorothy Chandler Hall realisiert. Schnell galt dieser auf Autofahrer ausgerichtete und von Brachen umgebene Verwaltungs- und Kulturbezirk abends und an Wochenenden als unsicher. Deshalb lancierte die CRA 1980 eine urbanistische Aufwertung der Grand Avenue zwischen dem Music Center und dem sich weiter südlich um die Central Library formierenden Finanzdistrikt. Doch statt auf den vom Büro Maguire & Thomas vorgelegten Entwurf einer kleinteiligen Bebauung durch renommierte Architekten wie Gehry, Legorreta, Moore und Pelli einzugehen, entschied sich die CRA für das Projekt von Fairview & Erickson. Aus diesem gingen schliesslich die von zwei Hochhäusern bewachte California Plaza und - als kleiner städtebaulicher Glücksfall - Arata Isozakis postmodernes Meisterwerk des Museum of Contemporary Art (MOCA) hervor.

Der California Plaza gegenüber bilden seit 1984 die scharfkantigen Wolkenkratzer des Wells Fargo Center von SOM das Tor zur Hope Street. Diese gefällt sich auf der Länge von zwei Strassenblöcken mit ihrem beachtlichen Skulpturenschmuck und dem versunkenen Farngarten der Orchard Plaza schon heute als eleganter (aber nur wenig begangener) Boulevard, welcher zu den von Lawrence Halprin, dem Altmeister der US- Landschaftsarchitektur, als mediterrane Treppenanlage konzipierten Bunker Hill Steps führt. Sie verbinden I. M. Peis 330 Meter hohen Library Tower mit dem tiefer gelegenen Art-déco-Juwel der 1993 renovierten und erweiterten Central Library zu einem modernen Ensemble im Geist der City Beautiful, das ostwärts bis zum Biltmore Hotel reicht und seine Fühler über den 1994 von Ricardo Legorreta umgeformten Pershing Square fast bis zum Broadway hin ausstreckt.

Die zunehmende Verdichtung des Finanzdistrikts machte mit chronisch überlasteten Freeways und astronomischen Parkplatzgebühren die Grenzen des Privatverkehrs deutlich, was in den frühen neunziger Jahren zum Bau der Red Line Metro führte. Gleichzeitig förderte die Stadt den Ausbau der Grand Avenue zur Kulturmeile. Diese schien nach der Eröffnung des MOCA und der Lancierung des Wettbewerbs für die Walt Disney Concert Hall im Jahre 1987 zum Greifen nahe, bevor Rezession, Rassenunruhen und das Northridge-Erdbeben zu Verzögerungen führten. Erst die Wiederaufnahme der vorübergehend eingestellten Bauarbeiten an der Disney Hall, die Vollendung der Colburne School of the Performing Arts und der Wettbewerb für eine neue Kathedrale am Nordende der Avenue verliehen dem Projekt Kulturmeile wieder Aktualität. So plante man im Hinblick auf die Einweihung der prächtigen, von Rafael Moneo entworfenen Kathedrale vor einem Jahr und die Eröffnung der Disney Hall eine Umgestaltung der Grand Avenue zur palmengesäumten und mit Springbrunnen belebten Flanierstrasse, doch wird diese schöne Vision nun nur als Fragment verwirklicht.

Dafür hegt das Grand Avenue Committee Pläne zur Investition von mehr als einer Milliarde Dollar in Büro- und Wohnhochhäuser mit Restaurants, Kinos und Geschäften, die auf die vier östlich und südlich an die Disney Hall anschliessenden, seit bald fünfzig Jahren als Autoparking genutzten Brachflächen zu stehen kommen sollen. Die Stadt ihrerseits verfolgt Ideen weiter, die unterschiedlich genutzten Areale zwischen den Bauten des Civic Center in einen Stadtpark umzuformen. Von der fortschreitenden Reurbanisierung zeugen aber auch die 8000 Lofts und Apartments, die bis 2007 in Neubauten oder umgenutzten Denkmalobjekten entstehen und so den Wohnungsbestand in dem gut 1,5 Quadratkilometer grossen Geviert rund um Grand Avenue und Broadway auf 23 000 Einheiten erhöhen sollen. Schon wird - mit Blick auf Bilbao - vom «L. A. effect» gesprochen. Und in der Tat haben die Kulturbauten an der Grand Avenue, vor allem aber die Disney Hall bereits ein neues Bewusstsein von Urbanität aufkommen lassen.

28. Oktober 2003Peter Hagmann
Neue Zürcher Zeitung

Im Namen der Rose

(SUBTITLE) Eröffnung der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

Mit einem dreitägigen Grossanlass hat das Los Angeles Philharmonic seine neue, von dem Architekten Frank Gehry und dem Akustiker Yasushi Toyota konzipierte Wirkungsstätte bezogen. Der Konzertsaal ist ästhetisch wie akustisch vorbildlich gelungen.

I did it. Stellte mich mitten auf die Champs- Elysées, blickte in die Strassenschlucht und liess die Wolkenkratzer wirken. Natürlich nicht auf die wirklichen Champs-Elysées, sondern ihr Abbild in der Neuen Welt, die Grand Avenue in Downtown Los Angeles, die aus gegebenem Anlass gesperrt und autofrei war. Der Anlass: die Eröffnung der neuen Walt Disney Concert Hall des Architekten Frank Gehry und des Akustikers Yasuhisa Toyota, die mit drei Konzerten, einer Ausstellung zum Werk des Architekten, mit Empfängen und Feuerwerk begangen wurde. Das Kulturzentrum auf dem Bunker Hill mit dem Dorothy Chandler Pavilion, in dem die Los Angeles Opera jetzt allein residiert, und den beiden anderen Theatern des Music Center, mit dem Museum of Contemporary Art und der privaten Colburn School of Performing Arts hat durch den Konzertsaal eine kräftige Aufwertung erfahren. Ob die Grand Avenue damit ihrem Vorbild näher kommen und die Riesenstadt in Kalifornien ein Wahrzeichen jenseits von Hollywood erhalten wird, muss die Zukunft weisen.

Der Haupteingang mit seiner Treppe aus Travertin nimmt sich schon einmal vergleichsweise bescheiden aus - aber das hat auch damit zu tun, dass der eigentliche Eingang dort liegt, wo es zu den Parkplätzen geht. In dieser so sehr in die Breite gestreuten Stadt, in der es nur wenig öffentlichen Verkehr gibt, bewegt man sich mit dem Privatauto, und so hat die Regionalverwaltung, die das Grundstück zur Verfügung gestellt hat, eine sechsstöckige Tiefgarage gebaut, die ebenso viele Plätze aufweist wie der Konzertsaal. In den hellen, weiten Foyers, denen sich zahlreiche Nebenräume für Einführungsveranstaltungen und private Versammlungen anschliessen, fallen die gekurvten Holzelemente auf, die wie riesige Rispen in die Höhe streben. Der Weg an den Platz führt an einer Wand aus Filz vorbei, an der die Namen unzähliger Gönner aufgeführt sind; tatsächlich sind die 274 Millionen Dollar für den Bau des neuen Konzertsaals voll und ganz von privater Seite aufgebracht worden - eine Bürgerinitiative der besonderen Art.

Runde Formen dominieren auch den Konzertsaal. Von Anfang an hatte die Berliner Philharmonie von Hans Scharoun als Vorbild gegolten. Der Akustiker Yasuhisa Toyota vom Büro Nagata in Tokio hatte dem entgegengehalten, dass die parallelen Wände der Schuhschachtel, die etwa dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein zugrunde liegt, der Klangentfaltung im Saal dienlicher seien. Weshalb Gehry einen Mittelweg gewählt hat. Im Grundriss geht die Disney Hall von einem Rechteck aus, doch präsentiert sie sich nicht in italienischer Anordnung mit dem Podium vorne und den Sitzreihen dahinter; die Plätze sind vielmehr wie in der Berliner Philharmonie in steil ansteigenden Gruppen zusammengefasst, die, den Terrassen eines Weinbergs gleich, um das Podium verteilt sind. Eine Art Arena also - und die weiche Rundung bestimmt auch die durchwegs in Holz gehaltenen Verkleidungen der Wände und der Decke. Selbst bei der Orgel hat Gehry das stramme Nebeneinander der Pfeifen zu vermeiden gesucht - und deshalb den Prospekt als einen etwas durcheinander geratenen Blumenstrauss entworfen, hinter den die deutsche Firma Glatter-Götz das (noch nicht fertig intonierte) Instrument gebaut hat.

Hinter dem Raumkonzept steht die Überzeugung, dass das Konzert seine Attraktion vorab aus dem Live-Charakter und dem gemeinschaftlichen Erleben gewinnt - in einer Medien-Stadt wie Los Angeles mag das besonders ins Gewicht fallen. Trotz der relativ hohen Zahl von 2226 Plätzen sollte das Gefühl der Intimität und der direkten Wirkung erhalten bleiben. Der Blick aufs Podium wie in den Kreis der Zuhörerschaft sollte von allen Plätzen aus gewährleistet sein; und der Klang sollte so unmittelbar aufs Ohr treffen, dass sich der Zuhörer involviert, ja körperlich angesprochen fühlt. Das ist alles eindrücklich gelungen. Der mit floralen Mustern dekorierte, bunte Bezug der Sitze ist gewöhnungsbedürftig, aber optisch wirkt der übrigens durch Tageslicht erhellte Saal in keiner Weise monumental. Und die Akustik, die sich ja nicht bis ins Letzte errechnen lässt, gehört zum Besten in diesem Bereich. Wie im Luzerner Konzertsaal von Jean Nouvel und Russell Johnson sind die musikalischen Abläufe bis in die Einzelheiten zu verfolgen, doch anders als bei diesem eigentlichen Gegenstück strahlt der Klang Fülle, Wärme und direkt einwirkende Kraft aus - wie in dem ebenfalls vom Büro Nagata gestalteten Kitara-Saal im japanischen Sapporo.

Wenn sich die Disney Hall als konventioneller Konzertsaal mit fester Bestuhlung und nur wenig modifizierbarer Akustik versteht, so herrscht hier doch ausgeprägt der Geist der Gegenwart. Das ist dem Los Angeles Philharmonic und Esa-Pekka Salonen, seinem Chefdirigenten, zu verdanken. Seit Jahren liegt in den Programmen der Akzent auf der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts - was sich auch in den drei Eröffnungskonzerten niedergeschlagen hat. «Sonic LA» nannte sich das erste, und es führte von der kleinsten Besetzung mit der Sängerin Diane Reeves, welche die amerikanische Nationalhymne solo vortrug, über die Raumwirkungen in «The Unanswered Question» von Charles Ives zur Grossformation von Igor Strawinskys «Sacre du printemps» - der in einem Saal mit dem Namen Walt Disneys natürlich nicht fehlen durfte.

Am zweiten Abend, «Living LA», stellte Salonen mit den «LA Variations» ein eigenes Stück vor und gab es das Cellokonzert von Witold Lutosawski mit dem blendend aufgelegten Yo- Yo Ma sowie eine gewiss anregend ausgedachte, aber für europäische Ohren fragwürdige Uraufführung von John Adams. Bis hin zu der Filmmusik von «Soundstage LA» am dritten Abend bewährte sich das Los Angeles Philharmonic, das anders als die amerikanischen Orchester auf einem gestuften Podium auftritt, als ein Klangkörper von hoher Qualität; jetzt, da es nicht mehr im 3000 Plätze fassenden Opernhaus des Dorothy Chandler Pavilion, sondern im eigenen Saal auftreten kann, eröffnen sich ihm bemerkenswerte Perspektiven.

Wer mochte, konnte in der Pause den erhöhten Park aufsuchen, der, auf zwei Seiten des Gebäudes, über den Büros sowie den grosszügigen Garderoben, Üb- und Aufenthaltsräumen angelegt ist. Auch hier südlich helle Bodenplatten und schon grosse Bäume, die so ausgewählt seien, dass sich je nach Jahreszeit eine andere Blütenpracht einstellt. Da begegnet man dem kleinen Einfamilienhaus, das Gehry für Esa-Pekka Salonen und die Gastdirigenten entworfen hat, und der separaten Lounge für die besonders zahlungskräftigen Donatoren, die nicht mit dem matten Edelstahl des Hauptgebäudes, sondern mit dessen glänzender Ausführung eingefasst ist. Und man kann jenen Brunnen aufsuchen, den Gehry in Form einer grossen Rose gestaltet hat; Liliane Disney, die Witwe von Walt Disney, die zusammen mit ihrer Familie ein gutes Drittel der Baukosten getragen hat, sei eine Liebhaberin von Blumen, insbesondere von Rosen gewesen. Ein Idyll ist das hier - gut abgeschirmt von der Armut, die wenige Schritte weiter, in dem ganz und gar mexikanisch geprägten Teil der Innenstadt herrscht.

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