Pläne

Details

Adresse
Maria-Theresien- Straße 11, 6020 Innsbruck, Österreich
Architektur
Rainer Köberl
Mitarbeit Architektur
Matthias Bresseleers
Bauherrschaft
Brunhilde Fröschl, Dil Ghamal
Tragwerksplanung
Alfred Brunnsteiner
Fotografie
Lukas Schaller
Weitere Konsulent:innen
HSL-Planung: Günter Kolhlegger, Rum/Innsbruck
Planung
2005
Ausführung
2006 - 2007
Nutzfläche
70 m²

Ausführende Firmen

Baumeister: Fröschl AG & Co KG, Hall in Tirol (A)
Beleuchtungskörper: Halotech Lichtfabrik GmbH, Innsbruck (A)
Bar- und Küchentechnik: Kältepol, Natters
Tischlerarbeiten: Möbel Design, Martin Koch, Mutters

Preise und Auszeichnungen

Archtour

Genereller introtext zu Archtour der von nextroom geschrieben wird.

Presseschau

16. Dezember 2008Christoph Luchsinger
zuschnitt

Holz in der Beiz

(SUBTITLE) Eine kulinarische Reise

Als ich ein kleiner Junge war, standen zwei Gerichte ganz oben auf meinem Wunschspeisezettel. Riz Casimir bei Mövenpick und Backhendl bei Wienerwald waren...

Als ich ein kleiner Junge war, standen zwei Gerichte ganz oben auf meinem Wunschspeisezettel. Riz Casimir bei Mövenpick und Backhendl bei Wienerwald waren...

Als ich ein kleiner Junge war, standen zwei Gerichte ganz oben auf meinem Wunschspeisezettel. Riz Casimir bei Mövenpick und Backhendl bei Wienerwald waren Frühformen einer Küche, die sich erstens nicht mehr an die einheimischen Speisen und Ressourcen hielt und zweitens Essen auftischte, das jedes Mal genau gleich gut schmeckte wie beim vorigen Mal. Und mindestens ebenso faszinierend wie das Essen waren die täuschend echt aussehenden lebensgrossen Möwen, die im Mövenpick am Paradeplatz vor einem Panoramafoto der Zürcher Quaianlagen schwebten. Alles passte perfekt ins Bild einer weltoffenen City der 1960er Jahre mit ihren aufblühenden Banken, Versicherungen und noblen Geschäften. Die rote Weichselkirsche zuoberst auf dem mit exotischen Früchten vermischten Hühnergeschnetzelten im Reisring war ein Wink aus fernen Welten, in die wir am liebsten sofort geflogen wären.

Was damals sozusagen unbedarft begann, entpuppte sich schon bald als weitreichende Verwandlung der gastronomischen Topografie. Mit der Öffnung zu Küchen anderer Länder hielten auch andere Interieurs Einzug, und zwar im schönen Gleichschritt mit den Urlaubsreisen, die wir zunächst an die Riviera, dann an die Costa Brava und in die Ägäis unternahmen. Beim »Italiener« oder beim »Griechen« (gemäss dem Sprachgebrauch in Deutschland) zu essen, brachte so etwas wie ein Stück Fröhlichkeit in den Alltag des sozialen Wohlfahrtsstaats, mit Fischernetzen und Muscheln an den Wänden, Freskos der Rialtobrücke oder der Akropolis. Frascati und Chianti, Retsina und Rioja benetzten Pizza und Mussaka, Cozze und Paella. All das war unsere Welt und wurde keinesfalls als etwas vordergründig Konstruiertes, als Vorgespieltes wahrgenommen.

Während wir uns in den Trattorias und Tavernen bei allem aufgefahrenen Kitsch also sehr wohl zu Hause fühlten, verschwand allmählich Stück für Stück und leise der althergebrachte Typus der meist hölzern ausgekleideten Gaststube und mit ihm auch seine Speisekarte, auf der wir neben Rahmschnitzel mit Nudeln, Kalbszunge an Kapernsauce mit Bohnen oder zweierlei Braten an dreierlei Saucen auch Schleie, Hecht und Brachsmen aus unseren Gewässern fanden. Die Erosion der Speisekarte fand ihre Entsprechung in der Erosion der Interieurs. Ich wage zu behaupten, dass in unseren Landen die historisch letzten authentischen Modernisierungen traditioneller Gaststuben so um 1970 herum stattgefunden haben, etwa gleichzeitig mit der Verdrängung der Bachforelle durch die Regenbogenforelle und der massenhaften Einführung von Papierservietten. Was nachher folgte, waren hilflose Versuche, den Kunden medial zu übertölpeln mit allerlei Szenerien, die zunächst und am umfassendsten in »Sechuans« oder »Wong Tongs« als undurchsichtige Höhlen daherkamen und in »Asian Dreams« als Thaigärten inklusive Felsenquellen, künstlichem See und Brücke darüber auf die Spitze getrieben wurden, übertroffen nur noch von den Lokalen, die hinter einem kümmerlichen Rest von Gaststube noch einen kleinen Saal mit beispielsweise karibischem Outfit eingerichtet hatten, wo dann ausgerechnet Bami oder Nasi Goreng serviert wurde.

Natürlich gab es einige Renitente, die den Wandel nicht mitzumachen gedachten und in ihren alten Gewändern ausharrten. Sie sind heute heroische Exoten in einem Meer von kopierten Gegenwelten, die da völlig ortlos, beliebig im Kontext verteilt und jederzeit austauschbar die gastroarchitektonische Landkarte ausmachen. Ob Restaurant, Beiz, Gasthof, Pizzeria, Gasthaus, Gaststube, Taverne, Trattoria, Bistro, Brasserie, Lokal, Inn, Pub, Foodstation, Wirtshaus oder was auch immer – die überwiegende Mehrzahl unserer Verpflegungsstätten hat ihr Gesicht verloren und damit ihren Charakter, ihre Persönlichkeit, ihre Echtheit. Und was einmal verloren ging, lässt sich nicht mehr wiederherstellen, nur heraufbeschwören, im besten Fall zu einem neuen echten Mythos. Das heisst konkret, dass die kopierten Gegenwelten durch echte Welten nicht mehr zu ersetzen sind. Was bleibt, sind Endlossimulationen, die sich so lange selbst übersetzen, bis die letzte Transkription den Originaltext ersetzt.

Das »Sensei« in Innsbruck ist auf diesem Weg schon ganz schön weit gelangt. Wie schreibt man Sushi und Sashimi einer bürgerlichen Innenstadtumgebung im Tirol, gegenüber von Barock und Kopfsteinpflaster, ein? Indem man beispielsweise – so wie das Rainer Köberl tat – ein Zimmer zur Schatulle macht. Köberls Kunstgriff besteht darin, das »Sensei« wie ein Kleinod auszubilden, das den ganzen Raum ausfüllt, ein Massstabssprung, der sozusagen automatisch und ganz selbstverständlich die Simulation in Gang setzt. Es braucht dann keinerlei Rechtfertigung, warum das Innere aus Holz gefertigt ist, warum das Holz mit allerlei Methoden veredelt und verfremdet wurde, warum zur Strasse hin das Ganze wie ein Schrein sich öffnet. Die Lage des »Sensei« im ersten Obergeschoss unterstreicht die Exklusivität des Raums zusätzlich und erinnert etwa an die alten Ritterstuben, in denen die Trophäen aus fremden Ländern prangten. Einmal eingetreten in den Mikrokosmos, geniesst man die Raffinesse der Details, der Oberflächen und der Lichtreflexe in der Dunkelheit, streichelt die Furniere mit dem Tigermuster auf den Tischen und fragt sich, wie es möglich war, aus Lärche ein goldbesticktes Ebenholzparkett hervorzuzaubern. »Sensei« belegt eindrücklich, dass künstlich nicht ein Widerspruch zu echt darstellen muss, was unter anderem deshalb gelingt, weil die Übersetzung mit dem Original vollkommen frei umgeht.

Was hingegen daraus resultieren mag, wenn ein Text Wort für Wort von einer Sprache in die andere und dann in die nächste und so weiter und zum Schluss zurück in die Ausgangssprache übertragen wird, lässt sich auf kleinstem Raum bei »Kim kocht« in Wien anschauen. Es sind zwar noch Worte da – zum Beispiel poliertes Brett, Glas, furniert, rohe Schwarte, Birke, Kupfer, Kirschholz, weisses Tischtuch, Hütte –, aber keine Sätze, geschweige denn ein Text. Hier hat sich die Erosion des Gastrointerieurs selbst thematisiert, was schon beinahe wieder originale Qualität hätte, wenn das Ganze nicht so humorlos aufgetragen würde. Und all dem steht entgegen, dass das eigentliche Essen – das von Kim gekocht wird – einmalig präzise und authentisch schmeckt. Wie um Himmels willen ist es möglich, dass die Kochkunst mittlerweile die Architektur formal überholt? Vielleicht weil Form fatalerweise als etwas fertig Zubereitetes verstanden wurde und nicht als das Ergebnis einer Zubereitung?

Kaum einer hat die Metamorphose des gastroarchitektonischen Ambientes und die damit verbundene Entfremdung von Geschichte so früh und so genau begriffen wie Hermann Czech. Sein »Kleines Café« verschliff derart hemmungslos Bestand und Eingriff, dass seitdem alle Debatten über Alt und Neu, künstlich und »natürlich« eigentlich vom Tisch sind. Das Gasthaus »Immervoll« dupliziert die Untergrabung dieser Kluft genussvoll und gelassen, ohne aufgesetzte Rhetorik, also selbstverständlich. Czech hält die Zeit an, indem er sie von hinten unmerklich einholt. Niemand weiss, ob allenfalls der Besitzer die alte Täfelung eigenhändig weiss gestrichen hat, die schräg oberhalb der Tische aufgehängten Spiegel mit allen ihren Sichtbezügen aus der Kammer seiner Grossmutter oder aus der Filiale von Ikea besorgte, die Sitzbänke eigenhändig renovierte oder ob da ein Architekt mitmischte. Nichts scheint kalkuliert, aber alles funktioniert. Es würde auch funktionieren, wenn im »Immervoll« etwas ganz Exotisches zu Tische käme anstelle knusprig frischer Wiener Schnitzel. »Immervoll« entkoppelt Ambiente von Produkt, Design von Inhalt, Gaststube von Heimat und lässt den Gast trotzdem nicht allein, wenn er nach vertrauter Umgebung sucht. Ganz im Gegenteil wird der Gast gewahr, dass die fernen Welten im Inneren zu finden sind, ganz zu Hause. Und da ist immer noch das Holz als Stoff, an das wir uns erinnern, ob Täfelung, Boden, Decke oder Tisch ...



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zuschnitt 32 Echt falsch

23. September 2007Franziska Leeb
Spectrum

Unbunt und sattrot

Wenn Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese bilden: Rainer Köberls Sushi-Bar „Sensei“ in Innsbruck.

Wenn Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese bilden: Rainer Köberls Sushi-Bar „Sensei“ in Innsbruck.

Angesichts durchaus schwerwiegender architektonischer Probleme wie der Frage nach einer zeitgemäßen Moscheenarchitektur oder dem Beitrag der Architekturschaffenden zum Stopp des Klimawandels und in Anbetracht der Tatsache, dass heutzutage selbst die Kolleginnen von den Lifestyle-Magazinen kaum noch nachkommen, allen zeitgeistig „gestylten“ Gaststätten ihre Referenz zu erweisen, erscheint es womöglich nicht ganz angebracht, einer kleinen Sushi-Bar fast eine ganze wertvolle Seite im Wochenend-Feuilleton zu widmen.

Angesichts der Leidenschaft, mit der Bauherr und Architekt zugange waren, und in Anbetracht der Tatsache, dass im Innsbrucker „Sensei“ Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese eingehen, ist das aber wohl angemessen.

Bauherr Dil Ghamal stammt aus einer nepalesischen Goldschmiedfamilie und wurde von einem japanischen Lehrer in Deutschland zum Sushi-Meister ausgebildet. Die Innsbrucker verwöhnte er bereits in zwei anderen Lokalen mit köstlichem Sushi, ehe er sich trotz bescheidenen Startkapitals zur Selbstständigkeit entschloss. Als Architekt wählte er sich einen, der kulturellen Anspruch hat und die intellektuelle Auseinandersetzung sucht.

Architekt Rainer Köberl beeindruckte vor etwa einem Jahrdutzend damit, dass er Gebäude in Randlagen und für Randgruppen, wie ein Pflegeheim (Feldkirch-Nofels) oder ein Wohnheim für Haftentlassene (DOWAS, Innsbruck) als Orte des respektvollen Umgangs von hoher Kontemplation formulierte. Mittlerweile hat sich sein gebautes Repertoire erweitert, und man kann in von Köberl geschaffenen Konsumstätten in der Innsbrucker Innenstadt – vom M-Preis-Supermarkt am Hauptbahnhof über die Buchhandlung Wiederin am Sparkassenplatz, die neue Terrasse des Café Central bis hin zum Delikatessencafé in der Maria-Theresien-Straße und die ein Stück weiter ebendort gelegene Sushi-Bar „Sensei“ – gut und gerne einen ganzen Tag zubringen.

Am „Sensei“ läuft man untertags leicht vorbei, schließlich liegt das Lokal im ersten Stock, ausgerechnet über dem Lokal einer großen Fischimbisskette. Da dem roten Logo-Fisch der Nachbarn (der sowieso als gutes Orientierungszeichen taugt) schwerlich etwas entgegenzusetzen ist, was sich mit dem Ensembleschutz der gesamten Straße und dem guten Geschmack vereinbaren lässt, tritt das Sensei trotz gläsernem Erker nach außen optisch dezent in Erscheinung.

Oben angekommen, veranlasst der schmale Eingangsbereich mit seinen irritierend spiegelnden schwarzen Wänden dazu, das Tempo zu reduzieren, innezuhalten. Das Zelebrieren des Übergangs von außen nach innen ist eines der wichtigen Themen in diesem Lokal. Schon an der Schwelle wird es zu einer physischen Erfahrung, die darauf vorbereitet, dass das Gast-Sein im Sensei ebenso ritualisiert wird wie das Koch-Sein. Denn Schnelligkeit bringt Einbußen bei der Qualität mit sich, darin sind sich der Gastronom und sein Architekt einig.

Schwarz dominiert. Köberl mag diese unbunte Farbe und entlockt ihr immer wieder neue Facetten. Im Sensei dient sie ihm dazu, den Raum größer wirken zu lassen, was aufs Erste paradox erscheint. An Wänden und Decken wurde aus exakt verlegten Schichtstoffplatten sowohl dem (auch lüftungstechnisch bedingt) niedrigeren Eingangsbereich als auch der winzige Küche und dem Gastraum ein schimmerndes Kleid geschneidert. Schon allein daraus entsteht mit einem einfachen Gestaltungsmittel ein ergreifendes Stimmungsspiel zwischen Lichtund Dunkelheit, aber auch eine Plastizität, die zwar spürbar, aber aufgrund der verschwimmenden Raumgrenzen und -kanten schwer festzumachen ist. Untertags spiegeln sich in der Decke das Tageslicht und der Straßenraum, und nachts vervielfältigen sich darin die Kunstlichtakzente. Wenn es dunkel ist, erfährt auch der Bezug zum öffentlichen Raum neue Blickwinkel: Denn dann bildet sich die Betriebsamkeit des Lokals gut von der Straße aus sichtbar in bunten Reflexionen an der Decke ab. Gäste, Passanten und die mit hoher Aufmerksamkeit und Kunstfertigkeit produzierten Speisen steuern wichtige Farbakzente bei. Sorgfältige Materialvariationen fügen sich zum stimmigen Hintergrund. Das Lärchenholz am Boden und im Inneren des Erkers erfuhr eine aufwendige Behandlung, bis sich ein flirrendes Oberflächenmuster abzeichnete: Zuerst gebürstet, dann schwarz gebeizt, leicht geschliffen und danach lackiert, präsentiert sich die kräftig zum Vorschein kommende goldene Maserung als exotisch anmutendes Flammenornament. Schwarz-golden exotisch auch die Tische, die mit indischem Apfelholz furniert wurden.

Die 26 Plätze im Gastraum sind entlang der Wände linear angeordnet, einen besonders exponierten Tisch gibt es im Erker. Das wirkt übersichtlich und großzügig. Gut strukturiert zu sein ist wichtig in einem so kleinen, meist ausgebuchten Lokal. Mangels Keller oder eigenen Lagerraums bietet ein mit einem schwarzen Vorhang abgeschirmter Wandschrank gegenüber der Theke einen wohlüberlegt bestückten Stauraum. Sichtfenster in den Wänden zur Küche erweitern den Köchen optisch den Raum und gewähren den Gästen einen flüchtigen Blick auf den Herd. Einen edlen Akzent liefert der sattrote Samtvorhang, der an der Rückwand des Lokals das Entree zu den Toiletten abschirmt. Um die Noblesse nicht zu stören, wurde sogar auf gängige Damen-Herren-Symbole verzichtet und der Unterschied auf güldenen Metallplatten, in die ein beziehungsweise zwei kreisrunde Löcher eingestanzt sind, kenntlich gemacht. Schön und klar! Asiatisch?

Das Ausbilden von Schwellen zwischen Innen und Außen, der an japanische Lackarbeiten erinnernde Glanz der Oberflächen, die Farben – ja, das Lokal verströmt durchaus ein Flair, das man als „asiatisch“ bezeichnen könnte. Rainer Köberl, der selbst betont, sich nicht besonders intensiv mit der fernöstlichen Kultur auseinandergesetzt zu haben, vermied es aber, typische Elemente japanischer Architektur offensichtlich zu zitieren. Seine Anspielungen sind flüchtig und überschreiten nie jene Grenzen, wo der Architekt die Zügel aus der Hand gibt und zum Erzähler von nicht selbst erlebten Geschichten wird. Die Erzählungen von Rainer Köberl und Dil Ghamal hingegen berichten von einer höchst produktiven und kongenialen Kooperationen von zwei Meistern ihres Faches, die sich auf fremden Terrain mit sicherem Instinkt bewegen.

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