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Presseschau

19. September 2007Andrea Köhler
Neue Zürcher Zeitung

In der Aufwärtsspirale

Definitive Projekte für die Bebauung von Ground Zero in New York

Definitive Projekte für die Bebauung von Ground Zero in New York

Ziemlich verhalten ist der Jahrestag der Katastrophe vom 11. September 2001 dieses Mal in New York vorübergegangen; die Frage «Wann haben wir genug getrauert?» dürfte nicht nur die «New York Times» gestellt haben. Auch Mayor Blumberg, der dem Gedenken schon immer seinen pragmatischen Optimismus zur Seite stellte, gab einmal mehr den Apologeten des Zukunfts-Vertrauens; er wurde dafür von den Hinterbliebenen der Gefühllosigkeit geziehen. Auch dass die Gedenkfeier dieses Jahr nicht am Ort der Tragödie, sondern – wegen der Bauarbeiten – aus Sicherheitsgründen in einem nahe gelegenen Park stattfand, löste Empörung aus. Doch war diese Ortsverlegung allem voran auch ein gutes Zeichen. Sie zeigt, dass es nun nach sechs Jahren des Beinah-Stillstands auf Ground Zero endlich vorangeht. Aus dem «heiligen Grund» ist ein lärmiges Bauloch geworden.

Gesamtbild des Hochhauskomplexes

Noch immer kommen täglich zweihundert Briefe an die Adresse «10048 World Trade Center». Inzwischen haben die meisten Firmen wohl ihre Adresskartei überholt; im Jahre 2003 waren es noch über dreitausend. Der Name bleibt, doch was er bezeichnet, hat mit den einstigen Zwillingstürmen nicht mehr viel zu tun. Bisher steht erst einer der geplanten fünf neuen Wolkenkratzer; die Detailentwürfe der Bürotürme Nummer zwei, drei und vier wurden letzte Woche pünktlich zum Jahrestag der Attentate der Öffentlichkeit präsentiert. Erstmals ist damit die Gesamtansicht des Hochhauskomplexes zu sehen.

Zusammen mit dem «Freedom Tower», der, ausgehend von Daniel Libeskinds Entwürfen, von David Childs vom international tätigen Architekturbüro SOM realisiert wird, sollen die Gebäude rund um die Gedenkstätte in der Mitte des Platzes ein spiralförmiges Ensemble bilden. Dazu zählt ein aus vier schlanken Türmen bestehender Skyscraper des britischen Architekten Norman Foster, dessen imposante dreistöckige Glas-Lobby den Blick auf das Mahnmal freigeben wird. Dieses besteht aus zwei in die «Fussabdrücke» der gefallenen Zwillingstürme eingelassenen quadratischen Brunnenbecken sowie einer unterirdischen Galerie, wo die Namen der Opfer in die Wand eingraviert werden sollen.

Fosters rhombenförmige, nach oben hin abgeschrägte Glas- und Stahlkonstruktion ist der vielleicht ambitionierteste der Entwürfe, wohingegen der eher minimalistische Tower 4 des japanischen Architekten Fumihiko Maki am stärksten an das Design der gefallenen Zwillingstürme gemahnt. Das Gebäude soll erklärtermassen «Sinn für Respekt und Würde» ausstrahlen. Auch der von dem Briten Richard Rogers entworfene Tower 3, der sich durch diagonale Streben an der Aussenhaut des Gebäudes und vier lange Antennen auf den Ecken des Daches auszeichnet, hat eine riesige Glas-Lobby, in der eine Wand aus Leuchtdioden einen 30 Meter breiten Display für Kunstwerke bieten wird.

Die Skyscraper auf Ground Zero werden zu den höchsten Bauten New Yorks gehören und der Skyline eine ganz neue Linie geben. Der «Freedom Tower», dessen Antennenspitze analog zum Gründungsjahr der Vereinigten Staaten die symbolische Höhe von 1776 Fuss aufweisen soll, wird darin die symbolische Trutzburg sein. Nachdem Daniel Libeskinds graziöser Entwurf von den Behörden für nicht sicher und von dem Investor Larry Silverstein – der zu geringen Bürofläche wegen – für nicht profitabel genug befunden worden war, engagierte dieser flugs seinen Haus-Architekten David Childs, der bekannt dafür ist, den Profit nicht der Ästhetik zu opfern. Libeskind hatte eine 221 Meter hohe Kristallspirale geplant, die auf einem rund 320 Meter hohen Bürohaus sitzt; sie sollte an den ausgestreckten Arm der Freiheitsstatue erinnern.

Lebendige Szene

Die Enthüllung der definitiven Entwürfe für die Wiederbebauung von Ground Zero ist in den Medien nahezu unkommentiert geblieben – viel zu oft sind die Pläne geändert und überholt, die Bauarbeiten verschoben und jeder Fortschritt in unproduktiven und unwürdigen Querelen erstickt worden. Immerhin wird der Grundriss des gesamten Gebäude-Ensembles Libeskinds Plänen weitgehend folgen. Mehr als sechshundert Bauarbeiter sind derzeit dabei, die Fundamente für die drei neuen Hochhäuser, die Gedenkstätte und den Grossbahnhof auszuheben; die Grundsteine für den «Freedom Tower» sowie für das Mahnmal und das Museum sind schon gelegt. Alle Wolkenkratzer werden klima- und umweltfreundlich ausgestattet und sollen bis etwa 2013 stehen.

Inzwischen hat sich der angeschlagene Süden Manhattans zu einer der lebendigsten Szenen für die betuchten Stände entwickelt. Die Luxusapartments am Battery Park sind begehrt und die Leerstandsrate bei den Büros im Finanzdistrikt ist geringer als vor dem 11. September 2001. Die Investmentbank Goldman Sachs wird ihr neues Hauptquartier in der Nähe von Ground Zero aufschlagen, der Konkurrent Morgan Stanley hat gleichfalls Büroflächen angemietet. BMW, Tiffany's und Hermès haben sich installiert, und auch das Nachtleben boomt. Für die lebendige Infrastruktur mit kleinen Läden und einem gemischten Publikum, die Mayor Blumberg in seinen Reden so gerne beschwört, wird hier freilich wenig Platz übrig sein. Es sieht so aus, als sei die einst totgesagte Südspitze von Manhattan wieder zu einer Hochburg des Finanzkapitals mutiert.

01. Juli 2005Carsten Krohn
Neue Zürcher Zeitung

Architektonischer Niedergang

(SUBTITLE) Neues von Ground Zero ein Jahr nach der Grundsteinlegung

Vor einem Jahr, am 4. Juli 2004, wurde der Grundstein zum höchsten Haus auf Ground Zero gelegt. Seither scheint der Wurm in dem von Daniel Libeskind und David Childs geplanten Freedom Tower zu stecken. Nun präsentierten sie einen neuen Entwurf, der einen weiteren Schritt hin zum architektonischen Niedergang markiert.

Vor einem Jahr, am 4. Juli 2004, wurde der Grundstein zum höchsten Haus auf Ground Zero gelegt. Seither scheint der Wurm in dem von Daniel Libeskind und David Childs geplanten Freedom Tower zu stecken. Nun präsentierten sie einen neuen Entwurf, der einen weiteren Schritt hin zum architektonischen Niedergang markiert.

Die Würfel schienen gefallen. Kaum jemand zweifelte mehr an der Realisierung des Freedom Tower, als vor einem Jahr, am 4. Juli 2004, auf Ground Zero der Grundstein für das höchste Gebäude New Yorks gelegt worden war, dessen Planung damals schon eine Milliarde Dollar verschlungen hatte. Wer inzwischen allerdings für den Entwurf verantwortlich zeichnet, ist nicht mehr ganz einfach zu beantworten. Auf der einen Seite wird David Childs genannt, der eine führende Position bei SOM einnimmt, einer gigantischen Architekturfirma mit einer Vielzahl von Projekten in fünfzig Ländern. Auf der anderen Seite steht Daniel Libeskind. Nachdem sein Masterplan für Ground Zero und sein ursprünglicher Entwurf des Freedom Tower 2003 zur Ausführung bestimmt worden waren, verlegte er sein Büro von Berlin nach New York.

Kompromissentwurf

Über den komplexen Entscheidungsprozess, in welcher Form der symbolische Ort, auf dem einst die Twin Towers von Minoru Yamasaki standen, gestaltet werden soll, sind mittlerweile mehrere Bücher verfasst worden - inklusive Libeskinds Autobiografie. Darin beschreibt er, wie er den Ideenwettbewerb gewann: «Das plötzliche Interesse der Medien war einfach überwältigend und die Begeisterung unfassbar. Es war der 27. Februar 2003, und mein Leben hatte sich für immer verändert.» Was dann jedoch folgte, bezeichnet seine Frau, die ihn auch managt, als Krieg. In einer Auseinandersetzung mit Childs, mit dem er schliesslich den Entwurf des Freedom Tower überarbeiten sollte, insistierte er: «Es ist mir wichtig, dass die Spitze eine Form aufweist, die an die Freiheitsstatue erinnert. Und ich will, dass der Turm 1776 Fuss hoch wird, damit das Gebäude für etwas Bedeutungsvolles steht, für die Unabhängigkeitserklärung.» Worauf Childs, laut Libeskind, erwidert habe: «1776 - ein schreckliches Datum! Für mich steht 1776 für eine Kriegserklärung. Und willst du noch was wissen? Ich glaube, deine Besessenheit von der Freiheitsstatue ist eine persönliche Marotte. Ich glaube, das Ganze hat nichts mit Architektur zu tun.» Childs stellte schon damals klar, er würde «die ganze Baustelle übernehmen». Immerhin hatte SOM ursprünglich für den Wiederaufbau einen Direktauftrag von Larry Silverstein erhalten, dem Investor, welcher sechs Wochen vor dem 11. September 2001 das World Trade Center gepachtet hatte.

Der überarbeitete Kompromissentwurf der beiden Rivalen sah schliesslich einen sich nach oben verjüngenden Wolkenkratzer aus Stahl und Glas vor, der nur zu etwa drei Vierteln ausgebaut werden sollte, da Büroräume an diesem Ort ab einer bestimmten Höhe als unvermietbar gelten. So erschien der computersimulierte Turm wie ein nicht ganz gefülltes Gefäss, wobei von Libeskind nur die Idee eines asymmetrischen, bekrönenden Glaszackens übrig blieb. Die «New York Times» spekulierte, dass die gewaltige kristalline Glasspitze möglicherweise nicht ausgeführt werde, da noch nicht alle technischen Probleme gelöst seien. Auch Childs Anteil am Entwurf war nicht unumstritten. So hat ihn ein ehemaliger Student auf Schadenersatz verklagt, da er dessen Entwurf kopiert haben soll.

Libeskinds Masterplan sieht zwar noch weitere Hochhäuser vor, die sich spiralförmig um den Freiraum gruppieren, in den sich zukünftig die Fussabdrücke der alten Zwillingstürme als Mahnmal einprägen sollen. Ein Bedarf für diese Gebäude, für die sich Silverstein die Architekten Norman Foster, Jean Nouvel und Fumihiko Maki wünscht, ist jedoch nicht absehbar. Auch wenn Libeskind euphorisch die Entscheidung für Santiago Calatravas unterirdischen Bahnhof mit seiner leichten, sich wie gefaltete Hände öffnenden Dachkonstruktion (NZZ 6. 2. 04) lobt, schliesst eines der Bücher über die Ground-Zero-Planung mit dem Fazit, dass dieser Entwurf aufgrund seiner Symmetrie Libeskinds Masterplan gestalterisch ruiniere. - Der Stadtplaner Peter Marcuse von der Columbia University setzt in seiner Kritik an Libeskinds Masterplan für Ground Zero grundsätzlicher an. Es handle sich dabei nicht um eine Frage von Architektur, sondern von Programm, bemerkte er, da man eine derart gigantische Masse an Bürofläche nicht anders als unmenschlich planen könne.

Probleme und Projekte

Nachdem die New Yorker Polizei eine Anfälligkeit des Turmes für Autobomben bemerkt hatte, beschlossen der Bürgermeister und der Gouverneur von New York den Planungsstopp. Während potenzielle Mieter absprangen, forderte Donald Trump den Wiederaufbau der zerstörten Zwillingstürme, denn die offizielle Planung sei von «Eierköpfen» entworfener «architektonischer Schrott» (vgl. NZZ 21. 5. 05). Hier stellte sich die Frage, was die gestalterische Kompetenz von Architekten im Tauziehen um finanzielle und politische Interessen noch zählt. Mittlerweile war auch das ursprünglich vom jungen Landschaftsarchitekten Michael Arad geplante Memorial auf Ground Zero durch Unklarheiten, wer es nun planen und ausführen soll, in Gefahr. Die Situation jedenfalls erschien der «New York Times» jüngst so bedrohlich, dass sie erklärte, Ground Zero sei «architektonisch dem Untergang geweiht».

Auch wenn vieles unklar bleibt, scheint doch eines sicher: Es muss möglichst bald gebaut werden, denn Monat für Monat zahlt Silverstein eine Pacht von etwa 10 Millionen Dollar. Deshalb haben sich nun Childs und Libeskind ein weiteres Mal zusammengerauft und am 29. Juni ein neues Modell für den Freedom Tower enthüllt, das mit seinem 60 Meter hohen, mit Stahlplatten verkleideten Sockel aus Beton, der den Turm vor Angriffen schützen soll, noch banaler wirkt als alle vorangegangenen Entwurfsvarianten. Dank einer von Childs nun durchgesetzten Symmetrie erinnert das neue Projekt an einen der beiden Twin Towers, wobei der von Libeskind so sehr geforderte Anklang an die Freiheitsstatue auf eine simple Antennenspitze reduziert wurde. So bleibt von Libeskinds ursprünglicher Vision, die einen asymmetrisch verdrehten Turm über einem parallelogrammförmigen Grundriss vorsah, nur noch die Höhe von 1776 Fuss. Kurz: Der Entwurf wirkt gewöhnlich - erstaunlich gewöhnlich, angesichts der unzähligen Architekturvisionen für diesen Ort. Er markiert eine weiteren Schritt hin zum architektonischen Niedergang.

21. Mai 2005Andrea Köhler
Neue Zürcher Zeitung

Was bleibt?

(SUBTITLE) Anhaltende Querelen um Ground Zero

27 Monate nachdem Daniel Libeskinds Pläne für den New Yorker «Freedom Tower» ausgewählt wurden, 17 Monate nach ihrer Überholung durch David Childs und...

27 Monate nachdem Daniel Libeskinds Pläne für den New Yorker «Freedom Tower» ausgewählt wurden, 17 Monate nach ihrer Überholung durch David Childs und...

27 Monate nachdem Daniel Libeskinds Pläne für den New Yorker «Freedom Tower» ausgewählt wurden, 17 Monate nach ihrer Überholung durch David Childs und ein knappes Jahr nach der Grundsteinlegung steht auf Ground Zero wieder alles zur Disposition. Im vergangenen Monat hat die Polizei plötzlich Sicherheitsbedenken an Libeskinds «Freiheitsturm» angemeldet. Nach Angaben der für den Wiederaufbau zuständigen städtischen Kommission wird sich der Bau des 533 Meter hohen Wahrzeichens nun voraussichtlich bis mindestens 2010 verzögern; manche fürchten gar eine komplette Neuüberholung aller Bebauungspläne für das Gelände. Das wichtigste und umstrittenste Bauprojekt der letzten Jahre droht in einem Chaos aus politischen Ränkespielen und privaten Interessen zu versinken.

Erst Anfang des Monats ist der für die Durchführung der Bebauung zuständige Präsident der Lower Manhattan Development Corporation überraschend zurückgetreten - ausgerechnet in einem Augenblick, wo sich die schlechten Nachrichten für den um Monate hinter den ursprünglichen Plänen zurückliegenden Wiederaufbau von Ground Zero überstürzen. So tritt der von New Yorks Gouverneur George Pataki letzte Woche neu ins Amt berufene Koordinator John Cahill denn einen schwierigen Job an. Kürzlich hat die Investmentbank Goldman Sachs ihre Pläne, nahe Ground Zero ein neues Hauptquartier für rund zwei Milliarden Dollar zu bauen, aus Sicherheitsgründen zurückgestellt. Eine Quelle der Sorge ist der für die West Street geplante Tunnel, ein Projekt, das mit dem Rückzug von Goldman Sachs nun wieder zur Disposition steht. Die Bedenken der Firma blieben nicht ohne Konsequenz für Libeskinds 70-stöckiges Freiheitssymbol. Nach den ursprünglichen Plänen steht es nur 7 Meter von der stark frequentierten West Street entfernt - und ist damit eine potenzielle Zielscheibe für terroristische Anschläge durch Autobomben. Nun soll der Turm um 35, wenn nicht 70 Meter versetzt werden und überdies kleiner ausfallen, ausserdem wurden dickeres Glas und stärkere Mauern gefordert. Wie das Gebäude letztlich ausfallen wird, weiss im Moment also keiner.

Auch sonst ist die Zukunft der gigantischen Baustelle, die noch immer wie ein nicht zu Ende planierter Parkplatz aussieht, weitgehend offen. Der Immobilienunternehmer Larry Silverstein, der als Pächter des zerstörten World Trade Center an der Bebauung des Areals federführend beteiligt ist, soll für sein 52-stöckiges Hochhaus direkt neben der Baugrube bis anhin erst einen Mieter gefunden haben - seine eigene Firma. Ohne Mieter aber könnte das ganze Projekt zu einem gigantischen Zuschussgeschäft für den Staat werden. So geht das Gerücht, dass Pataki und Bürgermeister Bloomberg nach einem Anlass suchten, um Silverstein, der das sechseinhalb Hektaren grosse Gelände von der Stadt für 99 Jahre gepachtet hat, zu entmachten und die Planung der staatlichen Behörde Port Authority zu übertragen.

Die von Silverstein gerichtlich erstrittene, 4,6 Milliarden Dollar hohe Versicherungssumme für das WTC reicht für die Wiederbebauungskosten jedenfalls bei weitem nicht aus, sie werden inzwischen auf insgesamt 12 Milliarden Dollar veranschlagt. Der Rest muss über Kredite und Subventionen finanziert werden. Das hat besonders für die geplanten kulturellen Institutionen erhebliche Konsequenzen. So steht das Schicksal des Performing Art Center, für das Frank Gehry verpflichtet wurde, sowie des von Santiago Calatrava geplanten Kulturzentrums noch in den Sternen; auch über das Design des Memorials für die Toten des 11. September 2001 herrscht weiterhin Unklarheit. Gestern ist immerhin der Entwurf für das neue Museum bekannt gemacht worden, in dem das International Freedom Center und das Drawing Center untergebracht werden sollen. Verantwortlich für das Design ist die norwegische Firma Snohetta.

Inzwischen hat sich auch der Immobilien- Mogul Donald Trump in gewohnt lautstarker Manier als Bauherr empfohlen; das Design des Freedom Tower, erklärte der Milliardär der «New York Post», sei ohnehin eine «Idee von Eierköpfen». Trump hat auch schon Gegenvorschläge zu dem «architektonischen Schrott» von Libeskind vorgelegt: Das alte World Trade Center soll nahezu originalgetreu wieder aufgebaut werden, nur eben «höher, stabiler und besser». Wie immer man zu der Ästhetik der Twin Towers von Yamasaki stehen mag, das Trauma der Attentate würde durch ihre Wiedererrichtung nicht ausgelöscht, sondern verewigt. Doch für solche Zimperlichkeiten hat Trump bekanntlich wenig Verständnis.

04. Dezember 2004Daniel Libeskind
Spectrum

Der Boden der Dinge

Man kann ein melancholischer Musiker sein, ein verzweifelter Filmemacher. Aber man kann nicht Architekt und Pessimist sein. Über Ground Zero, das Akkordeon der Kindheit und eine Heimkehr nach 47 Jahren: in die Geburtsstadt Lodz.

Man kann ein melancholischer Musiker sein, ein verzweifelter Filmemacher. Aber man kann nicht Architekt und Pessimist sein. Über Ground Zero, das Akkordeon der Kindheit und eine Heimkehr nach 47 Jahren: in die Geburtsstadt Lodz.

Ich habe nie darangedacht, Architekt zu werden. Man erwartete von mir, dass ich Musiker werden würde. Tatsächlich war ich eine Art Wunderkind, ein so guter Akkordeonspieler, dass ich ein Stipendium der renommierten America-Israel Cultural Foundation (AICF) erhielt.

Noch heute besitze ich die Konzertkritik eines Auftritts in der Konzerthalle in Tel Aviv, bei dem ich zusammen mit dem jungen Itzhak Perlman spielte. Der Kritiker schien vollkommen gefesselt von dem seltsamen kleinen Akkordeonisten auf der Bühne, der fast vollständig von seinem leuchtend roten Sorrento verdeckt wurde, mit den silbernen Registern, den Zickzack-Falten des schwarzweiß gestreiften Balgs. Allein der Schock, ein solches Instrument bei der Darbietung klassischer Musik zu hören, rückte das Akkordeon in den Mittelpunkt des Interesses und stellte alle anderen Instrumente auf der Bühne in den Schatten.

Ich habe immer ein Nomadenleben geführt. Ich wurde 1946 in der polnischen Stadt Lodz geboren, wanderte im Alter von elf Jahren mit meiner Familie nach Israel aus und kam mit 13 nach New York. Seit dieser Zeit sind meine Frau Nina und ich mit unseren Kindern 14-mal umgezogen. In meinem Kopf existieren viele Welten, und sie al- le nehmen Einfluss auf die Projekte, an denen ich gerade arbeite.

LUDWIG MIES VAN der Rohe, Walter Gropius und die anderen großen Baumeister der Moderne vertraten die Ansicht, dass Bauwerke der Welt ein neutrales Gesicht darbieten sollten - doch ihre Philosophie erscheint heutzutage fast wunderlich. Neutral? Nach den politischen, kulturellen und spirituellen Verwüstungen des 20. Jahrhunderts soll es möglich sein, eine aseptische Realität anzustreben? Wollen wir wirklich von Gebäuden umgeben sein, die seelenlos und fade sind? Oder stellen wir uns unserer Vergangenheit, unserer komplizierten und verfahrenen Wirklichkeit, unseren unverfälschten Emotionen, und schaffen eine Architektur für das 21. Jahrhundert? Bauwerke haben ein Herz und eine Seele, genau wie Städte. Wir können in einem Gebäude die Erinnerungen und Bedeutungen spüren und die von ihm hervorgerufenen spirituellen und kulturellen Sehnsüchte wahrnehmen. Falls Sie dies bezweifeln, denken Sie doch nur an den Verlust, den der Zusammensturz der Zwillingstürme des World Trade Center verursachte.

Damals lebte ich in Berlin, der Arbeit am Jüdischen Museum wegen. Der 11. September 2001 - das Jüdische Museum hatte den langen Besucherschlangen gerade seine Pforten geöffnet, und Nina und ich waren in Hochstimmung: Unsere Arbeit war getan. Doch dann kamen diese immer wiederkehrenden Bilder. Ich spürte eine unbeschreibliche Trauer, empfand eine persönliche Beziehung zu diesen Gebäuden. Ich hatte mit angesehen, wie sie entstanden, mein Schwager hatte viele Jahre lang in einem der Türme für die Port Authority, die Hafenbehörde von New York und New Jersey, gearbeitet, und mein Vater war in einer nahe gelegenen Druckerei tätig gewesen. Ich kannte dieses Viertel gut. Und weil ich es so gut kannte, dachte ich während des Architekturwettbewerbs für Ground Zero, ich wüsste ganz genau, wie es wieder aufzubauen sei. Vor meinem inneren Auge sah ich ein Mahnmal in der Mitte des Geländes, dazu darstellende Künste, Museen und Hotels in friedlicher Koexistenz mit Einkaufsmöglichkeiten, Bürogebäuden und Restaurants. Ich sah belebte Straßen und die Wiederherstellung der prachtvollen Skyline von New York.

Später besuchte ich Ground Zero als Teilnehmer des Architekturwettbewerbs, mit dem der für den Wiederaufbau des Geländes zuständige Planungsarchitekt bestimmt werden sollte - und in einem einzigen Augenblick wurde mir bewusst, dass die Seele des Geländes nicht nur in der Silhouette der Stadt und in den geschäftigen Straßen zu finden war, sondern auch im Felsuntergrund von Manhattan. Im Oktober 2002 konnte ich das Gelände zum ersten Mal besichtigen. Nachdem man in den Monaten nach dem 11. September den riesigen Schuttberg abgetragen hatte, war nichts als eine unvorstellbar große Baugrube übrig geblieben - ein 6,5 Hektar großes und stellenweise mehr als 20 Meter tiefes Areal mit dem Spitznamen „bathtub“, Badewanne. Nina und ich baten darum, in die Baugrube hinuntersteigen zu dürfen. Warum, fragte unser Begleiter von der Hafenbehörde; keiner der anderen Architekten hatte diesen Wunsch geäußert. Wir wussten zwar nicht, wie wir unser Anliegen in Worte fassen sollten, spürten aber, dass es unbedingt notwendig war, den Boden der Baugrube zu betreten; daher machten wir uns mit billigen Regenschirmen und geliehenen Gummistiefeln auf den Weg nach unten.

Es ist schwer zu erklären, aber je weiter wir in das tiefe Loch stiegen, desto intensiver konnten wir die Gewalt spüren, die diese Bauwerke zum Einstürzen gebracht hatte; der Gedanke an diesen Verlust machte uns körperlich zu schaffen. Was auch immer hier entstehen sollte, es würde auf diese Tragödie antworten müssen und sie keineswegs begraben dürfen. Wir stiegen weiter hinunter. Es schien fast, als würden wir zum Meeresboden tauchen; wir spürten regelrecht, wie der Luftdruck sich änderte. Ein siebengeschoßiges Fundament inklusive Infrastruktur - alles weg.

Und dann standen wir direkt davor: Es war eine gigantische Betonmauer am westlichen Ende der Baugrube. „Was ist das?“, fragte ich unseren Begleiter. „Der slurry wall“, sagte er. Slurry wall. In all den Jahren, in denen ich mit Ingenieuren und Technikern gearbeitet hatte, war mir dieser Begriff noch nie begegnet. Es handelt sich um eine Sperrmauer, ein Fundament, das wie ein Damm auch als Staumauer dient. Etwas, das niemals hätte freigelegt werden sollen. „Wenn die Sperrmauer bricht“, fuhr unser Begleiter fort, „dann wird die gesamte U-Bahn überflutet, dann steht die ganze Stadt unter Wasser.“

Die Wand ragte bedrohlich über uns auf, scheinbar höher als jedes Gebäude, das wir je gesehen hatten. Und während wir in dieser riesigen Baugrube standen, schien sie fast grenzenlos, der Inbegriff von allem Endlichen, allem Unverwüstlichen; die Kraft der Architektur, die Kraft des menschlichen Geistes. Wir sahen eine Vielfalt von Farben, ein Patchwork von Materialien, da die Sperrmauer im Laufe der Jahre regelmäßig verstärkt worden war. Das Resultat war tastbar, fühlbar, pulsierend, ein vielschichtiger Text, geschrieben in einer für jeden verständlichen Sprache.

In dem Moment begriff ich, dass ich einen Bauplan entwerfen musste, der sich direkt vom Felsuntergrund der Stadt New York erhob. Ein Sonnenstrahl, der die Wolken durchschnitt. Aber wie konnte der Strahl so tief hinunterreichen? Ich musste sicherstellen, dass das Sonnenlicht ebenfalls Teil des Entwurfs wurde. Ich dachte an den Augenblick, als ich die berühmte Skyline zum ersten Mal zu Gesicht bekommen hatte - 1959, als unser Schiff in den Hafen von New York einlief. Ich sah mich selbst wieder als 13-jährigen Jungen, der in einem Pulk von Einwanderern mit offenem Mund zur Freiheitsstatue starrte.

„Ruf im Büro an“, bat ich Nina, während wir noch in der Baugrube standen. In Berlin, wo sich unser Architekturbüro befand, war es bereits spät am Abend, aber unsere Mitarbeiter saßen noch immer an ihren Schreibtischen. „Lasst alles stehen und liegen“, teilte ich ihnen mit. „Ich habe ein neues Konzept.“

ALLE ARCHITEKTEN SIND Prostituierte - das hat zumindest Philip Johnson gesagt. Sie tun alles, was man von ihnen verlangt, nur um bauen zu können. Frank Lloyd Wright hat es etwas weniger brutal formuliert. Er meinte, es gäbe drei Dinge, die ein Architekt wissen müsse. Erstens: Wie komme ich an einen Auftrag? Zweitens: Wie komme ich an einen Auftrag? Und drittens: Wie komme ich an einen Auftrag?

Das ist sicherlich eine zynische Einstellung gegenüber diesem Beruf, und als Sohn zweier Idealisten und Ehemann einer weiteren Idealistin würde ich gerne dagegenhalten, dass es nicht jedem Architekten an Grundsätzen mangelt. Aber auch ich musste mich der Tatsache stellen, dass eine Menge Wahrheit in den Aussagen dieser Baumeister steckt. Im Gegensatz zu Künstlern, Philosophen oder Schriftstellern sind Architekten vollkommen abhängig von anderen - anderen mit Geld, und zwar mit viel Geld, denn es kostet eine Menge, ein Bauwerk (selbst ein bescheidenes) zu realisieren. Das ist der Grund, um Philip Johnson noch einmal zu zitieren, warum Architekten sich immer wieder zum Spielball der Mächtigen machen.

MEINE FRÜHESTEN ERINNERUNGEN sind alle grau. Nicht wegen meines Alters und des zeitlichen Abstands. Das Grau ist vielmehr die Farbe der eigentlichen Erinnerungen - das finstere Grau des eisigen nordeuropäischen Winterhimmels, das staubige Grau der Industriestadt Lodz, überlagert vom Grau des Kommunismus. Wenn man meinen Kindheitserinnerungen Glauben schenkt, dann gab es in Lodz kein strahlendes Licht. Ich erinnere mich an den trostlosen Hinterhof des Hauses aus der Zeit der Jahrhundertwende, in dem ich aufwuchs. Das Ganze als Hinterhof zu bezeichnen ist fast schon zu viel der Ehre: Eine verfallene Mauer umschloss eine kleine Fläche, aus der zwei etwa 1,50 Meter hohe, schmiedeeiserne Pfosten mit einer Querstange aufragten. Als Kind träumte ich immer, ei- nes Tages würde ein Mann auf einem Pferd durch das Tor galoppieren und über die Stange springen. Aber stattdessen warfen die Hausfrauen ihre Teppiche darüber und klopften sie so kräftig aus, dass ich mir nicht vorstellen konnte, wie das irgendein Staubflöckchen überlebte.

Ich war eines der wenigen Kinder, die im Schatten dieses Innenhofs umherschlichen. Außer mir gab es noch ein etwa gleichaltriges Mädchen mit kreidebleichem Gesicht und weißblonden Haaren, das mondsüchtig war, und einen etwas kleineren Jungen, dem ständig Schleim aus der Nase lief. Aber der Innenhof war kein sicherer Ort für einen jüdischen Jungen. Ganz Lodz war kein sicherer Ort für einen jüdischen Jungen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten mehr als 3,250.000 Juden in Polen. Nach dem Krieg waren es noch etwa 250.000, aber 1945 und 1946 gab es weitere - kleine, aber effektive - Pogrome, und in der Folge wurde die jüdische Bevölkerung entweder gezwungen, das Land zu verlassen, oder floh freiwillig. 1950, als ich vier Jahre alt war, lebten noch etwa 8000 Juden in Warschau und nur noch 5000 in Lodz - im Vergleich zu etwa 220.000 Juden im Jahre 1939.

Die einzige Farbe, an die ich mich aus dieser Zeit erinnere, ist das Rosa der riesigen schimmernden Stoffballen, die sich in unterschiedlichsten Schattierungen im Miederwarengeschäft meiner Mutter stapelten. Meine Mutter war Expertin darin, für den Körper jeder Frau einen farblich passenden Stoff zu finden. Vom Hinterzimmer aus sah ich manchmal heimlich und staunend zu, welche Unterschiede sie beim Hautton einer Kundin feststellen konnte. Heute ist der Beruf der Miedermacherin fast ausgestorben, genau wie der des Schmieds, doch vor dem Krieg waren dies hoch qualifizierte Handwerksberufe, die viel Erfahrung erforderten. Und während die meisten polnischen Frauen sich nach dem Krieg mit der furchtbar schlecht sitzenden Massenware der kommunistischen Ära zufrieden geben mussten, gab es immer noch genügend Schauspielerinnen sowie Gattinnen und Geliebte von Parteifunktionären mit den unterschiedlichsten Körpermaßen, um meine Mutter ständig zu beschäftigen.

Mich beauftragte sie damit, Fischbeinstäbchen in die raffiniert gearbeiteten Dessous zu schieben, um ihre stützende und formende Wirkung zu verstärken. Auf diese Weise erhielt ich lange vor dem Architekturstudium eine praktische Einführung in angewandte euklidische Formen.

Noch heute sehe ich das Schaufenster unseres Geschäfts vor mir: Als Firmenzeichen diente die kurvenreiche Figur einer Frau, und im Fenster standen drei kleine Schaufensterpuppen. Die erste war vollkommen bekleidet und hielt einen Sonnenschirm in der Hand, die zweite kniete und trug ein Korsett, und die dritte lehnte sich verführerisch nach hinten und war bis auf den Miniatur-BH, den meine Mutter für sie genäht hatte, vollkommen nackt. Diese Schaufensterdekoration war zu schön und farbenfroh und der Unternehmergeist meiner Mutter wohl zu bedrohlich für die polnischen Polizisten, sodass sie sie regelrecht verfolgten und zu jeder Tages- und Nachtzeit unangemeldet auftauchten, um ihre Papiere zu überprüfen und nach Schwarzmarktwaren zu suchen. Aber sosehr sie sich auch mühten, meine Mutter einzuschüchtern - es gelang ihnen nie.

MAN KANN EIN MELANCHOLISCHER Musiker sein und in Moll komponieren. Man kann ein Schriftsteller mit tragischer Weltsicht sein oder ein von Verzweiflung beherrschter Filmemacher. Aber man kann nicht zugleich Architekt und Pessimist sein. Architektur ist ihrem Wesen nach ein optimistisches Gewerbe: Auf jedem Schritt seines Weges muss man daran glauben, dass aus zweidimensionalen Skizzen einmal reale und bewohnbare dreidimensionale Gebäude entstehen werden. Bevor Millionen von Dollar und Jahre des Lebens vieler Menschen investiert werden, muss man wissen, wirklich wissen, dass das Gebäude, das aus all dem Geld und der Anstrengung entsteht, die Investition wert ist und den Erbauer lange überdauern wird. Letztlich beruht Architektur auf Glauben.

AM 4. JULI 2004, ETWA SIEBEN Monate nachdem wir unseren Plan des Freedom Tower präsentiert hatten, nahmen wir an der offiziellen Grundsteinlegung auf Ground Zero teil. Als der 20 Tonnen schwere Granitblock enthüllt wurde, lasen wir folgende Inschrift: „Zu Ehren und zum Gedenken der Menschen, die am 11. September 2001 ihr Leben verloren, und als Huldigung an den unsterblichen Geist der Freiheit.“ Später wurde der Stein an seinen endgültigen Platz in der Nordwestecke des Areals abgesenkt, wo sich einmal der Freedom Tower erheben wird.

Viele Leute fragen mich: „Waren Sie während der Querelen über den Entwurf und den Masterplan nie in Versuchung, das Handtuch zu werfen und der Sache einfach den Rücken zu kehren?“ Ich antworte dann immer: „Nein - jedenfalls nie länger als ei- nen Augenblick.“ Manche Menschen meinen auch: „Sie sind bestimmt sehr wütend, weil Sie so viele Kompromisse machen mussten.“ Ich muss ganz klar sagen, es hat viel weniger Kompromisse gegeben, als die Leute glauben - und außerdem ist der Kompromiss ein integraler Bestandteil jedes architektonischen Prozesses.

Ich bin sehr froh darüber, dass ich zusammen mit anderen sicherstellen konnte, dass dieser Ort seine Bedeutung nicht verlieren wird: Er erinnert an die Vergangenheit, ist aber zugleich der Zukunft zugewandt. Gemeinsam bilden Gedenkstätte, Türme, öffentliche Räume und Bahnhof eine zusammenhängende Landschaft, durchdrungen von der Geschichte dieses Ortes, zugleich aber vorwärts blickend und voller Leben. Das Areal legt Zeugnis ab über die Vergangenheit, über die Menschen der Stadt und das, woran sie glauben.

In New York weiß jeder alles. Jeder Rückschlag und jedes Zerwürfnis stand in den Zeitungen. Doch letztlich interessiert die Öffentlichkeit nur, dass Ground Zero wieder bebaut wird.

WÄHREND ICH IM JULI 2004 an diesem Buch schrieb, beschloss ich, zum ersten Mal nach 47 Jahren in meine alte Heimat zurückzukehren. Was brachte mich zu diesem Entschluss? Um die Wahrheit zu sagen: Ich weiß es nicht genau.

Allerdings weiß ich noch, wie ich einen Brief der Zacheta-Nationalgalerie in Warschau anstarrte, die mich zur Organisation einer Ausstellung einlud, und daran dachte, dass zacheta auf Polnisch „Ermutigung“ bedeutet. Vielleicht war es der Anblick dieses Worts in meiner Muttersprache, der diesen Entschluss in mir auslöste. Und so flog ich ohne große Vorbereitungen eines Tages mit Nina und unserem ältesten Sohn, Lev, nach Warschau, und am nächsten Morgen saßen wir in einem Auto und fuhren nach Lodz.

Was war mit der gewaltigen Stadt meiner Kindheit geschehen? Die Proportionen stimmten nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, als versuchte ich, Straßen wie Schuhe anzuprobieren, die mir nicht mehr passten. All die großen Gebäude, an die ich mich erinnerte, waren geschrumpft. Die belebten Hauptstraßen, auf denen es vor Autos und Menschen nur so gewimmelt hatte und die mich als Kind so überwältigten, erschienen mir nun ruhig und leer.

Danuta Grzesikowska, eine Jugendfreundin meiner Schwester, erwartete uns. Zusammen suchten wir die Orte auf, an denen meine Eltern gearbeitet hatten, und die Schulen, in die meine Schwester und ich gegangen waren. Was für eine enge kleine Welt! Als Kind hatte ich das Gefühl gehabt, die Stadt sei unendlich groß, doch jetzt schien alles an denselben fünf Straßen zu liegen, in sich geschlossen wie ein Möbius-Band. Dort drüben erkannte ich die Apotheke mit derselben alten Standuhr wieder, dahinten lag unser Hof mit Teppichstange, die schon 1957 da gestanden war, als wir fortgingen. Von wachsamen Augen verfolgt, lief ich über den Hof zur letzten Tür links, und als ich zu den Fenstern im ersten Stock blickte, unseren Fenstern, erschien einen Stock darüber ein zementgrauer Kopf.

„Wissen Sie, ob die Mieter aus der Wohnung unter Ihnen zu Hause sind?“, fragte Danuta. „Nein“, rief die Frau. „Die kommen erst abends zurück. Außerdem sind sie nicht sehr nett und werden Sie nicht reinlassen!“ Sie starrte Nina, Lev und mich in unserer New Yorker Kleidung an. „Erinnern Sie sich an die Familie Libeskind?“, fragte ich. Nach einer kurzen Pause nickte sie. „Nette Leute. Ein kleines Mädchen, ein noch kleinerer Junge . . . er hat Akkordeon gespielt, glaube ich. Manchmal hab ich hier am Fenster gesessen und ihm zugehört.“

„Das war ich“, sagte ich.

Sie, die den Hof niemals verlassen hatte, und ich, der ich bis zu diesem Augenblick nicht ein einziges Mal zurückgekommen war, sahen einander über dieselbe Entfernung, durch dasselbe Fenster hindurch an wie in irgendeinem vergessenen Augenblick vor fast 50 Jahren.

In den letzten Jahren habe ich Tunis, Seoul und Hongkong besucht, doch keine Stadt war mir so fremd wie Lodz. So vertraut und doch so fremd.

06. Mai 2004TagesAnzeiger

Grundsteinlegung auf Ground Zero

Knapp drei Jahre nach der Zerstörung des World Trade Center durch Terroristen soll am 4. Juli der Grundstein für den höchsten Turm der Welt auf Grund Zero gelegt werden.

Knapp drei Jahre nach der Zerstörung des World Trade Center durch Terroristen soll am 4. Juli der Grundstein für den höchsten Turm der Welt auf Grund Zero gelegt werden.

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07. Januar 2004TagesAnzeiger

Gedenkstätte-Entscheid

Gemäss einem Juryentscheid sollen zwei Wasserbecken in der Form der Fundamente des zerstörten World Trade Center künftig an die Opfer der Terroranschläge in New York von 11. September 2001 erinnern.

Gemäss einem Juryentscheid sollen zwei Wasserbecken in der Form der Fundamente des zerstörten World Trade Center künftig an die Opfer der Terroranschläge in New York von 11. September 2001 erinnern.

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22. Dezember 2003Walter Niederberger
TagesAnzeiger

Windturbinen auf 542 Meter Höhe

Nach einem heftigen Streit unter den Architekten wird auf Ground Zero nun doch ein „Freiheitsturm“ gebaut.

Nach einem heftigen Streit unter den Architekten wird auf Ground Zero nun doch ein „Freiheitsturm“ gebaut.

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12. September 2003Der Standard

Die Evolution des Siegerprojektes

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Die Neubebauung von Ground Zero hat unterschiedlichste Interessen zu befriedigen. Der Pächter Larry Silverstein hat Wettbewerbssieger Daniel Libeskind ehemalige Konkurrenten beigestellt, um seine Bedürfnisse durchzusetzen.

Die Neubebauung von Ground Zero hat unterschiedlichste Interessen zu befriedigen. Der Pächter Larry Silverstein hat Wettbewerbssieger Daniel Libeskind ehemalige Konkurrenten beigestellt, um seine Bedürfnisse durchzusetzen.

Worum es am Ground Zero vor allem geht, sagt Architekt Daniel Libeskind, ist es, zwei scheinbar unvereinbare Aspekte zusammenzubringen: Gleichzeitig das Andenken an die Zerstörung und die Helden zu bewahren und ein Gebäude zu errichten, das den Charakter einer zukunftsorientierten, optimistischen und vitalen Stadt widerspiegelt. Mit seiner Vision dieser Verbindung hat er den Wettbewerb um den wohl meistbeachteten Bauplatz der Welt gewonnen. Sein Masterplan sieht anstelle der Twin-Tower vor, einen 541 Meter hohen „Freiheitsturm“ aus einem Konglomerat aus Gebäuden ragen zu lassen. Details standen zum Zeitpunkt der Wettbewerbsentscheidung noch keine fest. Libeskind kämpfte mit symbolischen Werten: einem Turm, höher als jeder bisher gebaute, als Signal eines unbesiegbaren Amerika, mit einer Höhe von 1776 Fuß als Spiegel der amerikanischen Unabhängigkeit.

Architektur hat aber auch handfestere praktische Interessen zu berücksichtigen. Die vertritt vor allem der Developer Larry Silverstein, der das Gelände gepachtet hat und wieder profitmaximiert bebaut haben will. In jedem Fall will er - entgegen Libeskinds ursprünglichen Ideen - jene zehn Millionen Quadratmeter Bürofläche wiedererrichtet wissen, die im World Trade Center zur Verfügung standen. Um dies zu garantieren, hat er mit David Childs einen ehemaligen Konkurrenten Libeskinds zugezogen. Der soll als ausführender Architekt den Bau des Turmes verantworten und den Gesamtplan überwachen. Zusätzlich wurde Santiago Calatrave für die Verkehrsplanung engagiert.

Um den zurückgedrängten Einfluss Libeskinds entwickelte sich eine heftige Debatte. Peter Eisenman - er hat sich ebenfalls am Wettbewerb beteiligt und früh die Vermutung geäußert, das Ergebnis wäre im Vorhinein festgestanden, der Bewerb ein Betrug gewesen - verglich die Situation mit dem Kampf zwischen einem Mungo (Childs) und einer Kobra (Libes-kind). Wie immer würde letztlich der Mungo gewinnen. Die Schlange täte ihm aber keineswegs leid. Libeskind selbst versuchte die Situation anlässlich einer Pressekonferenz in „seinem“ Jüdischen Museum in Berlin gelassen darzustellen: Bisher sei nichts weiter als die Evolution seines Planes geschehen. Und der sei in jedem Fall stark und flexibel genug für notwendige Anpassungen. „Wir werden der Öffentlichkeit geben, was sie erwartet: etwas Fantastisches, etwas Inspirierendes, etwas, das Manhattan wieder als Hauptstadt der Welt und der Kreativität zur Geltung bringt.“

15. August 2003Salzburger Nachrichten

Eisenman sieht Ground Zero Wettbewerb als Betrug

Herber Kritik am Architekturwettbewerb um das neue World Trade Center in New York übt der unterlegene Architekt Peter Eisenman.

Herber Kritik am Architekturwettbewerb um das neue World Trade Center in New York übt der unterlegene Architekt Peter Eisenman.

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01. Mai 2003Der Standard

Erschwindeltes WTC-Projekt als Sieger?

Architekt Libeskind von Konkurrenten beschuldigt

Architekt Libeskind von Konkurrenten beschuldigt

New York - Ein besonders symbolträchtiger Aspekt von Daniel Libeskinds Entwurf für Ground Zero in New York soll sich nicht so verwirklichen lassen, wie ihn der Architekt offiziell vorgestellt hatte, berichtete die „New York Times“ am Donnerstag.

Großteils Schatten

Der bis vor Kurzem in Berlin ansässige Architekt hat einen offenen Platz auf dem Gelände des zerstörten World Trade Center angekündigt, auf den die Sonne in den Morgenstunden des 11. September jedes Jahr „ohne Schatten scheinen“ soll. Jetzt will der Architekt Eli Attia, ein Kritiker von Libeskind, errechnet haben, dass der Platz in der betreffenden Zeit zu 40 bis 99 Prozent überschattet sein werde.

Grund dafür sei der Bau des Millennium Hilton Hotels, der den vollen Einfall der Sonnenstrahlen verhindern werde, hieß es. Nachdem Libeskind ursprünglich erklärt hatte, in den Morgenstunden des 11. September - von 8.46 bis 10.28 Uhr Ortszeit - würde der Platz schattenfrei bleiben, räumte er jetzt ein, das so nie gemeint zu haben. Vielmehr habe er die Reflexion der Sonnenstrahlen von dem Hotel als volles Licht mit einbezogen.

„Produkt der Einbildung“

In der Zeit von 8.46 bis 10.28 Uhr hatten Terroristen zwei Passagierflugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Center gerammt und diese zum Einsturz gebracht. Attia veröffentlichte eine Erklärung auf der Website www.phoenixproject.info/design/, in der es unter anderem heißt: „Ob es Ignoranz war, Unvorsicht oder Betrug, fest steht, dass Daniel Libeskind und (sein Auftraggeber) die Lower Manhattan Development Corporation versucht haben, den Bürgern von New York, Amerika und der Welt (...) ein Produkt der Einbildung und eine falsche Gedenkstätte (...) zu verkaufen“.

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