Pläne

Details

Adresse
Franz Liszt Platz, 7321 Raiding, Österreich
Mitarbeit Architektur Atelier Kempe Thill
Saskia Hermanek (Projektleitung), Frank Verzijden, Takashi Nakamura (Wettbewerb), Sebastian Heinemeyer, Cornelia Sailer, David van Eck, Andre Boucsein, Takashi Nakamura, Kingman Brewster (Ausführung)
Mitarbeit Architektur Brands United
Mark Blaschitz, Bernhard Kargl, Wolfgang Schmied
Bauherrschaft
Franz-Liszt-Gesellschaft Burgenland
Tragwerksplanung
Vasko Woschitz
Raumakustik
Müller-BBM
Fotografie
Ulrich Schwarz
Weitere Konsulent:innen
Licht: Manfred Draxl, Mils
Fertigstellung
2006
Bruttogeschossfläche
2.194 m²

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

Presseschau

14. Oktober 2006Wojciech Czaja
Der Standard

Ohne Prunk und Pomp

Franz Liszt reiste viel, doch lebte er bescheiden. Morgen eröffnet das neue Franz-Liszt-Zentrum in Raiding: eine schlichte Konzertkiste aus niederländischer Feder.

Franz Liszt reiste viel, doch lebte er bescheiden. Morgen eröffnet das neue Franz-Liszt-Zentrum in Raiding: eine schlichte Konzertkiste aus niederländischer Feder.

Ein sonniger Herbsttag im Mittelburgenland. In der Auslage der Bäckerei „Raidinger Brotstadl“ am zentral gelegenen Franz-Liszt-Platz wird das Franz-Liszt-Törtchen - ein Süßgebäck aus Haselnüssen und Marmelade - für 1,60 Euro angeboten. Neben dem Schanigarten prangt auf einem Sockel das steinerne Haupt des Komponisten. Franz Liszt, das berühmteste Kind Raidings, scheint also nicht weit zu sein. Und wahrlich: Hinter der Mauer, die entlang dem plätschernden Rinnsal verläuft, bestätigt sich die Vermutung. Rosenumrankt und mitten im grünen Dickicht eines mit Liebe gehegten Gartens steht ein kleines, weiß verputztes Schmuckkästchen. Es ist das Geburtshaus des fleißig vermarkteten Romantikers.

Zu seinem heurigen 120. Todestag hatte man sich Großes vorgenommen. Die kleine Gemeinde Raiding mit ihren knapp tausend Einwohnern wollte das Geburtshaus zu einem Franz-Liszt-Zentrum ausbauen. Was dazu noch fehlte, war - selbstredend - eine Konzerthalle. Zu diesem Behufe wurde ein EU-weiter Wettbewerb ausgeschrieben, den Zuschlag bekam das niederländische Architekturbüro Atelier Kempe Thill.

„Glücklich, wer mit den Verhältnissen zu brechen versteht, ehe sie ihn gebrochen haben“, sagte einst der weit gereiste Liszt. Die Architekten Andre Kempe und Oliver Thill scheinen dieser Tradition gefolgt zu sein. Denn wie es sich für hochrangige Architektur offensichtlich gehört, sind die Connaisseurs des Fachs begeistert, wohingegen das Volk noch ein bisschen damit kämpft, sich das neue Konzerthaus anzueignen. „In unserer ländlichen Struktur ist moderne Architektur dieser Art eine Seltenheit“, erzählt Gemeinderätin Elisabeth Ackerler. Christian Zimmer, Objektbetreuer und sozusagen der gute Geist des Hauses, setzt hinzu: „Einige Leute haben es zähneknirschend zur Kenntnis genommen.“

Mit der Aufklärung kommt die Akzeptanz. Vergangenes Wochenende gab man sich ein Stelldichein in Form eines Tages der offenen Tür, am morgigen Sonntag wird schließlich feierlich eröffnet. Dann werden sich zum ersten Mal die riesigen Drehtore öffnen und die 600 Besucher, die der Saal fasst, ins Innere des blitzblanken Gebäudes einlassen.

Auf den ersten Blick macht sich gähnende Langeweile breit. Der kreative Urknall, den man von niederländischen Architekturkollegen kennt, bleibt aus. Stattdessen steht da eine weiße Kiste mit großen Fenstern und Türen aus Holz. Ein Haus ohne Details und ohne Maßstab, das war's. Ja, man ist geradezu verleitet zu glauben, anstelle einer Fotografie ein CAD-Rendering aus der Feder eines angehenden Architekturstudenten vor Augen zu haben. Doch das schlichte Bild ist Realität. Und das irritiert.

Ähnlich wie der bucklig gewölbte Putz des alten Geburtshauses schimmert auch das Konzertgebäude mit Schattenspielen im Sonnenlicht. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die vermeintliche Putzfassade als Hightech-Material, das in Österreich nur selten anzutreffen ist: Über das gesamte Haus wurde eine homogene Haut aus Polyurethan-Spritzguss gelegt. Ein wenig erinnert die unebene Fassade an die Unterseite eines Tretbootes. Während man in den riesigen Panoramafenstern Glas vermutet, entpuppen sich diese als massive Platten aus Plexiglas. Bis zu fünf Tonnen wiegt so ein durchsichtiges Teil, das in einem Stück auf die Baustelle geliefert wurde. Aus Glas wäre ein fugenloses Fenster dieser Größe nie und nimmer möglich gewesen. Seine Vorteile erklären sich spätestens dann, wenn man im Foyer steht und durch das Fenster Liszts Geburtshaus in mächtiger Präsenz wahrnimmt.

„Das ist wahrscheinlich das einfachste Kulturgebäude, das in Europa in letzter Zeit gebaut wurde“, erklärt Architekt Oliver Thill gegenüber dem Standard. „Die Geldmittel waren knapp, große architektonische Gesten waren daher nicht möglich.“ Wenn die materiellen Ressourcen beschränkt sind (5,55 Millionen Euro Nettoherstellungskosten für das gesamte Areal), dann konzentriert man sich eben auf den immateriellen Wert der Architektur. In diesem Falle ist dies die Tradition des lokalen Bauens. „Ländliche Architektur ist ein großer Indikator für den Geist eines Landes, und die Baukultur im Burgenland ist historisch bedingt sehr reichhaltig.“

Das Herzstück des Gebäudes ist der Konzertsaal. Kein österreichischer Architekt hätte sich je getraut, sich an die Bauaufgabe in solch hölzernen Schritten heranzuwagen. Was die Architekten aufgrund der klassischen Proportionen als „Schuhdose“ bezeichnen, entfacht beim Besucher den Eindruck, als stünde man im überdimensionalen Resonanzkörper eines Cellos oder eines Klaviers - oder mitten in einer hochalpinen Zirbenstube. Ist das regionale Architektur?

„So etwas würden wir bei uns zu Hause niemals hinstellen“, erklären Kempe und Thill, „in den Niederlanden gibt es nämlich überhaupt keine Holzkultur.“ Warum man sich im Burgenland - dermaßen holzig empfindet sich wohl kein Burgenländer weit und breit - dann dennoch in vollen Zügen dem Holze hingegeben hat, hat einfache wie pragmatische Gründe: Die Akustik in einem hölzernen Saal komme am ehesten jenen Räumen nahe, in denen auch Liszt einst seine kammermusikalischen Künste zum Besten gegeben hat. Mit dem Münchner Akustik-Guru Karlheinz Müller wagte man sich an die Aufgabe heran, einen Konzertsaal ganz in der Tradition des 19. Jahrhunderts hochzuziehen, als Architektur und Akustik noch in unzertrennlicher Symbiose vereint gewesen waren.

Anstatt sich mit unbeholfenen Paneelen, Verkleidungen und Gegenschall-Anlagen herumzuplagen, wollte man in Raiding Bauen und Musizieren endlich wieder zusammenführen. Das Resultat ist ein Raster aus Holzleimbindern und Kassetten, die an den Wänden und an der Decke kaum merklich dreidimensional gekrümmt sind. Unter Verwendung von rein architektonischen Mitteln wird eine Akustik geschaffen, die völlig ohne technische Hilfsmittel auskommt. Für Kammermusik sei der Klang schlichtweg berauschend, heißt es. Es wird gemunkelt, dass es sich dabei um einen der weltweit besten Säle handelt. Einige Tonaufnahmen haben hier bereits stattgefunden, andere werden bald folgen.

Ständig wird der Architektur abverlangt, sie möge doch bitte nicht nur zum Schauen da sein, sondern auch all die anderen Sinne ansprechen. Hier ist sie, die Herausforderung, die Franz-Liszt-Halle primär mit den Ohren und nur sekundär mit den Augen zu erfassen. Schön ist sie in beiderlei Sinne, doch im ersteren ganz besonders. „Liszt ist zurückgekehrt“, zeigt sich Raidings Bürgermeisterin Anna Schlaffer stolz. Als Würdigungsstätte wird das Gebäude bestens dem Andenken Franz Liszts gerecht. Schon Jahre vor seinem Tod hatte sich der romantische Komponist Gedanken zu seinem höchst unromantischen und bescheidenen Abschied gemacht: „Ich wünsche, bitte und befehle nachdrücklichst, dass meine Bestattung ohne Prunk geschehe, so einfach und schlicht wie möglich. Keinen Pomp, keine überflüssige Beleuchtung.“

22. September 2006Oliver Elser
Bauwelt

Zwischen trash und très chic

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren....

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren....

„Itt született Liszt Ferencz 1811“ steht auf der Tafel im Türgiebel eines kleinen Häuschens. Gleich daneben steht: „In diesem Haus wurde Franz Liszt geboren. Diese Gedenktafel weiht dem deutschen Meister das deutsche Volk.“ Die Verhältnisse sind nicht ganz einfach zu überschauen in Raiding, das im Jahr 1811 zur ungarischen Hälfte des k.u.k.-Reiches zählte, aber teilweise von der slowakischen Minderheit bewohnt wurde, der auch die Liszts angehörten. Ihren Sohn ließen sie auf Deutsch unterrichten und förderten frühzeitig sein musikalisches Talent. Im Alter von neun Jahren gelang Franz Liszt ein Auftritt bei Hofe als Wunderkind. Die Familie verließ daraufhin das Dorf und kehrte nie wieder zurück.

Die multinationalen Verschlingungen wiederholten sich beim Bau des Konzerthauses für 590 Zuhörer, mit dem ein- bis zweimal jährlich Scharen von Festivalbesuchern in einen entlegenen Winkel des Burgenlandes gelockt werden sollen. Die Architekten André Kempe und Oliver Thill sind in der DDR aufgewachsen, haben nach der Wende in Dresden studiert und im Jahr 2000 in Rotterdam ihr Architekturbüro eröffnet. Zu dem Auftrag in Raiding sind sie über einen offenen Wettbewerb gelangt, bei dem ihr Entwurf zunächst mit dem zweiten Preis ausgezeichnet wurde. Ihr Vorschlag war die pragmatischere Lösung, die sich dann auch durchsetzte. Die Finanzierung (6,8 Millionen Euro Gesamtkosten) erfolgte mit einer star ken Beteiligung des EU-Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Um den Erfolg bei der Vermarktung bemüht sich das Management der renommierten Haydn-Festspiele, die seit 1986 im fünfzig Kilometer entfernten Eisenstadt stattfinden.

Dass ein UFO gelandet sei, diese Phrase zählt zwar zum Standardrepertoire von Architekturbeschreibungen, aber in Rai ding ist kein besonders extravagantes Gebäude nötig, um auf diesen Gedanken zu verfallen. Der Ort bietet wenig, woran sich das Konzerthaus hätte orientieren können. Kein Gasthaus nimmt sich der Besucher an, kein romantisches Ortsbild spielt Kulisse. Der kleine Park rings um das Liszt-Geburtshaus erschiene einem auch ohne das neue Kulturgebäude wie eine exterritoriale Anlage inmitten des kargen Straßendorfes, dem durch die Fassadentünche der vergangenen Jahrzehnte jede spe zifische Anmut und Atmosphäre abhanden gekommen ist.

Obwohl damit jeder Versuch, sich einzufügen, von vornherein ausgeschlossen war, haben die Architekten eine Großform gewählt, die noch am ehesten passt, weil sie, kompakt und geschlossen, ebenso gut ein landwirtschaftliches Lager umschließen könnte. Die Fassade wirkt regelrecht billig, was auch tatsächlich der Fall ist. Sie besteht aus einer weißen Kunststoffschicht, die auf die Dämmplatten gespritzt wurde. Ein trashiges Gebäude – wäre jetzt als nächste Phrase fällig. Das zu behaupten ist nicht ganz falsch. Nur lässt sich beobachten, dass die Architekten immer kurz vor dem Moment, in dem eine Extremposition zum Klischee wird, das Gegenmittel einsetzen. Die Kunststoffhaut ist von Öffnungen durchbrochen, die so groß sind, dass Liszts Geburtshaus darin verschwinden könnte wie in einer Garage. Diese Aussparungen wurden mit den Insignien „guter Architektur“ verschlossen: Sorgfältig detaillierte Lärchenholztüren und üppig bemessene Fenster. Anstelle von Glas wurden in einem Stück gelieferte Acrylglasplatten eingesetzt. An der zum Park gelegenen Seite misst das Fenster fugenlose 4 x18 Meter. Das Material wird sonst nur beim Bau von Aquarien verwendet. Die Umgebung fließt nicht ins Gebäude hinein (das wäre Phrase Nummer 3), sie erscheint etwas schlierig, aber auch präsenter als bei einem Glasfenster, denn der durchsichtige Kunststoff spiegelt nicht.

Die eigentliche architektonische Gratwanderung findet im Zentrum statt, in dem für Kammermusik optimierten Konzertsaal. Er sollte ursprünglich als außen ablesbarer Holzbau- „Klangkörper“ in den umgebenden Foyerring hineingestellt werden, was aus akustischen Gründen verworfen wurde. Nun ist nur die innere Raumschale aus Holz, dahinter stehen Betonwände. Die Holzverkleidung droht gestalterisch in zwei Richtungen zu kippen: Auf der einen Seite in klassizistische Strenge, denn die Wände sind durch ein Balkenraster gegliedert. Andererseits neigt sich die Klassik gefährlich in Richtung „rustikale Almhütte“, denn aus Kostengründen musste Fichtenholz verwendet werden. Abertausende von Astlöchern brin gen die weihevolle Kassettierung durcheinander. Dass das Zusammentreffen von Eichenboden und Fichtenwänden für pu ristisch denkende Entwerfer einer Katastrophe gleicht, kommt noch hinzu. Aber genau in solchen Wagnissen liegt die Qualität des Gebäudes, seine Frische jenseits aktuell angesagter Design-Vorstellungen, insbesondere im Vergleich zur österreichischen Architekturszene. Zwischen den Polen „trashig“ und „très chic“ ist es fein ausbalanciert.

Im Detail ist der Konzertsaal weit weniger kantig als beim ersten Augenschein. Der Akustiker sorgte dafür, dass alle Holzpaneele mit einer Fräse bombiert wurden, um den Schall besser zu streuen. Im Steiflicht ist zu erkennen, dass „die Platten eigentlich Blobs sind“, wie die Architekten amüsiert feststellen.



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Bauwelt 2006|37 Musiktheater

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