Pläne

Details

Adresse
Ziedlergasse 8 - 10, 1230 Wien, Österreich
Architektur
Walter Stelzhammer
Mitarbeit Architektur
Adrian Ryser (PL)
Bauherrschaft
BUWOG
Fotografie
Rupert Steiner
Maßnahme
Neubau
Funktion
Wohnbauten
Planung
1996
Ausführung
1997 - 1999

Presseschau

08. Juli 2000Walter Zschokke
Spectrum

Himmel über Atzgersdorf

Zwischen Reihenhaus, verdichtetem Flachbau und Geschoßwohnungsbau: Walter Stelzhammers Atriumhäuser sind eine eigene, zukunftsträchtige Kategorie dichten urbanen Wohnbaus, weil sie für vielfältigste Bedürfnisse Räume und Zonen bereitstellen.

Zwischen Reihenhaus, verdichtetem Flachbau und Geschoßwohnungsbau: Walter Stelzhammers Atriumhäuser sind eine eigene, zukunftsträchtige Kategorie dichten urbanen Wohnbaus, weil sie für vielfältigste Bedürfnisse Räume und Zonen bereitstellen.

Der lange, gedrungene Baukörper füllt fast das gesamte Grundstück. Gerade daß man mit dem Automobil außen herum fahren kann und noch ein schmaler Streifen Grün bleibt. Die Stirnseite zur Ziedlergasse nahe dem Kirchenplatz ist fast blind zu nennen. Zwei niedrige Fenster und ein hinter Betonbrüstungen gut geschützter Balkon verstärken die abschirmend geschlossene Wirkung der weißen Mauer. Auch die langen Seitenfassaden, die das eingezogene Kellergeschoß überragen, sind wenig geöffnet, aber dennoch nicht unfreundlich. Ein kleiner Balkon zum Hinaustreten mag dem Gespräch mit Kindern, Besuchern oder Nachbarn zu ebener Erde dienen.

Erst die Vogelschau bietet Einblick in die Struktur, die das differenzierte Innenleben verständlich werden läßt. Denn die dicht aneinandergefügten Wohn- einheiten sind nach oben, zum Lebensraum der Mauersegler und zu den Wolken geöffnet. Zwei Zeilen quadratischer Atrien sind zwei Geschoße tief in den Baukörper eingeschnitten. Daran fügen sich U-förmig die Wohneinheiten, einen Schenkel zur Fassade, den anderen zur Mittelmauer, die sich längs durch den gesamten Baukörper zieht. Zweimal neun Atrien zu zwei Wohneinheiten ergibt 36 Häuser zu 130 Quadratmeter Wohnfläche in einer Großform. Die Erbauer nennen es „Wohnarche“. Ein kleiner, zweiter Block daneben enthält weitere sechs Einheiten.

Walter Stelzhammer, Plischke-Schüler mit einem Naheverhältnis zum osmanischen Kulturraum, ist ein zäher Forscher und Tüftler, der sich seit Jahren mit Fragen verdichteten Wohnens auseinandersetzt. Sein Entwurf für ein doppelt breites Handtuchgrundstück in Atzgersdorf, unter extrem kostenkritischen Bedingungen entstanden, ist seit der Wohnanlage Schmidgunstgasse in Simmering von Franz E. Kneissl das interessanteste Wohnbauwerk dieser Art. Zwischen Reihenhaus und verdichtetem Flachbau einerseits und dem Geschoßwohnungsbau andererseits beansprucht diese Strukturform eine dritte Kategorie, die als intelligente Alternative eines dichten, urbanen Wohnens längerfristig Zukunft hat.

Als erstes trennt Walter Stelzhammer das Atrium mit einer schalldämmenden Milchglaswand in zwei Teilräume, sodaß die Nachbarn sich akustisch nicht stören, der Charakter des Hofes aber dennoch nicht beengend wird. Sodann stapelt er zwei Wohngeschoße auf das Sockelgeschoß, deren Licht- und Luftbezug vornehmlich durch das Atrium erfolgt. Eine baurechtlich gefinkelte, teilweise öffenbare Glasüberdachung ermöglicht unterschiedliche, auf die Witterung abgestimmte Formen der Nutzung. Am Dach bietet der Architekt ein großzügig verglastes Dachzimmer, eine blick- und windgeschützte sowie eine offenere Terrasse an, die sich die Bewohner unter Zuhilfenahme der Produkte aus Baumärkten umgehend in lauschige Dachgärten verwandelt haben.

In den Schenkeln des Grundriß-U befinden sich Wohnräume, die nicht oder wenig spezifiziert sind. Es lassen sich mehrere Varianten, bis zur Teilung in zwei Kinderzimmer, durchspielen. Das Verbindungsstück enthält die Treppe, Sanitärräume und den zum Atrium verglasten Gang. In den großzügigen Vorraum im Sockelgeschoß kann eine komplette Familie inklusive Hund eintreten, um begrüßt zu werden. Hinter der Stiege schließt der Kellerraum an. Das Auto läßt sich vor dem Hauseingang parkieren, wo man regengeschützt aussteigen kann.

Das Atriumhaus kennen wir aus dem Mittelmeerraum schon seit Jahrtausenden. Seit die Bautechnologie die Feuchteabdichtung beherrscht, ist es auch in unseren Breiten möglich geworden, Hof und angrenzende Räume für den Aufenthalt angenehmer zu machen. Dank der Lage im ersten Obergeschoß und des glasklaren Schiebedachs entsteht ein angenehm intimer Wohnbereich, weder drin noch draußen. Walter Stelzhammer erweist sich als vorausschauender Wohnbauarchitekt, der weder Ideologien vorgibt noch zwanghaft modische Auslenkungen inszeniert, sondern für die vielfältigsten menschlichen Tätigkeiten, Bedürfnisse und Befindlichkeiten Räume, Zonen und Bereiche bereitstellt.

Denn die Menschen sind nicht bloß verschieden, sie verhalten sich sowohl zu Tages-, Nacht- und Jahreszeiten anders als auch in den Lebensaltern. Der Vielfalt an Ansprüchen begegnet Stelzhammer mit einem trotz aller ökonomischen Einschränkungen offenen Prinzip. Dabei ist es nicht unerheblich, daß die Stiege durch das Haus hinaufführt, auf das flache Dach. Auch wenn von dort kein Weg weiter führt, bieten die räumliche Entspannung und die Öffnung zum Himmel wesentlich mehr als etwa der Dachraum eines konventionellen Hauses.

Wohnen heißt in unserem Kulturraum vor allem auch, sich individuell zurückziehen zu können, sich zu sammeln, frei gewählte Intimität und die Abschirmung vom Gewühl der Agglomeration zu genießen. Da bietet der Zugang zu einer privaten Dachterrasse einen kaum zu überschätzenden Wert: individuelles Außenwohnen unterm Himmelsgewölbe oder unterm Sternenzelt. Das sind konzeptionelle Qualitäten, die einen sparsamen Ausbaugrad im übrigen Bereich mehr als kompensieren.

Im Vergleich mit den etwa zehn Jahre älteren Atriumhäusern der Wohnanlage Traviatagasse, wo die Organisation der privaten Außenräume auf halbem Weg stehengeblieben ist, bietet die Wohnanlage in Atzgersdorf mehr und sorgfältiger durchdachte Antworten zur Wohnungsfrage.

Nun wird sich manch einer denken, daß dies in den Außenbezirken noch angehen möge, aber in den dicht verbauten Quartieren innerhalb des Gürtels zu eng empfunden würde. Dem ist nicht so, entgegnet der unermüdliche Planer und legt ein Projekt vor, das er an der Kaiserstraße, im Baublock zwischen Bernardgasse und Neustiftgasse bearbeitet. Das schmallange Grundstück wird im Süden von einer hohen Feuermauer beschattet. An diese lehnt sich nun eine Zeile gestapelter Atriumtypen an, deren Binnenräume zum langgezogenen Hof hin loggienartig offen oder verglast sind.

Der fünfgeschoßige Aufbau enthält im Erdgeschoß Ateliers, denen im Mezzanin Galerieräume zugeordnet sind. Darüber, im ersten Stock, ist eine Einliegerwohnung eingeschoben, die aber auch mit dem Atelier verbunden werden kann. Ihr Hauptzugang erfolgt über einen deutlich abgerückten Steg entlang der gegenüberliegenden Grundstücksgrenze.
Ein weiterer, dem klassischen Wohnen dienender Atriumtyp wird nun darüber gestapelt. Die Besonnung ist angemessen, für Ateliers wäre sie schon fast wieder unangenehm. Das Prinzip folgt dem Wohnungstyp in Atzgersdorf; nur die Glaswand zum großen Hof ist selbstverständlich durchsichtig. Natürlich verfügt das Haus über eine Dachterrasse.

Die kompakte Wohnform paßt in den dicht verbauten siebten Wiener Gemeindebezirk, weil sie vom Nutzungsmix her Ansprüchen entspricht, wie sie hier von Bewohnern gern gestellt werden. Es zeigt sich auch, wie anpassungsfähig der Atriumtyp ist, da seine Addierbarkeit nahezu beliebig ist.

Indem er Licht und Luft über das Atrium hereinholt, sind keine weiteren Fenster erforderlich, können aber dort, wo sinnvoll und möglich, gesetzt werden. Der Straßenlärm wird nebensächlich, und die Einsichtproblematik stellt sich kaum, weil das Gegenüber zur selben Wohneinheit gehört. Unterschiedliche Größen sind kein Problem, weil jeweils ein Schenkel des „U“ weggelassen werden kann, was die Wohnfläche fast halbiert.

Ein hoher Vorfertigungsgrad wurde bereits in Atzgersdorf realisiert, wobei hier die junge Generation in der Leitung der Generalunternehmung ihr Verdienst am Zustandekommen der Innovation hatte. Denn selbst wenn heute die Bauträger bereit sind, innovative Konzepte durchzudenken und anzubieten, muß dieser Schritt auch bautechnisch und in der Ausführung erfolgen, weil sonst die Kosten nicht gesenkt werden können.

Vorfertigung steht bis heute unter dem Verdacht, der Grund für schematische Fassaden und unflexible Grundrisse zu sein. Das trifft jedoch so nicht zu. Vielmehr existieren noch ideologische Rudimente aus den zwanziger und dreißiger Jahren, als parallel zu Industrialisierung und Fordismus totalitäre, gleichschalterische Ideologien um sich griffen. Sie flossen und fließen nicht selten unbewußt in die Entwürfe und Ausführungen ein.

Im Gegensatz zu funktionalisierten, prästabilierten Zimmerteilungen schaffen daher offe-ne, nutzungsneutrale Grundrisse entscheidende Voraussetzungen zur Entwicklung individueller Ausdrucksformen, die dann jene gelebte kulturelle Vielfalt zuläßt, die beispielsweise an den Dachgärten, in der Draufschau von gar nicht so weit oben, ablesbar wird.

08. Mai 1999Franziska Leeb
Der Standard

Repräsentation nach innen

Mit der „Wohnarche“ in Wien-Atzgersdorf gelang Architekt Walter Stelzhammer eine prototypische Lösung zum Thema Mehrgenerationenwohnen im urbanen Kontext.

Mit der „Wohnarche“ in Wien-Atzgersdorf gelang Architekt Walter Stelzhammer eine prototypische Lösung zum Thema Mehrgenerationenwohnen im urbanen Kontext.

Die im Auftrag der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft BUWOG errichtete Siedlung liegt nahe dem Ortskern von Atzgerdorf, inmitten einer kleinstädtisch anmutenden Struktur im Wiener Bezirk Liesing. Wohn- und Gewerbebauten wechseln einander ab, schwierige Rahmenbedingungen für attraktiven urbanen Wohnbau.

Architekt Stelzhammer entwickelte eine dichte Packung von Atriumhäusern, die er „Wohnarche“ nennt in Anspielung an die kompakte Großform, die wie ein Schiff in die Baulücke hineingeschoben wurde. Die introvertierte Hausform ist gut addierbar und vernetzbar, womit bei hervorragender Wohnqualität eine sehr hohe Bebauungsdichte erzielt werden kann. Insgesamt 42 Häuser mit je rund 130 m² Wohnfläche stehen nun Rücken an Rücken und Seite an Seite. Entlang den beiden Grundstücksgrenzen blieben begrünte Streifen mit einer Zufahrtsmöglickeit zu den einzelnen Häusern frei.

Das Eingangsgeschoß rückt zurück, es entsteht dadurch ein geschützter Eingangsvorplatz mit einem Autoabstellplatz. Darüber stapeln sich die zwei Hauptwohngeschosse und ein zurückgesetztes Dachgeschoß. Der spangenförmige Grundriß umfängt das sich über einem Erdkoffer in Hochlage befindliche Atrium, das Stelzhammer als „Lichtkörper“ versteht.

Mit einer transluzenten Glaswand ist es vom benachbarten Hof abgetrennt. Die Wand schirmt Geräusche ab und bietet guten Sichtschutz, läßt aber 70 Prozent des Tageslichtes eindringen und ist somit selbst bei bewölktem Himmel noch eine helle Insel, von der aus die Flächen im Inneren belichtet werden. Gebannt vom kontemplativ wirkenden Innenhof und der trotz aller Kompaktheit räumlichen Großzügigkeit ist sofort vergessen, daß es bis auf ein Fenster und eine Balkontür keine Öffnungen in der äußeren Fassade gibt. Im Raum-Dreisprung gruppieren sich in den beiden mittleren Ebenen jeweils zwei nutzungsneutrale Räume sowie ein der als Bad und/oder Küche ausbaubaren Kernzone vorgelagerter Gangbereich um diese „Lunge“ des Hauses.

Von jedem Raum aus sind durch die Blickverbindung über das Atrium hinweg auch die anderen erlebbar, wobei der Hof als Distanzhalter räumliche Weite suggeriert. Stelzhammer entwarf für die Häuser Nutzungsszenarien. So kann geschoßweise nach Funktionen oder Generationen getrennt werden. Es ist möglich, zwei autarke Kleinwohnungen im Sinne des Mehrgenerationenwohnens zu betreiben und das Dachstudio um eine Sanitäreinheit zu erweitern, um eine Einliegerwohnung zu schaffen. Durch die kompakte Bauweise sowie den mit einem Glasschiebedach geschlossenen Innenhof kann die Heizlast um ca. 40 Prozent gesenkt werden.

Abgesehen von Carl Pruschas Bauteil in der Traviatagasse waren Atriumhäuser bislang kaum ein Thema im jüngeren Wiener Wohnbaugeschehen. In einem Land, wo Wohnen traditionellerweise mit Repräsentation nach außen verbunden wird, sind diese Häuser, deren repräsentative Seite nach innen gekehrt ist vielleicht noch gewöhnungsbedürftig. Stelzhammers Siedlung kann also durchaus als Experiment und Prototyp gesehen werden, der dem Geschoßwohnungsbau ebenso Paroli zu bieten versucht wie dem flächen- und energiefressenden Einfamilienhaus.

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