Details

Adresse
Kaiser-Franz-Josef-Strasse 2, 6890 Lustenau, Österreich
Mitarbeit Architektur
Luca Deon
Bauherrschaft
Gemeinde Lustenau, Ulrich Sutterlüty, Jürgen Sutterlüty
Fotografie
Ignacio Martinez
Weitere Konsulent:innen
Licht-Panung: Charles Keller
Funktion
Konsum
Planung
1990
Fertigstellung
1996

Publikationen

Kooperationen

Presseschau

15. September 2002Walter Zschokke
zuschnitt

Luzide Haut über massigem Körperbau

Das Einkaufszentrum Kirchpark befindet sich am Lustenauer Dorfplatz. Der einfache Kubus des Gebäudes, mit Verkaufs- und Gastronomieräumen und einem Parkdeck,...

Das Einkaufszentrum Kirchpark befindet sich am Lustenauer Dorfplatz. Der einfache Kubus des Gebäudes, mit Verkaufs- und Gastronomieräumen und einem Parkdeck,...

Das Einkaufszentrum Kirchpark befindet sich am Lustenauer Dorfplatz. Der einfache Kubus des Gebäudes, mit Verkaufs- und Gastronomieräumen und einem Parkdeck, wird überragt von einem überdimensionierten Dach, das 20 m weit auskragt. Die Hülle des Baus besteht aus Polycarbonat-Platten. Die Materialität und Transluzenz der weißen Stegplatten wirkt im Gegensatz zur rohen Holzkonstruktion leicht. Die Stützen aus Brettschichtholz sind im Raster von 8 x 20 m gesetzt und entsprechen mit dem Maßen 32 mal 40cm (bis zu 32 mal 40cm) Stahlbetonstützen. Bei der horizontalen Tragkonstruktion, mit Stegplatten verkleidet, handelt es sich um Brettschichtholzgurten, die mit beidseitig angebrachten hohen Stegen aus Spanstreifenholzplatten zu Kastenträgern verbunden sind. Nachts wird die helle Außenhaut durch Fluoreszenzlampen zum Leuchten gebracht und lässt die dahinterliegende Konstruktion deutlicher durchscheinen.

Der große Einkaufsmarkt am Lustenauer Dorfplatz wirkt auf den ersten Blick recht massiv in seiner demonstrativen Körperlichkeit, die von der mehrseitigen glatten Verkleidung aus Polycarbonat-Platten herrührt. Über dem lagerhaften Baukörper der Verkaufs- und Gastronomieräume und dem darauf befindlichen Parkdeck ist der voluminöse Dachkörper aufgestelzt, dessen Funktion als Witterungsschirm für die Fahrzeuge mit einer 20 Meter weiten Auskragung über den Platz zeichenhaft überhöht wird.

Selbstverständlich hat dieses Dach vor allem auch städtebauliche Bedeutung, die aber nicht Gegenstand dieser Betrachtungen sein soll. Die klar begrenzten Körper wirken auf Grund ihres primären Zuschnitts. Das heißt, dass sie aus mittlerer Distanz betrachtet, unabhängig vom Material, kraftvoll und somit auch »schwer« erscheinen. Diesem Eindruck widersetzt sich jedoch ihre Tektonik, das Aufgestelzt-Sein des Dachkörpers und dessen ungewöhnliches Auskragen. Indem vermieden wird, explizit zu zeigen, wie das Gebäude konstruiert ist, entsteht eine spezifische Tendenz zur Schwerelosigkeit. Oder anders gesagt: Die Antworten, die das Bauwerk zur Frage des Gewichts liefern könnte, sind gestalterisch weitgehend ausgeblendet. Dies betrifft zwar nur den ersten, allerdings einigermaßen prägenden Eindruck. Die matt-weißen, semitransparenten Stegplatten halten die Wirkung als Körper beim Nähertreten nicht länger aufrecht, sondern erlauben unscharfe Einblicke auf die unmittelbar dahinter liegenden Bohlen der Unterkonstruktion und revidieren den ersten Eindruck des Körperhaften.

Was aus der Distanz betrachtet als Außenfläche eines Volumens erscheint, erweist sich aus der Nähe besehen als Membran, die, über einer Unterkonstruktion montiert, nachts durch zahlreiche Fluoreszenzlampen zum Leuchten gebracht wird. Damit wird die körperhafte Schwere aufgehoben. Die Hülle ist – ganz im Gegenteil – leicht. Unsere Erfahrung lehrt uns allerdings, dass jede Hülle, die nicht selbsttragend oder pneumatisch ist, ein tragendes Gerüst bedingt. Dieses Gerüst, das heißt die primäre und sekundäre Konstruktion, besteht weitgehend aus Holzwerkstoffen. Gezeigt wird uns dies an den Stützen, die zwar gehobelt, aber sonst als kräftige Brettschichtholzpakete, mithin als »Holz«, in Erscheinung treten. Von der horizontalen Tragstruktur sieht man vorerst nichts. Doch bleiben wir bei den Stützen, wie sie im Erdgeschoß zu sehen sind. Ihr Abstand ist recht groß, der Raster beträgt 8 mal 20 Meter. Jede Stütze erhält damit nahezu den Status eines Einzelobjekts. Ihre Dimensionen von 32 mal 40 Zentimeter und sogar 32 mal 90 Zentimeter an der Platzfront, wo die Last des kragenden Daches dazu kommt, entsprechen jenen von Stahlbetonstützen – sind aber aus Holz.

Der gewohnte Maßstab eines Balkenwerks wird verlassen. Die Primärkonstruktion weist ein anderes Schrittmaß auf, als wir es vom Massivholzbau her kennen. Es liegt eher im Bereich des Hallen- und Brückenbaus. Damit werden andere Lasten und Kräfte angesprochen, womit wir wieder beim Eindruck von Schwere wären. Unterstützt wird dies von der Materialwirkung des roh belassenen Holzes. Ein tendenziell dematerialisierender Anstrich hätte diese Wirkung aufgehoben. Das rohe Holz verhält sich jedoch polar zu den Polycarbonat-Platten und stärkt architektonisch deren Wirkung als leichtes Material. Am Weg über die Treppe zum Parkdeck wird uns ein einziges Mal ein Blick auf die horizontale Tragkonstruktion gewährt, die sonst im Ungewissen hinter der mit Stegplatten verkleideten Untersicht verbleibt. Es handelt sich bei den kragenden Primärträgern um kräftige Brettschichtholzgurten, die mit beidseitig angebrachten hohen Stegen aus Spanstreifenholzplatten zu Kastenträgern verbunden sind.

Auch hier überrascht wieder die rohe Oberfläche des Materials, die einen Eindruck jener gewaltigen Kräfte vermittelt, die von der Ingenieurholzkonstruktion verlässlich übernommen werden. Damit wird punktuell das Thema Schwere angesprochen, das sonst von der Oberflächenverkleidung stark gedämpft wird und selbst im Einkaufsmarkt, dessen Wände und Decken aus Mehrschichtplatten bestehen, kaum wahrgenommen wird. Da jedoch die Fakten, wie die Dimensionen der Stützen, das Parkdeck im Obergeschoß und die Spannweiten für große Lasten und somit für Schwere sprechen, genügen von dieser Seite punktuelle Hinweise, um die polare Spannung zu Leichtigkeit und Transluzenz der Verkleidung aus Polycarbonat-Platten aufzubauen. Und das macht die Architektur aus.



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 07 Leicht und schwer

05. Dezember 1998Walter Chramosta
Spectrum

Blau aus der Dorfzentrifuge

Lustenau, Vorarlberg: ein Großdorf, aber noch lange keine Kleinstadt. Die Dorfstruktur ist erhaltenswert, bedarf aber einer zentrierenden Mitte. Bruno Zur-kirchen und Daniele Marques haben nun den Kirchplatz als solche gestaltet.

Lustenau, Vorarlberg: ein Großdorf, aber noch lange keine Kleinstadt. Die Dorfstruktur ist erhaltenswert, bedarf aber einer zentrierenden Mitte. Bruno Zur-kirchen und Daniele Marques haben nun den Kirchplatz als solche gestaltet.

Das Vorarlberger Rheintal hat durch die Wechselwirkung der weiten Ebene mit den Bergsilhouetten ein einmaliges Gepräge. Als charakteristische Phänomene treten noch dauerfeuchte Westwetterstaus und ein irritierender Siedlungstyp hinzu, den man in dieser Sortenreinheit in anderen Bundesländern nicht kennt: das schier endlose, richtungslose Dorf. Lustenau ist dessen bekannter Prototyp und unterscheidet sich strukturell deutlich von Bregenz oder Dornbirn.

Während letztere durch ihre Gliederung mit Kern und Rand, durch ihre Lage in starkem Gelände, durch ihre regional bedeutsamen Angebote als Städte einzuschätzen sind, gilt Lustenau trotz seiner etwa 20.000 Einwohner als Dorf. Die auffällige Sonderheit der Ortschaft ist in einer Randlage zu Vorarlberg ausgeprägt worden, sie manifestiert sich im Selbstverständnis der Bewohner, in der Sprache, aber auch im Siedlungsmuster. Lustenau ist ein wohlhabender Industriestandort mit agrarischem Gepräge.

Der Ort ist attraktiv für das Wohnen, weil das Private dominant ist, aber für Unkundige durch die aus sieben Weilern zusammengewachsene Bebauung schwer orientierbar. Die Siedlungsemulsion aus Einfamilienhäusern und kleinen Gewerbeanlagen hat sich bis in die neunziger Jahre nirgends zu einem Zentrumsraum verdichten lassen, höchstens der „Kirchdorf“ genannte Bereich um die katholische Pfarrkirche, den Friedhof und das Rathaus fällt auf.

Eigentlich beginnt die nun abgeschlossene erste Zentrierung Lustenaus schon Ende der fünfziger Jahre. Durch den Verzicht der Gemeinde, die an den Kirchplatz grenzende Liegenschaft für eigene Zwecke zu erwerben, kommen an dieser strategischen Stelle kommerzielle Nutzungen zum Zug. Gleichzeitig setzt die Gemeinde mit der Errichtung des noch heute bestechenden Rathauses neben der Pfarrkirche ein wirksames Zentrumszeichen. Es liegt zwar nicht am Platz, aber gibt dem Ensemble rundum kommunale Bedeutung.

1983 erfolgt über einen baukünstlerischen Ideenwettbewerb ein nächster Konkretisierungsschritt, gesucht sind Entwürfe für die Gesamtgestaltung des Ortszentrums. Das Ergebnis dieses Verfahrens überzeugt mehr durch das klare Bekenntnis zum Platzraum als durch die dann errichteten Bauten. Der als Kulturhaus gedachte Reichshofsaal entwickelt zwar eine der Kirche ebenbürtige Präsenz, seine Gestik wirkt aber grotesk überzeichnet. Über die Banalität der beiden später entstandenen Eckhäuser, die nun das Gegenüber der Pfarrkirche abgeben, breitet man eingedenk der Vorarlberger Standards besser den Mantel des Schweigens.

So ergibt sich 1990 ein Platzfragment, das seine intendierte Rolle als Reservoir des Öffentlichen noch immer nicht übernehmen kann. Durch die ungelöste Individualverkehrsproblematik überfordert, aber vor allem von der Absenz des Urbanen belastet, erklärt sich der Ort nicht von selbst. Den Durchbruch schafft neuerlich ein Wettbewerb. Diesmal stellt die Gemeinde gemeinsam mit der regional bekannten Unternehmerfamilie Sutterlüty die Frage nach einem Ersatzbau für den Selbstbedienungsmarkt an der Südseite. Daß damit endgültig der langgehegte Zentrumswunsch Lustenaus zur Disposition stand, war den Gemeindevätern und der Jury bewußt.

Die Entscheidung für das schneidige Projekt der in der Deutschschweizer Szene seit längerem hervorstechenden Luzerner Architekten Daniele Marques und Bruno Zurkirchen kommt daher nicht überraschend. Es arbeitet nämlich die ortsplanerischen Halbherzigkeiten der Vorläufer radikal auf, es schlägt einen für den Ort lebenswichtigen, ungewohnt städtischen Ton an, es vollzieht eine für jedermann unmittelbar berührende, schlüssige Raumbildung: im halböffentlichen Bereich für den Kommerz, für die Bürger am Platz. Es beschert nach einer Planungsphase mit zeitintensiven Brüchen zwischen Bauherrschaft und Architekten doch einen - wenn auch nicht pflegeleichten und sofort konsensfähigen - Hochbau, nicht zuletzt auch noch eine überzeugende Platzfigur.

Marques und Zurkirchen thematisieren mit ihrer Architektur sinnfällig die Dreiheit von Instanzen, die eine Gemeinde prägen: Den Manifestationen von sakralem Kult und profaner Politik stellen sie das Merkantile ungeschminkt gegenüber. Denn das Öffentliche konstituiert sich aus der Überlagerung dieser Aktionsfelder einer Gesellschaft. Ihr Bau beschirmt mit einem weit auskragenden Vordach den Kirchplatz und stellt optisch dessen Symmetrie wieder her. Mit den Fassadenfluchten fassen sie die zuvor unkontrolliert in den Platzbereich mündenden Straßen ein und erzeugen akzentuierte Raumfolgen für den Passanten. Es kommt hier erstmals zu städtisch anmutender Nähe zwischen Bauwerken. Dichte deutet sich an.

Im Erdgeschoß des ganz in Holz konstruierten, mit transluzenten Kunststoffstegplatten bekleideten Baus befinden sich zum Platz geöffnet der Sutterlüty-Markt, eine Gasthausbrauerei und ein Blumenladen. Die wichtigere Seitenfassade ist von einer Ladenzeile für den täglichen Bedarf bestimmt, an der Rückseite liegt die Rampe zum Parkdeck im Obergeschoß.

Ein ursprünglich als vertikaler Gegenakzent zum Kragdach auf dem Garagendach geplanter zweigeschoßiger Wohntrakt konnte nicht ausgeführt werden. So sieht man sich bei Tag einer ihre Details exhibitionistisch vorführenden Skulptur gegenüber, die ihre Distanzwirkung aber in großen Einheiten als geschichteter Baukörper entfaltet und die bei Dunkelheit durch Be- und Hinterleuchtung zum blickfangenden Stadtlampion mutiert.

Von den Gemeindeverantwortlichen, die dieses überraschende Potential an Außenwirkungen erkannt hatten, wurden Marques und Zurkirchen auch mit der Planung des Kirchplatzes beauftragt. Obwohl Lustenau seit Jahrzehnten von „blauer“ Politik bestimmt ist, das Volk während der Bauzeit mit 56 Prozent gegen den Platzentwurf votiert hat und es zu heftigen Polemiken um die neue Mitte Lustenaus gekommen ist, vollendet nun ein fast leerer, mit blauem Bodenbelag „gehöhter“ Freiraum das Zentrumsstreben Lustenaus.

Wenn man ein disperses Gemenge „klären“ will, dann setzt man gern auf die trennende Zentrifugalkraft. Die Siedlungsmelange Lustenaus verlangt nach einer räumlichen Separierung, und Marques und Zurkirchen haben intuitiv die Ortszentrifuge in Gang gesetzt und die alles sättigende Privatemulsion ausgetrieben, um endlich einer sauberen Mitte auf den Grund sehen zu können. Und siehe da: Er ist blau wie ein klarer Abendhimmel. Wie befreiend das nach langem, nebeldumpfem Unterlandwetter ist!

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