Pläne

Details

Mitarbeit Architektur
Aad Krom (Projektleitung), Jen Alkema, Casper le Fèvre, Rob Hootsmans, Matthias Blass, Marc Dijkman, Remco Bruggink, Tycho Soffree, Harm Wassink, Giovanni Tedesco.
Landschaftsarchitektur
West 8
Planung
1993
Fertigstellung
1998

Publikationen

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Ben van Berkel
http://www.unstudio.com/

Presseschau

08. Mai 1999Franziska Leeb
Der Standard

Wohnen in der Endlosschleife

Ein zweifach umschlungener Torus als Basisstruktur: In seinem Möbius-Haus modelliert Ben van Berkel die Bewegung und das fließende Ineinander von Lebensbereichen im Tagesablauf. Zum Raum kommt hier die Zeit.

Ein zweifach umschlungener Torus als Basisstruktur: In seinem Möbius-Haus modelliert Ben van Berkel die Bewegung und das fließende Ineinander von Lebensbereichen im Tagesablauf. Zum Raum kommt hier die Zeit.

Das Einfamilienhaus kann ein hervorragendes Experimentierfeld für Architektur sein: Neue Ideen und Strategien sind hier schneller und einfacher umzusetzen als im großen Maßstab. Auch das jüngste Einfamilienhaus des niederländischen Architekten Ben van Berkel ist ein eindrucksvolles und anschauliches Kompendium von Arbeitsweise und Entwurfsphilosophie des 41jährigen, der nach zehnjährigem Bestehen der Bürogemeinschaft mit Kunsthistorikerin Caroline Bos im Vorjahr eine neue Bürostruktur unter dem Namen UN Studio etablierte. (UN = United Net for Architecture, Urbanism and Infrastructure; ein international orientiertes Netzwerk interner und externer Spezialisten aus den Bereichen Architektur, Graphic Design, Konstruktion, etc. mit Sitz in Amsterdam)

So wie für jedes der Projekte - egal welcher Größe - wurde auch für dieses eine eigene Entwurfsstrategie entwickelt. Am Beginn stehen oft Diagramme, die den architektonischen Entwurf von Sprache und Interpretation befreien und dadurch präzise Aussagen über funktionale Anforderungen ermöglichen, aus denen eine Struktur gebildet werden kann.

Das Haus liegt auf einem vier Hektar großen Grundstück außerhalb von Amsterdam, in einer für Holland ungewöhnlich hügeligen und bewaldeten Gegend. Als Bauplatz wurde die Schnittstelle gewählt, an der unterschiedliche landschaftliche Qualitäten des von einem kleinen Fluß durchschnittenen Areals sich treffen. Die funktionalen Bedürfnisse der Bauherren bestanden darin, daß sämtliche Aktivitäten eines ausgefüllten Tagesablaufes Raum finden sollten. Ein Haus also, das mehr zu bieten hat als das heute übliche Durchschnittseinfamilienhaus, in dem nur die Nacht und Teile der Freizeit verbracht werden.

Als erste Annäherung wurde der Tagesablauf der Familie und ihre Bewegung im Haus innerhalb eines 24-Stunden-Zyklus in ein Diagramm übertragen. Überlagert von der Idee, die Landschaft im Haus erfahr- und erwanderbar zu machen, begab Van Berkel sich auf die Suche nach einer Struktur, die Raum, Zeit und Bewegung gleichermaßen zu verknüpfen vermag. Grafisch und mathematisch veranschaulicht wird die Idee der Endlosigkeit von Raum und Zeit im Möbius-Band, einem Band, dessen um 180 Grad verdrehte Enden miteinander verbunden werden.

Raumprogramm, Erschließung und Struktur gehen nahtlos ineinander über. Die unterschiedlichen Abläufe des Berufsalltags, des gesellschaftlichen Lebens, des Familienlebens und der privaten Ruhezeit sind innerhalb der Schleifenstruktur miteinander verwoben. Die Bewegung durch diese Schleife folgt dem Ablauf eines aktiven Tages, einem Schema, nach dem die Familie unter einem Dach zusammen leben, aber auch getrennte Wege gehen kann, um sich dann wieder an verschiedenen Punkten, an denen die Wegschleifen wiederum zu Räumen werden, zu treffen.

Herzstück des Erdgeschosses ist die Garage, die eher als Wohnzimmer für das Auto bezeichnet werden kann - eine Referenz an die Unverzichtbarkeit des PKWs in der abgelegenen Nobelgegend. Der fußläufige Zugang führt als schmaler Schotterweg hinab zum versteckten Eingang im untersten Geschoß, über dem das Hauptgeschoß weit auskragt.

Die Idee zweier Einheiten, die ihre eigene Bahn verfolgen, manche Momente aber teilen, eventuell an manchen Punkten umdrehen, ist auf die Materialisierung des Gebäudes und seine Konstruktion ausgedehnt. Die Möbiusstruktur erlaubt nahezu stützenfreie Räume, die das barrierefreie Ineinanderfließen der Bereiche ermöglicht. Diese Bewegung ist auf die zwei Hauptmaterialien übertragen: Glas und Beton bewegen sich aneinander vorbei und tauschen Platz. Das Außen kehrt sich nach Innen und umgekehrt, und im Inneren wächst aus dem Band die Infrastruktur in Form von Tischen oder Regalen. Die hybride Betonkonstruktion erweitert sich zur Möblierung, und die Glasfassade wendet sich als Trennwand nach innen. Besteht der Boden aus Beton, befindet sich darüber eine Decke aus rötlichem Holz, ist der Boden aus Holz, schließt eine Decke aus Sichtbeton den Raum ab. Die äußere grüne Beschichtung der raumhohen Doppelverglasung filtert das rote Licht von draußen und entmaterialisiert scheinbar die Grenzen zur - von den Rotterdamer Landschaftsarchitekten West 8 gestalteten - Landschaft.

Türen und Geländer aus hellem Sperrholz wirken wie eine weiche innere Haut parallel zur harten Hülle. Van Berkel legte Wert auf hohe taktile Qualität der Oberflächen, betrachtete das Haus als zweite Bekleidung. Es ist ein Porträt der umgebenden Landschaft wie auch seiner Bewohner, die sehr stark in die Planung involviert waren, aber nie eine Wunschvorstellung vom Aussehen ihres Hauses hatten.

Ben van Berkel löste sich damit weitgehend von prädeterminierten Konzepten über Form und Funktion eines Hauses. Fassade, Decken, Dach, Fenster, Möbel existieren hier nicht mehr im herkömmlichen Sinn. Es gibt kaum fixe Funktionszuordnungen, die einzelnen Bereiche fließen nahtlos ineinander über. Bloß zwei Büros, Schlafzimmer und die Zimmer der Kinder sind abtrennbare Räume.

Fotografisch dokumentiert wurde das Möbius-Haus nicht nur mit den Mitteln konventioneller Architekurfotografie. Damit allein wäre es nicht gelungen, die Bewegung durch das Haus, die schließlich strukturbildendes Prinzip ist, abzubilden. Details hervorzuheben oder bestimmte Bereiche idealisierend wiederzugeben würde den architektonischen Prinzipien, auf denen das Haus basiert, widersprechen. Um die Imagination aller an der Entstehung Beteiligten zu transportieren, schien es geeigneter, Fotografien auch in Form von Film-Stills (s.o., 3. Bild) zu produzieren. Stylisten und Models wurden engagiert, die einen Tagesablauf im Haus inszenierten und simulierten. Ein Architektur- und ein Modefotograf - Christian Richters und Ingmar Swalue - näherten sich dem Möbius-Haus, um die Idee der Bewegung ebenso darzustellen wie einem bestimmten Lebensstil einen passenden Hintergrund zu verleihen.

Unser aller Vorstellungen beinhalten auch die verschwommene, halb unbewußte Beschäftigung mit kollektiven Visionen, wie dem Glamour der Hochglanzmagazine, Sex, Werbung oder Ruhm: Für Ben van Berkel keine Veranlassung, sich ausgerechnet als Architekt krampfhaft davon zu lösen und seine Produkte als erhabene, unberührte Objekte zu präsentieren: Auch Architekten dürfen Anteil an den gewöhnlichen Träumen der Gegenwart nehmen.

05. Februar 1999Hubertus Adam
Neue Zürcher Zeitung

Synthetischer Kubismus

(SUBTITLE) Ben van Berkels programmatische Villa - das «Möbius-Haus»

Das neuste Wohnhaus von Ben van Berkel besitzt programmatischen Charakter. Der heute 41jährige Amsterdamer Architekt hat sich von der Idee des Möbius-Bandes anregen lassen. Obwohl das Gebäude zunächst labyrinthisch wirkt, weist es eine in sich geschlossene Struktur auf, die zu einer neuen Harmonie führt.

Das neuste Wohnhaus von Ben van Berkel besitzt programmatischen Charakter. Der heute 41jährige Amsterdamer Architekt hat sich von der Idee des Möbius-Bandes anregen lassen. Obwohl das Gebäude zunächst labyrinthisch wirkt, weist es eine in sich geschlossene Struktur auf, die zu einer neuen Harmonie führt.

Mathematischen Definitionen gemäss ist ein Möbius-Band - jener Streifen, dessen Enden, um 180 Grad verdreht, miteinander verbunden werden - eine Fläche, die nur eine Randkurve und eine Seite besitzt. Als Charakteristikum des Möbius-Bandes gilt die Nichtorientierbarkeit: Wo oben, wo unten, wo rechts, wo links, wo hinten, wo vorne ist: all das lässt sich nicht entscheiden. Das Prinzip des Möbius-Bandes in die Architektur zu übertragen bereitet Schwierigkeiten. Weil sie den Gesetzen der Schwerkraft unterliegen, können irdische Wesen sich in einer derartigen Figur nur schwer bewegen. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob konventionelle Wohnungen mit ihrer mehr oder weniger stereotypen Reihung rechteckiger Räume tatsächlich den menschlichen Bedürfnissen entsprechen?

Das Ehepaar, das den Amsterdamer Architekten Ben van Berkel mit dem Entwurf für ein Wohnhaus beauftragte, hatte zumindest andere Vorstellungen. Da beide Partner ihrer beruflichen Tätigkeit zu Hause nachgehen, bedeutet das Leben in den eigenen vier Wänden in diesem Fall nicht nur schlafen und entspannen, sondern auch arbeiten. So wünschten sie sich ein Haus, das genügend Freiraum für all diese Bedürfnisse böte; ein Haus, das die Vielgestaltigkeit und Wandelbarkeit des Lebens repräsentiere; ein Haus schliesslich, das den Rhythmus der Natur auch im Inneren spürbar werden lasse - befindet sich das Grundstück doch unweit von Amsterdam in einer waldigen Gegend.

Streifen von grauem Sichtbeton und grünlichem Glas schimmern - zumindest im Winter - durch das Astwerk der Bäume hindurch, wenn man sich dem Grundstück nähert. Die Aussenansichten des expressiv anmutenden Baukörpers - von Fassaden im engeren Sinne lässt sich kaum sprechen - geben allerdings wenig Aufschluss über das dem Gebäude zugrunde liegende Konzept, das auf den Prinzipien des Möbius-Bandes basiert: Endlosigkeit und Nichtorientierbarkeit. Van Berkel fügte zwei Raumfluchten so zusammen, dass sich im Inneren eine schleifenförmige Promenade ergibt, die sämtliche Räume berührt und die beiden Ebenen miteinander verbindet.

Falls man nicht mit dem Auto die im Zentrum des Hauptgeschosses gelegene Garage ansteuert, bietet sich ein unscheinbarer Zugangsweg an. Vom Tor aus führt der geschotterte, von zwei Plattenreihen eingefasste Pfad die Senke entlang einem Bachlauf hinunter zum versteckten Eingang, der sich unter den markanten kanzelartigen Vorsprüngen der Raumfluchten des Hauptgeschosses befindet. Eine schmale Treppe leitet vom Vestibül hinauf zur Wohnebene. Dort angekommen, gilt es, sich zu entscheiden. Nach hinten in das Arbeits- oder Schlafzimmer, geradeaus in den Wohnbereich oder seitlich die neuerliche Treppe hinauf in das obere Geschoss? Die Orthogonalität scheint ausgehebelt: Wände fliehen, knicken, hier aus Beton, dort aus Glas, Innen und Aussen scheinen zu verschmelzen.

Doch so labyrinthisch, wie das Raumgeflecht zunächst anmutet, ist es letztlich nicht, im Gegenteil: Schlaufenähnlich zieht sich die innere Promenade, zu der es keine Alternative gibt, durch das Haus, der Weg der Bewohner, ihre tägliche Laufbahn. Ein Diagramm van Berkels zeigt die Struktur des Hauses, projiziert auf das Zifferblatt einer Uhr, die man zugleich als Kompass verstehen kann. Wie anhand der Beischriften erkenntlich, fliessen die Nutzungen ineinander; keiner der Bereiche wurde seitens des Architekten eindeutig definiert, Ambiguität ist Programm, alles verändert sich unmerklich. Die Waschbecken wirken, als seien sie aus dem Bad in das Schlafzimmer verrutscht, Arbeitszonen besitzen wohnliche Qualität, und der Wohnbereich erweitert sich nahtlos zum Konferenzraum.

Von den beiden Arbeitszimmern, die wie die beiden Brennpunkte einer Ellipse das Kraftfeld des Hauses zusammenhalten, dem Schlafbereich sowie den Kinderzimmern abgesehen, gibt es im «Möbius-Haus» kaum distinkte, abgetrennte Räume. Verkehrsflächen nehmen den grössten Teil der Grundfläche ein; wer das Haus besucht, wird unweigerlich einer Dynamik unterworfen, die Stillstand nahezu verbietet. Alles ist miteinander verknüpft, Raum wird um die vierte Dimension der Zeit erweitert. Nur konsequent, dass die ebenfalls von van Berkel entworfenen Schichtholzmöbel durchgängig auf Rollen gelagert sind. In Kontrast dazu treten statische Tische aus Beton, die unmittelbar mit dem konstruktiven Gerüst des Hauses verbunden sind, aus diesem hervorwachsen oder in dieses einmünden.

Es ist eine seltsame promenade architecturale, die das Haus durchzieht. Es ergeben sich optische Beziehungen zwischen den einzelnen Teilen des Gebäudes und Ausblicke auf den von Adriaan Geuze vom Team West 8 gestalteten Garten. Doch all das wirkt eher beiläufig; die Fenster fungieren als Öffnungen, nicht als Rahmen. Ben van Berkel inszeniert keine Perspektiven, durch die sich Welt erschliesst, er bedient sich auch keiner Dramaturgie, die den Parcours in eine Abfolge von Stationen verwandelte. Die hybride Struktur des Hauses generiert ihre eigene Raumlogik und erweist sich als selbstreferentiell.

Mit seinen Bauten, die in den achtziger Jahren zunächst vor allem in Amersfoort entstanden, konnte sich der 1957 in Utrecht geborene Ben van Berkel als einer der bedeutendsten Exponenten der zeitgenössischen niederländischen Architektur etablieren. Anders als Rem Koolhaas, der in seinen Werken vielfach Elemente collagiert, die dem funktionalistisch-konstruktivistischen Erbe der Moderne entstammen, steht van Berkel eher in einer expressiven Tradition. Schon in der Vergangenheit verwahrte er sich indes davor, als dekonstruktivistischer Architekt verstanden zu werden.

Auch wenn die polygonal gebrochenen Flächen seiner Fassaden, die pfeilartig vorstossenden Betonelemente zunächst an Projekte von Zaha Hadid erinnern, geht es dem Niederländer nicht um Zersplitterung oder Fragmentierung. Am ehesten erinnert van Berkels Konzept an den synthetischen Kubismus, bei dem die ausserbildlichen Verweise, welche die Bilder der analytischen Phase geprägt hatten, zugunsten einer bildimmanenten Harmonie heterogener Formen suspendiert worden waren. In diesem Sinne sucht Ben van Berkel nicht nach der Fragmentierung des Bestehenden, zerlegt nicht die Wirklichkeit in ihre Bestandteile, sondern forscht nach einer neuen Struktur, die Vielheit in Einheit überführt - nach einer neuen Harmonie. Keines seiner Gebäude zeigt das so deutlich und überzeugend wie das «Möbius-Haus». Man kann es als ein architektonisches Manifest verstehen.

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