Pläne

Details

Adresse
Simmeringer Hauptstraße 192a, 1110 Wien, Österreich
Mitarbeit Architektur
Martin Leopold (PL), Natascha Stoklaska
Bauherrschaft
WBV-GPA
Tragwerksplanung
FCP, Zemler + Raunicher
Funktion
Wohnbauten
Planung
2002
Fertigstellung
2004

Kooperationen

Presseschau

06. Mai 2006Isabella Marboe
Der Standard

Wohnlokomotive in Simmering

Neue Lebensgeister in einer Nachkriegs- siedlung weckt die GPA-Wohnanlage der schluderarchitektur. Bestückt mit bunt textilbeflaggten Balkonen, integriert die Anlage nicht nur die internationale Bewohnerschaft, sondern auch das Simmeringer Umfeld.

Neue Lebensgeister in einer Nachkriegs- siedlung weckt die GPA-Wohnanlage der schluderarchitektur. Bestückt mit bunt textilbeflaggten Balkonen, integriert die Anlage nicht nur die internationale Bewohnerschaft, sondern auch das Simmeringer Umfeld.

Im Norden das Simmeringer Bad, die Grabsteine Hagleitner künden vom nahe liegenden Zentralfriedhof, die benachbarte Zwischenkriegsanlage (Architekten Franz Kaym, Alfons Hetmanek) von stadtbauamtlichen Gartenstadt-Ambitionen. Am Block, der im Osten von der Weißenböckstraße begrenzt und einer Supermarkthalle nahversorgt wird, regieren der städtebauliche Raster und karge Charme der Nachkriegszeit: Ein hoher, langer Riegel bildet die Ostflanke zur Kreuzung, in seinem Windschatten lag vor kammartig stramm gebürsteten, vierstöckigen Hauszeilen eine alte Industriehalle.

Ihr Abriss machte einen mehr als 200 Meter langen, schmalen Streifen frei, der von Norden bis zur Stichstraße an Schule und Kindergarten im Süden den Block durchmaß und sich so ideal zur belebenden Neuintervention eignete. Bauträger GPA setzte auf Stadtrandverdichtung, das fruchtbare Soziotop von je 50 Prozent in- und ausländischen Bewohnern - und Architektur: Für den Neubau mit 8800 m² Bruttogeschoßfläche gab es ein Gutachten, das die Architektengemeinschaft Schluder/Kastner gewann.

Ihr Entwurf bringt alle Wohnungen unter, bereichert den Freiraum der bestehenden Siedlung und nimmt ihr keine Luft. Leichtfüßig schwebt ein 165 Meter langer, vierstöckiger Riegel über dem offenen, geländedurchflossenen Erdgeschoß. An seine Stiegen im Laubengang docken fünf sonnengelbe Punkthäuser mit je zwei dreiseitig belichteten, großen Wohnungen pro Geschoß an. Jede hat einen Balkon und Garten zu ebener Erde oder am Dach.

Hoher Wohlfühlfaktor

Menschen entwickeln Angst vor dem anderen, wenn er ihnen fremd bleibt und sie selbst sich nicht wohlfühlen: Also versucht diese Anlage in allen Wohnungen für höchste Zufriedenheit zu sorgen und bietet in selbstverständlicher Beiläufigkeit viele Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu treten. Im Nordwesten lugen die Balkone neugierig mit ihrer tiefen Längs- oder behäbigeren Breitseite aus der Riegellängsseite, Textilelemente in Gelb-Orange-Rot-Grün-Kombinationen verströmen hier eine neue, bunte Lebensenergie. Viele statteten ihr Balkonien individuell aus.

Die ost-west-belichteten Einheiten im fast sechs Meter breiten Riegel haben laubengangbegleitende Bäder und Küchen, die sich zu großen Räumen am Balkon öffnen, die Wohnungen in den Kopfteilen außerdem eine Veranda. Tragende Stahlbetonscheiben bilden die Trennwände, die Außenmauern sind aus Ziegeln. Isolierglas und Dämmung ermöglichen kostendämpfenden Niedrigenergiestandard.

Versetzt gleiten horizontale Fensterbänder durch die vornehm in graues Eternit gekleidete Fassade, die mit dynamisch gehobenem Kopfteil wie eine Wohnlokomotive der Simmeringer Hauptstraße entgegenpfeift. Darunter taucht die Tiefgaragenzufahrt ins luftig-lichte Erdgeschoß ein, schallsicher birgt der Rampenhügel einen Proberaum, von dem wie eine Arena publikumstaugliche Treppen zum Gemeinschaftsraum des ersten Punkthauses führen.

In die tragenden Sockelscheiben sind Löcher gestanzt, die zum Spielen und Durchblicken animieren, rund um die lose eingestreuten, profilitverglasten Elemente wie Fahrradbox, Kinderspielraum und Waschküche mäandert der vom Büro Hallamasch mit Treppen, Rampen, Podesten und Spielplätzen anregend gestaltete Freiraum, der mit dem Gelände ans Nachbargrün emporwächst und um die Punkthäuser zum Eigengarten wird.

Die südwestsonnengeflutete vielfältig nutzbare, kommunikative Passage für alle klettert weiter über den offenen Laubengang, wo Profilitglas mit kindgerechtem, zweitem Haltegriff vor den Eingangstüren subtil eine privatere Zone markieren. Mit eigenen oder mietbaren Gärten, gemeinsamem Grillplatz, Sauna und Dampfbad endet sie am Dach mit Weitblick über Wien.

31. August 2002Franziska Leeb
Der Standard

Die Mischung macht's

Ein überdurchschnittliches Angebot an „sozialem Raum“ soll in einer Wohnanlage in Wien-Simmering das Miteinander von Bewohnern unterschiedlicher Herkunft fördern.

Ein überdurchschnittliches Angebot an „sozialem Raum“ soll in einer Wohnanlage in Wien-Simmering das Miteinander von Bewohnern unterschiedlicher Herkunft fördern.

Themensiedlungen sind in. Im härter werdenden Wettbewerb auf dem Wohnimmobiliensektor punkten vor allem jene Bauträger, die über das Wohnungsangebot hinausgehende Anreize schaffen. Freizeiteinrichtungen, Sportmöglichkeiten oder Betreuungseinrichtungen versprechen höheren Wohnwert und stechen bei der Vermarktung aus der Fülle des Angebots heraus.

Unter dem Motto „integratives Wohnen“ entsteht ab Herbst eine Wohnanlage in der Simmeringer Hauptstraße (Fertigstellung: Herbst 2004). Dies sei kein „fadenscheiniger Titel oder gar ein Marketinggag“, darauf legt Michael Gehbauer von der Wohnbauvereinigung der Privatangestellten (GPA-WBV) großen Wert, sondern es sei „eine gesellschaftspolitische Aufgabe“, MigrantInnen tauglichen Wohnraum unter Vermeidung von Gettobildungen zur Verfügung zu stellen.

In der 112 Mietwohnungen umfassenden Anlage sollen zugezogene und ansässige Personen in einem angestrebten Mix von 50:50 erschwinglichen und vor allem ihren Bedürfnissen entsprechenden Wohnraum finden. Der Bauplatz ist an das öffentliche Verkehrsnetz gut angeschlossen (U3 und Straßenbahn 71 oder 6), Kindergarten, Volksschule und Nahversorgung sind in der Nachbarschaft vorhanden. Architekt Michael Schluder konzipierte für das lange, schmale Grundstück ein Ensemble aus einem aufgeständerten Riegel und fünf vorgelagerten Punkthäusern.


Eventagentur

Von Anfang an war die Eventagentur Hallamasch, bekannt als Veranstalter des gleichnamigen multikulturellen Festivals, in die Planung miteinbezogen. Die Gruppe entwickelte ein Konzept, das davon ausgeht, dass Menschen vielfältiger Abstammung möglichst konfliktfrei zusammenleben und sich zwanglos begegnen können. Der Vielfalt der Bewohner kommt eine umfangreiche Bandbreite an Extras entgegen. Unter der Überbauung entsteht ein überdachter Platz, der unabhängig von der Witterung zum Spielen und Kommunizieren einlädt.

Eine terrassierte Grünfläche steht als gemeinschaftlich zu nutzender Erholungsraum zur Verfügung, ein abgesenkter Platz mit Sitzstufen kann für Veranstaltungen genutzt werden. Ungestörtes Musizieren ermöglicht ein schalldichter Raum im Keller. Jede Wohnung verfügt über einen Balkon oder Garten. Auf den Dächern sind Terrassen, private Schrebergärten und ein Grillplatz vorgesehen. Grundsätzlich sind - eventuell lärmentwickelnde - Gemeinschaftsflächen und private Wohnräume strikt getrennt. Der interkulturelle und nachbarschaftliche Austausch soll nicht erzwungen werden, sondern auf freiwilliger Basis stattfinden.

Hallamasch-Geschäftsführer Andreas Hladky betont, dass es sinnlos sei, wenn die Betreiber von Anfang an alle Nutzungen festlegen und zum Beispiel annehmen, es müsse ein Gebetsraum her. Was wirklich zusätzlich gebraucht wird, kann erst gemeinsam mit allen Bewohnern festgestellt werden. Deshalb sind multifunktionale Boxen für vielfältige Nutzungen auf der Gemeinschaftsfläche vorgesehen und deshalb wird Hallamasch das Projekt auch über die Konzepterstellung hinaus begleiten.

Erschlossen wird die Anlage über geräumige, gut belichtete Laubengänge, die zum Verweilen einladen. Mit eher kleineren Wohnungen, deren Grundrisse aber ein Maximum an abtrennbaren Räumen vorsehen, kommt man der Einkommenssituation der angepeilten Zielgruppe entgegen. In den 52 und 65 Quadratmeter umfassenden Wohnungen im langen Riegel bringt man deshalb zwei bis drei Zimmer unter, in den Punkthäusern sind Familienwohnungen mit vier bis fünf Zimmern bei einer Fläche von rund 90 bzw. 120 Quadratmetern geplant. Die Fensterachsen sind so gelegt, dass Grundrissaufteilung und Zimmeranzahl flexibel zu gestalten sind.


Baukosten

Die Baukosten werden laut GPA-WBV bei knapp unter neun Mio. EURO liegen. An Kosten für die Mieter werden ein einmaliger Finanzierungsbeitrag von 400 EURO/m² und eine monatliche Miete von 5,8 EURO/m² Wohnnutzfläche anfallen. Um auch einkommensschwachen Personen den Zugang zu ermöglichen, plant der Bauträger, für einige Wohnungen auch um die so genannte Superförderung anzusuchen, womit die Aufbringung des Finanzierungsbeitrages aus Eigenmitteln wegfiele.

Der ungarische Ausdruck Hallamasch bedeutet übrigens „wilde Mischung“, aber auch „von allem das Beste“. Den Bewohnern und vor allem den hier lebenden Kindern könnte das sensibel ausgearbeitete architektonische und inhaltliche Konzept bei entsprechender Realisierung einen einzigartigen Erfahrungshorizont bieten.

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