Details

Bauherrschaft
Land Berlin
Weitere Konsulent:innen
Prüfingenieur: Prof. Dr.-Ing. M. Specht, Berlin
Windgutachten: Wacker-Ingenieure, Karlsruhe und Institut für Industrieaerodynamik, Aachen
Gutachten für Sonderstähle: RWTH Aachen, Lehrstuhl für Stahlbau und Ingenieurbüro für Werkstofftechnik, Aachen
Haustechnik: Schmidt Reuter Partner, Hamburg
Medien- und Nachrichtentechnik: Ingenieurbüro Heimann, Berlin
Lichtplanung: Conceptlicht Angerer, Traunreut
Akustik: Akustik Design Ahnert, Berlin
Maßnahme
Umbau
Planung
1998 - 2000
Ausführung
2000 - 2004

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

Presseschau

09. Juni 2006Anna-Maria Odenthal
TEC21

Olympiastadion Berlin

Das Berliner Olympiastadion wurde von 1998 bis 2004 von den Architekten von Gerkan, Marg und Partner für die Fussball-WM 2006 saniert und modernisiert. Das Bauwerk ist trotz unvermeidlicher Substanzverluste ein vorbildlich saniertes Baudenkmal.

Das Berliner Olympiastadion wurde von 1998 bis 2004 von den Architekten von Gerkan, Marg und Partner für die Fussball-WM 2006 saniert und modernisiert. Das Bauwerk ist trotz unvermeidlicher Substanzverluste ein vorbildlich saniertes Baudenkmal.

Mit dem Olympiastadion und dem Gesamtensemble des ehemaligen Reichssportfeldes besitzt Berlin die wohl bedeutendste monumentale Sportanlage des frühen 20. Jahrhunderts in Europa (Bild 1). Sie ist ein unersetzliches Zeugnis der olympischen Idee und der modernen Massensportbewegung, aber auch der Bau- und Kunstpolitik im Dritten Reich. Ursprünglich stand hier das „Deutsche Stadion“ von Otto March, das 1913 für die Olympischen Spiele 1916 gebaut worden war. Nach dem Abriss der Sportstätte wurde 1934 Werner March, Sohn von Otto March, mit dem Bau des Reichssportfeldes und der dazugehörigen Bauten beauftragt. Die neoklassizistische Gestaltung der Bauten war für die 1930er-Jahre typisch. Trotz des Missbrauchs für die ideologische Selbstdarstellung des Nationalsozialismus während der Olympiade 1936 konnte der Bau über 50 Jahre für sportliche und kulturelle Grossveranstaltungen in Berlin genutzt werden. Dass dieses Gesamtkunstwerk ohne nennenswerte Fremdkörper ungeteilt erhalten geblieben ist, ist nicht zuletzt dem unbefangenen und zugleich sorgsamen Umgang der britischen Streitkräfte mit dem Bau zu danken. Bis zum Abzug der Alliierten 1994 unterhielten sie im Deutschen Sportforum auf dem Olympiagelände ihr Hauptquartier.

Ausgangssituation

Fast zehn Jahre (von 1991 bis 1998) dauerte das Tauziehen um alternative Konzepte für das Berliner Olympiastadion und das umgebende, immerhin 131ha umfassende Areal des ehemaligen Reichssportfelds. Die Konzepte reichten von einer Minimalsanierung ohne erkennbare Nachhaltigkeit bis zum massstabsprengenden Neubau eines reinen Fussballstadions, bei dem das gesamte historische Freiraum- und Erschliessungssystem zerstört worden wäre. Auch ohne die Fussball-WM hätten Olympiastadion, Schwimmstadion und Maifeldtribünen saniert werden müssen, allein um die Sicherung der Bausubstanz und die Betriebssicherheit für Besuchergruppen zu gewährleisten. Altersbedingt wies die tragende Konstruktion starke Karbonatisierungsschädigungen auf. Bis in die 1970er-Jahre wurden Streusalze auf der Tribünenanlage verwendet, was eine starke Chloridkontamination der Bausubstanz nach sich zog. Auch zwischen der Natursteinverkleidung und der Tragkonstruktion konnte Feuchtigkeit nahezu ungehemmt eindringen, da die Mörtelhinterfüllung unzureichend war. Für Betonsanierung und Nachrüstung der technischen Einrichtungen wurden seinerzeit 200 Mio. DM veranschlagt. 1998 beschloss Berlin die Sanierung des alten Olympiastadions bei „möglichst weitgehender Bewahrung des historischen Erscheinungsbildes“.

Architekturwettbewerb

Von den zehn Beiträgen der engeren Auswahl befürwortete der Denkmalschutz zwei, den von Weidleplan sowie jenen von Gerkan, Marg und Partner (gmp). Beide Entwürfe verbanden auf unspektakuläre und sparsame Weise eine behutsame Sanierung der vorhandenen Bausubstanz mit einer denkmalverträglichen Modernisierung. Ausschlaggebend für die Wahl von gmp im Oktober 1998 war die vorgeschlagene Überdachungslösung, bei der die freie Sicht durch das Marathontor auf das Maifeld und den Glockenturm erhalten blieb.

Bei der Sanierung mussten einige Zugeständnisse seitens der Denkmalpflege gemacht werden, da viele Bereiche des Stadions in sehr schlechtem Zustand waren. Die ursprüngliche Unterringtribüne in Ortbetonkonstruktion war auf wirtschaftlich tragbare Weise nicht sanierbar. Nur in der westlichen Hälfte war sie durch die so genannten Katakomben unterkellert, in der Osthälfte jedoch vollständig mit Sand verfüllt. Mit dem Neubau wurde das Spielfeld um ca. 2.65 m abgesenkt, um den Konflikt zwischen der Weite des multifunktionalen Leichtathletikstadions und der Dichte der monofunktionalen Fussballarena zu lösen. Durch die Absenkung konnten zwei Zuschauerreihen mit ca. 1600 Sitzplätzen gewonnen und zugleich der Abstand der Ränge zum Fussballfeld verringert werden. Die Stahlbetonkonstruktion der Oberringtribüne blieb erhalten; auch hier wurden allerdings die Betonfertigbauelemente gegen neue Winkelstufen in Fertigteilbauweise ausgetauscht. Erhalten blieben nur die letzten acht oberen Reihen, die 1936 in Ortbeton ausgeführt worden waren und dank einer Schlämme als Karbonatisierungsschutz vergleichsweise geringe Schäden aufwiesen. Die Ehrentribüne, die einzige Raumfolge von nennenswerter historischer Ausstattung mit Coubertinsaal, Ehrenloge und Ehrensaal, wurde wieder aufgebaut.

Der weitestmögliche Erhalt der überlieferten Substanz, die Bewahrung von Alters- und Schadensspuren und auch die hohe haptische Qualität der Oberflächenbehandlung bei der ausschliesslich manuellen Natursteinsanierung (Muschelkalk, Gauinger Travertin, Granit) gehört zu den gelungensten Bereichen der Sanierung. Auch die Reparatur und Nachrüstung der erhaltenen Bestandsfenster und -türen, der historischen Leuchten in den äusseren Umgängen (Kandelaber wie Fackeln), der überlieferten Geländer und Scherengitter überzeugen. Ein Wermutstropfen für die Denkmalpflege sind die „Kämme“ des neuen Fluchtwegsystems, die das ursprünglich linear strukturierte Gesamtbild der Tribüne stören (Bilder 3 und 4). Doch selbst diese Lösung konnte nur über den Bestandsschutz erreicht werden, da andernfalls im Unterring Mundlöcher, Fluchttunnel und Treppenhaustürme erforderlich geworden wären.

Sanierung der Gartenanlage

Das Olympiagelände stellt ein herausragendes historisches Bau- und Gartenensemble dar, das bei angemessenem Umgang und unter Beachtung der architektonischen und freiraumplanerischen Prinzipien zu einem Geschichtszeugnis von internationalem Rang werden kann. Vor allem die Wahrung des empfindlichen Gleichgewichts zwischen wenigen Grossgebäuden und weiten Freiflächen ist für den Charakter der monumentalen Anlage unverzichtbar. Im Juni 2004 wurde ein Entwicklungskonzept für das Gesamtgelände beschlossen. Über die denkmalverträgliche Umrüstung des Stadions hinaus sollen so mittelfristig das Gesamtareal und die übrigen Gebäude instandgesetzt werden. Für den Mittelbau der Maifeldtribüne ist ein Sanierungs- und Ausstellungskonzept erarbeitet worden. Die Sanierungsmassnahmen sind angesichts des gefährdeten Zustands der Bauten zwingend erforderlich, sie hängen jedoch noch von der Sicherung ihrer Finanzierung ab.

Eine Betreibergesellschaft, bestehend aus dem Land Berlin, der Walter Bau AG und dem derzeitigen Bundesligisten Hertha BSC als Hauptgesellschafter, sollten zukünftig für Grossveranstaltungen sorgen. Seit der Insolvenz der Walter Bau AG im Februar 2005 und der Krise der Stadion GmbH steht wieder in Frage, ob wirklich alle „Standardverbesserungen“, die von Sportpolitik und Fussball-Lobby auf Kosten des Steuerzahlers und zu Lasten des Denkmals durchgesetzt wurden, auf Dauer angemessen und finanziell sinnvoll waren. Der TV-gerechte Werbegag einer Hertha-blauen Laufbahn im Stadionoval ist nur das medienwirksamste Beispiel
fragwürdiger Neuerungen.



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|24 Fussball und Baugeschichte

09. Juni 2006Katinka Corts-Münzner
TEC21

Leichte Überdeckung

Für die Überdachung des Olympiastadions Berlin mussten die Architekten eine funktionale und denkmalgerechte Lösung finden. Die Öffnung des Daches auf einer Seite ist dank einer speziellen Tragarmkonstruktion möglich und gibt den Blick zum Maifeld frei.

Für die Überdachung des Olympiastadions Berlin mussten die Architekten eine funktionale und denkmalgerechte Lösung finden. Die Öffnung des Daches auf einer Seite ist dank einer speziellen Tragarmkonstruktion möglich und gibt den Blick zum Maifeld frei.

Den Sanierungs- und Umbauwettbewerb für das Berliner Olympiastadion für die Fussball-WM 2006 gewannen die Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp) und das Ingenieurbüro Krebs und Kiefer 1998. Die Bauaufgabe erforderte den sensiblen Umgang mit dem historisch belasteten Stadion, das für die Olympiade 1936 gebaut worden war. Zudem musste eine Balance zwischen Bestand und neuer Architektur gefunden werden. An den Umbau des Stadions gab es viele Anforderungen: Der Oberring sollte saniert, der Unterring für 76000 Sitz- und 4000 Stehplätze umgebaut werden. Gemäss dem Fifa-Reglement1 musste eine Tribünenüberdachung erstellt werden. Erschwert wurde die Sanierung durch die Ausführung der Bauarbeiten bei laufendem Spielbetrieb im Stadion. In der kompletten Bauzeit (2000-2004) musste gewährleistet sein, dass für alle Bundesligaspiele zu jeder Veranstaltung 55000 Plätze zur Verfügung standen, für das jährlich im Mai traditionell in Berlin stattfindende DFB-Pokal-Endspiel sogar 70000. Die Baumassnahmen mussten also genauestens in zeitlich versetzte Bauabschnitte aufgeteilt und für die Veranstaltungen angepasst werden.

Ein neues Dach

Eine der anspruchsvollsten Bauaufgaben bei der Sanierung war die Vollüberdachung aller Tribünenplätze. Für die Fussball-Weltmeisterschaft 1974 war das Stadion leicht modernisiert worden. Am auffälligsten waren damals die neuen Teilüberdachungen für die Nord- und die Südtribüne, die von Architekt Friedrich Wilhelm Krahe entworfen worden waren. Denkmalpflegerisch waren sie sehr umstritten, da sie das Stadionoval in seiner Erscheinung stark beeinflussten. Mit der Bewerbung Berlins für die Olympischen Spiele 2000 entstanden neue Entwürfe für den Umbau und die Überdachung, die aber nach dem Ausscheiden Berlins verworfen wurden. Beim Umbau für die Fussball-Weltmeisterschaft 2006 konnten die Ingenieure Krebs und Kiefer nicht auf eine Konstruktion aus Druck- und Zugring für die Dachkonstruktion zurückgreifen, da die Sichtachse zwischen Stadioninnerem und Glockenturm nicht gestört werden sollte. Pylonen und Seilabspannungen im Aussenraum des Stadions waren seitens der Denkmalpflege nicht erlaubt. Doch auch die Stützen des Daches, die sich folglich auf den Tribünen befinden mussten, durften nur eine geringe Sichtbehinderung für die Zuschauer sein. Die Ingenieure erarbeiteten ein umlaufendes Tribünendach, das dank der leichten Kragarmkonstruktion aus Stahl im Bereich des Marathontores unterbrochen werden konnte. Die Haupttragstruktur besteht aus 76 radial ausgerichteten Fachwerkbindern, die mit tangential verlaufenden Unterstützungsträgern verbunden sind. Die Fachwerkträger sitzen auf 20 Baumstützen im Bereich der Tribünenanlage und 132 Aussenstützen oberhalb der mit Muschelkalk verkleideten Aussenpfeiler. 80 dieser Aussenstützen, die Radialbinder, die Baumstützen und der Randunterzug bilden ein Rahmensystem, das das Dach horizontal austeift. Die restlichen Aussenstützen sind Pendelstützen, in ihrem Inneren verlaufen die Entwässerungsrohre des Daches.

Die Binderpaare der Baum- und Aussenstützen wurden erst vormontiert und dann bis Mai 2004 von einem Kran aus in die Konstruktion gehoben, da Gerüste und Hebezeug im Stadion durch den laufenden Spielbetrieb nicht möglich waren. Alle Bauetappen wurden zwischengesichert und einzeln abgenommen. Die weite Auskragung des Daches zur Mitte des Stadions musste innerhalb der Dachkonstruktion ausgeglichen werden. Rückwärtige Verankerungen oder ein Durchbohren der Muschelkalkpfeiler waren seitens des Denkmalschutzes als Option ausgeschlossen worden. Der Querschnitt der 68 m spannenden Radialträger gleicht einem Flugzeugträger. Die maximale Konstruktionshöhe von 5.10 m liegt oberhalb der Stützen, an den Innen- und Aussenrändern des Daches ist sie auf ein dünnes Band minimiert. Die Träger wurden im äusseren Dachrand umlaufend mit einem dreieckförmigen Stahlbetonhohlkasten verstärkt, der jeweils hinter den Baumstützen zusätzlich mit Ortbeton verfüllt wurde.

Anhand eines Modells wurde das Lastverhalten der im Grundriss 300u230 m grossen Dachhaut im Grenzschichtwindkanal der Fachhochschule Aachen2 untersucht. An 450 Druckmessstellen konnten die Lastanfälligkeit für jede Windrichtung sowie Windstärken zwischen 13 m/s und 45 m/s bestimmt werden. Mit den Ergebnissen konnte ein leichtes Tragsystem für die Dachhaut konstruiert werden, das sich weder aufschwingt noch flattert. Gebäudefugen trennen die Last-abtragkonstruktionen voneinander, damit deren Lage sich bei Temperatureinwirkung nur wenig verändert. Auftretende Zwängungen im Dach werden durch radiale Bewegungsfugen im inneren und äusseren Dachbereich minimiert. In den Untergurt wurden neben der Beschallung auch Ketten von Leuchtstoffröhren integ-riert, die das Oberdach anstrahlen und die Tribünen indirekt beleuchten. Dank dem integrierten Lichtband im inneren Oval konnten die bisherigen Pylonen der Flutlichtanlage und die Lautsprechertrichter im Aussenraum entfernt werden.

Dachmembran

Die optische Leichtigkeit verdankt das Stadiondach der filigranen, grobmaschigen Stahlkonstruktion und der transluzenten und transparenten Dachhaut. Im inneren Dachrand wurde auf einer Fläche von 6000 m² punktgelagertes und teilvorgespanntes Verbundsicherheitsglas verwendet und damit das feingliedrige Tragwerk noch stärker betont. Über den Tribünen sollten die Dachmembrane unauffällig sein und Dachober- und -unterseite verkleiden. Die Lichtverhältnisse im Stadion durften dabei nur gering beeinträchtigt werden.

Für die 55000 m² Dachober- und -unterseite kamen schliesslich ungebleichte und alterungsbeständige Glasfasermembrane mit PTFE-Beschichtung zum Einsatz. Die Unterseite ist schalldurchlässig für die integrierte Tonanlage, der Zuschauer kann ausserdem die beleuchtete Stahlkonstruktion im Inneren des Daches sehen. Im Dachzwischenraum liegen auch die Erschliessungsstege für Wartung und Reinigung. Halterungen für die technische Ausstattung wurden ebenso eingebaut.

Die erst bräunliche Dachmembran bleicht mit der Zeit aus, sie hellte schon während der Bauzeit auf.
Die robuste Membran sollte theoretisch selbst beim Beschuss mit Feuerwerkskörpern keine Brandspuren davontragen. Die jetzige Gestaltung des Daches ist entsprechend den Anforderungen der Denkmalpflege von aussen sehr unauffällig und verändert den historischen Bau in seiner Wirkung kaum. Im Stadioninneren hebt sich die feingliedrige Konstruktion deutlich vom historischen Gebäude ab.

[1] „Technische Empfehlungen und Anforderungen für den Neubau oder die Modernisierung von Fussballstadien“.
Download: Fifa.com > Regelwerk und Listen > Wettbewerbsregeln > Datenblatt.
[2] Institut für Industrieaerodynamik, Grenzschichtwindkanal der Fachhochschule Aachen, www.fh-aachen.de/2067.html.



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