Details

Presseschau

20. Dezember 1999Christoph Affentranger
Neue Zürcher Zeitung

Bücher am Wasser

(SUBTITLE) Erweiterung der Königlichen Bibliothek von Kopenhagen

Vor sechs Jahren wurde in Kopenhagen ein Wettbewerb zur Erweiterung der Königlichen Bibliothek mit der Idee ausgeschrieben, eine Institution für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Nun konnte das neue Haus von Schmidt, Hammer & Lassen eingeweiht werden. Entstanden ist ein überzeugend in Glas, Stahl, Stein und Holz gestalteter Ort, der die Benutzer ins Zentrum rückt.

Vor sechs Jahren wurde in Kopenhagen ein Wettbewerb zur Erweiterung der Königlichen Bibliothek mit der Idee ausgeschrieben, eine Institution für das 21. Jahrhundert zu schaffen. Nun konnte das neue Haus von Schmidt, Hammer & Lassen eingeweiht werden. Entstanden ist ein überzeugend in Glas, Stahl, Stein und Holz gestalteter Ort, der die Benutzer ins Zentrum rückt.

Gesucht war die Bibliothek des 21. Jahrhunderts, als 1993 ein Projektwettbewerb für die Erweiterung der Königlichen Bibliothek im historischen Zentrum Kopenhagens international ausgeschrieben wurde. Eine nicht ganz einfache Aufgabe zu einem Zeitpunkt, in dem das Buch in seiner Rolle als Wissensträger immer deutlicher von den elektronischen Medien verdrängt wird. Noch ein Dezennium zuvor schien die Antwort auf die Fragestellung klar: Büchertürme wie zum Beispiel diejenigen der Französischen Nationalbibliothek in Paris. Doch die dezentralen Kräfte, die von den neuen Medien ausgehen, sind inzwischen nicht mehr zu übersehen. Und aus dem französischen Traum der Büchermasse wurde mittlerweile ein Albtraum der Logistik. Wer also kommt noch zum Buch? Die Architektur und das Betreiberkonzept der neuen Bibliothek an der Einfahrt zum alten Hafen von Kopenhagen bietet darauf eine mögliche Antwort.


Dänische Erfolgsarchitekten

Den Wettbewerb gewonnen hatte damals das junge, ausnehmend erfolgreiche Trio Schmidt, Hammer & Lassen, das inzwischen eines der grössten Architekturbüros von Dänemark leitet. Zu den wichtigsten Arbeiten des Unternehmens zählen das mehrfach ausgezeichnete Nordische Kunst- und Kulturzentrum in Nuuk, Grönland, sowie drei zwischen 1993 und 1996 in Århus realisierte Bauten: das Möbelhaus Ilva, eine Druckerei und das Bürogebäude der Dana Dat. In jüngster Zeit haben Schmidt, Hammer & Lassen unter anderem den Wettbewerb zur Erweiterung des Flughafens in Aalborg sowie zum Bau einer Technikerschule in Kolding gewonnen.

Nach zwei Jahren Planung und vier Jahren Bauzeit konnte jüngst nun die auf Slotsholmen gelegene erweiterte Königliche Bibliothek eröffnet werden. Entstanden ist ein neues Wahrzeichen, ein herausragender Solitär in der sonst - im positiven Sinne - für ihre zurückhaltend ins historische Zentrum eingegliederten Neubauten bekannten Stadt. In unmittelbarer Nähe von Schloss Christiansborg und Arne Jacobsens dänischer Nationalbank direkt am Wasser errichtet, steht das siebengeschossige, schwarz glänzende Prisma des Neubaues, der in seinen Ausmassen so wuchtig und kantig ist wie der 1906 von H. J. Holm erstellte Altbau. Die beiden Gebäude sind durch eine Strasse getrennt, die in Ost-West-Richtung entlang des Kanals verläuft. Schon einmal, nämlich 1968, wurde die Königliche Bibliothek erweitert, ebenfalls zum Kanal hin, mit einem der gesamten Länge des würfelförmigen Altbaues folgenden kubischen Anbau. Geschickt wurde nun diese erste Erweiterung, die den Altbau eher entstellte als respektierte, in ein überzeugendes Gesamtkonzept integriert, aufgestockt und wie der Neubau mit schwarzem südafrikanischem Granit eingekleidet.

Die einzige Verbindung zwischen Altbau und Erweiterung ist eine 18 Meter breite verglaste Brücke im zweiten Obergeschoss. Neu geregelt wurde der Zugang zur Bibliothek. Dieser erfolgt jetzt über den westlich des Neubaus ebenfalls von Schmidt, Hammer & Lassen gestalteten Platz am Kanal und nicht mehr wie früher über den Hof seitlich von Schloss Christiansborg. Durch eine schmale Eingangszone gelangt man direkt ins Herz des Gebäudes, einen bis unter das Dach reichenden, verglasten Lichthof, der das schwarze Prisma quer schneidet. Von hier schweift der Blick über den Kanal nach Christianshavn. Eine Rolltreppe führt hinauf zur breiten Brücke Richtung Altbau, auf der sich die Information und die Bücherausleihe befinden. Die Treppenhäuser in die oberen Geschosse sind von dieser Plattform aus seitlich in einer Raumschicht entlang der Strasse angeordnet. Rechts und links des Atriums sind den Lesesälen Balkone vorgelagert. Von diesen aus können die Säle betreten werden. Diese bieten mehr als 300 Arbeitsplätze, die sich alle auf das Atrium und das Wasser hinaus orientieren.


«Erlebniswelt» Bibliothek

Auf 40 000 Quadratmetern Fläche beherbergt die Bibliothek rund 200 000 Bücher. Praktisch der gesamte Bestand ist jedermann zugänglich, auf Depots wurde weitgehend verzichtet. In einem zweigeschossigen, mit grauem Sandstein verkleideten Anbau auf der Ostseite des schwarzen Prismas haben vier weitere, der Bibliothek angegliederte Institutionen Platz gefunden. Das Dach dieses Anbaues bildet eine begehbare Plattform. Form und Anordnung der Treppe und der Plattform sind eine Anspielung auf die Villa Malaparte auf Capri. Ebenso speziell wie die geglückte räumliche Disposition der Bibliothek ist auch das Betriebskonzept. Auf der Eingangsebene findet sich nicht nur der Zugang zur Bibliothek, sondern auch eine Buchhandlung, ein auf den Hafen gerichtetes Restaurant und ein multifunktionaler Saal für Kongresse und Konzerte. Gemäss der Devise «Das Buch zum Menschen und den Menschen zum Buch bringen» soll mit Speis und Trank, Konzerten und Ausstellungen die Bibliothek in eine eigentliche «Erlebniswelt» verwandelt werden. Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage nach der Bibliothek des 21. Jahrhunderts.

24. Juli 1999Sandy Lang
Der Standard

Der „Schwarze Diamant“ der Dänen

Kopenhagen beweist: Eine Bibliothek muß nicht protzig sein wie die neue Bibliothèque Nationale in Paris. Sie muß das „Gedächtnis der Nation“ nicht in einen Tiefspeicher versenken wie Österreichs Nationalbibliothek. Sie kann auch frisch sein, geräumig und einladend für jeden.

Kopenhagen beweist: Eine Bibliothek muß nicht protzig sein wie die neue Bibliothèque Nationale in Paris. Sie muß das „Gedächtnis der Nation“ nicht in einen Tiefspeicher versenken wie Österreichs Nationalbibliothek. Sie kann auch frisch sein, geräumig und einladend für jeden.

„Sie befinden sich in der rechten Herzkammer der Bibliothek, von hier geht es durch die Aorta in die große - Ausstellungshalle.“ Erland Kolding Nielsen, seit dreizehn Jahren Generaldirektor der Königlichen Bibliothek Dänemark, ist begeisterungsfähig. Momentan schlägt sein Herz (bei leichter Schwäche für alte Grönland-Expeditionsberichte) für 21.000 qm Beton, Glas und Stahl: Die Dänen nennen ihr soeben fertiggestelltes, Anfang September in Betrieb gehendes Bibliotheksgebäude, das architektonisch Rücken an Rücken mit der alten Königlichen Bibliothek steht, den „Schwarzen Diamanten“.

Von einem „Schmuckkästchen“ spricht etwas bescheidener Architekt Bjarne Hammer. Hochpolierter Granit aus Zimbabwe läßt die Fassade spiegeln. Monolithisch, rätselhaft thront der Bau, in dem bald zwei Millionen Bücher Einkehr halten, am Kopenhagener Hafen.

Er soll für intelligente Funktionalität stehen. Bei 250 PC-Arbeitsplätzen mit Internetanschluß, großräumigen Lesesälen mit indirektem Licht durch die verglaste Atriumshalle, fünf Ausstellungsräumen und einer 600 qm großen High-Tech-Mehrzweckhalle für Konzerte, Lesungen, Symposien etc. gewichtet die Bibliothek Forschung und kulturelle Vitalität gleichermaßen. Nicht vergessen hat Bjarne Hammer auf die Cafeteria, „in der man sich dann verlieben kann“, so Ex-Kulturministerin Jytte Hilden, die das Veranstaltungsprogramm im „Schwarzen Diamanten“ - die Namensgebung ist ihre Erfindung - leiten wird.

„Erstmals öffnet sich die Königliche Bibliothek der Arbeiterklasse“, konkretisiert Hilden den sozialen Anspruch der neuen Nationalbibliothek. Schon in den 80er Jahren hat das lutherische Dänemark den Kulturauftrag der nationalen Institutionen zeitgemäß umformuliert und mit der Modernisierung der Bibliotheken begonnen. Der Durchschnittsdäne entlehnt inzwischen 4,4 Bücher pro Jahr, der Durchschnittsösterreicher nur 2,2, also genau die Hälfte.


Europas Aufbruch

Europaweit besinnt man sich auf die Bibliothek als modernes Informationszentrum. Für viele Bürger bergen diese Einrichtungen die Chance einer ersten Begegnung mit dem Internet, Surf- und E-Mail-Erkundungen. Auch demokratiepolitisch sind die Bibliotheken, ihre Offenheit gegenüber einem vom jeweiligen Bildungsstand unabhängigen Publikum, unverzichtbar.

Weder in der Serviceleistung für junge Leute noch in der Präsentation von Kulturgut will Nielsen „Halbherzigkeiten“. Im neuen Gebäude, das knapp eine Milliarde Schilling kostete, ist „Verlebendigung“ das Motto: Die Bibliothek soll zum kulturellen Zentrum der Stadt werden. Architektonisch erhofft man sich vom „Schwarzen Diamanten“ zugleich ein Wahrzeichen für Kopenhagen „wie der Eiffelturm für Paris“.

In Dänemark beschwört man den Kulturauftrag nationaler Institutionen nicht nur in Reden, man tut auch einiges dafür. Unweit des Zentrums wurde am ehemaligen Schiffswerftgelände ein Universitätscampus errichtet, der mit einem Film-, Theater- und Architekturzentrum technisch wie inhaltlich alles bietet. Auch Regisseur Lars von Trier kehrt gerne an seine ehemalige Ausbildungsstätte zurück, um dort ein Filmprojekt zu realisieren.


Anschluß an Malmö

Im Jahr 2000 wird die acht Kilometer lange, zweistöckige „Øresund-Brücke“ Kopenhagen mit dem schwedischen Malmö verbinden. Dann sollen auch die schwedischen Studenten vermehrt den „Schwarzen Diamanten“ aufsuchen, um etwa die Originalmanuskripte von Inger Christensen, Hans Christian Andersen oder Søren Kierkegaard einzusehen. Oder gar Poma d'Ayalas Inka-Chronik von 1610. Stattliche Sammlungen (illegale Publikationen während der deutschen Besatzung '40-'45, eine Sammlung von mehr als 25.000 Kunstfotos seit 1839) stehen bereit. Tycho Brahes „großen Stahlquadranten von 1598“ kann man via Website (www.kb.dk) auch einfach so bewundern.

Bei einer Besichtigung pilgerte ein kleiner Trupp internationaler Journalisten staunend durch die lichtdurchflutete Atrium-Eingangshalle des „Schwarzen Diamanten“ über eine breite Rolltreppe zum Hauptlesesaal und begutachtete die Verbindungsbrücke, über die man vom neuen zum alten Gebäude setzt: Klein-Metropolis. Was äußerlich für manche vielleicht einem Sarkophag ähneln mag (Nielsen: „Das ist Geschmackssache.“), im Inneren ist es ein Ort der abenteuerlichen Muße.

9 | 8 | 7 | 5 | 6 | 4 | 3 | 2 | 1