Details

Architektur
Peter Zumthor
Tragwerksplanung
Jörg Buchli
Funktion
Denkmäler
Planung
1993
Abbruch
2004

Presseschau

13. November 2004TagesAnzeiger

Zumthor-Streit geht weiter

Der Streit zwischen dem Land Berlin und dem Schweizer Architekten Peter Zumthor um seinen Entwurf für das NS- Dokumentationszentrum «Topographie des Terrors» geht in die nächste Runde: Zumthor hat den Teilabriss des Zentrums gerichtlich stoppen lassen.

Der Streit zwischen dem Land Berlin und dem Schweizer Architekten Peter Zumthor um seinen Entwurf für das NS- Dokumentationszentrum «Topographie des Terrors» geht in die nächste Runde: Zumthor hat den Teilabriss des Zentrums gerichtlich stoppen lassen.

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26. Juli 2004Peter Reichel
Neue Zürcher Zeitung

Gedächtnisort anderer Art

(SUBTITLE) Ein Neuanfang der «Topographie des Terrors»

Erst trat der wissenschaftliche Leiter des für Berlin geplanten Dokumentationszentrums «Topographie des Terrors» zurück, dann wurde - nach jahrelangem Hin und Her - der Entwurf des Architekten Peter Zumthor zur Makulatur erklärt. Der Neuanfang, über den nun diskutiert wird, sollte die Besonderheit des Ortes (dort standen die Zentralen der Gestapo und der SS) konzeptionell stärker berücksichtigen.

Erst trat der wissenschaftliche Leiter des für Berlin geplanten Dokumentationszentrums «Topographie des Terrors» zurück, dann wurde - nach jahrelangem Hin und Her - der Entwurf des Architekten Peter Zumthor zur Makulatur erklärt. Der Neuanfang, über den nun diskutiert wird, sollte die Besonderheit des Ortes (dort standen die Zentralen der Gestapo und der SS) konzeptionell stärker berücksichtigen.

Bund und Berliner Senat haben sich nun festgelegt. Die Treppentürme des «genialen, aber unrealisierbaren» Zumthor-Baus werden abgerissen. Das Gelände südlich der heutigen Niederkirchner und früheren Prinz-Albrecht-Strasse 8, seit langem teils Freilichtdokumentation, teils Biotop, teils ruhende Baustelle und Containerprovisorium, bekommt eine dem historischen Ort und dem geschichtspolitischen Rang der «Topographie» angemessene Gestaltung. Das neue Zauberwort heisst «dienende Architektur». Damit ist der negativ definierte, immobile Zustand der letzten Jahre beendet. Aber das ist nur der erste Schritt. Es muss nun öffentlich darüber debattiert und auch substanziell definiert werden, was dort geschehen soll, architektonisch und dokumentarisch-inhaltlich, zumal die wissenschaftlichen und juristisch-politischen Diskussionen um Gewaltverbrechen und Schuld, um Täter, Opfer und Zeugen, auch um das Verhältnis von Justiz, Historiographie und Erinnerungspolitik weitergegangen sind.

«Terrorzentrale»

Zu wenig ist bisher im öffentlichen Bewusstsein verankert, warum dieser einstige Sitz der Befehls- und Verwaltungszentrale des nationalsozialistischen Terrorapparates der nationale «Gedächtnisort» der Bundesrepublik Deutschland schlechthin ist - und nicht etwa die Neue Wache oder das seiner Fertigstellung entgegenwachsende Holocaust-Mahnmal. Wie kein zweiter könnte er daran erinnern, dass der demokratisch-parlamentarische Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland die Wiederherstellung (und Verbesserung) jener politischen Ordnung ist, die das nationalsozialistische Unrechtsregime 1933 beseitigt hat. Diese «Negation der Negation», wie Ernst Fraenkel die politische Philosophie des Grundgesetzes charakterisiert hat, ist der dominante, für die Bonner wie für die Berliner Republik geradezu konstitutive und auch geschichtspolitisch massgebliche Bezug. Daraus leiten sich der überragende Rang dieses Ortes in der gebauten Erinnerungskultur Deutschlands ab und auch sein politischer Bildungsauftrag.

Insofern greift der Aufruf zum Minimalismus des Berliner Stadthistorikers Dieter Hoffmann- Axthelm - «Lasst das Gelände sprechen!» - zu kurz. Es geht um mehr als um das Gelände als das vermeintlich wichtigste Ausstellungsstück. Der authentische Ort, die Aura seiner Archäologie mögen den erlebnishungrigen Geschichtstouristen animieren. Die «Topographie» hat dort vor allem eine Beweissicherungspflicht und einen Aufklärungsauftrag zu erfüllen. Nicht weniger und nicht mehr. Insofern verträgt dieser Ort weder eine Fetischisierung zu einer Art «heiligen Brache» noch eine Ästhetisierung durch aufwendige architektur- oder denkmalkünstlerische Überbauung.

Ein zweiter Gesichtspunkt kommt hinzu. Der Ort, an dem sich nur noch wenige materielle Überreste einer darstellbaren, aber schwer verständlichen Vergangenheit finden, muss eine Geschichte erzählen, die Geschichte der Täter und der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, die dort geplant, für das von Hitlerdeutschland besetzte Europa koordiniert und dort in geringem Umfang auch ausgeführt wurden («Hausgefängnis»). Diese Aufgabe gewinnt an Dringlichkeit, wenn man sich die Asymmetrie im Ensemble der drei zentralen hauptstädtischen Erinnerungsorte vor Augen hält. Es herrscht darin ein gut gemeintes, aber doch nicht unbedenkliches Übergewicht zugunsten der - jüdischen - Opfergeschichte («Holocaust-Mahnmal», Jüdisches Museum). Aber auch in der Erinnerungspolitik zählt nicht allein die gute Gesinnung. Die Fehler, die bei der hastigen und gedankenlosen Umgestaltung der Neuen Wache gemacht wurden, haben sich ebenso gerächt wie die im Ansatz verfehlte bürgerschaftliche Initiative des «Holocaust-Mahnmals».

Wissenschaft und Öffentlichkeit

Yad Vashem ist nicht übertragbar, am allerwenigsten auf Deutschland. Bei allem Respekt gegenüber Peter Eisenman und seinem Werk: Wenn künstlerische Formsprache sich nicht im bloss Spektakulären und Beliebigen verlieren, sondern sinnbildend sein will, dann hat ein friedhofähnliches Stelenfeld seinen Ort über den Massengräbern der in Polen gelegenen einstigen Vernichtungslager, aber nicht im Zentrum Berlins. Wer sich einmal nach Treblinka begeben und die sepulkrale Architektur der polnischen Künstler Francisek Duszenko und Adam Haupt mit ihren Spuren sichernden Betonschwellen und Tausenden von Granitblöcken gesehen hat, dem wird diese Differenz sofort einsichtig.

In Berlin wurden die jüdischen Deutschen diskriminiert, ausgegrenzt, vertrieben und deportiert. Darauf verweisen - in Synagogen, an S-Bahnhöfen und anderswo - Erinnerungszeichen hohen denkmalkünstlerischen Anspruchs. Ihren gemeinsamen Bezug haben sie im Entscheidungszentrum des «Verwaltungsmassenmordes» (H. Arendt), in der «Topographie», die deshalb auch keine Gedenkstätte ist. Der gedächtniskulturelle Aspekt mit seinem affektiven und denkmalästhetisch- expressiven Vergangenheitsbezug ist dort nachgeordnet. Ihre spezifischen Aufgaben der Aufklärung und Deutung erfüllt die «Topographie» im Grenzbereich von politischer Kultur und Wissenschaft, also in einem Handlungsfeld, das durch Moral und Erkenntnis bestimmt wird.

Unterstrichen wird dieser öffentliche Auftrag durch jenes oft beklagte Problem des «Transfers» zwischen Wissenschaft und gesellschaftlicher Öffentlichkeit. Diese verlangt in der Befriedigung ihres Geschichtsbedarfs nach inhaltlicher Eindeutigkeit, nach Vereinfachung realgeschichtlicher Komplexität und nicht zuletzt nach emotional-anrührender, unterhaltsamer Information. Der Geschichtswissenschaft sind diesbezüglich enge Grenzen gezogen. Dieses Dilemma ist des Öfteren sichtbar geworden, insbesondere aber bei den beiden weltweit erfolgreichen Hollywood-Produktionen, dem «Holocaust»-Fernsehfilm und «Schindler's List», die ein Millionenpublikum erreichten. Die Vermittlungsformen eines auch visuell erfahrbaren Dokumentations- und Lernortes wie der «Topographie» erfüllen insofern eine kaum zu überschätzende Brückenfunktion, über die Jahr für Jahr einige hunderttausend Menschen erreicht werden.

Ihr überragender geschichtspolitischer Rang resultiert schliesslich noch aus einer dritten Überlegung. Wie kein anderer Ort muss die «Topographie» als eine aus bürgerschaftlichem Engagement hervorgegangene und später auch staatlich geförderte Institution des kulturellen Gedächtnisses vor allem die Vermittlung einer tat- und täterbezogenen Darstellung des Judenmords sicherstellen. Die nachwachsenden Generationen wollen und sollen aber auch wissen, woher die Täter kamen, wie sie in den Vernichtungslagern und den Mordaktionen der mobilen Einsatzgruppen zu Massenmördern wurden und nach 1945 in nicht geringer Zahl in die bürgerliche Gesellschaft zurückkehrten und zu Wohlstand und Reputation kamen. Indem die «Topographie» die Vor- und Verlaufsgeschichte des nationalsozialistischen Unrechtsregimes thematisiert und zugleich auch dessen «zweite Geschichte», also die bis in unsere Tage reichende politisch-justizielle und politisch- kulturelle Auseinandersetzung mit dieser Erblast, kann und muss sie je zeittypische Blickverkürzungen im öffentlichen Geschichtsbild korrigieren. Und die sind nicht von der Hand zu weisen.

Die Aufgabe

Seit langem ist die Tendenz zu beobachten, in der Dramaturgie der populären Holocaust-Erzählung nicht die Vorgeschichte des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen, sondern das Ende zu betonen, die Rettung der Überlebenden, den Neuanfang - und die Rückkehr Deutschlands in die westliche Zivilgesellschaft. Diese, Optimismus weckende Neigung zur Unterbelichtung der «Tätergeschichte» wird noch deutlicher, vergegenwärtigt man die jüngsten Debatten und Medienspektakel um «Bombenkrieg » und «Vertriebenenzentrum», in denen einmal mehr das deutsche Opfer- Selbstbild bekräftigt wird. Das zweite Beispiel ist die Herauslösung des Judenmords aus der deutschen Geschichte durch eine längst vollzogene Globalisierung der Gedenkkultur und eine Inflationierung des Holocaust-Begriffs. Immer mehr bedrohte ethnische Minderheiten und gefährdete soziale Gruppen adaptieren diesen längst universalen Topos, um in der Konkurrenz um Opferstatus und Opferanerkennung auf ihre Leidensgeschichte aufmerksam zu machen.

Die «Topographie des Terrors» muss diese Entwicklungen selbstverständlich beachten und thematisieren. Vor allem aber muss sie gegen alle relativierenden, reduktionistischen und revisionistischen Deutungen ihren Auftrag und Ausgangspunkt definieren und öffentlich dokumentieren: Die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen sind nicht zwangsläufig, aber auch nicht zufällig in Deutschland bzw. in den von ihm besetzten Teilen Europas geschehen. Wer verstehen will, was das heisst, muss immer wieder die eine, vor allem für Deutsche beunruhigende Doppelfrage stellen: warum Hitler nicht verhindert werden konnte und warum die Gewaltverbrechen gerade in Deutschland geschehen sind. Darüber hinaus sollte die «Topographie» den Judenmord mit den anderen Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit konfrontieren und in das Jahrhundert der Moderne und der Barbarei einordnen. Sie würde uns dann nicht nur erlauben, Berlin und Auschwitz als die beiden wichtigsten deutschen Gedächtnisorte zu verstehen, sie könnte womöglich unser Bewusstsein schärfen für die Gefährdung der menschlichen Zivilisation überhaupt.

[ Der Autor ist Professor für historische Grundlagen der Politik an der Universität Hamburg. Zuletzt erschien von ihm das Buch «Erfundene Erinnerung. Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater» (Verlag Carl Hanser, München 2004). ]

02. Juni 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Abrissbirnenlösung

(SUBTITLE) Ernüchterung nach dem Scheitern des Berliner «Topographie»-Neubauprojektes

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten...

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten...

Die deutsche Bundesregierung und das Land Berlin haben, wie kurz gemeldet (NZZ 27. 5. 04), beschlossen, das Neubauprojekt des vom Schweizer Architekten Peter Zumthor geplanten Berliner Dokumentationszentrums für die Stiftung «Topographie des Terrors» abzubrechen und das Projekt neu auszuschreiben. Was nach jahrelanger Ungewissheit auf den ersten Blick wie ein Befreiungsschlag wirkt, wirft doch einige Fragen auf. Dass die Ursache für die endlose Bauverzögerung nicht allein in den wiederholten Pleiten beteiligter Firmen liegen konnte, wie die Berliner Bauverwaltung lange glauben machte, dass vielmehr die Schwierigkeiten in Zumthors aufwendiger Beton- Stabwerkskonstruktion selbst gründeten, war in Anbetracht der nun seit mehr als zwei Jahren verödeten Baustelle offensichtlich.

Von den Diskussionen zwischen Architekt, Stiftung und Bauverwaltung drang jedenfalls genug an die Öffentlichkeit, dass auf eine heillos verfahrene Situation geschlossen werden konnte. So gesehen erscheint der Schlussstrich, den die Berliner Bausenatorin, Ingeborg Junge-Rever, und die Kulturbeauftragte der Bundesregierung, Christina Weiss, gemeinsam gezogen haben, verständlich. Das überstürzte Tempo, mit der die Kehrtwende nun vollzogen wurde, und die Art und Weise, wie man den Beschluss öffentlich machte, ohne vorab den Architekten zu informieren, lassen allerdings noch nicht unbedingt darauf schliessen, dass das Projekt bereits von einem neuen Stil beseelt wäre.

Es bleibt zudem die Frage, wie es dazu kommen kann, dass erst neun Jahre nach Grundsteinlegung eines Baus und der Vollendung von drei Treppenhäusern ein Gebäude als zu risikoreich nicht nur in seiner Realisierung, sondern auch hinsichtlich seiner späteren Betriebskosten eingeschätzt wird, wie dies nun ein Gutachten tut. Bei allen baulichen Unwägbarkeiten - das Scheitern des einst als architektonische Ergänzung zu Jüdischem Museum und Holocaust-Mahnmal auf den Weg gebrachten Projektes stellt eine Bankrotterklärung für alle Beteiligten dar. Über 13 Millionen Euro hat man in den Berliner Sand gesetzt, es könnten noch ein paar mehr werden, wenn die bereits erstellten Treppenhäuser abgerissen werden müssen oder Schadenersatzansprüche folgen. Zumthor lässt gegenwärtig seinerseits rechtliche Schritte prüfen.

In den letzten Tagen war oft davon die Rede, dass der authentische «Ort der Täter», an dem einst ein Teil des NS-Machtapparates sass, keine Memorialarchitektur benötige, sondern eine schlichte Anmutung. Vergessen scheint, dass man sich genau aus diesem Grund 1993 für Zumthors minimalistischen Entwurf entschieden hatte. Nun wird ein Wettbewerb neu ausgeschrieben werden müssen, um mit dem Restbudget von rund 25 Millionen Euro ein neues Haus zu entwerfen, zu bauen und einzurichten. Die Aufgabe ist nicht leichter geworden.

20. April 2004Der Standard

Möglicher Neubeginn des Projekts „Topographie des Terrors“

Nach Grundsteinlegung vor neun Jahren und Baustopp wegen Kosten­über­schreitung wird Neuanfang diskutiert

Nach Grundsteinlegung vor neun Jahren und Baustopp wegen Kosten­über­schreitung wird Neuanfang diskutiert

Vier Jahre nach dem Baustopp für das Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ auf dem Gelände der einstigen NS-Gestapozentrale in Berlin schließt die Bundesregierung einen völligen Neubeginn des Projekts nicht mehr aus. „Es ist ein Punkt erreicht, bei dem man jetzt entscheiden muss - entweder Berlin beginnt zu bauen, oder man kommt zu der Überzeugung, alles nochmal von vorne zu beginnen“, sagte Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) am Montagabend in der ARD-Sendung "Monitor.

Der Bund stelle seit Jahren die Hälfte der Baukosten bereit. „Das Geld liegt brach und wird nicht abgerufen“, kritisierte Weiss. Die Gesamtkosten werden derzeit mit 38 Millionen Euro beziffert.

Grundstein-Legung 1995 - Baustopp wegen Kostenüberschreitung

Das architektonisch ambitionierte Projekt nach den Entwürfen des Schweizers Peter Zumthor war ursprünglich auf 18 Millionen Euro veranschlagt worden. Die Grundstein-Legung fand 1995 statt.

Wegen immenser Kosten-Überschreitungen und technischer Probleme mit der aufwändigen Stabbau-Konstruktion wurden die Arbeiten im März 2000 eingestellt. Zumthor überarbeitete seinen Entwurf, um Kosten einzusparen. Bis heute stehen auf dem Gelände nur drei Treppentürme.

Der wissenschaftliche Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Reinhard Rürup, hatte bereits Ende März aus Protest gegen die bestenfalls lauwarme Unterstützung der Politik für das Projekt seinen Rücktritt erklärt. Elf Jahre nach der Wettbewerbsentscheidung seien weder Zumthor noch Berlins Bauverwaltung in der Lage gewesen, einen verlässlichen Termin für die Übergabe des Gebäudes zu nennen. In der „Monitor“-Sendung betonte Rürup die Notwendigkeit, neben dem Holocaust-Mahmal zur Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes auch ein Dokumentationszentrum zu errichten, das das Verhalten der Täter reflektiert und eine Gesellschaft, in der es zum Holocaust kommen konnte.

Der designierte Berliner SPD-Landesvorsitzende Michael Müller stellte unterdessen den Zumthor-Entwurf in Frage. „Es ist unerträglich, dass dort auf der Baustelle seit drei, vier Jahren nichts passiert“, sagte Müller der „Berliner Zeitung“ vom Dienstag. Die Stiftung „Topographie des Terrors“ brauche dringend ein Gebäude, „das muss aber nicht zwingend ein Entwurf des Architekten Peter Zumthor sein“.

31. März 2004Claudia Schwartz
Neue Zürcher Zeitung

Die Republik in der Pflicht

Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors ist gefährdet

Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors ist gefährdet

Er griff zum letzten Mittel, das übrig blieb: Reinhard Rürup, der wissenschaftliche Leiter der Stiftung Topographie des Terrors, ist, wie bereits gemeldet, von seinem Amt zurückgetreten. Nach nahezu zwei Jahrzehnten unermüdlichen Engagements und nachdem der auf dem Gebiet des Nationalsozialismus international renommierte Historiker trotz allen Rückschlägen während Jahren mit bewundernswerter Integrität an dem Neubauprojekt der Stiftung festgehalten hat. In dem vom Schweizer Architekten Peter Zumthor entworfenen Dokumentationszentrum soll dereinst über die Mechanismen des Machtapparates im «Dritten Reich» informiert werden.

Seit Ende 1999 dauert mittlerweile der Baustopp auf dem brachliegenden Gelände in Berlin- Kreuzberg, wo einst Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt ihren Sitz hatten. Von den seither regelmässig aus der Verwaltung tropfenden Meldungen über einen geplanten Weiterbau nimmt kaum noch einer Kenntnis, erweisen sie sich doch ausnahmslos als jene - wie es ein ehemaliger Berliner Kultursenator einmal formulierte - «Bemühenszusagen», mit der die Politik in dieser Stadt unermüdlich, aber folgenlos die eigene Entschlossenheit demonstriert.

Rürups Rücktritt ist, wie die «Frankfurter Rundschau» anprangert, nicht nur eine «Schande für alle übrigen Beteiligten», sondern auch ein Schuss vor ihren Bug. Denn was in Berlin Bemühenszusage heisst, nennt sich auf Seiten der Bundesregierung seit längerem Absichtserklärung: Als das Erinnerungsprojekt vor drei Jahren bereits im Berliner Treibsand aus Inkompetenz und Finanznot zu versinken drohte, kündigte der Bund an, die Baukosten zur Hälfte zu übernehmen - vorausgesetzt, der Kostenrahmen von rund 39 Millionen Euro werde eingehalten. Doch liess man die Lokalpolitik in gewohnter, wenig kostensparender Weise weiterwursteln: Die unendliche Geschichte nahm ihren Fortgang mit dem Konkurs von am Bau beteiligten Firmen, Neuausschreibungen sowie Überarbeitungen durch den Architekten, dessen Entwurf sich Berlin in den Neunzigern gerne ans Revers heftete, wenn es um den Nimbus einer Stadt der Architektur ging.

Schwere Vorwürfe richtet der scheidende Direktor nun nicht zuletzt an die Adresse der Kulturabteilung im Kanzleramt unter Christina Weiss. Offenbar wollte man dort in Anbetracht der anhaltenden Unsicherheit des Bauprojektes Druck auf den Berliner Senat ausüben und kündigte die Streichung von Sondermitteln für die Erstausstattung der geplanten Einrichtung an. Man will den Berliner Schlendrian schlagen und trifft damit die Stiftung Topographie des Terrors mitten ins Herz, indem man dem nicht bestehenden Haus nun auch noch den Inhalt nimmt. Die zur Diskussion stehenden Mittel sind bereits fest eingeplant in die zukünftige Darstellung der Geschichte des nationalsozialistischen Unterdrückungsapparates. Als Beitrag zum diesjährigen Gedenken an den Widerstand des 20. Juli 1944 zogen Rürup und sein Team einen diesbezüglichen Schwerpunkt vor mit einer Schau über das Gestapo-Gefängnis, über «Terror und Widerstand 1933-1945». Sie sollte ab Mai auf dem Topographie-Gelände zu sehen sein und muss nun abgesagt werden.

Verärgert zeigt sich der für gewöhnlich sehr zurückhaltende Rürup auch deshalb, weil das Kanzleramt nicht erst das Gespräch mit der Stiftung suchte, um die akuten Folgen abzuwägen, sondern es der Berliner Kulturverwaltung überliess, die Einrichtung vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein wahrlich berlinischer und jedenfalls unwürdiger Umgangston gegenüber einer Institution, die einen international hoch angesehenen Beitrag zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen leistet. Die Bundesregierung will mit ihrem Vorstoss die Hauptstadt an ihre Hausaufgaben erinnern und versetzt der Topographie des Terrors womöglich den Todesstoss. Die Einrichtung steht schon länger auf der Kippe. Mit dem Abgang von Reinhard Rürup, mit dessen Person das Projekt aufs Engste verknüpft ist, erscheint die Vollendung des Ausstellungszentrums unsicherer denn je.

Der Bund hat sich mit Vehemenz zwei Grossprojekte der Erinnerungskultur zur eigenen Angelegenheit gemacht: das zentrale Holocaust-Mahnmal und das Jüdische Museum - repräsentative Einrichtungen mit hohem Symbolwert das eine wie das andere. Umso stärker tritt die Halbherzigkeit zutage, mit der sich die Politik der Topographie des Terrors zuwendet. Für einmal geht es nicht darum, wohlwollend Gesinnung kundzutun. Es geht darum, Verantwortlichkeit in die Tat umzusetzen. Das Gelände Topographie des Terrors ist ein historischer Ort des Schreckens inmitten der deutschen Hauptstadt. Die Stiftung hat die Aufgabe, über die Systematik des nationalsozialistischen Unrechtsstaates, über die Strukturen der Täter aufzuklären. Das ist keine berlinische Angelegenheit, sondern eine der Berliner Republik.

21. August 2003TagesAnzeiger

Berlin lässt Zumthor weiterbauen

Nach langem Seilziehen darf der Schweizer Architekt Peter Zumthor das NS-Dokumentationszentrum «Topografie des Terrors» in Berlin doch noch zu Ende bauen

Nach langem Seilziehen darf der Schweizer Architekt Peter Zumthor das NS-Dokumentationszentrum «Topografie des Terrors» in Berlin doch noch zu Ende bauen

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