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Presseschau

19. Januar 2004Oliver Elser
Der Standard

Netter Nobody im Fegefeuer der Eitelkeiten

(SUBTITLE) Kopf des Tages

Michael Arad wird die Auszeit gut gebrauchen können, die ihm sein Arbeitgeber, die New Yorker Wohnungsbaubehörde, ursprünglich deshalb gewährt hatte, weil der junge Architekt sich mehr um seinen fünf Monate alten Sohn Nathaniel kümmern wollte.

Michael Arad wird die Auszeit gut gebrauchen können, die ihm sein Arbeitgeber, die New Yorker Wohnungsbaubehörde, ursprünglich deshalb gewährt hatte, weil der junge Architekt sich mehr um seinen fünf Monate alten Sohn Nathaniel kümmern wollte.

Seit entschieden wurde, dass Arads Entwurf für das Memorial für das World Trade Center zur Ausführung kommen wird, steht er im Rampenlicht. Wo er sich nicht sonderlich wohl zu fühlen scheint - aber gerade das macht ihn zu einer sympathischen Figur. Der 31-jährige Arad repräsentiert den netten, schüchternen Nobody, dessen Persönlichkeit vollständig hinter seinem Entwurf verschwindet.

Das Publikum nimmt es mit Wohlwollen zur Kenntnis, hatte sich Ground Zero doch in den letzten Monaten zu einem Schauplatz der Eitelkeiten entwickelt. Der Bau des „Freedom Tower“ drohte wegen der Hahnenkämpfe ins Stocken zu geraten, in die sich Daniel Libeskind und sein vom Bauherrn aufgezwungener Partner verstrickten.

Um sich die Divenhaftigkeit von Stararchitekten wenigstens beim Memorial-Wettbewerb zu ersparen, wurde dieser so offen wie möglich ausgeschrieben. Beteiligen konnten sich alle Bewohner des Planeten Erde jeder Profession, was dann auch zu einem Feld von 5201 Kandidaten führte. Aus diesem Heuhaufen zog die Jury acht Arbeiten heraus, die in die zweite Entscheidungsrunde gelangten. Arads Entwurf galt bis zuletzt als Außenseiter - sehr spröde, minimalistisch, mit zu wenig Pathos beladen. Doch dann tat sich Arad mit dem angesehenen, mehr als doppelt so alten Landschaftsarchitekten Peter Walker zusammen und konnte die Kritiker besänftigen. Die Wasserbassins in den „Fußabdrücken“ des zerstörten World Trade Centers sollen nun von einem Park eingefasst werden.

Obwohl Arad bisher nicht mit Mahnmalen oder Projekten vergleichbarer Größe in Berührung gekommen war, könnte er dennoch genug Lebenserfahrung haben, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein: Der israelische Staatsbürger und Sohn eines Diplomaten verbrachte seine Kindheit in Israel, Mexiko und den USA, ging zum Militärdienst nach Israel zurück und lebt seit 1991 dauerhaft und verheiratet in New York, hat ein Kind und zwei Hunde.

Rückendeckung für Arad kommt von Jurymitglied Maya Lin, die 1980 als 21-jährige Architekturstudentin den Wettbewerb für das Mahnmal der Vietnamveteranen gewonnen hatte. Auch sie verzichtete auf große Gesten und schuf mit ihrer Wand aus Abertausenden Namen getöteter Soldaten eine neue, individualisierte Form des Gedenkens. In Arads Entwurf sollen die Namen der 2982 New Yorker Opfer des 11. Septembers in zufälliger Reihenfolge erscheinen, um das Chaos und die grausame Beliebigkeit an jenem Tage festzuhalten.

16. Januar 2004Oliver Elser
Der Standard

Klösterliche Abschottung in der Stadt, die niemals schläft

Michael Arad, der Wettbewerbssieger für das Ground-Zero-Mahnmal hat seinen überarbeiteten Entwurf vorgestellt. Relikte des Terroranschlags sollen nun in unterirdischen Hallen präsentiert werden. Die strenge Symbolik des Memorials droht verloren zu gehen.

Michael Arad, der Wettbewerbssieger für das Ground-Zero-Mahnmal hat seinen überarbeiteten Entwurf vorgestellt. Relikte des Terroranschlags sollen nun in unterirdischen Hallen präsentiert werden. Die strenge Symbolik des Memorials droht verloren zu gehen.

Wer je New York besucht hat, dem werden sich nicht nur die Hochhäuser und das Gedränge in den Straßenschluchten ins Gedächtnis eingebrannt haben.

Die Stadt, die niemals schläft, ist von einem permanenten Lärmpegel erfüllt. Ständig heult irgendwo eine Polizei- oder Feuerwehrsirene. Da war es fast nahe liegend, dass der junge Architekt Michael Arad bei seinem Mahnmalentwurf für Ground Zero auf den mächtigsten natürlichen Filter gegen den Großstadtlärm zurückgriff. Er verwandelt die „Footprints“ der beiden zerstörten Türme in riesige versenkte Becken, zu denen das Wasser vom Rand der einstigen Krater herabstürzt wie an den Niagarafällen. Das rauschende Wasser schottet den Ort akustisch gegen die Außenwelt ab.

Nachdem bereits in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass sich Arad mit seinem minimalistischen Entwurf gegen den Multimedia-Schnickschnack der anderen Bewerber durchsetzen konnte, ist nun der vorerst letzte Stand der Pläne veröffentlicht worden.

Sanfter Druck aus Reihen der Wettbewerbsjury sorgte dafür, dass Michael Arad mit einem mahnmalerfahrenen Landschaftsarchitekten zusammengespannt wurde, der sich für eine Bepflanzung des riesigen Areals stark machte. Auch Daniel Liebeskind, der mittlerweile in die Rolle des Beraters abgeschobene Masterplaner, hatte einen Park vorgeschlagen und auf eine Überarbeitung des ursprünglich strengen, in nüchternem Schwarz-Weiß gezeichneten Plans gedrängt. Und nicht zuletzt die Opferverbände fanden Gehör. Arad erweiterte seine Mahnmalanlage um weitere unterirdische Räume, wo die Relikte des Terroranschlags nun ausgestellt werden sollen.

Wie so oft führte der Wunsch, es möglichst allen irgendwie Beteiligten recht machen zu wollen, zu geradezu absurden Ergebnissen. Noch am verständlichsten ist die Bepflanzung der ehemaligen „World Trade Center Plaza“. Dort gab es auch vor dem Terrorangriff einen öffentlichen Ort, einen der seltenen Freiräume auf der dicht gepackten Spitze Manhattans. Auch künftig werden hier Pausensandwiches verzehrt und nicht nur Trauerbesuche absolviert werden. Der Weg hinab an den Rändern der Wasserfälle entlang wird nun nicht mehr durch wuchtige Betonröhren führen, auch da ist die Veränderung eine Verbesserung.


Unterirdische Halle

Der eigentliche Ort des Gedenkens aber wurde gigantisch aufgeblasen. Die bisherigen Pläne zeigten eigentlich eine schlichte, zur Seite der Wasserbecken offene Galerie. Hinter einem Schleier aus herabrauschendem Wasser konnten die Besucher um die Leerstelle der beiden Hochhäuser herumgehen, begleitet von einer Brüstung, die die Namen der Opfer trägt.

Diese fast klösterliche Anlage wird nun um eine ganze Etage erweitert, die unter der Wasserfläche der Bassins liegt. Den Boden dieser mit 10.000 Quadratmetern Grundfläche wahrhaft gigantischen Halle bildet die unerschütterliche Granitschicht, die den Hochhäusern Manhattans ihr Fundament gibt und nach dem 11. 9. 2001 zum metaphorischen Rückgrad der Nation erklärt wurde.

Die Ingenieurleistung, unter dem Becken noch eine weitere Ebene einzuziehen, ist nicht nur ein grotesker technischer Kraftakt, sondern stellt die Symbolik des ganzen Entwurfs auf den Kopf. Bisher verschwand das von den Kraterwänden herabstürzende Wasser durch einen quadratischen Abfluss inmitten des Bassins irgendwo in der Tiefe. Sein Lauf bleibt dem Betrachter verborgen - ein leiser Hinweis auf die Ohnmacht, der die Opfer ausgeliefert waren.

Nun muss das Wasser über der Halle abgefangen werden, damit die Besucher der Gedenkstätte trockene Füße behalten. Sie schauen durch den Ablauf des Wasserbassins in den Himmel und werden sich wundern, wie man die tosende Gewalt des Wasserfalls zu ihren Köpfen einfach abschneiden kann.

Das absurde Bild wird wohl nur mithilfe von Spezialisten aus dem Entertainmentpark-Bereich realisiert werden können. Da mögen Türme einstürzen und Imperien ins Wanken geraten, aber trotzdem behalten wir die Kontrolle, soll das wohl heißen.

10. Januar 2004Andrea Köhler
Neue Zürcher Zeitung

Fussabdruck der Leere

(SUBTITLE) Ein Denkmal für Ground Zero in New York

Am vergangenen Mittwoch ist der lang diskutierte Entscheid betreffend die Gestaltung der Gedenkstätte für die Opfer des 11. September gefallen (vgl. NZZ vom 8. 1. 2004). Der kargste Entwurf schien aus der Sicht der professionellen Architekturkritiker am konsensfähigsten; ob er die Bedürfnisse der Besucher erfüllt, ist eine andere Frage.

Am vergangenen Mittwoch ist der lang diskutierte Entscheid betreffend die Gestaltung der Gedenkstätte für die Opfer des 11. September gefallen (vgl. NZZ vom 8. 1. 2004). Der kargste Entwurf schien aus der Sicht der professionellen Architekturkritiker am konsensfähigsten; ob er die Bedürfnisse der Besucher erfüllt, ist eine andere Frage.

Am vergangenen Mittwoch ist der lang diskutierte Entscheid betreffend die Gestaltung der Gedenkstätte für die Opfer des 11. September gefallen (vgl. NZZ vom 8. 1. 2004). Der kargste Entwurf schien aus der Sicht der professionellen Architekturkritiker am konsensfähigsten; ob er die Bedürfnisse der Besucher erfüllt, ist eine andere Frage.

Ein «Tränensee» war in einem Entwurf vorgesehen, 92 «Hoffnungsbotschaften» sollten in einem andern Vorschlag in die Mauern gemeisselt werden, 2892 schwebende Grabkerzen sah ein drittes Modell vor. Zwei Gärten voller Gedenkstelen, ein Hain mit Ahornbäumen, eine überdimensionale Wolke aus Licht, Beton und ambitioniertem Formwillen kamen in die Endauswahl für den «grössten Architekturwettbewerb aller Zeiten» - die Gedenkstätte auf Ground Zero. Vielerlei Auflagen und Sonderinteressen hatten der Ausschreibung für das Memorial von vorneherein ein kaum zu bewältigendes Programm aufgebürdet. Nicht nur der Toten der Terroranschläge vom 11. September sollte gedacht werden, sondern auch der Opfer des Bombenanschlags auf das World Trade Center im Jahr 1993. Die Toten selbst sollten, auf Wunsch der Feuerwehrleute und Polizisten, noch einmal unterschieden werden in Helden und gewöhnliche Opfer. Ein Extra-Raum für die nicht identifizierten sterblichen Überreste, einer für die Angehörigen und ein Platz für offizielle Zeremonien, ein Ort, an dem das Ereignis des 11. September dargestellt wird, und eine gestaltete Grünfläche wurden verlangt - und allem voran ein Denkmal, das nicht nur den Verlust repräsentiert, sondern auch Hoffnung und Trost spendet. So kamen jene multifunktionalen Modelle in die finale Runde, die vor allem eines auslösten: schrille Ablehnung.


Kakophonie der Interessen

Wie ein Aromatherapie-Center sähen all diese Entwürfe aus, schrieben die Architekturkritiker, wie ein Freizeitpark für die Psychobubble-Society, voller Kitsch, planer Volkspädagogik und ohne jede symbolische Kraft, ja geradezu wie die Design gewordene Vermeidung jeder Erinnerung an die Tragödie. Als die wochenlang tobende Diskussion um das Mahnmal auf «heiligem Grund» in die letzte Phase getreten war, schwoll der Chor der Unzufriedenen an zu einer Kakophonie, die die diversen Interessen kongenial zum Ausdruck brachte. Mehr als zwölf Stunden hatte die 13- köpfige Jury für ihre endgültige Entscheidung getagt - und von den zuletzt favorisierten beiden Modellen keines genommen. Der Sieger, «Reflecting Absence» von Michael Arad und Peter Walker, war bis zum Schluss der nur hinter vorgehaltener Hand erwähnte Joker im Spiel. Es sieht so aus, als wäre die Wahl dieses minimalistischsten aller Entwürfe vor allem das Ergebnis eines nicht zu erlangenden Kompromisses: Je mehr Absenz, desto weniger gibt es, worüber zu streiten wäre.

Michael Arads Modell ist das von den meisten Architekturkritikern am ehesten begrüsste und von den Hinterbliebenen und Feuerwehrleuten am heftigsten kritisierte Modell - in jedem Fall ist es die finsterste aller vorgeschlagenen Visionen. Von 5201 Entwürfen aus 63 Ländern hatten es 8 in die finale Runde geschafft; deren Modelle und Computer-Animationen sind derzeit im restaurierten Wintergarten des World Financial Center ausgestellt.

Schon wahr, einige der Entwürfe sparten nicht mit salbungsvollen Begriffen, sonderlich der immer wieder beschworene «Kreislauf des Lebens», der repräsentiert werden solle, suggeriert einen natürlichen Vorgang von Sterben und Wiedergeburt, wo Terror und Technik an die 3000 Leben auslöschten. Doch was die Kritiker der publikumsfreundlicheren Modelle höhnisch als Wellness-Ästhetik abtun, ist in Wahrheit ein Zugeständnis an den legitimen Wunsch der Besucher, nicht durch dräuende Mauern, schlauchartige Gänge und brutalen Beton in eine klaustrophobische Trauerstarre versetzt zu werden: ein Design, wie es das nun gekürte Modell - wenigstens in seiner ursprünglichen Version - vorsieht. Arads Modell besteht im Wesentlichen aus zwei Wasserbassins, die in die sogenannten «Fussabdrücke» der ehemaligen Zwillingstürme eingelassen sind - die «kraftvolle und simple Artikulation» der Footprints mache «die hinterlassenen klaffenden Lücken zu elementaren Symbolen des Verlustes», erklärte der Jury-Sprecher Vartan Gregorian. Vom Strassenlevel fällt Wasser in die neun Meter tiefen Becken; unterirdische Gänge geben den Blick auf die Wasservorhänge frei. Der Platz zwischen den Fundamenten, der ursprünglich kahl bleiben sollte, ist von dem erst neuerdings hinzugekommenen Landschaftsarchitekten Peter Walker mit einem Pinienwäldchen versehen worden; wie aus Insiderkreisen verlautet, hat erst diese Ergänzung den Ausschlag für das kahlste und kälteste der Modelle gegeben.


Mahnmal oder Gedächtnisort?

Die Erhaltung und kreative Gestaltung der Twin-Tower-Sockel war eine der wesentlichen Auflagen für die Ausschreibung des Designs. Für viele Kritiker allerdings ist das Hauptelement in diesem Entwurf bisher nicht erfüllt: die Einbeziehung der verbliebenen Reste der Türme auf dem inzwischen geräumten Ruinenfeld von Ground Zero - die aus dem Boden ragenden Stahlträger und der Zugang zu den tiefer liegenden Fundamenten. Der endgültige Entwurf, der erst nächste Woche bekannt gemacht wird, wird mit dem bisher gezeigten so wenig mehr gemein haben, dass noch niemand ein Urteil abgeben mag. Gleichwohl bleibt ein wesentlicher Einwand bestehen: Arads Modell wird nicht umsonst seiner Düsternis und Strenge wegen gefürchtet. Naturgemäss wurden in der hitzigen Diskussion um die angemessene Gestalt des Denkmals häufig Vergleiche laut - mit dem Vietnam Memorial des Jurymitgliedes Maja Lin beispielsweise oder dem Holocaust Museum von Washington, ja gar mit der Berliner Gedächtniskirche.

Eine Gedenkstätte für die Toten aber ist kein Mahnmal gegen Menschheitsverbrechen und Krieg, sondern ein Ort der Erinnerung. Sie soll den Verlust reflektieren, nicht Schuld und Terror. Und keineswegs muss sie, wie auch gefordert, «die Frage stellen, warum die Terroristen uns hassen». Sicher: Die Erinnerung an die Toten des Terrors braucht ein Symbol der Trauer, das das Geschehene mitreflektiert. Doch soll es zugleich die Hinterbliebenen trösten, die ihre Nächsten nicht haben begraben können. Schon deshalb muss dieses Memorial - wie jeder Friedhof - ein Ort sein, an dem man sich aufhalten mag. Die Entscheidung für Arads «Reflecting Absence» ist die Entscheidung nicht für einen Erinnerungsort, sondern für ein Mahnmal. Es erinnert in seiner bis anhin gezeigten Version fatal an ein Mausoleum, in dem die Absenz alles Lebendigen auch für die Zukunft festzementiert werden könnte.

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