Details

Adresse
Tor Tre Teste, Rom, Italien
Architektur
Richard Meier
Funktion
Sakralbauten
Planung
1996
Fertigstellung
2003

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Dio Padre Misericordioso
http://www.diopadremisericordioso.it/

Presseschau

10. September 2006Franziska Leeb
Spectrum

Weiß, pur, klar

Rom jubelt, Rom schimpft. Zwei Bauten Richard Meiers: eine Kirche, die weiß ist und weiß bleibt, und ein Museum, das ein Monument einhüllt - und manche an eine Tankstelle oder eine Kläranlage erinnert.

Rom jubelt, Rom schimpft. Zwei Bauten Richard Meiers: eine Kirche, die weiß ist und weiß bleibt, und ein Museum, das ein Monument einhüllt - und manche an eine Tankstelle oder eine Kläranlage erinnert.

Ein jüdischer Architekt hat den Wettbewerb für den Neubau einer Kirche in Rom gewonnen", vermeldete Radio Vatikan vor zehn Jahren. Es ging nicht um irgendeine Kirche, sondern um die „Jubiläumskirche“ für das Heilige Jahr 2000. Fertiggestellt wurde sie erst drei Jahre später. Und jetzt, wo die Jubelhymnen des internationalen Architekturfeuilletons über den spektakulären Sakralbau verstummt sind, der Ansturm der Architekturtouristen sich gemäßigt hat und das effektvoll publizierbare Gotteshaus sich im Alltag bewähren muss, kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass es nicht unbedingt einen guten Katholiken als Architekten braucht, um hochklassige, spirituelle Kirchenarchitektur zu planen. Richard Meier - bekannt für seine ausgeprägte architektonische Handschrift und die stets weißen Bauten - gewann den Wettbewerb gegen seine renommierten Kollegen Frank Gehry, Günther Behnisch, Santiago Calatrava, Peter Eisenman und Tadao Ando. Fast zeitgleich beauftragte der damalige römische Bürgermeister und jetzige Kulturminister Francesco Rutelli den New Yorker Pritzker-Preisträger direkt mit der Planung einer neuen, heuer fertiggestellten Einhausung der Ara Pacis im historischen Zentrum und sorgte damit für eine hitzige Architekturdebatte. Doch davon später.

Den Akzent des schwarzen Priesters, der im August den Pfarrer vertritt, versteht die rüstige Pensionistin nicht recht und zieht deshalb ein Schwätzchen auf dem Kirchenvorplatz der Predigt vor. Aber auf die neue weiße Kirche ist sie ebenso wie die anderen Gemeindemitglieder sichtlich stolz.

Wie ein Schiff mit drei riesigen, vom Wind geblähten Segeln steht der strahlend weiße Bau inmitten des Wohnviertels Tor Tre Teste am östlichen Stadtrand von Rom. Auf den ersten Blick ist er ein Fremdkörper zwischen den hohen Wohnblocks. Eine weitläufige, mit Travertin gepflasterte Piazza liefert dem glamourösen Schiff einen adäquaten Ankerplatz. Mauern umgeben den schlichten, unmöblierten Platz. Die profane Umgebung ist weitgehend ausgeblendet. Die Vermutung, es sei Überheblichkeit und Effekthascherei bei der Konzeption dieses katholischen Prestigebaus im Arbeiterviertel zugange gewesen, zerschlägt sich vor Ort sofort. Kirche und Platz sind ein Hort der Ruhe und eine städtebauliche Mitte in einer disparaten Umgebung. Schnell erschließt sich das Gebäude, das trotz der eigenwilligen Form durchaus klassischen Kirchenkonzeptionen mit Hauptschiff, Seitenschiffen und Glockenturm entspricht. Viel Tageslicht - und im August auch die Sommerhitze - erfüllen den Kirchenraum durch die verglasten Dächer, die zwischen die weißen Betonscheiben gespannt sind. Innovative Technologie soll das Weiß der Kirche „Dives in Misericordia“ langfristig erhalten.

Mehl aus Carraramarmor macht die Betonfertigteile strahlend weiß, und beigemengte Partikel aus Titanoxid - das Ganze nennt sich fotokatalytischer Zement - sorgen dafür, dass organische Schmutzpartikel durch Sonneneinstrahlung abgebaut werden.

Neben der lichtdurchfluteten Kirche beinhaltet der Komplex ein viergeschoßiges Gemeindezentrum, das im Norden an den hohen Kirchenraum anschließt. Es ist erstaunlich, wie pur sich das Innere auch nach einigen Jahren Gebrauch präsentiert. Keine Spur von Gummibäumen und Teppichen, mit denen in modernen Kirchen oft hilflos wirkende Versuche zur Vergemütlichung eines kargen Raumes unternommen werden. Meier gelang trotz der Klarheit und Absenz von Farbe ein Raum von hoher Spiritualität, der selbst ohne Hintergrundwissen zum Symbolgehalt sich den Besuchern und Gläubigen zu erschließen vermag. So richtig überzogen wirken eigentlich nur die von Bulgari für die Kirche hergestellten liturgischen Gegenstände aus Silber, die wie in einem Juwelierladen präsentiert werden.

Wenig schmeichelhaft hingegen sind die Attribute, die Meiers zweitem Bau in Rom zugedacht wurden: Tankstelle oder gar Kläranlage nennen die Römer die neue Einhausung der Ara Pacis. Der ursprünglich an der Via Flaminia, der heutigen Via del Corso, situierte Altar wurde unter Mussolini zum 2000. Geburtstag des als Vorbild gut tauglichen Imperators Augustus an einer im Stadtbild wirkungsvolleren Stelle als dem Fundort, zwischen Augustus-Mausoleum und dem heute stark vom Verkehr frequentierten Lungotevere wiederhergestellt. Überbaut wurde er nach Plänen des Architekten Vittorio Ballio Mopurgo (1890 bis 1966) mit einem für damalige Verhältnisse ungewöhnlich großzügig verglasten tempelartigen Pavillon.

Da der alte Schutzbau angeblich die Konservierung des zur Erinnerung an die Pax Augusta und zur Huldigung des Kaisers im Jahr neun vor Christus eingeweihten Altares mit seinen kostbaren Reliefs nicht mehr gewährleistete, beschloss Bürgermeister Rutelli den Abriss und bestellte bei Richard Meier einen räumlich umfassenderen Neubau für ein Ara-Pacis-Museum, der zwangsläufig größer als der Vorgängerbau werden musste. Die Römer standen dem Vorhaben von Anfang an skeptisch gegenüber, forderten gar den Abriss, und selbst nach der unter Polizeischutz vorgenommenen Eröffnung am 21. April, dem Jahrestag der Gründung Roms, haben sich die Wogen der Entrüstung nicht geglättet. Zu massiv sei der Bau, er gebe nach außen hin zu wenig vom Altar preis, und es wurde „in architektonischer, archäologischer und historisch-städtebaulicher Hinsicht mit dem Neubau der Bezug zum Kontext radikal verfehlt“, wie es einer der vehementesten Gegner, der Architekt Giorgio Muratore (bauwelt, Juni 2006), formuliert, dem eine unspektakuläre Sanierung des Bestandes lieber gewesen wäre.

Mehrmals musste Meier den Entwurf überarbeiten und zum Beispiel die zum Lungotevere hin abschirmende Natursteinwand verkleinern. Und obwohl die in den harten Kontroversen vorgebrachten Argumente der Gegner nicht ganz nachvollziehbar sind, wünschte man sich heute doch, das Projekt wäre mit weniger Sturheit seitens der römischen Stadtregierung durchgeboxt worden. Im Vergleich zur Kirche am Stadtrand ist das Ara-Pacis-Museum in architektonischer Hinsicht wenig aufregend. Es erfüllt die Funktion, dem antiken Bauwerk eine bestens klimatisierte Hülle und den Besucherscharen eine höchst angenehme Besichtigung zu gewährleisten - viel mehr aber nicht.

Jener Zeitgenosse, der auf der Abbildung am Bauzaun das Gebäude mit einem „Ikea“-Logo versah, hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Ordentliches Design, gut brauchbar, aber für die ganze große Klasse reichte es halt nicht.



verknüpfte Bauwerke
Augustus-Museum

18. Mai 2004Jürgen Tietz
Neue Zürcher Zeitung

Der kurze Weg zum Licht

(SUBTITLE) Die Chiesa del Giubileo von Richard Meier in Rom

Die mit einiger Verspätung auf das Heilige Jahr 2000 eingeweihte Chiesa del Giubileo im römischen Aussenquartier Tor Tre Teste vermag viele Assoziationen zu wecken. Ihr Architekt, Richard Meier, hat es zudem verstanden, mit der für ihn ungewöhnlichen Staffelung gewölbter Schalen die Tradition des Kuppelbaus neu zu interpretieren.

Die mit einiger Verspätung auf das Heilige Jahr 2000 eingeweihte Chiesa del Giubileo im römischen Aussenquartier Tor Tre Teste vermag viele Assoziationen zu wecken. Ihr Architekt, Richard Meier, hat es zudem verstanden, mit der für ihn ungewöhnlichen Staffelung gewölbter Schalen die Tradition des Kuppelbaus neu zu interpretieren.

Wer in Rom eine Kirche bauen darf, der befindet sich in der Gesellschaft berühmter Architekten. Dabei erweist sich das reiche Erbe an Sakralbauten als Chance und Verpflichtung zugleich. Der New Yorker Architekt Richard Meier, der sich mit seiner Chiesa del Giubileo nun in die illustre Reihe römischer Kirchenarchitekten einfügt, macht dabei kein Hehl aus seiner Bewunderung für die beiden Meister des Barocks Gianlorenzo Bernini und Francesco Borromini. Die Messlatte, die Meier damit für seinen Kirchenbau selbst gelegt hat, liegt hoch. Doch es scheint letztlich müssig, über den Einfluss der beiden Grossmeister des römischen Barocks auf Meier zu reflektieren, diesen Vertreter einer ewig weissen Moderne. Denn während Bernini und Borromini im Herzen Roms, ja im Fall Berninis gar am Allerheiligsten der Stadt, Sankt Peter, arbeiten konnten, wird auf Meiers Jubiläums-Kirche nur derjenige stossen, der weiss, wo sie steht. Zwar grüsst der skulpturale Baukörper den Reisenden bereits von ferne - zumindest wenn er sich im Anflug auf den kleinen römischen Flughafen Ciampino befindet. Doch nach Tor Tre Teste selbst kommt niemand ohne Grund. Bedeutet es doch eine annähernd einstündige Fahrt von der Stazione Termini, ehe man den Vorort im Südosten Roms erreicht. Es ist eine Fahrt, auf der die Stadt keine Gelegenheit auslässt, ihre unterschiedlichen Gesichter zu zeigen, die krass zwischen malerischer Antike und verlotternder Moderne schwanken.

Inmitten verstreuter Mittelklasse-Wohnblocks aus den siebziger Jahren erscheint die Chiesa del Giubileo wie eine Lichtgestalt. Meier hatte sich mit seinem Entwurf für den ambitionierten Sakralbau im Rahmen eines 1996 vom Römischen Vikariat eingeladenen Wettbewerbs gegen prominente Konkurrenten wie Tadao Ando, Günter Behnisch, Santiago Calatrava, Peter Eisenman und Frank Gehry durchgesetzt. Der Kirchenneubau ist Teil eines Programms, das im Hinblick auf das Heilige Jahr 2000 vorsah, auch in den Aussenbezirken Roms für angemessene Sakralbauten zu sorgen. Doch die Errichtung der aufwendigen Betonkonstruktion, die 1998 begann, dauerte länger als geplant. So konnte die Kirche erst im vergangenen Herbst geweiht werden.


Eine Vielzahl von Assoziationen

Mit ihrer betont skulpturalen Formensprache schafft die Kirche einen Gegenpol zum normierten Raster der Wohnungsbauten und will dem Quartier damit ein neues, fast unwirklich anmutendes Zentrum verleihen. Es ist eine Kirche wie eine weisse Blume, deren Blütenblätter gerade im Begriff stehen, sich zu öffnen, wie eine Muschel, deren Schalen sich heben, wie ein Schiff, dessen drei grosse Segel prall mit Wind gefüllt sind. Ohne Frage: Mit ihren Anleihen an organischen Formen ist die Jubiläums-Kirche ein Gotteshaus, das fast spielerisch eine Vielzahl von Assoziationen weckt - aus Natur und Architektur gleichermassen. Denn die drei geschwungenen Betonscheiben, die den Kirchenraum umfassen, rufen unwillkürlich auch die Erinnerung an Jørn Utzons Opernhaus in Sydney wach.

Eine weite Plattform hebt die Kirche heraus aus dem Alltagsgeschehen in Tor Tre Teste und macht sie gleichermassen zum Schauobjekt für Anwohner wie für Architekturliebhaber. Vor allem aber ist sie ein sakraler Ort. So sehr sich die Chiesa del Giubileo mit ihren freistehenden Betonwänden und der grosszügigen Verglasung zur Umgebung zu öffnen scheint, so sehr grenzt sie sich auch gegen sie ab, schützt die Gemeinde im Inneren. Es sind immer nur einzelne Blicke, die man von aussen ins Innere werfen kann. So verhindert etwa die Rückseite der Orgelempore, dass Besucher direkt vom Eingang auf den Altar sehen können. Trotz den grosszügigen Glasflächen bewahrt die Kirche ihr Geheimnis - bis die Empore umschritten ist. Dabei erweist sich auch diese Wand als eine der typischen abstrakten Skulpturen aus stereometrischen Grundformen, die Meiers weisse Handschrift trägt.


Ein Ort des reinen Lichts

Erst hinter ihr öffnet sich der eigentliche Kirchenraum. Statt mystischer Dunkelheit ist hier entsprechend Meiers Intentionen ein Ort des reinen Lichts entstanden, der selbst im grauen römischen Frühlingswetter noch von innen heraus zu erstrahlen scheint. Es wirkt, als würden die weissen Betonwände jeden noch so schwachen Lichtschein, der durch Glasfassade oder Glasdach in das Gebäude dringt, potenzieren und auf die Gemeinde zurückwerfen. Die Lichtführung gehört seit je zu den wichtigsten Elementen der Sakralarchitektur. Gerade darin ist Meier seinen barocken Vorläufern Bernini und Borromini verpflichtet. Gleichwohl gewinnt man selten den Eindruck, sich in einem Raum zu bewegen, der wie eine gebaute Übersetzung des 36. Psalms erscheint: «Denn bei dir ist die Quell des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht.»

Der rückwärtigen Orgelempore als Sichtschutz entspricht die - weisse - Wand, die den Altar hinterfängt und zu der die Blicke immer wieder emporwandern. Vor allem zu jener kleinen Öffnung, die neben dem Kruzifix aus dem 19. Jahrhundert einen Ausblick in den Himmel gewährt. Im Inneren der Kirche wird auch die Idee der sanft konkav gewölbten, hintereinander gestaffelten Betonschalen deutlich - jenseits aller vordergründigen Metaphern einer sprechenden Kirchenarchitektur: Während die eine Schale die Taufkapelle abgrenzt, ist die zweite der Sakramentskapelle zugeordnet. Die dritte legt sich wie eine schützende Hand um die Gemeinde im Kircheninnern und ruft dabei - wie ein Fragment - zugleich die ferne Erinnerung an die alte christliche Würdeformel der Kuppeln wach, denen ja gerade in Rom seit dem Pantheon eine ganz besondere Bedeutung zukommt.

Den geschwungenen Betonschalen antwortet auf der gegenüberliegenden Seite ein lang gestreckter Riegel, der zum Kirchenraum hin mit einer Holzlamellenwand abgeschlossen ist und der die Räume für das Gemeindezentrum beherbergt. Und auch damit erweist sich die Chiesa del Giubileo als Bau, der trotz seiner herausgehobenen Architektursprache den Anforderungen des Ortes und der Bewohner antwortet - auch in seiner städtebaulichen Positionierung. Denn Meier hat darauf verzichtet, den Altar zu osten. Das nämlich hätte bedeutet, den Eingang an die Rückseite der Kirche zu legen. Wer aus den Wohnblocks in Tor Tre Teste kommt, hätte dann erst einmal um die Kirche herumgehen müssen, um sie zu betreten. So entspricht Meiers Entwurf zwar nicht dem Idealfall des Sakralbaus. Gleichwohl ist es die bessere Lösung: steht sie doch für den kürzeren Weg der Gemeinde zu Gott.

20. Dezember 2003Gerhard Mumelter
Der Standard

Die fundamentale Wirkung des Lichts

Richard Meiers neue Kirche Dives in misericordia in Rom

Richard Meiers neue Kirche Dives in misericordia in Rom

Ignazio Breccia hält inne, stellt seine Tasche auf den Boden aus Travertin und setzt die blaue Schirmmütze auf: „Ich benötige jetzt nämlich beide Hände“, warnt der Bauingenieur. Dann rudern seine Arme in der Luft, beschreiben Kreise und Ellipsen, fahren den Rundungen der schneeweißen Segel in seinem Rücken nach. Jeder Versuch, Breccias Redefluss zu stoppen, wäre zum Scheitern verurteilt.

Warum auch? Schließlich weiß niemand mehr über Richard Meiers neue Kirche zu erzählen. Und vermutlich kennt nur einer den Neubau zwischen den Wohnsilos der römischen Peripherie besser als Ignazio Breccia: Richard Meier selbst, der Projektant, der die Kirche als sein „gelungenstes Werk“ lobt.

Irgendwie könnte das auch Ignazio Breccia sagen. Denn dass es die Kirche gibt, ist allein sein Verdienst. Ihm gelang es, das römische Vikariat zu überreden, sechs weltweit bekannte Architekten zu einem Wettbewerb einzuladen. Und weil „die im Vikariat von Architektur keinen blassen Dunst“ haben, wählte Breccia die Namen gleich selbst aus: Frank Gehry, Peter Eisenman, Santiago Calatrava, Tadao Ando, Günter Behnisch und Richard Meier. Dass er mit dieser Auswahl Erfolg hatte, wertet er als „Zufallstreffer“. Ein missglückter Wettbewerb mit über 500 Teilnehmern hatte das Terrain für Breccias ehrgeizige Initiative geebnet. Doch seine Hoffnungen wurden enttäuscht: „Es bleibt leider eine Eintagsfliege“, ärgerte er sich.

Der Bauingenieur ist ein Humanist alter Schule. Einer, der es „unverzeihlich“ findet, dass die katholische Kirche kein Verhältnis zur zeitgenössischen Architektur hat: „Eine triste Angelegenheit“, schimpft er und schwärmt von den Zeiten, als die Päpste noch große Mäzene waren. „Bei Julius II. ging Raffael ein und aus. Heute gibt es zwischen Papst und Kunst keinen Bezug mehr.“
Dass der 76-jährige Ingenieur mit der Begeisterungsfähigkeit eines Jugendlichen die Bauleitung für das Siegerprojekt von Richard Meier übernommen hat, findet er „durchaus normal. Ich liebe die Herausforderung. Wer, bitte, könnte sich dem Reiz entziehen, an einem Jahrhundertbau mitzuwirken?“ Für den Bau von vier Kirchen war der Sachverständige des Vikariats bereits zuständig. Meiers Projekt allerdings hatte andere Dimensionen. Ohne finanzkräftige Mäzene wäre es nicht realisierbar gewesen. Große Unternehmen ließen sich als Sponsoren gewinnen: der Zementkoloss Italcementi etwa, der britische Glashersteller Pilkington oder der Farbenhersteller Sikkens.

12.000 Stunden verbrachten allein Italcementi-Ingenieure an ihren Computern, um die größte Herausforderung des Neubaus zu meistern: die Errichtung der drei bis zu 27 Meter hohen Segel aus weißem Beton. Schließlich montierten sie an der Baustelle ein 38 Meter hohes, fahrbares Stahlmonstrum, das die 256 vorgefertigten Bauteile zu je zwölf Tonnen hydraulisch in die Höhe hievte und so drehte, dass sie millimetergenau eingesetzt werden konnten.

Dass der 40-jährige Pfarrer Don Gianfranco mit dem Umzug aus dem anonymen Fertigbau in die neue Kirche einige Mühe hat, zeigt die blaue Plastikmadonna mit den elektrischen Kerzen neben dem Altar. Und die mit Klebestreifen an die Travertinwand gehefteten Christusbilder. „Ich fotografiere das alles und schicke es an Meier. Dann gibt es immer wieder ein reinigendes Gewitter“, freut sich Breccia.

Don Gianfranco hat noch andere Sorgen. Die Fotografen gehören dazu und die rund 100 Neugierigen, die den Neubau täglich besuchen. „Sie stören die Andacht der Betenden.“ Ratlosigkeit herrscht auch über die Verwendung des überdimensionalen Pfarrzentrums. „Wir müssen versuchen, am Boden der Realität zu bleiben“, versichert der Pfarrer, der sich nur auf die Mitarbeit Freiwilliger stützen kann.

Tor Tre Teste ist ein Stadtteil an der östlichen Peripherie Roms. Rundum hässliche Mietskasernen, aber legal gebaut. Mit großen, gepflegten Grünflächen. „Ein friedliches Stadtviertel“, versichert Don Gianfranco. Das lichtdurchflutete Innere der Kirche ist ein Raum voller Harmonie. Das Licht will der amerikanische Architekt als „Metapher für das Gute“ verstanden wissen. Die Schmucklosigkeit des Raums mit den Bänken aus Kirschholz sieht er als „Quelle der Inspiration“. Sein Vorbild findet er im Rom früherer Jahrhunderte: „Kein Architekt hat den Umgang mit Licht so revolutionär gepflegt wie Francesco Borromini“, schwärmt der Amerikaner.

„Der Bau ist ein Triumph der Ingenieurkunst“, findet der Projektant. „Was Italcementi hier geleistet hat, ist enorm.“ Für die Kirche entwickelte das italienische Unternehmen einen eigenen weißen Zement mit Titan-Bioxyd, der Schadstoffe bei Sonneneinstrahlung zu Kohlenwasserstoff oxydiert. 600 Tonnen davon flossen in den Kirchenbau. 2600 Tonnen weißer Marmor aus Carrara wurden zu Granulat gemahlen, 550 Tonnen Spezialmörtel verwendet. Acht Kilometer Stahlspannseile und 7,5 Kilometer Stahlgestänge verleihen den luftigen Segeln und Glasdächern Stabilität. 23.000 Stunden verbrachte Meiers Team am Zeichentisch - von ersten Skizzen bis zur Realisierung des Projekts.

Ignazio Breccia, der in den vergangenen Jahren über 4000 Architekten aus aller Welt durch die Baustelle führte, steht noch immer draußen auf der gleißenden Travertinfläche hinter der Kirche. Seine linke Hand greift nach der Tasche, seine Rechte deutet auf die Bögen der altrömischen Wasserleitung in der ausgedehnten Grünfläche. „Architektur“, sagt er mit resigniertem Ton, „war schon immer ein Ausdruck geistiger Größe“.

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