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Presseschau

31. Dezember 2010Wojciech Czaja
Der Standard

Erst Mensch, dann Maschine

Vor kurzem wurde der Staatspreis Architektur für Industriebauten und Gewerbeimmobilien vergeben: Es siegte das soziale Moment

Vor kurzem wurde der Staatspreis Architektur für Industriebauten und Gewerbeimmobilien vergeben: Es siegte das soziale Moment

Arthur Krupp war ein Mann mit Visionen. Als der Großindustrielle 1879 seinen elterlichen Betrieb übernahm, beschloss er, das Unternehmen und die Gemeinde zu einem architektonischen und infrastrukturellen Vorzeigeprojekt auszubauen. Zur Berndorfer Metallwarenfabrik im südlichen Niederösterreich gehörten nicht nur Produktionshallen, sondern auch Arbeiterhäuser, ein Konsumverein, ein eigener Schlachthof sowie ein Freibad, das im Winter als Natureisbahn diente.

Bekannt wurde Krupp vor allem für den Bau der beiden Volksschulen für Buben und Mädchen, die - revolutionär für damalige Verhältnisse - bereits mit Zentralheizung und Duschen ausgestattet waren. Außerdem war jedes Klassenzimmer in einem anderen historischen Stil ausgemalt. Die Bandbreite reichte von ägyptischen und maurischen über romanische und gotische Lehrräume bis hin zu solchen, die mit Schnörkseln des Barock und Rokoko ausstaffiert wurden. Die Zimmer sind bis heute erhalten.

Insgesamt investierte Krupp in den Ausbau der Berndorfer Gemeinde umgerechnet rund 200 Millionen Euro. Ungefähr die Hälfte des Geldes stammt aus seinem eigenen Privatvermögen. Für seine Taten wurde der Industriemagnat von Kaiser Karl I. sogar zum Geheimen Rat ernannt.

Was heutzutage so schön als CSR - Corporate Social Responsibility - angepriesen wird, ist also bei weitem kein Novum der Nullerjahre, sondern eine alte und längst bewährte Idee in neudeutschen Wortkleidern.

Der sogenannte Mehrwert für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat jedoch nicht nur sozial-altruistischen Hintergrund. Er dient vor allem dem Unternehmen selbst. Zufriedene Arbeitskräfte sorgen erwiesenermaßen für mehr Umsatz, gleichzeitig steigt das Image der Firma.

Zufriedenheit am Arbeitsplatz

In einer Studie, die heuer an der University of Exeter, Großbritannien, durchgeführt wurde, stellten die beiden Psychologen Craig Knight und Alex Haslam einen direkten Zusammenhang zwischen Mitspracherecht der Mitarbeiter, Zufriedenheit am Arbeitsplatz und Produktivität fest. Unter optimierten Arbeitsbedingungen stieg der Output um bis zu 32 Prozent.

„Das Bürodesign hat nicht nur einen Einfluss darauf, ob Menschen bei der Arbeit der Rücken wehtut, sondern auch darauf, wie viel sie leisten, wie viel Initiative sie zeigen und wie zufrieden sie mit ihrer Arbeit sind“, lautet das Resultat der Studie, an dem 2000 Probanten teilnahmen.

Ortswechsel, Tirol: „Wir fühlen uns in den neuen Räumen absolut wohl“, sagt etwa Maria Steinlechner, die im Vertrieb bei Swarovski Optik KG in Absam arbeitet. „Die Architekten haben uns am Anfang nach unseren Wünschen befragt und diese dann in die Planung miteinfließen lassen. Das ist nicht Standard, denn meistens findet das Gespräch nur in der Chefetage statt. Wir wissen das sehr zu schätzen.“

Genau das war der Plan. „Wenn man sich immer nur mit den Geschäftsführern, Vorstandsvorsitzenden und Abteilungsleitern unterhält, dann kommt man an den Kern des Unternehmens nicht heran“, erklärt Wolfgang Pöschl vom Architekturbüro tatanka. „Woher sonst soll man wissen, ob die Leute lieber in offenen Büros arbeiten oder in geschlossenen, ob sie lieber alleine arbeiten oder in der Gruppe, ob sie lieber Blau haben oder Rot.“

Vor kurzem wurde der rundum sanierte und erweiterte Büro- und Verwaltungssitz der Swarovski Optik KG mit dem Staatspreis Architektur 2010 in der Kategorie „Mittel- und Großbetriebe“ ausgezeichnet. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben. Prämiert wurden heuer Realisierungen aus dem Bereich Industriebauten und Gewerbeimmobilien.

„Ich war extrem überrascht zu hören, dass wir für dieses Projekt den Staatspreis bekommen haben“, sagt Pöschl zum Standard. „Schauen Sie selbst, das ist ein Projekt, das sich einem erst auf den zweiten Blick erschließt. Es ist weder besonders fotogen, noch reißt es einen vom Hocker wie irgendein riesiges Gebilde um dutzende Millionen von Euro. Ich bin sehr froh, dass die Jury den Aufwand auf sich genommen hat, um einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und sich das Gebäude im Detail anzuschauen.“

Das bestätigt auch der Juryvorsitzende Christian Kühn von der Architekturstiftung Österreich: „Es geht in der Industrie- und Gewerbearchitektur längst nicht mehr nur darum, gut funktionierende Gebäude zu errichten. Und auch das Bauwerk als Wahrzeichen steht nicht mehr im Vordergrund wie noch vor zehn oder 20 Jahren“, so Kühn.

Viel eher könne man heute beobachten, dass immer mehr Betriebe und Konzerne damit anfangen, soziale Verantwortung zu übernehmen. Neben dem reibungslosen Funktionsablauf und der Produktion eines feschen und entsprechend wirksamen Werbetrikots geht es vor allem um das soziale und gesundheitliche Klima am Arbeitsplatz.

So etwa auch bei der Büro- und Lagerhalle der Sohm Holzbautechnik GmbH in Alberschwende, Vorarlberg. Der innovative Holzbau wurde in der Kategorie „Klein- und Kleinstbetriebe“ ebenfalls mit dem heurigen Staatspreis für Architektur ausgezeichnet.

Errichtet wurde es mit jener Technologie, für die das Unternehmen selbst steht und die es unter Häuslbauern, Bauträgern und diversen Firmen seit 1990 vertreibt - mit der sogenannten Diagonaldübelholztechnik. Die Bauweise kommt gänzlich ohne Leime, Klebstoffe und Metallverbindungen aus, die Wände und Decken halten einzig und allein durch schräg eingetriebene Dübel, die in ihrer endgültigen Position aufquellen und die Bauteile auf ewig miteinander binden.

Die gleiche Wellenlänge

„Das ist ein cleveres und wunderschönes Produkt“, sagt der preistragende Architekt Hermann Kaufmann. „Es ist ökologisch, zu 100 Prozent recyclebar und setzt im eingebauten Zustand keinerlei Emissionen frei, weil es ohne zusätzliche Verbindungsmittel auskommt. So eine Bauweise hat natürlich Auswirkungen auf das Klima am Arbeitsplatz.“

Die Qualität der Industrie- und Gewerbeprojekte habe in den letzten Jahren zugenommen, erklärt Christian Kühn. „Einerseits gibt es im Industriebau die Möglichkeit, Dinge experimentell auszuprobieren, andererseits stößt man mit hochwertiger Architektur bei produzierenden Gewerben immer häufiger auf offene Ohren. Es treffen Leute mit gleicher Wellenlänge aufeinander. Jeder will nur das Beste bauen.“

24. Dezember 2010Christian Kühn
Spectrum

Esse mit Ausblick

Die Zeiten, als Industriebauten nur noch als konturlose Blechcontainer auftauchten, sind vorbei. Eine neue Sichtbarkeit ist angesagt. Auf welchem Niveau, zeigt der aktuelle Staatspreis für Industrie und Gewerbearchitektur.

Die Zeiten, als Industriebauten nur noch als konturlose Blechcontainer auftauchten, sind vorbei. Eine neue Sichtbarkeit ist angesagt. Auf welchem Niveau, zeigt der aktuelle Staatspreis für Industrie und Gewerbearchitektur.

Als der große deutsche Architekt Karl Friedrich Schinkel 1826 England bereiste, zeigte er sich tief beeindruckt von den Veränderungen, denen Städte und Landschaften durch die Industrialisierung ausgesetzt waren: „Um 9 Uhr kommen wir mit der Extrapost in Dudley an und fahren nach dem Frühstück und Tee gleich zu den Eisenwerken. Grandioser Anblick von Tausenden von Obelisken, welche rauchen. Größtenteils Förderungsmaschinen, um Steinkohlen, Eisen und Kalk aus den Gruben zu bringen.“ Gebäude, „so lang als das Berliner Schloss und ebenso tief, ungeheure Baumasse von nur Werkmeistern ohne Architektur und fürs nackteste Bedürfnis aus rotem Backstein ausgeführt“, Beispiele jener über 400 Fabriken, die damals in kurzer Zeit in der Region errichtet wurden, ließen Schinkel erahnen, welche Folgen die Industrialisierung für die Architektur mit sich bringen würde. Die Ingenieurkunst des 19. Jahrhunderts setzte erste Impulse für eine neue Ästhetik der Zweckmäßigkeit, und die Klassische Moderne des frühen 20. fand schließlich in den industriellen Bauaufgaben ein reiches Experimentierfeld.

Aus den Baumassen für das „nackteste Bedürfnis“, die Schinkel so unheimlich erschienen waren, entwickelte sich die Vision einer neuen Architektur, in der die Sphären von Produktion, Konsum, Wohnen und Erholung zwar räumlich getrennt, aber ästhetisch verbunden sein sollten. Eine moderne Architektursprache für alle Lebensbereiche sollte helfen, eine für alle gemeinsame Welt herzustellen.

In der heutigen postindustriellen Gesellschaft sind die rauchenden Schlote – zumindest in Europa – weitgehend verschwunden. Aber auch die Vision der Moderne von einer verbindenden und verbindlichen Ästhetik hat sich spätestens in den 1970er-Jahren aufgelöst, als die negativen sozialen und ökologischen Folgen der Industrialisierung und der streng nach Funktionen getrennten Stadt nicht mehr länger zu leugnen waren.

Architektur gilt seit damals wieder als Disziplin für besondere Anlässe, für Museen und den gehobenen Wohnbau, und sie hat in diesem Marktsegment eine bisher unerreichte Vielfalt an gleichzeitig auftretenden Stilrichtungen hervorgebracht. In der Architekturdiskussion spielte der Industriebau bis zur Jahrtausendwende – mit Ausnahme einiger weniger britischer Beispiele aus dem „High-Tech“-Bereich – nur eine untergeordnete Rolle. Das lag nicht allein an den Architekten.

Fast hat es den Anschein, als ob die Industrie selbst unter dem Druck des Umweltschutzes nicht nur die rauchenden Schlote zum Verschwinden bringen wollte, sondern insgesamt unter die Tarnkappe einer neutralen, aus konturlosen Blechcontainern gebildeten Ästhetik außerhalb jedes architektonischen Anspruchs zu schlüpfen versuchte. – Diese Situation änderte sich Ende der 1990er-Jahre, als Unternehmen begannen, ihre Produktionsstätten aus der Perspektive des Marketings zu betrachten. Wenn sich die Produkte selbst immer ähnlicher werden, dann wird die „Story“, die den subjektiven Wert einer Marke für den Konsumenten steigern soll, immer wichtiger. Warum soll nicht auch eine Fabrik oder ein Forschungszentrum zu dieser Fantasie beitragen? Die „Gläserne Fabrik“ in Dresden von VW oder die BMW-Welt in München sind spektakuläre Ergebnisse dieses Kalküls, das dem Industriebau in der postindustriellen Gesellschaft zu einer neuen Sichtbarkeit verholfen hat.

Diese neue Sichtbarkeit hat aber nicht nur mit Marketingüberlegungen zu tun. Unternehmen sind sich heute stärker der Verantwortung bewusst, die sie für die Gestaltung von Stadt und Landschaft und für die Lebensqualität ihrer Mitarbeiter tragen. Gute Planung im Industriebau bezieht Mitarbeiter und Nachbarn ein, sie berücksichtigt die Integration in den Stadt- oder Landschaftsraum und denkt an Betreuungseinrichtungen für die Kinder von Mitarbeitern.

Der alle drei Jahre vergebene Staatspreis für Industrie- und Gewerbearchitektur, der vom Ministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend zusammen mit der Architekturstiftung Österreich, der Architekten- und Ingenieurkammer, der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung ausgelobt wird, ist ein Gradmesser für den Entwicklungsstand dieses Sektors in Österreich. Zu den sieben nominierten Projekten gehören durchaus spektakuläre Beispiele, wobei Größe dafür keine Rolle spielt. Spektakulär ist auch das kleinste Projekt, die Schmiede Steindl in Osttirol von den Architekten Peter Jungmann und Markus Tschapeller in Innervillgraten. Sie ist ein Marketinginstrument im fast wörtlichen Sinn, ein überdimensionales schwarzes Alphorn inmitten traditioneller Bauernhöfe, gut belichtet von oben und überseitliche Bandfenster, durch die der Blick auf die Hänge gegenüber fällt: Eine Esse mit Ausblick hat nicht jeder Schmied.

Spektakulär in einem gänzlich anderen Maßstab ist das Verkaufs- und Finanzzentrum der Voestalpine Stahl GmbH in Linz, errichtet nach einem Entwurf von Dietmar Feichtinger, dem hier nach der Donauuniversität in Krems und dem Landeskrankenhaus Klagenfurt sein bisher eindrucksvollster Bau gelungen ist, Signalarchitektur mit Witz und sehr gelungenen Büroräumen im Inneren, diean großzügigen, begrünten Atrien liegen.

Die beiden Preisträgerprojekte des Staatspreises, Swarovski Optik in Absam und Sohm Holzbautechnik in Alberschwende im Bregenzer Wald, sind dagegen beinahe kontemplativ. Wolfgang Pöschl hat mit seinem Team für Swarovski ein bestehendes Werksareal schrittweise erneuert. Aus der Einfahrt wurde ein von Zubauten mit üppigen Gründächern gerahmter Hof, den zu überqueren jeden Tag Freude macht. Alle Büros wurden unter Einbeziehung der Mitarbeiter gestaltet, ein Kindergarten wurde eingerichtet und ein neuer Parcours für Werksführungen inszeniert, der dem Image des Unternehmens gerecht wird.

Den architektonisch komplexesten Beitrag hat Architekt Hermann Kaufmann mit der banalsten Bauaufgabe, einer Lagerhalle mit Bürotrakt für Sohm Holzbautechnik, geliefert. Statt der skulpturalen Geste setzt Kaufmann auf die Auflösung des Baukörpers in seine konstruktiven Bestandteile. Die Fassade zur Straße hin ist aus schmalen, beinahe lamellenartigen Tragelementen gebildet. Im Inneren tragen drei mächtige, diagonal in den Raum gestellte Holzsäulen einen Hauptträger, auf dem die Deckenelemente balancieren. In seiner starken Präsenz ohne starke Form ist dieses Projekt richtungsweisend. Man würde sich von manchem sogenannten „Kulturbau“ in Österreichs Gemeinden ein annähernd so hohes Niveau wünschen.

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