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30. Mai 2025Nele Rickmann
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Kinderspital in Zürich

Mit dem neuen Kinderspital in Zürich schaffen Herzog & de Meuron eine Krankenhausarchitektur, die Hoffnung weckt. Nach der bereits 2002 fertiggestellten Rehab-Klinik in Basel hat nun auch Zürich ein Klinikgebäude erhalten, das gänzlich – von der Struktur bis zur Materialität – auf das Wohlbefinden und die Heilung von Kindern ausgelegt ist.

Mit dem neuen Kinderspital in Zürich schaffen Herzog & de Meuron eine Krankenhausarchitektur, die Hoffnung weckt. Nach der bereits 2002 fertiggestellten Rehab-Klinik in Basel hat nun auch Zürich ein Klinikgebäude erhalten, das gänzlich – von der Struktur bis zur Materialität – auf das Wohlbefinden und die Heilung von Kindern ausgelegt ist.

Den Wendepunkt im Verständnis einer neuartigen Krankenhaustypologie läuteten Herzog & de Meuron mit der 2002 in Basel fertiggestellten Rehab-Klinik ein. Merkmale der Gestaltung sind die horizontale Ausdehnung des Gebäudekörpers und eine Materialität, die durch Holz und haptische Oberflächen eine von Atmosphären geprägte Architektur schafft. Die Rehab-Klinik blickt auf eine bald 25-jährige Geschichte zurück und ist eines der bemerkenswertesten Gebäude der Gegenwart. Hinzu kam nun vergangenes Jahr das Kinderspital in Zürich, das sich in den Appell Herzog & de Meurons eingliedert, die Krankenhausarchitektur zu revolutionieren. Das Kinderspital in Zürich ist das erste Projekt seit der Rehab-Klinik in Basel, mit dem dieser Appell als zukunftsweisende Vision in die Realität umgesetzt wurde, gefolgt voraussichtlich 2026 mit der geplanten Fertigstellung vom Nyt Hospital Nordsjælland in Hillerød, Dänemark (von Herzog & de Meuron mit Vilhelm Lauritzen Arkitekter aus Kopenhagen).

Vorgeschichte und Wettbewerb

Das »Kispi« genannte Kinderhospital Zürich blickt auf eine über 150-jährige Geschichte zurück und ist das größte Spital für Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Die private und gemeinnützige Eleonorenstiftung entschied sich als Trägerschaft, das Kinderspital auf das Klinikareal in Zürich-Lengg umzusiedeln, da der vorherige Standort im Quartier Hottingen nicht mehr genug Raum für aktuelle Anforderungen bot. Den daraufhin von der Stiftung ausgelobten selektiven und anonymen Wettbewerb gewannen 2012 Herzog & de Meuron. Die Trägerschaft lobte die Wirtschaftlichkeit des Projekts aufgrund seiner geringen Geschossfläche und seines geringen Volumens.

Das neue Klinikensemble in Zürich-Lengg umfasst nun zwei Neubauten: ein Gebäude für Forschung und Lehre auf dem Nord- sowie das Akutspital auf dem Südareal. Dass die unterschiedlichen Nutzungen in separaten Gebäuden untergebracht wurden, ist sinnvoll, da sie anderen Anforderungen gerecht werden müssen. Beide Gebäude funktionieren getrennt, sind allerdings durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sollen so effizient in die klinische Behandlung eingebracht werden können.

Das Gebäude für Forschung und Lehre ist von zylindrischer Form und umfasst ein zentral gelegenes fünfgeschossiges Atrium, um das sich Hörsäle, Labore sowie individuelle Bereiche für Forschungsgruppen, Seminarräume und Lernbereiche für Studierende anordnen. Mit seiner weiß verputzten Fassade steht es im starken Kontrast zum Akutspital. Dessen hölzerne Fassade verweist nach außen deutlich auf das, was Herzog & de Meuron mit am wichtigsten ist: Eine Materialität, die nicht nur schön anzusehen ist, sondern im weiteren Sinne eine »heilende Kraft« hat, in dem sie die sinnliche Erfahrung des Raums, über die eigentliche Form und Funktion hinaus, in den Mittelpunkt der Spitalarchitektur stellt.

Das Haus als Stadt

Mit seiner feinen Holzfassade gliedert sich das Akutspital als dreigeschossiger Betonskelettbau in die Umgebung des Klinik-Areals Lengg ein. Es funktioniert in seiner horizontalen Ausdehnung und mit einer Gebäudelänge von 200 m wie eine kleine Stadt – geprägt von Straßen, Plätzen und Häusern. Die Häuser, das sind insgesamt 114 Patient:innenzimmer, die sich im 2. OG gereiht und in leicht versetzter Anordnung mit geneigten Dächern von den darunterliegenden Geschossen absetzen. Sie verweisen auf die Individualität einer jeden Patientin und eines jeden Patienten und stellen eine Maßstäblichkeit her – v. a. für die Kleinen, die dort gemeinsam mit ihren Eltern untergebracht werden.

Ein großes Tor spannt sich an der Nordfassade zur Lenggstraße gegenüber der historischen und denkmalgeschützten Psychiatrischen Universitätsklinik von 1869 auf; hier befindet sich der Haupteingang zum Kinderspital. Durch die einladende Geste entsteht ein Vorplatz, der die Eingangssituationen beider Institutionen gleichermaßen betont. Das Kinderspital wird durch einen hinter dem Tor liegenden, offenen Hof betreten, von dem aus das EG erschlossen werden kann. Hier befinden sich öffentliche Nutzungen wie Restaurant und Café, aber auch Behandlungsbereiche wie Tagesklinik und Bilddiagnostik. Eine interne Straße führt an den einzelnen Klinikbereichen vorbei und endet an der Notfallstation, die durch einen an der westlichen Stirnseite gelegenen Eingang von Patient:innen und Personal separat erschlossen werden kann.

Vertikale Achsen bilden regelmäßig angeordnete, betonierte Erschließungskerne. Von der teils öffentlichen Nutzung im EG wird die Nutzung nach oben hin immer privater – bis zu den Zimmern für die jungen Patientinnen und Patienten, die als kleine »Kronen« auf dem festen Baukörper aufsitzen. Im mittleren Geschoss befinden sich weitere Teile der Polikliniken, eine Spitalschule, eine Apotheke und andere gemeinschaftliche Nutzungen. Diese werden von einer Bürozone gerahmt, die sich an den Fassaden entlangstreckt und insgesamt Platz für rund 600 Arbeitsplätze bietet. Neben den betonierten Stützen und Kernen ist im Inneren alles andere in Leichtbauweise ausgeführt. So soll im Kispi – trotz seiner markanten äußeren Form – auch zukünftig eine innere Flexibilität gewährleistet werden.

Die Natur nach innen bringen

Darüber hinaus durchdringen den horizontalen Gebäudekörper grüne Höfe, von den nicht alle bis ins EG reichen. Sie machen eine der größten Qualitäten der Architektur aus, bringen nicht nur Licht und Natur in das Spital, sondern eröffnen auch Blickbeziehungen und vermitteln Zugehörigkeit – auch über die Geschosse hinaus. Die Landschaftsarchitektur übernahmen die Basler Landschaftsarchitekten August + Margrith Künzel in Zusammenarbeit mit Andreas Geser (Zürich), denen eine individuelle Gestaltung der punktuell angeordneten Höfe von eckiger und runder Form durchweg gelungen ist. Die internen Straßen weiten sich zu den Höfen auf, welche auch der Orientierung dienen. Zusätzlich tragen einzelne Kunstwerke – wie die roten Kajaks des Schweizer Künstlers Roman Signer oder die Installation »My Sky« des Lichtkünstlers James Turrell – zur Verortung im Spital bei.

Eine Debatte um das Zürcher Kinderspital, die in den letzten Jahren in der Schweiz öffentlich ausgetragen wurde, drehte sich v. a. um die erhöhten Kosten, die erst den Stararchitekten zugeschrieben wurden, eigentlich aber durch gestiegene Materialpreise aufgrund von Pandemie und Ukrainekrieg begründet sind. Die Frage, ob einer Funktionsarchitektur wie der der Spitäler solch eine inhaltliche und finanzielle »Hürde« entgegengebracht werden müsse, befeuerte die Debatte. Wer das Kispi jedoch einmal besucht hat, weiß, dass diese Diskussion angesichts der zukunftsweisenden Qualitäten der Architektur hinfällig ist. Denn: Herzog & de Meuron beweisen, dass das gängige Bild einer sonst üblichen Krankenhaustypologie der Vergangenheit angehört.

db, Fr., 2025.05.30



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db 2025|06 Gesundheitsbauten

01. August 2023Nele Rickmann
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Neues Wohnen im alten Stall

Jung und motiviert bringen Alder Clavuot Nunzi frischen Wind ins Bergell. Zwischen atemberaubender Alpenlandschaft und historischer Bündner Bausubstanz verorten sich die meisten ihrer Eingriffe in der Transformation alter Häuser. 2021 fertiggestellt, dient ein ehemaliger Doppelstall in Castasegna heute dem Wohnen einer jungen Familie.

Jung und motiviert bringen Alder Clavuot Nunzi frischen Wind ins Bergell. Zwischen atemberaubender Alpenlandschaft und historischer Bündner Bausubstanz verorten sich die meisten ihrer Eingriffe in der Transformation alter Häuser. 2021 fertiggestellt, dient ein ehemaliger Doppelstall in Castasegna heute dem Wohnen einer jungen Familie.

Matthias Alder, Silvana Clavuot und Alessandro Nunzi sind junge Architekt:innen, ausgebildet an der ETH Zürich und der Berner Fachhochschule. Sie engagieren sich für das Bauen abseits der bekannten Hotspots Zürich, Basel, Genf und tragen einen wichtigen Teil zur architektonischen Weitergestaltung ländlicher Strukturen bei. Direkt nach dem Studienabschluss gründeten sie 2013 das gemeinsame Architekturbüro in Soglio, einem kleinen Bergdorf im Bergell nahe der italienischen Grenze, das nicht umsonst zu einem der schönsten Dörfer der Schweiz gewählt wurde. Da Alessandro Nunzi dort aufgewachsen ist, ergaben sich von vornherein kleine Aufträge, mit denen sich das junge Büro ein Standbein bilden konnte. Nach nun 10 Jahren praktischer Tätigkeit lässt sich – neben den bekannten Stationen der Seilbahn Funivia Albigna (2016) – im Werkverzeichnis eine klare Tendenz erkennen: die für die Region typischen historischen Bauten umgestalten und weiternutzen. Eine Aufgabe, die Handwerklichkeit, Zurückhaltung und Durchhaltevermögen voraussetzt. Alder Clavuot Nunzi geht es als jungem Büro nicht darum, nach eigenen architektonischen Vorlieben Neubauten auf der grünen Wiese zu errichten, sondern Haltung im Umgang mit bestehender Substanz zu zeigen. Eine Auffassung, die sich vor allem auf dem starken Interesse am Handwerk und den dringenden Fragen nach einer nachhaltigen Entwicklung gründe, erklären die Architekt:innen.

Die Region Bergell im Schweizer Süd-Osten ist geprägt von den für den Kanton Graubünden typischen Wohnhäusern mit Steindächern, Ställen im hölzernen Strickbau und herrschaftlichen Palazzi. Es ist eine Region, die im Sommer über ihre Grenzen hinaus Tausende Touristen anzieht und im Winter in den Tiefschlaf fällt. In den kleinen Dorfstrukturen mit engen Gassen und vermoosten Dächern legt die Denkmalschutzbehörde besonderen Wert auf den Erhalt von Ortsbildern und Bausubstanz. Dass alte Strukturen geschützt werden müssen, sei unbestritten, aber eine Musealisierung des gegenwärtigen Zustands könne nicht die Lösung sein, so die jungen Planenden. Sie werden mit der Frage nach Umbau und Transformation vor Herausforderungen gestellt, mit denen sie im Studium an der ETH Zürich nur gering – wenn überhaupt – konfrontiert wurden. Das Bauen im Bestand sei damals noch kein großes Thema gewesen, erklärt Matthias Alder. Sie als Architekt:innen seien nach dem Abschluss ins kalte Wasser gesprungen und ihnen obliege nun die Aufgabe, die verschiedenen Pole – Denkmalschutz, Handwerk und Gestaltung – auszubalancieren.

Schichtung aus Alt und Neu

So auch beim Umbau eines Stalls, der dem für die Region typischen Konstruktionsprinzip folgt – gemauertes Sockelgeschoss im EG, ggf. Mauerpfeiler und Ausfachung mit vertikalen Holzbrettern im 1. OG und offener hölzerner Strickbau im 2. OG. Das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit späterem Anbau haben Alder Clavuot Nunzi nun zu einem Wohnhaus, der Casa Boscaia, umgewandelt. Mit einer Nutzfläche von über 100 m² bietet dieses mit zwei Schlafzimmern, zwei Bädern, einem Gäste-/Arbeitsraum, einer offenen Wohnküche und einem Wohnzimmer sowie Eingangsbereich und Nebenräumen im gemauerten EG ausreichend Platz für eine Familie.

Einige Eingriffe von Alder Clavuot Nunzi lassen sich an der Fassade auf den ersten Blick klar ablesen. Neu hinzugefügte Öffnungen setzen sich in der Farbigkeit des frischen Fichtenholzes vom Bestand ab. Das wird besonders an dem langen Balkon im 2. OG an der Südfassade und an neuen Tür- und Fensteröffnungen deutlich. Bis auf einen weiteren Balkon aus Beton im 1. OG blieb die restliche Fassade allerdings im Großen und Ganzen unverändert. Um trotzdem Tageslicht ins Innere zu lassen, wurden im 1. OG einzelne vertikale Bretter der Ausfachung entfernt. Auf den zweiten Blick sieht man nun, dass sich hinter der alten Hülle eine eigene, neue Fassade verbirgt. Eine gestalterische Entscheidung, die aus den Anforderungen der neuen Nutzung und dem bestmöglichen Erhalt der ursprünglichen Erscheinung resultiert. Bei einem anderen Umbauprojekt, das sich im Nachbardorf noch im Bau befindet, treiben die Architekt:innen dieses Prinzip weiter, indem sie einen circa 30 cm breiten Abstand als großzügige Hinterlüftung zwischen altem Stall als Hülle und neuem Wohnkern lassen.

Dämmen mit Maß und Ziel

Die Wohnräume im 1. und 2. OG der Casa Boscaia, innen in Fichtenholz bekleidet oder an den Bestandsmauerpfeilern mit Dämmputz verputzt und mit neuem Estrichboden versehen, haben eine gemütliche Atmosphäre und entsprechen modernen Anforderungen. Für Stauraum ist ebenfalls durch schlichte Einbaumöbel aus Holz gesorgt. Auf den beiden oberen Geschossen wurde gedämmt, wohingegen das gemauerte EG mit Nebenräumen als Kaltraum erhalten blieb. Eine bewusste Entscheidung, das Haus weiterhin »atmen« zu lassen und, soweit vorhanden, im Erdreich zu belassen.

Schließlich müsse ein altes Gebäude nicht den Anforderungen eines Neubaus entsprechen und stattdessen vielmehr den Charakter des Bestands weitertragen, so Matthias Alder.

Besonders eindrucksvoll ist die durch die starke Hanglage auf allen drei Ebenen vorhandene Beziehung zum Außenraum. Im 1. OG bildet eine große Dachterrasse auf dem Anbau eine Erweiterung der Wohnküche und im 2. OG wurde ein Ausgang nach Norden ergänzt, der zum grünen Garten führt. Von hier aus hat man einen imposanten Blick auf das Dach, das in regionaltypischer Weise mit Steinplatten gedeckt ist. Davon sind 1/3 Bestand und 2/3 mussten neu hinzugefügt werden. Ein facettenreiches Farbenspiel aus Alt und Neu – aus unterschiedlich grau-braun und silbrig schimmernden Steinplatten – erstreckt sich über das ganze Dach.

Von der Casa Boscaia, die sich am Ortsrand Castasegnas befindet, eröffnen sich weite Ausblicke auf die gegenüberliegende Alpenlandschaft. Enge Nischen und Gassen des Dorfes in direkter Umgebung machen die kontrastreichen Eigenschaften des Grundstücks aus. Diese spiegeln sich auch im Haus wider, das von zurückgezogenen und offenen Bereichen mit Durch- und Ausblicken geprägt ist. Der Umbau der Casa Boscaia ist ein über die Grenzen des Bergell hinaus wichtiges Projekt: Es stärkt die ländliche Region, die allzu sehr vom Tourismus geprägt ist, und bringt bis dato unbenutzte, historische Baustrukturen mit Perspektive in die Zukunft.

db, Di., 2023.08.01



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db 2023|08 Jung saniert Alt

05. Juni 2023Nele Rickmann
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Qualität des Mittendrin

Mitten in Basel haben HHF Architekten mit dem »Landskronhof« eine grüne Oase mit familiärer Atmosphäre geschaffen. In ruhiger Hoflage wirken Nähe, Blickbeziehungen und Topografie. Das neue Wohngebäude gliedert sich als leichter, heller Pavillon in die bestehende Stadtstruktur ein. So konnten ein vergessener Ort reaktiviert und die Stadt verdichtet werden.

Mitten in Basel haben HHF Architekten mit dem »Landskronhof« eine grüne Oase mit familiärer Atmosphäre geschaffen. In ruhiger Hoflage wirken Nähe, Blickbeziehungen und Topografie. Das neue Wohngebäude gliedert sich als leichter, heller Pavillon in die bestehende Stadtstruktur ein. So konnten ein vergessener Ort reaktiviert und die Stadt verdichtet werden.

Das Projekt Landskronhof befindet sich im Stadtteil St. Johann in Basel unweit des Verkehrsknotens Kannenfeldplatz, von dem man den Basler Hauptbahnhof innerhalb von 15 Minuten mit Bus oder Tram erreicht. Eine familiäre und vertraute Atmosphäre durchströmt die Straßen – man kennt und grüßt sich. Das Quartier ist geprägt von einer klassischen Blockrandbebauung, die sich aus kleinteiligen Häusern zusammensetzt; demnach gliedern sich die Höfe in mehrere Parzellen. Im Unterschied zu den umliegenden Höfen ist der, in dessen Mitte sich das Projekt Landskronhof befindet, von einer starken Topografie geprägt: Von Nord nach Süd wie auch von West nach Ost fällt das Gelände konstant ab. Mehrere hohe Mauern durchziehen den Hof und terrassieren so die Höhenunterschiede. Eine Situation, die vor Herausforderungen stellt – wie schon die Nähe zu den Bestandsbauten. Fluch und Segen zugleich, denn HHF Architekten haben nach einer langen Planungs- und Bauphase von insgesamt neun Jahren ein Pilotprojekt der innerstädtischen Verdichtung geschaffen. Die Architektur besticht durch spannende innenräumliche Situationen, die durch Nähe und Ferne, Durchblicke und eine konstante Beziehung zum Außenraum geprägt sind – v. a. ist dies möglich durch die komplexen kreuzförmigen Grundrissstrukturen und mehrere Staffelgeschosse.

Zwar zeigt dieses architektonische Prinzip für solche Hofsituationen Perspektiven auf. Dennoch ist die von HHF Architekten hier vorgeschlagene Lösung individuell und maßgeschneidert für den topografisch geprägten Ort. Dieser war vor dem Bau des Landskronhofs von versiegelten Flächen, Parkplätzen und Garagen geprägt – identitäts- und beziehungslos, ein sogenannter Nicht-Ort eben. HHF Architekten haben mit dem Projekt zukunftsweisend ein Stück Stadt realisiert, das die Herausforderungen der Situation geschickt in architektonische Qualitäten umwandelt.

Oben, unten, nah und fern

Das im Hof gelegene Grundstück, auf dem sich der Landskronhof befindet, ist von Norden und Osten durch unscheinbare Einfahrten zugänglich, die jeweils auf unterschiedlichen topografischen Ebenen liegen. Die untere ist von der Davidbodenstrasse aus erreichbar. Hier liegt die Einfahrt zur Tiefgarage, die in den Höhenversprung integriert ist, neben einem der zwei Hauseingänge. Im Unterschied dazu ist die obere Ebene von der Landskronstrasse ausschließlich für Fußgänger und Fahrradfahrer zugänglich, hier befindet sich der andere Hauseingang. Im Inneren sind beide Eingänge geschickt durch Blickbeziehungen verbunden, welche durch verspiegelte Wände und eine frei stehende Wendeltreppe spielerisch inszeniert werden. Eine klare Zonierung lässt sich ablesen; das Konzept überzeugt durch ein komplexes Gefüge und stetige Blickbeziehungen, die trotz der Höhenversprünge eine gesamtheitliche Zugehörigkeit möglich machen.

Das Thema der visuellen Verbindungen zieht sich durch das ganze Haus. Hier befinden sich 15 Wohnungen, die mit Größen von 50 bis 150 m² unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechen. Fast vollständig werden die Wohneinheiten von jungen Familien bewohnt. Durch die Versprünge der einzelnen Geschosse ist überall ein Bezug zum Außenraum gegeben; jede Wohnung präsentiert sich anders, kein Geschoss ist gleich. Was jedoch alle Wohnungen gemein haben, ist das gekonnte Spiel der Architekten mit Ausblicken in die Nähe und Ferne. Das Prinzip der nahen Wand entdeckten HHF Architekten bereits zuvor im Projekt Byfangweg (ebenfalls in Basel) für sich, verrät Simon Frommenwiler, Architekt und einer der drei Bürogründer. Der kreuzförmige Grundriss des Landskronhofs ermöglicht das Prinzip der durchgesteckten Wohnungen an jedem der vier Arme, sodass sich weite Ausblicke in den Hof und Garten ergeben. An den kurzen Stirnseiten sind die Ausblicke v. a. in den unteren Wohnungen durch die Mauern der nahen Brandwände beschränkt. Jedoch beeinträchtigt das die Wohnungen nicht – ganz im Gegenteil, die Situationen profitieren von den Kontrasten. Damit gegenseitige Einblicke vermieden werden, sind die inneren Ecken je einer Wohnung zugeteilt. Ein ausgetüfteltes Spiel der verschachtelten Einheiten prägt den Landskronhof und ist von außen auf den ersten Blick so nicht ablesbar.

In den unteren Geschossen wie auch im DG finden sich Maisonettewohnungen. Auf jedem einzelnen Geschoss hat man durch die Höhenversprünge das Gefühl, im EG zu sein respektive sich in dessen unmittelbarer Nähe zu befinden – und das, obwohl das Haus insgesamt sechs Geschosse umfasst. Terrassen und Gärten verstärken die Beziehung zum Außenraum. In den oberen Etagen sind diese begrünt, ebenso die Dachflächen. Einblicke von den umgrenzenden Häusern lassen sich hier allerdings nicht vermeiden. Die verschachtelten Volumen tragen jedoch dazu bei, dass jeder Wohnung gleichermaßen ein zurückgezogener Bereich zur Verfügung steht.
Auch die das Haus komplett umlaufenden Balkone auf jeder Etage fungieren als Pufferzone zwischen halböffentlichem Hofraum und privater Wohnung. Sie werden in Zukunft bewachsen sein, sodass die angrenzenden Häuser von einer grünen Vertikalen als Gegenüber profitieren. Zudem bilden diese eine Art verbindendes Element. Ein Bewohner erzählt, wie v. a. die Kinder schnell zwischen den Wohnungen wechseln und spontane Besuche stattfinden. Auch über die einzelnen Etagen hinaus wird kommuniziert, von oben nach unten gerufen, gegrüßt und sich verabredet. Ein Konzept, auf das man sich einlassen muss, wenn man sich entscheidet, im Landskronhof zu wohnen. Vielen wäre das u. a. auch zu viel Nähe, zu viel Gemeinschaft, zu viel Offenheit. Dass sich die gegenwärtige Bewohnerschaft allerdings vollkommen auf dieses Konzept eingelassen hat und es mit Freude lebt, zeigen der Verzicht auf abgrenzende Hecken im Garten oder gar Trennwände auf den umlaufenden Balkonen. Damit das auch so bleibt, wurde sogar jüngst ein gemeinsames Statement der Bewohnerschaft verfasst, verrät Frommenwiler. Und das, obwohl sich die Bewohnerschaft anfänglich willkürlich zusammengefunden hat. Die Wohnungen wurden als Eigentumswohnungen vergeben, eine vorherige Absprache, wie man es von Baugruppen kennt, gab es hier nicht. Ein Wunder also – oder eher ein Zeichen gelungener Architektur –, dass das Prinzip der Gemeinschaft hier so einwandfrei funktioniert.

Nicht nur das Leben im Landskronhof bedarf gemeinschaftlicher Zusammenarbeit, auch der vorangegangene Planungs- und Bauprozess war eine Arbeit von vielen. Ein Projekt dieser Art, das einem bereits vergessenen Hinterhof neues Leben einhaucht, ist das Resultat eines langjährigen und teils auch zähen Zusammensitzens von Grundstückseigentümer:innen, Hausbesitzern, Bewohnerschaft, Planenden und der Stadt Basel. Man arbeite gemeinsam an Ideen, nicht genutzte Flächen in Basel zu reaktivieren und Potenziale von innerstädtischen Lagen zu nutzen, so Frommenwiler. Dass dies möglich ist, zeigen HHF Architekten mit dem Projekt vorbildlich, und verweisen damit auf eine zukunftsfähige Lösung, die in der Innenstadt fast schon suburbanen Charakter hat. Eine ruhige, mikro-parkähnliche Atmosphäre ist rund um den Landskronhof entstanden: Im grünen Hof finden sich eine Reihe von öffentlichen und halböffentlichen Gärten, die nicht nur für die Bewohnerschaft des Landskronhofs, sondern auch für die angrenzende Nachbarschaft Aufenthaltsqualitäten schaffen.

db, Mo., 2023.06.05



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db 2023|05 Stadtquartiere

22. März 2023Nele Rickmann
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Ins Neue übersetzt

Zwischen alten Bauernhäusern, Dorfkirche und denkmalgeschützten Gebäuden hat das Basler Büro Buol & Zünd mit zeitgenössischer Architektur den historischen Teil der Gemeinde Therwil verdichtet und dabei Maßstäblichkeit bewahrt. Wie ein passgenaues Teil fügt sich der Neubau in die verwinkelte und kleinteilige Struktur ein und orientiert sich dabei gezielt an seiner Umgebung, ohne aber retrospektiv zu wirken. Eine Bewohnerschaft aus Jung und Alt wird hier gleichermaßen angesprochen.

Zwischen alten Bauernhäusern, Dorfkirche und denkmalgeschützten Gebäuden hat das Basler Büro Buol & Zünd mit zeitgenössischer Architektur den historischen Teil der Gemeinde Therwil verdichtet und dabei Maßstäblichkeit bewahrt. Wie ein passgenaues Teil fügt sich der Neubau in die verwinkelte und kleinteilige Struktur ein und orientiert sich dabei gezielt an seiner Umgebung, ohne aber retrospektiv zu wirken. Eine Bewohnerschaft aus Jung und Alt wird hier gleichermaßen angesprochen.

Mit einem Studienauftrag zur Bebauung des an die Dorfkirche von Therwil angrenzenden Grundstücks, auf dem sich heute die »Schmitti« von Buol & Zünd befindet, reagierte die Gemeinde auf Herausforderungen, mit denen sich viele vergleichbare Orte konfrontiert sehen: einer Leere im historischen Dorfkern, dem großen Fragezeichen, wenn es darum geht, Bestand anzueignen, der nicht den aktuellen Standards entspricht – und einer alternden Bevölkerung, die im Ort wohnen bleiben will, der aber das eigene Heim nach dem Wegzug der Kinder zu groß geworden ist. Therwil war mal Dorf und ist Gemeinde geworden. Zuwachs gibt es, Grund dafür ist v. a. die Nähe zu Basel. Nach 20 Fahrminuten mit Bus oder Bahn vom Basler Hauptbahnhof erreicht man die Haltestelle »Therwil Zentrum«. Neue, hohe, aber größtenteils charakterlose Bauten vermitteln hier ein fast schon urbanes Bild. Nicht so sieht es fünf Gehminuten weiter südlich aus; dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. So auch der Baubestand: Baselbieter Bauernhäuser säumen vereinzelt die Straßen, die alte Dorfkirche St. Stephan thront erhöht über den alten Häusern, die wiederkehrend leer stehen. Den gegenwärtigen Standards werden sie nicht mehr gerecht, zu kleine Fenster, zu niedrige Decken, zu eng, zu bescheiden. Dennoch aber atmosphärisch und von Charakter geprägt.

Das findet auch die Gemeinde und will dem historischen Dorfteil nachhaltig eine Perspektive geben. Wichtig dabei: der Bezug zum Ort und eine authentische Erscheinung. Im Studienauftrag setzten sich Buol & Zünd gegen drei weitere Architekturbüros durch, in dem sie u. a. den Bestand, zwei alte Taunerhäuser aus dem 16. Jahrhundert, in die Zukunft fortführen. (Anm. d. Red.: Bis ins 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz Kleinbauern Tauner genannt, abgeleitet von Tagelöhner). Diese ergänzen sie durch einen zurückhaltenden Neubau, der sich als »Schmitti« passgenau in die historische Struktur einfügt. Auf Kontraste wurde verzichtet und Altes neu übersetzt.

Kleine Gassen, klare Kanten, spitzes Dach

Hinter der nahe gelegenen Gemeindebibliothek, die dem Ort entsprechend interdisziplinäre Veranstaltungen für Jung und Alt anbietet, sitzt ein kleines Haus, eine ehemalige und heute denkmalgeschützte Schmiede, die namensgebend für die »Schmitti« war. Zur rechten Seite die sanierten Taunerhäuser, in denen die von Buol & Zünd geplanten Eingriffe so gering wie möglich waren, um angemessene Raumhöhen herzustellen, aber gleichermaßen den Charakter des Hauses zu wahren. Dahinter der Neubau, dessen klar definiertes, zweigliedriges Volumen mit Satteldach zur links liegenden und topografisch erhöhten Kirche abknickt. Dazwischen eine schmale Gasse, die die Grenzen von öffentlich, halböffentlich und privat verschwimmen lässt. Matthias Aebersold, Projektleiter bei Buol & Zünd, erklärt, dass hier v. a. die Nähe eine Qualität des Bestandes ist. Die kleinen Gassen und geringen Abstände zu den Nachbarn sind eine Besonderheit des Ortes. Sie verleihen der Situation eine sehr intime Atmosphäre. So war eine Dichte von vornherein gegeben und musste von den Architekten nur übersetzt werden. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf Schwellenübergange und arbeiteten mit verschiedenen Bodenbelägen, um einzelne Bereiche voneinander abzusetzen. Auch Details, die sich an der Fassade und im Innenraum erkennen lassen, resultieren aus dieser besonderen Situation.

Die Fassade zur Gemeindebibliothek im Norden dominieren breite Laubengänge, die nicht nur Erschließungszone zu den einzelnen Wohnungen sind, sondern als Begegnungs- und Gemeinschaftsort fungieren. Das Team von Buol & Zünd setzt hier nicht auf Trennungen zwischen den einzelnen Einheiten, sondern – ganz im Gegenteil – integriert neben jedem Eingang ein großes Fenster mit tiefer Laibung und geringer Brüstungshöhe, das zur Nische mit Sitzbank und somit zum gemeinsamen Treffpunkt wird.

Im Haus gibt es zehn Wohnungen, die als Single-Apartments bis zu Einheiten mit 4,5 Zimmern verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Von jungen Zugezogenen zu älteren Paaren ist die Bewohnerschaft vielfältig. Das sei den Planenden von Anfang an wichtig gewesen, erklärt Aebersold. Mit einer Architektur, die Jung und Alt gleichermaßen anspricht, wollen sie den historischen Teil Therwils wiederbeleben und ihm eine Perspektive geben. Dabei orientieren sie sich auch an den Grundrissen der historischen Baselbieter Bauernhäuser, bei denen die Küche zentraler Ort im Haus ist. Direkt hinter den Eingängen liegt in der »Schmitti« je eine Wohnküche, um die sich ein rollstuhlgerechtes Bad und zwei bis drei Zimmer gruppieren. Wie früher ist sie zentraler Treffpunkt und Herzstück der Wohnung.

Zu den Außenräumen wurden auf jeder der drei Etagen Bezüge hergestellt. Im EG haben die Wohnungen rückwärtig eine kleine Terrasse zum Garten, im OG die Laubengänge und in dem hochragenden Dach verglaste Gauben, die sich durch große Fenster gänzlich öffnen lassen und so zur Loggia werden. Der Umgang mit dem benachbarten Friedhof war eine Herausforderung, so Aebersold. An der alten Kirchmauer lehnt die »Schmitti« ohne Abstandsflächen an, ab dem 1. OG schiebt sich die Fassade leicht darüber und vermittelt den Eindruck, das Haus würde auf der Mauer sitzen. Große Fenster geben den Blick auf den Kirchgarten mit Friedhof frei, was anfänglich von der Gemeinde stark diskutiert wurde. Die Planenden konnten sich jedoch durchsetzen und stellen so die Beziehung der »Schmitti« zur Umgebung in den Mittelpunkt des Entwurfs. Eine an allen Fassadenseiten hölzerne Verkleidung aus Tanne, die mit schwedischer Schlammfarbe witterungsbeständig gestrichen wurde, fasst das für einen solchen Ort recht große Gebäudevolumen einheitlich zusammen, ohne dass es stark hervorsticht. Die Farben Graubeige und Taubenblau prägen die Erscheinung des Hauses, unter dem Dach zieht sich eine dunkelrote hölzerne Verkleidung an Traufe und Ortgang, die als besonderes Detail ins Auge fällt. Warum sich die Planenden für eine hölzerne Fassade entschieden haben, erklärt Aebersold damit, dass auch hier wieder eine Referenz zu den alten Bauernhäusern gesucht wurde. Im Unterschied zum Wohnbereich machte der Ökonomieteil den größten Abschnitt der Häuser aus. Traditionell war dieser in Holz konstruiert, was auch in der näheren Umgebung, in die sich die »Schmitti« gut eingliedert, direkt zu erkennen ist.

Vier Jahre nach Fertigstellung kann man sagen, dass der Neubau von Buol & Zünd zu Therwil gehört – im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen im Zentrum, die auch anderswo stehen könnten. Die Nachverdichtung des untergenutzten Grundstücks im alten Ortsteil ist den Architekten von Buol & Zünd gelungen. Die Herausforderung, in komplexer Lage mit benachbarter Kirche, denkmalgeschützter Substanz und gewundenen Gassen zu bauen, haben sie nachhaltig gemeistert. Die »Schmitti« ist elegant zurückhaltend, während sie gleichermaßen auf historische Referenzen verweist. Dabei wurden mit einer hochwertigen Materialisierung und hingebungsvollen Details Architektur geschaffen, die Jung und Alt gleichermaßen begeistert. Bisher sind die alten Häuser identitätsstiftend, in ein paar Jahren wird es vielleicht auch die »Schmitti« sein.

db, Mi., 2023.03.22



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db 2023|03 Generationenwohen

Presseschau 12

30. Mai 2025Nele Rickmann
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Kinderspital in Zürich

Mit dem neuen Kinderspital in Zürich schaffen Herzog & de Meuron eine Krankenhausarchitektur, die Hoffnung weckt. Nach der bereits 2002 fertiggestellten Rehab-Klinik in Basel hat nun auch Zürich ein Klinikgebäude erhalten, das gänzlich – von der Struktur bis zur Materialität – auf das Wohlbefinden und die Heilung von Kindern ausgelegt ist.

Mit dem neuen Kinderspital in Zürich schaffen Herzog & de Meuron eine Krankenhausarchitektur, die Hoffnung weckt. Nach der bereits 2002 fertiggestellten Rehab-Klinik in Basel hat nun auch Zürich ein Klinikgebäude erhalten, das gänzlich – von der Struktur bis zur Materialität – auf das Wohlbefinden und die Heilung von Kindern ausgelegt ist.

Den Wendepunkt im Verständnis einer neuartigen Krankenhaustypologie läuteten Herzog & de Meuron mit der 2002 in Basel fertiggestellten Rehab-Klinik ein. Merkmale der Gestaltung sind die horizontale Ausdehnung des Gebäudekörpers und eine Materialität, die durch Holz und haptische Oberflächen eine von Atmosphären geprägte Architektur schafft. Die Rehab-Klinik blickt auf eine bald 25-jährige Geschichte zurück und ist eines der bemerkenswertesten Gebäude der Gegenwart. Hinzu kam nun vergangenes Jahr das Kinderspital in Zürich, das sich in den Appell Herzog & de Meurons eingliedert, die Krankenhausarchitektur zu revolutionieren. Das Kinderspital in Zürich ist das erste Projekt seit der Rehab-Klinik in Basel, mit dem dieser Appell als zukunftsweisende Vision in die Realität umgesetzt wurde, gefolgt voraussichtlich 2026 mit der geplanten Fertigstellung vom Nyt Hospital Nordsjælland in Hillerød, Dänemark (von Herzog & de Meuron mit Vilhelm Lauritzen Arkitekter aus Kopenhagen).

Vorgeschichte und Wettbewerb

Das »Kispi« genannte Kinderhospital Zürich blickt auf eine über 150-jährige Geschichte zurück und ist das größte Spital für Kinder und Jugendliche in der Schweiz. Die private und gemeinnützige Eleonorenstiftung entschied sich als Trägerschaft, das Kinderspital auf das Klinikareal in Zürich-Lengg umzusiedeln, da der vorherige Standort im Quartier Hottingen nicht mehr genug Raum für aktuelle Anforderungen bot. Den daraufhin von der Stiftung ausgelobten selektiven und anonymen Wettbewerb gewannen 2012 Herzog & de Meuron. Die Trägerschaft lobte die Wirtschaftlichkeit des Projekts aufgrund seiner geringen Geschossfläche und seines geringen Volumens.

Das neue Klinikensemble in Zürich-Lengg umfasst nun zwei Neubauten: ein Gebäude für Forschung und Lehre auf dem Nord- sowie das Akutspital auf dem Südareal. Dass die unterschiedlichen Nutzungen in separaten Gebäuden untergebracht wurden, ist sinnvoll, da sie anderen Anforderungen gerecht werden müssen. Beide Gebäude funktionieren getrennt, sind allerdings durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sollen so effizient in die klinische Behandlung eingebracht werden können.

Das Gebäude für Forschung und Lehre ist von zylindrischer Form und umfasst ein zentral gelegenes fünfgeschossiges Atrium, um das sich Hörsäle, Labore sowie individuelle Bereiche für Forschungsgruppen, Seminarräume und Lernbereiche für Studierende anordnen. Mit seiner weiß verputzten Fassade steht es im starken Kontrast zum Akutspital. Dessen hölzerne Fassade verweist nach außen deutlich auf das, was Herzog & de Meuron mit am wichtigsten ist: Eine Materialität, die nicht nur schön anzusehen ist, sondern im weiteren Sinne eine »heilende Kraft« hat, in dem sie die sinnliche Erfahrung des Raums, über die eigentliche Form und Funktion hinaus, in den Mittelpunkt der Spitalarchitektur stellt.

Das Haus als Stadt

Mit seiner feinen Holzfassade gliedert sich das Akutspital als dreigeschossiger Betonskelettbau in die Umgebung des Klinik-Areals Lengg ein. Es funktioniert in seiner horizontalen Ausdehnung und mit einer Gebäudelänge von 200 m wie eine kleine Stadt – geprägt von Straßen, Plätzen und Häusern. Die Häuser, das sind insgesamt 114 Patient:innenzimmer, die sich im 2. OG gereiht und in leicht versetzter Anordnung mit geneigten Dächern von den darunterliegenden Geschossen absetzen. Sie verweisen auf die Individualität einer jeden Patientin und eines jeden Patienten und stellen eine Maßstäblichkeit her – v. a. für die Kleinen, die dort gemeinsam mit ihren Eltern untergebracht werden.

Ein großes Tor spannt sich an der Nordfassade zur Lenggstraße gegenüber der historischen und denkmalgeschützten Psychiatrischen Universitätsklinik von 1869 auf; hier befindet sich der Haupteingang zum Kinderspital. Durch die einladende Geste entsteht ein Vorplatz, der die Eingangssituationen beider Institutionen gleichermaßen betont. Das Kinderspital wird durch einen hinter dem Tor liegenden, offenen Hof betreten, von dem aus das EG erschlossen werden kann. Hier befinden sich öffentliche Nutzungen wie Restaurant und Café, aber auch Behandlungsbereiche wie Tagesklinik und Bilddiagnostik. Eine interne Straße führt an den einzelnen Klinikbereichen vorbei und endet an der Notfallstation, die durch einen an der westlichen Stirnseite gelegenen Eingang von Patient:innen und Personal separat erschlossen werden kann.

Vertikale Achsen bilden regelmäßig angeordnete, betonierte Erschließungskerne. Von der teils öffentlichen Nutzung im EG wird die Nutzung nach oben hin immer privater – bis zu den Zimmern für die jungen Patientinnen und Patienten, die als kleine »Kronen« auf dem festen Baukörper aufsitzen. Im mittleren Geschoss befinden sich weitere Teile der Polikliniken, eine Spitalschule, eine Apotheke und andere gemeinschaftliche Nutzungen. Diese werden von einer Bürozone gerahmt, die sich an den Fassaden entlangstreckt und insgesamt Platz für rund 600 Arbeitsplätze bietet. Neben den betonierten Stützen und Kernen ist im Inneren alles andere in Leichtbauweise ausgeführt. So soll im Kispi – trotz seiner markanten äußeren Form – auch zukünftig eine innere Flexibilität gewährleistet werden.

Die Natur nach innen bringen

Darüber hinaus durchdringen den horizontalen Gebäudekörper grüne Höfe, von den nicht alle bis ins EG reichen. Sie machen eine der größten Qualitäten der Architektur aus, bringen nicht nur Licht und Natur in das Spital, sondern eröffnen auch Blickbeziehungen und vermitteln Zugehörigkeit – auch über die Geschosse hinaus. Die Landschaftsarchitektur übernahmen die Basler Landschaftsarchitekten August + Margrith Künzel in Zusammenarbeit mit Andreas Geser (Zürich), denen eine individuelle Gestaltung der punktuell angeordneten Höfe von eckiger und runder Form durchweg gelungen ist. Die internen Straßen weiten sich zu den Höfen auf, welche auch der Orientierung dienen. Zusätzlich tragen einzelne Kunstwerke – wie die roten Kajaks des Schweizer Künstlers Roman Signer oder die Installation »My Sky« des Lichtkünstlers James Turrell – zur Verortung im Spital bei.

Eine Debatte um das Zürcher Kinderspital, die in den letzten Jahren in der Schweiz öffentlich ausgetragen wurde, drehte sich v. a. um die erhöhten Kosten, die erst den Stararchitekten zugeschrieben wurden, eigentlich aber durch gestiegene Materialpreise aufgrund von Pandemie und Ukrainekrieg begründet sind. Die Frage, ob einer Funktionsarchitektur wie der der Spitäler solch eine inhaltliche und finanzielle »Hürde« entgegengebracht werden müsse, befeuerte die Debatte. Wer das Kispi jedoch einmal besucht hat, weiß, dass diese Diskussion angesichts der zukunftsweisenden Qualitäten der Architektur hinfällig ist. Denn: Herzog & de Meuron beweisen, dass das gängige Bild einer sonst üblichen Krankenhaustypologie der Vergangenheit angehört.

db, Fr., 2025.05.30



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db 2025|06 Gesundheitsbauten

01. August 2023Nele Rickmann
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Neues Wohnen im alten Stall

Jung und motiviert bringen Alder Clavuot Nunzi frischen Wind ins Bergell. Zwischen atemberaubender Alpenlandschaft und historischer Bündner Bausubstanz verorten sich die meisten ihrer Eingriffe in der Transformation alter Häuser. 2021 fertiggestellt, dient ein ehemaliger Doppelstall in Castasegna heute dem Wohnen einer jungen Familie.

Jung und motiviert bringen Alder Clavuot Nunzi frischen Wind ins Bergell. Zwischen atemberaubender Alpenlandschaft und historischer Bündner Bausubstanz verorten sich die meisten ihrer Eingriffe in der Transformation alter Häuser. 2021 fertiggestellt, dient ein ehemaliger Doppelstall in Castasegna heute dem Wohnen einer jungen Familie.

Matthias Alder, Silvana Clavuot und Alessandro Nunzi sind junge Architekt:innen, ausgebildet an der ETH Zürich und der Berner Fachhochschule. Sie engagieren sich für das Bauen abseits der bekannten Hotspots Zürich, Basel, Genf und tragen einen wichtigen Teil zur architektonischen Weitergestaltung ländlicher Strukturen bei. Direkt nach dem Studienabschluss gründeten sie 2013 das gemeinsame Architekturbüro in Soglio, einem kleinen Bergdorf im Bergell nahe der italienischen Grenze, das nicht umsonst zu einem der schönsten Dörfer der Schweiz gewählt wurde. Da Alessandro Nunzi dort aufgewachsen ist, ergaben sich von vornherein kleine Aufträge, mit denen sich das junge Büro ein Standbein bilden konnte. Nach nun 10 Jahren praktischer Tätigkeit lässt sich – neben den bekannten Stationen der Seilbahn Funivia Albigna (2016) – im Werkverzeichnis eine klare Tendenz erkennen: die für die Region typischen historischen Bauten umgestalten und weiternutzen. Eine Aufgabe, die Handwerklichkeit, Zurückhaltung und Durchhaltevermögen voraussetzt. Alder Clavuot Nunzi geht es als jungem Büro nicht darum, nach eigenen architektonischen Vorlieben Neubauten auf der grünen Wiese zu errichten, sondern Haltung im Umgang mit bestehender Substanz zu zeigen. Eine Auffassung, die sich vor allem auf dem starken Interesse am Handwerk und den dringenden Fragen nach einer nachhaltigen Entwicklung gründe, erklären die Architekt:innen.

Die Region Bergell im Schweizer Süd-Osten ist geprägt von den für den Kanton Graubünden typischen Wohnhäusern mit Steindächern, Ställen im hölzernen Strickbau und herrschaftlichen Palazzi. Es ist eine Region, die im Sommer über ihre Grenzen hinaus Tausende Touristen anzieht und im Winter in den Tiefschlaf fällt. In den kleinen Dorfstrukturen mit engen Gassen und vermoosten Dächern legt die Denkmalschutzbehörde besonderen Wert auf den Erhalt von Ortsbildern und Bausubstanz. Dass alte Strukturen geschützt werden müssen, sei unbestritten, aber eine Musealisierung des gegenwärtigen Zustands könne nicht die Lösung sein, so die jungen Planenden. Sie werden mit der Frage nach Umbau und Transformation vor Herausforderungen gestellt, mit denen sie im Studium an der ETH Zürich nur gering – wenn überhaupt – konfrontiert wurden. Das Bauen im Bestand sei damals noch kein großes Thema gewesen, erklärt Matthias Alder. Sie als Architekt:innen seien nach dem Abschluss ins kalte Wasser gesprungen und ihnen obliege nun die Aufgabe, die verschiedenen Pole – Denkmalschutz, Handwerk und Gestaltung – auszubalancieren.

Schichtung aus Alt und Neu

So auch beim Umbau eines Stalls, der dem für die Region typischen Konstruktionsprinzip folgt – gemauertes Sockelgeschoss im EG, ggf. Mauerpfeiler und Ausfachung mit vertikalen Holzbrettern im 1. OG und offener hölzerner Strickbau im 2. OG. Das Gebäude aus dem 17. Jahrhundert mit späterem Anbau haben Alder Clavuot Nunzi nun zu einem Wohnhaus, der Casa Boscaia, umgewandelt. Mit einer Nutzfläche von über 100 m² bietet dieses mit zwei Schlafzimmern, zwei Bädern, einem Gäste-/Arbeitsraum, einer offenen Wohnküche und einem Wohnzimmer sowie Eingangsbereich und Nebenräumen im gemauerten EG ausreichend Platz für eine Familie.

Einige Eingriffe von Alder Clavuot Nunzi lassen sich an der Fassade auf den ersten Blick klar ablesen. Neu hinzugefügte Öffnungen setzen sich in der Farbigkeit des frischen Fichtenholzes vom Bestand ab. Das wird besonders an dem langen Balkon im 2. OG an der Südfassade und an neuen Tür- und Fensteröffnungen deutlich. Bis auf einen weiteren Balkon aus Beton im 1. OG blieb die restliche Fassade allerdings im Großen und Ganzen unverändert. Um trotzdem Tageslicht ins Innere zu lassen, wurden im 1. OG einzelne vertikale Bretter der Ausfachung entfernt. Auf den zweiten Blick sieht man nun, dass sich hinter der alten Hülle eine eigene, neue Fassade verbirgt. Eine gestalterische Entscheidung, die aus den Anforderungen der neuen Nutzung und dem bestmöglichen Erhalt der ursprünglichen Erscheinung resultiert. Bei einem anderen Umbauprojekt, das sich im Nachbardorf noch im Bau befindet, treiben die Architekt:innen dieses Prinzip weiter, indem sie einen circa 30 cm breiten Abstand als großzügige Hinterlüftung zwischen altem Stall als Hülle und neuem Wohnkern lassen.

Dämmen mit Maß und Ziel

Die Wohnräume im 1. und 2. OG der Casa Boscaia, innen in Fichtenholz bekleidet oder an den Bestandsmauerpfeilern mit Dämmputz verputzt und mit neuem Estrichboden versehen, haben eine gemütliche Atmosphäre und entsprechen modernen Anforderungen. Für Stauraum ist ebenfalls durch schlichte Einbaumöbel aus Holz gesorgt. Auf den beiden oberen Geschossen wurde gedämmt, wohingegen das gemauerte EG mit Nebenräumen als Kaltraum erhalten blieb. Eine bewusste Entscheidung, das Haus weiterhin »atmen« zu lassen und, soweit vorhanden, im Erdreich zu belassen.

Schließlich müsse ein altes Gebäude nicht den Anforderungen eines Neubaus entsprechen und stattdessen vielmehr den Charakter des Bestands weitertragen, so Matthias Alder.

Besonders eindrucksvoll ist die durch die starke Hanglage auf allen drei Ebenen vorhandene Beziehung zum Außenraum. Im 1. OG bildet eine große Dachterrasse auf dem Anbau eine Erweiterung der Wohnküche und im 2. OG wurde ein Ausgang nach Norden ergänzt, der zum grünen Garten führt. Von hier aus hat man einen imposanten Blick auf das Dach, das in regionaltypischer Weise mit Steinplatten gedeckt ist. Davon sind 1/3 Bestand und 2/3 mussten neu hinzugefügt werden. Ein facettenreiches Farbenspiel aus Alt und Neu – aus unterschiedlich grau-braun und silbrig schimmernden Steinplatten – erstreckt sich über das ganze Dach.

Von der Casa Boscaia, die sich am Ortsrand Castasegnas befindet, eröffnen sich weite Ausblicke auf die gegenüberliegende Alpenlandschaft. Enge Nischen und Gassen des Dorfes in direkter Umgebung machen die kontrastreichen Eigenschaften des Grundstücks aus. Diese spiegeln sich auch im Haus wider, das von zurückgezogenen und offenen Bereichen mit Durch- und Ausblicken geprägt ist. Der Umbau der Casa Boscaia ist ein über die Grenzen des Bergell hinaus wichtiges Projekt: Es stärkt die ländliche Region, die allzu sehr vom Tourismus geprägt ist, und bringt bis dato unbenutzte, historische Baustrukturen mit Perspektive in die Zukunft.

db, Di., 2023.08.01



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db 2023|08 Jung saniert Alt

05. Juni 2023Nele Rickmann
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Qualität des Mittendrin

Mitten in Basel haben HHF Architekten mit dem »Landskronhof« eine grüne Oase mit familiärer Atmosphäre geschaffen. In ruhiger Hoflage wirken Nähe, Blickbeziehungen und Topografie. Das neue Wohngebäude gliedert sich als leichter, heller Pavillon in die bestehende Stadtstruktur ein. So konnten ein vergessener Ort reaktiviert und die Stadt verdichtet werden.

Mitten in Basel haben HHF Architekten mit dem »Landskronhof« eine grüne Oase mit familiärer Atmosphäre geschaffen. In ruhiger Hoflage wirken Nähe, Blickbeziehungen und Topografie. Das neue Wohngebäude gliedert sich als leichter, heller Pavillon in die bestehende Stadtstruktur ein. So konnten ein vergessener Ort reaktiviert und die Stadt verdichtet werden.

Das Projekt Landskronhof befindet sich im Stadtteil St. Johann in Basel unweit des Verkehrsknotens Kannenfeldplatz, von dem man den Basler Hauptbahnhof innerhalb von 15 Minuten mit Bus oder Tram erreicht. Eine familiäre und vertraute Atmosphäre durchströmt die Straßen – man kennt und grüßt sich. Das Quartier ist geprägt von einer klassischen Blockrandbebauung, die sich aus kleinteiligen Häusern zusammensetzt; demnach gliedern sich die Höfe in mehrere Parzellen. Im Unterschied zu den umliegenden Höfen ist der, in dessen Mitte sich das Projekt Landskronhof befindet, von einer starken Topografie geprägt: Von Nord nach Süd wie auch von West nach Ost fällt das Gelände konstant ab. Mehrere hohe Mauern durchziehen den Hof und terrassieren so die Höhenunterschiede. Eine Situation, die vor Herausforderungen stellt – wie schon die Nähe zu den Bestandsbauten. Fluch und Segen zugleich, denn HHF Architekten haben nach einer langen Planungs- und Bauphase von insgesamt neun Jahren ein Pilotprojekt der innerstädtischen Verdichtung geschaffen. Die Architektur besticht durch spannende innenräumliche Situationen, die durch Nähe und Ferne, Durchblicke und eine konstante Beziehung zum Außenraum geprägt sind – v. a. ist dies möglich durch die komplexen kreuzförmigen Grundrissstrukturen und mehrere Staffelgeschosse.

Zwar zeigt dieses architektonische Prinzip für solche Hofsituationen Perspektiven auf. Dennoch ist die von HHF Architekten hier vorgeschlagene Lösung individuell und maßgeschneidert für den topografisch geprägten Ort. Dieser war vor dem Bau des Landskronhofs von versiegelten Flächen, Parkplätzen und Garagen geprägt – identitäts- und beziehungslos, ein sogenannter Nicht-Ort eben. HHF Architekten haben mit dem Projekt zukunftsweisend ein Stück Stadt realisiert, das die Herausforderungen der Situation geschickt in architektonische Qualitäten umwandelt.

Oben, unten, nah und fern

Das im Hof gelegene Grundstück, auf dem sich der Landskronhof befindet, ist von Norden und Osten durch unscheinbare Einfahrten zugänglich, die jeweils auf unterschiedlichen topografischen Ebenen liegen. Die untere ist von der Davidbodenstrasse aus erreichbar. Hier liegt die Einfahrt zur Tiefgarage, die in den Höhenversprung integriert ist, neben einem der zwei Hauseingänge. Im Unterschied dazu ist die obere Ebene von der Landskronstrasse ausschließlich für Fußgänger und Fahrradfahrer zugänglich, hier befindet sich der andere Hauseingang. Im Inneren sind beide Eingänge geschickt durch Blickbeziehungen verbunden, welche durch verspiegelte Wände und eine frei stehende Wendeltreppe spielerisch inszeniert werden. Eine klare Zonierung lässt sich ablesen; das Konzept überzeugt durch ein komplexes Gefüge und stetige Blickbeziehungen, die trotz der Höhenversprünge eine gesamtheitliche Zugehörigkeit möglich machen.

Das Thema der visuellen Verbindungen zieht sich durch das ganze Haus. Hier befinden sich 15 Wohnungen, die mit Größen von 50 bis 150 m² unterschiedlichen Bedürfnissen entsprechen. Fast vollständig werden die Wohneinheiten von jungen Familien bewohnt. Durch die Versprünge der einzelnen Geschosse ist überall ein Bezug zum Außenraum gegeben; jede Wohnung präsentiert sich anders, kein Geschoss ist gleich. Was jedoch alle Wohnungen gemein haben, ist das gekonnte Spiel der Architekten mit Ausblicken in die Nähe und Ferne. Das Prinzip der nahen Wand entdeckten HHF Architekten bereits zuvor im Projekt Byfangweg (ebenfalls in Basel) für sich, verrät Simon Frommenwiler, Architekt und einer der drei Bürogründer. Der kreuzförmige Grundriss des Landskronhofs ermöglicht das Prinzip der durchgesteckten Wohnungen an jedem der vier Arme, sodass sich weite Ausblicke in den Hof und Garten ergeben. An den kurzen Stirnseiten sind die Ausblicke v. a. in den unteren Wohnungen durch die Mauern der nahen Brandwände beschränkt. Jedoch beeinträchtigt das die Wohnungen nicht – ganz im Gegenteil, die Situationen profitieren von den Kontrasten. Damit gegenseitige Einblicke vermieden werden, sind die inneren Ecken je einer Wohnung zugeteilt. Ein ausgetüfteltes Spiel der verschachtelten Einheiten prägt den Landskronhof und ist von außen auf den ersten Blick so nicht ablesbar.

In den unteren Geschossen wie auch im DG finden sich Maisonettewohnungen. Auf jedem einzelnen Geschoss hat man durch die Höhenversprünge das Gefühl, im EG zu sein respektive sich in dessen unmittelbarer Nähe zu befinden – und das, obwohl das Haus insgesamt sechs Geschosse umfasst. Terrassen und Gärten verstärken die Beziehung zum Außenraum. In den oberen Etagen sind diese begrünt, ebenso die Dachflächen. Einblicke von den umgrenzenden Häusern lassen sich hier allerdings nicht vermeiden. Die verschachtelten Volumen tragen jedoch dazu bei, dass jeder Wohnung gleichermaßen ein zurückgezogener Bereich zur Verfügung steht.
Auch die das Haus komplett umlaufenden Balkone auf jeder Etage fungieren als Pufferzone zwischen halböffentlichem Hofraum und privater Wohnung. Sie werden in Zukunft bewachsen sein, sodass die angrenzenden Häuser von einer grünen Vertikalen als Gegenüber profitieren. Zudem bilden diese eine Art verbindendes Element. Ein Bewohner erzählt, wie v. a. die Kinder schnell zwischen den Wohnungen wechseln und spontane Besuche stattfinden. Auch über die einzelnen Etagen hinaus wird kommuniziert, von oben nach unten gerufen, gegrüßt und sich verabredet. Ein Konzept, auf das man sich einlassen muss, wenn man sich entscheidet, im Landskronhof zu wohnen. Vielen wäre das u. a. auch zu viel Nähe, zu viel Gemeinschaft, zu viel Offenheit. Dass sich die gegenwärtige Bewohnerschaft allerdings vollkommen auf dieses Konzept eingelassen hat und es mit Freude lebt, zeigen der Verzicht auf abgrenzende Hecken im Garten oder gar Trennwände auf den umlaufenden Balkonen. Damit das auch so bleibt, wurde sogar jüngst ein gemeinsames Statement der Bewohnerschaft verfasst, verrät Frommenwiler. Und das, obwohl sich die Bewohnerschaft anfänglich willkürlich zusammengefunden hat. Die Wohnungen wurden als Eigentumswohnungen vergeben, eine vorherige Absprache, wie man es von Baugruppen kennt, gab es hier nicht. Ein Wunder also – oder eher ein Zeichen gelungener Architektur –, dass das Prinzip der Gemeinschaft hier so einwandfrei funktioniert.

Nicht nur das Leben im Landskronhof bedarf gemeinschaftlicher Zusammenarbeit, auch der vorangegangene Planungs- und Bauprozess war eine Arbeit von vielen. Ein Projekt dieser Art, das einem bereits vergessenen Hinterhof neues Leben einhaucht, ist das Resultat eines langjährigen und teils auch zähen Zusammensitzens von Grundstückseigentümer:innen, Hausbesitzern, Bewohnerschaft, Planenden und der Stadt Basel. Man arbeite gemeinsam an Ideen, nicht genutzte Flächen in Basel zu reaktivieren und Potenziale von innerstädtischen Lagen zu nutzen, so Frommenwiler. Dass dies möglich ist, zeigen HHF Architekten mit dem Projekt vorbildlich, und verweisen damit auf eine zukunftsfähige Lösung, die in der Innenstadt fast schon suburbanen Charakter hat. Eine ruhige, mikro-parkähnliche Atmosphäre ist rund um den Landskronhof entstanden: Im grünen Hof finden sich eine Reihe von öffentlichen und halböffentlichen Gärten, die nicht nur für die Bewohnerschaft des Landskronhofs, sondern auch für die angrenzende Nachbarschaft Aufenthaltsqualitäten schaffen.

db, Mo., 2023.06.05



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db 2023|05 Stadtquartiere

22. März 2023Nele Rickmann
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Ins Neue übersetzt

Zwischen alten Bauernhäusern, Dorfkirche und denkmalgeschützten Gebäuden hat das Basler Büro Buol & Zünd mit zeitgenössischer Architektur den historischen Teil der Gemeinde Therwil verdichtet und dabei Maßstäblichkeit bewahrt. Wie ein passgenaues Teil fügt sich der Neubau in die verwinkelte und kleinteilige Struktur ein und orientiert sich dabei gezielt an seiner Umgebung, ohne aber retrospektiv zu wirken. Eine Bewohnerschaft aus Jung und Alt wird hier gleichermaßen angesprochen.

Zwischen alten Bauernhäusern, Dorfkirche und denkmalgeschützten Gebäuden hat das Basler Büro Buol & Zünd mit zeitgenössischer Architektur den historischen Teil der Gemeinde Therwil verdichtet und dabei Maßstäblichkeit bewahrt. Wie ein passgenaues Teil fügt sich der Neubau in die verwinkelte und kleinteilige Struktur ein und orientiert sich dabei gezielt an seiner Umgebung, ohne aber retrospektiv zu wirken. Eine Bewohnerschaft aus Jung und Alt wird hier gleichermaßen angesprochen.

Mit einem Studienauftrag zur Bebauung des an die Dorfkirche von Therwil angrenzenden Grundstücks, auf dem sich heute die »Schmitti« von Buol & Zünd befindet, reagierte die Gemeinde auf Herausforderungen, mit denen sich viele vergleichbare Orte konfrontiert sehen: einer Leere im historischen Dorfkern, dem großen Fragezeichen, wenn es darum geht, Bestand anzueignen, der nicht den aktuellen Standards entspricht – und einer alternden Bevölkerung, die im Ort wohnen bleiben will, der aber das eigene Heim nach dem Wegzug der Kinder zu groß geworden ist. Therwil war mal Dorf und ist Gemeinde geworden. Zuwachs gibt es, Grund dafür ist v. a. die Nähe zu Basel. Nach 20 Fahrminuten mit Bus oder Bahn vom Basler Hauptbahnhof erreicht man die Haltestelle »Therwil Zentrum«. Neue, hohe, aber größtenteils charakterlose Bauten vermitteln hier ein fast schon urbanes Bild. Nicht so sieht es fünf Gehminuten weiter südlich aus; dort scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. So auch der Baubestand: Baselbieter Bauernhäuser säumen vereinzelt die Straßen, die alte Dorfkirche St. Stephan thront erhöht über den alten Häusern, die wiederkehrend leer stehen. Den gegenwärtigen Standards werden sie nicht mehr gerecht, zu kleine Fenster, zu niedrige Decken, zu eng, zu bescheiden. Dennoch aber atmosphärisch und von Charakter geprägt.

Das findet auch die Gemeinde und will dem historischen Dorfteil nachhaltig eine Perspektive geben. Wichtig dabei: der Bezug zum Ort und eine authentische Erscheinung. Im Studienauftrag setzten sich Buol & Zünd gegen drei weitere Architekturbüros durch, in dem sie u. a. den Bestand, zwei alte Taunerhäuser aus dem 16. Jahrhundert, in die Zukunft fortführen. (Anm. d. Red.: Bis ins 19. Jahrhundert wurden in der Schweiz Kleinbauern Tauner genannt, abgeleitet von Tagelöhner). Diese ergänzen sie durch einen zurückhaltenden Neubau, der sich als »Schmitti« passgenau in die historische Struktur einfügt. Auf Kontraste wurde verzichtet und Altes neu übersetzt.

Kleine Gassen, klare Kanten, spitzes Dach

Hinter der nahe gelegenen Gemeindebibliothek, die dem Ort entsprechend interdisziplinäre Veranstaltungen für Jung und Alt anbietet, sitzt ein kleines Haus, eine ehemalige und heute denkmalgeschützte Schmiede, die namensgebend für die »Schmitti« war. Zur rechten Seite die sanierten Taunerhäuser, in denen die von Buol & Zünd geplanten Eingriffe so gering wie möglich waren, um angemessene Raumhöhen herzustellen, aber gleichermaßen den Charakter des Hauses zu wahren. Dahinter der Neubau, dessen klar definiertes, zweigliedriges Volumen mit Satteldach zur links liegenden und topografisch erhöhten Kirche abknickt. Dazwischen eine schmale Gasse, die die Grenzen von öffentlich, halböffentlich und privat verschwimmen lässt. Matthias Aebersold, Projektleiter bei Buol & Zünd, erklärt, dass hier v. a. die Nähe eine Qualität des Bestandes ist. Die kleinen Gassen und geringen Abstände zu den Nachbarn sind eine Besonderheit des Ortes. Sie verleihen der Situation eine sehr intime Atmosphäre. So war eine Dichte von vornherein gegeben und musste von den Architekten nur übersetzt werden. Besonderes Augenmerk legten sie dabei auf Schwellenübergange und arbeiteten mit verschiedenen Bodenbelägen, um einzelne Bereiche voneinander abzusetzen. Auch Details, die sich an der Fassade und im Innenraum erkennen lassen, resultieren aus dieser besonderen Situation.

Die Fassade zur Gemeindebibliothek im Norden dominieren breite Laubengänge, die nicht nur Erschließungszone zu den einzelnen Wohnungen sind, sondern als Begegnungs- und Gemeinschaftsort fungieren. Das Team von Buol & Zünd setzt hier nicht auf Trennungen zwischen den einzelnen Einheiten, sondern – ganz im Gegenteil – integriert neben jedem Eingang ein großes Fenster mit tiefer Laibung und geringer Brüstungshöhe, das zur Nische mit Sitzbank und somit zum gemeinsamen Treffpunkt wird.

Im Haus gibt es zehn Wohnungen, die als Single-Apartments bis zu Einheiten mit 4,5 Zimmern verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Von jungen Zugezogenen zu älteren Paaren ist die Bewohnerschaft vielfältig. Das sei den Planenden von Anfang an wichtig gewesen, erklärt Aebersold. Mit einer Architektur, die Jung und Alt gleichermaßen anspricht, wollen sie den historischen Teil Therwils wiederbeleben und ihm eine Perspektive geben. Dabei orientieren sie sich auch an den Grundrissen der historischen Baselbieter Bauernhäuser, bei denen die Küche zentraler Ort im Haus ist. Direkt hinter den Eingängen liegt in der »Schmitti« je eine Wohnküche, um die sich ein rollstuhlgerechtes Bad und zwei bis drei Zimmer gruppieren. Wie früher ist sie zentraler Treffpunkt und Herzstück der Wohnung.

Zu den Außenräumen wurden auf jeder der drei Etagen Bezüge hergestellt. Im EG haben die Wohnungen rückwärtig eine kleine Terrasse zum Garten, im OG die Laubengänge und in dem hochragenden Dach verglaste Gauben, die sich durch große Fenster gänzlich öffnen lassen und so zur Loggia werden. Der Umgang mit dem benachbarten Friedhof war eine Herausforderung, so Aebersold. An der alten Kirchmauer lehnt die »Schmitti« ohne Abstandsflächen an, ab dem 1. OG schiebt sich die Fassade leicht darüber und vermittelt den Eindruck, das Haus würde auf der Mauer sitzen. Große Fenster geben den Blick auf den Kirchgarten mit Friedhof frei, was anfänglich von der Gemeinde stark diskutiert wurde. Die Planenden konnten sich jedoch durchsetzen und stellen so die Beziehung der »Schmitti« zur Umgebung in den Mittelpunkt des Entwurfs. Eine an allen Fassadenseiten hölzerne Verkleidung aus Tanne, die mit schwedischer Schlammfarbe witterungsbeständig gestrichen wurde, fasst das für einen solchen Ort recht große Gebäudevolumen einheitlich zusammen, ohne dass es stark hervorsticht. Die Farben Graubeige und Taubenblau prägen die Erscheinung des Hauses, unter dem Dach zieht sich eine dunkelrote hölzerne Verkleidung an Traufe und Ortgang, die als besonderes Detail ins Auge fällt. Warum sich die Planenden für eine hölzerne Fassade entschieden haben, erklärt Aebersold damit, dass auch hier wieder eine Referenz zu den alten Bauernhäusern gesucht wurde. Im Unterschied zum Wohnbereich machte der Ökonomieteil den größten Abschnitt der Häuser aus. Traditionell war dieser in Holz konstruiert, was auch in der näheren Umgebung, in die sich die »Schmitti« gut eingliedert, direkt zu erkennen ist.

Vier Jahre nach Fertigstellung kann man sagen, dass der Neubau von Buol & Zünd zu Therwil gehört – im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen im Zentrum, die auch anderswo stehen könnten. Die Nachverdichtung des untergenutzten Grundstücks im alten Ortsteil ist den Architekten von Buol & Zünd gelungen. Die Herausforderung, in komplexer Lage mit benachbarter Kirche, denkmalgeschützter Substanz und gewundenen Gassen zu bauen, haben sie nachhaltig gemeistert. Die »Schmitti« ist elegant zurückhaltend, während sie gleichermaßen auf historische Referenzen verweist. Dabei wurden mit einer hochwertigen Materialisierung und hingebungsvollen Details Architektur geschaffen, die Jung und Alt gleichermaßen begeistert. Bisher sind die alten Häuser identitätsstiftend, in ein paar Jahren wird es vielleicht auch die »Schmitti« sein.

db, Mi., 2023.03.22



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db 2023|03 Generationenwohen

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