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07. Dezember 2023Katharina Rustler
Der Standard

Neues Wiener Original

Nach drei Jahren Umbauzeit öffnet am Donnerstag das neue Wien-Museum seine Tore. Die umfassende und sehr dichte Dauerausstellung erzählt die Geschichte der Stadt mit modernen Zugängen und erfrischender Gestaltung. Der Eintritt ist frei!

Nach drei Jahren Umbauzeit öffnet am Donnerstag das neue Wien-Museum seine Tore. Die umfassende und sehr dichte Dauerausstellung erzählt die Geschichte der Stadt mit modernen Zugängen und erfrischender Gestaltung. Der Eintritt ist frei!

Um zu den großen Highlights zu gelangen, muss man sich etwas gedulden. Die neue Dauerausstellung des Wien-Museums beginnt chronologisch mit den ersten Siedlungen auf dem heutigen Stadtgebiet von vor rund 8000 Jahren. Ein digitales Modell der Stadt zeigt das rasante Wachstum im Zeitraffer: von Vindobona über den Bau der Ringstraße, die Donauregulierung bis hin zur Errichtung der Gemeindebauten sowie zu modernen Erweiterungen.

Ein sehr komprimierter Überblick über den Zeithorizont der umfassenden Präsentation, die den treffenden Titel Wien. Meine Geschichte trägt und in vielerlei Hinsicht für alle gemacht ist. Ihre Neuaufstellung gilt als Herzstück des drei Jahre lang umgebauten Stadtmuseums, das dieser Tage seine Wiedereröffnung feiert. Am Mittwochabend konnten erste Interessierte ins Haus, ab Donnerstag ist das Museum regulär geöffnet. Wobei es für den Andrang in den ersten vier Wochen Timeslots gibt, wie Direktor Matti Bunzl ankündigte.

Durch die moderne Erweiterung des denkmalgeschützten Gebäudes konnte die Museumsfläche von 6900 auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt werden. Dabei verteilen sich die etwa 1700 präsentierten Objekte der Dauerausstellung (auf 3300 Quadratmetern) auf drei Etagen. Über der frei zugänglichen Terrasse sowie dem Café thront das neue „Schwebegeschoß“, in dem wechselnde Sonderausstellungen stattfinden werden.

Dort wird man sich ab Februar 2024 dem Architekten der Karlskirche, Johann Bernhard Fischer von Erlach, widmen und anschließend die Präsentation Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann zeigen, die in der Alten Nationalgalerie in Berlin Erfolge feierte. Im Vergleich zur Dauerpräsentation muss das Publikum hier wie gewohnt Eintritt zahlen. Das restliche Museum ist kostenlos zu besichtigen – ein Novum für Österreich. Der gestiegene Budgetbedarf für die nächsten fünf Jahre wird noch erarbeitet, wie es heißt. Für 2024 stehen 27,5 Millionen Euro zur Verfügung, wobei ein Teil aus eigenen Rücklagen stammt.

Der freie Eintritt ist nicht nur ein demokratischer Schritt, um das Haus zugänglicher zu machen, sondern auch ein pragmatischer. Er ermöglicht es dem Publikum, die sehr umfassende Dauerausstellung mehrmals zu besuchen: Wenn man diese zügig besichtigt und dennoch Zeit haben möchte, um auf Details einzugehen, sollte man zwei bis drei Stunden einplanen.

So wirken die ersten Räume im Erdgeschoß, die frühe geologische Fundstücke sowie Ausgrabungen zeigen, etwas gedrückt und verwinkelt. Es benötigt ein paar Augenblicke, um mit der Dichte an Objekten zurechtzukommen. Zwar gewöhnt man sich an sie – sie setzt sich aber im gesamten Haus fort. Zahlreiche Heiligenskulpturen aus Kalksandstein, die einst am Nordturm des Stephansdoms platziert waren, weisen den Weg durch das Mittelalter und die Renaissance. Folgt man ihnen, bietet sich durch Öffnungen in der Decke der Blick in die große Halle.

Inklusiv, kritisch und aktuell

Dort warten die großen Kaliber des Museums. So schweben eine Pferdekutsche der Wiener Bürgermeister, der ikonische Südbahnhof-Schriftzug sowie der zehn Meter lange Wal aus dem Wurstelprater meterhoch in der Luft. Darunter tummeln sich die Originalfiguren des Donnerbrunnens, die zu den wertvollsten Objekten der Sammlung zählen.

1739 entwarf der Bildhauer Georg Raphael Donner den zentralen Brunnen auf dem Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt. Etwa 100 Jahre später mussten alle Figuren wegen ihrer empfindlichen Blei-Zinn-Legierung durch Bronzekopien ersetzt werden. Warum man die Flussskulpturen nun nicht zum gesamten Ensemble arrangierte, sondern auf einzelnen Sockeln verteilt zeigt, bleibt fraglich.

Ab da erstreckt sich die Schau von Barock und Aufklärung über Biedermeier hin zur Zeit des Baus der Ringstraße – in einem der gelungensten Säle. In dem altrosa getünchten Ambiente vereinen sich Exponate einer Zeit, in der Wien gedieh und boomte. Nicht nur Gemälde von Tina Blau oder Hans Makart berichten davon, sondern auch Alltagsobjekte wie Kleider oder ein erstes Wasserklosett.

Auffallend sind die spielerischen, partizipativen und inklusiven Zugänge, die sich durch die gesamte Dauerausstellung ziehen. So gibt es immer ausreichend Informationen, die durch ergänzende Stationen vertieft werden können. Einzelne Bereiche sind bewusst für Schulklassen gestaltet. Anhand bestimmter Personen – beispielsweise Kaiserin Maria Theresia – werden zeitliche Phänomene aufgegriffen und anhand von Diagrammen oder Zeitstrahlen eingeordnet. Wie viele Herrscherinnen gab es im Europa des 18. Jahrhunderts?

Nach dem Kapitel Wien um 1900, wo Gemälde von Gustav Klimt oder Egon Schiele zu sehen sind, folgt leider ein zu abrupter Übergang hin zum Ersten Weltkrieg und der Zeit des Roten Wien. Hier wollte man zu viel auf zu wenig Raum. Dieses Tempo zieht sich weiter, wobei das Kapitel zum Zweiten Weltkrieg ausführlich gestaltet wurde. Eine Fassadenbeschriftung erinnert an das Schicksal des jüdischen Juweliers Hans Grünsfeld, dessen Geschäft in der Favoritenstraße „arisiert“ wurde.

Generell werden aus heutiger Sicht problematische Aspekte benannt und in Kontext gesetzt. Anhand eines Prunksessels von Otto Wagner (samt versteckter Botschaft) für den umstrittenen Wiener Bürgermeister Karl Lueger wird beispielsweise ohne Umschweife dessen Bezug zum Antisemitismus behandelt – und direkt auf heutige politische Diskussionen verwiesen.

Anders als die ehemalige Dauerschau endet die Neuaufstellung in der Gegenwart mit Themen wie Migration, Umwelt und Soziales. Menschen, die in Wien leben, kommen zu Wort, alltägliche Objekte wie Protestschilder oder ein Foodora-Rucksack stehen für gesellschaftliche Aspekte. So findet sich das Publikum in einem Dschungel aus Fragestellungen wieder, denen sich die Stadt in Zukunft widmen muss: Wie leben wir? Wie gehen wir miteinander um? Wer sind wir?

Der Standard, Do., 2023.12.07



verknüpfte Bauwerke
Wien Museum

31. Mai 2022Katharina Rustler
Der Standard

Palais einer Trophäensammlerin

Am Freitag eröffnet das Privatmuseum von Heidi Goëss-Horten in der Wiener Innenstadt. Die Debütschau gewährt allerdings nur oberflächliche Einblicke in die umfangreiche Kunstsammlung.

Am Freitag eröffnet das Privatmuseum von Heidi Goëss-Horten in der Wiener Innenstadt. Die Debütschau gewährt allerdings nur oberflächliche Einblicke in die umfangreiche Kunstsammlung.

Im Scheinwerferlicht steht Heidi Goëss-Horten ungern. Öffentliche Auftritte meidet sie, Interviews gibt die 81-Jährige selten. Selbst zur Eröffnung ihres als Highlight des Kunstjahres erwarteten Privatmuseums gegenüber der Albertina im Hanuschhof gibt es weder eine Pressekonferenz noch eine große Eröffnung. Dafür ist der Eintritt jeden Donnerstagabend frei.

Einen Einblick in ihre umfangreiche Kunstsammlung „Heidi Horten Collection” zeigte die Milliardärin erstmals 2018. In der besucherstarken Ausstellung Wow! im Leopold-Museum hingen Werke, die bis dahin nur Hortens Domizile in New York, London, Kitzbühel oder am Wörthersee schmückten. Jetzt hat die reichste Frau Österreichs (ihr Vermögen wird auf 2,9 Milliarden Euro geschätzt) ein eigenes Zuhause für ihre Sammlung errichtet und macht sie dauerhaft fürs Publikum zugänglich: Ab Freitag eröffnet das neue Museum im „Palais Goëss-Horten“ (mehr zur Architektur lesen Sie links) in der Wiener Innenstadt.

Affe und Trompeten

Schwerpunkte der aus etwa 700 Gemälden, Skulpturen und Grafiken bestehenden Sammlung liegen auf Kunst des Wien um 1900, Expressionismus und Pop-Art. Große Namen sind Francis Bacon, Edvard Munch, Egon Schiele, Andy Warhol und Damien Hirst. Begonnen in den 1970er-Jahren mit ihrem ersten Ehemann, dem Kaufhausmagnaten Helmut Horten, baute Heidi Horten die Kunstsammlung nach dessen Tod (und mit seinem Erbe) auf und machte Kunst zu ihrer Leidenschaft.

Unterstützung bekam sie bereits in den 1990ern von ihrer Freundin Agnes Husslein-Arco, die sie bis heute bei Ankäufen berät und nun dem neuen Museum als Gründungsdirektorin vorsteht. Noch während Hussleins Leitung des Belvedere, das sie 2016 wegen Compliance-Vorwürfen verlassen musste, galt Horten als Leihgeberin. 2018 kuratierte die Kulturmanagerin wiederum die Ausstellung im Leopold-Museum. Die stetig wachsende Sammlung gilt als gemeinsames Projekt.

Zwar stellt die Eröffnungspräsentation Open die Architektur des Museums ins Zentrum, sie soll aber auch die Weiterentwicklung der Sammlung sichtbar machen. Nur etwa 50 Werke sind äußerst spärlich auf die insgesamt fast 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche verteilt. Ein „lockerer Parcours“ stellt Neuankäufe der letzten Jahre und bekannte Kapazunder vor. Prominentes Beispiel mit Wiedererkennungswert: Der sitzende Affe aus Bronze des Künstlerpaares Claude und François-Xavier Lalanne. Dahinter ragt die über sechs Meter hohe Messingskulptur Vibrosauria des österreichischen Künstlers Constantin Lusers bis in den zweiten Stock hinauf. Die aus insgesamt einer Tuba, vier Trompeten und 20 Hörnern bestehende neue Auftragsarbeit in Form eines Dinos macht den Wandel der Sammlung der letzten Jahren deutlich. Auffallend sind lokale, jüngere und weibliche Positionen – sowie der Einfluss des musealen Raums.

Denn Dimensionen wie jene von Lusers Figur oder auch die bunte Neonlichtinstallation des Konzeptkünstlers John M. Armleder Target mit drei Metern Durchmesser hätten selbst in Hortens Privaträumen kaum Platz gefunden. Auch die erste Videoarbeit (eine der französischen Performancekünstlerin Lili Reynaud-Dewar) der bisher analogen Kollektion, wird in Open gezeigt. Zwischen bereits bekannten Werken von Damien Hirst, Erwin Wurm oder Jean-Michel Basquiat sticht diese in Kombination mit einem Wandteppich der Österreicherin Ulrike Müller hervor, beide beschäftigen sich auf sehr unterschiedliche Weise mit Füchsen und Schafen. Nicht nur auf inhaltlicher Ebene harmonieren die Werke.

Solche Momente sind ansonsten rar. Zwar versuchen drei Kapitel (Lichtinstallationen, Schriftbilder und Beziehung von Mensch, Tier, Natur), Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Das ist spielerisch gemeint, insgesamt wirkt das aber oberflächlich. Einen erzählerischen Überbau sucht man vergebens. Kuratorisches Konzept: Schaut euch die Trophäen an!

„Augenmensch“ mit Erbe

Es lassen sich aber durchaus Paralellen zu Hortens Sammlungspolitik ziehen, die bewusst keinen Trends folgt. In einem Gespräch mit Husslein bezeichnete sie sich selbst als „Augenmensch“. „Wenn ich ein Kunstwerk sehe, weiß ich im ersten Moment, ob es für meine Sammlung infrage kommt – da steckt keine bestimmte Strategie dahinter.“

Apropos Strategie: Auf das Anfang 2022 veröffentlichte Gutachten zur NS-Vergangenheit von Helmut Horten, zu der sich seine Frau nicht äußert, wird in einem einführenden Text (und einem Booklet) im Museum verwiesen. Die Datei ist auf der Webseite abrufbar. Mit dessen Geschäften und seiner Rolle als Profiteur hatte die 1941 Geborene nichts zu tun, das Erbe muss Heidi Goëss-Horten – sowie Sammlung und Museum – dennoch tragen. Ab 3. 6.

Der Standard, Di., 2022.05.31



verknüpfte Bauwerke
Museum Heidi Horten Collection

28. April 2021Katharina Rustler
Der Standard

Brutalistisch, beliebt, barrierefrei

Am Montag öffnen auch in Wien die Museen wieder. Schon jetzt können Ungeduldige auf den Georgenberg in Mauer pilgern. Seit 45 Jahren thront hier die ikonische Wotrubakirche. Das Belvedere 21 plant eine Ausstellung.

Am Montag öffnen auch in Wien die Museen wieder. Schon jetzt können Ungeduldige auf den Georgenberg in Mauer pilgern. Seit 45 Jahren thront hier die ikonische Wotrubakirche. Das Belvedere 21 plant eine Ausstellung.

Wir befinden uns am südwestlichen Stadtrand Wiens, auf dem 321 Meter hohen Georgenberg in Mauer. Von dort oben haben wir einen imposanten Blick über die Dächer der Stadt – doch diesem Anblick kehren wir den Rücken zu. Vor uns: eine Ikone der modernen Kirchenarchitektur, ein brutalistisches Gotteshaus, ein Denkmal. Weniger unter ihrer offiziellen Bezeichnung Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit als unter ihrem Rufnamen Wotrubakirche bekannt.

Unweit der Sternwarte und des Maurer Walds tummeln sich hier Besucher, Kinder laufen über die horizontalen Betonblöcke am Sockel der Kirche. Neben dem Eingang heißt es auf einem Schild: „Unsere Kirche ist, wie Sie sehen können, keine gewöhnliche Kirche.“ Der Bildhauer Fritz Wotruba, nach dessen künstlerischem Entwurf das Bauwerk erbaut wurde, wollte „etwas gestalten, das zeigt, dass Armut nicht hässlich ist und auch glücklich macht“. Typisch für den modernen Sakralbau, ist der Innenraum auf das Notwendigste reduziert. Nur ein monumentales Bronzekruzifix hängt an der Wand. Die Glasfenster in den Schluchten der Betonquader fluten den Raum mit Tageslicht. Ein Spiel aus Masse und Fragilität.

Heftige Debatte

Wotruba gilt als einer der wichtigsten Vertreter der klassischen modernen Bildhauerei in Europa. Er abstrahierte Figuren zu kubistischen Formen und gestaltete Wandreliefs, Grab- und Denkmäler sowie Bühnenarchitektur. Von außen gibt sich sein wohl bekanntestes Werk – ohne Kreuz oder Glockenturm – vorerst nicht als Kirche zu erkennen. Die 135 aufeinandergestapelten Betonblöcke erinnern an Stonehenge oder riesige Bauklötze, die willkürlich fallen gelassen wurden. Wie eine Figur schlummert sie dort, jederzeit bereit zu erwachen.

45 Jahre sind nun seit ihrer Einweihung vergangen. Ein Jahr nach dem Tod Wotrubas wurde der Kirchenbau 1976 fertiggestellt. Das Belvedere 21 widmet diesem Jubiläum mit Wotruba. Himmelwärts eine Ausstellung, die am 6. Mai eröffnet wird. Gezeigt werden Modelle und Skizzen des Kirchenbaus, die großteils aus dem Nachlass des Bildhauers stammen, der 2011 dem Museum übergeben wurde. Die Kuratorin Gabriele Stöger-Spevak wurde von dem Architekten Fritz Gerhard Mayr beraten, der den Kirchenbau gemeinsam mit Wotruba umgesetzt und nach dessen Tod geleitet hat. Ein ausführlicher Katalog erzählt die Geschichte der Entstehung, die anfangs durchaus umstritten war.

Zuallererst war die Kirche gar nicht für diesen Standort geplant. Die spätere Projektleiterin, Margarethe Ottillinger (nach der auch der Platz benannt ist), wurde 1962 von einer Gruppe Karmelitinnen mit dem Bau einer Klosterkirche für das neue Karmel Steinbach bei Wien beauftragt. Sie fragte Wotruba, und er lieferte 1964 das erste Modell.

Eine Ausstellung zu dem geplanten Projekt in der Galerie nächst St. Stephan in Wien erregte 1968 großes Aufsehen und machte den Kirchenbau zum kulturpolitischen Ereignis. Stöger-Spevak schreibt im Katalog, dass sich eine „intensive öffentliche Debatte“ um das Bauvorhaben entspann: Kritisiert wurden die Verbindung von Kirche und moderner Architektur, zu hohe Baukosten sowie die abstrakte Architektur, die despektierlich als „überdimensionale Plastik“ bezeichnet wurde. Andere stellten die Kirche in ihrer modernen Funktionalität infrage. Positive Reaktionen sahen Wotrubas Modell als sehr fortschrittlich und ihn selbst als „größten Bildhauer“ an. Doch obwohl sich Ottillinger und Ordensmitglieder für den Bau einsetzten, geriet die Erzdiözese Wien unter Druck – schließlich wurde der Bau nicht genehmigt.

Zugang für alle

Nach längerer Suche stellte sich Jahre später der Grund auf dem Georgenberg als passend heraus, da er auch auf einer Anhöhe lag. 1974 konnte mit dem Bau begonnen werden. Nach Fertigstellung avancierten das Gebäude und das Areal darum zu dem beliebten Ausflugsziel, das es heute noch ist. Im Zentrum steht eine aktive Kirchengemeinde.

Als diese 2014 den Vorschlag machte, das Untergeschoß durch einen barrierefreien Zugang zur Kirche sowie einen unterirdischen Pfarrsaal zu erweitern, wurde eine erneute Debatte entfacht. Man sah den Bau denkmalschützerisch gefährdet. Es kam zu öffentlichen Diskussionen zwischen Mayr, dem Rektorat der Kirche, dem Bauamt der Erzdiözese sowie dem Bundesdenkmalamt. Kardinal Christoph Schönborn setzte sich schließlich im Sinne der Gemeinde für den Zubau ein, das Bundesverwaltungsgericht stimmte 2017 zu. Zwei Jahre später war der verglaste Anbau, der am Fuß des Hügels liegt, fertiggestellt.

Ob Wotruba dessen Gestaltung zugesagt hätte, sei dahingestellt. Dass sein Kirchenbau somit aber für alle zugänglich wurde, hätte dem Bildhauer bestimmt gefallen – im Sinne der Moderne. Bis 13. 3. 2022

Der Standard, Mi., 2021.04.28

Presseschau 12

07. Dezember 2023Katharina Rustler
Der Standard

Neues Wiener Original

Nach drei Jahren Umbauzeit öffnet am Donnerstag das neue Wien-Museum seine Tore. Die umfassende und sehr dichte Dauerausstellung erzählt die Geschichte der Stadt mit modernen Zugängen und erfrischender Gestaltung. Der Eintritt ist frei!

Nach drei Jahren Umbauzeit öffnet am Donnerstag das neue Wien-Museum seine Tore. Die umfassende und sehr dichte Dauerausstellung erzählt die Geschichte der Stadt mit modernen Zugängen und erfrischender Gestaltung. Der Eintritt ist frei!

Um zu den großen Highlights zu gelangen, muss man sich etwas gedulden. Die neue Dauerausstellung des Wien-Museums beginnt chronologisch mit den ersten Siedlungen auf dem heutigen Stadtgebiet von vor rund 8000 Jahren. Ein digitales Modell der Stadt zeigt das rasante Wachstum im Zeitraffer: von Vindobona über den Bau der Ringstraße, die Donauregulierung bis hin zur Errichtung der Gemeindebauten sowie zu modernen Erweiterungen.

Ein sehr komprimierter Überblick über den Zeithorizont der umfassenden Präsentation, die den treffenden Titel Wien. Meine Geschichte trägt und in vielerlei Hinsicht für alle gemacht ist. Ihre Neuaufstellung gilt als Herzstück des drei Jahre lang umgebauten Stadtmuseums, das dieser Tage seine Wiedereröffnung feiert. Am Mittwochabend konnten erste Interessierte ins Haus, ab Donnerstag ist das Museum regulär geöffnet. Wobei es für den Andrang in den ersten vier Wochen Timeslots gibt, wie Direktor Matti Bunzl ankündigte.

Durch die moderne Erweiterung des denkmalgeschützten Gebäudes konnte die Museumsfläche von 6900 auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt werden. Dabei verteilen sich die etwa 1700 präsentierten Objekte der Dauerausstellung (auf 3300 Quadratmetern) auf drei Etagen. Über der frei zugänglichen Terrasse sowie dem Café thront das neue „Schwebegeschoß“, in dem wechselnde Sonderausstellungen stattfinden werden.

Dort wird man sich ab Februar 2024 dem Architekten der Karlskirche, Johann Bernhard Fischer von Erlach, widmen und anschließend die Präsentation Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann zeigen, die in der Alten Nationalgalerie in Berlin Erfolge feierte. Im Vergleich zur Dauerpräsentation muss das Publikum hier wie gewohnt Eintritt zahlen. Das restliche Museum ist kostenlos zu besichtigen – ein Novum für Österreich. Der gestiegene Budgetbedarf für die nächsten fünf Jahre wird noch erarbeitet, wie es heißt. Für 2024 stehen 27,5 Millionen Euro zur Verfügung, wobei ein Teil aus eigenen Rücklagen stammt.

Der freie Eintritt ist nicht nur ein demokratischer Schritt, um das Haus zugänglicher zu machen, sondern auch ein pragmatischer. Er ermöglicht es dem Publikum, die sehr umfassende Dauerausstellung mehrmals zu besuchen: Wenn man diese zügig besichtigt und dennoch Zeit haben möchte, um auf Details einzugehen, sollte man zwei bis drei Stunden einplanen.

So wirken die ersten Räume im Erdgeschoß, die frühe geologische Fundstücke sowie Ausgrabungen zeigen, etwas gedrückt und verwinkelt. Es benötigt ein paar Augenblicke, um mit der Dichte an Objekten zurechtzukommen. Zwar gewöhnt man sich an sie – sie setzt sich aber im gesamten Haus fort. Zahlreiche Heiligenskulpturen aus Kalksandstein, die einst am Nordturm des Stephansdoms platziert waren, weisen den Weg durch das Mittelalter und die Renaissance. Folgt man ihnen, bietet sich durch Öffnungen in der Decke der Blick in die große Halle.

Inklusiv, kritisch und aktuell

Dort warten die großen Kaliber des Museums. So schweben eine Pferdekutsche der Wiener Bürgermeister, der ikonische Südbahnhof-Schriftzug sowie der zehn Meter lange Wal aus dem Wurstelprater meterhoch in der Luft. Darunter tummeln sich die Originalfiguren des Donnerbrunnens, die zu den wertvollsten Objekten der Sammlung zählen.

1739 entwarf der Bildhauer Georg Raphael Donner den zentralen Brunnen auf dem Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt. Etwa 100 Jahre später mussten alle Figuren wegen ihrer empfindlichen Blei-Zinn-Legierung durch Bronzekopien ersetzt werden. Warum man die Flussskulpturen nun nicht zum gesamten Ensemble arrangierte, sondern auf einzelnen Sockeln verteilt zeigt, bleibt fraglich.

Ab da erstreckt sich die Schau von Barock und Aufklärung über Biedermeier hin zur Zeit des Baus der Ringstraße – in einem der gelungensten Säle. In dem altrosa getünchten Ambiente vereinen sich Exponate einer Zeit, in der Wien gedieh und boomte. Nicht nur Gemälde von Tina Blau oder Hans Makart berichten davon, sondern auch Alltagsobjekte wie Kleider oder ein erstes Wasserklosett.

Auffallend sind die spielerischen, partizipativen und inklusiven Zugänge, die sich durch die gesamte Dauerausstellung ziehen. So gibt es immer ausreichend Informationen, die durch ergänzende Stationen vertieft werden können. Einzelne Bereiche sind bewusst für Schulklassen gestaltet. Anhand bestimmter Personen – beispielsweise Kaiserin Maria Theresia – werden zeitliche Phänomene aufgegriffen und anhand von Diagrammen oder Zeitstrahlen eingeordnet. Wie viele Herrscherinnen gab es im Europa des 18. Jahrhunderts?

Nach dem Kapitel Wien um 1900, wo Gemälde von Gustav Klimt oder Egon Schiele zu sehen sind, folgt leider ein zu abrupter Übergang hin zum Ersten Weltkrieg und der Zeit des Roten Wien. Hier wollte man zu viel auf zu wenig Raum. Dieses Tempo zieht sich weiter, wobei das Kapitel zum Zweiten Weltkrieg ausführlich gestaltet wurde. Eine Fassadenbeschriftung erinnert an das Schicksal des jüdischen Juweliers Hans Grünsfeld, dessen Geschäft in der Favoritenstraße „arisiert“ wurde.

Generell werden aus heutiger Sicht problematische Aspekte benannt und in Kontext gesetzt. Anhand eines Prunksessels von Otto Wagner (samt versteckter Botschaft) für den umstrittenen Wiener Bürgermeister Karl Lueger wird beispielsweise ohne Umschweife dessen Bezug zum Antisemitismus behandelt – und direkt auf heutige politische Diskussionen verwiesen.

Anders als die ehemalige Dauerschau endet die Neuaufstellung in der Gegenwart mit Themen wie Migration, Umwelt und Soziales. Menschen, die in Wien leben, kommen zu Wort, alltägliche Objekte wie Protestschilder oder ein Foodora-Rucksack stehen für gesellschaftliche Aspekte. So findet sich das Publikum in einem Dschungel aus Fragestellungen wieder, denen sich die Stadt in Zukunft widmen muss: Wie leben wir? Wie gehen wir miteinander um? Wer sind wir?

Der Standard, Do., 2023.12.07



verknüpfte Bauwerke
Wien Museum

31. Mai 2022Katharina Rustler
Der Standard

Palais einer Trophäensammlerin

Am Freitag eröffnet das Privatmuseum von Heidi Goëss-Horten in der Wiener Innenstadt. Die Debütschau gewährt allerdings nur oberflächliche Einblicke in die umfangreiche Kunstsammlung.

Am Freitag eröffnet das Privatmuseum von Heidi Goëss-Horten in der Wiener Innenstadt. Die Debütschau gewährt allerdings nur oberflächliche Einblicke in die umfangreiche Kunstsammlung.

Im Scheinwerferlicht steht Heidi Goëss-Horten ungern. Öffentliche Auftritte meidet sie, Interviews gibt die 81-Jährige selten. Selbst zur Eröffnung ihres als Highlight des Kunstjahres erwarteten Privatmuseums gegenüber der Albertina im Hanuschhof gibt es weder eine Pressekonferenz noch eine große Eröffnung. Dafür ist der Eintritt jeden Donnerstagabend frei.

Einen Einblick in ihre umfangreiche Kunstsammlung „Heidi Horten Collection” zeigte die Milliardärin erstmals 2018. In der besucherstarken Ausstellung Wow! im Leopold-Museum hingen Werke, die bis dahin nur Hortens Domizile in New York, London, Kitzbühel oder am Wörthersee schmückten. Jetzt hat die reichste Frau Österreichs (ihr Vermögen wird auf 2,9 Milliarden Euro geschätzt) ein eigenes Zuhause für ihre Sammlung errichtet und macht sie dauerhaft fürs Publikum zugänglich: Ab Freitag eröffnet das neue Museum im „Palais Goëss-Horten“ (mehr zur Architektur lesen Sie links) in der Wiener Innenstadt.

Affe und Trompeten

Schwerpunkte der aus etwa 700 Gemälden, Skulpturen und Grafiken bestehenden Sammlung liegen auf Kunst des Wien um 1900, Expressionismus und Pop-Art. Große Namen sind Francis Bacon, Edvard Munch, Egon Schiele, Andy Warhol und Damien Hirst. Begonnen in den 1970er-Jahren mit ihrem ersten Ehemann, dem Kaufhausmagnaten Helmut Horten, baute Heidi Horten die Kunstsammlung nach dessen Tod (und mit seinem Erbe) auf und machte Kunst zu ihrer Leidenschaft.

Unterstützung bekam sie bereits in den 1990ern von ihrer Freundin Agnes Husslein-Arco, die sie bis heute bei Ankäufen berät und nun dem neuen Museum als Gründungsdirektorin vorsteht. Noch während Hussleins Leitung des Belvedere, das sie 2016 wegen Compliance-Vorwürfen verlassen musste, galt Horten als Leihgeberin. 2018 kuratierte die Kulturmanagerin wiederum die Ausstellung im Leopold-Museum. Die stetig wachsende Sammlung gilt als gemeinsames Projekt.

Zwar stellt die Eröffnungspräsentation Open die Architektur des Museums ins Zentrum, sie soll aber auch die Weiterentwicklung der Sammlung sichtbar machen. Nur etwa 50 Werke sind äußerst spärlich auf die insgesamt fast 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche verteilt. Ein „lockerer Parcours“ stellt Neuankäufe der letzten Jahre und bekannte Kapazunder vor. Prominentes Beispiel mit Wiedererkennungswert: Der sitzende Affe aus Bronze des Künstlerpaares Claude und François-Xavier Lalanne. Dahinter ragt die über sechs Meter hohe Messingskulptur Vibrosauria des österreichischen Künstlers Constantin Lusers bis in den zweiten Stock hinauf. Die aus insgesamt einer Tuba, vier Trompeten und 20 Hörnern bestehende neue Auftragsarbeit in Form eines Dinos macht den Wandel der Sammlung der letzten Jahren deutlich. Auffallend sind lokale, jüngere und weibliche Positionen – sowie der Einfluss des musealen Raums.

Denn Dimensionen wie jene von Lusers Figur oder auch die bunte Neonlichtinstallation des Konzeptkünstlers John M. Armleder Target mit drei Metern Durchmesser hätten selbst in Hortens Privaträumen kaum Platz gefunden. Auch die erste Videoarbeit (eine der französischen Performancekünstlerin Lili Reynaud-Dewar) der bisher analogen Kollektion, wird in Open gezeigt. Zwischen bereits bekannten Werken von Damien Hirst, Erwin Wurm oder Jean-Michel Basquiat sticht diese in Kombination mit einem Wandteppich der Österreicherin Ulrike Müller hervor, beide beschäftigen sich auf sehr unterschiedliche Weise mit Füchsen und Schafen. Nicht nur auf inhaltlicher Ebene harmonieren die Werke.

Solche Momente sind ansonsten rar. Zwar versuchen drei Kapitel (Lichtinstallationen, Schriftbilder und Beziehung von Mensch, Tier, Natur), Gemeinsamkeiten aufzuzeigen. Das ist spielerisch gemeint, insgesamt wirkt das aber oberflächlich. Einen erzählerischen Überbau sucht man vergebens. Kuratorisches Konzept: Schaut euch die Trophäen an!

„Augenmensch“ mit Erbe

Es lassen sich aber durchaus Paralellen zu Hortens Sammlungspolitik ziehen, die bewusst keinen Trends folgt. In einem Gespräch mit Husslein bezeichnete sie sich selbst als „Augenmensch“. „Wenn ich ein Kunstwerk sehe, weiß ich im ersten Moment, ob es für meine Sammlung infrage kommt – da steckt keine bestimmte Strategie dahinter.“

Apropos Strategie: Auf das Anfang 2022 veröffentlichte Gutachten zur NS-Vergangenheit von Helmut Horten, zu der sich seine Frau nicht äußert, wird in einem einführenden Text (und einem Booklet) im Museum verwiesen. Die Datei ist auf der Webseite abrufbar. Mit dessen Geschäften und seiner Rolle als Profiteur hatte die 1941 Geborene nichts zu tun, das Erbe muss Heidi Goëss-Horten – sowie Sammlung und Museum – dennoch tragen. Ab 3. 6.

Der Standard, Di., 2022.05.31



verknüpfte Bauwerke
Museum Heidi Horten Collection

28. April 2021Katharina Rustler
Der Standard

Brutalistisch, beliebt, barrierefrei

Am Montag öffnen auch in Wien die Museen wieder. Schon jetzt können Ungeduldige auf den Georgenberg in Mauer pilgern. Seit 45 Jahren thront hier die ikonische Wotrubakirche. Das Belvedere 21 plant eine Ausstellung.

Am Montag öffnen auch in Wien die Museen wieder. Schon jetzt können Ungeduldige auf den Georgenberg in Mauer pilgern. Seit 45 Jahren thront hier die ikonische Wotrubakirche. Das Belvedere 21 plant eine Ausstellung.

Wir befinden uns am südwestlichen Stadtrand Wiens, auf dem 321 Meter hohen Georgenberg in Mauer. Von dort oben haben wir einen imposanten Blick über die Dächer der Stadt – doch diesem Anblick kehren wir den Rücken zu. Vor uns: eine Ikone der modernen Kirchenarchitektur, ein brutalistisches Gotteshaus, ein Denkmal. Weniger unter ihrer offiziellen Bezeichnung Kirche Zur Heiligsten Dreifaltigkeit als unter ihrem Rufnamen Wotrubakirche bekannt.

Unweit der Sternwarte und des Maurer Walds tummeln sich hier Besucher, Kinder laufen über die horizontalen Betonblöcke am Sockel der Kirche. Neben dem Eingang heißt es auf einem Schild: „Unsere Kirche ist, wie Sie sehen können, keine gewöhnliche Kirche.“ Der Bildhauer Fritz Wotruba, nach dessen künstlerischem Entwurf das Bauwerk erbaut wurde, wollte „etwas gestalten, das zeigt, dass Armut nicht hässlich ist und auch glücklich macht“. Typisch für den modernen Sakralbau, ist der Innenraum auf das Notwendigste reduziert. Nur ein monumentales Bronzekruzifix hängt an der Wand. Die Glasfenster in den Schluchten der Betonquader fluten den Raum mit Tageslicht. Ein Spiel aus Masse und Fragilität.

Heftige Debatte

Wotruba gilt als einer der wichtigsten Vertreter der klassischen modernen Bildhauerei in Europa. Er abstrahierte Figuren zu kubistischen Formen und gestaltete Wandreliefs, Grab- und Denkmäler sowie Bühnenarchitektur. Von außen gibt sich sein wohl bekanntestes Werk – ohne Kreuz oder Glockenturm – vorerst nicht als Kirche zu erkennen. Die 135 aufeinandergestapelten Betonblöcke erinnern an Stonehenge oder riesige Bauklötze, die willkürlich fallen gelassen wurden. Wie eine Figur schlummert sie dort, jederzeit bereit zu erwachen.

45 Jahre sind nun seit ihrer Einweihung vergangen. Ein Jahr nach dem Tod Wotrubas wurde der Kirchenbau 1976 fertiggestellt. Das Belvedere 21 widmet diesem Jubiläum mit Wotruba. Himmelwärts eine Ausstellung, die am 6. Mai eröffnet wird. Gezeigt werden Modelle und Skizzen des Kirchenbaus, die großteils aus dem Nachlass des Bildhauers stammen, der 2011 dem Museum übergeben wurde. Die Kuratorin Gabriele Stöger-Spevak wurde von dem Architekten Fritz Gerhard Mayr beraten, der den Kirchenbau gemeinsam mit Wotruba umgesetzt und nach dessen Tod geleitet hat. Ein ausführlicher Katalog erzählt die Geschichte der Entstehung, die anfangs durchaus umstritten war.

Zuallererst war die Kirche gar nicht für diesen Standort geplant. Die spätere Projektleiterin, Margarethe Ottillinger (nach der auch der Platz benannt ist), wurde 1962 von einer Gruppe Karmelitinnen mit dem Bau einer Klosterkirche für das neue Karmel Steinbach bei Wien beauftragt. Sie fragte Wotruba, und er lieferte 1964 das erste Modell.

Eine Ausstellung zu dem geplanten Projekt in der Galerie nächst St. Stephan in Wien erregte 1968 großes Aufsehen und machte den Kirchenbau zum kulturpolitischen Ereignis. Stöger-Spevak schreibt im Katalog, dass sich eine „intensive öffentliche Debatte“ um das Bauvorhaben entspann: Kritisiert wurden die Verbindung von Kirche und moderner Architektur, zu hohe Baukosten sowie die abstrakte Architektur, die despektierlich als „überdimensionale Plastik“ bezeichnet wurde. Andere stellten die Kirche in ihrer modernen Funktionalität infrage. Positive Reaktionen sahen Wotrubas Modell als sehr fortschrittlich und ihn selbst als „größten Bildhauer“ an. Doch obwohl sich Ottillinger und Ordensmitglieder für den Bau einsetzten, geriet die Erzdiözese Wien unter Druck – schließlich wurde der Bau nicht genehmigt.

Zugang für alle

Nach längerer Suche stellte sich Jahre später der Grund auf dem Georgenberg als passend heraus, da er auch auf einer Anhöhe lag. 1974 konnte mit dem Bau begonnen werden. Nach Fertigstellung avancierten das Gebäude und das Areal darum zu dem beliebten Ausflugsziel, das es heute noch ist. Im Zentrum steht eine aktive Kirchengemeinde.

Als diese 2014 den Vorschlag machte, das Untergeschoß durch einen barrierefreien Zugang zur Kirche sowie einen unterirdischen Pfarrsaal zu erweitern, wurde eine erneute Debatte entfacht. Man sah den Bau denkmalschützerisch gefährdet. Es kam zu öffentlichen Diskussionen zwischen Mayr, dem Rektorat der Kirche, dem Bauamt der Erzdiözese sowie dem Bundesdenkmalamt. Kardinal Christoph Schönborn setzte sich schließlich im Sinne der Gemeinde für den Zubau ein, das Bundesverwaltungsgericht stimmte 2017 zu. Zwei Jahre später war der verglaste Anbau, der am Fuß des Hügels liegt, fertiggestellt.

Ob Wotruba dessen Gestaltung zugesagt hätte, sei dahingestellt. Dass sein Kirchenbau somit aber für alle zugänglich wurde, hätte dem Bildhauer bestimmt gefallen – im Sinne der Moderne. Bis 13. 3. 2022

Der Standard, Mi., 2021.04.28

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