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12. Juni 2025Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

Dem grössten Museum Amerikas wachsen neue Flügel

Die Galerien des Metropolitan Museum of Art in New York bekommen mehr Luft, Licht und Raum. Ein Viertel wird bis 2030 umgebaut. Mit der jetzigen Eröffnung des Flügels für Kunst aus Afrika, Ozeanien und den alten Amerika ist eine wichtige Etappe geschafft.

Die Galerien des Metropolitan Museum of Art in New York bekommen mehr Luft, Licht und Raum. Ein Viertel wird bis 2030 umgebaut. Mit der jetzigen Eröffnung des Flügels für Kunst aus Afrika, Ozeanien und den alten Amerika ist eine wichtige Etappe geschafft.

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06. Juni 2023Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

«Ist der Mensch näher verwandt mit einer Erdnuss oder einer Qualle?»

In der Höhle der Ameisen: Der neue Anbau des Naturhistorischen Museums in Manhattan bietet seinen kleinsten Lebewesen den spektakulärsten Raum.

In der Höhle der Ameisen: Der neue Anbau des Naturhistorischen Museums in Manhattan bietet seinen kleinsten Lebewesen den spektakulärsten Raum.

Gegen eine halbe Million Ameisen schleppen Blattstücke, die ihr Körpergewicht um ein Mehrfaches übersteigen, entlang meterlangen Aluminiumbahnen, erklimmen hundertprozentige Steigungen, hangeln sich über Wassergräben, krabbeln schliesslich über den Köpfen der Zuschauer durch einen Tunnel auf die andere Seite, hinein in durchsichtige Glaskugeln, wo sie Pilze kultivieren. Die Blattschneiderameisen-Kolonie, die da ihr Handwerk vorführt, ist eine Hauptattraktion im neu eröffneten Anbau des American Museum of Natural History in New York, eines der grössten und – spätestens seit dem Film «Nachts im Museum» – bekanntesten Naturkundemuseen der Welt.

Wie Ameisen laufen hier auch die Menschen durch eine vier Stockwerke hohe Höhle. Das Architekturbüro Studio Gang hat mit Spritzbeton ein riesiges Atrium kreiert, das aussieht wie eine über Jahrtausende von Wind und Wasser geformte Felsenschlucht. Im Zentrum des 22 000 Quadratmeter grossen Gebäudes sind viel Licht und Luft sowie eine breite Treppe zum Steigen und Sitzen; die Ausstellungsräume befinden sich an den Rändern. «Wir haben uns zur Inspiration natürliche Landschaften in den westlichen Canyons der USA angesehen», sagt Anika Schwarzwald, Architektin bei Studio Gang: «Über die Erkundung dieses Raums möchten wir die Faszination dafür wecken, wie die natürliche Welt funktioniert.»

Das Gebäude der amerikanischen Architektin Jeanne Gang von Studio Gang mit seinen wellenden Wänden und langgezogenen Fenstern erinnert von aussen an jene der Pritzkerpreis-gekrönten Architektin Zaha Hadid. Ein neuer Hintereingang öffnet sich via ein freundliches Stück Park Richtung Columbus Avenue. Mit dem viel älteren Vordereingang teilt die Fassade das Material: rosa Milford-Granit aus Massachusetts. 465 Millionen Dollar hat der Anbau mit dem komplizierten Gönnernamen «Richard-Gilder-Zentrum für Wissenschaft, Bildung und Innovation» nach vier Jahren Bauverzögerung gekostet – 140 Millionen Dollar mehr als ursprünglich geplant.

Neben den Ausstellungsräumen beherbergt der Bau Klassenzimmer, ein Restaurant, zusätzlichen Stauraum für 4 seiner 34 Millionen Archivobjekte sowie eine Bibliothek samt öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen. Etwas versteckt lagern dort die Originaltagebücher von Darwin, und ganz offen, aber anonym, ist ein Schmetterling des Künstlers Banksy ausgestellt. Hier steht «artist unknown», aber ja, «er ist von Banksy», flüstert Lauri Halderman, die Vizepräsidentin für Ausstellungen.
Lebendige Exponate

Während das Naturhistorische Museum bisher vor allem mit Grossem lockte – den Sauriern, einem Blauwal, dem Universum –, will es nun im neusten Teil auch mit Kleinem bezaubern – Ameisen, Käfern, Plankton, Genen. Insekten gibt es hier nicht nur hundertfach aufgespiesst zu sehen, sondern wie im Film «Nachts im Museum» sind viele der Exponate lebendig. Auch tagsüber. Darunter sogar jene Tiere, die den New Yorkern besonders vertraut und verhasst sind: Schaben. Auf den Ekel folgt die Faszination: Denn die südamerikanischen Verwandten haben schöne, schwarz-weisse Muster oder sind von zartem, fast durchsichtigem Beige.

Makrofotografien an den Wänden oder Lupen über Schaukästen lassen genauer erkennen, welch sonderbare Wesen Insekten doch sind. Und in Kursen, die das Museum nun auch in den neuen Klassenzimmern im neuen Anbau anbietet, dürfen Kinder die Viecher sogar berühren. «Wir haben darüber nachgedacht, wie wir den Menschen, vor allem jüngeren, helfen können, Insekten anders zu sehen», sagt Lauri Halderman: «Die Leute müssen die Insekten nach dem Besuch bei uns nicht lieben, aber wir hoffen, dass sie besser verstehen, was diese Tiere tun, und dass sie wichtig sind. Und wenn sie das nächste Mal ein Insekt sehen, ist ihre erste Reaktion vielleicht nicht, auf sie zu treten.»

Die beim Menschen wohl beliebtesten Insekten, die Schmetterlinge, haben ihr eigenes Vivarium. Zu Hunderten flattern 80 Unterarten im warm-feuchten Pseudodschungel; sie setzen sich gerne auf Pflanzen, den Boden und die farbigen T-Shirts der Besucher. In einem Glaskasten kann man ihnen sogar bei der Verwandlung von der Puppe zum Schmetterling zusehen.

Und da, wo im Museum gerade nichts kriecht oder fleucht, laden interaktive Bildschirme zu Quizspielen ein. Die visuell überwältigende Filmshow «Invisible Worlds» lässt sich mit den Füssen beeinflussen, denn die 360-Grad-Projektion umfasst auch den Boden und reagiert dort wiederum auf Bewegungen. Die Zuschauer können auf Körperzellen stampfen oder mit einem Tritt fliegende Vogelzüge umleiten.

Die Hauptbotschaft des Hauses ist nicht neu, wird aber immer wieder vermittelt: Alles ist mit allem verbunden. Wir Lebewesen teilen Gensequenzen, Verwandte und Ökosysteme. Wir haben alle gemeinsame Vorfahren, auch wenn das manchmal ein paar hundert Millionen Jahre her ist. «Ist der Mensch näher verwandt mit einer Erdnuss oder einer Qualle?» lautet eine der Quizfragen. Affen sind uns am nächsten, aber verwandt sind wir am Ende sogar mit den Schaben. Ein anderes Spiel vermittelt, wie eine Intervention in einem Ökosystem Folgen für ein Hunderte von Kilometern entferntes Ökosystem haben kann – zum Beispiel wegen der Migrationsroute gewisser Tiere.

Wissenschaftskrise

Gerade heute, gerade in den USA brauche es ein attraktives naturhistorisches Museum, das Kontexte aufzeige, finden die Museumsleute. «In diesem Land gibt es eine Art Wissenschafts- und Bildungskrise, viele Menschen glauben den Fakten nicht mehr», sagt die Architektin Anika Schwarzwald. Und die Ausstellungsvizedirektorin Halderman ergänzt: «Es scheint einen Trend zu geben, wissenschaftlich geführten Beweisen nicht folgen zu können. Wir versuchen, den Menschen zu helfen, die Wissenschaft zu verstehen.»

Ein paar wenige der emsig krabbelnden Blattschneiderameisen landen auch im Wassergraben. Und ertrinken. Ist das ethisch vertretbar? Das Wasser war nicht als Falle vorgesehen. Aber die Ameisen würden täglich lernen, ihren Weg zu optimieren, sie würden Pheromonspuren legen und so ihren Nachfolgern helfen. «Sie arbeiten so hart», sagt eine Besucherin. Und das im Museum. Tag und Nacht.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2023.06.06

19. Juli 2021Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

Die neueren ägyptischen Paläste zerfallen zu Staub

Das koloniale Architekturerbe des Landes ist so grandios wie ungeliebt. Und am Verschwinden.

Das koloniale Architekturerbe des Landes ist so grandios wie ungeliebt. Und am Verschwinden.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Neue Zürcher Zeitung“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

22. Juli 2019Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

Unter den Pharaonen ging’s schneller: Ägyptens megalomane Museumsprojekte

Kulturinteressierten hat Ägypten viel zu bieten, und es ist an der Zeit, dass diese Schätze besser präsentiert werden als im verstaubten Ägyptischen Museum. Die neuen Museumsbauten sind grandios – nur: Zu sehen gibt es dort bis auf weiteres nichts.

Kulturinteressierten hat Ägypten viel zu bieten, und es ist an der Zeit, dass diese Schätze besser präsentiert werden als im verstaubten Ägyptischen Museum. Die neuen Museumsbauten sind grandios – nur: Zu sehen gibt es dort bis auf weiteres nichts.

Das Nationalmuseum der ägyptischen Zivilisation in Kairo hat alles, was ein Museum sich nur wünschen kann – und mehr: zehn Ausstellungsräume, ein Theater, ein 3-D-Kino, einen grossen und einen kleinen Konferenzraum, einen VIP-Salon, Laboratorien, eine Druckerei, mehrere Cafeterias, 300 Garderobenkästen, einen Parkplatz für 500 Autos, ja sogar einen See. Insgesamt rund 130 000 Quadratmeter Fläche beansprucht das Museum samt Umschwung. 300 Angestellte arbeiten derzeit in den Büroräumen im Untergeschoss, unter ihnen rund 70 Wissenschafter.

Dieses Museum hat aber ein nicht unwesentliches Problem: Es ist nicht geöffnet. Es steht lediglich kurz vor der Eröffnung. Und das schon seit vielen Jahren. Die Theater-, Kino- und Konferenzräume stehen so parat wie ungenutzt; man kann sie mieten, was bisher aber selten getan wurde. Ein einziger Ausstellungsraum von zehn wurde Anfang 2017 für eine temporäre Schau teileröffnet; einige hundert Objekte sind darin zusammengestellt, um, so scheint es, nach all diesen Jahren wenigstens etwas herzeigen zu können. Sogar am Wochenende hat eine Besucherin diesen Saal allerdings für sich allein: «Ich habe mich gefühlt wie der erste Mensch, der den Mond besichtigt», kommentiert eine Frau auf der Facebook-Seite des Museums.

Die restlichen neun Ausstellungsräume sind komplett leer; noch wird darin gehämmert, geschliffen und gemalt. Einmal fertiggestellt und eingerichtet, sollen hier 5000 Jahre ägyptischer Zivilisationsgeschichte anhand von rund 50 000 Artefakten vermittelt werden – von der frühdynastischen Periode bis heute. Man wagt gar nicht daran zu denken, wie viel allein das Herunterkühlen des seit Jahren halbleeren Gebäudes kostet, von den laufenden Personalkosten ganz zu schweigen.

Direktorenparade

«Das Museum ist zu 90 Prozent fertig», sagt Kurator Sayed Abuelfadl. Zusammen mit Fayrouz Fekry, der Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen des NMEC – so das englische Kürzel für die Institution –, führt er die Besucherin durch das Haus; lüftet da eine Plastikplane, öffnet hier eine Türe. Alles ist von feinster Qualität: moderne Designermöbel, Granitspülbecken, edle Holztäfelungen. Das Ausstellungsdesign stammt aus der Hand von Arata Isozaki, dem diesjährigen Pritzker-Preisträger. Zuoberst auf dem noch nicht betretbaren Türmchen mit Pyramidendach habe man «eine Sicht bis auf die Zitadelle», schwärmt der Kurator.

Fayrouz Fekry und Sayed Abuelfadl arbeiten schon seit 2004 hier, gehören damit zu den dienstältesten Angestellten. Seit 15 Jahren harren sie der Eröffnung. Man sieht ihnen die Verzweiflung ein wenig an, doch sie üben sich in ägyptischer Geduld und Zuversicht. Bald sei es so weit. «Ende 2021 wird das Museum hoffentlich eröffnet», sagt wenig später ihr Chef, Khaled Fahmy. Er leitet das Haus seit diesem Februar. Es ist bereits der zwanzigste Direktor, unter dem Fayrouz und Sayed arbeiten.

Der zwanzigste Direktor lacht: «Wirklich, habt ihr mitgezählt, habe ich neunzehn Vorgänger?» Er sei von Haus aus Ökonom und wolle nun vor allem auf die wirtschaftliche Machbarkeit achten. Ein neuer Businessplan wurde soeben erarbeitet. Etwa 1,7 Milliarden ägyptische Pfund, also um die 100 Millionen Schweizerfranken, habe das NMEC bisher gekostet. Es dürfte noch fast eine Milliarde Pfund mehr werden. «Wir öffnen die Türe für jede Hilfe.»

Direktor Khaled Fahmys Ziel: Das Haus soll einmal selbsttragend werden. Im Untergrund will man Läden vermieten: Sie sind allerdings noch nicht gebaut, die Suche nach Interessenten beginnt erst. Dazu kommen die Eintritte: 600 000 bis 700 000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr werden erwartet; mehrheitlich Einheimische, die immer wieder herkommen. Denn hier soll neben der Wissensvermittlung auch dem Bedürfnis nach Entertainment entsprochen werden. Hier sollen ägyptische Familien ganze Tage verbringen: mit Shoppen, Shows, Essen, Bootfahren und Bildung.

Ramses zieht um

Mumien werden die touristische Hauptattraktion dieses Museums bilden. 22 Königsmumien, unter ihnen Ramses II. und Königin Hatschepsut, sollen hier ein grosszügigeres Zuhause finden. Eigentlich war geplant gewesen, sie bereits diesen Juni von ihrem Räumchen im Ägyptischen Museum am Tahrir-Platz in die grossen Untergrundkammern des NMEC überzuführen. Das Datum wurde kurzfristig verschoben. Voraussichtlich diesen Herbst soll es aber so weit sein, sagt Direktor Khaled Fahmy. Geplant ist eine Parade der Königsmumien durch Kairo, gefilmt von Helikoptern. Sind die Mumien erst einmal angekommen, sollen auch die wichtigsten drei Museumssäle bis Ende Jahr öffnen. Eine zweite, diesmal substanziellere Teileröffnung also.

Die Planung des NMEC hatte bereits vor vierzig Jahren begonnen. Der ägyptische Architekt El Ghazzali Kosseiba gewann Mitte der 1980er Jahre mit seinem Entwurf den ausgeschriebenen Wettbewerb. Das Museum hätte ursprünglich auf der Nilinsel Zamalek zu stehen kommen sollen. In den neunziger Jahren wurde das Projekt in den alten Stadtteil Fustat verlegt, in die Nähe der koptischen Sehenswürdigkeiten. 2002 wurde mit dem Bau begonnen. 2009 hätte ursprünglich die Eröffnung stattfinden sollen. Es kam die Revolution; auf sie folgten politische Unsicherheit, wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten.

Noch grösser, noch teurer

«Welches Museum, bitte?», hatte der Taxifahrer auf der Fahrt hierher gefragt. Obwohl das NMEC ein Riesenprojekt ist, wissen die meisten Kairoer nichts davon. Denn dieses Museum steht im Schatten eines grösseren: des Grand Egyptian Museum (GEM). Dieser noch gigantischere, noch viel teurere Bau wird gegenüber den Pyramiden hochgezogen. Das GEM wird das neue Zuhause Tutanchamuns sein: Erstmals seit Howard Carter 1922 dessen Grab entdeckte, sollen sämtliche 5000 Grabbeigaben des goldenen Königs dort ausgestellt werden. Hinzu kommen Tausende weiterer Objekte. Bereits in Betrieb sind die weltweit grössten Labors für die Restauration von Antiken.

Neben der Megalomanie hat das GEM mit dem NMEC gemein, dass sich dessen Eröffnung immer weiter hinauszögert. Noch vor zwei Jahren hatte der damalige GEM-Direktor Tarek Tawfik auf eine Eröffnung des Hauptteils im Herbst 2018 geschworen, nun ist die Gesamteröffnung auf 2020 angesetzt worden. Und Tawfik ist inzwischen als GEM-Direktor von einem Militärgeneral abgelöst worden.

Wieso nimmt sich das wirtschaftlich gebeutelte Ägypten zwei solch enorme Kulturprojekte fast zeitgleich vor? Natürlich gibt es viel Potenzial – hinsichtlich der Besucher wie auch der vorhandenen antiken Objekte. Doch muss es immer so überdimensioniert sein? Wäre es nicht besser, etwas kleinere, ausbaufähige Gebäude zu planen, diese dafür beizeiten fertigzubekommen? «Haben Sie in Ägypten je etwas gesehen, das klein ist?», fragt Tatiana Villegas von der Unesco, die das NMEC technisch und finanziell unterstützt, zurück. Selten. Aber vielleicht ist diese pharaonische Denkweise nicht die Lösung, sondern das Problem.

Das alte Haus wird geplündert

Zumindest ein neues Museum braucht es tatsächlich. Das gute alte Ägyptische Museum ist in die Jahre gekommen. Seine Holzvitrinen sehen noch genau so aus wie zu Zeiten seiner Eröffnung anno 1902 am Tahrir-Platz. Mit etwas Glück findet sich irgendwo ein Objekt, das auch angeschrieben ist. Junge Museumspädagogen können hier studieren, wie sie ihren Job nicht machen sollen. Aber gerade dafür muss man dieses Haus lieben, das selber als Ganzes in ein Museum gehörte.

Nun werden dem alten Haus seine grössten Publikumsmagnete weggenommen: Tutanchamuns goldene Grabbeigaben ziehen ins GEM, die prominentesten Mumien ins NMEC. Schon jetzt fallen die vielen leeren Kästen auf; für Nachschub aus dem chaotischen Depot im Keller wurde noch nicht gesorgt. Wer wird das Haus in Zukunft noch besuchen? Sind drei ägyptische Museen nicht etwas viel?

Das alte Museum soll bleiben. Ein Konsortium aus fünf grossen europäischen Museen, darunter das British Museum und das Neue Museum Berlin, arbeiten mit an einem neuen Konzept für dessen Zukunft. Das Haus soll seinen nostalgischen Charme nicht verlieren, aber moderne Standards erreichen. 3,1 Millionen Euro aus EU-Geldern wurden bereits dafür gesprochen. NMEC-Kurator Sayed Abuelfadl hat eine eigene Idee: «Wir haben in Ägyptens Museen fast nichts aus Europa, auch keine Wanderausstellungen. Dort gäbe es nun dafür Platz.»

Im GEM wie im NMEC geht es, passend zum politischen Trend, nicht zuletzt um die Stärkung des eigenen nationalen Selbstbewusstseins. «Wir wollen die Ägypter stolz machen und ihnen Hoffnung einimpfen», sagt der NMEC-Direktor. Dafür baut Kairo nun zwei moderne Pyramiden. Darunter will man es nicht machen. Doch unter den antiken Pharaonen ging es schneller.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2019.07.22

Presseschau 12

12. Juni 2025Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

Dem grössten Museum Amerikas wachsen neue Flügel

Die Galerien des Metropolitan Museum of Art in New York bekommen mehr Luft, Licht und Raum. Ein Viertel wird bis 2030 umgebaut. Mit der jetzigen Eröffnung des Flügels für Kunst aus Afrika, Ozeanien und den alten Amerika ist eine wichtige Etappe geschafft.

Die Galerien des Metropolitan Museum of Art in New York bekommen mehr Luft, Licht und Raum. Ein Viertel wird bis 2030 umgebaut. Mit der jetzigen Eröffnung des Flügels für Kunst aus Afrika, Ozeanien und den alten Amerika ist eine wichtige Etappe geschafft.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Neue Zürcher Zeitung“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

06. Juni 2023Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

«Ist der Mensch näher verwandt mit einer Erdnuss oder einer Qualle?»

In der Höhle der Ameisen: Der neue Anbau des Naturhistorischen Museums in Manhattan bietet seinen kleinsten Lebewesen den spektakulärsten Raum.

In der Höhle der Ameisen: Der neue Anbau des Naturhistorischen Museums in Manhattan bietet seinen kleinsten Lebewesen den spektakulärsten Raum.

Gegen eine halbe Million Ameisen schleppen Blattstücke, die ihr Körpergewicht um ein Mehrfaches übersteigen, entlang meterlangen Aluminiumbahnen, erklimmen hundertprozentige Steigungen, hangeln sich über Wassergräben, krabbeln schliesslich über den Köpfen der Zuschauer durch einen Tunnel auf die andere Seite, hinein in durchsichtige Glaskugeln, wo sie Pilze kultivieren. Die Blattschneiderameisen-Kolonie, die da ihr Handwerk vorführt, ist eine Hauptattraktion im neu eröffneten Anbau des American Museum of Natural History in New York, eines der grössten und – spätestens seit dem Film «Nachts im Museum» – bekanntesten Naturkundemuseen der Welt.

Wie Ameisen laufen hier auch die Menschen durch eine vier Stockwerke hohe Höhle. Das Architekturbüro Studio Gang hat mit Spritzbeton ein riesiges Atrium kreiert, das aussieht wie eine über Jahrtausende von Wind und Wasser geformte Felsenschlucht. Im Zentrum des 22 000 Quadratmeter grossen Gebäudes sind viel Licht und Luft sowie eine breite Treppe zum Steigen und Sitzen; die Ausstellungsräume befinden sich an den Rändern. «Wir haben uns zur Inspiration natürliche Landschaften in den westlichen Canyons der USA angesehen», sagt Anika Schwarzwald, Architektin bei Studio Gang: «Über die Erkundung dieses Raums möchten wir die Faszination dafür wecken, wie die natürliche Welt funktioniert.»

Das Gebäude der amerikanischen Architektin Jeanne Gang von Studio Gang mit seinen wellenden Wänden und langgezogenen Fenstern erinnert von aussen an jene der Pritzkerpreis-gekrönten Architektin Zaha Hadid. Ein neuer Hintereingang öffnet sich via ein freundliches Stück Park Richtung Columbus Avenue. Mit dem viel älteren Vordereingang teilt die Fassade das Material: rosa Milford-Granit aus Massachusetts. 465 Millionen Dollar hat der Anbau mit dem komplizierten Gönnernamen «Richard-Gilder-Zentrum für Wissenschaft, Bildung und Innovation» nach vier Jahren Bauverzögerung gekostet – 140 Millionen Dollar mehr als ursprünglich geplant.

Neben den Ausstellungsräumen beherbergt der Bau Klassenzimmer, ein Restaurant, zusätzlichen Stauraum für 4 seiner 34 Millionen Archivobjekte sowie eine Bibliothek samt öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen. Etwas versteckt lagern dort die Originaltagebücher von Darwin, und ganz offen, aber anonym, ist ein Schmetterling des Künstlers Banksy ausgestellt. Hier steht «artist unknown», aber ja, «er ist von Banksy», flüstert Lauri Halderman, die Vizepräsidentin für Ausstellungen.
Lebendige Exponate

Während das Naturhistorische Museum bisher vor allem mit Grossem lockte – den Sauriern, einem Blauwal, dem Universum –, will es nun im neusten Teil auch mit Kleinem bezaubern – Ameisen, Käfern, Plankton, Genen. Insekten gibt es hier nicht nur hundertfach aufgespiesst zu sehen, sondern wie im Film «Nachts im Museum» sind viele der Exponate lebendig. Auch tagsüber. Darunter sogar jene Tiere, die den New Yorkern besonders vertraut und verhasst sind: Schaben. Auf den Ekel folgt die Faszination: Denn die südamerikanischen Verwandten haben schöne, schwarz-weisse Muster oder sind von zartem, fast durchsichtigem Beige.

Makrofotografien an den Wänden oder Lupen über Schaukästen lassen genauer erkennen, welch sonderbare Wesen Insekten doch sind. Und in Kursen, die das Museum nun auch in den neuen Klassenzimmern im neuen Anbau anbietet, dürfen Kinder die Viecher sogar berühren. «Wir haben darüber nachgedacht, wie wir den Menschen, vor allem jüngeren, helfen können, Insekten anders zu sehen», sagt Lauri Halderman: «Die Leute müssen die Insekten nach dem Besuch bei uns nicht lieben, aber wir hoffen, dass sie besser verstehen, was diese Tiere tun, und dass sie wichtig sind. Und wenn sie das nächste Mal ein Insekt sehen, ist ihre erste Reaktion vielleicht nicht, auf sie zu treten.»

Die beim Menschen wohl beliebtesten Insekten, die Schmetterlinge, haben ihr eigenes Vivarium. Zu Hunderten flattern 80 Unterarten im warm-feuchten Pseudodschungel; sie setzen sich gerne auf Pflanzen, den Boden und die farbigen T-Shirts der Besucher. In einem Glaskasten kann man ihnen sogar bei der Verwandlung von der Puppe zum Schmetterling zusehen.

Und da, wo im Museum gerade nichts kriecht oder fleucht, laden interaktive Bildschirme zu Quizspielen ein. Die visuell überwältigende Filmshow «Invisible Worlds» lässt sich mit den Füssen beeinflussen, denn die 360-Grad-Projektion umfasst auch den Boden und reagiert dort wiederum auf Bewegungen. Die Zuschauer können auf Körperzellen stampfen oder mit einem Tritt fliegende Vogelzüge umleiten.

Die Hauptbotschaft des Hauses ist nicht neu, wird aber immer wieder vermittelt: Alles ist mit allem verbunden. Wir Lebewesen teilen Gensequenzen, Verwandte und Ökosysteme. Wir haben alle gemeinsame Vorfahren, auch wenn das manchmal ein paar hundert Millionen Jahre her ist. «Ist der Mensch näher verwandt mit einer Erdnuss oder einer Qualle?» lautet eine der Quizfragen. Affen sind uns am nächsten, aber verwandt sind wir am Ende sogar mit den Schaben. Ein anderes Spiel vermittelt, wie eine Intervention in einem Ökosystem Folgen für ein Hunderte von Kilometern entferntes Ökosystem haben kann – zum Beispiel wegen der Migrationsroute gewisser Tiere.

Wissenschaftskrise

Gerade heute, gerade in den USA brauche es ein attraktives naturhistorisches Museum, das Kontexte aufzeige, finden die Museumsleute. «In diesem Land gibt es eine Art Wissenschafts- und Bildungskrise, viele Menschen glauben den Fakten nicht mehr», sagt die Architektin Anika Schwarzwald. Und die Ausstellungsvizedirektorin Halderman ergänzt: «Es scheint einen Trend zu geben, wissenschaftlich geführten Beweisen nicht folgen zu können. Wir versuchen, den Menschen zu helfen, die Wissenschaft zu verstehen.»

Ein paar wenige der emsig krabbelnden Blattschneiderameisen landen auch im Wassergraben. Und ertrinken. Ist das ethisch vertretbar? Das Wasser war nicht als Falle vorgesehen. Aber die Ameisen würden täglich lernen, ihren Weg zu optimieren, sie würden Pheromonspuren legen und so ihren Nachfolgern helfen. «Sie arbeiten so hart», sagt eine Besucherin. Und das im Museum. Tag und Nacht.

Neue Zürcher Zeitung, Di., 2023.06.06

19. Juli 2021Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

Die neueren ägyptischen Paläste zerfallen zu Staub

Das koloniale Architekturerbe des Landes ist so grandios wie ungeliebt. Und am Verschwinden.

Das koloniale Architekturerbe des Landes ist so grandios wie ungeliebt. Und am Verschwinden.

Hinweis: Leider können Sie den vollständigen Artikel nicht in nextroom lesen. Sie haben jedoch die Möglichkeit, diesen im „Neue Zürcher Zeitung“ Archiv abzurufen. Vollständigen Artikel anssehen

22. Juli 2019Susanna Petrin
Neue Zürcher Zeitung

Unter den Pharaonen ging’s schneller: Ägyptens megalomane Museumsprojekte

Kulturinteressierten hat Ägypten viel zu bieten, und es ist an der Zeit, dass diese Schätze besser präsentiert werden als im verstaubten Ägyptischen Museum. Die neuen Museumsbauten sind grandios – nur: Zu sehen gibt es dort bis auf weiteres nichts.

Kulturinteressierten hat Ägypten viel zu bieten, und es ist an der Zeit, dass diese Schätze besser präsentiert werden als im verstaubten Ägyptischen Museum. Die neuen Museumsbauten sind grandios – nur: Zu sehen gibt es dort bis auf weiteres nichts.

Das Nationalmuseum der ägyptischen Zivilisation in Kairo hat alles, was ein Museum sich nur wünschen kann – und mehr: zehn Ausstellungsräume, ein Theater, ein 3-D-Kino, einen grossen und einen kleinen Konferenzraum, einen VIP-Salon, Laboratorien, eine Druckerei, mehrere Cafeterias, 300 Garderobenkästen, einen Parkplatz für 500 Autos, ja sogar einen See. Insgesamt rund 130 000 Quadratmeter Fläche beansprucht das Museum samt Umschwung. 300 Angestellte arbeiten derzeit in den Büroräumen im Untergeschoss, unter ihnen rund 70 Wissenschafter.

Dieses Museum hat aber ein nicht unwesentliches Problem: Es ist nicht geöffnet. Es steht lediglich kurz vor der Eröffnung. Und das schon seit vielen Jahren. Die Theater-, Kino- und Konferenzräume stehen so parat wie ungenutzt; man kann sie mieten, was bisher aber selten getan wurde. Ein einziger Ausstellungsraum von zehn wurde Anfang 2017 für eine temporäre Schau teileröffnet; einige hundert Objekte sind darin zusammengestellt, um, so scheint es, nach all diesen Jahren wenigstens etwas herzeigen zu können. Sogar am Wochenende hat eine Besucherin diesen Saal allerdings für sich allein: «Ich habe mich gefühlt wie der erste Mensch, der den Mond besichtigt», kommentiert eine Frau auf der Facebook-Seite des Museums.

Die restlichen neun Ausstellungsräume sind komplett leer; noch wird darin gehämmert, geschliffen und gemalt. Einmal fertiggestellt und eingerichtet, sollen hier 5000 Jahre ägyptischer Zivilisationsgeschichte anhand von rund 50 000 Artefakten vermittelt werden – von der frühdynastischen Periode bis heute. Man wagt gar nicht daran zu denken, wie viel allein das Herunterkühlen des seit Jahren halbleeren Gebäudes kostet, von den laufenden Personalkosten ganz zu schweigen.

Direktorenparade

«Das Museum ist zu 90 Prozent fertig», sagt Kurator Sayed Abuelfadl. Zusammen mit Fayrouz Fekry, der Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen des NMEC – so das englische Kürzel für die Institution –, führt er die Besucherin durch das Haus; lüftet da eine Plastikplane, öffnet hier eine Türe. Alles ist von feinster Qualität: moderne Designermöbel, Granitspülbecken, edle Holztäfelungen. Das Ausstellungsdesign stammt aus der Hand von Arata Isozaki, dem diesjährigen Pritzker-Preisträger. Zuoberst auf dem noch nicht betretbaren Türmchen mit Pyramidendach habe man «eine Sicht bis auf die Zitadelle», schwärmt der Kurator.

Fayrouz Fekry und Sayed Abuelfadl arbeiten schon seit 2004 hier, gehören damit zu den dienstältesten Angestellten. Seit 15 Jahren harren sie der Eröffnung. Man sieht ihnen die Verzweiflung ein wenig an, doch sie üben sich in ägyptischer Geduld und Zuversicht. Bald sei es so weit. «Ende 2021 wird das Museum hoffentlich eröffnet», sagt wenig später ihr Chef, Khaled Fahmy. Er leitet das Haus seit diesem Februar. Es ist bereits der zwanzigste Direktor, unter dem Fayrouz und Sayed arbeiten.

Der zwanzigste Direktor lacht: «Wirklich, habt ihr mitgezählt, habe ich neunzehn Vorgänger?» Er sei von Haus aus Ökonom und wolle nun vor allem auf die wirtschaftliche Machbarkeit achten. Ein neuer Businessplan wurde soeben erarbeitet. Etwa 1,7 Milliarden ägyptische Pfund, also um die 100 Millionen Schweizerfranken, habe das NMEC bisher gekostet. Es dürfte noch fast eine Milliarde Pfund mehr werden. «Wir öffnen die Türe für jede Hilfe.»

Direktor Khaled Fahmys Ziel: Das Haus soll einmal selbsttragend werden. Im Untergrund will man Läden vermieten: Sie sind allerdings noch nicht gebaut, die Suche nach Interessenten beginnt erst. Dazu kommen die Eintritte: 600 000 bis 700 000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr werden erwartet; mehrheitlich Einheimische, die immer wieder herkommen. Denn hier soll neben der Wissensvermittlung auch dem Bedürfnis nach Entertainment entsprochen werden. Hier sollen ägyptische Familien ganze Tage verbringen: mit Shoppen, Shows, Essen, Bootfahren und Bildung.

Ramses zieht um

Mumien werden die touristische Hauptattraktion dieses Museums bilden. 22 Königsmumien, unter ihnen Ramses II. und Königin Hatschepsut, sollen hier ein grosszügigeres Zuhause finden. Eigentlich war geplant gewesen, sie bereits diesen Juni von ihrem Räumchen im Ägyptischen Museum am Tahrir-Platz in die grossen Untergrundkammern des NMEC überzuführen. Das Datum wurde kurzfristig verschoben. Voraussichtlich diesen Herbst soll es aber so weit sein, sagt Direktor Khaled Fahmy. Geplant ist eine Parade der Königsmumien durch Kairo, gefilmt von Helikoptern. Sind die Mumien erst einmal angekommen, sollen auch die wichtigsten drei Museumssäle bis Ende Jahr öffnen. Eine zweite, diesmal substanziellere Teileröffnung also.

Die Planung des NMEC hatte bereits vor vierzig Jahren begonnen. Der ägyptische Architekt El Ghazzali Kosseiba gewann Mitte der 1980er Jahre mit seinem Entwurf den ausgeschriebenen Wettbewerb. Das Museum hätte ursprünglich auf der Nilinsel Zamalek zu stehen kommen sollen. In den neunziger Jahren wurde das Projekt in den alten Stadtteil Fustat verlegt, in die Nähe der koptischen Sehenswürdigkeiten. 2002 wurde mit dem Bau begonnen. 2009 hätte ursprünglich die Eröffnung stattfinden sollen. Es kam die Revolution; auf sie folgten politische Unsicherheit, wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten.

Noch grösser, noch teurer

«Welches Museum, bitte?», hatte der Taxifahrer auf der Fahrt hierher gefragt. Obwohl das NMEC ein Riesenprojekt ist, wissen die meisten Kairoer nichts davon. Denn dieses Museum steht im Schatten eines grösseren: des Grand Egyptian Museum (GEM). Dieser noch gigantischere, noch viel teurere Bau wird gegenüber den Pyramiden hochgezogen. Das GEM wird das neue Zuhause Tutanchamuns sein: Erstmals seit Howard Carter 1922 dessen Grab entdeckte, sollen sämtliche 5000 Grabbeigaben des goldenen Königs dort ausgestellt werden. Hinzu kommen Tausende weiterer Objekte. Bereits in Betrieb sind die weltweit grössten Labors für die Restauration von Antiken.

Neben der Megalomanie hat das GEM mit dem NMEC gemein, dass sich dessen Eröffnung immer weiter hinauszögert. Noch vor zwei Jahren hatte der damalige GEM-Direktor Tarek Tawfik auf eine Eröffnung des Hauptteils im Herbst 2018 geschworen, nun ist die Gesamteröffnung auf 2020 angesetzt worden. Und Tawfik ist inzwischen als GEM-Direktor von einem Militärgeneral abgelöst worden.

Wieso nimmt sich das wirtschaftlich gebeutelte Ägypten zwei solch enorme Kulturprojekte fast zeitgleich vor? Natürlich gibt es viel Potenzial – hinsichtlich der Besucher wie auch der vorhandenen antiken Objekte. Doch muss es immer so überdimensioniert sein? Wäre es nicht besser, etwas kleinere, ausbaufähige Gebäude zu planen, diese dafür beizeiten fertigzubekommen? «Haben Sie in Ägypten je etwas gesehen, das klein ist?», fragt Tatiana Villegas von der Unesco, die das NMEC technisch und finanziell unterstützt, zurück. Selten. Aber vielleicht ist diese pharaonische Denkweise nicht die Lösung, sondern das Problem.

Das alte Haus wird geplündert

Zumindest ein neues Museum braucht es tatsächlich. Das gute alte Ägyptische Museum ist in die Jahre gekommen. Seine Holzvitrinen sehen noch genau so aus wie zu Zeiten seiner Eröffnung anno 1902 am Tahrir-Platz. Mit etwas Glück findet sich irgendwo ein Objekt, das auch angeschrieben ist. Junge Museumspädagogen können hier studieren, wie sie ihren Job nicht machen sollen. Aber gerade dafür muss man dieses Haus lieben, das selber als Ganzes in ein Museum gehörte.

Nun werden dem alten Haus seine grössten Publikumsmagnete weggenommen: Tutanchamuns goldene Grabbeigaben ziehen ins GEM, die prominentesten Mumien ins NMEC. Schon jetzt fallen die vielen leeren Kästen auf; für Nachschub aus dem chaotischen Depot im Keller wurde noch nicht gesorgt. Wer wird das Haus in Zukunft noch besuchen? Sind drei ägyptische Museen nicht etwas viel?

Das alte Museum soll bleiben. Ein Konsortium aus fünf grossen europäischen Museen, darunter das British Museum und das Neue Museum Berlin, arbeiten mit an einem neuen Konzept für dessen Zukunft. Das Haus soll seinen nostalgischen Charme nicht verlieren, aber moderne Standards erreichen. 3,1 Millionen Euro aus EU-Geldern wurden bereits dafür gesprochen. NMEC-Kurator Sayed Abuelfadl hat eine eigene Idee: «Wir haben in Ägyptens Museen fast nichts aus Europa, auch keine Wanderausstellungen. Dort gäbe es nun dafür Platz.»

Im GEM wie im NMEC geht es, passend zum politischen Trend, nicht zuletzt um die Stärkung des eigenen nationalen Selbstbewusstseins. «Wir wollen die Ägypter stolz machen und ihnen Hoffnung einimpfen», sagt der NMEC-Direktor. Dafür baut Kairo nun zwei moderne Pyramiden. Darunter will man es nicht machen. Doch unter den antiken Pharaonen ging es schneller.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2019.07.22

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