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30. Juni 1997Thomas Mellauner
zolltexte

Baumpfleger oder Baumgärtner

Thomas Mellauner vergleicht verschiedene Philosophien im Umgang mit Bäumen und stellt den „gärtnerzentrierten“ Umgang mit Bäumen vor.

Thomas Mellauner vergleicht verschiedene Philosophien im Umgang mit Bäumen und stellt den „gärtnerzentrierten“ Umgang mit Bäumen vor.

Bei BaumpflegerInnen herrschen derzeit keine großen Meinungsverschiedenheiten. Die durch Alex L. Shigos Forschungen ausgelösten Konflikte zwischen den VertreterInnen der Baumchirurgie und den baumbiologisch orientierten BaumpflegerInnen sind seit Beginn der 90er Jahre zum Wohl der Bäume zugunsten der auf baumbiologischen Grundlagen arbeitenden BaumpflegerInnen entschieden. Baumchirurgische Methoden wie das Ausfräsen von Morschungen, Stabilisierungen des Stammbereiches oder Auslichtungsschnitte sind einer verständigeren, an der Biologie des Baumes orientierten Theorie gewichen. Dennoch werden von vielen PraktikerInnen noch immer zahlreiche baumchirurgische, baumzerstörende Maßnahmen angewendet. Im folgenden möchte ich aber nicht von der baumpflegerischen Praxis, sondern von der Theorie ausgehen.

Die österreichische Baumpflegetagung 1996 - Spiegelbild der Problematik

Die österreichische Baumpflegetagung im Spätherbst 1996 schien aus genannten Gründen keinen besonderen Konfliktstoff zu versprechen. Die Aussagen anerkannter Spezialisten der Baumpflege1 widersprachen sich auch wirklich nur in einigen Details.
Eine Ausnahme stellte der Vortrag des Landschaftsplaners Michael Machatschek dar. Er konfrontierte die TagungsteilnehmerInnen mit zahlreichen Dias schlecht erzogener und geschnittener Bäume in Wien. Den für die Pflege Verantwortlichen warf er schlechtes Handwerk und fahrlässiges Handeln vor. Machatschek vertrat dabei kritische Thesen der Kasseler Schule2.
So wurden letztlich doch unterschiedliche Positionen im Umgang mit Bäumen präsentiert. Die jeweiligen VertreterInnen fanden jedoch keine „gemeinsame Sprache“ und die unterschiedlichen Positionen blieben nebeneinander stehen.

Vom Umgang mit Bäumen der Kasseler Schule

Der Umgang der Kasseler Schule mit Bäumen beruht auf Erfahrungswissen, einerseits den Erfahrungen alter GärtnerInnen, die an alten, gut erzogenen Bäumen „abzulesen“ sind, und dem in der einschlägigen Literatur vor 1900 festgehaltenem Wissen, andererseits auf eigenen Erfahrungen im Umgang mit Bäumen.
Bäume sind in der Auffassung der Kasseler Schule ein wichtiges Ausstattungselement städtischer Straßen. Sie bilden ein grünes Dach, zonieren den Straßenfreiraum und brauchen wenig Platz, wenn der Baumstreifen oder die Baumgrube betretbar ausgeführt werden.

Sie werden als wurzelnackte Ware in anstehendes Substrat gepflanzt, bei betret- und befahrbaren Baumstreifen werden die obersten 15-25cm mit skelettreichen Materialien melioriert. Als Pflanzstärke der Baumschulware wird mittlerweile nur mehr ein Umfang von 10/12 cm empfohlen. Nach fünf Jahren haben diese in der Regel 14/16er Pflanzungen in der Größe überholt. Die Bäume werden in den ersten zehn Jahren, den Perioden der Herstellungs- und Fertigstellungspflege, kontinuierlich bis acht Meter aufgeastet. Sie sind dann „fertiggestellt“ und müssen „nur mehr alt werden“. Ein Schnitt in der Krone, wie Kronen- oder Auslichtungsschnitt, ist nach Abschluß der Fertigstellungspflege nicht notwendig und würde nur ein ungünstiges Wuchsverhalten des Baumes provozieren, und so die statischen Verhältnisse des Baumes nachteilig verändern.

Die VertreterInnen der Kasseler Schule versuchen die Bäume möglichst jung zu setzen, da der Pflanzschock bei älteren Bäumen immer größer wird und darüber hinaus die Kosten für die Pflanzung niedrig gehalten werden können. Der Umgang mit Bäumen wird als kontinuierlicher Prozeß angesehen, der das Erfahrungswissen der zuständigen GärtnerInnen stetig mehrt. Es wird akzeptiert, daß ein Baum erst wachsen muß. Einen Grund für Probleme in der Baumpflege sieht die Kasseler Schule in der Arbeitsteilung in den Stadtgartenämtern. Einzelne Personen sind nie für den ganzen Baum verantwortlich: Die Pflanzung und Anwuchspflege wird von den GärtnerInnen der Verwaltungseinheit durchgeführt oder an Privatfirmen vergeben. Für eine rechtzeitige Aufastung der Bäume gibt es dann anscheinend keine Zuständigkeit. Oft kommt erst dann, wenn die Bäume ein Hindernis für den Straßenverkehr geworden sind, die „schnelle Eingreiftruppe“, die SpezialistInnen für Baumpflege, und beseitigt die störenden Žste, was bei guter Jungbaumpflege gar nicht notwendig geworden wäre. Dieses Problem ist im Umgang mit städtischen Bäumen übrigens nichts Neues wie schon Beißner erkannte: „Das Buch gibt Anleitung, _ wie wir durch einen regelrechten und rechtzeitigen Schnitt jegliche unnötige Verwundung, die das Leben der Bäume verkürzen muß, vermeiden sollen. Wieviel wird gerade in diesem Punkte noch gesündigt durch unzeitigen und falschen Schnitt, zumal aber indem man mit dem Schnitt zu lange wartet und dann zu starke Žste fortnehmen muß!“ (BEISSNER, 1887, S.1).

VertreterInnen der Kasseler Schule meinen, daß Bäume, deren Standorte gut überlegt sind, nur verständiges GärtnerInnenhandwerk brauchen. Die Profession der spezialisierten BaumpflegerInnen richtet in der Regel nur Schaden an.

Der baumpflegerische Ansatz

Der pflegerische Umgang auf biologischen Grundlagen hat den chirurgischen Umgang mit Bäumen abgelöst. Im folgenden werden die Aussagen verschiedener VertreterInnen der Baumpflege, die sich natürlich in vielen Detailfragen widersprachen, zu einer Betrachtungsweise - dem kleinsten gemeinsamen Nenner - zusammengefaßt.

Die Straßenbäume sollten nach Ansicht der BaumpflegerInnen als Ballenware gesetzt werden und viele ExpertInnen empfehlen eine Meliorierung des Standortes mit skelettreichen Materialien. Als Pflanzstärke der Baumschulware wird ein Umfang von mindestens 16/18 cm empfohlen, Großbaumverpflanzungen werden wenn sie handwerklich gut ausgeführt werden - akzeptiert. Die Bäume werden kontinuierlich bis maximal 4,5 m aufgeastet, aus ästhetischen Gründen aber nicht höher. Der Baum ist nie „fertiggestellt“, schonender Schnitt in der Krone, wie beispielsweise der Totholzschnitt oder ein gezielter Kronenentlastungsschnitt zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Verkehrssicherheit, kann notwendig sein und muß nach baumbiologischen Grundsätzen durchgeführt werden.

Die Philosophien im Vergleich

Die Stärke der Herangehensweise der Kasseler Schule ist die Konzentration auf die vorausschauende Planung (Standort- und Baumwahl) und das solide gärtnerische Handwerk bei Pflanzung und Jungbaumpflege. Durch die gezielte Erziehung des jungen Baumes erhält man einen gesunden und alterungsfähigen Baumbestand, was der „konventionellen“ Baumpflege in den letzten achtzig Jahren sehr selten gelungen ist.

Die Kasseler Schule gibt von der Pflanzung bis zur „Fertigstellungspflege“ klare Regeln vor, die nachvollziehbar sind und Erfolg bei der Baumerziehung versprechen. Die These, daß ein richtig erzogener, auf acht Meter aufgeasteter Baum im Alter absolut keine Pflegemaßnahmen mehr braucht, ist meiner Meinung nach aber nicht haltbar. Der Terminus „Fertigstellungspflege“ erscheint nicht angebracht, denn ein Baum ist niemals „fertig“. Beispielsweise wird eine Roßkastanie, auch wenn sie auf 10 m aufgeastet würde, ihre Žste im Alter bis auf 4 m und noch weiter herabhängen lassen. Ich kann mir also durch die hohe Aufastung und das Einkürzen der Schleppen den Schnitt in der „Tabuzone Krone“ nicht zur Gänze ersparen. Trotzdem macht es bei starkwüchsigen Stadtbäumen durchaus Sinn, auf 7 8 m aufzuasten. Die Arbeit am alten Baum wird dadurch minimiert, keineswegs wird sie jedoch zur Gänze vermieden. Auch an alten Bäumen müssen im Bedarfsfall Schnitte durchgeführt werden, beispielsweise kann der Schnitt von Totholz in der Stadt nicht allein der natürlichen Astreinigung überlassen werden. Die Gefahr herabfallender Žste ist an vielen Standorten zu groß.

Im Gegensatz zu den klaren Aussagen zur Jungbaumpflege bietet die Kasseler Schule für die alten und mittelalten Bäume unserer Städte, die ja bekanntlich zumeist nicht idealtypisch erzogen wurden, und für die zahlreichen Verletzungen durch Baumaßnahmen, Unfälle, Unwetter etc. keine Entscheidungshilfen an. Dennoch sind solche Ereignisse im Leben eines Baumes, der hundert Jahre am gleichen Fleck steht, nichts Ungewöhnliches.

Die „konventionelle“ Baumpflege beschäftigt sich theoretisch mit den Bäumen von ihrer Pflanzung bis zum Umgang mit sehr alten Exemplaren. Schon in der Literatur, noch stärker aber in der baumpflegerischen Praxis stellt sich aber heraus, daß das Hauptarbeitsgebiet die Verpflanzung großer Bäume und der alte kranke Baum ist. Die Jungbaumpflege, wie beispielsweise die rechtzeitige Aufastung, ist ein vernachlässigtes „Stiefkind“ der BaumpflegerInnen.

Von diesen werden die Bäume relativ groß gesetzt, das kleinste Maß sind Stammdurchmesser von 18 bis 20 cm, aber auch die Pflanzung eines 20 25ers gilt noch nicht als Großbaumverpflanzung. Hartmut Balder erregte mit seiner Ankündigung, daß in Berlin in Zukunft nur mehr wurzelnackte Ware in der Dimension 16 18 gesetzt werden, einiges Aufsehen. Im Normalfall gilt also, daß der Baum bei der Pflanzung schon sehr kräftig sein soll, das Jugendstadium mit dem die BaumpflegerInnen wenig anfangen können, soll möglichst kurz sein. Ignoriert wird dabei die Tatsache, daß groß gepflanzte Bäume einen viel größeren Pflanzschock erleiden und daher jahrelang nur schwache Zuwachsraten aufweisen.

Der gärtnerzentrierte Ansatz

Der gärtnerzentrierte Umgang mit Bäumen ist der Weg, den ich anbieten möchte: Die städtischen GärtnerInnen sollen die zentrale Rolle im Umgang mit Bäumen einnehmen, sie sollten die Bäume von der Pflanzung bis zu ihrem Lebensende beobachten und abgeleitet davon die richtigen Maßnahmen wählen. Die spezialisierten BaumpflegerInnen werden dann nur für spezielle Fragestellungen, wie Standfestigkeits- oder Verkehrssicherheitsfragen, angefordert.

Um einen gesunden Baumbestand zu erhalten, müssen die GärtnerInnen in Zukunft der Jungbaumpflege vermehrte Aufmerksamkeit widmen. Der zu erziehende Baum muß im Kopf schon vorgedacht sein. Das Ziel muß ein gesunder alter Baum sein (vgl. Mellauner, 1996), denn dieser braucht im Prinzip keine Pflege. Der Ehrgeiz der GärtnerInnen muß es sein, möglichst viele gesunde Bäume „herzustellen“. Polemisch gesagt, sollten sie eigentlich nur für gesunde Bäume, in die keine Pflege investiert werden muß, bezahlt werden.

Die GärtnerInnen sollten auch bessere Kenntnisse über die Biologie des alten Baumes haben. So könnten sie bei ihren zumindest zweimal im Jahr durchzuführenden Besichtigungen prüfen (belaubt und unbelaubt), welche Bäume eine Gefahr darstellen, und dann nach baumbiologischen Kriterien arbeitende BaumpflegerInnen verständigen. Der Einsatz von SpezialistInnen am alten Baum ist allein wegen der Gefahren bei der Arbeit notwendig. Der Umgang mit Hebebühne, Motorsäge oder Seil bedarf besonderer sicherheitstechnischer Kenntnisse. Auch wirkt sich eine gute Klettertechnik oder der geschickte Umgang mit der Hebebühne positiv auf die Qualität der Schnittführung aus.

Was die Arbeit der BaumpflegerInnen betrifft, so sollten diese ebenfalls in erster Linie BaumbeobachterInnen sein (vgl. Rohr, 1995), denn nicht das große Spektakel bei einem einmaligen Auftritt darf im Vordergrund stehen, sondern der kleine verantwortungsvolle Eingriff. Da die GärtnerInnen durch die jahrelange Beobachtung ihres Baumbestandes und ihr baumbiologisches Wissen kundig sind, sind sie dem Tun der SpezialistInnen nicht „hilflos“ ausgeliefert und können die Qualität der Arbeit der BaumpflegerInnen überprüfen.

Die GärtnerInnnen müssen zukünftig wieder die wichtigsten Personen im Umgang mit Bäumen werden. Aus diesem Grund ist die Initiative der Stadtgartenämter gefordert, damit diese nicht weiterhin auf Baumpflegetagungen nur das angebotene Wissen der BaumpflegerInnen und die Produkte der Baumpflegewirtschaft konsumieren.

Anmerkungen:

1) Dirk Dujesiefken vom Institut für Baumpflege Hamburg; Hartmut Balder, Phytopathologe aus Berlin; Horst Witt von der Versuchsanstalt Bad Zwischenahn; Christian Tomiczek von der Forstlichen Bundesversuchsanstalt Wien und E. Donaubauer, Professor an der Universität für Bodenkultur.

2) Die Arbeiten der „Kasseler Schule“ sind weitgehend Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschung der „Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation“ am Studiengang Landschaftsplanung der GhK. Damit sind Arbeiten benannt, die sowohl von der Erkenntnistheorie (Indizienwissenschaft) wie von der Fragestellung her den Erfahrungen von Gebrauchsqualität und den Voraussetzungen für Gebrauchsfähigkeit nachgehen. Die Arbeitsgemeinschaft ist in einer offenen Arbeitsvereinbarung von Berufstätigen, Lehrenden und Studierenden lernend, lehrend und forschend tätig (vgl. Böse, 1995, GRANDA ALONSO, 1993, HÜLBUSCH, 1994).

Literatur:

BEISSNER, L.; nach NANOT, J. (1887): Der Straßen-Gärtner. Berlin.
GRANDA ALONSO, M. E. (1993): Was Bäumchen nicht lernt, lernt Baum nimmermehr. Kassel.
HÜLBUSCH, K. H. (1994): Bäume in der Stadt. Vortragsmitschrift von Bednar, B., Mayrhofer, R.. In: Zolltexte Nr. 1/1994. S. 40. Hrsg.: Personenkomitee Forum Landschaftsplanung. Wien.
MELLAUNER, T. (1996): Der Baum im Kopf. In: Zolltexte Nr. 1/1996. S. 52. Hrsg.: Personenkomitee Forum Landschaftsplanung. Wien.
ROHR, C. (1994): Rettung vor den Rettern. In: Zolltexte Nr. 1/1994. S. 12. Hrsg.: Personenkomitee Forum Landschaftsplanung. Wien.
SHIGO, A. L. (1990): Die neue Baumbiologie. Braunschweig.

zolltexte, Mo., 1997.06.30

30. März 1996Thomas Mellauner
zolltexte

Der Baum im Kopf

Straßenbäume sind wichtige Bestandteile einer gebrauchsfähigen und nachhaltigen Freiraumausstattung in Städten und Dörfern. Der Habitus der Bäume spiegelt das Handwerk der GärtnerInnen wider und steht im engen Zusammenhang mit deren „Baum im Kopf“.

Straßenbäume sind wichtige Bestandteile einer gebrauchsfähigen und nachhaltigen Freiraumausstattung in Städten und Dörfern. Der Habitus der Bäume spiegelt das Handwerk der GärtnerInnen wider und steht im engen Zusammenhang mit deren „Baum im Kopf“.

Im Frühjahr 1995 stieß ich bei einem Aufenthalt in Katalonien in der Stadt Olot auf kandelaberartig gezogene, kopfbaumartig geschnittene Straßenbäume. In Olot, einer kleinen, von der Textilindustrie dominierten Provinzstadt, haben es die StadtgärtnerInnen zustandegebracht, ihre Platanen über zumindest hundert Jahre kontinuierlich zu pflegen und zwar in einer Qualität, daß sogar Schönbrunner GärtnerInnen den Hut ziehen würden, ja eigentlich vor Neid erblassen müßten. Die GärtnerInnen in Olot verstehen ihr Handwerk, das Prinzip ihres Baumschnittes ist die kontinuierliche etwa zwei- bis dreijährige Verjüngung der Bäume an zwei Schnittebenen, so halten sie die Schnittwunden klein und stabilisieren den gewünschten Habitus (Abb. 1, 2, 3). Wenn die GärtnerInnen in Olot einen Baum ersetzen, verstehen sie es, die Jungbaumerziehung (Aufastung, Formierung, ...) so durchzuführen, daß wieder ein kopfbaumartiger, kandelaberartiger Baum entsteht. Ich möchte hier den kopfbaumartig geschnittenen Baum nicht propagieren, ja vor Neuanlagen sogar heftig warnen, denn wenn er nicht mehr geschnitten wird, entwickelt er sich zur „Zeitbombe“, aber dazu später. Von Interesse ist aber die freiraumplanerische und handwerkliche Kundigkeit der GärtnerInnen, die es schaffen, das freiraumplanerische Konzept in die Realität umzusetzen. Das Konzept ist ein grünes, dichtes Dach in einer Höhe von 4,5 bis 8 Meter Höhe auf Plätzen und Promenaden. Die Umsetzung sind die 4,5 Meter hoch aufgeasteten, kandelaberartig gezogenen, kontinuierlich kopfbaumartig geschnittenen Platanen. Die GärtnerInnen haben von Anfang an „im Kopf“, wie ihr Produkt aussehen soll und wissen, wie sie dieses Produkt erreichen können. Keiner ihrer Arbeitsschritte von der Jungbaumerziehung bis zum stabilisierenden Schnitt ist zufällig oder willkürlich.

Roßkastanien in Baden

Im Rahmen meiner Diplomarbeit (vgl. MELLAUNER, 1995) erstellte ich eine Typologie der Badener Stadtbäume. Ein Ziel dieser Arbeit war es, der Entwicklung des Handwerks der StadtgärtnerInnen in verschiedenen Epochen auf die Spur zu kommen. In der Arbeit wurde deutlich, daß im Baden der 70er und beginnenden 80er Jahre die „GärtnerInnen des vergessenen Handwerks“ tätig waren. Alle Neupflanzungen dieser Zeit haben beispielsweise einen viel zu niedrigen Kronenansatz, Zwillen und sind charakterisiert durch eine völlig ungeeignete Baumartenwahl (Abb. 4). Durch ihre unsachgemäße Pflege wurden aber auch die zahlreichen, kandelaberartig gezogenen, kontinuierlich kopfbaumartig geschnittenen Bäume - hauptsächlich Roßkastanien - aus der Gründerzeit stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Bäume wurden nicht mehr etwa alle drei Jahre zurückgeschnitten. Da das Astsystem aber auf das Astgewicht abgestimmt war, das der Baum in drei Jahren produzieren konnte, mußten die GärtnerInnen immer wieder die Zahl der steil aufragenden Äste reduzieren, um das Zusammenbrechen der Bäume zu verhindern. Die früher planvoll, kontinuierlich arbeitenden GärtnerInnen wurden zur Feuerwehr für Notfälle, die allerdings bei ihren Einsätzen den Baumbestand fortlaufend zerstörte (Abb. 5). Das beschriebene Phänomen - baumzerstörendes Handwerk - beschränkt sich nicht auf eine Kleinstadt wie Baden, sondern kann auch in Millionenstädten wie Wien oder Barcelona beobachtet werden. (Abb. 6) In Baden konnte ich bei meiner Typologie der Straßenbäume ab den späten 80er Jahren einen deutlichen Bruch feststellen. Die Baumartenwahl orientiert sich wieder an den gründerzeitlichen Vorbildern, auch wenn nun schmalkronigere Sorten gewählt werden. Die Aufwuchs- und Jungwuchspflege ist professioneller und durchdachter, und auch die alten durchgewachsenen Bäume werden teilweise wieder verjüngt. Interessanterweise fällt dieser Zuwachs an professionellem Umgang mit Bäumen mit einem Wechsel an der Spitze des Stadtgartenamtes zusammen, der 1986 erfolgt ist. Es scheint, daß die jetzigen StadtgärtnerInnen Badens wieder einen „Baum im Kopf“ haben.

Eichen in Kassel

Der „Baum im Kopf“ ist das Bild eines alten, gesunden Stadtbaumes, alle Pflegemaßnahmen müssen auf das gewünschte Endprodukt abgestimmt sein, dadurch wird die gärtnerische Arbeit zielorientiert und verliert alle Beliebigkeit. Daher sind für mich die GärtnerInnen aus Olot auch ein brauchbares Lernbeispiel, sie verstehen ihr Produkt herzustellen. Da der arbeitsaufwendige Schnitt der kopfbaumartigen Bäume aber nicht zu rechtfertigen ist, müssen zukünftige Stadtbäume an einem anderen Baumhabitus orientiert sein. (Bestehende kopfbaumartige Bäume müssen aber wieder kontinuierlich geschnitten werden) Profunde Arbeiten zum Thema Pflanzung und Erziehung alterungsfähiger Stadtbäume finden sich bei VertreterInnen der Kasseler Schule. Deren reflektierte Erfahrungen stammen vor allem aus der Aktion „7000 Eichen“ von Joseph Beuys. Der „Baum im Kopf“ hat nach ihren Erkenntnissen einen durchgehenden Leittrieb, der etwa 6 Meter aufgeastet ist (bei starkwüchsigen Baumarten) und im Alter keine Arbeit mehr macht. Die Jungwuchspflege dieses Baumes dauert etwa zehn Jahre, wobei der Baum kontinuierlich aufgeastet wird. Nach der Jungwuchspflege ist an den Bäumen nichts mehr zu beschneiden, sie werden am besten in Ruhe gelassen (Abb. 7) (vgl. GRANDA ALONSO, 1992 und 1993, HÜLBUSCH, 1994).

Bäume mit und ohne Krankengeschichten

Beim Durchblättern von Artikeln zum Thema Baumpflege in einschlägigen Zeitschriften fällt auf, wie gern sich die AutorInnen mit dem kranken Baum beschäftigen, fachkundige Ratschläge zur Pflanzung und Jungbaumerziehung sind absolute Mangelware. Es scheint fast, als ob sich die SpezialistInnen wünschten, daß jede Baumpflanzung möglichst schnell ein Pflegefall würde. Auch die in größeren Städten so beliebten Baumkataster beschäftigen sich zu einem Großteil mit der präzisen Aufnahme kranker Stadtbäume. Ich vermute, daß die große Datenmenge - für Graz gibt es beispielsweise etwa 19. 000 „Krankengeschichten“ - die Stadtgartenämter eher lähmt als handlungsfähig macht. In Olot wird das Handwerk von GärtnerIn zu GärtnerIn weitergegeben, der „Baum im Kopf“ wird von den Nachfolgenden verstanden. In Baden beginnen die StadtgärtnerInnen ihren alten Bestand vernünftig zu verjüngen. Ob in einer Stadt nachhaltig mit Bäumen umgegangen wird, hängt also in erster Linie von den GärtnerInnen ab, die die Arbeit am Baum durchführen. In seinem Vortrag über „Bäume in der Stadt“ erläuterte Karl Heinrich Hülbusch: „Ich muß die Gärtner zu klugen Arbeitern machen, ich muß die Gärtner selbständig machen, damit sie Entscheidungen treffen, die kontinuierlich sind“ (HÜLBUSCH, 1994). Die GärtnerInnen handlungsfähig und kompetent zu machen, sehe ich als eine Aufgabe der Landschaftsplanung, denn - ein Kreis am Plan macht noch keinen Schatten.

Literatur: GRANDA ALONSO, M. E. (1992): Wie wachsen Bäume ins Holz. Unveröffentliches Manuskript. Kassel. GRANDA ALONSO, M. E. (1993): Was Bäumchen nicht lernt, lernt Baum nimmermehr. Kassel. HÜLBUSCH, K. H. (1994): Bäume in der Stadt, Vortragsmitschrift von Bednar B., Mayrhofer R., In: Zolltexte Nr. 1/1994. S. 40. MELLAUNER, T. (1995): Kandelaber, Kopf und Kugel. Der Umgang mit Bäumen am Beispiel Baden/Wien. Wien. SHIGO, A. L. (1990): Die neue Baumbiologie. Braunschweig.

zolltexte, Sa., 1996.03.30

Presseschau 12

30. Juni 1997Thomas Mellauner
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Baumpfleger oder Baumgärtner

Thomas Mellauner vergleicht verschiedene Philosophien im Umgang mit Bäumen und stellt den „gärtnerzentrierten“ Umgang mit Bäumen vor.

Thomas Mellauner vergleicht verschiedene Philosophien im Umgang mit Bäumen und stellt den „gärtnerzentrierten“ Umgang mit Bäumen vor.

Bei BaumpflegerInnen herrschen derzeit keine großen Meinungsverschiedenheiten. Die durch Alex L. Shigos Forschungen ausgelösten Konflikte zwischen den VertreterInnen der Baumchirurgie und den baumbiologisch orientierten BaumpflegerInnen sind seit Beginn der 90er Jahre zum Wohl der Bäume zugunsten der auf baumbiologischen Grundlagen arbeitenden BaumpflegerInnen entschieden. Baumchirurgische Methoden wie das Ausfräsen von Morschungen, Stabilisierungen des Stammbereiches oder Auslichtungsschnitte sind einer verständigeren, an der Biologie des Baumes orientierten Theorie gewichen. Dennoch werden von vielen PraktikerInnen noch immer zahlreiche baumchirurgische, baumzerstörende Maßnahmen angewendet. Im folgenden möchte ich aber nicht von der baumpflegerischen Praxis, sondern von der Theorie ausgehen.

Die österreichische Baumpflegetagung 1996 - Spiegelbild der Problematik

Die österreichische Baumpflegetagung im Spätherbst 1996 schien aus genannten Gründen keinen besonderen Konfliktstoff zu versprechen. Die Aussagen anerkannter Spezialisten der Baumpflege1 widersprachen sich auch wirklich nur in einigen Details.
Eine Ausnahme stellte der Vortrag des Landschaftsplaners Michael Machatschek dar. Er konfrontierte die TagungsteilnehmerInnen mit zahlreichen Dias schlecht erzogener und geschnittener Bäume in Wien. Den für die Pflege Verantwortlichen warf er schlechtes Handwerk und fahrlässiges Handeln vor. Machatschek vertrat dabei kritische Thesen der Kasseler Schule2.
So wurden letztlich doch unterschiedliche Positionen im Umgang mit Bäumen präsentiert. Die jeweiligen VertreterInnen fanden jedoch keine „gemeinsame Sprache“ und die unterschiedlichen Positionen blieben nebeneinander stehen.

Vom Umgang mit Bäumen der Kasseler Schule

Der Umgang der Kasseler Schule mit Bäumen beruht auf Erfahrungswissen, einerseits den Erfahrungen alter GärtnerInnen, die an alten, gut erzogenen Bäumen „abzulesen“ sind, und dem in der einschlägigen Literatur vor 1900 festgehaltenem Wissen, andererseits auf eigenen Erfahrungen im Umgang mit Bäumen.
Bäume sind in der Auffassung der Kasseler Schule ein wichtiges Ausstattungselement städtischer Straßen. Sie bilden ein grünes Dach, zonieren den Straßenfreiraum und brauchen wenig Platz, wenn der Baumstreifen oder die Baumgrube betretbar ausgeführt werden.

Sie werden als wurzelnackte Ware in anstehendes Substrat gepflanzt, bei betret- und befahrbaren Baumstreifen werden die obersten 15-25cm mit skelettreichen Materialien melioriert. Als Pflanzstärke der Baumschulware wird mittlerweile nur mehr ein Umfang von 10/12 cm empfohlen. Nach fünf Jahren haben diese in der Regel 14/16er Pflanzungen in der Größe überholt. Die Bäume werden in den ersten zehn Jahren, den Perioden der Herstellungs- und Fertigstellungspflege, kontinuierlich bis acht Meter aufgeastet. Sie sind dann „fertiggestellt“ und müssen „nur mehr alt werden“. Ein Schnitt in der Krone, wie Kronen- oder Auslichtungsschnitt, ist nach Abschluß der Fertigstellungspflege nicht notwendig und würde nur ein ungünstiges Wuchsverhalten des Baumes provozieren, und so die statischen Verhältnisse des Baumes nachteilig verändern.

Die VertreterInnen der Kasseler Schule versuchen die Bäume möglichst jung zu setzen, da der Pflanzschock bei älteren Bäumen immer größer wird und darüber hinaus die Kosten für die Pflanzung niedrig gehalten werden können. Der Umgang mit Bäumen wird als kontinuierlicher Prozeß angesehen, der das Erfahrungswissen der zuständigen GärtnerInnen stetig mehrt. Es wird akzeptiert, daß ein Baum erst wachsen muß. Einen Grund für Probleme in der Baumpflege sieht die Kasseler Schule in der Arbeitsteilung in den Stadtgartenämtern. Einzelne Personen sind nie für den ganzen Baum verantwortlich: Die Pflanzung und Anwuchspflege wird von den GärtnerInnen der Verwaltungseinheit durchgeführt oder an Privatfirmen vergeben. Für eine rechtzeitige Aufastung der Bäume gibt es dann anscheinend keine Zuständigkeit. Oft kommt erst dann, wenn die Bäume ein Hindernis für den Straßenverkehr geworden sind, die „schnelle Eingreiftruppe“, die SpezialistInnen für Baumpflege, und beseitigt die störenden Žste, was bei guter Jungbaumpflege gar nicht notwendig geworden wäre. Dieses Problem ist im Umgang mit städtischen Bäumen übrigens nichts Neues wie schon Beißner erkannte: „Das Buch gibt Anleitung, _ wie wir durch einen regelrechten und rechtzeitigen Schnitt jegliche unnötige Verwundung, die das Leben der Bäume verkürzen muß, vermeiden sollen. Wieviel wird gerade in diesem Punkte noch gesündigt durch unzeitigen und falschen Schnitt, zumal aber indem man mit dem Schnitt zu lange wartet und dann zu starke Žste fortnehmen muß!“ (BEISSNER, 1887, S.1).

VertreterInnen der Kasseler Schule meinen, daß Bäume, deren Standorte gut überlegt sind, nur verständiges GärtnerInnenhandwerk brauchen. Die Profession der spezialisierten BaumpflegerInnen richtet in der Regel nur Schaden an.

Der baumpflegerische Ansatz

Der pflegerische Umgang auf biologischen Grundlagen hat den chirurgischen Umgang mit Bäumen abgelöst. Im folgenden werden die Aussagen verschiedener VertreterInnen der Baumpflege, die sich natürlich in vielen Detailfragen widersprachen, zu einer Betrachtungsweise - dem kleinsten gemeinsamen Nenner - zusammengefaßt.

Die Straßenbäume sollten nach Ansicht der BaumpflegerInnen als Ballenware gesetzt werden und viele ExpertInnen empfehlen eine Meliorierung des Standortes mit skelettreichen Materialien. Als Pflanzstärke der Baumschulware wird ein Umfang von mindestens 16/18 cm empfohlen, Großbaumverpflanzungen werden wenn sie handwerklich gut ausgeführt werden - akzeptiert. Die Bäume werden kontinuierlich bis maximal 4,5 m aufgeastet, aus ästhetischen Gründen aber nicht höher. Der Baum ist nie „fertiggestellt“, schonender Schnitt in der Krone, wie beispielsweise der Totholzschnitt oder ein gezielter Kronenentlastungsschnitt zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Verkehrssicherheit, kann notwendig sein und muß nach baumbiologischen Grundsätzen durchgeführt werden.

Die Philosophien im Vergleich

Die Stärke der Herangehensweise der Kasseler Schule ist die Konzentration auf die vorausschauende Planung (Standort- und Baumwahl) und das solide gärtnerische Handwerk bei Pflanzung und Jungbaumpflege. Durch die gezielte Erziehung des jungen Baumes erhält man einen gesunden und alterungsfähigen Baumbestand, was der „konventionellen“ Baumpflege in den letzten achtzig Jahren sehr selten gelungen ist.

Die Kasseler Schule gibt von der Pflanzung bis zur „Fertigstellungspflege“ klare Regeln vor, die nachvollziehbar sind und Erfolg bei der Baumerziehung versprechen. Die These, daß ein richtig erzogener, auf acht Meter aufgeasteter Baum im Alter absolut keine Pflegemaßnahmen mehr braucht, ist meiner Meinung nach aber nicht haltbar. Der Terminus „Fertigstellungspflege“ erscheint nicht angebracht, denn ein Baum ist niemals „fertig“. Beispielsweise wird eine Roßkastanie, auch wenn sie auf 10 m aufgeastet würde, ihre Žste im Alter bis auf 4 m und noch weiter herabhängen lassen. Ich kann mir also durch die hohe Aufastung und das Einkürzen der Schleppen den Schnitt in der „Tabuzone Krone“ nicht zur Gänze ersparen. Trotzdem macht es bei starkwüchsigen Stadtbäumen durchaus Sinn, auf 7 8 m aufzuasten. Die Arbeit am alten Baum wird dadurch minimiert, keineswegs wird sie jedoch zur Gänze vermieden. Auch an alten Bäumen müssen im Bedarfsfall Schnitte durchgeführt werden, beispielsweise kann der Schnitt von Totholz in der Stadt nicht allein der natürlichen Astreinigung überlassen werden. Die Gefahr herabfallender Žste ist an vielen Standorten zu groß.

Im Gegensatz zu den klaren Aussagen zur Jungbaumpflege bietet die Kasseler Schule für die alten und mittelalten Bäume unserer Städte, die ja bekanntlich zumeist nicht idealtypisch erzogen wurden, und für die zahlreichen Verletzungen durch Baumaßnahmen, Unfälle, Unwetter etc. keine Entscheidungshilfen an. Dennoch sind solche Ereignisse im Leben eines Baumes, der hundert Jahre am gleichen Fleck steht, nichts Ungewöhnliches.

Die „konventionelle“ Baumpflege beschäftigt sich theoretisch mit den Bäumen von ihrer Pflanzung bis zum Umgang mit sehr alten Exemplaren. Schon in der Literatur, noch stärker aber in der baumpflegerischen Praxis stellt sich aber heraus, daß das Hauptarbeitsgebiet die Verpflanzung großer Bäume und der alte kranke Baum ist. Die Jungbaumpflege, wie beispielsweise die rechtzeitige Aufastung, ist ein vernachlässigtes „Stiefkind“ der BaumpflegerInnen.

Von diesen werden die Bäume relativ groß gesetzt, das kleinste Maß sind Stammdurchmesser von 18 bis 20 cm, aber auch die Pflanzung eines 20 25ers gilt noch nicht als Großbaumverpflanzung. Hartmut Balder erregte mit seiner Ankündigung, daß in Berlin in Zukunft nur mehr wurzelnackte Ware in der Dimension 16 18 gesetzt werden, einiges Aufsehen. Im Normalfall gilt also, daß der Baum bei der Pflanzung schon sehr kräftig sein soll, das Jugendstadium mit dem die BaumpflegerInnen wenig anfangen können, soll möglichst kurz sein. Ignoriert wird dabei die Tatsache, daß groß gepflanzte Bäume einen viel größeren Pflanzschock erleiden und daher jahrelang nur schwache Zuwachsraten aufweisen.

Der gärtnerzentrierte Ansatz

Der gärtnerzentrierte Umgang mit Bäumen ist der Weg, den ich anbieten möchte: Die städtischen GärtnerInnen sollen die zentrale Rolle im Umgang mit Bäumen einnehmen, sie sollten die Bäume von der Pflanzung bis zu ihrem Lebensende beobachten und abgeleitet davon die richtigen Maßnahmen wählen. Die spezialisierten BaumpflegerInnen werden dann nur für spezielle Fragestellungen, wie Standfestigkeits- oder Verkehrssicherheitsfragen, angefordert.

Um einen gesunden Baumbestand zu erhalten, müssen die GärtnerInnen in Zukunft der Jungbaumpflege vermehrte Aufmerksamkeit widmen. Der zu erziehende Baum muß im Kopf schon vorgedacht sein. Das Ziel muß ein gesunder alter Baum sein (vgl. Mellauner, 1996), denn dieser braucht im Prinzip keine Pflege. Der Ehrgeiz der GärtnerInnen muß es sein, möglichst viele gesunde Bäume „herzustellen“. Polemisch gesagt, sollten sie eigentlich nur für gesunde Bäume, in die keine Pflege investiert werden muß, bezahlt werden.

Die GärtnerInnen sollten auch bessere Kenntnisse über die Biologie des alten Baumes haben. So könnten sie bei ihren zumindest zweimal im Jahr durchzuführenden Besichtigungen prüfen (belaubt und unbelaubt), welche Bäume eine Gefahr darstellen, und dann nach baumbiologischen Kriterien arbeitende BaumpflegerInnen verständigen. Der Einsatz von SpezialistInnen am alten Baum ist allein wegen der Gefahren bei der Arbeit notwendig. Der Umgang mit Hebebühne, Motorsäge oder Seil bedarf besonderer sicherheitstechnischer Kenntnisse. Auch wirkt sich eine gute Klettertechnik oder der geschickte Umgang mit der Hebebühne positiv auf die Qualität der Schnittführung aus.

Was die Arbeit der BaumpflegerInnen betrifft, so sollten diese ebenfalls in erster Linie BaumbeobachterInnen sein (vgl. Rohr, 1995), denn nicht das große Spektakel bei einem einmaligen Auftritt darf im Vordergrund stehen, sondern der kleine verantwortungsvolle Eingriff. Da die GärtnerInnen durch die jahrelange Beobachtung ihres Baumbestandes und ihr baumbiologisches Wissen kundig sind, sind sie dem Tun der SpezialistInnen nicht „hilflos“ ausgeliefert und können die Qualität der Arbeit der BaumpflegerInnen überprüfen.

Die GärtnerInnnen müssen zukünftig wieder die wichtigsten Personen im Umgang mit Bäumen werden. Aus diesem Grund ist die Initiative der Stadtgartenämter gefordert, damit diese nicht weiterhin auf Baumpflegetagungen nur das angebotene Wissen der BaumpflegerInnen und die Produkte der Baumpflegewirtschaft konsumieren.

Anmerkungen:

1) Dirk Dujesiefken vom Institut für Baumpflege Hamburg; Hartmut Balder, Phytopathologe aus Berlin; Horst Witt von der Versuchsanstalt Bad Zwischenahn; Christian Tomiczek von der Forstlichen Bundesversuchsanstalt Wien und E. Donaubauer, Professor an der Universität für Bodenkultur.

2) Die Arbeiten der „Kasseler Schule“ sind weitgehend Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschung der „Arbeitsgemeinschaft Freiraum und Vegetation“ am Studiengang Landschaftsplanung der GhK. Damit sind Arbeiten benannt, die sowohl von der Erkenntnistheorie (Indizienwissenschaft) wie von der Fragestellung her den Erfahrungen von Gebrauchsqualität und den Voraussetzungen für Gebrauchsfähigkeit nachgehen. Die Arbeitsgemeinschaft ist in einer offenen Arbeitsvereinbarung von Berufstätigen, Lehrenden und Studierenden lernend, lehrend und forschend tätig (vgl. Böse, 1995, GRANDA ALONSO, 1993, HÜLBUSCH, 1994).

Literatur:

BEISSNER, L.; nach NANOT, J. (1887): Der Straßen-Gärtner. Berlin.
GRANDA ALONSO, M. E. (1993): Was Bäumchen nicht lernt, lernt Baum nimmermehr. Kassel.
HÜLBUSCH, K. H. (1994): Bäume in der Stadt. Vortragsmitschrift von Bednar, B., Mayrhofer, R.. In: Zolltexte Nr. 1/1994. S. 40. Hrsg.: Personenkomitee Forum Landschaftsplanung. Wien.
MELLAUNER, T. (1996): Der Baum im Kopf. In: Zolltexte Nr. 1/1996. S. 52. Hrsg.: Personenkomitee Forum Landschaftsplanung. Wien.
ROHR, C. (1994): Rettung vor den Rettern. In: Zolltexte Nr. 1/1994. S. 12. Hrsg.: Personenkomitee Forum Landschaftsplanung. Wien.
SHIGO, A. L. (1990): Die neue Baumbiologie. Braunschweig.

zolltexte, Mo., 1997.06.30

30. März 1996Thomas Mellauner
zolltexte

Der Baum im Kopf

Straßenbäume sind wichtige Bestandteile einer gebrauchsfähigen und nachhaltigen Freiraumausstattung in Städten und Dörfern. Der Habitus der Bäume spiegelt das Handwerk der GärtnerInnen wider und steht im engen Zusammenhang mit deren „Baum im Kopf“.

Straßenbäume sind wichtige Bestandteile einer gebrauchsfähigen und nachhaltigen Freiraumausstattung in Städten und Dörfern. Der Habitus der Bäume spiegelt das Handwerk der GärtnerInnen wider und steht im engen Zusammenhang mit deren „Baum im Kopf“.

Im Frühjahr 1995 stieß ich bei einem Aufenthalt in Katalonien in der Stadt Olot auf kandelaberartig gezogene, kopfbaumartig geschnittene Straßenbäume. In Olot, einer kleinen, von der Textilindustrie dominierten Provinzstadt, haben es die StadtgärtnerInnen zustandegebracht, ihre Platanen über zumindest hundert Jahre kontinuierlich zu pflegen und zwar in einer Qualität, daß sogar Schönbrunner GärtnerInnen den Hut ziehen würden, ja eigentlich vor Neid erblassen müßten. Die GärtnerInnen in Olot verstehen ihr Handwerk, das Prinzip ihres Baumschnittes ist die kontinuierliche etwa zwei- bis dreijährige Verjüngung der Bäume an zwei Schnittebenen, so halten sie die Schnittwunden klein und stabilisieren den gewünschten Habitus (Abb. 1, 2, 3). Wenn die GärtnerInnen in Olot einen Baum ersetzen, verstehen sie es, die Jungbaumerziehung (Aufastung, Formierung, ...) so durchzuführen, daß wieder ein kopfbaumartiger, kandelaberartiger Baum entsteht. Ich möchte hier den kopfbaumartig geschnittenen Baum nicht propagieren, ja vor Neuanlagen sogar heftig warnen, denn wenn er nicht mehr geschnitten wird, entwickelt er sich zur „Zeitbombe“, aber dazu später. Von Interesse ist aber die freiraumplanerische und handwerkliche Kundigkeit der GärtnerInnen, die es schaffen, das freiraumplanerische Konzept in die Realität umzusetzen. Das Konzept ist ein grünes, dichtes Dach in einer Höhe von 4,5 bis 8 Meter Höhe auf Plätzen und Promenaden. Die Umsetzung sind die 4,5 Meter hoch aufgeasteten, kandelaberartig gezogenen, kontinuierlich kopfbaumartig geschnittenen Platanen. Die GärtnerInnen haben von Anfang an „im Kopf“, wie ihr Produkt aussehen soll und wissen, wie sie dieses Produkt erreichen können. Keiner ihrer Arbeitsschritte von der Jungbaumerziehung bis zum stabilisierenden Schnitt ist zufällig oder willkürlich.

Roßkastanien in Baden

Im Rahmen meiner Diplomarbeit (vgl. MELLAUNER, 1995) erstellte ich eine Typologie der Badener Stadtbäume. Ein Ziel dieser Arbeit war es, der Entwicklung des Handwerks der StadtgärtnerInnen in verschiedenen Epochen auf die Spur zu kommen. In der Arbeit wurde deutlich, daß im Baden der 70er und beginnenden 80er Jahre die „GärtnerInnen des vergessenen Handwerks“ tätig waren. Alle Neupflanzungen dieser Zeit haben beispielsweise einen viel zu niedrigen Kronenansatz, Zwillen und sind charakterisiert durch eine völlig ungeeignete Baumartenwahl (Abb. 4). Durch ihre unsachgemäße Pflege wurden aber auch die zahlreichen, kandelaberartig gezogenen, kontinuierlich kopfbaumartig geschnittenen Bäume - hauptsächlich Roßkastanien - aus der Gründerzeit stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Bäume wurden nicht mehr etwa alle drei Jahre zurückgeschnitten. Da das Astsystem aber auf das Astgewicht abgestimmt war, das der Baum in drei Jahren produzieren konnte, mußten die GärtnerInnen immer wieder die Zahl der steil aufragenden Äste reduzieren, um das Zusammenbrechen der Bäume zu verhindern. Die früher planvoll, kontinuierlich arbeitenden GärtnerInnen wurden zur Feuerwehr für Notfälle, die allerdings bei ihren Einsätzen den Baumbestand fortlaufend zerstörte (Abb. 5). Das beschriebene Phänomen - baumzerstörendes Handwerk - beschränkt sich nicht auf eine Kleinstadt wie Baden, sondern kann auch in Millionenstädten wie Wien oder Barcelona beobachtet werden. (Abb. 6) In Baden konnte ich bei meiner Typologie der Straßenbäume ab den späten 80er Jahren einen deutlichen Bruch feststellen. Die Baumartenwahl orientiert sich wieder an den gründerzeitlichen Vorbildern, auch wenn nun schmalkronigere Sorten gewählt werden. Die Aufwuchs- und Jungwuchspflege ist professioneller und durchdachter, und auch die alten durchgewachsenen Bäume werden teilweise wieder verjüngt. Interessanterweise fällt dieser Zuwachs an professionellem Umgang mit Bäumen mit einem Wechsel an der Spitze des Stadtgartenamtes zusammen, der 1986 erfolgt ist. Es scheint, daß die jetzigen StadtgärtnerInnen Badens wieder einen „Baum im Kopf“ haben.

Eichen in Kassel

Der „Baum im Kopf“ ist das Bild eines alten, gesunden Stadtbaumes, alle Pflegemaßnahmen müssen auf das gewünschte Endprodukt abgestimmt sein, dadurch wird die gärtnerische Arbeit zielorientiert und verliert alle Beliebigkeit. Daher sind für mich die GärtnerInnen aus Olot auch ein brauchbares Lernbeispiel, sie verstehen ihr Produkt herzustellen. Da der arbeitsaufwendige Schnitt der kopfbaumartigen Bäume aber nicht zu rechtfertigen ist, müssen zukünftige Stadtbäume an einem anderen Baumhabitus orientiert sein. (Bestehende kopfbaumartige Bäume müssen aber wieder kontinuierlich geschnitten werden) Profunde Arbeiten zum Thema Pflanzung und Erziehung alterungsfähiger Stadtbäume finden sich bei VertreterInnen der Kasseler Schule. Deren reflektierte Erfahrungen stammen vor allem aus der Aktion „7000 Eichen“ von Joseph Beuys. Der „Baum im Kopf“ hat nach ihren Erkenntnissen einen durchgehenden Leittrieb, der etwa 6 Meter aufgeastet ist (bei starkwüchsigen Baumarten) und im Alter keine Arbeit mehr macht. Die Jungwuchspflege dieses Baumes dauert etwa zehn Jahre, wobei der Baum kontinuierlich aufgeastet wird. Nach der Jungwuchspflege ist an den Bäumen nichts mehr zu beschneiden, sie werden am besten in Ruhe gelassen (Abb. 7) (vgl. GRANDA ALONSO, 1992 und 1993, HÜLBUSCH, 1994).

Bäume mit und ohne Krankengeschichten

Beim Durchblättern von Artikeln zum Thema Baumpflege in einschlägigen Zeitschriften fällt auf, wie gern sich die AutorInnen mit dem kranken Baum beschäftigen, fachkundige Ratschläge zur Pflanzung und Jungbaumerziehung sind absolute Mangelware. Es scheint fast, als ob sich die SpezialistInnen wünschten, daß jede Baumpflanzung möglichst schnell ein Pflegefall würde. Auch die in größeren Städten so beliebten Baumkataster beschäftigen sich zu einem Großteil mit der präzisen Aufnahme kranker Stadtbäume. Ich vermute, daß die große Datenmenge - für Graz gibt es beispielsweise etwa 19. 000 „Krankengeschichten“ - die Stadtgartenämter eher lähmt als handlungsfähig macht. In Olot wird das Handwerk von GärtnerIn zu GärtnerIn weitergegeben, der „Baum im Kopf“ wird von den Nachfolgenden verstanden. In Baden beginnen die StadtgärtnerInnen ihren alten Bestand vernünftig zu verjüngen. Ob in einer Stadt nachhaltig mit Bäumen umgegangen wird, hängt also in erster Linie von den GärtnerInnen ab, die die Arbeit am Baum durchführen. In seinem Vortrag über „Bäume in der Stadt“ erläuterte Karl Heinrich Hülbusch: „Ich muß die Gärtner zu klugen Arbeitern machen, ich muß die Gärtner selbständig machen, damit sie Entscheidungen treffen, die kontinuierlich sind“ (HÜLBUSCH, 1994). Die GärtnerInnen handlungsfähig und kompetent zu machen, sehe ich als eine Aufgabe der Landschaftsplanung, denn - ein Kreis am Plan macht noch keinen Schatten.

Literatur: GRANDA ALONSO, M. E. (1992): Wie wachsen Bäume ins Holz. Unveröffentliches Manuskript. Kassel. GRANDA ALONSO, M. E. (1993): Was Bäumchen nicht lernt, lernt Baum nimmermehr. Kassel. HÜLBUSCH, K. H. (1994): Bäume in der Stadt, Vortragsmitschrift von Bednar B., Mayrhofer R., In: Zolltexte Nr. 1/1994. S. 40. MELLAUNER, T. (1995): Kandelaber, Kopf und Kugel. Der Umgang mit Bäumen am Beispiel Baden/Wien. Wien. SHIGO, A. L. (1990): Die neue Baumbiologie. Braunschweig.

zolltexte, Sa., 1996.03.30

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