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13. Juni 2019Marietta Adenberger
Der Standard

Raus aus der Blase, rein in die Konfliktzone

Begegnung, nicht Konfliktvermeidung, ist gut für das nachbarschaftliche Miteinander – das wurde beim STANDARD-Wohnsymposium deutlich. Beim Gelingen spielen vermeintliche Vorrechte und Medien eine wichtige Rolle.

Begegnung, nicht Konfliktvermeidung, ist gut für das nachbarschaftliche Miteinander – das wurde beim STANDARD-Wohnsymposium deutlich. Beim Gelingen spielen vermeintliche Vorrechte und Medien eine wichtige Rolle.

Ein Studentenheim aus Containern neben Baugruppenprojekten wie dem Que(e)rbau oder dem weltweit höchsten Holzhochhaus HoHo und dazu noch viele sogenannte Shared Spaces – die rasant wachsende Seestadt Aspern mit all ihren vielfältigen Wohn- und Büroangeboten war der ideale Ort für das 64. STANDARD-Wohnsymposium zum Thema „Soziale Durchmischung im Quartier – Konflikt oder Chance“. Während die Teilnehmer am Schnittpunkt zwischen Integration, Wohnbau und Wohnpolitik diskutierten, sprangen wenige Meter entfernt ein paar junge Burschen in den See, an den Studenten genauso kommen, wie migrantische Familien oder Uniprofessoren.

„Soziale Durchmischung in Wohnhäusern war immer mit dem Harmoniegedanken verbunden, dass sie konfliktentschärfend ist“, sagte Kenan Dogan Güngör, Direktor von Think.Difference – Büro für Gesellschaft, Organisation und Entwicklung, in Wien. Der Experte regte auf der vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierten Veranstaltung aber eine provokante Denksportaufgabe an: Was ist, wenn die sozialen Konflikte erst aufgrund der sozialen Durchmischung entstehen? Und wenn, sind Konflikte überhaupt schlecht? „Nein“, meinte Superblock-Architektin Verena Mörkl, die überzeugt ist, „dass nicht immer alles harmonisch laufen muss“. Denn Interaktion sei wichtig. Es bringe nichts, wenn der erwähnte Uniprofessor mit dem Lift in die Tiefgarage fährt und keine Berührungspunkte hat. Denn jeder von uns lebt in seiner eigenen Blase, auch im realen Leben, nicht nur in den sozialen Medien.

„Man muss sich in Wohnquartieren daher vielmehr fragen, welche Bubbles miteinander können und welche nicht“, so Güngör, der glaubt, dass gar nicht so sehr die soziale Lage, sondern vielmehr die Erwartungshaltung der Bewohner das Entscheidende ist: Studenten und migrantische Arbeiter können miteinander, weiß man aus Erfahrung. Bei hochbetagten autochthonen Österreichern und kinderreichen migrantischen Familien im Gemeindebau ist es schon schwieriger.

„Ganz besonders beißt es sich bei zwei Gruppen aus gleichen sozialen Schichten, von denen die einen Aufsteiger und die anderen Absteiger sind“, weiß der Experte. In einem solchen Fall kreuzen sich Negativität und Optimismus. Wenn das dann noch über die Grenzlinie der Migration geschehe, werde es schwierig. Noch einen interessanten Aspekt sprach Güngör an: Wer vorher an einem Ort ist, verbindet damit Vorrechte. Das widerspricht wiederum dem Gastrecht. „Auch mein Vater hat zu mir gesagt, wir sind hier Gäste und dürfen nicht so aufmüpfig sein.“ Dieses „Ich war zuerst da“ ziehe sich durch alle Gruppen, auch bei etablierten Zuwanderern, und die Dynamiken seien in der Stadtpolitik sehr spannend. Die Seestadt ist dabei ein Sonderfall, denn hier sind alle neu. Insofern ist sie, wie alle neuen Stadtquartiere, ein hoch interessantes Forschungsszenario.

Mediale Trigger

Einer, der das erforscht, ist Daniele Karasz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien. Im neuen Wiener Stadtteil Monte Laa hat sich in der Wahrnehmung das Zusammenleben innerhalb weniger Jahre sehr zum Schlechteren verändert. Die Flüchtlingskrise 2015 war mit ein Wendepunkt. Viele Bewohner können aber keine konkreten Beispiele nennen, was sie stört. Laut Karasz haben sich die Bewohner aus sozialen und heimischen Medien und Zeitungsberichten ihrer Herkunftsländer vieles zusammengereimt. „Die polnischen Verwandten einer Frau haben angerufen und gefragt, ob sie sich noch hinaustraut, weil es in Wien so wild zugeht“, so Karasz. Ähnliches erlebt auch Werner Krammer, Bürgermeister von Waidhofen a. d. Ybbs im Mostviertel, einer Region, die Zuwanderer aufgenommen und erfolgreiche Initiativen wie eine Jobbörse und integrative Treffs etabliert hat. „Wir haben überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, sogar schöne Erfolge. Aber wenn in Medien negativ berichtet wird, schwappt das auf die Stammtische über. Das ist sehr irritierend“, so der ÖVP-Politiker.

Die Frage, ob Konflikte aufgrund der sozialen Mischung vermieden werden oder gerade deswegen entstehen, lässt sich demnach noch um die Rolle der Medien erweitern. „Werden Erwartungen von Harmonie zu stark kommuniziert, sind Abweichungen umso eher skandalisierbar“, so Güngör. Einig waren sich alle Teilnehmer des Symposiums, dass Konflikte nicht per se schlecht sind und immer auch Chancen bergen. Allerdings müssen sie verhandelbar sein, und es braucht Begleiter und Kümmerer, so der Experte. Vielschichtige Allianzen wie „Wir sind die Seestädter“, seien dabei hilfreich.

Der Standard, Do., 2019.06.13

02. Juni 2018Marietta Adenberger
Der Standard

Öffentlicher Raum für alle

Wien – Gehsteige, Schotterplätze oder Baulücken – öffentlicher Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenzielle Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia...

Wien – Gehsteige, Schotterplätze oder Baulücken – öffentlicher Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenzielle Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia...

Wien – Gehsteige, Schotterplätze oder Baulücken – öffentlicher Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenzielle Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia und ihr Publikum beim Baulückenkonzert im Juni eine urbane Leerstelle in der Nordwestbahnstraße im 20. Bezirk nutzen werden oder die rund 100 Teilnehmer des regelmäßig stattfindenden Geh-Cafés auf den Wiener Gehsteigen flanieren, garteln die Anrainer des Nordbahnhofgeländes in den Hochbeeten vor der Nordbahnhalle.

Auf welche Arten kann man die Stadt in Besitz nehmen? Darüber diskutierten Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Institutionen vergangene Woche zum Thema „Wem gehört die Stadt“ in der Nordbahnhalle im zweiten Bezirk.

Anstoß zur Beteiligung

„Ich bringe Menschen an Orte, wo sie sonst nicht hinkommen würden“, erklärte Konzept- und Medienkünstler Oliver Hangl, der niederschwellige Kunstprojekte im (halb-)öffentlichen Raum inszeniert. Bei seinen Baulückenkonzerten etwa, die an ungenutzten urbanen Orten wie der stillgelegten Gleislandschaft neben der Nordbahnhalle oder ähnlichen Plätzen stattfinden, will er den Fokus auf deren Geschichte und Zukunft und damit auf städtebauliche und gesellschaftliche Fragen lenken. Zur Verfügung stellen ihm den Raum etwa die Stadt oder die ÖBB.

Dass eine lebendige Stadt auch Konfliktpotenzial birgt, hat Petra Jens, Fußgängerbeauftragte der Mobilitätsagentur Wien und frühere Hundekot-Aktivistin, erfahren. Sie erläutert den klassischen urbanen Konflikt im öffentlichen Raum anhand des Beispiels Sitzbank: „Einerseits ist es eine notwendige, erwünschte Sitzgelegenheit für Passanten, andererseits herrscht die Angst, dass sich am Abend hier laute Jugendliche treffen.“

Sie ist davon überzeugt, dass sich die Mühsal lohnt, solche Konflikte auszuverhandeln, denn nur in sogenannten Gated Communities hätte man seine absolute Ruhe – bloß nehmen die Abgeschotteten dann auch keine anderen Menschen mehr wahr. Welche Impulse motivieren können, öffentlichen Raum zu erobern, wollte Ökologe und Landschaftsplaner Florian Lorenz wissen, der die Veranstaltung moderierte.

Architektur- und Stadtforscher Robert Temel sah die österreichische Zivilbevölkerung beim Sich-Einbringen in den öffentlichen Raum ein wenig in der Holschuld: „Die Hamburger sind da ganz anders“, meinte er und verwies auf das Kollektiv Planbude, dem es gemeinsam mit Beteiligung der Bürger gelungen sei, die Planung des Palomaviertels in St. Pauli stark mitzubeeinflussen – mit Druck auf Stadt und Investor. Experimentierfreudigen rät er, ähnlich wie bei den Permanent Breakfasts – Frühstücken an (schein-)öffentlichen Plätzen –, einfach die Nutzung von Raum auszuprobieren, im Zweifelsfall nicht allzu wertvolle Möbel zu verwenden und die Aktion als Kundgebung anzumelden.

In der Schaffung eines Initiativenfonds sah Sabine Gretner, verantwortlich für die Gemeinwesenarbeit der Caritas, eine mögliche Motivation: „Das könnte ein finanzieller Startbonus für die ersten drei Jahre als Anreiz für die Einreichung nachbarschaftlicher Initiativen in Stadtentwicklungsgebieten sein.“ Anders sah das Fußgängerinnenbeauftragte Jens, die sich für Engagierte mehr Beratung im Verwaltungsdschungel wünscht.

Ausstellung über Hochhauspläne

Die Bebauung des Nordbahnhofareals geht unterdessen in die nächste Phase. Drei Hochhauswettbewerbe wurden kürzlich abgeschlossen, die Auslober waren Strabag Real Estate, ÖVW und EGW Heimstätte. Letztere wollen Wohntürme für „preiswertes Wohnen“ realisieren.

Interessierte können sich in einer Ausstellung in der Nordbahnhalle ab 30. Mai über die Siegerprojekte informieren und ihre Meinung zu den Projekten einbringen. Bis 2025 sollen die Wohntürme fertiggestellt sein.

Der Standard, Sa., 2018.06.02

Presseschau 12

13. Juni 2019Marietta Adenberger
Der Standard

Raus aus der Blase, rein in die Konfliktzone

Begegnung, nicht Konfliktvermeidung, ist gut für das nachbarschaftliche Miteinander – das wurde beim STANDARD-Wohnsymposium deutlich. Beim Gelingen spielen vermeintliche Vorrechte und Medien eine wichtige Rolle.

Begegnung, nicht Konfliktvermeidung, ist gut für das nachbarschaftliche Miteinander – das wurde beim STANDARD-Wohnsymposium deutlich. Beim Gelingen spielen vermeintliche Vorrechte und Medien eine wichtige Rolle.

Ein Studentenheim aus Containern neben Baugruppenprojekten wie dem Que(e)rbau oder dem weltweit höchsten Holzhochhaus HoHo und dazu noch viele sogenannte Shared Spaces – die rasant wachsende Seestadt Aspern mit all ihren vielfältigen Wohn- und Büroangeboten war der ideale Ort für das 64. STANDARD-Wohnsymposium zum Thema „Soziale Durchmischung im Quartier – Konflikt oder Chance“. Während die Teilnehmer am Schnittpunkt zwischen Integration, Wohnbau und Wohnpolitik diskutierten, sprangen wenige Meter entfernt ein paar junge Burschen in den See, an den Studenten genauso kommen, wie migrantische Familien oder Uniprofessoren.

„Soziale Durchmischung in Wohnhäusern war immer mit dem Harmoniegedanken verbunden, dass sie konfliktentschärfend ist“, sagte Kenan Dogan Güngör, Direktor von Think.Difference – Büro für Gesellschaft, Organisation und Entwicklung, in Wien. Der Experte regte auf der vom Fachmagazin Wohnen Plus mitorganisierten Veranstaltung aber eine provokante Denksportaufgabe an: Was ist, wenn die sozialen Konflikte erst aufgrund der sozialen Durchmischung entstehen? Und wenn, sind Konflikte überhaupt schlecht? „Nein“, meinte Superblock-Architektin Verena Mörkl, die überzeugt ist, „dass nicht immer alles harmonisch laufen muss“. Denn Interaktion sei wichtig. Es bringe nichts, wenn der erwähnte Uniprofessor mit dem Lift in die Tiefgarage fährt und keine Berührungspunkte hat. Denn jeder von uns lebt in seiner eigenen Blase, auch im realen Leben, nicht nur in den sozialen Medien.

„Man muss sich in Wohnquartieren daher vielmehr fragen, welche Bubbles miteinander können und welche nicht“, so Güngör, der glaubt, dass gar nicht so sehr die soziale Lage, sondern vielmehr die Erwartungshaltung der Bewohner das Entscheidende ist: Studenten und migrantische Arbeiter können miteinander, weiß man aus Erfahrung. Bei hochbetagten autochthonen Österreichern und kinderreichen migrantischen Familien im Gemeindebau ist es schon schwieriger.

„Ganz besonders beißt es sich bei zwei Gruppen aus gleichen sozialen Schichten, von denen die einen Aufsteiger und die anderen Absteiger sind“, weiß der Experte. In einem solchen Fall kreuzen sich Negativität und Optimismus. Wenn das dann noch über die Grenzlinie der Migration geschehe, werde es schwierig. Noch einen interessanten Aspekt sprach Güngör an: Wer vorher an einem Ort ist, verbindet damit Vorrechte. Das widerspricht wiederum dem Gastrecht. „Auch mein Vater hat zu mir gesagt, wir sind hier Gäste und dürfen nicht so aufmüpfig sein.“ Dieses „Ich war zuerst da“ ziehe sich durch alle Gruppen, auch bei etablierten Zuwanderern, und die Dynamiken seien in der Stadtpolitik sehr spannend. Die Seestadt ist dabei ein Sonderfall, denn hier sind alle neu. Insofern ist sie, wie alle neuen Stadtquartiere, ein hoch interessantes Forschungsszenario.

Mediale Trigger

Einer, der das erforscht, ist Daniele Karasz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie an der Uni Wien. Im neuen Wiener Stadtteil Monte Laa hat sich in der Wahrnehmung das Zusammenleben innerhalb weniger Jahre sehr zum Schlechteren verändert. Die Flüchtlingskrise 2015 war mit ein Wendepunkt. Viele Bewohner können aber keine konkreten Beispiele nennen, was sie stört. Laut Karasz haben sich die Bewohner aus sozialen und heimischen Medien und Zeitungsberichten ihrer Herkunftsländer vieles zusammengereimt. „Die polnischen Verwandten einer Frau haben angerufen und gefragt, ob sie sich noch hinaustraut, weil es in Wien so wild zugeht“, so Karasz. Ähnliches erlebt auch Werner Krammer, Bürgermeister von Waidhofen a. d. Ybbs im Mostviertel, einer Region, die Zuwanderer aufgenommen und erfolgreiche Initiativen wie eine Jobbörse und integrative Treffs etabliert hat. „Wir haben überhaupt keine Probleme. Im Gegenteil, sogar schöne Erfolge. Aber wenn in Medien negativ berichtet wird, schwappt das auf die Stammtische über. Das ist sehr irritierend“, so der ÖVP-Politiker.

Die Frage, ob Konflikte aufgrund der sozialen Mischung vermieden werden oder gerade deswegen entstehen, lässt sich demnach noch um die Rolle der Medien erweitern. „Werden Erwartungen von Harmonie zu stark kommuniziert, sind Abweichungen umso eher skandalisierbar“, so Güngör. Einig waren sich alle Teilnehmer des Symposiums, dass Konflikte nicht per se schlecht sind und immer auch Chancen bergen. Allerdings müssen sie verhandelbar sein, und es braucht Begleiter und Kümmerer, so der Experte. Vielschichtige Allianzen wie „Wir sind die Seestädter“, seien dabei hilfreich.

Der Standard, Do., 2019.06.13

02. Juni 2018Marietta Adenberger
Der Standard

Öffentlicher Raum für alle

Wien – Gehsteige, Schotterplätze oder Baulücken – öffentlicher Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenzielle Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia...

Wien – Gehsteige, Schotterplätze oder Baulücken – öffentlicher Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenzielle Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia...

Wien – Gehsteige, Schotterplätze oder Baulücken – öffentlicher Stadtraum ist so vielfältig wie dessen potenzielle Nutzer. So wie Musikerin Clara Luzia und ihr Publikum beim Baulückenkonzert im Juni eine urbane Leerstelle in der Nordwestbahnstraße im 20. Bezirk nutzen werden oder die rund 100 Teilnehmer des regelmäßig stattfindenden Geh-Cafés auf den Wiener Gehsteigen flanieren, garteln die Anrainer des Nordbahnhofgeländes in den Hochbeeten vor der Nordbahnhalle.

Auf welche Arten kann man die Stadt in Besitz nehmen? Darüber diskutierten Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Institutionen vergangene Woche zum Thema „Wem gehört die Stadt“ in der Nordbahnhalle im zweiten Bezirk.

Anstoß zur Beteiligung

„Ich bringe Menschen an Orte, wo sie sonst nicht hinkommen würden“, erklärte Konzept- und Medienkünstler Oliver Hangl, der niederschwellige Kunstprojekte im (halb-)öffentlichen Raum inszeniert. Bei seinen Baulückenkonzerten etwa, die an ungenutzten urbanen Orten wie der stillgelegten Gleislandschaft neben der Nordbahnhalle oder ähnlichen Plätzen stattfinden, will er den Fokus auf deren Geschichte und Zukunft und damit auf städtebauliche und gesellschaftliche Fragen lenken. Zur Verfügung stellen ihm den Raum etwa die Stadt oder die ÖBB.

Dass eine lebendige Stadt auch Konfliktpotenzial birgt, hat Petra Jens, Fußgängerbeauftragte der Mobilitätsagentur Wien und frühere Hundekot-Aktivistin, erfahren. Sie erläutert den klassischen urbanen Konflikt im öffentlichen Raum anhand des Beispiels Sitzbank: „Einerseits ist es eine notwendige, erwünschte Sitzgelegenheit für Passanten, andererseits herrscht die Angst, dass sich am Abend hier laute Jugendliche treffen.“

Sie ist davon überzeugt, dass sich die Mühsal lohnt, solche Konflikte auszuverhandeln, denn nur in sogenannten Gated Communities hätte man seine absolute Ruhe – bloß nehmen die Abgeschotteten dann auch keine anderen Menschen mehr wahr. Welche Impulse motivieren können, öffentlichen Raum zu erobern, wollte Ökologe und Landschaftsplaner Florian Lorenz wissen, der die Veranstaltung moderierte.

Architektur- und Stadtforscher Robert Temel sah die österreichische Zivilbevölkerung beim Sich-Einbringen in den öffentlichen Raum ein wenig in der Holschuld: „Die Hamburger sind da ganz anders“, meinte er und verwies auf das Kollektiv Planbude, dem es gemeinsam mit Beteiligung der Bürger gelungen sei, die Planung des Palomaviertels in St. Pauli stark mitzubeeinflussen – mit Druck auf Stadt und Investor. Experimentierfreudigen rät er, ähnlich wie bei den Permanent Breakfasts – Frühstücken an (schein-)öffentlichen Plätzen –, einfach die Nutzung von Raum auszuprobieren, im Zweifelsfall nicht allzu wertvolle Möbel zu verwenden und die Aktion als Kundgebung anzumelden.

In der Schaffung eines Initiativenfonds sah Sabine Gretner, verantwortlich für die Gemeinwesenarbeit der Caritas, eine mögliche Motivation: „Das könnte ein finanzieller Startbonus für die ersten drei Jahre als Anreiz für die Einreichung nachbarschaftlicher Initiativen in Stadtentwicklungsgebieten sein.“ Anders sah das Fußgängerinnenbeauftragte Jens, die sich für Engagierte mehr Beratung im Verwaltungsdschungel wünscht.

Ausstellung über Hochhauspläne

Die Bebauung des Nordbahnhofareals geht unterdessen in die nächste Phase. Drei Hochhauswettbewerbe wurden kürzlich abgeschlossen, die Auslober waren Strabag Real Estate, ÖVW und EGW Heimstätte. Letztere wollen Wohntürme für „preiswertes Wohnen“ realisieren.

Interessierte können sich in einer Ausstellung in der Nordbahnhalle ab 30. Mai über die Siegerprojekte informieren und ihre Meinung zu den Projekten einbringen. Bis 2025 sollen die Wohntürme fertiggestellt sein.

Der Standard, Sa., 2018.06.02

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