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03. Dezember 2024Anke Geldmacher
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Doppelschule in Berlin von PPAG Architects

In der Doppelschule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg griffen PPAG architects zu mehreren cleveren Tricks, um viele kleine Teile in einem großen Komplex zusammenzuführen, ohne dass man den Überblick verliert.

In der Doppelschule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg griffen PPAG architects zu mehreren cleveren Tricks, um viele kleine Teile in einem großen Komplex zusammenzuführen, ohne dass man den Überblick verliert.

Das Architekturbüro hat auf diesen Wettbewerb geradezu gewartet: »2013 schon haben wir uns mit Wohnbau in Berlin beschäftigt. Wo Wohnungen entstehen, wächst auch der Bedarf an Bildungseinrichtungen, das war also nur eine Frage der Zeit«, so Georg Poduschka, der das Büro PPAG architects gemeinsam mit Anna Popelka führt. Diesen Bedarf hat auch der Senat von Berlin erkannt und 2016 die recht ambitionierte Berliner Schulbauoffensive (BSO) ins Leben gerufen. Es ging nicht nur darum, möglichst schnell viel Unterrichtsfläche zu schaffen – ganzheitliche, inklusive und nachhaltige Pädagogik verlangen auch nach neuen Ideen. Im Rahmen der BSO wurde das Konzept der Compartmentschule als Schulmodell der Wahl auserkoren und im Wettbewerb so ausgeschrieben. Compartments sind eigene kleine Schulen in der Schule. Hier wird jahrgangs- und klassenübergreifend in überschaubaren Gemeinschaften gelernt und gearbeitet. Die landeseigene HOWOGE, ursprünglich eine reine Wohnungsbaugesellschaft, wurde mit dem Bau von 26 Schulen und der Sanierung von 12 bestehenden Schulen beauftragt. Die Schulbauten sind über den gesamten Stadtraum verteilt und werden in allen Bezirken umgesetzt. Der bisher größte Schulbau dieser Offensive ist die Schule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg für insgesamt 1 600 Schüler und Schülerinnen, verteilt auf ein Gymnasium und eine Integrierte Sekundarschule (ISS).

Zusammen statt getrennt

Namen haben die Schulen noch nicht, bisher nutzt man die offiziellen Schulnummern Gym11Y12 und ISSK15. Deutlich einfallsreicher ist da der Neubau: PPAG architects setzten sich im Wettbewerb 2017 durch, indem sie die geforderten drei Elemente Gymnasium, ISS und Doppelturnhalle nicht auf dem Grundstück verteilten, sondern miteinander verzahnten. Diese Kombination spart nicht nur einiges an Grundfläche und Außenhaut, sondern ermöglicht auch Zusammentreffen und Verbindungen. Beide Schulen sind so konzipiert, dass die Gemeinschaft möglich ist, aber beide Schulen komplett autark funktionieren. So gibt es eigene Eingänge, zwei Mensen und zwei nebeneinanderliegende Eingangstüren zur Bibliothek, die in denselben Raum führen. Im Fall der Fälle kann leicht eine Trennwand errichtet werden, um aus einer Bibliothek zwei zu machen.

Das Grundstück ist zwar fast 38 000 m² groß, angesichts des Raumprogramms und der Außenanlagen ist es aber tatsächlich knapp. Zudem ist z. B. der Sportplatz ungewöhnlich groß, weil er der DFB-Norm entspricht. Nicht nur aus Platzgründen setzten die Architekt:innen die Turnhalle in die Mitte. Sie ist das verbindende Element zwischen beiden Schulen. Die Form der Schule leitet sich also von innen heraus ab: In der Mitte die Turnhallen, die quasi die Handfläche bilden, von der fünf baugleiche »Finger« mit den Compartments abgehen – in drei Geschossen jeweils ein Compartment pro Finger. Drei der Finger belegt das Gymnasium, zwei die ISS. Im EG befinden sich Bibliothek, Mensa, Mehrzweckraum und Verwaltung. Hier sind nicht alle Finger voll bebaut, sondern bilden überdachte Außenbereiche.

Im 3. OG sind die Fachräume angeordnet, was auch von außen ablesbar ist: Die gemeinschaftlichen Flächen dieser Etage, aber auch die Turnhallen, erhielten eine Profilit-Glasfassade. Die Fassade – egal ob Profilit oder Aluminium – mit ihren zahlreichen Einkerbungen ermöglicht zum einen mehr Tageslichteinfall, zum anderen bricht sie die große Fläche auf. Trotz dieser »Rüschung« war der Entwurf im Wettbewerb derjenige mit der geringsten Fassadenfläche, da man ja die zusätzlichen Turnhallenfassaden einspart.

Laut Georg Poduschka ist die Compartmentschule am besten geeignet, »den instruktiven Unterricht zu behindern«. Das klingt etwas rebellisch und das muss man wohl sein, wenn man eine Lernumgebung schaffen will, in der die Lehrkräfte eher Coaches als Vortragende sind, und gleichzeitig etliche technische, rechtliche und pädagogische Auflagen bekommt. Das Ergebnis ist eine Schule, die fast alles kann: völlig autarke Schulen, Begegnungen zwischen den Schulen, gemeinschaftliches Lernen, außerschulische Angebote, Sport unter Wettkampfbedingungen und vieles mehr. Wie das in der Realität genutzt und umgesetzt wird, muss sich erst noch zeigen, da beide Schulen von Grund auf neu aufgebaut werden und 2024 mit den siebten Klassen starteten – das Gymnasium ist sechszügig ausgelegt, die ISS vierzügig. Ältere Klassen gibt es noch nicht, die jahrgangsübergreifenden Gemeinschaften müssen sich erst noch bilden über die Jahre. Damit der riesige Komplex nicht leer steht, nutzen Schulen, die gerade gebaut oder saniert werden, diese Schule als Zwischenstation. So kommt es, dass es hier derzeit ganze 22 siebte Klassen gibt.

Wie eine eigene Stadt

Im Moment sind die Compartments also nur von 12- und 13-Jährigen »bevölkert«. Ob sie künftig jahrgangshomogen genutzt werden (ein Jahrgang wächst zusammen in seinem Compartment) oder jahrgangübergreifend (die Jüngeren lernen von den Älteren und andersherum), entscheiden nicht die Architekt:innen, sondern die Schule. Das Prinzip der vielen, kleinen Schulen im großen Gebäude kommt bei diesem Projekt besonders gut zum Tragen. Von außen ist man fast erschlagen von der schieren Masse an Schule, die da vor einem steht. Im einzelnen Compartment angekommen, hat man diese Dimension fast vergessen. Es ist geradezu gemütlich. Jedes Compartment ist gleich aufgebaut: Im Zentrum liegt das Forum, der multifunktionale Arbeits- und Aufenthaltsraum. Um diesen mit Tageslicht und Luft zu versorgen, griffen PPAG architects zum Kniff mit den Einschnitten in die Fassade. Vom Forum gehen alle anderen Nutzungen ab: Klassenzimmer mit Teilungsraum, Ruheraum, Teamraum für die Lehrkräfte und Toiletten. Bei Letzteren setzt Steffi Brunken von der HOWOGE, die das Projekt von Beginn an betreut hat, auf einen weiteren Vorteil dieser Schulform: »Die Schüler:innen identifizieren sich mit ihrem Compartment. Dementsprechend halten sie das auch eher in Ordnung als einen Waschraum, den sie mit 1 600 anderen teilen.« Die Treppenhäuser und gemeinschaftlich genutzte Bereiche sind in sichtbarem Beton ausgeführt, die offenen Steigleitungen unterstreichen den rauen Charakter. Die Compartments sind ebenfalls eher dezent gestaltet, allerdings deutlich feiner. »Die großen Flure sind die Straßen, die Compartments sind das Zuhause«, so Poduschka. Diese Trennung der gemeinschaftlichen und privateren Flächen stärkt die außerschulischen Nutzungen, ohne das »Zuhause« zu stören.

Konstruktiv mussten die Architekt:innen Kompromisse eingehen: Ursprünglich als Holzbau geplant, scheiterte dieses Vorhaben tatsächlich daran, dass es – zumindest zum Zeitpunkt der Ausschreibung – keine Generalunternehmer gab, die das in dieser Größenordnung zufriedenstellend umsetzen konnten. Hinzu kamen die leider immer noch üblichen Bedenken zu Brandschutz und Statik. So wurde es letztendlich ein konventioneller Stahlbetonbau. Um dennoch so nachhaltig wie möglich zu bauen, ist die Schule nach dem Zwiebelprinzip aufgebaut: das Innere muss am längsten halten, daher ist es der dauerhafte Stahlbeton. Die Fassadenunterkonstruktion ist aus Holz, die äußere Hülle, die am schnellsten getauscht werden kann, aus leichtem Aluminium.

Gestapelte Hallen

Weil es fast alles doppelt gibt, braucht man auch zwei Turnhallen. Diese sitzen übereinander: eine im 1./2. OG, eine im 3./4. OG. Aufgrund der geforderten Raumhöhen für die Turnhallen ergaben sich unterschiedliche Höhen der Geschosse: Das 1. und 2. OG sind ein wenig höher als das 3. und 4. OG. Hier guckt die Halle oben heraus, was schlicht und einfach günstiger war, als die Geschosse und somit auch die Fassadenfläche zu vergrößern. Im EG sind unter den Turnhallen die Mehrzweckräume angesiedelt. Um die Verbindung zu den Schulen zu stärken, haben beide Turnhallen große Glasflächen zu den Gemeinschaftsräumen. Für diese Fenster haben PPAG tapfer gekämpft, da sie nicht ohne Weiteres mit manchen Wettkampfrichtlinien vereinbar waren. Bei der Besichtigung waren die Vorhänge der Turnhallenfenster zugezogen, was ein wenig wie eine verpasste Chance wirkte. Aber wer weiß, vermutlich brauchen nicht nur die Jahrgänge Zeit, zu wachsen, sondern die ganze Schule, um sich an die Möglichkeiten und Freiheiten zu gewöhnen, die dieser wirklich gelungene Schulbau bietet.

Bauherrin: HOWOGE Wohnbaugesellschaft mbH
Architektur: PPAG architects, Wien
Mitarbeit: Anna Popelka, Georg Poduschka, Petra De Colle, Christian Wegerer, Paul Konrad, Jakub Dvorak,Felix Zankel, Billie Murphy, Olga Muskala, Alexander v. Lenthe, Henri Cullufe, Kerstin Enn, Lukas Felder, Maximilian Keil, Alexander Nanu
Generalplanung: ARGE FC/P/PAG
Generalplanerkoordination, Tragwerksplanung, Bauphysik, Kosten:
FCP Ingenieure
TGA & Akustik: Bauklimatik, Wien
Elektroplanung: Kubik Project, Gießhübl
Brandschutz: Brandschutz Plus, Berlin
Konsulenz Barrierefreiheit: Stefanie Bode, Berlin
Grafische Ausgestaltung: Bleed, Wien
Sportstättenplanung: Raumkunst, Wien
Fassade & Lichtplanung: Dr. Pfeiler, Graz
Küchenplanung: Ingenieurbüro Schaller, Karlsruhe
Landschaftsarchitektur: EGKK, Wien
Bau/Generalübernehmer: ARGE Ed. Züblin / Otto Wulff
Planungsleistung für GÜ: Zoomarchitekten, Berlin
Grundstücksfläche: 37 819 m²
Bebaute Fläche: 7 531 m²
BGF gesamt: 31 783 m²
Nutzfläche: 20 680 m²
Baukosten: 95 Mio. Euro
Bauzeit: Dezember 2021 bis April 2024

db, Di., 2024.12.03



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01. Dezember 2023Anke Geldmacher
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Pavillon »Blaue Stunde« in Berlin

Der lange Jahre brach liegende Spreepark Berlin wird nach und nach zu neuem Leben erweckt. Im Rahmen der nötigen Sicherungsmaßnahmen wurde das Restaurant entkernt und die früher verborgene Tragstruktur erstrahlt in neuem, leuchtend blauem Glanz.

Der lange Jahre brach liegende Spreepark Berlin wird nach und nach zu neuem Leben erweckt. Im Rahmen der nötigen Sicherungsmaßnahmen wurde das Restaurant entkernt und die früher verborgene Tragstruktur erstrahlt in neuem, leuchtend blauem Glanz.

Ab 1969 gab es einen ständigen Rummelplatz im Plänterwald, in unmittelbarer Nähe zum Treptower Park in Berlin: Der »VEB Kulturpark« war der einzige Freizeitpark der damaligen DDR. Ab 1992 wurde er dann im wiedervereinten Berlin als Spreepark betrieben, bis 2001 die Betreiber Insolvenz anmelden mussten. Darauf folgte eine wilde Zeit, in der die damalige Pächterfamilie nicht nur mit Geld, sondern auch einzelnen Fahrgeschäften nach Peru umzog oder wohl eher flüchtete. 2014 kaufte das Land Berlin die Liegenschaft zurück. Seit 2016 ist die landeseigene Grün Berlin GmbH zuständig und dabei, dem Park wieder Leben einzuhauchen. Seit 2020 finden bereits einzelne Veranstaltungen und Führungen statt, bis 2026 ist die komplette Wiedereröffnung geplant. Die Herangehensweise erinnert ein wenig an eine Hochzeit: etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes, etwas Blaues. Alt ist der Park an sich und insbesondere einige erhaltene Teile, wie z. B. das Eierhäuschen, das neben Gastronomie auch Ausstellungs- und Wohnräume für Künstler:innen beherbergt. Neu sind zahlreiche Interventionen von Künstler:innen, betreut und organisiert vom Spreepark Art Space. Dieser untersucht, wie Stadt- und Freiraumentwicklung einerseits und Kunst andererseits voneinander profitieren können. Es gibt einzelne Kunstaktionen, aber auch dauerhafte Projekte, zu denen u. a. die Blaue Stunde gehört. Geliehen hatten sich die früheren Betreiber einiges an Geld. Und Blau erstrahlt das ehemalige Schnellrestaurant, die sogenannte Mero-Halle. Namensgebend dafür war der Meroknoten: ein Raumfachwerk, bei dem Stahlrohre in vorgegebenen Winkeln in kugelförmigen Verbindungselementen zusammengesetzt werden. Viel mehr als diese Struktur und die Bodenplatte ist auch nicht übrig vom Bestandsgebäude. Verantwortlich zeichnet das Büro modulorbeat aus Münster, das nach eigenen Angaben irgendwo zwischen Kunst, Architektur und Urbanismus angesiedelt ist. Und »dazwischen« befindet sich auch das Gebäude, das in Anlehnung an die Dämmerung als Zwischenzustand und Transformation den Namen »Blaue Stunde« trägt.

Grundlage war ein Rahmenplan der Arbeitsgemeinschaft Latz + Partner – Riehl Bauermann unter Mitarbeit von LOMA architecture landscape urbanism, der bereits eine Entkernung der Halle vorsah, diese aber anhob und u. a. auch eine neue Bodenplatte plante. Diese Anlehung an den Rahmenplan mag manch eine:r kritisch sehen, aber ganz ehrlich: Bleibt man nah am Masterplan, ist es geklaut; macht man es anders, ist es ignorant. Allen recht machen kann man wohl es nie.

Nicht-Bauen als Bauaufgabe

Modulorbeat stieg 2020 ein. Da stand bereits fest, dass die Halle so nicht zu halten ist und zumindest die Tragstruktur zu sichern wäre, wollte man sie weiterhin nutzen. Dach und Wände wurden entfernt, der Boden jedoch blieb drin. Es sind keine wirklichen archäologischen Spuren, aber Zeugen der Vergangenheit. So kann man anhand der Lücken im roten Fliesenboden heute noch sehen, wo sich früher die Toiletten befanden, oder erahnen, wo in der Küche großes Gerät stand oder Rohre verliefen. Die eine oder andere Unebenheit wird bei Regen sichtbar, wenn sich Pfützen bilden, in denen sich die Konstruktion spiegelt. Die Blaue Stunde interagiert immer wieder unterschiedlich mit ihrer Umgebung. Je nach Tages- und Jahreszeit wirkt die Farbe etwas anders, zwischen geplantem und angelegtem Grün bahnt sich Spontanvegetation ihren Weg, die Vorhänge wehen im Wind. Gerade dieses Improvisierte und Experimentelle macht den Charme dieses (Nicht-)Gebäudes aus.

Die besagte und namensgebende Farbe ist nicht nur ein Blickfang, sondern in erster Linie dringend nötiger Korrosionsschutz. Die Tragstruktur wurde an manchen Stellen ertüchtigt und ergänzt und anschließend enzianblau gestrichen. »Natürlich hätten wir auch eine andere Farbe nehmen können. Rot war irgendwie naheliegend, hat man jetzt aber auch oft gesehen. Blau fanden wir einfach gut und passt in den Park hinein«, so Jan Kampshoff, einer der zwei Gründer von modulorbeat. Insgesamt ist das Projekt von einem sehr angenehmen Pragmatismus geprägt. »Wenn ich keinen Innenraum brauche, baue ich auch keinen«, erklärt Kampshoff die komplette Abwesenheit von Wänden. Dieses Nicht-Bauen muss man sich erst einmal trauen. Aber wo ist das besser möglich als in einem Berliner Freizeitpark, der noch dazu vom Spreepark Art Space explizit als Forschungs- und Entdeckungsprojekt gedacht ist? Modulorbeat sieht darin auch weniger eine architektonische als eine kuratorische Aufgabe: »Es ist im Prinzip alles schon da. Wir verknüpfen und vernetten und machen den Raum wieder nutz- und erlebbar«, beschreibt Kampshoff seine Rolle. Und sie waren keineswegs untätig: Sie teilten die Halle bzw. das, was von ihr übrig blieb, in zwölf gleich große Quadrate auf – ein wenig wie ein Spielfeld. Die Blaue Stunde ist Spielwiese, Experimentierfeld, Erprobungsraum. Als »Spielmaterial« stellten sie fünf gerade und drei runde Bänke auf, hängten drei Vorhänge, die innerhalb ihres Rasterstücks verschiebbar sind, auf und setzten der Konstruktion zwei transluzente Kunststoffdächer auf. So sind manche der Quadrate stärker abgetrennt als andere. Der Raum passt sich an, je nach Nutzung. Wenn der Spreepark ab 2026 regulär geöffnet ist, wird hier vermutlich entspannt Pause gemacht und vom Blauen ins Grüne geschaut.

Temporär als Chance

Ursprünglich war die Blaue Stunde als temporäre Lösung geplant. Manchmal überzeugen die Übergangslösungen dann aber so sehr, dass sie bleiben dürfen – so wie hier. Auf die Frage, was man denn nun noch ändern wolle oder müsse, um es dauerhaft zu nutzen, waren sich Betreiber und Architekt recht einig: Ach, also eigentlich nix, oder? Gegebenenfalls könnte man die hölzerne Unterkonstruktion der zwei Kunststoffdächer austauschen, da sie nicht unbedingt auf Langlebigkeit ausgelegt war. Hier kann man noch nachlegen, muss man aber (noch) nicht. Dieser Mut zum Experiment tut gut. Vermutlich liegt da auch die Chance. Hätte man das Projekt von vornherein langfristig angelegt, wäre manches vielleicht gar nicht möglich gewesen.

db, Fr., 2023.12.01



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06. Dezember 2022Anke Geldmacher
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Dezente Präsenz

Im historischen Stadtgarten von Bottrop haben Annette Gigon und Mike Guyer eine harmonische Erweiterung des bestehenden ‧Gebäudekomplexes geschaffen. Das neue ‧Museumsgebäude beherbergt acht ‧zurückhaltende Ausstellungsräume, die der Kunst Raum und Vorrang geben, ohne selbst zu sehr in den Hintergrund zu rücken.

Im historischen Stadtgarten von Bottrop haben Annette Gigon und Mike Guyer eine harmonische Erweiterung des bestehenden ‧Gebäudekomplexes geschaffen. Das neue ‧Museumsgebäude beherbergt acht ‧zurückhaltende Ausstellungsräume, die der Kunst Raum und Vorrang geben, ohne selbst zu sehr in den Hintergrund zu rücken.

Unweit der Stadtmitte Bottrops bietet der ca. 16 ha große Stadtgarten Erholung und Abwechslung und wirkt ganz anders als das, was man ansonsten mit der Ruhrgebietsstadt verbindet. Zwischen weiten Rasenflächen, alten Baumbeständen und bepflanzten Anlagen im Stil eines englischen Landschaftsgartens befindet sich hier auch das Josef Albers Museum Quadrat Bottrop. Der Titel ist ein wenig sperrig, kein Wunder, dass sich die Kurzform »Quadrat« durchgesetzt hat. Das Museumszentrum Quadrat beherbergt zwei Museen, verteilt auf inzwischen vier Gebäude: In einer Villa aus dem Jahr 1913 dokumentiert das Bottrop Museum die Ur- und Ortsgeschichte der Stadt inklusive Eiszeithalle und Bergbauzeit. Direkt daneben befindet sich das Josef Albers Museum, das sich dem in Bottrop geborenen Künstler widmet. 1976 entstand der erste Bau, bereits 1983 kam ein zweiter dazu, beide erbaut vom Bottroper Stadtbaumeister Bernhard Küppers und beides unverkennbar Bauten der Moderne mit ebenso deutlichen Anleihen an Mies van der Rohe. Der Name Quadrat bezieht sich sowohl auf den Grundriss des ersten Gebäudes als auch auf das Hauptwerk von Albers, dessen Forschungen zu Farben und ihren Wirkungen von hoher Bedeutung waren. Das Museum besitzt mit mehr als 300 Werken die weltweit größte Josef Albers Sammlung. Dazu gehören rund 100 Gemälde, die gesamte Druckgrafik, Resopalgravuren, Zeichnungen, Ölstudien auf Papier, Glasarbeiten und Fotografien. Zudem werden Arbeiten anderer Künstler der klassischen und internationalen Moderne gezeigt.

Die Dauerausstellung musste immer öfter Sonderausstellungen weichen, sodass erneut eine Erweiterung gewünscht war. Ein weiterer Punkt war der Schutz der Bilder, da keines der bisherigen Gebäude über eine Klimaanlage verfügt. Eine Nachrüstung wäre kompliziert gewesen, zudem hätte das Platzproblem weiterhin bestanden. 2016 wurden 25 Architekturbüros zum Wettbewerb eingeladen, aus dem Gigon/Guyer als Sieger hervorgingen. Sechs Jahre später konnte im Oktober Eröffnung gefeiert werden. Im Küppersbau befindet sich nun die Dauerausstellung, im Erweiterungsbau werden künftig parallel Sonderausstellungen gezeigt.

Teil des Ganzen, aber eigenständig

Das Schweizer Architekturbüro entschied sich im Gegensatz zu vielen seiner Mitbewerber für einen Standort im Nordosten des Stadtgartens. So rückt der Bau zwar sehr nah an das historische Kastanienrondell, dies ist aber die Variante, die den Baumbestand am meisten schont. Dass der im Zuge der ersten Erweiterung 1983 angelegte Teich, den die Architekten gerne erhalten wollten, ein paar Meter versetzt wurde, fällt wohl nur den wenigsten auf. Der zweigeschossige Neubau fügt sich mit seiner dunklen Farbgebung und der klaren Formensprache harmonisch ins Ensemble ein, ist aber unverkennbar ein eigenständiges Gebäude. Im Gegensatz zu den beiden Bestandsbauten mit viel Stahl und Glas ist er eher kompakt und geschlossen mit wenigen, gezielt gesetzten Öffnungen. Dieser erste Eindruck zieht sich dann auch während der gesamten Besichtigung durch – er ist nicht aufdringlich oder protzig, aber eben auch nicht langweilig oder profan. Das Gebäude setzt die Exponate in Szene und andersherum – Kunst und Haus tun sich gegenseitig gut.

Dunkle Hülle, heller Kern

Eine Verbindungsbrücke führt von der Dauerausstellung zum Neubau. Hier haben sich die Architekten einen kleinen Kunstgriff erlaubt: Der komplett in dunklem Holz ausgekleidete Durchgang ist trapezförmig gestaltet, also am Beginn niedriger. So erscheint die gleiche Strecke auf dem Weg in den Neubau hinein länger als der Rückweg. Ein Fenster lenkt den Blick auf den Park, bevor man die Ausstellungsräume betritt. Diese gezielten Aussichten sind essenzieller Bestandteil des Entwurfs. Hat man den Durchgang hinter sich gelassen, steht man mittendrin: ein fensterloser und doch heller Raum, von dem links und rechts weitere Räume abgehen. Die feste Raumfolge war ein Wunsch des ehemaligen Museumsdirektors Dr. Heinz Liesbrock. Ein riesiger Raum wie in der Neuen Nationalgalerie in Berlin sei wunderschön und räumlich ein Erlebnis. Für die Kunst aber nur selten passend. »Mir war es wichtig, feste Wände zu haben. Sie können doch ein bedeutendes, millionenschweres Bild nicht auf eine Pappwand hängen«, so Liesbrock, für den der Neubau ein Herzens- und Abschiedsprojekt war, da er zeitgleich zur Eröffnung die Leitung nach fast 20 Jahren an Dr. Linda Walther abgegeben hat. Die acht Räume sind unterschiedlich groß und proportioniert, vier von ihnen haben wohlüberlegte Fensteröffnungen – auf jeder Fassadenseite eine, die jeweils andere Ausblicke ermöglichen. Die Fenster sind tatsächlich eher für den Bezug und Ausblick nach außen gedacht als zur Belichtung. Dies übernehmen die Sheddächer, von denen eines am Rand von außen als »Knick« in der Gebäudehülle ablesbar ist. Dunkle Türrahmen brechen die helle Erscheinung und wirken wie ein Augenblinzeln zwischen den einzelnen Räumen. Handwerklich gewischte weiße Wände bieten einen Hintergrund, der zwar neutral ist, aber gleichzeitig die Lichtstreuung begünstigt und eine gewisse Tiefenwirkung erzeugt, die ganz flächig gestrichene Oberflächen nicht bieten. Dies passt zu den Bildern von Albers, die für so manchen Zweifler recht profan wirken mögen, aber eben doch weit mehr sind als einfache Farbflächen. Auch für Albers war der Untergrund entscheidend: Er malte vorwiegend auf Hartfaserplatten und nicht auf Leinwand, damit er einen Widerstand, ein Gegenüber hat. Eine schöne Vorstellung, dass sich Architekten und Bauherr ebenso Gedanken um den Untergrund machen. Insgesamt merkt man die Wertschätzung der Kunst im Allgemeinen und der Bilder von Josef Albers im Besonderen: Es gibt wenige Einbauten, auch die Technik fällt kaum auf, selbst Beschriftungen und Texttafeln gibt es auffallend wenige. Dies schafft die angemessene Aufmerksamkeit für die Exponate, den Raum und die Umgebung. Da sich alle acht Ausstellungsräume im 1. OG befinden und man diese auch ebenerdig vom Bestandsbau aus betritt (den Höhenunterschied hat man bereits draußen mit der Treppe bzw. Rampe überwunden), wirkt der Bau zumindest von innen wie ein Eingeschosser. Zwei im Regelfall geschlossene Türen sind nur ein winziger Hinweis darauf, dass es noch mehr gibt: Dahinter verbirgt sich die Treppe nach unten. Hier befinden sich neben Werkstatt, Kunstdepot, einem Büro und der Bibliothek auch zwei Museumspädagogik‧räume, die für Workshops, Schulklassen und Kurse genutzt werden. Dunkler Boden, dunkle Einbauten, weiße Wände – auch im EG zieht sich die zurückhaltende, aber wertige Gestaltung durch. Nicht ganz so repräsentativ wie die Ausstellungsebene, das muss und soll es ja aber auch gar nicht. Stäbchenparkett ist deutlich preiswerter als der oben verlegte Eichenboden, aber doch eleganter als manch günstige Lösung. Die Fenster unten sind ebenso großzügig und bodentief wie in der Ausstellungsebene. Es könnte schlechtere Arbeitsplätze geben als das kleine Büro mit Blick in den Stadtgarten.

Wenn man Unstimmigkeiten sucht, findet man sie, das ist fast überall so. In diesem Fall sind die Fenster noch nicht ganz fertig, die finale Aufblechung fehlt noch. Da war der Druck des Eröffnungstermins groß und eine fehlende Abdeckung leichter zu verschmerzen als ein Verschieben der Ausstellung. Wer nicht danach sucht, bemerkt es womöglich gar nicht. Zwischen den nächsten Ausstellungen wird dies dann noch gerichtet. Ansonsten sind – wenn es nach den Architekten und dem bisherigen Direktor geht – zunächst keine Veränderungen nötig oder geplant.

db, Di., 2022.12.06



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07. Dezember 2021Anke Geldmacher
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Zur Nachahmung empfohlen

Öffentliches Bauen hat seine Vor- und Nachteile. Wenn Bauherr, Nutzer und Architekt Hand in Hand arbeiten, kann sich das sehen lassen. Mit dem Kinderhaus in Schwäbisch Hall entstand ein Gebäude, das Kindern und Eltern Freude macht, dem Personal die Arbeit erleichtert und auch der Umgebung gut zu Gesicht steht.

Öffentliches Bauen hat seine Vor- und Nachteile. Wenn Bauherr, Nutzer und Architekt Hand in Hand arbeiten, kann sich das sehen lassen. Mit dem Kinderhaus in Schwäbisch Hall entstand ein Gebäude, das Kindern und Eltern Freude macht, dem Personal die Arbeit erleichtert und auch der Umgebung gut zu Gesicht steht.

Die »Tageseinrichtung für Kinder am Solpark« befindet sich in Schwäbisch Hall-Hessental, dem größten Stadtteil der, anders als der Name es vermuten lässt, eher fränkisch geprägten Stadt. Wie viele Kommunen kommt auch die große Kreisstadt dem Andrang an Kinderbetreuungsplätze kaum hinterher. Hier sind bekannte große Arbeitgeber sowie zahlreiche »Hidden Champions« angesiedelt. Bei den steigenden Miet- und Baupreisen ist einigen auch die gute Stunde Fahrt bis Stuttgart einen Umzug ins Hohenlohische wert. Die Einwohnerzahlen steigen, die Kitaplätze sind knapp – kein seltenes Bild. Ein schwarzer Kindergarten dagegen schon.

Auf den ersten Blick ist die Lage des 2020 eröffneten Kinderhauses zugegeben nicht besonders einladend: Zur einen Seite ein Industriegebiet, nicht weit vom Flugplatz, zur anderen Seite typische Neubaugebiete. Doch durch eben diese Neubaugebiete und auch für die Angestellten der zahlreichen Firmen besteht genau hier Bedarf. Zudem schimpft ein Fachhandel für Elektromotoren wohl eher weniger über spielende Kinder. Und dann wartet das Grundstück natürlich mit dem größten Pluspunkt auf: Platz. Sicher hätte man auf weniger Fläche auch bauen können, eine eingeschossige Anlage bietet aber insbesondere bei Kindergärten mehrere Vorteile: Komplizierte Rettungswege entfallen, Treppengitter und andere Sicherungsmaßnahmen sind nicht nötig, alle haben gleichermaßen Zugang zum Garten, auch ein Treffen und Mischen der Gruppen ist – sofern die aktuelle Pandemie es zulässt – wesentlich einfacher. »In der ersten Euphorie plant man eine Rutsche von einem Geschoss ins andere, aber in der Realität ist das alles viel zu kompliziert«, sagt Architekt Wolfgang Borgards.

Auffällig unauffällig

Zwischen den Werkshallen, Büros und etwas weiter weg den Wohnhäusern entdeckt man den eingeschossigen Baukörper gar nicht sofort. Wenn man den schwarzen Holzbau aber gefunden hat, passt dieser doch genau so hierhin und wirkt alles andere als unscheinbar. Die dunkle Fassade ist ungewöhnlich, vor allem für ein Kinderhaus. Wolfgang Borgards vergleicht sie mit einem »etwas größeren Gartenzaun«. Er darf das sagen, sein Büro K9 Architekten hat das Kinderhaus entworfen. Durch die Holzmaserung, die hellen Einschnitte, großzügigen Fenster und die angedeuteten Giebel erhält es einen einladenden, fast schon warmen Charakter. In das doch zahlreich vorhandene Grün der Umgebung fügt sich das Schwarz wunderbar ein und fällt ins Auge, ohne sich aufzudrängen. Die weißen Fenster – wegen des Witterungsschutzes aus Aluminium – wirken auf dem dunklen Hintergrund fast noch ein bisschen weißer. Die Dachaufsätze geben dem Baukörper Struktur und lassen ihn beinahe wie kleine Häuser wirken, was sich im Innern noch deutlicher abzeichnet. Die Flachdächer sind begrünt, auf den Schrägdächern befinden sich Solarpaneele.

Während das Haus zur Straße und zu den Seiten noch nicht viel preisgibt, öffnet es sich auf der Gartenseite umso mehr. Die Flügel rahmen den Garten ein, alles scheint nach draußen zu drängen. Durch die großen Einschnitte und Rücksprünge sind die Fenster und Türen hier geschützter und daher in Lärchenholz ausgeführt. Das macht das Ganze noch wärmer und irgendwie auch kindgerechter. Im Mittelpunkt der Außenanlage steht das obligatorische Klettergerüst, auffällig und prägend sind aber auch die zwei riesigen erhaltenen Apfelbäume. Eine Saftpresse war zum Zeitpunkt der Besichtigung gerade bestellt, die ersten Apfelkuchen bereits mit den Kindern gebacken. Ursprünglich sollte ein dritter Baum erhalten bleiben, dieser stand dann aber doch zu nah an der Fassade der Kleinkindgruppe und wurde durch einen neu gepflanzten ersetzt. Am Rand verläuft eine »Rennstrecke«, die mit ihrer geringen Steigung ideal für Bobbycar, Roller und Co. geeignet ist. Bis auf das Klettergerüst ist der Außenbereich eher frei und lässt Platz für eigene Spiele und Ideen. Auch die Trennung zwischen den über und unter Dreijährigen fällt mit einem kleinen Höhenunterschied sehr dezent aus. Beide Bereiche haben eigene vorgelagerte Terrassen. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man in den Holzfassaden mehrere Türen, die praktische Lagerflächen beherbergen. Die Frage nach Gestaltung oder Funktion wird im Kinderhaus mit einem klaren »beides!« beantwortet.

Schloss oder Dorf?

Der großzügig bemessene, helle Eingang lädt mit einer langen Bank, zum Verweilen ein, obwohl es sich lohnt, hineinzugehen. Die drei Satteldächer – zwei an der Straßenfront, eines am hinteren Teil – lassen die Struktur schon etwas erahnen. Die kleinteilige Gliederung erinnert an ein Dorf, die Architekten reden auch von Schlossflügeln. Das klingt etwas sehr herrschaftlich, macht aber durchaus Sinn. Das erste »Haus« beherbergt den gemeinschaftlich genutzten Teil. Wenn nicht gerade coronabedingt die Hintertüren genutzt werden müssen, kommen die Kinder hier an und verteilen sich auf die Gruppen. Dieses Foyer ist relativ groß bemessen und kann für Veranstaltungen sogar noch größer werden, indem der daran anschließende Essensraum zugeschaltet wird. In Anbetracht der drei Krippengruppen (unter drei Jahre) im hinteren Haus und vier Ü3-Gruppen im zweiten vorderen Haus mit Platz für insgesamt 130 Kinder macht es aber durchaus Sinn. Dank der Dorf-, Häuser- oder Schloss-Struktur hat man nie das Gefühl der Massenabfertigung, es verläuft sich.

Zwischen den Häusern befinden sich die Flure, Garderoben und Nebenräume wie Sanitärbereiche oder Büros. Die Flure sind teilweise lang, dank Oberlichtern sowie bewusst platzierten Öffnungen und Blickachsen aber immer hell und freundlich. Wie schon die Fassaden, sind auch die Innenräume sehr geradlinig gestaltet, aber nie kahl oder kühl. Diese Einrichtung ist für Kinder gemacht, ohne das permanent herauszuschreien.

Farbe kam selbstverständlich auch zum Einsatz: In den Gruppen- und Gemeinschaftsräumen befinden sich meist vollflächig über eine Wand verteilt Einbauschränke, die mit fröhlichen, jedoch nicht zu grellen Farben akzentuiert sind. Während der Kleinkindbereich über klassische Gruppentrennungen verfügt, die durch Glastüren verbunden sind, gilt im Ü3-Bereich ein offenes Konzept. Die Räume sind nicht den Kindern zugeordnet, sondern den Funktionen. So suchen sich die Kleinen aus, ob ihnen eher nach Theater, Atelier oder Baustelle ist. Insgesamt hat man das angenehme Gefühl, dass sowohl der Innen- als auch der Außenbereich die Bühne für die Kinder ist; welches Stück gespielt wird, entscheiden sie selbst. Die Räume geben nicht zu viel vor, bieten aber jede Menge Möglichkeiten. Auch das Gebäude selbst soll als Inspiration und gutes Beispiel dienen. »Ich finde den Gedanken schön, dass die Kinder sagen: ›Ich hab hier ein einigermaßen schönes Haus, einen Holzbau, so geht Bauen auch‹‹ sagt Wolfgang Borgards. Vielleicht wird hier ja auch der eine oder andere Baumeister groß, den passenden Architektentisch gibt es im Baustellenzimmer bereits.

Selbstverständlich dreht sich vieles um die Kinder, gute Arbeitsbedingungen für das Personal sind aber ebenfalls wichtig. Ein schönes Beispiel, wie hier an Kinder und Erzieherinnen gleichermaßen gedacht wurde, sind die sogenannten Schleusen: Großzügig bemessene, helle Bereiche mit viel Platz für Gummistiefel und Matschhosen sowie die direkt angeschlossenen kleinen Sanitärräume machen den Kleinen Spaß und den Großen die Arbeit leichter.

Zufriedenheit auf allen Seiten

Dass hier alle berücksichtigt wurden, liegt u. a. an der guten Zusammenarbeit von Architekturbüro, Bauherr und Kinderhaus. Von Anfang an – den offenen Wettbewerb gewannen K9 Architekten 2017 – wurden alle Beteiligten mit ins Boot geholt. Doch es wäre kein öffentliches Bauen, wenn es nicht auch Kompromisse gäbe. Gerne hätten die Architekten in den Gruppenräumen die gleichen hochwertigen Holz-Akustikdecken wie in den Gemeinschaftsräumen verwendet und auch die Industrie-Oberlichter waren nicht die erste Wahl. Im Endeffekt war es ein Abwägen, an welchen Stellen der Mehrwert besser eingesetzt war. Das Ergebnis ist ein wirklich schönes Haus – mit Gestaltungswillen und ästhetischem Anspruch, jedoch ohne Eitelkeiten.

db, Di., 2021.12.07



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03. Dezember 2018Anke Geldmacher
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Schauspielwiese

Passend zu seiner Funktion hält sich das neue Probebühnenzentrum des Deutschen Theaters in Berlin eher im Hintergrund. Drei übereinander gestapelte Bühnen nutzen die begrenzte Fläche gut aus und bieten den Theaterschaffenden Raum zur Entfaltung. Gleichzeitig vermittelt der Baukörper geschickt zwischen den Bauten der Umgebung.

Passend zu seiner Funktion hält sich das neue Probebühnenzentrum des Deutschen Theaters in Berlin eher im Hintergrund. Drei übereinander gestapelte Bühnen nutzen die begrenzte Fläche gut aus und bieten den Theaterschaffenden Raum zur Entfaltung. Gleichzeitig vermittelt der Baukörper geschickt zwischen den Bauten der Umgebung.

Theater sind repräsentativ und oftmals opulent gestaltet: Schmuckreiche Fassaden, Vorplatz, großer Eingang, Foyer, viel Tamtam. So auch beim ­Deutschen Theater (DT) in Berlin, erbaut 1849-50 von Eduard Titz. Die dazugehörigen Probebühnen führen ein Dasein in zweiter Reihe. Sie liegen versteckt und sind kaum zu finden – von einem großen Vorplatz und großem Aufsehen ganz zu schweigen. Aber das brauchen sie ja auch nicht. Im Grunde ist das neue Probebühnenzentrum des Deutschen Theater wie eine Souffleuse: Es hält sich verdeckt am Bühnenrand, aber ohne gerät das Stück ins Stocken. Hier spielt die Musik, bevor auf der großen Bühne der Vorhang fällt. Hier werden Texte gelesen, Bühnenbilder ausprobiert und natürlich die Stücke geprobt. Dazu kommt der beachtliche Teil an Lager und Logistik: Um dem anspruchsvollen Theater­publikum ausreichend Abwechslung bieten zu können, wechseln die Stücke innerhalb einer Spielzeit mehrfach munter durch. Mit nur einem Stück, das über die gesamte Saison gespielt wird, kann sich kaum ein Haus mehr sehen lassen – schon gar nicht in der Hauptstadt mit annähernd 100 Spielstätten. Dadurch müssen Kulissen häufig auf- und abgebaut sowie gelagert werden. Zudem benötigt das Theater einen Ort, an dem Bühnenbilder entwickelt und ausprobiert werden können. Das muss nicht zwangsweise in direkter Nachbarschaft passieren, doch je näher dies zur Spielstätte ist, desto komfortabler und einfacher gestalten sich die Arbeitsabläufe. Das neue Probebühnenzentrum des DT bietet genau diesen Komfort und führt erstmals den gesamten Probenbetrieb des Theaters an einem zentralen Ort zusammen.

Anspruchsvolle Nachbarschaft

Der Weg dahin war nicht unbedingt einfach. Als die Architekten Gerkan, Marg und Partner 2010 im Rahmen des Wettbewerbs das geforderte Raumprogramm durchgingen, lautete eine der zentralen Fragen: »Wie soll das alles in den engen Hof passen?« Das Platzangebot war nicht nur begrenzt, zudem galt es, den verschiedenen Traufhöhen, Baustilen und nicht zuletzt dem Denkmalschutz gerecht zu werden. Das Theater liegt in der historischen Friedrich-Wilhelm-Stadt in Berlin-Mitte. Der für das Probenzentrum vorgesehene Hof grenzt an den Campus der Charité sowie an das von Carl Gotthard Langhans erbaute Tieranatomische Theater und seine Erweiterungsbauten. Die Architekten setzten auf klare Linien und Strukturen und gingen das Ganze recht pragmatisch an. An den Größen der nachzubildenden Bühnen – zweimal die große Bühne des DT, einmal die kleine Bühne der Kammerspiele – war nicht zu rütteln, ebenso wenig am Standort. Sie stapelten die Bühnen aufeinander und ordneten die Nebenräume in zwei schmaleren Gebäudeteilen an den Seiten an. Die L-Form fasst den Hof ein und bildet nun eine klare Grenze zur Nachbarbebauung, jedoch ohne sich abzuschotten. Die unterschiedlichen Gebäudehöhen vermitteln zwischen dem 25 m hohen Hauptteil und den Traufhöhen des Tieranatomischen Theaters und der Hofbebauung. Steht man direkt davor, wirkt der Neubau durchaus groß, die Staffelung in der Höhe und Tiefe nimmt ihm aber seine Wucht und lässt ihn angemessen und maßstäblich erscheinen. Unterstützt wird dies zusätzlich von den vertikalen Fensterbändern, die den Blick förmlich nach oben ziehen. Längsstreifen machen schlank, das gilt auch in der Architektur.

Der Zugang erfolgt entweder über den Bühneneingang des DT oder über eine kleine unscheinbare Zufahrt von der Luisenstraße. Dieses »Nadelöhr« war während der Bauphase auch der einzige Weg für Baustellenfahrzeuge und führte im Vorfeld zu Bedenken. Den eher praktisch veranlagten Bauleuten machte das aber scheinbar wenig aus; quasi über Nacht stand ein großer Bagger im Hof – wie der dorthin kam, wissen die Architekten bis heute nicht. Von der Luisenstraße und vom Tieranatomischen Theater aus hat man als Außenstehender Gelegenheit, zumindest einen kleinen Blick auf das Gebäude zu erhaschen. Etwas versteckt liegend, weckt es die Neugier beim Betrachter – man weiß nicht so recht, was sich hinter den geschlossenen Putzfassaden mit den wenigen, akzentuierenden Fensterbändern abspielt. Die helle Putzoberfläche passt zum einen gut in die Umgebung und freut die Denkmalschutzbehörde, zum anderen bildet sie einen edlen, neutralen Rahmen. gmp bezeichnen sie daher als Passepartout für das denkmalgeschützte Ensemble. Einen Kontrast bildet die hinterlüftete Sockelfassade: Hier kam robuster Betonwerkstein zum Einsatz, da dieser Bereich stärker beansprucht wird. Die anthrazitfarbenen Fertigteile sind ebenfalls vertikal ausgerichtet und wechseln sich mit Glasflächen und dunklen Toren ab.

Im östlichen Gebäudeteil befindet sich die Anlieferung mit einem 3 x 6 m großen Lastenaufzug. Dieser verteilt Material und Kulissen auf die entsprechenden Bühnen oder in die Lagerflächen. Im EG befinden sich neben der kleinen Probebühne der Kammerspiele auch das Zwischenlager, Tischlerei, Schlosserei, Malwerkstatt und Näherei. Das DT verfügt über eine große Tischlerei und eine Schlosserei an einem externen Standort, die kleineren Werkstätten vor Ort erledigen das Tagesgeschäft und können spontane Reparaturen übernehmen. Im Gegensatz zu den eher geschlossen Obergeschossen verfügt das EG über großflächige Öffnungen. So hell, aber auch so öffentlich haben die Werkstattmitarbeiter vermutlich noch nie gearbeitet. Anfangs war dies wohl etwas gewöhnungsbedürftig, inzwischen schätzt man aber das Tageslicht und freut sich darüber, dass man nicht wie andernorts in den Keller verbannt wurde. Dies wäre auch gar nicht möglich, da das Gebäude über kein UG verfügt.

Keller im 3.OG

Ursprünglich war ein Keller für Technik und Lagerräume vorgesehen. Wegen des hohen Grundwasserspiegels wäre dafür aber eine Grundwasserabsenkung erforderlich gewesen. Dies hätte rund ein Drittel des Gesamtbudgets verschlungen. Also musste eine andere Lösung gefunden werden. Weiter in die Höhe zu gehen war nicht möglich. Ursprünglich waren die zwei großen Probebühnen gleich hoch und mit Schnürboden geplant. Dabei handelt es sich um den Raum über der Bühne, wo die Seile befestigt sind, an denen Kulissen herabgelassen und hinaufgezogen werden können. Der Bauherr zeigte sich – wie im gesamten Planungsprozess – sehr kooperativ und entschied sich zugunsten der Lagerfläche gegen einen zweiten Schnürboden. Der »Keller« befindet sich nun im 3. OG und wurde zwischen den beiden großen Bühnen ins Tragwerk versetzt. Dieses Lagergeschoss ist 3 m hoch und überspannt die große Bühne. Die mittlere Bühne verfügt daher »nur« über eine Gitterdecke, an der aber ebenfalls Gegenstände befestigt werden können.

Werkstattcharakter

Bis auf die Höhe und die geringere Größe der Kammerspielbühne sind alle drei Probebühnen gleich ausgestattet: Hochwertiger Bühnenboden, Wandbekleidungen aus Multiplex, darüber schwarze Heraklithplatten für die Raumakustik sowie umlaufende schwarze Vorhänge und ­eine schwarze Gitterdecke bzw. der Schnürboden der oberen Bühne. Alle Bühnen verfügen über eine Drehscheibe, wie sie auch auf den Originalbühnen eingebaut ist. So lassen sich die Bühnenbilder unkompliziert bewegen und die Abläufe während der Aufführung originalgetreu ausführen. Aus Kostengründen sollte zunächst auf eine der Drehscheiben verzichtet werden, eine großzügige Spende des Fördervereins ermöglichte auch die dritte. Die beiden großen Bühnen verfügen zudem über eine umlaufende Galerie für Scheinwerfer und Tontechnik. Viele Probebühnen sind große schwarze Räume, in denen man schnell die Tageszeit und den Außenbezug vergisst. Hier sorgen die schmalen, vertikalen Fensterbänder für Tageslicht. Besonders beliebt sind die Fenster auch, um sich zwischendurch eine Zigarette anzuzünden, wenn es beim Proben einmal emotionaler wird. In den Räumen ist der Nutzer der Chef: Mit nur wenigen Handgriffen lässt sich der helle Raum mit freien Holzoberflächen und Tageslicht in eine fast völlig schwarze Umgebung verwandeln, die sich gestalterisch zurücknimmt. Die Wände müssen robust sein, da oft geschraubt, gehämmert und getackert wird. In der bereits vorhandenen Probebühne 1 in einem der Nebengebäude des DT sind die Wände mit OSB-Platten bekleidet. Diese reißen leicht aus und sehen schnell nicht mehr schön aus. Multiplex war hier eine verhältnismäßig günstige und attraktive Alternative. Sollten die Platten irgendwann zu abgenutzt sein, können sie einfach abgeschraubt und ausgetauscht werden. Wie praktisch, dass sich die Holzwerkstatt nur wenige Meter entfernt befindet.

Insgesamt sind die Räume sehr flexibel und funktional. Sie bieten Nutzern viele Möglichkeiten, ordnen sich unter und unterstützen die Kreativität der Theaterschaffenden. So wurden z. B. die Teeküchen und Garderoben, die sich auf jeder Etage befinden, vom DT selbst ausgestattet. »Wir haben uns bemüht, ein sehr stabiles Haus zu bauen, das dies alles aushält. Das Deutsche Theater ist nicht zimperlich mit dem Gebäude und darf das auch«, sagt Architekt Christian Hellmund zum gewollten Werkstattcharakter. Aufgrund der Materialien und der klaren Gestaltung ist das Probebühnenzentrum eine vergleichsweise schicke Werkstatt.

In den Treppenhäusern rückten die Architekten ein wenig vom Werkstatt­charakter ab: Hölzerne Brüstungen und roter Boden verleihen ihnen ein elegantes Erscheinungsbild. Die Farbe kommt nicht von ungefähr: Bodenbeläge, Wandfarben und Innentüren sind im Corporate Design des DT festgelegt und gelten auch für das Probebühnenzentrum. Dies unterstreicht die Wert­schätzung und zeigt, dass der Neubau eben doch etwas mehr als ein Funktionsbau ist.

db, Mo., 2018.12.03



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01. Dezember 2017Anke Geldmacher
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Geborgener Schatz

Bei einem Museumsbesuch konzentriert sich alles auf die Exponate. Dass diese aber auch gelagert, untersucht und restauriert werden müssen, bleibt dabei unbemerkt. Wie umfangreich und anspruchsvoll das Raumprogramm jedoch auch für diese Anforderungen ist, zeigt das neue Sammlungs- und Forschungszentrum (SFZ) der Tiroler Landesmuseen nahe Innsbruck.

Bei einem Museumsbesuch konzentriert sich alles auf die Exponate. Dass diese aber auch gelagert, untersucht und restauriert werden müssen, bleibt dabei unbemerkt. Wie umfangreich und anspruchsvoll das Raumprogramm jedoch auch für diese Anforderungen ist, zeigt das neue Sammlungs- und Forschungszentrum (SFZ) der Tiroler Landesmuseen nahe Innsbruck.

Der Neubau befindet sich auf dem Areal des ehemaligen Landesbauernhofs in Hall in Tirol – außerhalb von Naturgefahren, verkehrstechnisch gut angeschlossen und für alle Landesmuseen zentral gelegen. Bisher gab es elf verschiedene Depots an acht Standorten, die jetzt zusammengelegt wurden. ­Exponate müssen nun nicht mehr umständlich durch die Gegend gefahren werden und auch für die Mitarbeiter entfällt das Pendeln zwischen mehreren Standorten. Außerdem wird in den Landesmuseen so wertvolle Ausstellungsfläche frei. Zusätzlich zu den Lager-, Büro- und Forschungsräumen wurden auch moderne Werkstätten untergebracht, die sowohl für die Museen als auch für das Depot selbst arbeiten.

Der flache, dunkle Baukörper wurde in den Hang eingegraben. Man könnte sich aber ebenso gut vorstellen, dass hier eine Schatztruhe ausgegraben wurde, die nun entdeckt werden will. Wie bei der klassischen Schatztruhe geht es auch beim SFZ in erster Linie um den wertvollen Inhalt: Nicht weniger als der »Kunstschatz Tirols« wird hier aufbewahrt. Dabei handelt es sich nicht um ein opulentes Einzelstück, sondern um Millionen historischer Kostbarkeiten aus Tiroler Landesmuseen mit einem geschätzten Wert von über einer Milliarde Euro. Dazu gehören Gemälde, ein Fuß einer Mumie, Skulpturen, Möbel, Musikinstrumente sowie eine Million konservierter ­Alpenschmetterlinge. Dass man solch einen Schatz nicht im Pappkarton aufbewahrt, versteht sich von selbst, daher macht auch die »Verpackung« etwas her.

2013 lobte das Amt der Tiroler Landesregierung einen offenen Wettbewerb aus, den franz & sue aus Wien – damals noch Franz Architekten – für sich entscheiden konnten. »Hier konnten wir die Traumansicht eines Architekten zeichnen: Vier Linien sonst nichts, und es ist tatsächlich so geworden«, erinnert sich Erwin Stättner, einer der fünf Geschäftsführer des Architekturbüros. Denn nach außen präsentiert sich das SFZ ganz geschlossen mit seiner dunklen, an eine Rüstung erinnernden Fassade aus glasfaserverstärkten Beton­platten (FibreC). Für die Ausbuchtungen in einigen der Platten wurde ein XPS-Abdruck eines originalen Faustkeils erstellt. Der zähflüssige Beton läuft über diese Form und wird nach dem Trocknen in die richtige Plattengröße ­geschnitten. Nur der Eingang, die Anlieferung und die Schreinerei haben Öffnungen, und selbst diese sind nur zu Betriebszeiten bzw. bei Bedarf geöffnet. Tritt man durch das große, rote Eingangsportal, versteht man schnell das »Zwiebelprinzip«, nach dem einzelne Funktionen von außen nach innen angeordnet sind. Im äußersten Ring befinden sich die Depotflächen, danach folgt ein Erschließungsgang, im Kern befinden sich dann die Arbeits- und Atelierräume rund um ein begrüntes Atrium.

Natürliches Holz, Glas und viel Grün sorgen für eine freundliche, einladende Atmosphäre im Innenhof, der gern für eine Pause genutzt wird. Betrachtet man jeweils ein Foto von Innen und Außen, kommt man kaum darauf, dass es sich um ein und dasselbe ­Gebäude handelt. So gesehen sind nicht nur die Exponate, sondern auch das Atrium der Schatz, den man von außen nur erahnen kann.

Aufgrund des wertvollen Inhalts ist das Gebäude nicht öffentlich zugänglich. Um die Exponate zu schützen, hat auch jedes Depot eine Schleuse mit ­Doppeltür – um unerlaubtes Betreten zu verhindern, aber auch um das Raumklima zu schützen. Gewünscht waren möglichst wenig Technik und geringe Betriebskosten. Gleichzeitig erfordern insbesondere die Lagerräume ein konstantes Klima – 19 °C Temperatur und 50 % Luftfeuchtigkeit. Ähnlich wie bei einem Weinkeller entstand die Idee, den Großteil des Gebäudes einzugraben und auf umfangreiche Klimatechnik zu verzichten – Basisklimatisierung durch Erdreich. Ganz ohne Klimatechnik kommt das Gebäude natürlich nicht aus: Ein 0,1-facher Luftwechsel sorgt für einen kontinuierlichen Luftaustausch in den Räumen. In den Depots wurde zudem ein feuchtigkeitsregulierender Kalkputz aufgebracht. Die vermeintlich einfachen Lösungen sind nicht immer die günstigsten: Der Aushub war mindestens genauso teuer wie eine technische Klimatisierung gewesen wäre. Auf lange Sicht ist diese Variante dann aber doch günstiger, da ja ein Großteil der Betriebskosten wegfällt. Außerdem ist diese Lösung quasi wartungsfrei.

Im Innenraum dominieren Sichtbetonwände, mineralischer Boden und Holzwolle-Deckenplatten. Aufgelockert wird die eher kühle Gestaltung durch rote Details wie die Sitzbank im Eingangsbereich, das Leitsystem an den Wänden und das markante Treppenauge. Alles an und in diesem Gebäude wirkt logisch und am rechten Platz.

Das liegt u. a. am festen Raumprogramm, da Lagergrößen, Technik, Labore und insbesondere die ­klimatischen Bedingungen nicht flexibel waren. Und genauso pragmatisch und konsequent machten sich die Architekten an die Bauaufgabe, immer in enger A­bstimmung mit dem Bauherrn: Da eine innenliegende Entwässerung zu ­große Risiken birgt, dass Feuchtigkeit ins Gebäude langt, wurde das vermeintliche Flachdach an allen Seiten um 2 ° nach innen geneigt, sodass zum Innenhof hin entwässert wird. Um die Trennung zwischen Laboren im inneren Ring und den Lagerflächen im äußeren zu verdeutlichen, war von Anfang an eine Deckenfuge geplant. Um auf Revisionsöffnungen in den Decken verzichten zu können, hat man alle Installationsleitungen an den Rand gelegt und aus der Fuge wurde ein 60 cm großer Abstand, der gleichzeitig als Revisionsgang dient. Auch die »runden Ecken« im Gang entstanden erst später: Zunächst waren sie »ganz klassisch« im 90 ° Winkel geplant. Im Laufe der Planung stellte man aber fest, dass ein bestimmter Schlitten aus dem Lager nicht um die Kurve kommt. Daraufhin wurden Schleppkurven gezeichnet und der nötige Radius ermittelt, damit der Schlitten vorbeipasst. »Im Nachhinein ­gefällt uns diese Lösung sogar besser als die eckige Variante«, so Stättner. Von einer Notlösung kann also nicht die Rede sein.

Eine Ausnahme im Gebäude bildet die Schreinerei: Hier fliegt Holzstaub durch die Gegend, es wird gebohrt und gesägt. Stöckelpflaster aus Eiche betont den handwerklichen Charakter und ist gleichzeitig sehr belastbar. Wegen der Anlieferung, aber auch wegen der Lärm- und Staubbelastung hat man sich dagegen entschieden, diesen Raum nach innen zu legen, nur weil er Öffnungen benötigt. Diese sind aber keine klassischen Fenster, stattdessen werden je nach Bedarf ein paar der Fassadenfelder aufgeklappt. Nach der Arbeit wird alles wieder geschlossen und nur ein sehr geschultes Auge erkennt, welche Felder geöffnet werden können. Und wenn man schon sucht, findet man vielleicht auch den kleinen roten Punkt, der die Stelle markiert, an die der Chip gehalten werden muss, um die Eingangstür aufzuklappen.

Ohne den Hilfspunkt müsste manch einer vielleicht mühevoll die Fassadentafeln abzählen, um Einlass zu erhalten. Aber eine Schatzkiste öffnet sich schließlich nicht einfach so.

db, Fr., 2017.12.01



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Presseschau 12

03. Dezember 2024Anke Geldmacher
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Doppelschule in Berlin von PPAG Architects

In der Doppelschule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg griffen PPAG architects zu mehreren cleveren Tricks, um viele kleine Teile in einem großen Komplex zusammenzuführen, ohne dass man den Überblick verliert.

In der Doppelschule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg griffen PPAG architects zu mehreren cleveren Tricks, um viele kleine Teile in einem großen Komplex zusammenzuführen, ohne dass man den Überblick verliert.

Das Architekturbüro hat auf diesen Wettbewerb geradezu gewartet: »2013 schon haben wir uns mit Wohnbau in Berlin beschäftigt. Wo Wohnungen entstehen, wächst auch der Bedarf an Bildungseinrichtungen, das war also nur eine Frage der Zeit«, so Georg Poduschka, der das Büro PPAG architects gemeinsam mit Anna Popelka führt. Diesen Bedarf hat auch der Senat von Berlin erkannt und 2016 die recht ambitionierte Berliner Schulbauoffensive (BSO) ins Leben gerufen. Es ging nicht nur darum, möglichst schnell viel Unterrichtsfläche zu schaffen – ganzheitliche, inklusive und nachhaltige Pädagogik verlangen auch nach neuen Ideen. Im Rahmen der BSO wurde das Konzept der Compartmentschule als Schulmodell der Wahl auserkoren und im Wettbewerb so ausgeschrieben. Compartments sind eigene kleine Schulen in der Schule. Hier wird jahrgangs- und klassenübergreifend in überschaubaren Gemeinschaften gelernt und gearbeitet. Die landeseigene HOWOGE, ursprünglich eine reine Wohnungsbaugesellschaft, wurde mit dem Bau von 26 Schulen und der Sanierung von 12 bestehenden Schulen beauftragt. Die Schulbauten sind über den gesamten Stadtraum verteilt und werden in allen Bezirken umgesetzt. Der bisher größte Schulbau dieser Offensive ist die Schule an der Allee der Kosmonauten in Berlin-Lichtenberg für insgesamt 1 600 Schüler und Schülerinnen, verteilt auf ein Gymnasium und eine Integrierte Sekundarschule (ISS).

Zusammen statt getrennt

Namen haben die Schulen noch nicht, bisher nutzt man die offiziellen Schulnummern Gym11Y12 und ISSK15. Deutlich einfallsreicher ist da der Neubau: PPAG architects setzten sich im Wettbewerb 2017 durch, indem sie die geforderten drei Elemente Gymnasium, ISS und Doppelturnhalle nicht auf dem Grundstück verteilten, sondern miteinander verzahnten. Diese Kombination spart nicht nur einiges an Grundfläche und Außenhaut, sondern ermöglicht auch Zusammentreffen und Verbindungen. Beide Schulen sind so konzipiert, dass die Gemeinschaft möglich ist, aber beide Schulen komplett autark funktionieren. So gibt es eigene Eingänge, zwei Mensen und zwei nebeneinanderliegende Eingangstüren zur Bibliothek, die in denselben Raum führen. Im Fall der Fälle kann leicht eine Trennwand errichtet werden, um aus einer Bibliothek zwei zu machen.

Das Grundstück ist zwar fast 38 000 m² groß, angesichts des Raumprogramms und der Außenanlagen ist es aber tatsächlich knapp. Zudem ist z. B. der Sportplatz ungewöhnlich groß, weil er der DFB-Norm entspricht. Nicht nur aus Platzgründen setzten die Architekt:innen die Turnhalle in die Mitte. Sie ist das verbindende Element zwischen beiden Schulen. Die Form der Schule leitet sich also von innen heraus ab: In der Mitte die Turnhallen, die quasi die Handfläche bilden, von der fünf baugleiche »Finger« mit den Compartments abgehen – in drei Geschossen jeweils ein Compartment pro Finger. Drei der Finger belegt das Gymnasium, zwei die ISS. Im EG befinden sich Bibliothek, Mensa, Mehrzweckraum und Verwaltung. Hier sind nicht alle Finger voll bebaut, sondern bilden überdachte Außenbereiche.

Im 3. OG sind die Fachräume angeordnet, was auch von außen ablesbar ist: Die gemeinschaftlichen Flächen dieser Etage, aber auch die Turnhallen, erhielten eine Profilit-Glasfassade. Die Fassade – egal ob Profilit oder Aluminium – mit ihren zahlreichen Einkerbungen ermöglicht zum einen mehr Tageslichteinfall, zum anderen bricht sie die große Fläche auf. Trotz dieser »Rüschung« war der Entwurf im Wettbewerb derjenige mit der geringsten Fassadenfläche, da man ja die zusätzlichen Turnhallenfassaden einspart.

Laut Georg Poduschka ist die Compartmentschule am besten geeignet, »den instruktiven Unterricht zu behindern«. Das klingt etwas rebellisch und das muss man wohl sein, wenn man eine Lernumgebung schaffen will, in der die Lehrkräfte eher Coaches als Vortragende sind, und gleichzeitig etliche technische, rechtliche und pädagogische Auflagen bekommt. Das Ergebnis ist eine Schule, die fast alles kann: völlig autarke Schulen, Begegnungen zwischen den Schulen, gemeinschaftliches Lernen, außerschulische Angebote, Sport unter Wettkampfbedingungen und vieles mehr. Wie das in der Realität genutzt und umgesetzt wird, muss sich erst noch zeigen, da beide Schulen von Grund auf neu aufgebaut werden und 2024 mit den siebten Klassen starteten – das Gymnasium ist sechszügig ausgelegt, die ISS vierzügig. Ältere Klassen gibt es noch nicht, die jahrgangsübergreifenden Gemeinschaften müssen sich erst noch bilden über die Jahre. Damit der riesige Komplex nicht leer steht, nutzen Schulen, die gerade gebaut oder saniert werden, diese Schule als Zwischenstation. So kommt es, dass es hier derzeit ganze 22 siebte Klassen gibt.

Wie eine eigene Stadt

Im Moment sind die Compartments also nur von 12- und 13-Jährigen »bevölkert«. Ob sie künftig jahrgangshomogen genutzt werden (ein Jahrgang wächst zusammen in seinem Compartment) oder jahrgangübergreifend (die Jüngeren lernen von den Älteren und andersherum), entscheiden nicht die Architekt:innen, sondern die Schule. Das Prinzip der vielen, kleinen Schulen im großen Gebäude kommt bei diesem Projekt besonders gut zum Tragen. Von außen ist man fast erschlagen von der schieren Masse an Schule, die da vor einem steht. Im einzelnen Compartment angekommen, hat man diese Dimension fast vergessen. Es ist geradezu gemütlich. Jedes Compartment ist gleich aufgebaut: Im Zentrum liegt das Forum, der multifunktionale Arbeits- und Aufenthaltsraum. Um diesen mit Tageslicht und Luft zu versorgen, griffen PPAG architects zum Kniff mit den Einschnitten in die Fassade. Vom Forum gehen alle anderen Nutzungen ab: Klassenzimmer mit Teilungsraum, Ruheraum, Teamraum für die Lehrkräfte und Toiletten. Bei Letzteren setzt Steffi Brunken von der HOWOGE, die das Projekt von Beginn an betreut hat, auf einen weiteren Vorteil dieser Schulform: »Die Schüler:innen identifizieren sich mit ihrem Compartment. Dementsprechend halten sie das auch eher in Ordnung als einen Waschraum, den sie mit 1 600 anderen teilen.« Die Treppenhäuser und gemeinschaftlich genutzte Bereiche sind in sichtbarem Beton ausgeführt, die offenen Steigleitungen unterstreichen den rauen Charakter. Die Compartments sind ebenfalls eher dezent gestaltet, allerdings deutlich feiner. »Die großen Flure sind die Straßen, die Compartments sind das Zuhause«, so Poduschka. Diese Trennung der gemeinschaftlichen und privateren Flächen stärkt die außerschulischen Nutzungen, ohne das »Zuhause« zu stören.

Konstruktiv mussten die Architekt:innen Kompromisse eingehen: Ursprünglich als Holzbau geplant, scheiterte dieses Vorhaben tatsächlich daran, dass es – zumindest zum Zeitpunkt der Ausschreibung – keine Generalunternehmer gab, die das in dieser Größenordnung zufriedenstellend umsetzen konnten. Hinzu kamen die leider immer noch üblichen Bedenken zu Brandschutz und Statik. So wurde es letztendlich ein konventioneller Stahlbetonbau. Um dennoch so nachhaltig wie möglich zu bauen, ist die Schule nach dem Zwiebelprinzip aufgebaut: das Innere muss am längsten halten, daher ist es der dauerhafte Stahlbeton. Die Fassadenunterkonstruktion ist aus Holz, die äußere Hülle, die am schnellsten getauscht werden kann, aus leichtem Aluminium.

Gestapelte Hallen

Weil es fast alles doppelt gibt, braucht man auch zwei Turnhallen. Diese sitzen übereinander: eine im 1./2. OG, eine im 3./4. OG. Aufgrund der geforderten Raumhöhen für die Turnhallen ergaben sich unterschiedliche Höhen der Geschosse: Das 1. und 2. OG sind ein wenig höher als das 3. und 4. OG. Hier guckt die Halle oben heraus, was schlicht und einfach günstiger war, als die Geschosse und somit auch die Fassadenfläche zu vergrößern. Im EG sind unter den Turnhallen die Mehrzweckräume angesiedelt. Um die Verbindung zu den Schulen zu stärken, haben beide Turnhallen große Glasflächen zu den Gemeinschaftsräumen. Für diese Fenster haben PPAG tapfer gekämpft, da sie nicht ohne Weiteres mit manchen Wettkampfrichtlinien vereinbar waren. Bei der Besichtigung waren die Vorhänge der Turnhallenfenster zugezogen, was ein wenig wie eine verpasste Chance wirkte. Aber wer weiß, vermutlich brauchen nicht nur die Jahrgänge Zeit, zu wachsen, sondern die ganze Schule, um sich an die Möglichkeiten und Freiheiten zu gewöhnen, die dieser wirklich gelungene Schulbau bietet.

Bauherrin: HOWOGE Wohnbaugesellschaft mbH
Architektur: PPAG architects, Wien
Mitarbeit: Anna Popelka, Georg Poduschka, Petra De Colle, Christian Wegerer, Paul Konrad, Jakub Dvorak,Felix Zankel, Billie Murphy, Olga Muskala, Alexander v. Lenthe, Henri Cullufe, Kerstin Enn, Lukas Felder, Maximilian Keil, Alexander Nanu
Generalplanung: ARGE FC/P/PAG
Generalplanerkoordination, Tragwerksplanung, Bauphysik, Kosten:
FCP Ingenieure
TGA & Akustik: Bauklimatik, Wien
Elektroplanung: Kubik Project, Gießhübl
Brandschutz: Brandschutz Plus, Berlin
Konsulenz Barrierefreiheit: Stefanie Bode, Berlin
Grafische Ausgestaltung: Bleed, Wien
Sportstättenplanung: Raumkunst, Wien
Fassade & Lichtplanung: Dr. Pfeiler, Graz
Küchenplanung: Ingenieurbüro Schaller, Karlsruhe
Landschaftsarchitektur: EGKK, Wien
Bau/Generalübernehmer: ARGE Ed. Züblin / Otto Wulff
Planungsleistung für GÜ: Zoomarchitekten, Berlin
Grundstücksfläche: 37 819 m²
Bebaute Fläche: 7 531 m²
BGF gesamt: 31 783 m²
Nutzfläche: 20 680 m²
Baukosten: 95 Mio. Euro
Bauzeit: Dezember 2021 bis April 2024

db, Di., 2024.12.03



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01. Dezember 2023Anke Geldmacher
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Pavillon »Blaue Stunde« in Berlin

Der lange Jahre brach liegende Spreepark Berlin wird nach und nach zu neuem Leben erweckt. Im Rahmen der nötigen Sicherungsmaßnahmen wurde das Restaurant entkernt und die früher verborgene Tragstruktur erstrahlt in neuem, leuchtend blauem Glanz.

Der lange Jahre brach liegende Spreepark Berlin wird nach und nach zu neuem Leben erweckt. Im Rahmen der nötigen Sicherungsmaßnahmen wurde das Restaurant entkernt und die früher verborgene Tragstruktur erstrahlt in neuem, leuchtend blauem Glanz.

Ab 1969 gab es einen ständigen Rummelplatz im Plänterwald, in unmittelbarer Nähe zum Treptower Park in Berlin: Der »VEB Kulturpark« war der einzige Freizeitpark der damaligen DDR. Ab 1992 wurde er dann im wiedervereinten Berlin als Spreepark betrieben, bis 2001 die Betreiber Insolvenz anmelden mussten. Darauf folgte eine wilde Zeit, in der die damalige Pächterfamilie nicht nur mit Geld, sondern auch einzelnen Fahrgeschäften nach Peru umzog oder wohl eher flüchtete. 2014 kaufte das Land Berlin die Liegenschaft zurück. Seit 2016 ist die landeseigene Grün Berlin GmbH zuständig und dabei, dem Park wieder Leben einzuhauchen. Seit 2020 finden bereits einzelne Veranstaltungen und Führungen statt, bis 2026 ist die komplette Wiedereröffnung geplant. Die Herangehensweise erinnert ein wenig an eine Hochzeit: etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes, etwas Blaues. Alt ist der Park an sich und insbesondere einige erhaltene Teile, wie z. B. das Eierhäuschen, das neben Gastronomie auch Ausstellungs- und Wohnräume für Künstler:innen beherbergt. Neu sind zahlreiche Interventionen von Künstler:innen, betreut und organisiert vom Spreepark Art Space. Dieser untersucht, wie Stadt- und Freiraumentwicklung einerseits und Kunst andererseits voneinander profitieren können. Es gibt einzelne Kunstaktionen, aber auch dauerhafte Projekte, zu denen u. a. die Blaue Stunde gehört. Geliehen hatten sich die früheren Betreiber einiges an Geld. Und Blau erstrahlt das ehemalige Schnellrestaurant, die sogenannte Mero-Halle. Namensgebend dafür war der Meroknoten: ein Raumfachwerk, bei dem Stahlrohre in vorgegebenen Winkeln in kugelförmigen Verbindungselementen zusammengesetzt werden. Viel mehr als diese Struktur und die Bodenplatte ist auch nicht übrig vom Bestandsgebäude. Verantwortlich zeichnet das Büro modulorbeat aus Münster, das nach eigenen Angaben irgendwo zwischen Kunst, Architektur und Urbanismus angesiedelt ist. Und »dazwischen« befindet sich auch das Gebäude, das in Anlehnung an die Dämmerung als Zwischenzustand und Transformation den Namen »Blaue Stunde« trägt.

Grundlage war ein Rahmenplan der Arbeitsgemeinschaft Latz + Partner – Riehl Bauermann unter Mitarbeit von LOMA architecture landscape urbanism, der bereits eine Entkernung der Halle vorsah, diese aber anhob und u. a. auch eine neue Bodenplatte plante. Diese Anlehung an den Rahmenplan mag manch eine:r kritisch sehen, aber ganz ehrlich: Bleibt man nah am Masterplan, ist es geklaut; macht man es anders, ist es ignorant. Allen recht machen kann man wohl es nie.

Nicht-Bauen als Bauaufgabe

Modulorbeat stieg 2020 ein. Da stand bereits fest, dass die Halle so nicht zu halten ist und zumindest die Tragstruktur zu sichern wäre, wollte man sie weiterhin nutzen. Dach und Wände wurden entfernt, der Boden jedoch blieb drin. Es sind keine wirklichen archäologischen Spuren, aber Zeugen der Vergangenheit. So kann man anhand der Lücken im roten Fliesenboden heute noch sehen, wo sich früher die Toiletten befanden, oder erahnen, wo in der Küche großes Gerät stand oder Rohre verliefen. Die eine oder andere Unebenheit wird bei Regen sichtbar, wenn sich Pfützen bilden, in denen sich die Konstruktion spiegelt. Die Blaue Stunde interagiert immer wieder unterschiedlich mit ihrer Umgebung. Je nach Tages- und Jahreszeit wirkt die Farbe etwas anders, zwischen geplantem und angelegtem Grün bahnt sich Spontanvegetation ihren Weg, die Vorhänge wehen im Wind. Gerade dieses Improvisierte und Experimentelle macht den Charme dieses (Nicht-)Gebäudes aus.

Die besagte und namensgebende Farbe ist nicht nur ein Blickfang, sondern in erster Linie dringend nötiger Korrosionsschutz. Die Tragstruktur wurde an manchen Stellen ertüchtigt und ergänzt und anschließend enzianblau gestrichen. »Natürlich hätten wir auch eine andere Farbe nehmen können. Rot war irgendwie naheliegend, hat man jetzt aber auch oft gesehen. Blau fanden wir einfach gut und passt in den Park hinein«, so Jan Kampshoff, einer der zwei Gründer von modulorbeat. Insgesamt ist das Projekt von einem sehr angenehmen Pragmatismus geprägt. »Wenn ich keinen Innenraum brauche, baue ich auch keinen«, erklärt Kampshoff die komplette Abwesenheit von Wänden. Dieses Nicht-Bauen muss man sich erst einmal trauen. Aber wo ist das besser möglich als in einem Berliner Freizeitpark, der noch dazu vom Spreepark Art Space explizit als Forschungs- und Entdeckungsprojekt gedacht ist? Modulorbeat sieht darin auch weniger eine architektonische als eine kuratorische Aufgabe: »Es ist im Prinzip alles schon da. Wir verknüpfen und vernetten und machen den Raum wieder nutz- und erlebbar«, beschreibt Kampshoff seine Rolle. Und sie waren keineswegs untätig: Sie teilten die Halle bzw. das, was von ihr übrig blieb, in zwölf gleich große Quadrate auf – ein wenig wie ein Spielfeld. Die Blaue Stunde ist Spielwiese, Experimentierfeld, Erprobungsraum. Als »Spielmaterial« stellten sie fünf gerade und drei runde Bänke auf, hängten drei Vorhänge, die innerhalb ihres Rasterstücks verschiebbar sind, auf und setzten der Konstruktion zwei transluzente Kunststoffdächer auf. So sind manche der Quadrate stärker abgetrennt als andere. Der Raum passt sich an, je nach Nutzung. Wenn der Spreepark ab 2026 regulär geöffnet ist, wird hier vermutlich entspannt Pause gemacht und vom Blauen ins Grüne geschaut.

Temporär als Chance

Ursprünglich war die Blaue Stunde als temporäre Lösung geplant. Manchmal überzeugen die Übergangslösungen dann aber so sehr, dass sie bleiben dürfen – so wie hier. Auf die Frage, was man denn nun noch ändern wolle oder müsse, um es dauerhaft zu nutzen, waren sich Betreiber und Architekt recht einig: Ach, also eigentlich nix, oder? Gegebenenfalls könnte man die hölzerne Unterkonstruktion der zwei Kunststoffdächer austauschen, da sie nicht unbedingt auf Langlebigkeit ausgelegt war. Hier kann man noch nachlegen, muss man aber (noch) nicht. Dieser Mut zum Experiment tut gut. Vermutlich liegt da auch die Chance. Hätte man das Projekt von vornherein langfristig angelegt, wäre manches vielleicht gar nicht möglich gewesen.

db, Fr., 2023.12.01



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06. Dezember 2022Anke Geldmacher
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Dezente Präsenz

Im historischen Stadtgarten von Bottrop haben Annette Gigon und Mike Guyer eine harmonische Erweiterung des bestehenden ‧Gebäudekomplexes geschaffen. Das neue ‧Museumsgebäude beherbergt acht ‧zurückhaltende Ausstellungsräume, die der Kunst Raum und Vorrang geben, ohne selbst zu sehr in den Hintergrund zu rücken.

Im historischen Stadtgarten von Bottrop haben Annette Gigon und Mike Guyer eine harmonische Erweiterung des bestehenden ‧Gebäudekomplexes geschaffen. Das neue ‧Museumsgebäude beherbergt acht ‧zurückhaltende Ausstellungsräume, die der Kunst Raum und Vorrang geben, ohne selbst zu sehr in den Hintergrund zu rücken.

Unweit der Stadtmitte Bottrops bietet der ca. 16 ha große Stadtgarten Erholung und Abwechslung und wirkt ganz anders als das, was man ansonsten mit der Ruhrgebietsstadt verbindet. Zwischen weiten Rasenflächen, alten Baumbeständen und bepflanzten Anlagen im Stil eines englischen Landschaftsgartens befindet sich hier auch das Josef Albers Museum Quadrat Bottrop. Der Titel ist ein wenig sperrig, kein Wunder, dass sich die Kurzform »Quadrat« durchgesetzt hat. Das Museumszentrum Quadrat beherbergt zwei Museen, verteilt auf inzwischen vier Gebäude: In einer Villa aus dem Jahr 1913 dokumentiert das Bottrop Museum die Ur- und Ortsgeschichte der Stadt inklusive Eiszeithalle und Bergbauzeit. Direkt daneben befindet sich das Josef Albers Museum, das sich dem in Bottrop geborenen Künstler widmet. 1976 entstand der erste Bau, bereits 1983 kam ein zweiter dazu, beide erbaut vom Bottroper Stadtbaumeister Bernhard Küppers und beides unverkennbar Bauten der Moderne mit ebenso deutlichen Anleihen an Mies van der Rohe. Der Name Quadrat bezieht sich sowohl auf den Grundriss des ersten Gebäudes als auch auf das Hauptwerk von Albers, dessen Forschungen zu Farben und ihren Wirkungen von hoher Bedeutung waren. Das Museum besitzt mit mehr als 300 Werken die weltweit größte Josef Albers Sammlung. Dazu gehören rund 100 Gemälde, die gesamte Druckgrafik, Resopalgravuren, Zeichnungen, Ölstudien auf Papier, Glasarbeiten und Fotografien. Zudem werden Arbeiten anderer Künstler der klassischen und internationalen Moderne gezeigt.

Die Dauerausstellung musste immer öfter Sonderausstellungen weichen, sodass erneut eine Erweiterung gewünscht war. Ein weiterer Punkt war der Schutz der Bilder, da keines der bisherigen Gebäude über eine Klimaanlage verfügt. Eine Nachrüstung wäre kompliziert gewesen, zudem hätte das Platzproblem weiterhin bestanden. 2016 wurden 25 Architekturbüros zum Wettbewerb eingeladen, aus dem Gigon/Guyer als Sieger hervorgingen. Sechs Jahre später konnte im Oktober Eröffnung gefeiert werden. Im Küppersbau befindet sich nun die Dauerausstellung, im Erweiterungsbau werden künftig parallel Sonderausstellungen gezeigt.

Teil des Ganzen, aber eigenständig

Das Schweizer Architekturbüro entschied sich im Gegensatz zu vielen seiner Mitbewerber für einen Standort im Nordosten des Stadtgartens. So rückt der Bau zwar sehr nah an das historische Kastanienrondell, dies ist aber die Variante, die den Baumbestand am meisten schont. Dass der im Zuge der ersten Erweiterung 1983 angelegte Teich, den die Architekten gerne erhalten wollten, ein paar Meter versetzt wurde, fällt wohl nur den wenigsten auf. Der zweigeschossige Neubau fügt sich mit seiner dunklen Farbgebung und der klaren Formensprache harmonisch ins Ensemble ein, ist aber unverkennbar ein eigenständiges Gebäude. Im Gegensatz zu den beiden Bestandsbauten mit viel Stahl und Glas ist er eher kompakt und geschlossen mit wenigen, gezielt gesetzten Öffnungen. Dieser erste Eindruck zieht sich dann auch während der gesamten Besichtigung durch – er ist nicht aufdringlich oder protzig, aber eben auch nicht langweilig oder profan. Das Gebäude setzt die Exponate in Szene und andersherum – Kunst und Haus tun sich gegenseitig gut.

Dunkle Hülle, heller Kern

Eine Verbindungsbrücke führt von der Dauerausstellung zum Neubau. Hier haben sich die Architekten einen kleinen Kunstgriff erlaubt: Der komplett in dunklem Holz ausgekleidete Durchgang ist trapezförmig gestaltet, also am Beginn niedriger. So erscheint die gleiche Strecke auf dem Weg in den Neubau hinein länger als der Rückweg. Ein Fenster lenkt den Blick auf den Park, bevor man die Ausstellungsräume betritt. Diese gezielten Aussichten sind essenzieller Bestandteil des Entwurfs. Hat man den Durchgang hinter sich gelassen, steht man mittendrin: ein fensterloser und doch heller Raum, von dem links und rechts weitere Räume abgehen. Die feste Raumfolge war ein Wunsch des ehemaligen Museumsdirektors Dr. Heinz Liesbrock. Ein riesiger Raum wie in der Neuen Nationalgalerie in Berlin sei wunderschön und räumlich ein Erlebnis. Für die Kunst aber nur selten passend. »Mir war es wichtig, feste Wände zu haben. Sie können doch ein bedeutendes, millionenschweres Bild nicht auf eine Pappwand hängen«, so Liesbrock, für den der Neubau ein Herzens- und Abschiedsprojekt war, da er zeitgleich zur Eröffnung die Leitung nach fast 20 Jahren an Dr. Linda Walther abgegeben hat. Die acht Räume sind unterschiedlich groß und proportioniert, vier von ihnen haben wohlüberlegte Fensteröffnungen – auf jeder Fassadenseite eine, die jeweils andere Ausblicke ermöglichen. Die Fenster sind tatsächlich eher für den Bezug und Ausblick nach außen gedacht als zur Belichtung. Dies übernehmen die Sheddächer, von denen eines am Rand von außen als »Knick« in der Gebäudehülle ablesbar ist. Dunkle Türrahmen brechen die helle Erscheinung und wirken wie ein Augenblinzeln zwischen den einzelnen Räumen. Handwerklich gewischte weiße Wände bieten einen Hintergrund, der zwar neutral ist, aber gleichzeitig die Lichtstreuung begünstigt und eine gewisse Tiefenwirkung erzeugt, die ganz flächig gestrichene Oberflächen nicht bieten. Dies passt zu den Bildern von Albers, die für so manchen Zweifler recht profan wirken mögen, aber eben doch weit mehr sind als einfache Farbflächen. Auch für Albers war der Untergrund entscheidend: Er malte vorwiegend auf Hartfaserplatten und nicht auf Leinwand, damit er einen Widerstand, ein Gegenüber hat. Eine schöne Vorstellung, dass sich Architekten und Bauherr ebenso Gedanken um den Untergrund machen. Insgesamt merkt man die Wertschätzung der Kunst im Allgemeinen und der Bilder von Josef Albers im Besonderen: Es gibt wenige Einbauten, auch die Technik fällt kaum auf, selbst Beschriftungen und Texttafeln gibt es auffallend wenige. Dies schafft die angemessene Aufmerksamkeit für die Exponate, den Raum und die Umgebung. Da sich alle acht Ausstellungsräume im 1. OG befinden und man diese auch ebenerdig vom Bestandsbau aus betritt (den Höhenunterschied hat man bereits draußen mit der Treppe bzw. Rampe überwunden), wirkt der Bau zumindest von innen wie ein Eingeschosser. Zwei im Regelfall geschlossene Türen sind nur ein winziger Hinweis darauf, dass es noch mehr gibt: Dahinter verbirgt sich die Treppe nach unten. Hier befinden sich neben Werkstatt, Kunstdepot, einem Büro und der Bibliothek auch zwei Museumspädagogik‧räume, die für Workshops, Schulklassen und Kurse genutzt werden. Dunkler Boden, dunkle Einbauten, weiße Wände – auch im EG zieht sich die zurückhaltende, aber wertige Gestaltung durch. Nicht ganz so repräsentativ wie die Ausstellungsebene, das muss und soll es ja aber auch gar nicht. Stäbchenparkett ist deutlich preiswerter als der oben verlegte Eichenboden, aber doch eleganter als manch günstige Lösung. Die Fenster unten sind ebenso großzügig und bodentief wie in der Ausstellungsebene. Es könnte schlechtere Arbeitsplätze geben als das kleine Büro mit Blick in den Stadtgarten.

Wenn man Unstimmigkeiten sucht, findet man sie, das ist fast überall so. In diesem Fall sind die Fenster noch nicht ganz fertig, die finale Aufblechung fehlt noch. Da war der Druck des Eröffnungstermins groß und eine fehlende Abdeckung leichter zu verschmerzen als ein Verschieben der Ausstellung. Wer nicht danach sucht, bemerkt es womöglich gar nicht. Zwischen den nächsten Ausstellungen wird dies dann noch gerichtet. Ansonsten sind – wenn es nach den Architekten und dem bisherigen Direktor geht – zunächst keine Veränderungen nötig oder geplant.

db, Di., 2022.12.06



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07. Dezember 2021Anke Geldmacher
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Zur Nachahmung empfohlen

Öffentliches Bauen hat seine Vor- und Nachteile. Wenn Bauherr, Nutzer und Architekt Hand in Hand arbeiten, kann sich das sehen lassen. Mit dem Kinderhaus in Schwäbisch Hall entstand ein Gebäude, das Kindern und Eltern Freude macht, dem Personal die Arbeit erleichtert und auch der Umgebung gut zu Gesicht steht.

Öffentliches Bauen hat seine Vor- und Nachteile. Wenn Bauherr, Nutzer und Architekt Hand in Hand arbeiten, kann sich das sehen lassen. Mit dem Kinderhaus in Schwäbisch Hall entstand ein Gebäude, das Kindern und Eltern Freude macht, dem Personal die Arbeit erleichtert und auch der Umgebung gut zu Gesicht steht.

Die »Tageseinrichtung für Kinder am Solpark« befindet sich in Schwäbisch Hall-Hessental, dem größten Stadtteil der, anders als der Name es vermuten lässt, eher fränkisch geprägten Stadt. Wie viele Kommunen kommt auch die große Kreisstadt dem Andrang an Kinderbetreuungsplätze kaum hinterher. Hier sind bekannte große Arbeitgeber sowie zahlreiche »Hidden Champions« angesiedelt. Bei den steigenden Miet- und Baupreisen ist einigen auch die gute Stunde Fahrt bis Stuttgart einen Umzug ins Hohenlohische wert. Die Einwohnerzahlen steigen, die Kitaplätze sind knapp – kein seltenes Bild. Ein schwarzer Kindergarten dagegen schon.

Auf den ersten Blick ist die Lage des 2020 eröffneten Kinderhauses zugegeben nicht besonders einladend: Zur einen Seite ein Industriegebiet, nicht weit vom Flugplatz, zur anderen Seite typische Neubaugebiete. Doch durch eben diese Neubaugebiete und auch für die Angestellten der zahlreichen Firmen besteht genau hier Bedarf. Zudem schimpft ein Fachhandel für Elektromotoren wohl eher weniger über spielende Kinder. Und dann wartet das Grundstück natürlich mit dem größten Pluspunkt auf: Platz. Sicher hätte man auf weniger Fläche auch bauen können, eine eingeschossige Anlage bietet aber insbesondere bei Kindergärten mehrere Vorteile: Komplizierte Rettungswege entfallen, Treppengitter und andere Sicherungsmaßnahmen sind nicht nötig, alle haben gleichermaßen Zugang zum Garten, auch ein Treffen und Mischen der Gruppen ist – sofern die aktuelle Pandemie es zulässt – wesentlich einfacher. »In der ersten Euphorie plant man eine Rutsche von einem Geschoss ins andere, aber in der Realität ist das alles viel zu kompliziert«, sagt Architekt Wolfgang Borgards.

Auffällig unauffällig

Zwischen den Werkshallen, Büros und etwas weiter weg den Wohnhäusern entdeckt man den eingeschossigen Baukörper gar nicht sofort. Wenn man den schwarzen Holzbau aber gefunden hat, passt dieser doch genau so hierhin und wirkt alles andere als unscheinbar. Die dunkle Fassade ist ungewöhnlich, vor allem für ein Kinderhaus. Wolfgang Borgards vergleicht sie mit einem »etwas größeren Gartenzaun«. Er darf das sagen, sein Büro K9 Architekten hat das Kinderhaus entworfen. Durch die Holzmaserung, die hellen Einschnitte, großzügigen Fenster und die angedeuteten Giebel erhält es einen einladenden, fast schon warmen Charakter. In das doch zahlreich vorhandene Grün der Umgebung fügt sich das Schwarz wunderbar ein und fällt ins Auge, ohne sich aufzudrängen. Die weißen Fenster – wegen des Witterungsschutzes aus Aluminium – wirken auf dem dunklen Hintergrund fast noch ein bisschen weißer. Die Dachaufsätze geben dem Baukörper Struktur und lassen ihn beinahe wie kleine Häuser wirken, was sich im Innern noch deutlicher abzeichnet. Die Flachdächer sind begrünt, auf den Schrägdächern befinden sich Solarpaneele.

Während das Haus zur Straße und zu den Seiten noch nicht viel preisgibt, öffnet es sich auf der Gartenseite umso mehr. Die Flügel rahmen den Garten ein, alles scheint nach draußen zu drängen. Durch die großen Einschnitte und Rücksprünge sind die Fenster und Türen hier geschützter und daher in Lärchenholz ausgeführt. Das macht das Ganze noch wärmer und irgendwie auch kindgerechter. Im Mittelpunkt der Außenanlage steht das obligatorische Klettergerüst, auffällig und prägend sind aber auch die zwei riesigen erhaltenen Apfelbäume. Eine Saftpresse war zum Zeitpunkt der Besichtigung gerade bestellt, die ersten Apfelkuchen bereits mit den Kindern gebacken. Ursprünglich sollte ein dritter Baum erhalten bleiben, dieser stand dann aber doch zu nah an der Fassade der Kleinkindgruppe und wurde durch einen neu gepflanzten ersetzt. Am Rand verläuft eine »Rennstrecke«, die mit ihrer geringen Steigung ideal für Bobbycar, Roller und Co. geeignet ist. Bis auf das Klettergerüst ist der Außenbereich eher frei und lässt Platz für eigene Spiele und Ideen. Auch die Trennung zwischen den über und unter Dreijährigen fällt mit einem kleinen Höhenunterschied sehr dezent aus. Beide Bereiche haben eigene vorgelagerte Terrassen. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man in den Holzfassaden mehrere Türen, die praktische Lagerflächen beherbergen. Die Frage nach Gestaltung oder Funktion wird im Kinderhaus mit einem klaren »beides!« beantwortet.

Schloss oder Dorf?

Der großzügig bemessene, helle Eingang lädt mit einer langen Bank, zum Verweilen ein, obwohl es sich lohnt, hineinzugehen. Die drei Satteldächer – zwei an der Straßenfront, eines am hinteren Teil – lassen die Struktur schon etwas erahnen. Die kleinteilige Gliederung erinnert an ein Dorf, die Architekten reden auch von Schlossflügeln. Das klingt etwas sehr herrschaftlich, macht aber durchaus Sinn. Das erste »Haus« beherbergt den gemeinschaftlich genutzten Teil. Wenn nicht gerade coronabedingt die Hintertüren genutzt werden müssen, kommen die Kinder hier an und verteilen sich auf die Gruppen. Dieses Foyer ist relativ groß bemessen und kann für Veranstaltungen sogar noch größer werden, indem der daran anschließende Essensraum zugeschaltet wird. In Anbetracht der drei Krippengruppen (unter drei Jahre) im hinteren Haus und vier Ü3-Gruppen im zweiten vorderen Haus mit Platz für insgesamt 130 Kinder macht es aber durchaus Sinn. Dank der Dorf-, Häuser- oder Schloss-Struktur hat man nie das Gefühl der Massenabfertigung, es verläuft sich.

Zwischen den Häusern befinden sich die Flure, Garderoben und Nebenräume wie Sanitärbereiche oder Büros. Die Flure sind teilweise lang, dank Oberlichtern sowie bewusst platzierten Öffnungen und Blickachsen aber immer hell und freundlich. Wie schon die Fassaden, sind auch die Innenräume sehr geradlinig gestaltet, aber nie kahl oder kühl. Diese Einrichtung ist für Kinder gemacht, ohne das permanent herauszuschreien.

Farbe kam selbstverständlich auch zum Einsatz: In den Gruppen- und Gemeinschaftsräumen befinden sich meist vollflächig über eine Wand verteilt Einbauschränke, die mit fröhlichen, jedoch nicht zu grellen Farben akzentuiert sind. Während der Kleinkindbereich über klassische Gruppentrennungen verfügt, die durch Glastüren verbunden sind, gilt im Ü3-Bereich ein offenes Konzept. Die Räume sind nicht den Kindern zugeordnet, sondern den Funktionen. So suchen sich die Kleinen aus, ob ihnen eher nach Theater, Atelier oder Baustelle ist. Insgesamt hat man das angenehme Gefühl, dass sowohl der Innen- als auch der Außenbereich die Bühne für die Kinder ist; welches Stück gespielt wird, entscheiden sie selbst. Die Räume geben nicht zu viel vor, bieten aber jede Menge Möglichkeiten. Auch das Gebäude selbst soll als Inspiration und gutes Beispiel dienen. »Ich finde den Gedanken schön, dass die Kinder sagen: ›Ich hab hier ein einigermaßen schönes Haus, einen Holzbau, so geht Bauen auch‹‹ sagt Wolfgang Borgards. Vielleicht wird hier ja auch der eine oder andere Baumeister groß, den passenden Architektentisch gibt es im Baustellenzimmer bereits.

Selbstverständlich dreht sich vieles um die Kinder, gute Arbeitsbedingungen für das Personal sind aber ebenfalls wichtig. Ein schönes Beispiel, wie hier an Kinder und Erzieherinnen gleichermaßen gedacht wurde, sind die sogenannten Schleusen: Großzügig bemessene, helle Bereiche mit viel Platz für Gummistiefel und Matschhosen sowie die direkt angeschlossenen kleinen Sanitärräume machen den Kleinen Spaß und den Großen die Arbeit leichter.

Zufriedenheit auf allen Seiten

Dass hier alle berücksichtigt wurden, liegt u. a. an der guten Zusammenarbeit von Architekturbüro, Bauherr und Kinderhaus. Von Anfang an – den offenen Wettbewerb gewannen K9 Architekten 2017 – wurden alle Beteiligten mit ins Boot geholt. Doch es wäre kein öffentliches Bauen, wenn es nicht auch Kompromisse gäbe. Gerne hätten die Architekten in den Gruppenräumen die gleichen hochwertigen Holz-Akustikdecken wie in den Gemeinschaftsräumen verwendet und auch die Industrie-Oberlichter waren nicht die erste Wahl. Im Endeffekt war es ein Abwägen, an welchen Stellen der Mehrwert besser eingesetzt war. Das Ergebnis ist ein wirklich schönes Haus – mit Gestaltungswillen und ästhetischem Anspruch, jedoch ohne Eitelkeiten.

db, Di., 2021.12.07



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03. Dezember 2018Anke Geldmacher
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Schauspielwiese

Passend zu seiner Funktion hält sich das neue Probebühnenzentrum des Deutschen Theaters in Berlin eher im Hintergrund. Drei übereinander gestapelte Bühnen nutzen die begrenzte Fläche gut aus und bieten den Theaterschaffenden Raum zur Entfaltung. Gleichzeitig vermittelt der Baukörper geschickt zwischen den Bauten der Umgebung.

Passend zu seiner Funktion hält sich das neue Probebühnenzentrum des Deutschen Theaters in Berlin eher im Hintergrund. Drei übereinander gestapelte Bühnen nutzen die begrenzte Fläche gut aus und bieten den Theaterschaffenden Raum zur Entfaltung. Gleichzeitig vermittelt der Baukörper geschickt zwischen den Bauten der Umgebung.

Theater sind repräsentativ und oftmals opulent gestaltet: Schmuckreiche Fassaden, Vorplatz, großer Eingang, Foyer, viel Tamtam. So auch beim ­Deutschen Theater (DT) in Berlin, erbaut 1849-50 von Eduard Titz. Die dazugehörigen Probebühnen führen ein Dasein in zweiter Reihe. Sie liegen versteckt und sind kaum zu finden – von einem großen Vorplatz und großem Aufsehen ganz zu schweigen. Aber das brauchen sie ja auch nicht. Im Grunde ist das neue Probebühnenzentrum des Deutschen Theater wie eine Souffleuse: Es hält sich verdeckt am Bühnenrand, aber ohne gerät das Stück ins Stocken. Hier spielt die Musik, bevor auf der großen Bühne der Vorhang fällt. Hier werden Texte gelesen, Bühnenbilder ausprobiert und natürlich die Stücke geprobt. Dazu kommt der beachtliche Teil an Lager und Logistik: Um dem anspruchsvollen Theater­publikum ausreichend Abwechslung bieten zu können, wechseln die Stücke innerhalb einer Spielzeit mehrfach munter durch. Mit nur einem Stück, das über die gesamte Saison gespielt wird, kann sich kaum ein Haus mehr sehen lassen – schon gar nicht in der Hauptstadt mit annähernd 100 Spielstätten. Dadurch müssen Kulissen häufig auf- und abgebaut sowie gelagert werden. Zudem benötigt das Theater einen Ort, an dem Bühnenbilder entwickelt und ausprobiert werden können. Das muss nicht zwangsweise in direkter Nachbarschaft passieren, doch je näher dies zur Spielstätte ist, desto komfortabler und einfacher gestalten sich die Arbeitsabläufe. Das neue Probebühnenzentrum des DT bietet genau diesen Komfort und führt erstmals den gesamten Probenbetrieb des Theaters an einem zentralen Ort zusammen.

Anspruchsvolle Nachbarschaft

Der Weg dahin war nicht unbedingt einfach. Als die Architekten Gerkan, Marg und Partner 2010 im Rahmen des Wettbewerbs das geforderte Raumprogramm durchgingen, lautete eine der zentralen Fragen: »Wie soll das alles in den engen Hof passen?« Das Platzangebot war nicht nur begrenzt, zudem galt es, den verschiedenen Traufhöhen, Baustilen und nicht zuletzt dem Denkmalschutz gerecht zu werden. Das Theater liegt in der historischen Friedrich-Wilhelm-Stadt in Berlin-Mitte. Der für das Probenzentrum vorgesehene Hof grenzt an den Campus der Charité sowie an das von Carl Gotthard Langhans erbaute Tieranatomische Theater und seine Erweiterungsbauten. Die Architekten setzten auf klare Linien und Strukturen und gingen das Ganze recht pragmatisch an. An den Größen der nachzubildenden Bühnen – zweimal die große Bühne des DT, einmal die kleine Bühne der Kammerspiele – war nicht zu rütteln, ebenso wenig am Standort. Sie stapelten die Bühnen aufeinander und ordneten die Nebenräume in zwei schmaleren Gebäudeteilen an den Seiten an. Die L-Form fasst den Hof ein und bildet nun eine klare Grenze zur Nachbarbebauung, jedoch ohne sich abzuschotten. Die unterschiedlichen Gebäudehöhen vermitteln zwischen dem 25 m hohen Hauptteil und den Traufhöhen des Tieranatomischen Theaters und der Hofbebauung. Steht man direkt davor, wirkt der Neubau durchaus groß, die Staffelung in der Höhe und Tiefe nimmt ihm aber seine Wucht und lässt ihn angemessen und maßstäblich erscheinen. Unterstützt wird dies zusätzlich von den vertikalen Fensterbändern, die den Blick förmlich nach oben ziehen. Längsstreifen machen schlank, das gilt auch in der Architektur.

Der Zugang erfolgt entweder über den Bühneneingang des DT oder über eine kleine unscheinbare Zufahrt von der Luisenstraße. Dieses »Nadelöhr« war während der Bauphase auch der einzige Weg für Baustellenfahrzeuge und führte im Vorfeld zu Bedenken. Den eher praktisch veranlagten Bauleuten machte das aber scheinbar wenig aus; quasi über Nacht stand ein großer Bagger im Hof – wie der dorthin kam, wissen die Architekten bis heute nicht. Von der Luisenstraße und vom Tieranatomischen Theater aus hat man als Außenstehender Gelegenheit, zumindest einen kleinen Blick auf das Gebäude zu erhaschen. Etwas versteckt liegend, weckt es die Neugier beim Betrachter – man weiß nicht so recht, was sich hinter den geschlossenen Putzfassaden mit den wenigen, akzentuierenden Fensterbändern abspielt. Die helle Putzoberfläche passt zum einen gut in die Umgebung und freut die Denkmalschutzbehörde, zum anderen bildet sie einen edlen, neutralen Rahmen. gmp bezeichnen sie daher als Passepartout für das denkmalgeschützte Ensemble. Einen Kontrast bildet die hinterlüftete Sockelfassade: Hier kam robuster Betonwerkstein zum Einsatz, da dieser Bereich stärker beansprucht wird. Die anthrazitfarbenen Fertigteile sind ebenfalls vertikal ausgerichtet und wechseln sich mit Glasflächen und dunklen Toren ab.

Im östlichen Gebäudeteil befindet sich die Anlieferung mit einem 3 x 6 m großen Lastenaufzug. Dieser verteilt Material und Kulissen auf die entsprechenden Bühnen oder in die Lagerflächen. Im EG befinden sich neben der kleinen Probebühne der Kammerspiele auch das Zwischenlager, Tischlerei, Schlosserei, Malwerkstatt und Näherei. Das DT verfügt über eine große Tischlerei und eine Schlosserei an einem externen Standort, die kleineren Werkstätten vor Ort erledigen das Tagesgeschäft und können spontane Reparaturen übernehmen. Im Gegensatz zu den eher geschlossen Obergeschossen verfügt das EG über großflächige Öffnungen. So hell, aber auch so öffentlich haben die Werkstattmitarbeiter vermutlich noch nie gearbeitet. Anfangs war dies wohl etwas gewöhnungsbedürftig, inzwischen schätzt man aber das Tageslicht und freut sich darüber, dass man nicht wie andernorts in den Keller verbannt wurde. Dies wäre auch gar nicht möglich, da das Gebäude über kein UG verfügt.

Keller im 3.OG

Ursprünglich war ein Keller für Technik und Lagerräume vorgesehen. Wegen des hohen Grundwasserspiegels wäre dafür aber eine Grundwasserabsenkung erforderlich gewesen. Dies hätte rund ein Drittel des Gesamtbudgets verschlungen. Also musste eine andere Lösung gefunden werden. Weiter in die Höhe zu gehen war nicht möglich. Ursprünglich waren die zwei großen Probebühnen gleich hoch und mit Schnürboden geplant. Dabei handelt es sich um den Raum über der Bühne, wo die Seile befestigt sind, an denen Kulissen herabgelassen und hinaufgezogen werden können. Der Bauherr zeigte sich – wie im gesamten Planungsprozess – sehr kooperativ und entschied sich zugunsten der Lagerfläche gegen einen zweiten Schnürboden. Der »Keller« befindet sich nun im 3. OG und wurde zwischen den beiden großen Bühnen ins Tragwerk versetzt. Dieses Lagergeschoss ist 3 m hoch und überspannt die große Bühne. Die mittlere Bühne verfügt daher »nur« über eine Gitterdecke, an der aber ebenfalls Gegenstände befestigt werden können.

Werkstattcharakter

Bis auf die Höhe und die geringere Größe der Kammerspielbühne sind alle drei Probebühnen gleich ausgestattet: Hochwertiger Bühnenboden, Wandbekleidungen aus Multiplex, darüber schwarze Heraklithplatten für die Raumakustik sowie umlaufende schwarze Vorhänge und ­eine schwarze Gitterdecke bzw. der Schnürboden der oberen Bühne. Alle Bühnen verfügen über eine Drehscheibe, wie sie auch auf den Originalbühnen eingebaut ist. So lassen sich die Bühnenbilder unkompliziert bewegen und die Abläufe während der Aufführung originalgetreu ausführen. Aus Kostengründen sollte zunächst auf eine der Drehscheiben verzichtet werden, eine großzügige Spende des Fördervereins ermöglichte auch die dritte. Die beiden großen Bühnen verfügen zudem über eine umlaufende Galerie für Scheinwerfer und Tontechnik. Viele Probebühnen sind große schwarze Räume, in denen man schnell die Tageszeit und den Außenbezug vergisst. Hier sorgen die schmalen, vertikalen Fensterbänder für Tageslicht. Besonders beliebt sind die Fenster auch, um sich zwischendurch eine Zigarette anzuzünden, wenn es beim Proben einmal emotionaler wird. In den Räumen ist der Nutzer der Chef: Mit nur wenigen Handgriffen lässt sich der helle Raum mit freien Holzoberflächen und Tageslicht in eine fast völlig schwarze Umgebung verwandeln, die sich gestalterisch zurücknimmt. Die Wände müssen robust sein, da oft geschraubt, gehämmert und getackert wird. In der bereits vorhandenen Probebühne 1 in einem der Nebengebäude des DT sind die Wände mit OSB-Platten bekleidet. Diese reißen leicht aus und sehen schnell nicht mehr schön aus. Multiplex war hier eine verhältnismäßig günstige und attraktive Alternative. Sollten die Platten irgendwann zu abgenutzt sein, können sie einfach abgeschraubt und ausgetauscht werden. Wie praktisch, dass sich die Holzwerkstatt nur wenige Meter entfernt befindet.

Insgesamt sind die Räume sehr flexibel und funktional. Sie bieten Nutzern viele Möglichkeiten, ordnen sich unter und unterstützen die Kreativität der Theaterschaffenden. So wurden z. B. die Teeküchen und Garderoben, die sich auf jeder Etage befinden, vom DT selbst ausgestattet. »Wir haben uns bemüht, ein sehr stabiles Haus zu bauen, das dies alles aushält. Das Deutsche Theater ist nicht zimperlich mit dem Gebäude und darf das auch«, sagt Architekt Christian Hellmund zum gewollten Werkstattcharakter. Aufgrund der Materialien und der klaren Gestaltung ist das Probebühnenzentrum eine vergleichsweise schicke Werkstatt.

In den Treppenhäusern rückten die Architekten ein wenig vom Werkstatt­charakter ab: Hölzerne Brüstungen und roter Boden verleihen ihnen ein elegantes Erscheinungsbild. Die Farbe kommt nicht von ungefähr: Bodenbeläge, Wandfarben und Innentüren sind im Corporate Design des DT festgelegt und gelten auch für das Probebühnenzentrum. Dies unterstreicht die Wert­schätzung und zeigt, dass der Neubau eben doch etwas mehr als ein Funktionsbau ist.

db, Mo., 2018.12.03



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01. Dezember 2017Anke Geldmacher
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Geborgener Schatz

Bei einem Museumsbesuch konzentriert sich alles auf die Exponate. Dass diese aber auch gelagert, untersucht und restauriert werden müssen, bleibt dabei unbemerkt. Wie umfangreich und anspruchsvoll das Raumprogramm jedoch auch für diese Anforderungen ist, zeigt das neue Sammlungs- und Forschungszentrum (SFZ) der Tiroler Landesmuseen nahe Innsbruck.

Bei einem Museumsbesuch konzentriert sich alles auf die Exponate. Dass diese aber auch gelagert, untersucht und restauriert werden müssen, bleibt dabei unbemerkt. Wie umfangreich und anspruchsvoll das Raumprogramm jedoch auch für diese Anforderungen ist, zeigt das neue Sammlungs- und Forschungszentrum (SFZ) der Tiroler Landesmuseen nahe Innsbruck.

Der Neubau befindet sich auf dem Areal des ehemaligen Landesbauernhofs in Hall in Tirol – außerhalb von Naturgefahren, verkehrstechnisch gut angeschlossen und für alle Landesmuseen zentral gelegen. Bisher gab es elf verschiedene Depots an acht Standorten, die jetzt zusammengelegt wurden. ­Exponate müssen nun nicht mehr umständlich durch die Gegend gefahren werden und auch für die Mitarbeiter entfällt das Pendeln zwischen mehreren Standorten. Außerdem wird in den Landesmuseen so wertvolle Ausstellungsfläche frei. Zusätzlich zu den Lager-, Büro- und Forschungsräumen wurden auch moderne Werkstätten untergebracht, die sowohl für die Museen als auch für das Depot selbst arbeiten.

Der flache, dunkle Baukörper wurde in den Hang eingegraben. Man könnte sich aber ebenso gut vorstellen, dass hier eine Schatztruhe ausgegraben wurde, die nun entdeckt werden will. Wie bei der klassischen Schatztruhe geht es auch beim SFZ in erster Linie um den wertvollen Inhalt: Nicht weniger als der »Kunstschatz Tirols« wird hier aufbewahrt. Dabei handelt es sich nicht um ein opulentes Einzelstück, sondern um Millionen historischer Kostbarkeiten aus Tiroler Landesmuseen mit einem geschätzten Wert von über einer Milliarde Euro. Dazu gehören Gemälde, ein Fuß einer Mumie, Skulpturen, Möbel, Musikinstrumente sowie eine Million konservierter ­Alpenschmetterlinge. Dass man solch einen Schatz nicht im Pappkarton aufbewahrt, versteht sich von selbst, daher macht auch die »Verpackung« etwas her.

2013 lobte das Amt der Tiroler Landesregierung einen offenen Wettbewerb aus, den franz & sue aus Wien – damals noch Franz Architekten – für sich entscheiden konnten. »Hier konnten wir die Traumansicht eines Architekten zeichnen: Vier Linien sonst nichts, und es ist tatsächlich so geworden«, erinnert sich Erwin Stättner, einer der fünf Geschäftsführer des Architekturbüros. Denn nach außen präsentiert sich das SFZ ganz geschlossen mit seiner dunklen, an eine Rüstung erinnernden Fassade aus glasfaserverstärkten Beton­platten (FibreC). Für die Ausbuchtungen in einigen der Platten wurde ein XPS-Abdruck eines originalen Faustkeils erstellt. Der zähflüssige Beton läuft über diese Form und wird nach dem Trocknen in die richtige Plattengröße ­geschnitten. Nur der Eingang, die Anlieferung und die Schreinerei haben Öffnungen, und selbst diese sind nur zu Betriebszeiten bzw. bei Bedarf geöffnet. Tritt man durch das große, rote Eingangsportal, versteht man schnell das »Zwiebelprinzip«, nach dem einzelne Funktionen von außen nach innen angeordnet sind. Im äußersten Ring befinden sich die Depotflächen, danach folgt ein Erschließungsgang, im Kern befinden sich dann die Arbeits- und Atelierräume rund um ein begrüntes Atrium.

Natürliches Holz, Glas und viel Grün sorgen für eine freundliche, einladende Atmosphäre im Innenhof, der gern für eine Pause genutzt wird. Betrachtet man jeweils ein Foto von Innen und Außen, kommt man kaum darauf, dass es sich um ein und dasselbe ­Gebäude handelt. So gesehen sind nicht nur die Exponate, sondern auch das Atrium der Schatz, den man von außen nur erahnen kann.

Aufgrund des wertvollen Inhalts ist das Gebäude nicht öffentlich zugänglich. Um die Exponate zu schützen, hat auch jedes Depot eine Schleuse mit ­Doppeltür – um unerlaubtes Betreten zu verhindern, aber auch um das Raumklima zu schützen. Gewünscht waren möglichst wenig Technik und geringe Betriebskosten. Gleichzeitig erfordern insbesondere die Lagerräume ein konstantes Klima – 19 °C Temperatur und 50 % Luftfeuchtigkeit. Ähnlich wie bei einem Weinkeller entstand die Idee, den Großteil des Gebäudes einzugraben und auf umfangreiche Klimatechnik zu verzichten – Basisklimatisierung durch Erdreich. Ganz ohne Klimatechnik kommt das Gebäude natürlich nicht aus: Ein 0,1-facher Luftwechsel sorgt für einen kontinuierlichen Luftaustausch in den Räumen. In den Depots wurde zudem ein feuchtigkeitsregulierender Kalkputz aufgebracht. Die vermeintlich einfachen Lösungen sind nicht immer die günstigsten: Der Aushub war mindestens genauso teuer wie eine technische Klimatisierung gewesen wäre. Auf lange Sicht ist diese Variante dann aber doch günstiger, da ja ein Großteil der Betriebskosten wegfällt. Außerdem ist diese Lösung quasi wartungsfrei.

Im Innenraum dominieren Sichtbetonwände, mineralischer Boden und Holzwolle-Deckenplatten. Aufgelockert wird die eher kühle Gestaltung durch rote Details wie die Sitzbank im Eingangsbereich, das Leitsystem an den Wänden und das markante Treppenauge. Alles an und in diesem Gebäude wirkt logisch und am rechten Platz.

Das liegt u. a. am festen Raumprogramm, da Lagergrößen, Technik, Labore und insbesondere die ­klimatischen Bedingungen nicht flexibel waren. Und genauso pragmatisch und konsequent machten sich die Architekten an die Bauaufgabe, immer in enger A­bstimmung mit dem Bauherrn: Da eine innenliegende Entwässerung zu ­große Risiken birgt, dass Feuchtigkeit ins Gebäude langt, wurde das vermeintliche Flachdach an allen Seiten um 2 ° nach innen geneigt, sodass zum Innenhof hin entwässert wird. Um die Trennung zwischen Laboren im inneren Ring und den Lagerflächen im äußeren zu verdeutlichen, war von Anfang an eine Deckenfuge geplant. Um auf Revisionsöffnungen in den Decken verzichten zu können, hat man alle Installationsleitungen an den Rand gelegt und aus der Fuge wurde ein 60 cm großer Abstand, der gleichzeitig als Revisionsgang dient. Auch die »runden Ecken« im Gang entstanden erst später: Zunächst waren sie »ganz klassisch« im 90 ° Winkel geplant. Im Laufe der Planung stellte man aber fest, dass ein bestimmter Schlitten aus dem Lager nicht um die Kurve kommt. Daraufhin wurden Schleppkurven gezeichnet und der nötige Radius ermittelt, damit der Schlitten vorbeipasst. »Im Nachhinein ­gefällt uns diese Lösung sogar besser als die eckige Variante«, so Stättner. Von einer Notlösung kann also nicht die Rede sein.

Eine Ausnahme im Gebäude bildet die Schreinerei: Hier fliegt Holzstaub durch die Gegend, es wird gebohrt und gesägt. Stöckelpflaster aus Eiche betont den handwerklichen Charakter und ist gleichzeitig sehr belastbar. Wegen der Anlieferung, aber auch wegen der Lärm- und Staubbelastung hat man sich dagegen entschieden, diesen Raum nach innen zu legen, nur weil er Öffnungen benötigt. Diese sind aber keine klassischen Fenster, stattdessen werden je nach Bedarf ein paar der Fassadenfelder aufgeklappt. Nach der Arbeit wird alles wieder geschlossen und nur ein sehr geschultes Auge erkennt, welche Felder geöffnet werden können. Und wenn man schon sucht, findet man vielleicht auch den kleinen roten Punkt, der die Stelle markiert, an die der Chip gehalten werden muss, um die Eingangstür aufzuklappen.

Ohne den Hilfspunkt müsste manch einer vielleicht mühevoll die Fassadentafeln abzählen, um Einlass zu erhalten. Aber eine Schatzkiste öffnet sich schließlich nicht einfach so.

db, Fr., 2017.12.01



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