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05. Dezember 2016Anke Lieschke
db

Wenn der Bauherr selber baut

Das vorhandene Gebäude des Bauunternehmens Karl Köhler wurde im Laufe der Zeit zu klein — eine Erweiterung musste her. Nun hätte man einfach möglichst schnell und möglichst günstig einen Standardbau errichten können. Glücklicherweise haben sich die Bauherren aber gegen diesen einfachen Weg entschieden: Das Ergebnis ist eine gebaute Visitenkarte aus Beton – und arbeiten kann man darin auch.

Das vorhandene Gebäude des Bauunternehmens Karl Köhler wurde im Laufe der Zeit zu klein — eine Erweiterung musste her. Nun hätte man einfach möglichst schnell und möglichst günstig einen Standardbau errichten können. Glücklicherweise haben sich die Bauherren aber gegen diesen einfachen Weg entschieden: Das Ergebnis ist eine gebaute Visitenkarte aus Beton – und arbeiten kann man darin auch.

Rund 25 km nördlich von Stuttgart liegt Besigheim, eine beschauliche Kleinstadt mit knapp 12 000 Einwohnern. Der Ort liegt an der Württemberger Weinstraße und der Südroute der Deutschen Fachwerkstraße. Die Hänge an Neckar und Enz sind eine wichtige Weinlage der Region. Ebenfalls sehr beliebt sind die Hessigheimer Felsengärten. Auf genau diese schaut man aus den Fenstern des Bauunternehmens Karl Köhler, das am Rande Besigheims direkt am Neckar liegt. Nähert man sich dem Grundstück sieht man von Weitem schon die Felsengärten, aber auch Fahrzeuge und einen Baukran, die eindeutige Indizien für ein Bauunternehmen sind. In diesem Umfeld rechnet man nicht unbedingt mit einem Sichtbeton-Bau mit vielen Details und Raffinessen – dennoch wirkt das Gebäude nicht fremd, sondern steht selbstbewusst und selbstverständlich da.

Die Firma wurde 1923 von Karl Köhler gegründet und wird heute in dritter Generation von den Brüdern Karl und Horst Köhler geführt. Das Leistungsspektrum reicht vom Industrie- und Gewerbebau über den Wohnungsbau bis hin zum Ingenieurbau. Horst Köhler vergleicht die Palette mit dem Sortiment einer Bäckerei: »Wir als Rohbauer machen alles, von Schwarzbrot bis zu ­süßen Stückle.« Qualitativ hochwertig ausgeführter Sichtbeton hat sich mit den Jahren zu einer ihrer Spezialitäten entwickelt. Denn warum auch immer – wirklich gut ausgeführte Sichtbetonbauten sind in Deutschland leider immer noch eine Rarität. Karl Köhler scheint das aber gut zu gelingen, daher stammen Rohbau und Fassade des Neubaus selbstverständlich aus Bauherrn-Hand. Wie beim gesamten Bauvorhaben wählten die Bauherren ihren eigenen, nicht immer einfachen Weg. Statt einen befreundeten Architekten direkt zu beauftragen, lobten sie einen Wettbewerb mit sechs gesetzten Teilnehmern aus. Zur Jury gehörten neben den Geschäftsführern auch die Architekten Michael Kerker und Alexander Brenner sowie Andreas Janssen vom Stadtbauamt Besigheim. So hatte man technisches und gestalterisches Know-how und gleichzeitig auch schon einen Vertreter der Stadt mit im Boot. Die Jury entschied sich einstimmig für den Wettbewerbsentwurf von Wittfoht Architekten aus Stuttgart. Sieht man das Entwurfsmodell und den fertigen Bau, muss man schon genau hinschauen, um Unterschiede zu entdecken, so nah liegen Entwurf und Reali­sierung beieinander.

Schlichte Kubatur mit Raffinessen

Zweigeschossig scheint der Baukörper leicht über dem Grundstück zu schweben. Für diese Leichtigkeit sorgt eine deutliche Fuge zwischen Tiefgarage im UG und den beiden Bürogeschossen. Klare Kanten entstehen zum einen durch diesen Abstand und zum anderen durch die saubere Attika, die ohne störende Abdeckungen auskommt – dank des freiwilligen Verzichts auf die Einhaltung der DIN-Norm zugunsten der Gestaltung. An den großen Fenstern lässt sich das Gebäuderaster leicht ablesen. Die Laibungen der Fenster sind jeweils zu einer Seite hin abgeschrägt, sodass der Blick Richtung Felsengärten bzw. Neckar und Weinberge erweitert wird. Auf den ersten Blick fallen solche Feinheiten kaum auf, doch sind es gerade diese kleinen Details, die den Charme und die Qualität des Verwaltungsbaus ausmachen. Kiste ist eben nicht gleich Kiste.

Getragen wird das Gebäude vom regelmäßigen Stützenraster an den Außenkanten.

Unterzugsfreie Flachdecken und wenige innenliegende Kernwände tragen zur Aussteifung bei. Die Fassade ist als Außenschale vor dem Gebäude schwimmend gelagert und ohne Fugen ausgeführt, was den monolithischen Charakter unterstreicht. Die Oberflächen entsprechen der höchsten Sichtbetonklasse SB 4.

Damit keine Fallrohre die Außenansicht stören, sind die Gesimse mit einem leichten Innengefälle ausgestattet. Dies verhindert außerdem, dass stehendes Wasser an der Fassade herunterläuft und die Oberfläche beeinträchtigt. Um diese Gefälle auszubilden wurden die Schalungsabschnitte so gewählt, dass die Oberkanten der Gesimse die Oberkante des jeweiligen Abschnitts bilden.

Eines der zahlreichen Details findet sich auch direkt am Haupteingang: Tagsüber setzt sich des leicht stilisierte Firmenlogo in Sichtbeton dezent ab, abends bringen 7189 Lichtleitfasern unterschiedlicher Dicke das Logo im Betonfertigteil zum Leuchten. Wie auch im übrigen Gebäude wirkt dieser Effekt qualitativ hochwertig, aber nicht protzig, wie Bauherr und Architekt betonen. Gerade für ein schwäbisches mittelständisches Familienunternehmen scheint dieser Spagat zwischen hochwertiger Ausführung und Bescheidenheit sehr wichtig zu sein und ist hier durchaus geglückt. Dazu trägt auch die reduzierte Materialwahl aus Beton, Eiche und Crailsheimer Muschelkalk bei. Letzter kam im EG als Bodenbelag sowie für die Treppe am Haupteingang zum Einsatz. Damit sich der Ton des Muschelkalks nicht mit dem Sichtbeton beißt, erhielt der Fassadenbeton einen Zuschlag aus gemahlenem Muschelkalk.

Auf der Dachterrasse, die nur einen Teil der ansonsten extensiv begrünten Dachfläche einnimmt, bildet eine Pergola einen definierten Raum. Solche reinen »Gestaltungsentscheidungen« kommen heutzutage immer weniger vor. Was nicht unbedingt nötig ist, wird oftmals gestrichen. Eine weitere Überraschung erlebte Projektleiter Thomas Kindsvater bei der Planung dieser Pergola: »Im ersten Entwurf hatten wir mehr Stützen vorgesehen. Die Tragwerksplaner meinten dann, das ginge auch mit nur vier Stützen. Da haben wir natürlich nicht nein gesagt.«

Konsequente Materialwahl

Im Innern setzen sich die klare Formensprache und die Reduzierung auf ­wenig Material fort. Als Besonderheit wurden hier die Außenseite der Kerne gespitzt, also steinmetzmäßig bearbeitet. Dieses Beschlagen bringt eine völlig andere Oberfläche zum Vorschein, zudem sorgt ein Jura-Zuschlag im Beton für eine wärmere Atmosphäre als zuschlagsfreier Beton. Damit die Farbigkeit in jedem Betonierabschnitt gleich ist, musste u.a. sichergestellt werden, dass die Betonsilos jedes Mal gereinigt wurden und keine fremden Zuschläge in die Mischung gelangten.

Für die Schalungslöcher hat der Rohbauer Konen aus exakt der gleichen Mischung gegossen. Durch das Spitzen sind die Übergänge von Fläche und Zylinder kaum erkennbar. Die Innenseite der Kerne, z.B. die Treppenhauswände oder die Nebenräume, sind unbearbeitet glatt. Den Mittelpunkt des Gebäudes bildet ein zweigeschossiges Foyer, das über Oberlichter vom Dach großzügig belichtet wird. Mit schweren Vorhängen kann das Foyer vom Rest des EGs abgeteilt und beispielsweise für Veranstaltungen genutzt werden. Die Akustik ist dank der gespitzten Betonoberflächen, einer Holzlamellendecke und den Vorhängen angenehm. Um das Foyer herum sind die Arbeitsplätze in Zweibüros angeordnet. Lediglich die Geschäftsführer haben etwas mehr Raum zur Verfügung, was auch in der Fassade als einzige größere Fenster ablesbar ist. Die Büros sind ähnlich konsequent gestaltet wie der gesamte Bau: Betonwände, Fußboden und Fensterprofile aus Eiche, Glastrennwände zum Flur. Durch halbhohe Regale an den Schreibtischseiten bleibt Privatsphäre trotz der Glaswände gewahrt. Eine kleine Hommage an das Tätigkeitsfeld der Firma sind die Kleiderhaken im Einbauschrank: Hier hängt die Jacke an einem Stück Bewehrungsstahl. Akustikpaneele sorgen für Ruhe und ein wenig Farbe. Die Dämmebene ist innenseitig mit Eichenholzblindstützen verblendet, in denen auch die EDV-Unterverteiler sowie die Frischluftnachströmung integriert sind. Als eines der ersten Sichtbetonobjekte wird das Gebäude über eine oberflächennahe Betonkernaktivierung temperiert. Die vorgefertigten Kunststoffrohre liegen nur wenige Zentimeter über der Deckenunterseite, wodurch kurze Reaktionszeiten und eine unmittelbare Wirkung gewährleistet sind. Die Masse des Betons trägt ebenfalls zum guten Klima bei. Durch die Nutzung von Geothermie wird der geforderte EnEV-Wert um 20 % unterschritten.

Enge Abstimmung von Anfang an

Auch hier zeigt sich der Vorteil, wenn der Rohbauer schon früh in die Planung eingebunden wird. Laut Köhler kommen die ausführenden Gewerke meist viel zu spät dazu, sodass manche Dinge gar nicht mehr umgesetzt werden können, obwohl sie prinzipiell möglich wären. Bei diesem Projekt wäre vermutlich diese Variante der Kühlung kaum realisiert worden, wenn der ausführende Betrieb nicht gleichzeitig der Bauherr gewesen wäre.

Ein weiteres Detail, das bereits frühzeitig in der Planung und v.a. beim Bau berücksichtigt werden musste sind die Brandschutztüren, die an beiden Seiten des Treppenhauses zwischen EG und OG die Brandabschnitte trennen. Im Normalfall sind diese Türen um 180 ° geöffnet, dank der Eichen-Oberfläche passen sie ins Gesamtkonzept und fallen nicht weiter auf. Schließen sich die Türen, werden die exakten Aussparungen im Beton für die Türblätter und deren Beschläge sichtbar, sodass die Türen im geöffneten Zustand bündig mit der Wand sind – kleiner Eingriff mit großer Wirkung. So sind nahezu alle Elemente integriert, lediglich die Leuchten sind additiv.

Einen kleinen Wermutstropfen bildet die Fassade des Bestandsgebäudes, das im Zuge des Neubaus ebenfalls modernisiert wurde. Es wurde neu gedämmt und erhielt u. a. den gleichen Eichenfußboden wie der Neubau, sodass der Bodenbelag eine nahtlose Verbindung bildet. Wie schon vor der Sanierung sollte die Fassade zweigeteilt sein.

Durch die Leichtbauweise kam eine Betonfassade nicht infrage, daher entschied man sich für eine Holzbekleidung im OG und Klinker im EG. Die Holzpaneele passen gut zum Neubau, während die Klinkerfassade etwas fehl am Platz wirkt. Die Entscheidung für das gewohnte Material ist anderseits verständlich und bei allem Einsatz und Engagement sicher auch eine Kostenfrage – bitte nicht protzen. Dass es nicht überall funkeln muss und an manchen Stellen eben auch geringe Betonqualitäten ausreichen, zeigt z.B. das Fluchttreppenhaus, das durch Absturzsicherungen aus Draht und Betonfertigteilen einen etwas raueren Charakter als das restliche Gebäude hat.

Insgesamt wirkt der Neubau trotz der Details und Sonderlösungen angemessen und maßhaltig. Diese begehbare Visitenkarte ist wohl das Gegenteil von Investorenarchitektur, in der die Planer, Bauherren und Ausführenden nur selten Hand in Hand arbeiten. Gefragt, in welche Backwarenkategorie dieses Gebäude fällt, antwortet Horst Köhler übrigens nicht ohne Stolz auf das gelungene Projekt: »Torte«.

db, Mo., 2016.12.05



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Verwaltungsgebäude Karl Köhler



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db 2016|12 Redaktionslieblinge

01. Dezember 2015Anke Lieschke
db

Den Ort lesbar machen

Wer in Berlin ein öffentliches Gebäude bauen will, sollte v. a. mit (wenig) Geld umgehen können und über Improvisationstalent verfügen. Besonders gelungen ist es, wenn man dem Ergebnis das gute Konzept, nicht aber die zahlreichen Einschränkungen ansieht. Den Architekten dieser Bibliothek in Schöneweide ist dies durch die einfühlsame Einbindung des Bestands und mithilfe einiger Tricks gelungen.

Wer in Berlin ein öffentliches Gebäude bauen will, sollte v. a. mit (wenig) Geld umgehen können und über Improvisationstalent verfügen. Besonders gelungen ist es, wenn man dem Ergebnis das gute Konzept, nicht aber die zahlreichen Einschränkungen ansieht. Den Architekten dieser Bibliothek in Schöneweide ist dies durch die einfühlsame Einbindung des Bestands und mithilfe einiger Tricks gelungen.

Niederschöneweide im Bezirk Treptow-Köpenick zählt zu den ruhigeren Stadtteilen Berlins. Abseits der Hauptverkehrsstraßen mag das auch so sein " an der Michael-Brückner-Straße, die Teil der Berliner Bundesstraße B96a ist, spürt man davon aber nur wenig. Stattdessen prägen der Straßenverkehr, die S-Bahn sowie eine Tankstelle mit Autowaschanlage das Bild und v. a. auch die akustische Wahrnehmung. Direkt gegenüber dieser nicht sehr einladenden Szenerie befindet sich eine unter Denkmalschutz stehende Feuerwache, die nun gemeinsam mit einem Neubau von Chestnutt_Niess Architekten als neue Mittelpunktbibliothek des Stadtteils genutzt wird.

Die Feuerwache wurde 1907/08 von Karl Alfred Herrmann gebaut. Für ein Feuerwehrgebäude scheinen die kleinteiligen Elemente ungewöhnlich, sie haben jedoch einen ganz pragmatischen Hintergrund: Der Schlauchturm diente gleichzeitig als Übungsobjekt für die Feuerwehrleute, die an Erkern, Vorsprüngen und Traufen das Anleitern und Aufsteigen trainierten. Nebenan befinden sich eine Schule und ein Pumpenhaus aus der gleichen Bauzeit.

Die Grundschule wurde im Rahmen der Stadterneuerung ebenfalls aufgewertet. Bibliothek, Schule und ein Nachbarschaftszentrum machen diesen Ort nun wieder zu einem Anlaufpunkt für die Anwohner.

Bestandsaufnahme

2009 wurde Chestnutt_Niess Architekten aus vier Büros ausgewählt und mit der Planung der Bibliothek beauftragt. Gleichzeitig begann die umfangreiche Sanierung im denkmalgeschützten Gebäude. Besonders wichtig war den Architekten, die schon mehrere Projekte im Bestand verwirklicht haben, den Ort lesbar zu machen. Jedes Gebäude erzählt ihrer Ansicht nach eine Geschichte, die es zu entdecken und weiterzuerzählen gilt. Chestnutt_Niess nahmen den Bestandsbau als Dreh- und Angelpunkt, indem sie den zweigeschossigen Neubau wie eine Spirale anordneten, die im Norden an den alten Schlauchturm andockt. Im EG gibt es zusätzlich eine Verbindung von Alt- und Neubau durch den eingeschossigen gläsernen Eingangsbereich. Von dort werden die Bibliothek, der Innenhof und auch die als Mehrzwecksaal genutzte ehemalige Wagenhalle erschlossen. Die Spiralform ist nicht nur im Grundriss, sondern auch im Schnitt ablesbar: Das Gebäude nimmt die Höhen der Feuerwache als Referenzpunkte auf. Daher fällt das Dach zum Altbau hin maßstabsschonend ab und fasst durch die Neigung auch den Innenhof ein. Der niedrigste Punkt befindet sich an der Ecke an der Eingangsbereich und Neubau aneinanderstoßen. Dann schlängelt es sich bis zur gegenüberliegenden Ecke im Osten nach oben und fällt danach wieder auf der anderen Seite Richtung Altbau ab.

Das Raumprogramm für die rund 85 000 Medien war eng und umfassend, das Budget knapp, dazu kommen Faktoren wie das kleine Grundstück und der hohe Grundwasserstand. Da eine Bibliothek keine Außenflächen benötigt, wurde das Grundstück unter Berücksichtigung der Abstandsflächen und der nötigen Feuerwehrzufahrt maximal ausgenutzt. Durch dieses Ausreizen der Flächen entstand in der Mitte genug Platz für einen Innenhof, der die Bibliothek belichtet und einen geschützten Außenraum bietet.

Weniger ist mehr

Betritt man die Bibliothek, hat man sofort einen Eindruck über alle Etagen. EG und OG sind wie Galerien über dem UG angeordnet. Deckenausschnitte, Lufträume und Fensteröffnungen sorgen für Großzügigkeit in der eigentlich eher kleinen Bibliothek mit 2 200 m² Hauptnutzfläche und dem Minimum an nötiger Raumhöhe. Die Geometrie des Gebäudes ist komplex, aber dank der Übersichtlichkeit leicht verständlich. Auch die Mitarbeiter der Bibliothek schätzen den Überblick und die intuitive Orientierung im Haus. Die Lufträume sind nicht übereinander gelagert, wodurch vielfältige Blickachsen entstehen und gleichzeitig der Schall besser verteilt und umgeleitet wird – nicht unerheblich in einer Bibliothek. Im OG sorgen gelochte Deckenelemente zusätzlich für Schallabsorption.

Das EG ist zum hellen Hof ausgerichtet, während sich das OG nach außen orientiert. Im OG gibt es keine Fenster zum Hof, was das Dach vom Innenhof aus sehr flächig und präsent erscheinen lässt. Die Wahl der Außenbekleidung verstärkt diesen Eindruck zusätzlich: Vorpatiniertes Zinkblech kam sowohl für die Fassade als auch für das Dach zum Einsatz. Im gesamten Gebäude gibt es – bis auf die 24h-Rückgabestelle an der Straßenseite – keine kleinteiligen Öffnungen. Stattdessen gliedern bewusst platzierte große Fensterflächen den Raum und schaffen so verschiedene Zonen. Im Norden erstreckt sich eine große Öffnung über beide oberirdischen Etagen und einen kleinen Teil des Dachs. Durch die niedrige Gebäudehöhe, den großen Abstand zum nächsten Gebäude und den Oberlichtanteil dringt trotz Nordausrichtung viel Licht ins Innere. Gerade zum Lesen sei dieses indirekte Nordlicht sehr angenehm, so die Architekten.

Um möglichst wenig Flächen zu verschwenden. sind in alle Außenwände und Brüstungen entweder Regale oder Arbeitstische integriert. Alles folgt einem einfachen Prinzip: Stützen, Kern und Decken sind aus Sichtbeton gefertigt, die hinzugefügten Elemente sind sozusagen auf die Konstruktion gestülpt. So ist sofort erkennbar, welche Elemente konstruktiv und welche gestalterisch sind. Für die Wandbekleidung haben die Architekten schlichte Sperrholzbretter verwendet. Als Bodenbelag wählten sie grünes Linoleum, das widerstandsfähig und günstig ist und zudem einen schönen Kontrast zum roten Backstein des Bestandsbaus bildet. Beim Sichtbeton hätten sie auf den ebenfalls eher robusten Eindruck aber gerne verzichtet. »Sichtbetonklasse 1 ist selten der Wunsch der Architekten, das hat natürlich mit Kosten zu tun«, so Rebecca Chestnutt bei der Besichtigung. Insgesamt mussten die Architekten aber kaum Kompromisse eingehen, vielmehr haben sie aus den Vorgaben und Einschränkungen ein Entwurfsprinzip gemacht.

Der Keller beginnt im 3.OG

Zu den Kniffen zählt u.a. die leichte Anhebung des EGs, wodurch sie für das UG weniger in die Tiefe gehen mussten. Die entstandenen Niveauunterschiede zur Straße und zum Bestand werden durch flache Rampen ausgeglichen. Kellerfläche ist teuer, und in Berlin steht das Grundwasser zudem recht hoch. Insgesamt ist das UG mit geringerer Fläche und wenig Nebenräumen für Technik kompakt und wirtschaftlich gehalten. Möglich macht das folgender Trick: In der Alten Feuerwache werden nur die unteren drei Geschosse als Verwaltungsräume und für den Mehrzwecksaal genutzt. Der Turm verfügt wegen seiner kleinen Grundfläche hauptsächlich über Verkehrswege. Hätte man diese Räume ebenfalls für die Bibliothek als Nutzfläche verwendet, hätte man nur wenig Platz gewonnen, wäre aber aufgrund der Höhe in die Gebäudeklasse 5 gerutscht " mit teuren Konsequenzen für den Brandschutz. Auch ein zusätzliches Treppenhaus wäre nötig geworden. Chestnutt_Niess haben daher fast die gesamte Lüftungs- und Heiztechnik in die oberen Turmgeschosse gelegt und sich so Platz im UG sowie strengere Auflagen gespart.

Etwa 50% der Regale sind in die Wände integriert, die andere Hälfte sind schlichte in den Raum gestellte Regale. Beide Regaltypen haben durch die hellen Fronten und dunklen Innenflächen Kontrast und Tiefe. Angesichts der Aussage, dass das Raumprogramm sehr viele Medien vorsah und der Platz begrenzt war, wirken die Regale überraschend leer. Das liegt an einer großzügigen Planung, die Wachstum einkalkuliert, aber auch an der erfreulichen Tatsache, dass die Bibliothek gut angenommen wird und daher nicht annähernd der gesamte Bestand in den Regalen steht.

db, Di., 2015.12.01



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db 2015|12 Redaktionslieblinge

Presseschau 12

05. Dezember 2016Anke Lieschke
db

Wenn der Bauherr selber baut

Das vorhandene Gebäude des Bauunternehmens Karl Köhler wurde im Laufe der Zeit zu klein — eine Erweiterung musste her. Nun hätte man einfach möglichst schnell und möglichst günstig einen Standardbau errichten können. Glücklicherweise haben sich die Bauherren aber gegen diesen einfachen Weg entschieden: Das Ergebnis ist eine gebaute Visitenkarte aus Beton – und arbeiten kann man darin auch.

Das vorhandene Gebäude des Bauunternehmens Karl Köhler wurde im Laufe der Zeit zu klein — eine Erweiterung musste her. Nun hätte man einfach möglichst schnell und möglichst günstig einen Standardbau errichten können. Glücklicherweise haben sich die Bauherren aber gegen diesen einfachen Weg entschieden: Das Ergebnis ist eine gebaute Visitenkarte aus Beton – und arbeiten kann man darin auch.

Rund 25 km nördlich von Stuttgart liegt Besigheim, eine beschauliche Kleinstadt mit knapp 12 000 Einwohnern. Der Ort liegt an der Württemberger Weinstraße und der Südroute der Deutschen Fachwerkstraße. Die Hänge an Neckar und Enz sind eine wichtige Weinlage der Region. Ebenfalls sehr beliebt sind die Hessigheimer Felsengärten. Auf genau diese schaut man aus den Fenstern des Bauunternehmens Karl Köhler, das am Rande Besigheims direkt am Neckar liegt. Nähert man sich dem Grundstück sieht man von Weitem schon die Felsengärten, aber auch Fahrzeuge und einen Baukran, die eindeutige Indizien für ein Bauunternehmen sind. In diesem Umfeld rechnet man nicht unbedingt mit einem Sichtbeton-Bau mit vielen Details und Raffinessen – dennoch wirkt das Gebäude nicht fremd, sondern steht selbstbewusst und selbstverständlich da.

Die Firma wurde 1923 von Karl Köhler gegründet und wird heute in dritter Generation von den Brüdern Karl und Horst Köhler geführt. Das Leistungsspektrum reicht vom Industrie- und Gewerbebau über den Wohnungsbau bis hin zum Ingenieurbau. Horst Köhler vergleicht die Palette mit dem Sortiment einer Bäckerei: »Wir als Rohbauer machen alles, von Schwarzbrot bis zu ­süßen Stückle.« Qualitativ hochwertig ausgeführter Sichtbeton hat sich mit den Jahren zu einer ihrer Spezialitäten entwickelt. Denn warum auch immer – wirklich gut ausgeführte Sichtbetonbauten sind in Deutschland leider immer noch eine Rarität. Karl Köhler scheint das aber gut zu gelingen, daher stammen Rohbau und Fassade des Neubaus selbstverständlich aus Bauherrn-Hand. Wie beim gesamten Bauvorhaben wählten die Bauherren ihren eigenen, nicht immer einfachen Weg. Statt einen befreundeten Architekten direkt zu beauftragen, lobten sie einen Wettbewerb mit sechs gesetzten Teilnehmern aus. Zur Jury gehörten neben den Geschäftsführern auch die Architekten Michael Kerker und Alexander Brenner sowie Andreas Janssen vom Stadtbauamt Besigheim. So hatte man technisches und gestalterisches Know-how und gleichzeitig auch schon einen Vertreter der Stadt mit im Boot. Die Jury entschied sich einstimmig für den Wettbewerbsentwurf von Wittfoht Architekten aus Stuttgart. Sieht man das Entwurfsmodell und den fertigen Bau, muss man schon genau hinschauen, um Unterschiede zu entdecken, so nah liegen Entwurf und Reali­sierung beieinander.

Schlichte Kubatur mit Raffinessen

Zweigeschossig scheint der Baukörper leicht über dem Grundstück zu schweben. Für diese Leichtigkeit sorgt eine deutliche Fuge zwischen Tiefgarage im UG und den beiden Bürogeschossen. Klare Kanten entstehen zum einen durch diesen Abstand und zum anderen durch die saubere Attika, die ohne störende Abdeckungen auskommt – dank des freiwilligen Verzichts auf die Einhaltung der DIN-Norm zugunsten der Gestaltung. An den großen Fenstern lässt sich das Gebäuderaster leicht ablesen. Die Laibungen der Fenster sind jeweils zu einer Seite hin abgeschrägt, sodass der Blick Richtung Felsengärten bzw. Neckar und Weinberge erweitert wird. Auf den ersten Blick fallen solche Feinheiten kaum auf, doch sind es gerade diese kleinen Details, die den Charme und die Qualität des Verwaltungsbaus ausmachen. Kiste ist eben nicht gleich Kiste.

Getragen wird das Gebäude vom regelmäßigen Stützenraster an den Außenkanten.

Unterzugsfreie Flachdecken und wenige innenliegende Kernwände tragen zur Aussteifung bei. Die Fassade ist als Außenschale vor dem Gebäude schwimmend gelagert und ohne Fugen ausgeführt, was den monolithischen Charakter unterstreicht. Die Oberflächen entsprechen der höchsten Sichtbetonklasse SB 4.

Damit keine Fallrohre die Außenansicht stören, sind die Gesimse mit einem leichten Innengefälle ausgestattet. Dies verhindert außerdem, dass stehendes Wasser an der Fassade herunterläuft und die Oberfläche beeinträchtigt. Um diese Gefälle auszubilden wurden die Schalungsabschnitte so gewählt, dass die Oberkanten der Gesimse die Oberkante des jeweiligen Abschnitts bilden.

Eines der zahlreichen Details findet sich auch direkt am Haupteingang: Tagsüber setzt sich des leicht stilisierte Firmenlogo in Sichtbeton dezent ab, abends bringen 7189 Lichtleitfasern unterschiedlicher Dicke das Logo im Betonfertigteil zum Leuchten. Wie auch im übrigen Gebäude wirkt dieser Effekt qualitativ hochwertig, aber nicht protzig, wie Bauherr und Architekt betonen. Gerade für ein schwäbisches mittelständisches Familienunternehmen scheint dieser Spagat zwischen hochwertiger Ausführung und Bescheidenheit sehr wichtig zu sein und ist hier durchaus geglückt. Dazu trägt auch die reduzierte Materialwahl aus Beton, Eiche und Crailsheimer Muschelkalk bei. Letzter kam im EG als Bodenbelag sowie für die Treppe am Haupteingang zum Einsatz. Damit sich der Ton des Muschelkalks nicht mit dem Sichtbeton beißt, erhielt der Fassadenbeton einen Zuschlag aus gemahlenem Muschelkalk.

Auf der Dachterrasse, die nur einen Teil der ansonsten extensiv begrünten Dachfläche einnimmt, bildet eine Pergola einen definierten Raum. Solche reinen »Gestaltungsentscheidungen« kommen heutzutage immer weniger vor. Was nicht unbedingt nötig ist, wird oftmals gestrichen. Eine weitere Überraschung erlebte Projektleiter Thomas Kindsvater bei der Planung dieser Pergola: »Im ersten Entwurf hatten wir mehr Stützen vorgesehen. Die Tragwerksplaner meinten dann, das ginge auch mit nur vier Stützen. Da haben wir natürlich nicht nein gesagt.«

Konsequente Materialwahl

Im Innern setzen sich die klare Formensprache und die Reduzierung auf ­wenig Material fort. Als Besonderheit wurden hier die Außenseite der Kerne gespitzt, also steinmetzmäßig bearbeitet. Dieses Beschlagen bringt eine völlig andere Oberfläche zum Vorschein, zudem sorgt ein Jura-Zuschlag im Beton für eine wärmere Atmosphäre als zuschlagsfreier Beton. Damit die Farbigkeit in jedem Betonierabschnitt gleich ist, musste u.a. sichergestellt werden, dass die Betonsilos jedes Mal gereinigt wurden und keine fremden Zuschläge in die Mischung gelangten.

Für die Schalungslöcher hat der Rohbauer Konen aus exakt der gleichen Mischung gegossen. Durch das Spitzen sind die Übergänge von Fläche und Zylinder kaum erkennbar. Die Innenseite der Kerne, z.B. die Treppenhauswände oder die Nebenräume, sind unbearbeitet glatt. Den Mittelpunkt des Gebäudes bildet ein zweigeschossiges Foyer, das über Oberlichter vom Dach großzügig belichtet wird. Mit schweren Vorhängen kann das Foyer vom Rest des EGs abgeteilt und beispielsweise für Veranstaltungen genutzt werden. Die Akustik ist dank der gespitzten Betonoberflächen, einer Holzlamellendecke und den Vorhängen angenehm. Um das Foyer herum sind die Arbeitsplätze in Zweibüros angeordnet. Lediglich die Geschäftsführer haben etwas mehr Raum zur Verfügung, was auch in der Fassade als einzige größere Fenster ablesbar ist. Die Büros sind ähnlich konsequent gestaltet wie der gesamte Bau: Betonwände, Fußboden und Fensterprofile aus Eiche, Glastrennwände zum Flur. Durch halbhohe Regale an den Schreibtischseiten bleibt Privatsphäre trotz der Glaswände gewahrt. Eine kleine Hommage an das Tätigkeitsfeld der Firma sind die Kleiderhaken im Einbauschrank: Hier hängt die Jacke an einem Stück Bewehrungsstahl. Akustikpaneele sorgen für Ruhe und ein wenig Farbe. Die Dämmebene ist innenseitig mit Eichenholzblindstützen verblendet, in denen auch die EDV-Unterverteiler sowie die Frischluftnachströmung integriert sind. Als eines der ersten Sichtbetonobjekte wird das Gebäude über eine oberflächennahe Betonkernaktivierung temperiert. Die vorgefertigten Kunststoffrohre liegen nur wenige Zentimeter über der Deckenunterseite, wodurch kurze Reaktionszeiten und eine unmittelbare Wirkung gewährleistet sind. Die Masse des Betons trägt ebenfalls zum guten Klima bei. Durch die Nutzung von Geothermie wird der geforderte EnEV-Wert um 20 % unterschritten.

Enge Abstimmung von Anfang an

Auch hier zeigt sich der Vorteil, wenn der Rohbauer schon früh in die Planung eingebunden wird. Laut Köhler kommen die ausführenden Gewerke meist viel zu spät dazu, sodass manche Dinge gar nicht mehr umgesetzt werden können, obwohl sie prinzipiell möglich wären. Bei diesem Projekt wäre vermutlich diese Variante der Kühlung kaum realisiert worden, wenn der ausführende Betrieb nicht gleichzeitig der Bauherr gewesen wäre.

Ein weiteres Detail, das bereits frühzeitig in der Planung und v.a. beim Bau berücksichtigt werden musste sind die Brandschutztüren, die an beiden Seiten des Treppenhauses zwischen EG und OG die Brandabschnitte trennen. Im Normalfall sind diese Türen um 180 ° geöffnet, dank der Eichen-Oberfläche passen sie ins Gesamtkonzept und fallen nicht weiter auf. Schließen sich die Türen, werden die exakten Aussparungen im Beton für die Türblätter und deren Beschläge sichtbar, sodass die Türen im geöffneten Zustand bündig mit der Wand sind – kleiner Eingriff mit großer Wirkung. So sind nahezu alle Elemente integriert, lediglich die Leuchten sind additiv.

Einen kleinen Wermutstropfen bildet die Fassade des Bestandsgebäudes, das im Zuge des Neubaus ebenfalls modernisiert wurde. Es wurde neu gedämmt und erhielt u. a. den gleichen Eichenfußboden wie der Neubau, sodass der Bodenbelag eine nahtlose Verbindung bildet. Wie schon vor der Sanierung sollte die Fassade zweigeteilt sein.

Durch die Leichtbauweise kam eine Betonfassade nicht infrage, daher entschied man sich für eine Holzbekleidung im OG und Klinker im EG. Die Holzpaneele passen gut zum Neubau, während die Klinkerfassade etwas fehl am Platz wirkt. Die Entscheidung für das gewohnte Material ist anderseits verständlich und bei allem Einsatz und Engagement sicher auch eine Kostenfrage – bitte nicht protzen. Dass es nicht überall funkeln muss und an manchen Stellen eben auch geringe Betonqualitäten ausreichen, zeigt z.B. das Fluchttreppenhaus, das durch Absturzsicherungen aus Draht und Betonfertigteilen einen etwas raueren Charakter als das restliche Gebäude hat.

Insgesamt wirkt der Neubau trotz der Details und Sonderlösungen angemessen und maßhaltig. Diese begehbare Visitenkarte ist wohl das Gegenteil von Investorenarchitektur, in der die Planer, Bauherren und Ausführenden nur selten Hand in Hand arbeiten. Gefragt, in welche Backwarenkategorie dieses Gebäude fällt, antwortet Horst Köhler übrigens nicht ohne Stolz auf das gelungene Projekt: »Torte«.

db, Mo., 2016.12.05



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Verwaltungsgebäude Karl Köhler



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db 2016|12 Redaktionslieblinge

01. Dezember 2015Anke Lieschke
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Den Ort lesbar machen

Wer in Berlin ein öffentliches Gebäude bauen will, sollte v. a. mit (wenig) Geld umgehen können und über Improvisationstalent verfügen. Besonders gelungen ist es, wenn man dem Ergebnis das gute Konzept, nicht aber die zahlreichen Einschränkungen ansieht. Den Architekten dieser Bibliothek in Schöneweide ist dies durch die einfühlsame Einbindung des Bestands und mithilfe einiger Tricks gelungen.

Wer in Berlin ein öffentliches Gebäude bauen will, sollte v. a. mit (wenig) Geld umgehen können und über Improvisationstalent verfügen. Besonders gelungen ist es, wenn man dem Ergebnis das gute Konzept, nicht aber die zahlreichen Einschränkungen ansieht. Den Architekten dieser Bibliothek in Schöneweide ist dies durch die einfühlsame Einbindung des Bestands und mithilfe einiger Tricks gelungen.

Niederschöneweide im Bezirk Treptow-Köpenick zählt zu den ruhigeren Stadtteilen Berlins. Abseits der Hauptverkehrsstraßen mag das auch so sein " an der Michael-Brückner-Straße, die Teil der Berliner Bundesstraße B96a ist, spürt man davon aber nur wenig. Stattdessen prägen der Straßenverkehr, die S-Bahn sowie eine Tankstelle mit Autowaschanlage das Bild und v. a. auch die akustische Wahrnehmung. Direkt gegenüber dieser nicht sehr einladenden Szenerie befindet sich eine unter Denkmalschutz stehende Feuerwache, die nun gemeinsam mit einem Neubau von Chestnutt_Niess Architekten als neue Mittelpunktbibliothek des Stadtteils genutzt wird.

Die Feuerwache wurde 1907/08 von Karl Alfred Herrmann gebaut. Für ein Feuerwehrgebäude scheinen die kleinteiligen Elemente ungewöhnlich, sie haben jedoch einen ganz pragmatischen Hintergrund: Der Schlauchturm diente gleichzeitig als Übungsobjekt für die Feuerwehrleute, die an Erkern, Vorsprüngen und Traufen das Anleitern und Aufsteigen trainierten. Nebenan befinden sich eine Schule und ein Pumpenhaus aus der gleichen Bauzeit.

Die Grundschule wurde im Rahmen der Stadterneuerung ebenfalls aufgewertet. Bibliothek, Schule und ein Nachbarschaftszentrum machen diesen Ort nun wieder zu einem Anlaufpunkt für die Anwohner.

Bestandsaufnahme

2009 wurde Chestnutt_Niess Architekten aus vier Büros ausgewählt und mit der Planung der Bibliothek beauftragt. Gleichzeitig begann die umfangreiche Sanierung im denkmalgeschützten Gebäude. Besonders wichtig war den Architekten, die schon mehrere Projekte im Bestand verwirklicht haben, den Ort lesbar zu machen. Jedes Gebäude erzählt ihrer Ansicht nach eine Geschichte, die es zu entdecken und weiterzuerzählen gilt. Chestnutt_Niess nahmen den Bestandsbau als Dreh- und Angelpunkt, indem sie den zweigeschossigen Neubau wie eine Spirale anordneten, die im Norden an den alten Schlauchturm andockt. Im EG gibt es zusätzlich eine Verbindung von Alt- und Neubau durch den eingeschossigen gläsernen Eingangsbereich. Von dort werden die Bibliothek, der Innenhof und auch die als Mehrzwecksaal genutzte ehemalige Wagenhalle erschlossen. Die Spiralform ist nicht nur im Grundriss, sondern auch im Schnitt ablesbar: Das Gebäude nimmt die Höhen der Feuerwache als Referenzpunkte auf. Daher fällt das Dach zum Altbau hin maßstabsschonend ab und fasst durch die Neigung auch den Innenhof ein. Der niedrigste Punkt befindet sich an der Ecke an der Eingangsbereich und Neubau aneinanderstoßen. Dann schlängelt es sich bis zur gegenüberliegenden Ecke im Osten nach oben und fällt danach wieder auf der anderen Seite Richtung Altbau ab.

Das Raumprogramm für die rund 85 000 Medien war eng und umfassend, das Budget knapp, dazu kommen Faktoren wie das kleine Grundstück und der hohe Grundwasserstand. Da eine Bibliothek keine Außenflächen benötigt, wurde das Grundstück unter Berücksichtigung der Abstandsflächen und der nötigen Feuerwehrzufahrt maximal ausgenutzt. Durch dieses Ausreizen der Flächen entstand in der Mitte genug Platz für einen Innenhof, der die Bibliothek belichtet und einen geschützten Außenraum bietet.

Weniger ist mehr

Betritt man die Bibliothek, hat man sofort einen Eindruck über alle Etagen. EG und OG sind wie Galerien über dem UG angeordnet. Deckenausschnitte, Lufträume und Fensteröffnungen sorgen für Großzügigkeit in der eigentlich eher kleinen Bibliothek mit 2 200 m² Hauptnutzfläche und dem Minimum an nötiger Raumhöhe. Die Geometrie des Gebäudes ist komplex, aber dank der Übersichtlichkeit leicht verständlich. Auch die Mitarbeiter der Bibliothek schätzen den Überblick und die intuitive Orientierung im Haus. Die Lufträume sind nicht übereinander gelagert, wodurch vielfältige Blickachsen entstehen und gleichzeitig der Schall besser verteilt und umgeleitet wird – nicht unerheblich in einer Bibliothek. Im OG sorgen gelochte Deckenelemente zusätzlich für Schallabsorption.

Das EG ist zum hellen Hof ausgerichtet, während sich das OG nach außen orientiert. Im OG gibt es keine Fenster zum Hof, was das Dach vom Innenhof aus sehr flächig und präsent erscheinen lässt. Die Wahl der Außenbekleidung verstärkt diesen Eindruck zusätzlich: Vorpatiniertes Zinkblech kam sowohl für die Fassade als auch für das Dach zum Einsatz. Im gesamten Gebäude gibt es – bis auf die 24h-Rückgabestelle an der Straßenseite – keine kleinteiligen Öffnungen. Stattdessen gliedern bewusst platzierte große Fensterflächen den Raum und schaffen so verschiedene Zonen. Im Norden erstreckt sich eine große Öffnung über beide oberirdischen Etagen und einen kleinen Teil des Dachs. Durch die niedrige Gebäudehöhe, den großen Abstand zum nächsten Gebäude und den Oberlichtanteil dringt trotz Nordausrichtung viel Licht ins Innere. Gerade zum Lesen sei dieses indirekte Nordlicht sehr angenehm, so die Architekten.

Um möglichst wenig Flächen zu verschwenden. sind in alle Außenwände und Brüstungen entweder Regale oder Arbeitstische integriert. Alles folgt einem einfachen Prinzip: Stützen, Kern und Decken sind aus Sichtbeton gefertigt, die hinzugefügten Elemente sind sozusagen auf die Konstruktion gestülpt. So ist sofort erkennbar, welche Elemente konstruktiv und welche gestalterisch sind. Für die Wandbekleidung haben die Architekten schlichte Sperrholzbretter verwendet. Als Bodenbelag wählten sie grünes Linoleum, das widerstandsfähig und günstig ist und zudem einen schönen Kontrast zum roten Backstein des Bestandsbaus bildet. Beim Sichtbeton hätten sie auf den ebenfalls eher robusten Eindruck aber gerne verzichtet. »Sichtbetonklasse 1 ist selten der Wunsch der Architekten, das hat natürlich mit Kosten zu tun«, so Rebecca Chestnutt bei der Besichtigung. Insgesamt mussten die Architekten aber kaum Kompromisse eingehen, vielmehr haben sie aus den Vorgaben und Einschränkungen ein Entwurfsprinzip gemacht.

Der Keller beginnt im 3.OG

Zu den Kniffen zählt u.a. die leichte Anhebung des EGs, wodurch sie für das UG weniger in die Tiefe gehen mussten. Die entstandenen Niveauunterschiede zur Straße und zum Bestand werden durch flache Rampen ausgeglichen. Kellerfläche ist teuer, und in Berlin steht das Grundwasser zudem recht hoch. Insgesamt ist das UG mit geringerer Fläche und wenig Nebenräumen für Technik kompakt und wirtschaftlich gehalten. Möglich macht das folgender Trick: In der Alten Feuerwache werden nur die unteren drei Geschosse als Verwaltungsräume und für den Mehrzwecksaal genutzt. Der Turm verfügt wegen seiner kleinen Grundfläche hauptsächlich über Verkehrswege. Hätte man diese Räume ebenfalls für die Bibliothek als Nutzfläche verwendet, hätte man nur wenig Platz gewonnen, wäre aber aufgrund der Höhe in die Gebäudeklasse 5 gerutscht " mit teuren Konsequenzen für den Brandschutz. Auch ein zusätzliches Treppenhaus wäre nötig geworden. Chestnutt_Niess haben daher fast die gesamte Lüftungs- und Heiztechnik in die oberen Turmgeschosse gelegt und sich so Platz im UG sowie strengere Auflagen gespart.

Etwa 50% der Regale sind in die Wände integriert, die andere Hälfte sind schlichte in den Raum gestellte Regale. Beide Regaltypen haben durch die hellen Fronten und dunklen Innenflächen Kontrast und Tiefe. Angesichts der Aussage, dass das Raumprogramm sehr viele Medien vorsah und der Platz begrenzt war, wirken die Regale überraschend leer. Das liegt an einer großzügigen Planung, die Wachstum einkalkuliert, aber auch an der erfreulichen Tatsache, dass die Bibliothek gut angenommen wird und daher nicht annähernd der gesamte Bestand in den Regalen steht.

db, Di., 2015.12.01



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