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15. Juni 2024Franziska Zoidl
Der Standard

Der Supermarkt ist schon da

Viele Ortseinfahrten sind geprägt von eingeschoßigen Supermärkten und Fachmarktzentren. Viele könnten mit Wohnungen überbaut werden, um den Boden zu schonen. Ein Unternehmen will das nun vorantreiben.

Viele Ortseinfahrten sind geprägt von eingeschoßigen Supermärkten und Fachmarktzentren. Viele könnten mit Wohnungen überbaut werden, um den Boden zu schonen. Ein Unternehmen will das nun vorantreiben.

Die Idee klingt einfach: Viele Supermärkte, Shoppingmalls und Fachmarktzentren, die es im ganzen Land gibt, könnten mit Wohnungen überbaut werden. So würde dringend benötigter neuer Wohnraum entstehen, für den gleichzeitig keine neuen Flächen mehr versiegelt werden müssten. Die Autofahrt zum Supermarkt oder zum Bäcker spart man sich obendrein: Sie sind ja schon da.

Über solche Überbauungen von Gewerbeflächen wird seit vielen Jahren geredet. Die dadurch aber tatsächlich bereits entstandenen Wohnungen sind immer noch rar. Denn es gibt Widmungs- und rechtliche Fragen, meinen Immobilienprofis. „Und es ist komplexer als das Bauen auf der grünen Wiese“, sagt Dietmar Reindl, früherer COO der Immofinanz und Geschäftsführer von Baumhouse. „Aber wir müssen uns ein bisserl anstrengen.“ Mit seinem Unternehmen will Reindl das Aufstocken von Gewerbeflächen vorantreiben.

Denn noch stehen die meisten Fachmarktzentren und Supermärkte als einfache Schuhschachteln in der Landschaft. Noch unter Reindls Leitung hat die Immofinanz, der Fachmarktzentren im In- und Ausland gehören, 2021 das Konzept „On Top Living“ präsentiert. Das ambitionierte Ziel: Innerhalb von zehn Jahren sollen 70 Retailparks im In- und Ausland mit 12.000 Wohnungen in modularer Holzbauweise überbaut werden – auch als Antwort auf immer strenger werdende Nachhaltigkeitskriterien der EU. Den Startschuss wollte man mit einem Fachmarktzentrum in Simmering machen. Doch daraus wurde nichts.

Erstes Projekt geplant

Dietmar Reindl glaubt weiterhin an das Konzept. Er hat der Immofinanz die Planung für das erste Projekt abgekauft und weiterentwickelt. Eine Schau-Wohnung, die 2021 unweit des Immofinanz-Firmensitzes aufgebaut wurde, hat er als Büro angemietet, um potenziellen Investoren einen Eindruck des Wohnens in den Modulen aus Lärchenholz geben zu können.

Offenbar mit Erfolg, denn für Investoren spiele die Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle. Die ersten Projekte sind in der Pipeline, erzählt Reindl. Eines davon sei schon konkret über einem Supermarkt samt Parkplatz in Wiener Neustadt in Planung, wo 160 Mietwohnungen im Baurecht entstehen sollen. Die passende Widmung gibt es, nun startet das kooperative Verfahren mit der Stadt. Weitere Projekte sind für den Süden Wiens und in der Nähe von Linz geplant.

Allerdings funktioniere nicht jede Lage, betont Reindl: „Aber wir können mit dem Konzept Wohnlagen in Wohnrandlagen ausdehnen.“ Auch der Nutzungsmix spiele eine wichtige Rolle – es gehe nicht nur um leistbare Mietwohnungen, sondern auch um Ausbildungs-, Betriebs- und sogar betreubare Wohnungen. Die Statik der Bestandsgebäude wiederum ist weniger wichtig, weil die Module in ein brückenartiges Stahlbetonskelett gesteckt werden, das von hinten an die Gebäude gerückt wird. Die Geschäfte im Erdgeschoß können also während der Bauzeit geöffnet haben.

Die Miete in Wiener Neustadt soll bei maximal 10,50 Euro pro Quadratmeter liegen. „20 Prozent unter der Marktmiete“ sei immer das Ziel. Und eine gemischte Nutzung, bei der am Ende alle glücklich sind.

Der Standard, Sa., 2024.06.15

18. Oktober 2023Franziska Zoidl
Der Standard

Alles unter einem Dach

Mit der „HausWirtschaft“ ist im Nordbahnviertel ein bunter, gemeinschaftlicher Mix aus Wohnen und Gewerbe entstanden. Seit wenigen Wochen wird das Projekt bezogen. Ein Hausbesuch.

Mit der „HausWirtschaft“ ist im Nordbahnviertel ein bunter, gemeinschaftlicher Mix aus Wohnen und Gewerbe entstanden. Seit wenigen Wochen wird das Projekt bezogen. Ein Hausbesuch.

Die Matten sind ausgerollt und der verspiegelte Raum auf Temperaturen aufgeheizt, die an den eben erst vergangenen Sommer erinnern. Gleich findet die allererste Hot-Yoga-Stunde in der „HausWirtschaft“ im Nordbahnviertel statt. Das Haus im neuen Stadtviertel wird seit wenigen Wochen bezogen. In vielen Ecken wird noch gebohrt und gehämmert. Im Yoga-Studio „Dein Yoga Leo“ ist von der Betriebsamkeit aber nichts zu merken. Namaste.

Mit der HausWirtschaft ist ein ungewöhnliches Baugruppenprojekt im zweiten Wiener Gemeindebezirk entstanden. Normalerweise stehen im Fokus des gemeinschaftlichen Bauens leistbare Wohnungen in neuen Stadtvierteln. Im Nordbahnviertel hingegen war von Anfang an klar, dass – nach einer Idee des Initiators Peter Rippl und mit planerischer Unterstützung von Einszueins Architektur und dem Bauträger EGW Heimstätte – auf 7000 Quadratmetern ein Spagat zwischen Wohnen und Gewerbe geschafft werden soll.

Denn für Selbstständige und Kleinunternehmer fehlt es in der Stadt an leistbaren Gewerbeflächen. Viele sind daher auf das Homeoffice angewiesen. Dass das auf die Dauer nicht für alle die richtige Lösung ist, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt, in der das Homeoffice nicht für alle funktioniert hat.

50:50 beträgt die Mischung aus Wohnen und Gewerbe in der HausWirtschaft, die als Genossenschaft organisiert ist. Das Anmieten einer Gewerbefläche war bei der Vergabe der Wohnungen Voraussetzung, bei zwei Jahren liegt die Mindestmietdauer für diese Flächen.

Rund um ein Atrium in den oberen Stockwerken sind, entlang von Laubengängen aufgefädelt, 48 Wohnungen mit standardisierten Grundrissen entstanden. Die Kinder des Hauses haben die breiten Gänge bereits in Besitz genommen und veranstalten hier lautstark Fahrradrennen.

Die Gewerbe- und Büroflächen sind in den unteren Etagen angeordnet. Hier sind unterschiedliche Bürotypen und Gesundheitseinrichtungen sowie ein Kindergarten und flexibel anmietbare Räume und Werkstätten untergekommen. Ein Rechtsanwalt ist bereits eingezogen, Psychotherapie und Shiatsu werden ein paar Schritte weiter angeboten. Schon jetzt würden sich Synergien bilden, erzählt Ira Ganas, die im Haus Face Yoga anbietet, begeistert.

Außerdem gibt es die „HausPension“ mit neun Hotelzimmern, die nicht nur Bewohnerinnen und Bewohnern, sondern auch Externen zur Verfügung stehen. So gut wie alle Gewerbeflächen sind mittlerweile vergeben, nur einige Co-Working-Tische oder flexible Arbeitsbereiche sind noch zu haben.

Grundsätzlich können alle Gemeinschaftsflächen im Haus von allen genutzt werden. Die große Gemeinschaftsküche mit angrenzendem Spielbereich für die Kleinen und Blick über die „Freie Mitte“, das grüne Zentrum des Nordbahnviertels, darf also auch von externen Büromieterinnen und -mietern genutzt werden. Einzig die „RuheInsel“ ganz oben, in der eine Sauna untergebracht ist, gehört nur den Bewohnern, erklärt Philipp Naderer-Puiu.

Er ist so etwas wie ein Baugruppenveteran und war bereits in der Baugruppe Seestern in der Seestadt Aspern involviert. Danach kam Naderer-Puiu mit seiner Familie zur HausWirtschaft. Nach zwei Baugruppenprojekten ist er überzeugt: Ab 20 Wohneinheiten habe es für Baugruppen Sinn, von Anfang an ein oder zwei Mitglieder anzustellen. „Komplett mit Freiwilligenarbeit hätte es nicht funktioniert.“

Auf Möbelsuche

„Es braucht bei so großen Projekten jemanden, der den Überblick behält“, sagt auch Angela Kohl, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Genossenschaft, bevor sie zum Möbelkauf weitermuss. Um das Budget zu schonen, wird bei der Möblierung der Büros viel auf Second-Hand-Möbel gesetzt. Der Entstehungsprozess des Projekts wurde unter anderem durch das Future Lab der TU Wien begleitet und von der Smart Cities Initiative des Klima- und Energiefonds gefördert.

Noch drehen sich in der Nachbarschaft die Kräne. Auch die HausWirtschaft wird erst Anfang 2024 die große Eröffnung feiern, wenn der Nordbahnsaal mit Platz für bis zu 120 Personen im Erdgeschoß fertig ist. Er ist, so wie der Rest des Hauses, für viele unterschiedliche Nutzungen gedacht – und soll, so der Wunsch, ins gesamte Grätzel hinausstrahlen.

Der Standard, Mi., 2023.10.18

18. März 2023Franziska Zoidl
Der Standard

Die etwas andere Wohngemeinschaft

In der Wiener Seestadt Aspern gibt es eine Wohngemeinschaft, in der Menschen über 55 zusammenleben. Noch gibt es Platz. Ein Besuch in einer WG, die sich gerade zusammenfindet.

In der Wiener Seestadt Aspern gibt es eine Wohngemeinschaft, in der Menschen über 55 zusammenleben. Noch gibt es Platz. Ein Besuch in einer WG, die sich gerade zusammenfindet.

Wie funktioniert das eigentlich mit dem Putzen? Diese Frage stellt sich in jeder Wohngemeinschaft früher oder später. In der WG Melange der Caritas, einer Wohngemeinschaft für Menschen ab 55, zeigt sich die Lebenserfahrung: Hier wird sie gleich vorab beim Informationsabend gestellt.

In der Seestadt Aspern im 22. Bezirk in Wien gibt es in einem Stockwerk des Wohnhauses der Baugruppe Leuchtturm auf 455 Quadratmetern seit dem vergangenen Herbst eine Wohngemeinschaft für Menschen über 55, die fit sind und Gemeinschaft suchen. Letztere ist hier deutlich niedriger dosiert als in Studierenden-WGs: Jedes der acht WG-Zimmer verfügt theoretisch über Anschlüsse für eine kleine Küche sowie über ein eigenes Bad. Das erleichtert die Sache mit dem Putzen.

Gleichzeitig stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern Gemeinschaftsküche, Balkon und Waschküche zur Verfügung. Vier der Apartments – so werden die WG-Zimmer hier genannt – sind aktuell vergeben. Für vier weitere werden Bewohnerinnen oder Bewohner gesucht. Eben auch im Rahmen von Info-Veranstaltungen, die im Gemeinschaftsraum im „Leuchtturm“ und mit Blick über den See abgehalten werden.

Sneakers und Piercing

Zehn Frauen und ein Mann sind gekommen, die mehr über die Wohnform erfahren möchten. Die WG-Erfahrung der meisten liegt schon einige Jahre zurück. Im Sesselkreis sitzt zum Beispiel Renate, die sich für gemeinschaftliche Wohnformen im Alter interessiert.

Dann ist eine kleine Gruppe gekommen, die sich seit Jahren kennt und die gern selbst etwas auf die Beine stellen möchte. Eine Frau mit Schoßhund ist extra aus dem Weinviertel angereist. Im Alter sieht sie sich nicht auf dem Land, „da halte ich es nicht aus“. Und die Bewohnerin einer Gemeindewohnung im zweiten Bezirk, die, wie sie später erzählen wird, nicht „für die nächsten 2o Jahre“ alleine daheim vor dem Fernseher sitzen möchte, sagt: „Das kann nicht alles gewesen sein.“

Sie alle sehen nicht so aus, wie man sich alte – oder sagen wir: nicht mehr ganz junge – Menschen gemeinhin vorstellt. Sie tragen Sneakers und Outdoorjacken, haben gefärbtes Haar oder tragen modische Pagenköpfe. Eine Seniorin hat ein Nasenpiercing. Warum sind sie hier?

Menschen werden heute ganz anders alt als früher: Sie sind länger fit und berufstätig. Dass man mit den Kindern und deren Kindern unter einem Dach wohnt, ist heute die Ausnahme, Einsamkeit eine große Angst für viele alte Menschen. Daraus entstehen neue Wohnformen: betreubare Wohnungen etwa, die häufig in zentralen Lagen errichtet werden. Und auch Wohngemeinschaften für aktive Senioren, die noch keinen Betreuungs-, aber dafür Gemeinschaftsbedarf haben.

„Ab einem gewissen Alter muss man sich Gedanken machen“, sagt eine der Interessentinnen in der Vorstellungsrunde. Darum sind die meisten heute gekommen. Sie wollen sich umsehen, welche Optionen es gibt – für irgendwann, für später. „Nicht für sofort“, das sagen mehrere der Anwesenden ganz rasch dazu in der Vorstellungsrunde, damit bloß keine Missverständnisse entstehen. Vor allem, weil die meisten die Seestadt Aspern, eine längere U-Bahn-Fahrt vom Zentrum entfernt, bisher noch nicht wirklich auf dem Schirm hatten. „Erweitern Sie das Projekt auch auf andere Bezirke?“, möchte eine Frau daher gleich am Anfang wissen. Sie würde gern im Zweiten bleiben. Weitere Projekte seien geplant, erklärt ihr Karin Pointner von der Caritas, die die Veranstaltung leitet. Gespräche mit gemeinnützigen Bauträgern würden laufen – aber eher in Randbezirken.

Schwierige Balance

Doris ist im Dezember in die WG eingezogen und heute im Sesselkreis mit dabei, um Fragen zu beantworten. „Echt lässig“ sei die Wohnform, erzählt sie der Runde. Und sie weiß die Antwort auf die eingangs gestellte Frage zum Putzen der Gemeinschaftsflächen: „Wir putzen im Radl.“

Einmal in der Woche setzen sich die vier Frauen, die bisher eingezogen sind, für eine halbe Stunde zusammen. Monatlich kommt jemand von der Caritas vorbei. Die Themen, die sie da beschäftigen, klingen ähnlich wie in anderen WGs: Irgendwer war zu laut, irgendwer bekommt viel Besuch.

Die Herausforderung bei der Wohnform ist die Balance zwischen Privatsphäre und Gemeinsamkeit. „Ich will nicht, dass es Pflicht ist, jeden Tag gemeinsam zu kochen“, sagt eine der Interessentinnen. Ist es nicht, sagt Caritas-Mitarbeiterin Pointner, „aber man muss sich schon bewusst sein: Es ist eine WG.“

Im Anschluss an den Info-Abend gibt es eine Führung durch die WG im ersten Stock, in der die Wohnungen entlang von Gängen aufgefädelt sind. Nein, die Schuhe müssen nicht ausgezogen werden. Wer wohl gerade im Putz-Radl dran ist? Die zusammengewürfelten Möbel in der Küche stammen vom Caritas-Shop Carla. Teppiche auf dem Boden oder Bilder an den Wänden in den Gemeinschaftsbereichen fehlen noch.

Manchmal, so erzählt eine Bewohnerin, sieht man einander die ganze Woche nicht, weil jede ihr eigenes Leben habe. Es sei ein „Experiment“, sagt sie. Ausgang? Ungewiss. Das hängt auch von den neuen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern ab. Einige Gäste vom Info-Abend bekunden ihr Interesse, sie werden zu weiteren Treffen eingeladen.

Dann kehrt im Wohnbereich langsam Ruhe ein. Martina, eine der Bewohnerinnen, lässt sich auf ein Sofa plumpsen. Der Umzug in die WG „war schwerer, als ich dachte“, erzählt sie. Bei älteren Menschen seien viele Eigenheiten schon sehr verfestigt. Veränderung fällt da schwerer, „das fängt beim Einräumen des Geschirrspülers an“. Oder im Spülbecken: Drei Personen nutzen die Küche derzeit, drei Spülschwämme liegen in der Abwasch. Aber es ist noch Platz für ein paar weitere.

Der Standard, Sa., 2023.03.18

18. März 2023Franziska Zoidl
Der Standard

Bauen auf die Abbruchreife

Über manchem Wiener Gründerzeithaus baumelt die Abrissbirne. Häufig wird von den Eigentümern mit wirtschaftlicher Abbruchreife argumentiert – immer wieder mit Erfolg.

Über manchem Wiener Gründerzeithaus baumelt die Abrissbirne. Häufig wird von den Eigentümern mit wirtschaftlicher Abbruchreife argumentiert – immer wieder mit Erfolg.

Noch steht das alte Haus in der Schönbrunner Straße in Wien-Meidling, nur einen Steinwurf vom Schönbrunner Schlosspark entfernt. Auf den Klingelschildern neben der Eingangstür sieht man noch die Namen der ehemaligen Bewohner. Ihre Wohnungen sind längst leer. Und im Bezirk wächst bei manchen die Sorge, dass der Abbruchbagger für das niedrige Haus mit nur zwei Geschoßen anrücken könnte.

Vor einigen Monaten wurde bereits sein Dach entfernt. Seither verschwindet das geduckte Kutscherhaus fast vollständig hinter einem Baustellengerüst und, seit kurzem, einer knallorangen Baumulde. Oben auf dem Dach ist es der Witterung ausgesetzt. Beim STANDARD-Lokalaugenschein sind einige Arbeiter neben dem Gerippe des Dachstuhls zugange, um das Dach leerzuräumen. Plant der Eigentümer, ein Wiener Immobilienunternehmer, einen Abriss mit der wirtschaftlichen Abbruchreife des Hauses zu argumentieren?

Die Wiener Grünen schlugen diesbezüglich bereits im Jänner Alarm: „Hier wird ganz klar die Bewilligungspflicht für den Abbruch von Gebäuden umgangen, die vor 1945 errichtet wurden“, die Behörden müssten umgehend einschreiten, forderten sie in einer Aussendung. Auch der Architekturblogger Georg Scherer, der den Blog Wien Schauen betreibt, findet den Fall „erschreckend“. Bei der Baupolizei heißt es auf Anfrage, dass eine Änderung des Dachbereichs baubehördlich bewilligt wurde, das Dach also „zulässigerweise“ für die Durchführung der Arbeiten entfernt wurde. Ein Abbruchansuchen liege für das Gebäude derzeit nicht vor. Da das Gebäude nicht bewohnt sei, gebe es derzeit keine weiteren Möglichkeiten für Sicherungsmaßnahmen. Und doch glauben in der Nachbarschaft manche, dass es letztendlich um Abbruch und nicht um Aufstockung des Bestandsgebäudes – erlaubt ist laut Flächenwidmungs- und Bebauungsplan eine Gebäudehöhe von 16 Metern – gehen wird.

Schutz alter Häuser

Demselben Unternehmer gehört auch die Radetzkystraße 24–26 in Wien-Landstraße. Bei dem neogotischen Eckhaus wurde vor viereinhalb Jahren bereits mit dem Abdecken des Daches begonnen, während es noch von einigen Mieterinnen und Mietern bewohnt war. Der Fall beschäftigte jahrelang die Gerichte.

Letztendlich wurde vor gut einem Jahr aber eine Einigung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern erzielt. Der Abbruchbagger rückte an. Der Ausgang in Meidling ist aber noch offen. Auf eine Anfrage zu den Plänen für das Haus wurde vonseiten des Eigentümers nicht reagiert.

Die wirtschaftliche Abbruchreife ist jedenfalls ein beliebtes Instrument unter manchen Wiener Immobilienunternehmern. Dabei wollte die Stadt mit einer Novelle der Bauordnung 2018 ihre charakteristischen alten Häuser eigentlich besser schützen. Seither wird beurteilt, ob am Erhalt eines alten Hauses öffentliches Interesse besteht, oder ob es abgerissen werden darf.

Nur gibt es eben Schlupflöcher, argumentieren Kritikerinnen und Kritiker. Bei der wirtschaftlichen Abbruchreife wird der nötige Kosteneinsatz, um das Haus in einen guten, vermietbaren Zustand zu bekommen, dem möglichen Ertrag gegenübergestellt. Wenn die Kosten für die Sanierung höher sind als der mögliche Ertrag, liegt eine wirtschaftliche Abbruchreife vor. Die Beurteilung dafür liegt bei der Baupolizei (MA 37) und bei der Abteilung Technische Stadterneuerung (MA 25).

Anfrage im Gemeinderat

Die Wiener Grünen – die bei der Novelle der Bauordnung 2018 wohlgemerkt noch selbst in der Stadtregierung waren – fordern schon länger, dass der Passus wirtschaftliche Abbruchreife ganz aus der Bauordnung gestrichen wird. Für Juristen ist ein solcher Eingriff in die Freiheit des Eigentums verfassungsjuristisch allerdings schwierig.

Georg Prack, Wohnsprecher der Wiener Grünen, hat zu der Thematik Anfang des Jahres eine Anfrage im Gemeinderat eingebracht. Er wollte unter anderem wissen, wie häufig Häuser mit diesem Argument abgerissen werden. Vor wenigen Tagen kamen die Antworten von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ). Demnach kam es im Vorjahr in 30, 2021 in 34 Fällen zu entsprechenden Abbruchbewilligungen. 2020 und 2019 waren es mit 16 bzw. 14 Fällen deutlich weniger.

Ein in der Anfragebeantworttung genanntes Beispiel aus dem Vorjahr ist die Hohenbergstraße 18 in Wien-Meidling. Die Adresse befindet sich ebenfalls in der Nähe des Schönbrunner Schlossparks und daher ebenfalls in bester Lage. Auch hier lautete der Befund für das gelbe Gründerzeithaus mit schnörkeligen Fassadenelementen: wirtschaftliche Abbruchreife. Im Sommer des Vorjahres wurde zuerst ein Loch in die Fassade geschlagen, Stuck entfernt – und das Haus schließlich abgebrochen.

Was Abbrüche begünstigt: In den letzten Jahren ist Meidling ein heißes Pflaster für Immobilieninvestoren geworden. Ein Beispiel: Der frühere Eigentümer des Hauses in der Schönbrunner Straße, das nun ohne Dach dasteht, ist 2018 verstorben. Seine Erben verkauften das Haus im selben Jahr um zwei Millionen Euro an einen Immobilienunternehmer, der das Haus 2021 um 4,78 Millionen Euro an den jetzigen Besitzer weiterverkaufte.

Ein Zinshausbesitzer aus dem Grätzel berichtet, dass er wöchentlich Briefe oder Anrufe mit mehr oder weniger blumigen Kaufangeboten erhält. Oft würden ihm die Immobilienunternehmer treuherzig versichern, das Haus bewohnen zu wollen.

Tanja Grossauer-Ristl, Klubobfrau der Grünen in Meidling, kritisiert, dass ihr Bezirk ein „blinder Fleck“ sei, für dessen alte Häuser man sich nicht im selben Maße stark mache wie in anderen Teilen der Stadt. In der Schönbrunner Straße verortet sie eine „Pufferzone“ des Unesco-Weltkulturerbes und sagt: „Wir müssen diese historische Gebäudesubstanz besser schützen.“ Ein häufiges Problem sei die Flächenwidmung. Wenn diese nicht bestandskonform sei, dann sei eine Aufstockung oder ein Abbruch für Investoren verlockend.

Abbrüche erschweren

Auch die Stadt Wien hat in Zusammenhang mit der in Arbeit befindlichen Novelle der Bauordnung angekündigt, alte Häuser besser schützen und Abbrüche weiter erschweren zu wollen.

Wichtig sei, frühzeitig anzusetzen, damit es gar nicht erst zu einer wirtschaftlichen Abbruchreife kommen kann, heißt es im Büro von Wohnbaustadträtin Gaàl, nämlich in Form eines Bauwerksbuchs, mit dem erfasst werden soll, welche Instandhaltungsmaßnahmen getätigt wurden.

Zuletzt hat die Stadt übrigens vor ziemlich genau fünf Jahren angekündigt, Abrisse gesetzlich erschweren zu wollen. Das hat zu einem wahren Abrissboom geführt. Einen ähnlichen Effekt befürchtet man nun aber nicht.

Der Standard, Sa., 2023.03.18

08. September 2021Franziska Zoidl
Der Standard

Wo es ohne Autos geht

In Wien-Floridsdorf wurde Anfang der 2000er-Jahre die autofreie Mustersiedlung bezogen. Autofrei ist die Siedlung bis heute – auch wenn vereinzelte Bewohner sich einen Pkw angeschafft haben.

In Wien-Floridsdorf wurde Anfang der 2000er-Jahre die autofreie Mustersiedlung bezogen. Autofrei ist die Siedlung bis heute – auch wenn vereinzelte Bewohner sich einen Pkw angeschafft haben.

Der Lieferwagen des Paketdienstes muss bei der autofreien Mustersiedlung in Wien-Floridsdorf draußen parken. Und sogar die beiden jungen Männer auf ihrem E-Scooter drehen nach ein paar Kurven wieder in Richtung Straße um – falsch abgebogen, zurück in die Wiener Verkehrsrealität.

In dieser sticht die autofreie Anlage mit ihren rund 244 Wohnungen auch mehr als 20 Jahre nach Fertigstellung immer noch hervor. Parkplätze für Bewohnerinnen und Bewohner gibt es keine. Eine kleine Tiefgarage mit 24 Stellplätzen wurde zwar errichtet, in der, so der Ursprungsgedanke, Carsharing-Autos geparkt werden sollten. Heute stehen hier unten einige wenige Motorräder und ansonsten viele, viele Fahrräder fein säuberlich aneinandergereiht. Von zwei Fahrrädern pro Haushalt war man bei der Planung ausgegangen. Es sind mehr, sagt Stephan Lanner, der seit der Fertigstellung in der Siedlung wohnt.

Trotzdem: „100 Prozent autofrei war die Anlage nie“, erzählt er bei einem Rundgang. Rechtlich kann man Bewohnerinnen und Bewohnern nicht verbieten, sich ein Auto anzuschaffen. Sie unterschreiben beim Einzug aber eine entsprechende Vereinbarung. Sollten sie sich aufgrund von veränderten Lebensumständen ein Auto zulegen, müssen sie einen Garagenplatz im Umkreis von 500 Metern nachweisen können.

Die autofreie Mustersiedlung wurde von Beginn an von vielen im Bezirk – aber auch weit darüber hinaus – kritisch beäugt. Die Bewohnerinnen und Bewohner hätten heimlich Autos, heißt es oft, und würden sie einfach anderswo parken. Um dem zu begegnen, wurde vor einigen Jahren innerhalb der Anlage eine Umfrage durchgeführt: Zehn bis 15 Prozent aller Haushalte haben demnach ein Auto. Zur Einordnung: Das sind 24 bis 36 Autos.

Karl Wurm war bei der Errichtung der Anlage Geschäftsführer der Gewog, die mit einem weiteren Bauträger die beiden Wohnhäuser errichtet hat. Der Verzicht aufs Auto funktioniere über sozialen Druck und die Gruppenzugehörigkeit, ist er überzeugt. Und er wird belohnt, indem das Geld, das man sich durch den Wegfall der hochpreisigen Stellplätze spart, in Gemeinschaftsflächen gesteckt wird. In der Siedlung gibt es zum Beispiel Dachgärten, ein Biotop sowie Werkstätten, die bis heute stark genutzt werden.

„Eines würde ich Bauträgern gern ins Stammbuch schreiben“, sagt Bewohner Stephan Lanner: „Diese Angebote müssen niederschwellig nutzbar sein.“ Die Bewohnerschaft hat sich daher für ein Zugangssystem zu den Räumen mittels Chips oder Handys entschieden – und gegen einen Schlüssel, den erst recht wieder jemand verwahren und verwalten muss.

Überhaupt seien Bewohnerinnen und Bewohner der Anlage sehr engagiert und aktiv, berichtet man bei der Gewog — im Unterschied zu anderen Häusern, wo schon einmal die Gemeinschaftsflächen wegen Vandalismus gesperrt werden müssen. In der Mustersiedlung wiederum werden kleinere Reparaturarbeiten oft einfach selber durchgeführt. Allerdings bemerkt Stephan Lanner aktuell einen Umbruch, „weil die Pioniergeneration mit der Anlage gealtert ist“. Einige frisch Zugezogene würden eher durch günstige Mieten oder die Lage als von der Idee angezogen. Man versuche aber, „die Neuen“ an Bord zu holen. Immerhin hat die Siedlung schon andere Umbrüche gemeistert: Die Wohnungen wurden mit Kaufoption errichtet, viele einstige Mieterinnen und Mieter haben diese erworben. Damit hat sich die rechtliche Situation des Hauses verändert. Und vor einigen Monaten kaufte die Gewog mit einer gewerblichen Tochter die verbleibenden Mietwohnungen vom zweiten Bauträger Domizil.

Platz für Neues

„Die autofreie Mustersiedlung ist eine fantastische Geschichte“, sagt Gewog-Geschäftsführerin Ingeborg Skerjanz. Viele würden schon seit 20 Jahren in der Anlage wohnen, auch ihre Kinder hierbleiben. Die Nachfrage von Außenstehenden sei aber überschaubar: Dass die Siedlung autofrei ist, schrecke manche immer noch ab. Vielleicht ist das der Grund, warum die Siedlung in dieser Form einzigartig geblieben ist. Auch wenn es heute Wohnprojekte und Stadtteile gibt, in denen das Auto in seine Schranken verwiesen wird.

Denn so entsteht Platz für Neues, wie sich in Floridsdorf zeigt: Weil über die Rampe der Tiefgarage nie ein Auto donnert, wird ganz unten Tischtennis gespielt.

Der Standard, Mi., 2021.09.08



verknüpfte Bauwerke
Autofreie Mustersiedlung

23. Juni 2021Franziska Zoidl
Der Standard

Zu Hause und doch nicht daheim arbeiten

Nicht erst seit Corona gibt es in manchen Wohnhäusern für Bewohner die Möglichkeit, Flächen im Erdgeschoß zum Arbeiten zu nutzen. Wie das Co-Working fast zu Hause funktioniert.

Nicht erst seit Corona gibt es in manchen Wohnhäusern für Bewohner die Möglichkeit, Flächen im Erdgeschoß zum Arbeiten zu nutzen. Wie das Co-Working fast zu Hause funktioniert.

Seit kurzem sind sämtliche Allgemeinflächen in der Carlbergergasse 105 im 23. Wiener Gemeindebezirk wieder geöffnet. Während Corona war die Nutzung eingeschränkt möglich, nun können mittels Buchungssystems Werkstatt oder Gemeinschaftsküche im ruhigen Innenhof der Anlage wieder ohne Einschränkungen angemietet werden.

Hier im Erdgeschoß des Baukörpers befindet sich auch die Lese-Lounge. Sie hat sich seit der Fertigstellung des Großprojekts „In der Wiesen Süd“, mit dem etwa 730 geförderte Wohnungen von unterschiedlichen Bauträgern entstanden sind, zu einem Homeoffice außerhalb der eigenen vier Wände gemausert.

Zuständig für die Bespielung ist die Themengruppe Homeoffice, die sich im Rahmen des Wiesen-Dialogs, eines partizipativen Prozesses für Bewohnerinnen und Bewohner des neuen Grätzels, gefunden hat. Dabei ging es darum, die Nachbarschaft kennenzulernen und mitzugestalten. Begleitet wurde der Dialog von Realitylab. „Die Idee, die Lese-Lounge als Erweiterung des Homeoffice zu sehen, kam von einem Bewohner“, erinnert sich Petra Hendrich von Realitylab. Schnell waren Mitstreiter gefunden, die ihre Wünsche für die Möblierung des Raumes an den Bauträger formulierten. Zentral sei die Organisation eines gemeinsamen WLAN im Raum gewesen.

Zwei Jahre lang wurde das Projekt von Realitylab nach dem Einzug noch begleitet. Das Homeoffice sei sehr reibungslos verlaufen, erinnert sich Hendrich. Bei anderen Themenfeldern, etwa den Spielbereichen für die Kinder, habe es mehr Moderationsbedarf gegeben.

Etwa 35 Menschen nutzen das Homeoffice teilweise mehrmals pro Woche, heißt es vonseiten des Bauträgers Heimbau. Genutzt wird der Bereich laut Brigitte Feutl von der Hausverwaltung etwa von Freiberuflern, denen in der Wohnung mit der Familie der Platz zum Arbeiten fehlt.

Veränderungen im Nutzerverhalten habe man durch die Corona-Pandemie nicht bemerkt. In der knapp 80 Quadratmeter großen Lese-Lounge stehen über den Raum verteilt Tische und Stühle, im prall gefüllten Regal an der Wand können Bücher abgestellt und entlehnt werden.

Die nötigen Anschlüsse, Drucker, Flipcharts und Trennwände sind vorhanden. Theoretisch kann auch der ganze Raum gebucht werden. „Oft arbeiten mehrere gemeinsam hier“, sagt Feutl. An der Wand hängen die Regeln für die Nutzung des Raumes. Essen ist unerwünscht, Telefonieren nur nach Rücksprache mit den anderen möglich. Und es herrscht eine Clean-Desk-Policy: Wer mit der Arbeit fertig ist, muss seinen Tisch auch wieder räumen.

Auch andere Bauträger setzen nun vermehrt auf ein ähnliches Angebot: Die Buwog vermietet in der Hertha-Firnberg-Straße 10 im zehnten Bezirk 15 Einzelräume, die als Büros gewidmet sind. Bei Neubauten ist außerdem in Planung, Office-Spaces künftig gleich fix zu integrieren. Konkrete Projekte will man derzeit aber noch keine nennen.

Co-Working und Corona

In der Wiener Seestadt Aspern hat sich die Baugruppe Seestern schon 2015 für einen Co-Working-Space im Erdgeschoß entschieden. 13 Arbeitsplätze entstanden hier, die nicht nur von Bewohnerinnen und Bewohnern, sondern auch von anderen Seestädtern angemietet werden konnten und gut nachgefragt waren.

Mit dem ersten Lockdown brachen allerdings einige der Mieterinnen und Mieter weg, berichtet Seestern-Bewohner und Co-Worker Roland Thurner. Dafür seien aber auch einige neue gekommen, die plötzlich im Homeoffice arbeiten mussten. Tendenziell habe es im letzten Jahr einen Wandel von externen hin zu internen Mietern gegeben. Einen Teil der Fläche hat Thurner auch für seine Videoproduktionsfirma angemietet: „Dafür hätte es vor Corona keinen Platz gegeben.“

Nun merke man, dass die Krise vorbei sei: „Es kommen wieder mehr Anfragen“, sagt Thurner. Einige freie Schreibtische gibt es noch.

Der Standard, Mi., 2021.06.23

08. Oktober 2020Franziska Zoidl
Der Standard

In Wien tun sich Menschen zunehmend zum Planen und Bauen eines Hauses zusammen

Wohnen ist auch in Wien teuer geworden. Daher finden sich zunehmend Gleichgesinnte, die beim Wohnen auf der Suche nach mehr sind als bloß einem Dach über...

Wohnen ist auch in Wien teuer geworden. Daher finden sich zunehmend Gleichgesinnte, die beim Wohnen auf der Suche nach mehr sind als bloß einem Dach über...

Wohnen ist auch in Wien teuer geworden. Daher finden sich zunehmend Gleichgesinnte, die beim Wohnen auf der Suche nach mehr sind als bloß einem Dach über dem Kopf. Baugruppen nehmen die Sache selbst in die Hand. Sie planen ihr Haus gemeinsam und bauen für ihre eigenen Bedürfnisse. So sollen Wohnungen leistbar bleiben und der Spekulation entzogen werden.

Mit dem Wildgarten an der Grenze von Meidling und Liesing entsteht gerade ein neues Wohnviertel, das aber erst in einigen Jahren mit eigener S-Bahn-Station und damit einer guten Öffi-Anbindung ausgestattet werden wird. Auch hier werken – wie zuvor schon im Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof und in der Seestadt Aspern – Baugruppen. Die vier Projekte sind teils fertig bzw. biegen langsam in die Zielgerade. Eine davon ist die Baugruppe Willdawohnen.

Dass das gemeinsame Projekt aber nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung bringt, wurde im Sommer deutlich. Im letzten Moment bekamen einige Interessenten, die seit Jahren mit an Bord waren, kalte Füße, berichtet Baugruppen-Mitglied Juliane Schiel. Das wurde fast zum Problem: „Damit sind wir unter die 20 Prozent Eigenmittel gerutscht, die die Bank verlangt“, sagt Schiel. Denn der gemeinnützige Bauträger Schwarzatal errichtet das Haus. Nun wollte die Baugruppe es als Verein erwerben. Plötzlich fehlten dafür aber die Mittel. Über den Sommer wurde die Werbetrommel gerührt, nun ist das Haus fast voll: Nur noch „ein bis zwei“ größere Wohnungen sind zu haben. Vor wenigen Tagen konnte die Baugruppe aufatmen – und den Kaufvertrag unterschreiben.

Bei 4000 Euro liegen die Quadratmeterpreise – kein Schnäppchen. Das schrecke manche ab, gibt man bei der Baugruppe zu. Dafür bekommt man Gemeinschaftsräume wie eine Bibliothek oder Dachgärten. Das will nicht jeder, weiß Schiel: „Aber wenn man nicht alles selbst besitzen muss, ist das ein super Modell.“ Konflikte gibt es bei dieser Form des Zusammenlebens natürlich auch. Für die Beziehungsarbeit gibt es eine eigene Arbeitsgruppe. Im Dezember wird es ernst: Mit der Schlüsselübergabe geht der Wohnalltag los.

Der Standard, Do., 2020.10.08

21. September 2020Franziska Zoidl
Der Standard

Wohnen auf der Schuhschachtel

Eingeschoßige Supermärkte inmitten von Parkplätzen sind zumindest im städtischen Umfeld out. Stattdessen werden über Einkaufsflächen Wohnungen gestapelt. Ein solches Projekt befindet sich in Wien nun in Bau.

Eingeschoßige Supermärkte inmitten von Parkplätzen sind zumindest im städtischen Umfeld out. Stattdessen werden über Einkaufsflächen Wohnungen gestapelt. Ein solches Projekt befindet sich in Wien nun in Bau.

Gut Ding braucht Weile. Das gilt nicht nur, aber besonders in der Immobranche, wo vom ersten Entwurf bis zum fertigen Gebäude viele, viele Winter ins Land ziehen können. Ein Projekt der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft EBG hat der damalige Wiener Planungsstadtrat Christoph Chorherr, damals noch Mitglied der Grünen, schon 2015 vorgestellt: In der Zschokkegasse im 22. Wiener Gemeindebezirk sollte statt eines ursprünglich geplanten eingeschoßigen Supermarkts inmitten eines Parkplatzes – von Kritikern werden solche Konstrukte auch Schuhschachteln genannt – etwas Neues entstehen. Der Lidl-Supermarkt und das angrenzende Parkdeck sollten mit 65 Sozialwohnungen überbaut werden. Und viele weitere Projekte sollten folgen.

Dann wurde es still um das Projekt. Nun, fünf Jahre später, tut sich etwas in der Donaustadt. Vor wenigen Tagen erfolgte der Baustart. Einige Bäume und Sträucher auf dem Grundstück wurden zuvor gerodet, nun fahren die Bagger auf. Der Termin für einen offiziellen Spatenstich mit Vertretern der Politik wird folgen, berichtet EBG-Geschäftsführer Martin Orner.

Änderungen nötig

Warum bis zum Auffahren der Bagger so viel Zeit verging, erklärt er mit einem zuvor noch nötigen Widmungs- und einem Anrainerverfahren. Das sei ganz normal und nicht projektspezifisch. Und weil so viel Zeit verstrichen war, mussten dann die Verträge mit dem Diskonter Lidl auch noch neu angepasst werden. Dass der Supermarkt im Erdgeschoß einzieht, ist zumindest nach wie vor fix.

Änderungen hat es in der Zwischenzeit beim Projekt aber schon gegeben: Die Holzfassade, die auf den Visualisierungen von 2015 noch zu sehen war, ist mittlerweile verschwunden, „aus Kostengründen“, wie Orner sagt: „Durch die Verzögerung sind die Baukosten so gestiegen, dass wir umplanen mussten.“

Schon jetzt ist klar: Die Wohnungen werden heißbegehrt sein. Die Voranmeldung für die Wohnungen in der Zschokkegasse ist auf der Website des Bauträgers schon seit Jahren nicht mehr möglich. „Bei 3000 haben wir die Anmeldung geschlossen“, sagt Orner. Zwar werden in der Zwischenzeit viele Interessenten von damals anderweitig eine Wohnung gefunden haben. Über leerstehende Wohnungen wird sich der Bauträger aber wohl dennoch keine Sorgen machen müssen.

Projekte wie jenes in der Zschokkegasse sind in Wien noch rar gesät. Ähnliches hat der Entwickler Palmers Immobilien in der Tivoligasse in Wien-Meidling vor, wo ebenfalls ein Lidl-Supermarkt mit Wohnungen überbaut werden soll. Dort gab es aber zuletzt Proteste durch Anrainer. Der Bezirk wünschte sich daraufhin Änderungen des Entwurfs. Nun steht man kurz vor einem Termin für die Bauverhandlung.

Weitere Projekte

Dass der Mix aus Wohnen und Einkaufen durchaus funktionieren kann, zeigt das Auhofcenter in Wien-Penzing. Hier errichtete 2015 der gemeinnützige Bauträger WBV-GPA 71 leistbare Wohnungen, die rund um einen ruhigen Innenhof auf dem Dach des Shoppingcenters angeordnet sind. Weitere ähnliche Projekte sind beim Bauträger EBG, der nun in der Zschokkegasse baut, aktuell indes keine geplant.

Aber was nicht ist, kann noch werden: „Wir wollen das natürlich schon machen“, sagt Geschäftsführer Orner dazu. Denn am freien Markt sei es mittlerweile sehr schwierig für Gemeinnützige, an Grundstücke zu kommen, die gefördertes Wohnen überhaupt zulassen. Zumindest theoretisch gibt es jedenfalls noch viel Platz auf den heimischen Supermärkten.

Der Standard, Mo., 2020.09.21

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Presseschau 12

15. Juni 2024Franziska Zoidl
Der Standard

Der Supermarkt ist schon da

Viele Ortseinfahrten sind geprägt von eingeschoßigen Supermärkten und Fachmarktzentren. Viele könnten mit Wohnungen überbaut werden, um den Boden zu schonen. Ein Unternehmen will das nun vorantreiben.

Viele Ortseinfahrten sind geprägt von eingeschoßigen Supermärkten und Fachmarktzentren. Viele könnten mit Wohnungen überbaut werden, um den Boden zu schonen. Ein Unternehmen will das nun vorantreiben.

Die Idee klingt einfach: Viele Supermärkte, Shoppingmalls und Fachmarktzentren, die es im ganzen Land gibt, könnten mit Wohnungen überbaut werden. So würde dringend benötigter neuer Wohnraum entstehen, für den gleichzeitig keine neuen Flächen mehr versiegelt werden müssten. Die Autofahrt zum Supermarkt oder zum Bäcker spart man sich obendrein: Sie sind ja schon da.

Über solche Überbauungen von Gewerbeflächen wird seit vielen Jahren geredet. Die dadurch aber tatsächlich bereits entstandenen Wohnungen sind immer noch rar. Denn es gibt Widmungs- und rechtliche Fragen, meinen Immobilienprofis. „Und es ist komplexer als das Bauen auf der grünen Wiese“, sagt Dietmar Reindl, früherer COO der Immofinanz und Geschäftsführer von Baumhouse. „Aber wir müssen uns ein bisserl anstrengen.“ Mit seinem Unternehmen will Reindl das Aufstocken von Gewerbeflächen vorantreiben.

Denn noch stehen die meisten Fachmarktzentren und Supermärkte als einfache Schuhschachteln in der Landschaft. Noch unter Reindls Leitung hat die Immofinanz, der Fachmarktzentren im In- und Ausland gehören, 2021 das Konzept „On Top Living“ präsentiert. Das ambitionierte Ziel: Innerhalb von zehn Jahren sollen 70 Retailparks im In- und Ausland mit 12.000 Wohnungen in modularer Holzbauweise überbaut werden – auch als Antwort auf immer strenger werdende Nachhaltigkeitskriterien der EU. Den Startschuss wollte man mit einem Fachmarktzentrum in Simmering machen. Doch daraus wurde nichts.

Erstes Projekt geplant

Dietmar Reindl glaubt weiterhin an das Konzept. Er hat der Immofinanz die Planung für das erste Projekt abgekauft und weiterentwickelt. Eine Schau-Wohnung, die 2021 unweit des Immofinanz-Firmensitzes aufgebaut wurde, hat er als Büro angemietet, um potenziellen Investoren einen Eindruck des Wohnens in den Modulen aus Lärchenholz geben zu können.

Offenbar mit Erfolg, denn für Investoren spiele die Nachhaltigkeit eine immer wichtigere Rolle. Die ersten Projekte sind in der Pipeline, erzählt Reindl. Eines davon sei schon konkret über einem Supermarkt samt Parkplatz in Wiener Neustadt in Planung, wo 160 Mietwohnungen im Baurecht entstehen sollen. Die passende Widmung gibt es, nun startet das kooperative Verfahren mit der Stadt. Weitere Projekte sind für den Süden Wiens und in der Nähe von Linz geplant.

Allerdings funktioniere nicht jede Lage, betont Reindl: „Aber wir können mit dem Konzept Wohnlagen in Wohnrandlagen ausdehnen.“ Auch der Nutzungsmix spiele eine wichtige Rolle – es gehe nicht nur um leistbare Mietwohnungen, sondern auch um Ausbildungs-, Betriebs- und sogar betreubare Wohnungen. Die Statik der Bestandsgebäude wiederum ist weniger wichtig, weil die Module in ein brückenartiges Stahlbetonskelett gesteckt werden, das von hinten an die Gebäude gerückt wird. Die Geschäfte im Erdgeschoß können also während der Bauzeit geöffnet haben.

Die Miete in Wiener Neustadt soll bei maximal 10,50 Euro pro Quadratmeter liegen. „20 Prozent unter der Marktmiete“ sei immer das Ziel. Und eine gemischte Nutzung, bei der am Ende alle glücklich sind.

Der Standard, Sa., 2024.06.15

18. Oktober 2023Franziska Zoidl
Der Standard

Alles unter einem Dach

Mit der „HausWirtschaft“ ist im Nordbahnviertel ein bunter, gemeinschaftlicher Mix aus Wohnen und Gewerbe entstanden. Seit wenigen Wochen wird das Projekt bezogen. Ein Hausbesuch.

Mit der „HausWirtschaft“ ist im Nordbahnviertel ein bunter, gemeinschaftlicher Mix aus Wohnen und Gewerbe entstanden. Seit wenigen Wochen wird das Projekt bezogen. Ein Hausbesuch.

Die Matten sind ausgerollt und der verspiegelte Raum auf Temperaturen aufgeheizt, die an den eben erst vergangenen Sommer erinnern. Gleich findet die allererste Hot-Yoga-Stunde in der „HausWirtschaft“ im Nordbahnviertel statt. Das Haus im neuen Stadtviertel wird seit wenigen Wochen bezogen. In vielen Ecken wird noch gebohrt und gehämmert. Im Yoga-Studio „Dein Yoga Leo“ ist von der Betriebsamkeit aber nichts zu merken. Namaste.

Mit der HausWirtschaft ist ein ungewöhnliches Baugruppenprojekt im zweiten Wiener Gemeindebezirk entstanden. Normalerweise stehen im Fokus des gemeinschaftlichen Bauens leistbare Wohnungen in neuen Stadtvierteln. Im Nordbahnviertel hingegen war von Anfang an klar, dass – nach einer Idee des Initiators Peter Rippl und mit planerischer Unterstützung von Einszueins Architektur und dem Bauträger EGW Heimstätte – auf 7000 Quadratmetern ein Spagat zwischen Wohnen und Gewerbe geschafft werden soll.

Denn für Selbstständige und Kleinunternehmer fehlt es in der Stadt an leistbaren Gewerbeflächen. Viele sind daher auf das Homeoffice angewiesen. Dass das auf die Dauer nicht für alle die richtige Lösung ist, hat nicht zuletzt die Corona-Pandemie gezeigt, in der das Homeoffice nicht für alle funktioniert hat.

50:50 beträgt die Mischung aus Wohnen und Gewerbe in der HausWirtschaft, die als Genossenschaft organisiert ist. Das Anmieten einer Gewerbefläche war bei der Vergabe der Wohnungen Voraussetzung, bei zwei Jahren liegt die Mindestmietdauer für diese Flächen.

Rund um ein Atrium in den oberen Stockwerken sind, entlang von Laubengängen aufgefädelt, 48 Wohnungen mit standardisierten Grundrissen entstanden. Die Kinder des Hauses haben die breiten Gänge bereits in Besitz genommen und veranstalten hier lautstark Fahrradrennen.

Die Gewerbe- und Büroflächen sind in den unteren Etagen angeordnet. Hier sind unterschiedliche Bürotypen und Gesundheitseinrichtungen sowie ein Kindergarten und flexibel anmietbare Räume und Werkstätten untergekommen. Ein Rechtsanwalt ist bereits eingezogen, Psychotherapie und Shiatsu werden ein paar Schritte weiter angeboten. Schon jetzt würden sich Synergien bilden, erzählt Ira Ganas, die im Haus Face Yoga anbietet, begeistert.

Außerdem gibt es die „HausPension“ mit neun Hotelzimmern, die nicht nur Bewohnerinnen und Bewohnern, sondern auch Externen zur Verfügung stehen. So gut wie alle Gewerbeflächen sind mittlerweile vergeben, nur einige Co-Working-Tische oder flexible Arbeitsbereiche sind noch zu haben.

Grundsätzlich können alle Gemeinschaftsflächen im Haus von allen genutzt werden. Die große Gemeinschaftsküche mit angrenzendem Spielbereich für die Kleinen und Blick über die „Freie Mitte“, das grüne Zentrum des Nordbahnviertels, darf also auch von externen Büromieterinnen und -mietern genutzt werden. Einzig die „RuheInsel“ ganz oben, in der eine Sauna untergebracht ist, gehört nur den Bewohnern, erklärt Philipp Naderer-Puiu.

Er ist so etwas wie ein Baugruppenveteran und war bereits in der Baugruppe Seestern in der Seestadt Aspern involviert. Danach kam Naderer-Puiu mit seiner Familie zur HausWirtschaft. Nach zwei Baugruppenprojekten ist er überzeugt: Ab 20 Wohneinheiten habe es für Baugruppen Sinn, von Anfang an ein oder zwei Mitglieder anzustellen. „Komplett mit Freiwilligenarbeit hätte es nicht funktioniert.“

Auf Möbelsuche

„Es braucht bei so großen Projekten jemanden, der den Überblick behält“, sagt auch Angela Kohl, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Genossenschaft, bevor sie zum Möbelkauf weitermuss. Um das Budget zu schonen, wird bei der Möblierung der Büros viel auf Second-Hand-Möbel gesetzt. Der Entstehungsprozess des Projekts wurde unter anderem durch das Future Lab der TU Wien begleitet und von der Smart Cities Initiative des Klima- und Energiefonds gefördert.

Noch drehen sich in der Nachbarschaft die Kräne. Auch die HausWirtschaft wird erst Anfang 2024 die große Eröffnung feiern, wenn der Nordbahnsaal mit Platz für bis zu 120 Personen im Erdgeschoß fertig ist. Er ist, so wie der Rest des Hauses, für viele unterschiedliche Nutzungen gedacht – und soll, so der Wunsch, ins gesamte Grätzel hinausstrahlen.

Der Standard, Mi., 2023.10.18

18. März 2023Franziska Zoidl
Der Standard

Die etwas andere Wohngemeinschaft

In der Wiener Seestadt Aspern gibt es eine Wohngemeinschaft, in der Menschen über 55 zusammenleben. Noch gibt es Platz. Ein Besuch in einer WG, die sich gerade zusammenfindet.

In der Wiener Seestadt Aspern gibt es eine Wohngemeinschaft, in der Menschen über 55 zusammenleben. Noch gibt es Platz. Ein Besuch in einer WG, die sich gerade zusammenfindet.

Wie funktioniert das eigentlich mit dem Putzen? Diese Frage stellt sich in jeder Wohngemeinschaft früher oder später. In der WG Melange der Caritas, einer Wohngemeinschaft für Menschen ab 55, zeigt sich die Lebenserfahrung: Hier wird sie gleich vorab beim Informationsabend gestellt.

In der Seestadt Aspern im 22. Bezirk in Wien gibt es in einem Stockwerk des Wohnhauses der Baugruppe Leuchtturm auf 455 Quadratmetern seit dem vergangenen Herbst eine Wohngemeinschaft für Menschen über 55, die fit sind und Gemeinschaft suchen. Letztere ist hier deutlich niedriger dosiert als in Studierenden-WGs: Jedes der acht WG-Zimmer verfügt theoretisch über Anschlüsse für eine kleine Küche sowie über ein eigenes Bad. Das erleichtert die Sache mit dem Putzen.

Gleichzeitig stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern Gemeinschaftsküche, Balkon und Waschküche zur Verfügung. Vier der Apartments – so werden die WG-Zimmer hier genannt – sind aktuell vergeben. Für vier weitere werden Bewohnerinnen oder Bewohner gesucht. Eben auch im Rahmen von Info-Veranstaltungen, die im Gemeinschaftsraum im „Leuchtturm“ und mit Blick über den See abgehalten werden.

Sneakers und Piercing

Zehn Frauen und ein Mann sind gekommen, die mehr über die Wohnform erfahren möchten. Die WG-Erfahrung der meisten liegt schon einige Jahre zurück. Im Sesselkreis sitzt zum Beispiel Renate, die sich für gemeinschaftliche Wohnformen im Alter interessiert.

Dann ist eine kleine Gruppe gekommen, die sich seit Jahren kennt und die gern selbst etwas auf die Beine stellen möchte. Eine Frau mit Schoßhund ist extra aus dem Weinviertel angereist. Im Alter sieht sie sich nicht auf dem Land, „da halte ich es nicht aus“. Und die Bewohnerin einer Gemeindewohnung im zweiten Bezirk, die, wie sie später erzählen wird, nicht „für die nächsten 2o Jahre“ alleine daheim vor dem Fernseher sitzen möchte, sagt: „Das kann nicht alles gewesen sein.“

Sie alle sehen nicht so aus, wie man sich alte – oder sagen wir: nicht mehr ganz junge – Menschen gemeinhin vorstellt. Sie tragen Sneakers und Outdoorjacken, haben gefärbtes Haar oder tragen modische Pagenköpfe. Eine Seniorin hat ein Nasenpiercing. Warum sind sie hier?

Menschen werden heute ganz anders alt als früher: Sie sind länger fit und berufstätig. Dass man mit den Kindern und deren Kindern unter einem Dach wohnt, ist heute die Ausnahme, Einsamkeit eine große Angst für viele alte Menschen. Daraus entstehen neue Wohnformen: betreubare Wohnungen etwa, die häufig in zentralen Lagen errichtet werden. Und auch Wohngemeinschaften für aktive Senioren, die noch keinen Betreuungs-, aber dafür Gemeinschaftsbedarf haben.

„Ab einem gewissen Alter muss man sich Gedanken machen“, sagt eine der Interessentinnen in der Vorstellungsrunde. Darum sind die meisten heute gekommen. Sie wollen sich umsehen, welche Optionen es gibt – für irgendwann, für später. „Nicht für sofort“, das sagen mehrere der Anwesenden ganz rasch dazu in der Vorstellungsrunde, damit bloß keine Missverständnisse entstehen. Vor allem, weil die meisten die Seestadt Aspern, eine längere U-Bahn-Fahrt vom Zentrum entfernt, bisher noch nicht wirklich auf dem Schirm hatten. „Erweitern Sie das Projekt auch auf andere Bezirke?“, möchte eine Frau daher gleich am Anfang wissen. Sie würde gern im Zweiten bleiben. Weitere Projekte seien geplant, erklärt ihr Karin Pointner von der Caritas, die die Veranstaltung leitet. Gespräche mit gemeinnützigen Bauträgern würden laufen – aber eher in Randbezirken.

Schwierige Balance

Doris ist im Dezember in die WG eingezogen und heute im Sesselkreis mit dabei, um Fragen zu beantworten. „Echt lässig“ sei die Wohnform, erzählt sie der Runde. Und sie weiß die Antwort auf die eingangs gestellte Frage zum Putzen der Gemeinschaftsflächen: „Wir putzen im Radl.“

Einmal in der Woche setzen sich die vier Frauen, die bisher eingezogen sind, für eine halbe Stunde zusammen. Monatlich kommt jemand von der Caritas vorbei. Die Themen, die sie da beschäftigen, klingen ähnlich wie in anderen WGs: Irgendwer war zu laut, irgendwer bekommt viel Besuch.

Die Herausforderung bei der Wohnform ist die Balance zwischen Privatsphäre und Gemeinsamkeit. „Ich will nicht, dass es Pflicht ist, jeden Tag gemeinsam zu kochen“, sagt eine der Interessentinnen. Ist es nicht, sagt Caritas-Mitarbeiterin Pointner, „aber man muss sich schon bewusst sein: Es ist eine WG.“

Im Anschluss an den Info-Abend gibt es eine Führung durch die WG im ersten Stock, in der die Wohnungen entlang von Gängen aufgefädelt sind. Nein, die Schuhe müssen nicht ausgezogen werden. Wer wohl gerade im Putz-Radl dran ist? Die zusammengewürfelten Möbel in der Küche stammen vom Caritas-Shop Carla. Teppiche auf dem Boden oder Bilder an den Wänden in den Gemeinschaftsbereichen fehlen noch.

Manchmal, so erzählt eine Bewohnerin, sieht man einander die ganze Woche nicht, weil jede ihr eigenes Leben habe. Es sei ein „Experiment“, sagt sie. Ausgang? Ungewiss. Das hängt auch von den neuen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern ab. Einige Gäste vom Info-Abend bekunden ihr Interesse, sie werden zu weiteren Treffen eingeladen.

Dann kehrt im Wohnbereich langsam Ruhe ein. Martina, eine der Bewohnerinnen, lässt sich auf ein Sofa plumpsen. Der Umzug in die WG „war schwerer, als ich dachte“, erzählt sie. Bei älteren Menschen seien viele Eigenheiten schon sehr verfestigt. Veränderung fällt da schwerer, „das fängt beim Einräumen des Geschirrspülers an“. Oder im Spülbecken: Drei Personen nutzen die Küche derzeit, drei Spülschwämme liegen in der Abwasch. Aber es ist noch Platz für ein paar weitere.

Der Standard, Sa., 2023.03.18

18. März 2023Franziska Zoidl
Der Standard

Bauen auf die Abbruchreife

Über manchem Wiener Gründerzeithaus baumelt die Abrissbirne. Häufig wird von den Eigentümern mit wirtschaftlicher Abbruchreife argumentiert – immer wieder mit Erfolg.

Über manchem Wiener Gründerzeithaus baumelt die Abrissbirne. Häufig wird von den Eigentümern mit wirtschaftlicher Abbruchreife argumentiert – immer wieder mit Erfolg.

Noch steht das alte Haus in der Schönbrunner Straße in Wien-Meidling, nur einen Steinwurf vom Schönbrunner Schlosspark entfernt. Auf den Klingelschildern neben der Eingangstür sieht man noch die Namen der ehemaligen Bewohner. Ihre Wohnungen sind längst leer. Und im Bezirk wächst bei manchen die Sorge, dass der Abbruchbagger für das niedrige Haus mit nur zwei Geschoßen anrücken könnte.

Vor einigen Monaten wurde bereits sein Dach entfernt. Seither verschwindet das geduckte Kutscherhaus fast vollständig hinter einem Baustellengerüst und, seit kurzem, einer knallorangen Baumulde. Oben auf dem Dach ist es der Witterung ausgesetzt. Beim STANDARD-Lokalaugenschein sind einige Arbeiter neben dem Gerippe des Dachstuhls zugange, um das Dach leerzuräumen. Plant der Eigentümer, ein Wiener Immobilienunternehmer, einen Abriss mit der wirtschaftlichen Abbruchreife des Hauses zu argumentieren?

Die Wiener Grünen schlugen diesbezüglich bereits im Jänner Alarm: „Hier wird ganz klar die Bewilligungspflicht für den Abbruch von Gebäuden umgangen, die vor 1945 errichtet wurden“, die Behörden müssten umgehend einschreiten, forderten sie in einer Aussendung. Auch der Architekturblogger Georg Scherer, der den Blog Wien Schauen betreibt, findet den Fall „erschreckend“. Bei der Baupolizei heißt es auf Anfrage, dass eine Änderung des Dachbereichs baubehördlich bewilligt wurde, das Dach also „zulässigerweise“ für die Durchführung der Arbeiten entfernt wurde. Ein Abbruchansuchen liege für das Gebäude derzeit nicht vor. Da das Gebäude nicht bewohnt sei, gebe es derzeit keine weiteren Möglichkeiten für Sicherungsmaßnahmen. Und doch glauben in der Nachbarschaft manche, dass es letztendlich um Abbruch und nicht um Aufstockung des Bestandsgebäudes – erlaubt ist laut Flächenwidmungs- und Bebauungsplan eine Gebäudehöhe von 16 Metern – gehen wird.

Schutz alter Häuser

Demselben Unternehmer gehört auch die Radetzkystraße 24–26 in Wien-Landstraße. Bei dem neogotischen Eckhaus wurde vor viereinhalb Jahren bereits mit dem Abdecken des Daches begonnen, während es noch von einigen Mieterinnen und Mietern bewohnt war. Der Fall beschäftigte jahrelang die Gerichte.

Letztendlich wurde vor gut einem Jahr aber eine Einigung mit den Bewohnerinnen und Bewohnern erzielt. Der Abbruchbagger rückte an. Der Ausgang in Meidling ist aber noch offen. Auf eine Anfrage zu den Plänen für das Haus wurde vonseiten des Eigentümers nicht reagiert.

Die wirtschaftliche Abbruchreife ist jedenfalls ein beliebtes Instrument unter manchen Wiener Immobilienunternehmern. Dabei wollte die Stadt mit einer Novelle der Bauordnung 2018 ihre charakteristischen alten Häuser eigentlich besser schützen. Seither wird beurteilt, ob am Erhalt eines alten Hauses öffentliches Interesse besteht, oder ob es abgerissen werden darf.

Nur gibt es eben Schlupflöcher, argumentieren Kritikerinnen und Kritiker. Bei der wirtschaftlichen Abbruchreife wird der nötige Kosteneinsatz, um das Haus in einen guten, vermietbaren Zustand zu bekommen, dem möglichen Ertrag gegenübergestellt. Wenn die Kosten für die Sanierung höher sind als der mögliche Ertrag, liegt eine wirtschaftliche Abbruchreife vor. Die Beurteilung dafür liegt bei der Baupolizei (MA 37) und bei der Abteilung Technische Stadterneuerung (MA 25).

Anfrage im Gemeinderat

Die Wiener Grünen – die bei der Novelle der Bauordnung 2018 wohlgemerkt noch selbst in der Stadtregierung waren – fordern schon länger, dass der Passus wirtschaftliche Abbruchreife ganz aus der Bauordnung gestrichen wird. Für Juristen ist ein solcher Eingriff in die Freiheit des Eigentums verfassungsjuristisch allerdings schwierig.

Georg Prack, Wohnsprecher der Wiener Grünen, hat zu der Thematik Anfang des Jahres eine Anfrage im Gemeinderat eingebracht. Er wollte unter anderem wissen, wie häufig Häuser mit diesem Argument abgerissen werden. Vor wenigen Tagen kamen die Antworten von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ). Demnach kam es im Vorjahr in 30, 2021 in 34 Fällen zu entsprechenden Abbruchbewilligungen. 2020 und 2019 waren es mit 16 bzw. 14 Fällen deutlich weniger.

Ein in der Anfragebeantworttung genanntes Beispiel aus dem Vorjahr ist die Hohenbergstraße 18 in Wien-Meidling. Die Adresse befindet sich ebenfalls in der Nähe des Schönbrunner Schlossparks und daher ebenfalls in bester Lage. Auch hier lautete der Befund für das gelbe Gründerzeithaus mit schnörkeligen Fassadenelementen: wirtschaftliche Abbruchreife. Im Sommer des Vorjahres wurde zuerst ein Loch in die Fassade geschlagen, Stuck entfernt – und das Haus schließlich abgebrochen.

Was Abbrüche begünstigt: In den letzten Jahren ist Meidling ein heißes Pflaster für Immobilieninvestoren geworden. Ein Beispiel: Der frühere Eigentümer des Hauses in der Schönbrunner Straße, das nun ohne Dach dasteht, ist 2018 verstorben. Seine Erben verkauften das Haus im selben Jahr um zwei Millionen Euro an einen Immobilienunternehmer, der das Haus 2021 um 4,78 Millionen Euro an den jetzigen Besitzer weiterverkaufte.

Ein Zinshausbesitzer aus dem Grätzel berichtet, dass er wöchentlich Briefe oder Anrufe mit mehr oder weniger blumigen Kaufangeboten erhält. Oft würden ihm die Immobilienunternehmer treuherzig versichern, das Haus bewohnen zu wollen.

Tanja Grossauer-Ristl, Klubobfrau der Grünen in Meidling, kritisiert, dass ihr Bezirk ein „blinder Fleck“ sei, für dessen alte Häuser man sich nicht im selben Maße stark mache wie in anderen Teilen der Stadt. In der Schönbrunner Straße verortet sie eine „Pufferzone“ des Unesco-Weltkulturerbes und sagt: „Wir müssen diese historische Gebäudesubstanz besser schützen.“ Ein häufiges Problem sei die Flächenwidmung. Wenn diese nicht bestandskonform sei, dann sei eine Aufstockung oder ein Abbruch für Investoren verlockend.

Abbrüche erschweren

Auch die Stadt Wien hat in Zusammenhang mit der in Arbeit befindlichen Novelle der Bauordnung angekündigt, alte Häuser besser schützen und Abbrüche weiter erschweren zu wollen.

Wichtig sei, frühzeitig anzusetzen, damit es gar nicht erst zu einer wirtschaftlichen Abbruchreife kommen kann, heißt es im Büro von Wohnbaustadträtin Gaàl, nämlich in Form eines Bauwerksbuchs, mit dem erfasst werden soll, welche Instandhaltungsmaßnahmen getätigt wurden.

Zuletzt hat die Stadt übrigens vor ziemlich genau fünf Jahren angekündigt, Abrisse gesetzlich erschweren zu wollen. Das hat zu einem wahren Abrissboom geführt. Einen ähnlichen Effekt befürchtet man nun aber nicht.

Der Standard, Sa., 2023.03.18

08. September 2021Franziska Zoidl
Der Standard

Wo es ohne Autos geht

In Wien-Floridsdorf wurde Anfang der 2000er-Jahre die autofreie Mustersiedlung bezogen. Autofrei ist die Siedlung bis heute – auch wenn vereinzelte Bewohner sich einen Pkw angeschafft haben.

In Wien-Floridsdorf wurde Anfang der 2000er-Jahre die autofreie Mustersiedlung bezogen. Autofrei ist die Siedlung bis heute – auch wenn vereinzelte Bewohner sich einen Pkw angeschafft haben.

Der Lieferwagen des Paketdienstes muss bei der autofreien Mustersiedlung in Wien-Floridsdorf draußen parken. Und sogar die beiden jungen Männer auf ihrem E-Scooter drehen nach ein paar Kurven wieder in Richtung Straße um – falsch abgebogen, zurück in die Wiener Verkehrsrealität.

In dieser sticht die autofreie Anlage mit ihren rund 244 Wohnungen auch mehr als 20 Jahre nach Fertigstellung immer noch hervor. Parkplätze für Bewohnerinnen und Bewohner gibt es keine. Eine kleine Tiefgarage mit 24 Stellplätzen wurde zwar errichtet, in der, so der Ursprungsgedanke, Carsharing-Autos geparkt werden sollten. Heute stehen hier unten einige wenige Motorräder und ansonsten viele, viele Fahrräder fein säuberlich aneinandergereiht. Von zwei Fahrrädern pro Haushalt war man bei der Planung ausgegangen. Es sind mehr, sagt Stephan Lanner, der seit der Fertigstellung in der Siedlung wohnt.

Trotzdem: „100 Prozent autofrei war die Anlage nie“, erzählt er bei einem Rundgang. Rechtlich kann man Bewohnerinnen und Bewohnern nicht verbieten, sich ein Auto anzuschaffen. Sie unterschreiben beim Einzug aber eine entsprechende Vereinbarung. Sollten sie sich aufgrund von veränderten Lebensumständen ein Auto zulegen, müssen sie einen Garagenplatz im Umkreis von 500 Metern nachweisen können.

Die autofreie Mustersiedlung wurde von Beginn an von vielen im Bezirk – aber auch weit darüber hinaus – kritisch beäugt. Die Bewohnerinnen und Bewohner hätten heimlich Autos, heißt es oft, und würden sie einfach anderswo parken. Um dem zu begegnen, wurde vor einigen Jahren innerhalb der Anlage eine Umfrage durchgeführt: Zehn bis 15 Prozent aller Haushalte haben demnach ein Auto. Zur Einordnung: Das sind 24 bis 36 Autos.

Karl Wurm war bei der Errichtung der Anlage Geschäftsführer der Gewog, die mit einem weiteren Bauträger die beiden Wohnhäuser errichtet hat. Der Verzicht aufs Auto funktioniere über sozialen Druck und die Gruppenzugehörigkeit, ist er überzeugt. Und er wird belohnt, indem das Geld, das man sich durch den Wegfall der hochpreisigen Stellplätze spart, in Gemeinschaftsflächen gesteckt wird. In der Siedlung gibt es zum Beispiel Dachgärten, ein Biotop sowie Werkstätten, die bis heute stark genutzt werden.

„Eines würde ich Bauträgern gern ins Stammbuch schreiben“, sagt Bewohner Stephan Lanner: „Diese Angebote müssen niederschwellig nutzbar sein.“ Die Bewohnerschaft hat sich daher für ein Zugangssystem zu den Räumen mittels Chips oder Handys entschieden – und gegen einen Schlüssel, den erst recht wieder jemand verwahren und verwalten muss.

Überhaupt seien Bewohnerinnen und Bewohner der Anlage sehr engagiert und aktiv, berichtet man bei der Gewog — im Unterschied zu anderen Häusern, wo schon einmal die Gemeinschaftsflächen wegen Vandalismus gesperrt werden müssen. In der Mustersiedlung wiederum werden kleinere Reparaturarbeiten oft einfach selber durchgeführt. Allerdings bemerkt Stephan Lanner aktuell einen Umbruch, „weil die Pioniergeneration mit der Anlage gealtert ist“. Einige frisch Zugezogene würden eher durch günstige Mieten oder die Lage als von der Idee angezogen. Man versuche aber, „die Neuen“ an Bord zu holen. Immerhin hat die Siedlung schon andere Umbrüche gemeistert: Die Wohnungen wurden mit Kaufoption errichtet, viele einstige Mieterinnen und Mieter haben diese erworben. Damit hat sich die rechtliche Situation des Hauses verändert. Und vor einigen Monaten kaufte die Gewog mit einer gewerblichen Tochter die verbleibenden Mietwohnungen vom zweiten Bauträger Domizil.

Platz für Neues

„Die autofreie Mustersiedlung ist eine fantastische Geschichte“, sagt Gewog-Geschäftsführerin Ingeborg Skerjanz. Viele würden schon seit 20 Jahren in der Anlage wohnen, auch ihre Kinder hierbleiben. Die Nachfrage von Außenstehenden sei aber überschaubar: Dass die Siedlung autofrei ist, schrecke manche immer noch ab. Vielleicht ist das der Grund, warum die Siedlung in dieser Form einzigartig geblieben ist. Auch wenn es heute Wohnprojekte und Stadtteile gibt, in denen das Auto in seine Schranken verwiesen wird.

Denn so entsteht Platz für Neues, wie sich in Floridsdorf zeigt: Weil über die Rampe der Tiefgarage nie ein Auto donnert, wird ganz unten Tischtennis gespielt.

Der Standard, Mi., 2021.09.08



verknüpfte Bauwerke
Autofreie Mustersiedlung

23. Juni 2021Franziska Zoidl
Der Standard

Zu Hause und doch nicht daheim arbeiten

Nicht erst seit Corona gibt es in manchen Wohnhäusern für Bewohner die Möglichkeit, Flächen im Erdgeschoß zum Arbeiten zu nutzen. Wie das Co-Working fast zu Hause funktioniert.

Nicht erst seit Corona gibt es in manchen Wohnhäusern für Bewohner die Möglichkeit, Flächen im Erdgeschoß zum Arbeiten zu nutzen. Wie das Co-Working fast zu Hause funktioniert.

Seit kurzem sind sämtliche Allgemeinflächen in der Carlbergergasse 105 im 23. Wiener Gemeindebezirk wieder geöffnet. Während Corona war die Nutzung eingeschränkt möglich, nun können mittels Buchungssystems Werkstatt oder Gemeinschaftsküche im ruhigen Innenhof der Anlage wieder ohne Einschränkungen angemietet werden.

Hier im Erdgeschoß des Baukörpers befindet sich auch die Lese-Lounge. Sie hat sich seit der Fertigstellung des Großprojekts „In der Wiesen Süd“, mit dem etwa 730 geförderte Wohnungen von unterschiedlichen Bauträgern entstanden sind, zu einem Homeoffice außerhalb der eigenen vier Wände gemausert.

Zuständig für die Bespielung ist die Themengruppe Homeoffice, die sich im Rahmen des Wiesen-Dialogs, eines partizipativen Prozesses für Bewohnerinnen und Bewohner des neuen Grätzels, gefunden hat. Dabei ging es darum, die Nachbarschaft kennenzulernen und mitzugestalten. Begleitet wurde der Dialog von Realitylab. „Die Idee, die Lese-Lounge als Erweiterung des Homeoffice zu sehen, kam von einem Bewohner“, erinnert sich Petra Hendrich von Realitylab. Schnell waren Mitstreiter gefunden, die ihre Wünsche für die Möblierung des Raumes an den Bauträger formulierten. Zentral sei die Organisation eines gemeinsamen WLAN im Raum gewesen.

Zwei Jahre lang wurde das Projekt von Realitylab nach dem Einzug noch begleitet. Das Homeoffice sei sehr reibungslos verlaufen, erinnert sich Hendrich. Bei anderen Themenfeldern, etwa den Spielbereichen für die Kinder, habe es mehr Moderationsbedarf gegeben.

Etwa 35 Menschen nutzen das Homeoffice teilweise mehrmals pro Woche, heißt es vonseiten des Bauträgers Heimbau. Genutzt wird der Bereich laut Brigitte Feutl von der Hausverwaltung etwa von Freiberuflern, denen in der Wohnung mit der Familie der Platz zum Arbeiten fehlt.

Veränderungen im Nutzerverhalten habe man durch die Corona-Pandemie nicht bemerkt. In der knapp 80 Quadratmeter großen Lese-Lounge stehen über den Raum verteilt Tische und Stühle, im prall gefüllten Regal an der Wand können Bücher abgestellt und entlehnt werden.

Die nötigen Anschlüsse, Drucker, Flipcharts und Trennwände sind vorhanden. Theoretisch kann auch der ganze Raum gebucht werden. „Oft arbeiten mehrere gemeinsam hier“, sagt Feutl. An der Wand hängen die Regeln für die Nutzung des Raumes. Essen ist unerwünscht, Telefonieren nur nach Rücksprache mit den anderen möglich. Und es herrscht eine Clean-Desk-Policy: Wer mit der Arbeit fertig ist, muss seinen Tisch auch wieder räumen.

Auch andere Bauträger setzen nun vermehrt auf ein ähnliches Angebot: Die Buwog vermietet in der Hertha-Firnberg-Straße 10 im zehnten Bezirk 15 Einzelräume, die als Büros gewidmet sind. Bei Neubauten ist außerdem in Planung, Office-Spaces künftig gleich fix zu integrieren. Konkrete Projekte will man derzeit aber noch keine nennen.

Co-Working und Corona

In der Wiener Seestadt Aspern hat sich die Baugruppe Seestern schon 2015 für einen Co-Working-Space im Erdgeschoß entschieden. 13 Arbeitsplätze entstanden hier, die nicht nur von Bewohnerinnen und Bewohnern, sondern auch von anderen Seestädtern angemietet werden konnten und gut nachgefragt waren.

Mit dem ersten Lockdown brachen allerdings einige der Mieterinnen und Mieter weg, berichtet Seestern-Bewohner und Co-Worker Roland Thurner. Dafür seien aber auch einige neue gekommen, die plötzlich im Homeoffice arbeiten mussten. Tendenziell habe es im letzten Jahr einen Wandel von externen hin zu internen Mietern gegeben. Einen Teil der Fläche hat Thurner auch für seine Videoproduktionsfirma angemietet: „Dafür hätte es vor Corona keinen Platz gegeben.“

Nun merke man, dass die Krise vorbei sei: „Es kommen wieder mehr Anfragen“, sagt Thurner. Einige freie Schreibtische gibt es noch.

Der Standard, Mi., 2021.06.23

08. Oktober 2020Franziska Zoidl
Der Standard

In Wien tun sich Menschen zunehmend zum Planen und Bauen eines Hauses zusammen

Wohnen ist auch in Wien teuer geworden. Daher finden sich zunehmend Gleichgesinnte, die beim Wohnen auf der Suche nach mehr sind als bloß einem Dach über...

Wohnen ist auch in Wien teuer geworden. Daher finden sich zunehmend Gleichgesinnte, die beim Wohnen auf der Suche nach mehr sind als bloß einem Dach über...

Wohnen ist auch in Wien teuer geworden. Daher finden sich zunehmend Gleichgesinnte, die beim Wohnen auf der Suche nach mehr sind als bloß einem Dach über dem Kopf. Baugruppen nehmen die Sache selbst in die Hand. Sie planen ihr Haus gemeinsam und bauen für ihre eigenen Bedürfnisse. So sollen Wohnungen leistbar bleiben und der Spekulation entzogen werden.

Mit dem Wildgarten an der Grenze von Meidling und Liesing entsteht gerade ein neues Wohnviertel, das aber erst in einigen Jahren mit eigener S-Bahn-Station und damit einer guten Öffi-Anbindung ausgestattet werden wird. Auch hier werken – wie zuvor schon im Sonnwendviertel beim Hauptbahnhof und in der Seestadt Aspern – Baugruppen. Die vier Projekte sind teils fertig bzw. biegen langsam in die Zielgerade. Eine davon ist die Baugruppe Willdawohnen.

Dass das gemeinsame Projekt aber nicht nur Freiheit, sondern auch Verantwortung bringt, wurde im Sommer deutlich. Im letzten Moment bekamen einige Interessenten, die seit Jahren mit an Bord waren, kalte Füße, berichtet Baugruppen-Mitglied Juliane Schiel. Das wurde fast zum Problem: „Damit sind wir unter die 20 Prozent Eigenmittel gerutscht, die die Bank verlangt“, sagt Schiel. Denn der gemeinnützige Bauträger Schwarzatal errichtet das Haus. Nun wollte die Baugruppe es als Verein erwerben. Plötzlich fehlten dafür aber die Mittel. Über den Sommer wurde die Werbetrommel gerührt, nun ist das Haus fast voll: Nur noch „ein bis zwei“ größere Wohnungen sind zu haben. Vor wenigen Tagen konnte die Baugruppe aufatmen – und den Kaufvertrag unterschreiben.

Bei 4000 Euro liegen die Quadratmeterpreise – kein Schnäppchen. Das schrecke manche ab, gibt man bei der Baugruppe zu. Dafür bekommt man Gemeinschaftsräume wie eine Bibliothek oder Dachgärten. Das will nicht jeder, weiß Schiel: „Aber wenn man nicht alles selbst besitzen muss, ist das ein super Modell.“ Konflikte gibt es bei dieser Form des Zusammenlebens natürlich auch. Für die Beziehungsarbeit gibt es eine eigene Arbeitsgruppe. Im Dezember wird es ernst: Mit der Schlüsselübergabe geht der Wohnalltag los.

Der Standard, Do., 2020.10.08

21. September 2020Franziska Zoidl
Der Standard

Wohnen auf der Schuhschachtel

Eingeschoßige Supermärkte inmitten von Parkplätzen sind zumindest im städtischen Umfeld out. Stattdessen werden über Einkaufsflächen Wohnungen gestapelt. Ein solches Projekt befindet sich in Wien nun in Bau.

Eingeschoßige Supermärkte inmitten von Parkplätzen sind zumindest im städtischen Umfeld out. Stattdessen werden über Einkaufsflächen Wohnungen gestapelt. Ein solches Projekt befindet sich in Wien nun in Bau.

Gut Ding braucht Weile. Das gilt nicht nur, aber besonders in der Immobranche, wo vom ersten Entwurf bis zum fertigen Gebäude viele, viele Winter ins Land ziehen können. Ein Projekt der gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft EBG hat der damalige Wiener Planungsstadtrat Christoph Chorherr, damals noch Mitglied der Grünen, schon 2015 vorgestellt: In der Zschokkegasse im 22. Wiener Gemeindebezirk sollte statt eines ursprünglich geplanten eingeschoßigen Supermarkts inmitten eines Parkplatzes – von Kritikern werden solche Konstrukte auch Schuhschachteln genannt – etwas Neues entstehen. Der Lidl-Supermarkt und das angrenzende Parkdeck sollten mit 65 Sozialwohnungen überbaut werden. Und viele weitere Projekte sollten folgen.

Dann wurde es still um das Projekt. Nun, fünf Jahre später, tut sich etwas in der Donaustadt. Vor wenigen Tagen erfolgte der Baustart. Einige Bäume und Sträucher auf dem Grundstück wurden zuvor gerodet, nun fahren die Bagger auf. Der Termin für einen offiziellen Spatenstich mit Vertretern der Politik wird folgen, berichtet EBG-Geschäftsführer Martin Orner.

Änderungen nötig

Warum bis zum Auffahren der Bagger so viel Zeit verging, erklärt er mit einem zuvor noch nötigen Widmungs- und einem Anrainerverfahren. Das sei ganz normal und nicht projektspezifisch. Und weil so viel Zeit verstrichen war, mussten dann die Verträge mit dem Diskonter Lidl auch noch neu angepasst werden. Dass der Supermarkt im Erdgeschoß einzieht, ist zumindest nach wie vor fix.

Änderungen hat es in der Zwischenzeit beim Projekt aber schon gegeben: Die Holzfassade, die auf den Visualisierungen von 2015 noch zu sehen war, ist mittlerweile verschwunden, „aus Kostengründen“, wie Orner sagt: „Durch die Verzögerung sind die Baukosten so gestiegen, dass wir umplanen mussten.“

Schon jetzt ist klar: Die Wohnungen werden heißbegehrt sein. Die Voranmeldung für die Wohnungen in der Zschokkegasse ist auf der Website des Bauträgers schon seit Jahren nicht mehr möglich. „Bei 3000 haben wir die Anmeldung geschlossen“, sagt Orner. Zwar werden in der Zwischenzeit viele Interessenten von damals anderweitig eine Wohnung gefunden haben. Über leerstehende Wohnungen wird sich der Bauträger aber wohl dennoch keine Sorgen machen müssen.

Projekte wie jenes in der Zschokkegasse sind in Wien noch rar gesät. Ähnliches hat der Entwickler Palmers Immobilien in der Tivoligasse in Wien-Meidling vor, wo ebenfalls ein Lidl-Supermarkt mit Wohnungen überbaut werden soll. Dort gab es aber zuletzt Proteste durch Anrainer. Der Bezirk wünschte sich daraufhin Änderungen des Entwurfs. Nun steht man kurz vor einem Termin für die Bauverhandlung.

Weitere Projekte

Dass der Mix aus Wohnen und Einkaufen durchaus funktionieren kann, zeigt das Auhofcenter in Wien-Penzing. Hier errichtete 2015 der gemeinnützige Bauträger WBV-GPA 71 leistbare Wohnungen, die rund um einen ruhigen Innenhof auf dem Dach des Shoppingcenters angeordnet sind. Weitere ähnliche Projekte sind beim Bauträger EBG, der nun in der Zschokkegasse baut, aktuell indes keine geplant.

Aber was nicht ist, kann noch werden: „Wir wollen das natürlich schon machen“, sagt Geschäftsführer Orner dazu. Denn am freien Markt sei es mittlerweile sehr schwierig für Gemeinnützige, an Grundstücke zu kommen, die gefördertes Wohnen überhaupt zulassen. Zumindest theoretisch gibt es jedenfalls noch viel Platz auf den heimischen Supermärkten.

Der Standard, Mo., 2020.09.21

05. September 2020Franziska Zoidl
Der Standard

Die Tomaten vom Hausdach

Auf manchem städtischen Dach wachsen Zucchini und Kürbisse. Das freut nicht nur die Bewohner, sondern ist auch gut fürs Mikroklima im Grätzel. Daher wünscht man sich in Graz jetzt mehr davon.

Auf manchem städtischen Dach wachsen Zucchini und Kürbisse. Das freut nicht nur die Bewohner, sondern ist auch gut fürs Mikroklima im Grätzel. Daher wünscht man sich in Graz jetzt mehr davon.

Die Stauden biegen sich schon unter der Last der wahlweise gelben, orangen oder knallroten Tomaten. Eine Kürbispflanze hat sich während der Sommermonate frech aus einem der Beete bis auf den Gang herausgeschlängelt. Und die Zucchinipflanzen haben mittlerweile ein ganzes Beet überwuchert. Demnächst ist Erntezeit auf dem Dach des Wohnhauses in der Carlbergergasse 95 im Stadtentwicklungsgebiet „In der Wiesen Süd“ in Wien-Liesing.

Insgesamt 78 Beete zwischen zweieinhalb und vier Quadratmeter stehen den Bewohnerinnen und Bewohnern der 120 Mietwohnungen hier kostenfrei zur Verfügung. Das 2017 fertiggestellte Wohnprojekt war das erste der Wohnungsgenossenschaft Wien-Süd, in dem Urban Gardening im großen Stil angeboten wurde. Mittlerweile gibt es Nachfolgeprojekte, berichtet Viktoria Zeilinger, bei der Genossenschaft zuständig für den Bereich Immobilienverwaltung, bei einem Lokalaugenschein.

In der Carlbergergasse 95 können sich Interessenten für die Beete unkompliziert online anmelden, der Rest funktioniert in Selbstorganisation, etwa über eine eigene Whatsapp-Gruppe. Beim Bepflanzen haben die Hobbygärtnerinnen und -gärtner freie Hand, sie können ihr Beet auch für mehrere Jahre behalten. Die Flächen sind gefragt, besonders heuer, wo angesichts der Corona-Pandemie jedes Fleckchen Grün plötzlich heiß begehrt war. Zwar gibt es nicht ausreichend Beete für alle Mieter, Wartelisten habe es aber noch nie gegeben, erzählt Zeilinger. Ganz im Gegenteil: Wer wirklich will, bekomme, je nach Verfügbarkeit, relativ unkompliziert auch ein zweites Beet dazu.

Das urbane Garteln hat viele Vorteile. Das zeigt auch eine qualitative Potenzialanalyse für die Anlage von Dachgärten im Geschoßwohnbau in Graz, die vor wenigen Tagen präsentiert wurde. Sie wurde vom Institut für Wohnbauforschung im Auftrag der Stadt Graz verfasst. Darin werden auch nationale und internationale Best-Practice-Beispiele aufgezeigt. Das Wohnhaus in Wien-Liesing ist mit dabei. Die grünen Flächen wirken sich beispielsweise auf das Mikroklima in der Stadt aus, sind bei Starkregen Wasserspeicher – und sie beeinflussen auch die Wohnzufriedenheit, wie man bei Wien-Süd bestätigt. Immobilienverwalterin Zeilinger ist überzeugt: Beim Gießen und Unkrautzupfen lernen sich die Bewohner kennen. „Was das Gemeinschaftsgefühl betrifft, ist das das Beste, was ich bisher erlebt habe“, sagt sie. Das Garteln entspreche dem Zeitgeist: Viele Menschen wollen wissen, woher ihre Tomaten kommen. Perfekt also, wenn sie vom Dach stammen.

Grazer Pilot-Gärten

In Graz will man Dachgärten nun forcieren. 14 potenzielle Standorte auf bestehenden geförderten Wohnbauten haben die Studienautoren Andrea Jany, Thomas Höflehner und Bernhard Hohmann identifiziert. Nun wird mit Genossenschaften an diesen Standorten die Stimmung im Haus abgeklopft, und es werden statische sowie baurechtliche Prüfungen durchgeführt. Die Errichtung von drei Pilot-Gärten wird durch die Stadt finanziell unterstützt.

Das Potenzial im Bestand ist laut Studienautorin Andrea Jany enorm. „Dachgärten können eine attraktive Möglichkeit sein, ein Gebäude im Zuge einer Sanierung aufzuwerten und einen Mehrwert zu generieren“, sagt sie. Allgemeinrezept gibt es keines. Die Spielarten reichen von Privatinitiativen von Bewohnern, die sich Palettenmöbel zimmern, bis zur professionellen Lösung durch den Bauträger. Bei allen Varianten gilt: Um zu funktionieren, braucht es Bewohnerinnen und Bewohner, die sich Dachgärten wünschen und die sich dann auch dafür verantwortlich fühlen.

Hürden gibt es also genug. Dafür können am Ende mit etwas Glück und einem grünen Daumen die Früchte des Erfolgs auch tatsächlich geerntet werden. Im Wohnhaus in Wien-Liesing sind das Tomaten.

Der Standard, Sa., 2020.09.05

09. November 2019Franziska Zoidl
Der Standard

Gute Bausünden gesucht

Nicht nur gut gemachte Architektur fasziniert die Menschen, sondern auch weniger gelungene. Eine deutsche Architekturhistorikerin ist seit 18 Jahren auf der Suche nach den besten Bausünden.

Nicht nur gut gemachte Architektur fasziniert die Menschen, sondern auch weniger gelungene. Eine deutsche Architekturhistorikerin ist seit 18 Jahren auf der Suche nach den besten Bausünden.

W enn die deutsche Architekturhistorikerin Turit Fröbe in einer neuen Stadt ist, ist sie am liebsten mit ihrem Klapprad unterwegs. Besonders gern kurvt sie durch Einfamilienhaussiedlungen. Schmucke Vorgärten und geschmackvolle Fassaden lassen sie dabei kalt. Fröbe interessiert das für das Auge weniger Angenehme: die Bausünde. „Je hässlicher, desto mehr freue ich mich“, sagt sie. Mittlerweile weiß sie nach wenigen Minuten in einer fremden Stadt, ob sie eine Bausünde finden wird oder nicht.

Seit 18 Jahren lichtet Fröbe weniger gelungene Architektur ab. Heuer erschien ihr Kalender 366 Bausünden zum Abreißen beim Dumont-Verlag zum dritten Mal. Die Idee dahinter: Im kommenden Jahr kann so jeden Tag eine Bausünde abgerissen werden. An hohen Feiertagen sind es Kirchen, am Wochenende Eigenheime, zum Sommeranfang eine Eisdiele und zu Allerheiligen ein Bestattungsinstitut. Alles metaphorisch, versteht sich: Denn dass als wuchtige Ritterburgen getarnte Einfamilienhäuser hinter überdimensionalen Gabionenzäunen wirklich dem Erdboden gleichgemacht werden, will Fröbe nicht. Ganz im Gegenteil: „Gute Bausünden sollte man schützen.“

Diese sind allerdings schwer zu finden. Eine gute Bausünde habe einen hohen Wiedererkennungswert, sie erfordere Mut und Gestaltungswillen. Und es müsse sich dabei um ein Unikat handeln: Die Bausünde könne genau so nur in dieser einen Stadt an diesem einen Ort stehen.

Oftmals handle es sich dabei um eigentlich gute Architektur, die aus der Mode gekommen ist. Schlechte Bausünden seien im Unterschied dazu austauschbar. „Daran rutscht das Auge ab“, sagt Fröbe. Sie kritisiert: „Schlechte Bausünden machen die Städte zu Einheitsbrei.“

Bausünden in Österreich

Auf der Suche nach diesen guten Bausünden ist Fröbe hauptsächlich in Deutschland unterwegs, aber auch in Österreich wurde sie schon fündig. Und Bausünden gibt es keineswegs nur in Einfamilienhaussiedlungen. Aber in Innenstädten lehne man sich heute architektonisch nicht mehr so weit aus dem Fenster, kritisiert Fröbe. Und wo der Mut zu guter Architektur fehlt, gebe es auch weniger architektonisch Missglücktes.

Darum ist Fröbe gern in Einfamilienhaussiedlungen unterwegs. Dort würden sich die Bauherren und -frauen immer noch selbst verwirklichen. Träume und Wohnwünsche ließen sich an den Fassaden der Häuser ablesen. Man erkenne, wo das Haus eigentlich stehen sollte oder welche Hobbys der Besitzer hat.

Bausünden, so erklärt die Architekturhistorikerin, treten meist in Nestern auf. „Nachbarn spornen sich da gegenseitig an. Wenn jemand in Berlin seine Träume an die Fassade hängt, wird der Nachbar antworten.“

Die Expertin bemerkt auch große regionale Unterschiede. „Das Saarland ist ein ganz bausündenstarkes Land“, sagt sie. Das führt sie darauf zurück, dass es sich um eine Häuslbauerregion handelt. Baden-Württemberg, eigentlich ebenso eine Häuslbauerregion, sei dafür, was Bausünden angeht, enttäuschend. Auch dort war Fröbe schon mit Kamera und Klapprad unterwegs. „Aber ich musste mit der Lupe nach Bausünden suchen.“ Auch die Mode verändere sich dabei. Früher manifestierte sich die Bausünde eher bei der Fassadengestaltung. Heute stößt Fröbe besonders oft im Garten darauf. „Ich habe ein echtes Problem mit Schottergärten“, sagt sie. Gleich mehrere davon finden sich im Abrisskalender. Schrecklich sind für Fröbe auch Instant-Zäune mit Fototapeten. Das sind Gartenzäune, auf denen keine Pflanzen ranken, dafür aber ein Fotomotiv – besonders häufig Steine oder Efeu. „Da hört es sich bei mir tatsächlich auf“, sagt sie.

Den Gestaltungswillen hinter einer solchen Freiraumgestaltung findet sie dennoch faszinierend. Und sie betont auch, dass die Eigenheime, die Architekten den Angstschweiß auf die Stirn treiben, liebevoll gestaltet sind – und nicht aus Böswilligkeit so aussehen. Überhaupt will Fröbe dazu aufrufen, sich nicht über bereits gebaute Bausünden zu ärgern. „Aber wir sollten alle Energie hineinstecken, zu verhindern, was sich noch verhindern lässt.“

Daher plädiert die Expertin für baukulturelle Bildung, damit die Menschen wieder einen Blick für Architektur entwickeln. Das lasse sich an einer Bausünde besonders gut üben, weil man sich dabei mehr traue.

Die, die in diesen Häusern wohnen, würde man damit aber nicht erreichen. Mit einer Ausnahme: Unter einem von Fröbes Büchern findet sich auf Amazon eine Rezension eines Hausbesitzers, der sein Zuhause entdeckt hat, erzählt Fröbe: „Er hat sich mein Buch gekauft und kam zu dem Schluss, dass er stolz darauf ist.“

[ Turit Fröbe, „Der Abrisskalender 2020. 366 Bausünden zum Abreißen“. Dumont-Buchverlag ]

Der Standard, Sa., 2019.11.09

04. November 2019Martin Putschögl
Franziska Zoidl
Der Standard

Eine neue Ära im Wiener Wohnbau

15 Jahre war Pause, am Dienstag ist sie zu Ende: Dann werden in Oberlaa die ersten „neuen“ Gemeindewohnungen der Stadt Wien übergeben. Gebaut wird von der Stadt aber nicht mehr selbst. Sie lässt jetzt bauen.

15 Jahre war Pause, am Dienstag ist sie zu Ende: Dann werden in Oberlaa die ersten „neuen“ Gemeindewohnungen der Stadt Wien übergeben. Gebaut wird von der Stadt aber nicht mehr selbst. Sie lässt jetzt bauen.

Wer von der U1-Endstation Oberlaa nach Osten marschiert, steht nach wenigen Minuten vor einer neuen Wohnanlage. Auf den ersten Blick sieht sie nicht wesentlich anders aus als viele andere geförderte Neubauten in Wien. Bei genauerer Betrachtung überrascht an dem in sehr zartem Hellblau gehaltenen Bau aber doch die verspielte Anordnung der Fenster und der Umgang mit den Freiflächen: Balkone bis zum 3. Stock, darüber nur noch Loggien; dies sowie die beiden Einschnitte im vorderen, direkt an der Fontanastraße gelegenen Baukörper verleihen der Anlage den Anschein einer Burg.

Vielleicht ist das kein Zufall. „Arbeiterburgen“ wurden die Wiener Gemeindebauten der Zwischenkriegszeit oft genannt. Vor 100 Jahren begann ihre – auch international vielbeachtete – Erfolgsgeschichte, die Stadt Wien ließ das heuer ordentlich feiern.

Dass der Erfolgsgeschichte seit 15 Jahren keine neuen Seiten hinzugefügt wurden, blieb dabei unerwähnt. Am 1. Mai 2004 war der bisher letzte Gemeindebau übergeben worden, 74 Einheiten in der Rößlergasse 15 in Liesing. Werner Faymann hatte als Wohnbaustadtrat ab 2000 das Bauprogramm auslaufen lassen, auch sein Nachfolger Michael Ludwig (beide SPÖ) war überzeugt davon, dass es besser sei, mit Geld der Stadt den gemeinnützigen Wohnbau zu unterstützen, als selbst zu bauen. Letzteres sei „unter den jetzigen gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen nicht sinnvoll“, sagte Ludwig noch 2014 dem STANDARD. Unter anderem wären für die Stadt als Auftraggeber europaweite Ausschreibungen nötig, die Nachverhandlungen ausschließen würden.

Das innerparteiliche Aufbegehren gegen diese Haltung wurde aber immer größer. 2015 dann der Knalleffekt: Bürgermeister Michael Häupl verkündete im anlaufenden Wiener Wahlkampf, dass wieder Gemeindewohnungen gebaut werden.

Und so wird sein Nachfolger Michael Ludwig nun am Dienstag die ersten „neuen“ Gemeindewohnungen in der Fontanastraße 3, auf der Liegenschaft der ehemaligen AUA-Zentrale, übergeben. Mit ihrer „Neuinterpretation der charakteristischen Wiener Blockrandbebauung“ hatten sich die NMPB Architekten im Wettbewerb durchgesetzt. Mit dem Bau setzt die Stadt der 2014 verstorbenen früheren Nationalratspräsidentin Barbara Prammer ein Denkmal, ihr Name steht bereits in großen Lettern an der südseitigen Fassade. Darunter befindet sich die Beifügung „Wohnhaus der Gemeinde Wien, errichtet in den Jahren 2018–2019“. Auch diese Tradition der früheren Gemeindebauten wird hier also fortgesetzt.

Anders als bisher ist die Stadt aber nicht mehr direkte Eigentümerin der Wohnungen, sondern indirekt über eine Tochter- (bzw.: Enkel-)firma des stadteigenen Bauträgers Gesiba (51 Prozent) und der städtischen Gemeindebauverwaltung Wiener Wohnen (49 Prozent). Diese „Wiener Gemeindewohnungs Baugesellschaft“, kurz Wigeba, ist Bauherrin und Vermieterin, hat aber laut Firmenbuch keine eigenen Mitarbeiter. Operativ wickelte die Gesiba den Bau ab und verwaltet die Anlage auch.

Keine Eigenmittel, keine Kaution

Vermietet wird von Wiener Wohnen, als Inhaber eines „Wiener Wohn-Tickets“ (siehe Kasten) konnte man sich für eine der 120 Wohnungen bewerben. Die Miete ist bei 7,50 Euro brutto pro Quadratmeter gedeckelt, das war eine der Vorgaben der Stadt. Zu diesem Preis werden sie nun auch vergeben, versichert man bei Wiener Wohnen. Außerdem müssen Mieter keine Eigenmittel aufbringen, keine Kaution, und sie bekommen einen unbefristeten Mietvertrag.

Obwohl mehrheitliche Tochter des gemeinnützigen Bauträgers Gesiba, ist die Wigeba selbst keine gemeinnützige Gesellschaft. Rechtlich betrachtet handelt es sich bei den „neuen“ Gemeindewohnungen also um einen geförderten Wohnbau eines gewerblichen Bauträgers (die Stadt förderte mit 6,7 Millionen Euro). Die Wohnungen unterliegen damit nicht dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG), sondern „nur“ dem Mietrechtsgesetz (MRG) in der Teilanwendung (weil es ein Neubau ist).

Selbst Vertreter der Gemeinnützigen konstatieren der Stadt mit der komplizierten Konstruktion aber einen „pragmatischen Zugang“. Denn dass die Stadt, so wie früher, eine eigene Bauabteilung in Form eines „Riesenapparats“ aufbaut, hätte viel zu lange gedauert. So aber verfüge die Gemeinde mit der Wigeba über das jahrzehntelange Know-how der Gesiba und habe gleichzeitig ihren Einfluss auf die neuen Wohnbauten sichergestellt.

Die Bruttomiete von 7,50 Euro ist damit aber rein rechtlich betrachtet nur bis zum Ablauf der Förderung verpflichtend (meist nach 30 Jahren), danach wäre ein „angemessener“ Mietzins zulässig, also de facto Marktmiete. Ein Hinweis darauf findet sich auch im Muster-Mietvertrag der Wigeba.

Das heißt: Wie bei allen Nachkriegs-Gemeindebauten hängt es vom „Goodwill“ der amtierenden Stadtregierung ab, zu welchen Konditionen die Wohnungen vergeben werden. „Eine künftige Regierung könnte das jederzeit ändern“, darauf weist etwa AK-Wohnrechtsexperte Walter Rosifka hin. Wäre die Wigeba eine gemeinnützige Gesellschaft, wäre das ausgeschlossen.

Und auf noch etwas weist Rosifka hin: „Sämtliche ältere Gemeindewohnungen sind bei aktueller Neuvermietung teurer als die Fontanastraße.“ Seit 2012 vergibt die Stadt Gemeindewohnungen nämlich zum Wiener Richtwert von (aktuell) 5,81 Euro, mit Betriebskosten und Umsatzsteuer komme man jedenfalls auf rund 8,50 Euro.

Der Fontanastraße sollen aber ohnehin zahlreiche weitere „neue“ Gemeindebauten folgen, nämlich rund 3700. Bis die nächsten fertig werden, wird es aber dauern. In der Engerthstraße steht man kurz vor Baubeginn, es folgen Projekte in der Seestadt Aspern und am Handelskai.

Der Standard, Mo., 2019.11.04

14. September 2019Franziska Zoidl
Der Standard

„Hochhäuser sind die Bauformen der Zukunft“

Weltweit ist ein Wettrennen um den höchsten Wolkenkratzer im Laufen. Auch Wien wächst in die Höhe. Der Wiener Statiker Martin Haferl erklärt, wo die Grenzen liegen – noch.

Weltweit ist ein Wettrennen um den höchsten Wolkenkratzer im Laufen. Auch Wien wächst in die Höhe. Der Wiener Statiker Martin Haferl erklärt, wo die Grenzen liegen – noch.

In Wien wird immer öfter in die Höhe gebaut. Derzeit befinden sich in Wien-Erdberg die Triiiple-Türme in Bau. Ein Gespräch darüber mit dem zuständigen Statiker Martin Haferl – und über seine Vision eines Wolkenkratzers, der sich selbst baut.

STANDARD: Was waren die Herausforderungen beim Triiiple?

Haferl: Die Türme sind keine einfachen Quader, sondern sie haben Auskragungen. Das bedeutet, dass die Kragkräfte durch das Haus geleitet werden müssen. Die Frage ist immer, wie man das mit möglichst wenigen Nutzungseinschränkungen macht – etwa durch schräge Stützen und verschiedenste Tragelemente.

STANDARD: Hat die Nähe zum Donaukanal Ihre Arbeit erschwert?

Haferl: Nein. Das Gebäude steht auf hunderten Tiefgründungspfählen mit einem Durchmesser von 63 Zentimetern, die bis circa 20 Meter in die Tiefe reichen. Dort unten ist das Grundwasser. Auf die örtlichen Bodenverhältnisse muss man Rücksicht nehmen.

STANDARD: Wie funktionieren diese Pfähle?

Haferl: Sie müssen tief genug sein, um die Kraft, die auf sie wirkt, über Reibung in den Boden abzutragen. Außerdem müssen sie gewährleisten, dass nichtüberbaute Tiefgeschoße nicht durch den Wasserdruck des Grundwassers aufschwimmen. Die meisten Hochhäuser in Wien stehen auf Tiefgründungspfählen.

STANDARD: Wie schaut Ihre Arbeit im Baustellenalltag aus?

Haferl: Jeder Bauabschnitt wird von uns kontrolliert. Stahleinlagen zum Beispiel, die später nicht mehr zu sehen sein werden, muss man sich vorher anschauen. Es werden Fotos gemacht, und es gibt ein Abnahmeprotokoll.

STANDARD: Wie stark werden die Türme bei Wind schwanken?

Haferl: Jedes Gebäude schwankt, auch ein niedriges. Bei derartigen Gebäuden ist das höchstens ein Fünfhundertstel der Höhe. Beim Triiiple werden das maximal 250 Millimeter sein – und das werden wir wohl nur einmal in 50 oder 100 Jahren erleben. Aber das Gebäude kann sich so weit verformen, und es reagiert elastisch. Der Erschließungskern des Hauses, wo die Stiegenhäuser und die Liftschächte sind, steift das Haus gegen Windkräfte aus.

STANDARD: Jedes Hochhaus sinkt mit der Zeit ein wenig ab. Wie stark wird das Triiiple-Projekt absinken?

Haferl: Drei bis vier Zentimeter. Zwei Drittel direkt beim Bau, ein Drittel in den Jahren danach. Irgendwann ist dann Ruhe. Die Setzung passiert, weil es im Boden beispielsweise Wasser in Hohlräumen gibt. Der Druck durch das Hochhaus presst das Wasser raus. So gibt der Boden langsam nach.

STANDARD: In San Francisco versinkt der Millennium Tower viel stärker als erwartet. 100 Millionen Dollar kostet die Reparatur. Ihr Albtraum?

Haferl: Jede Maßnahme, die man vorher nicht gemacht hat, kann man später nachholen – das kostet halt das Vielfache. Wenn man vorher als Statiker verantwortlich ist, ist das ein Albtraum. Wenn man später dazukommt, ist das sehr spannend.

STANDARD: Gibt es ein Limit bei der Höhe von Wolkenkratzern?

Haferl: Ab einer Höhe von einem Kilometer kommt man mit normalen Bauverfahren nicht mehr sinnvoll weiter. Die Grenze ist auch die Materialfestigkeit. Irgendwann reicht Stahl nicht mehr. Leicht und fest wäre die Kohlefaser. Die ist aber teuer. Was mir wichtig ist: Wenn man es schafft, Stahl mit Alternativenergie herzustellen, ist er ein extrem zukunftsweisendes Material, da er sich zu 100 Prozent wiederverwerten lässt und keine Ressourcenknappheit besteht.

STANDARD: Wie schaut das Hochhaus der Zukunft aus?

Haferl: Ich hab mal einen zwei Kilometer hohen Wolkenkratzer entworfen, der sich selbst baut, indem er CO2 versteinert. Die nötige Energie kommt von der Sonne, das Wasser vom Regen. Außerdem würde das Gebäude mit einem Robotersystem und, nicht, wie in manchen Ländern üblich, durch ausgebeutete Arbeiter, unter gigantischem Verbrauch von Ressourcen und ohne Rücksicht auf den Klimawandel errichtet. Allerdings würde es 30 Jahre dauern, bis der Wolkenkratzer fertig ist – so wie ein Baum. Das Konzept ist natürlich noch nicht ausgereift. Aber ich glaube schon, dass wir nicht unter noch mehr Ressourcenverbrauch und noch mehr Ausbeutung nach oben wachsen sollen. Da muss man anders denken.

STANDARD: Ist das Hochhaus alsoeine Lösung für wachsende Städte?

Haferl: Ja – wenn ein Hochhaus nicht aus Eitelkeit gebaut wird, sondern aus dem Gedanken heraus, möglichst wenig Flächen zu verbrauchen, und der gesamte Lebenszyklus mitgedacht wird. Unter diesen Voraussetzungen sind Hochhäuser die Bauformen der Zukunft. Aber man muss schauen, dass Wien Wien bleibt. Da sind die Architekten und Raumplaner gefragt.

Der Standard, Sa., 2019.09.14

14. September 2019Franziska Zoidl
Der Standard

Wohnen für Schwindelfreie

Wohnhochhäuser gibt es in Wien seit langem. Was als kommunaler Wohnbau begonnen hat, ist heute hochpreisiger. Dafür können Bewohner auf das hektische Stadtleben hinabblicken. Zu Besuch in einem alten und einem neuen Turm.

Wohnhochhäuser gibt es in Wien seit langem. Was als kommunaler Wohnbau begonnen hat, ist heute hochpreisiger. Dafür können Bewohner auf das hektische Stadtleben hinabblicken. Zu Besuch in einem alten und einem neuen Turm.

Den Donauturm sehen sie alle: die Mieter in den höheren Stockwerken eines der ältesten und eines der neuesten Wohnhochhäuser Wiens. Ersteres ist das Wohnhochhaus auf dem Matzleinsdorfer Platz in Wien-Margareten. Es ist ein 1957 fertiggestellter kommunaler Wohnbau mit 103 Wohnungen auf 20 Etagen. Einer der jüngsten Zugänge in der Wiener Skyline ist das Projekt Hoch 33 in Wien-Favoriten mit namensgebenden 33 Stockwerken. Er wurde im Vorjahr fertig und verfügt über 341 Mietwohnungen der Erste Immobilien KAG und 100 servicierte Apartments von room4rent.

Das Hoch 33 wird nun von seinen Mietern in Besitz genommen. Das eine oder andere Blumenkistchen wurde bereits zögerlich – und hoffentlich wie im Mietvertrag geregelt – am Balkongeländer befestigt. Der Einzug der ersten Mieter erfolgte gestaffelt, berichtet Petra Moser, zuständig für das Real Estate Asset Management bei der Erste Immobilien KAG. Sonst wäre es mit Parkplätzen und vor allem Platz im Lift eng geworden.

Auch auf dem Matzleinsdorfer Platz fährt heute ein Möbeltransporter vor. „Zieht da wer ein oder aus?“, ruft eine alte Dame, die gerade aus dem Gebäude tritt, bevor sie die Neuigkeit einem Gesprächspartner am Telefon weitergibt. Der Fahrer verdreht die Augen. Die 20-jährige Carmen wohnt schon seit ihrer Geburt hier. Die spektakuläre Aussicht von der Wohnung ihrer Eltern in einem der oberen Stockwerke war für sie immer schon Alltag. „Wenn ich am Kahlenberg bin, bin ich von der Aussicht nicht beeindruckt“, sagt sie und lacht. „Das kenne ich eh schon alles von daheim.“

Im Hoch 33 sind zwei Drittel der Wohnungen vergeben. Petra Moser von der Erste Immobilien KAG zeigt eine noch freie Wohnung im 21. Stock her. Ein raumhohes Fenster bietet Ausblick bis (fast) an den Horizont und hinunter zur Laaer-Berg-Straße. Wem schon beim Gedanken ans Fensterputzen schummrig wird, ist im Turm nicht gut aufgehoben. Auch der Schritt auf den Balkon mit Blick Richtung Südtosttangente könnte Überwindung kosten. Die gute Nachricht: Die Autos schauen von hier ganz klein aus. Die schlechte: Die Autos schauen von hier ganz klein aus. Bei Besichtigungen sei die Höhe kein Problem, sagt Moser: „Wer sich für eine Wohnung im Turm interessiert, weiß, dass das hoch ist.“

Im Haus auf dem Matzleinsdorfer Platz ist Harald Kührer seit 30 Jahren als Hausbesorger die gute Seele des Hauses. In der Früh, wenn das Haus zum Leben erwacht und die Aufzüge auf und ab surren, dreht er seine erste Runde. Dabei macht er manchmal unliebsame Entdeckungen: Schmierereien im Stiegenhaus oder im Lift zum Beispiel. Früher hätten sich immer wieder Jugendliche in den – in einem Hochhaus nur mäßig genutzten – Stiegenhäusern getroffen und für Ärger im Haus gesorgt.

Dabei sei der Wohnturm einst ein Zuhause für Wohlhabende gewesen: Helmut Zilk lebte hier ebenso wie Hans Dichand. Vor gut 30 Jahren seien die ersten Arbeiterfamilien eingezogen. Darüber freuten sich nicht alle, so Kührer.

Im obersten Stockwerk befand sich früher ein Restaurant mit Rundumblick. Alte Bilder zeigen ein Lokal mit Interieur, das heute als Vintagemobiliar durchgehen würde. Es musste allerdings nach einigen Jahren zusperren, weil es Probleme mit lärmenden Gästen gab, die den Lift verunreinigten. Heute befinden sich im obersten Stockwerk ein Architekturbüro und eine Werbefirma.

Es sei nicht so leicht, andere Bewohner kennenzulernen, meint Petra Moser über das Hoch 33. Gemeinschaftsraum und -terrasse haben sich noch nicht als Treffpunkte etabliert. Auf dem Matzleinsdorfer Platz ist man schon weiter. Manche leben seit 60 Jahren hier. Ob manche Mieter der – immerhin unbefristet vermieteten – Wohnungen im Hoch 33 auch so lange bleiben, wird sich zeigen.

Der Standard, Sa., 2019.09.14

09. März 2019Franziska Zoidl
Der Standard

Urlaub auf dem Parkhausdach

Was tun mit Parkhäusern, wenn die Autos fehlen? Ein Start-up aus Berlin errichtet Hotels aus vorgefertigten Holzmodulen auf deren Dächern. Und in Köln haben Architekten ein Parkhaus gleich mit einem kleinen mallorquinischen Dorf überbaut.

Was tun mit Parkhäusern, wenn die Autos fehlen? Ein Start-up aus Berlin errichtet Hotels aus vorgefertigten Holzmodulen auf deren Dächern. Und in Köln haben Architekten ein Parkhaus gleich mit einem kleinen mallorquinischen Dorf überbaut.

Haben Sie Ihr Auto schon einmal im obersten Stockwerk eines Parkhauses abgestellt? Die Chancen stehen gut, dass Ihre Antwort Nein lautet. Dass das oberste, nicht überdachte Parkdeck oft nicht genutzt wird, wissen auch Parkhausbetreiber nur zu gut. Denn Parkhäuser füllen sich von unten nach oben. Und Autos (und deren Insassen) sind oben dem Wetter am stärksten ausgesetzt. Für die Betreiber fallen hier außerdem die höchsten Instandhaltungskosten an.

Dass das oberste Parkdeck manchmal sogar geschlossen wird, hat auch das Berliner Start-up MQ Real Estate erkannt. „Angesichts immer innovativerer Mobilitätskonzepte wird sich dieser Trend in Zukunft noch verstärken“, sagte Konstantin Buhr, Chef-Architekt des Unternehmens, unlängst bei der Veranstaltung Jahresforum Hotelimmobilie in Wien. So kam das Start-up auf die Idee, Parkhäuser mit Holzmodulen aufzustocken – und so Hotels zu schaffen.

„Das Parkhaus hat dafür sehr gute Ausgangsbedingungen“, sagt Buhr – etwa was die Statik angeht. Auch die Gewerbewidmung ist bei Parkhäusern schon vorhanden. Was einfach klingt, ist trotzdem kompliziert: Nötig sind mutige Parkhauseigentümer und -betreiber sowie Hotelbetreiber. Und die Lage muss auch stimmen.

Nun biegt mit dem „Skypark Berlin“ das erste Projekt in die Zielgerade: Demnächst soll ein niu-Hotel in Berlin-Lichtenberg eröffnen. Auf dem Dach eines in den 1990er-Jahren erbauten zweistöckigen Einkaufscenters mit dreistöckigem Parkhaus darüber sind 152 Zimmer aus Holzmodulen entstanden. Das kleinste Zimmer ist 16 Quadratmeter groß. Der Zugang zum Hotel erfolgt über zwei Aufzüge im Gebäude.

„Die größte Herausforderung war, die Module aufs Dach zu bekommen“, erinnert sich Buhr, denn mit Kränen von unten war es schwierig, alle Bereiche zu erreichen. Die Lösung: ein riesiger Kran, der auf dem Dach des Gebäudes aufgestellt wurde. So wurde ein Stahlträgerrost errichtet, darüber die Holzmodule in einem zweihüftigen Grundriss angeordnet. Für die Gestaltung von Fassade und Innenräumen wurden Graffitikünstler eingeladen. „Wer den Bezirk kennt, weiß, dass sich das gut ins Stadtbild einfügt“, so Architekt Buhr lachend.

Wohnen auf dem Dach

In Köln sind auf einem Parkhaus mit dem Projekt „Magnus 31“ sogar hochwertige Eigentumswohnungen auf einem sanierungsbedürftigen, nicht mehr ausgelasteten Parkhaus aus den 1960er-Jahren entstanden. Nach Plänen des Architekturbüros Wilkin & Hanrath Bauphasen wurden die zwei obersten Stockwerke des Kolosses abgetragen, dann zwei zwei- bzw. dreistöckige Wohnriegel draufgesetzt. Die Pläne stammen von 2009. Baustart war erst 2015. Viele juristische und steuerliche Fragen mussten vorab nämlich geklärt werden, berichtet der Architekt Markus Hanrath; und auch planerische, etwa was Statik, Schallschutz und Brandschutz angeht.

Entstanden ist weit über der Straße eine Bebauung, die Hanrath mit einem „mallorquinischen Dorf“ vergleicht. 31 Wohnungen sind um einen begrünten Innenhof angelegt. „Man fährt mit dem Aufzug rauf und kommt in einer anderen Welt an“, beschreibt der Architekt die Erfahrung. „Das ist, wie durch eine kleine Dorfgasse zu gehen.“ Es sei ein „Produkt für Individualisten“, sagt Hanrath, leistbares Wohnen sei aufgrund der vielen Auflagen bei solchen Projekten nicht möglich.

Nicht mehr benötigte Parkhäuser einfach abzureißen ist für das Architekturbüro keine Lösung: Es sei spannender, einen Baukörper aus einer Zeit der automobilgerechten Stadtplanung zu transformieren – und dabei auch an die graue Energie, die bereits ins Gebäude geflossen ist, zu denken.

Vom Parkhaus selbst würden die Bewohner der Wohnungen heute jedenfalls nichts mitbekommen. „Dass man in der Innenstadt wohnt, merkt man aber schon“, so Hanrath. Parkplatzprobleme haben Bewohner und ihre Besucher jedenfalls keine: Ihnen steht eine ganze Etage im Parkhaus zur Verfügung.

Der Standard, Sa., 2019.03.09

09. März 2019Franziska Zoidl
Der Standard

Die Wohnung vom Diskonter

Eingeschoßige Supermärkte, die an eine Schuhschachtel erinnern, gibt es zuhauf. Immer öfter wird stattdessen aber ein Mix aus leistbaren Wohnungen und Gewerbeflächen im Erdgeschoß gebaut. Für Planer ist ein solches Projekt aber eine Herausforderung.

Eingeschoßige Supermärkte, die an eine Schuhschachtel erinnern, gibt es zuhauf. Immer öfter wird stattdessen aber ein Mix aus leistbaren Wohnungen und Gewerbeflächen im Erdgeschoß gebaut. Für Planer ist ein solches Projekt aber eine Herausforderung.

Unten einkaufen, oben wohnen: Diese Kombination gibt es in deutschen Großstädten immer öfter. In Berlin hat der Supermarkt-Diskonter Aldi Nord im Vorjahr verkündet, an mindestens 30 Standorten so mehr als 2000 Wohnungen errichten zu wollen. Zwei „Leuchtturmprojekte“ in Berlin-Lichtenberg und Berlin-Neukölln würden sich derzeit in Vorbereitung befinden, heißt es auf STANDARD- Anfrage nun dazu, zwei weitere Projekte seien in der Bauphase. Und 15 weitere Vorhaben würden sich in „verschiedenen Stufen“ der Projektplanung befinden. Mit Lidl ist auch die Konkurrenz ins Wohnimmobiliengeschäft eingestiegen. Der Diskonter hat in Berlin bereits mehrere Supermärkte mit Wohnungen überbaut.

Aber was bringt ihnen diese Strategie? Man wolle den Vorgaben der Stadt bzw. städtebaulichen Notwendigkeiten sowie dem Wohnungsmangel begegnen, heißt es bei Aldi Nord. „Die Diskonter sind im Wandel“, erklärt der Hamburger Architekt Jan-Oliver Meding von MPP Meding Plan+Projekt GmbH, der schon mehrere solcher gemischt genutzter Objekte umgesetzt hat.

Diskonter würden sich immer mehr einem Vollsortiment annähern – und dafür mehr Platz brauchen. „Man kriegt das besser dargestellt, wenn man die größere Fläche mit Wohnungsneubau begründet“, so Meding. Denn der Wohnungsbau ist in den Ballungsräumen, die unter hohen Immobilienpreisen ächzen, positiv besetzt. Oft steht am Ende ein Deal mit der Stadt: Der eingeschoßige Supermarkt wird abgerissen und bekommt im Neubau eine größere Verkaufsfläche, dafür bekommt die Stadt eine Überbauung mit leistbaren Wohnungen. Eine Nachverdichtung bestehender Schuhschachtel-Strukturen sei nämlich nicht möglich, betont Meding.

Für Planer gibt es viele Herausforderungen. Die Erschließung sei immer schwierig, sagt Meding: Stiegenhäuser können nicht einfach durch die Verkaufsfläche im Erdgeschoß gesteckt werden. Stattdessen führen vom Straßenniveau Stiegen an den Rändern in den ersten Stock, ab dort werden die Stiegenhäuser und Aufzüge wie in einem konventionellen Wohnhaus gestaltet. Über der Verkaufsfläche entsteht ein Innenhof, um den herum sich die Wohnungen anordnen.

Erdgeschoß als Herausforderung

„Architektonisch ist besonders das Erdgeschoß eine Herausforderung“, sagt Meding. Denn Diskonter würden am liebsten alles mit Plakaten zukleben, „fassadentechnisch muss man sich aber schon etwas Besonderes überlegen“. Gleichzeitig muss die Handelsfläche aber die Standards der Diskonter erfüllen. Die Anlieferung, die durch frühmorgendlichen Lärm bei Anrainern oft für Unmut sorgt, wird in Medings Projekten in der Tiefgarage abgewickelt. Die Mehrkosten für die gemischt genutzten Objekte würden bei fünf bis zehn Prozent im Vergleich zu einem Neubau auf der grünen Wiese liegen, schätzt Meding.

Auch bei der deutschen Immobiliengesellschaft Trei Real Estate ist man auf den Geschmack gekommen. Das Unternehmen ist gerade dabei, sein Portfolio, das früher zu hundert Prozent aus Handelsimmobilien bestand, umzubauen. Der Projektentwickler plant und realisiert aktuell vier gemischt genutzte Objekte in Berlin, die Mietwohnungen sollen im Bestand gehalten werden.

„Die Herausforderung sind zwei völlig unterschiedliche Nutzungen in einem Haus“, sagt CEO Pepijn Morshuis. Aber er sieht auch klare Vorteile: „Die Mieter haben den Kühlschrank mehr oder weniger im Erdgeschoß.“ Besonders in urbanen Lagen sei die Kombination vorteilhaft, weil im Erdgeschoß niemand wohnen wolle.

Auch in Wien wird das Wohnen über dem Supermarkt immer öfter zum Thema – aber die Mühlen mahlen hier sehr langsam: In Wien-Donaustadt wurde vor mehr als drei Jahren ein solches Projekt vorgestellt – die Bagger sind aber bis heute nicht aufgefahren.

Der Standard, Sa., 2019.03.09

20. Oktober 2018Franziska Zoidl
Der Standard

Teures Wohnen in alten Häfen

Die Öresundbrücke verbindet die beiden Städte Malmö und Kopenhagen – zwei Metropolen, die stark wachsen und neue Stadtteile am Meer bauen. Leistbares Wohnen ist aber dies- und jenseits des Öresunds Mangelware.

Die Öresundbrücke verbindet die beiden Städte Malmö und Kopenhagen – zwei Metropolen, die stark wachsen und neue Stadtteile am Meer bauen. Leistbares Wohnen ist aber dies- und jenseits des Öresunds Mangelware.

D ass Kopenhagen jahrzehntelang an Bevölkerungsschwund litt, kann man sich heute kaum noch vorstellen. An fast jeder Straßenecke steht ein Baugerüst oder ein Kran. 10.000 Menschen ziehen im Jahr her. Um Platz zu schaffen, werden neue Stadtquartiere gebaut.

Im früheren Industrieareal Nordhavn direkt am Wasser soll ein Referenzprojekt in puncto Nachhaltigkeit entstehen. Denn Kopenhagen hat ambitionierte Ziele. Bis 2025 will die Stadt CO2-neutral sein. Passend, dass der neue Stadtteil Ausblick auf das neue Müllheizkraftwerk bietet, in dem Fernwärme für 160.000 Haushalte erzeugt wird – und der CO2-Ausstoß um 100.000 Tonnen pro Jahr verringert wird. Nettes Extra: Auf dem Dach der Anlage, die von den dänischen Architekten der Bjarke Ingels Group entworfen wurde, befindet sich eine eineinhalb Kilometer lange Skipiste.

Spektakulär wird auch im Stadtteil Nordhavn selbst gebaut. „Design und Architektur sind bei uns nicht nur nice to have, sondern need to have“, sagt der Architekturguide Bo Christiansen.

In Nordhavn steht tatsächlich eine Landmark neben der anderen: ein früherer Silo zum Beispiel, der von den COBE-Architekten in ein 17-stöckiges Wohnhaus mit spektakulärer silbrig glänzender Fassade aus galvanisiertem Stahl verwandelt wurde. Das 380 m² große Penthouse war 2015 um vier Millionen Euro auf dem Markt – es war der höchste Angebotspreis der Stadtgeschichte.

Hier setzt eine häufig geäußerte Kritik an: Entstanden sei ein Viertel nur für Reiche, meinen viele. Seit 2010 sind die Immobilienpreise in Kopenhagen um 45 Prozent gestiegen. Und Nordhavn ist eine der teuersten Gegenden der Stadt. Zudem seien die Wohnungen, die gebaut werden, zu groß, kritisieren Wohnungssuchende.

Auch Hans Skifter Andersen, Experte für sozialen Wohnbau an der Kopenhagener Aalbourg University, meint, dass es für Immobilienentwickler schwierig wird, jene großen und teuren Wohnungen, die gerade vielerorts gebaut werden, zu verkaufen.

Denn gebraucht würden heute günstige und kompakte Wohnungen. „Die Menschen wollen sich ihre Wohnungen nicht mit anderen teilen“, sagt Andersen. Vielen bliebe angesichts der hohen Immobilienpreise aber keine andere Möglichkeit.

Darauf hat die Stadt reagiert: 25 Prozent der neu errichteten Wohnungen sollen Sozialwohnungen sein, so eine neue Vorgabe der Politik. Wie sich das auf die Immobilienpreise auswirkt, bleibt abzuwarten. Denn in Gegenden wie Nordhavn seien die hohen Grundstückskosten das Hauptproblem, sagt Andersen. Auch Non-Profit-Organisationen müssen diese Grundstücke zum Marktpreis kaufen. „Das macht es schwierig, für Menschen mit wenig Einkommen zu bauen.“

Auch bei Sozialwohnungen ist die Miete von Errichtungs- und Grundstückskosten abhängig. Die Sozialwohnungen in Nordhavn seien daher eher ein Produkt für die Mittelklasse, glaubt Andersen. Ärmere Bevölkerungsschichten würden nicht in den neuen Stadtvierteln, sondern in älteren Gegenden der Stadt wohnen.

Seit kurzem wird aber immerhin an einem ersten Projekt mit geförderten Mietwohnungen in Nordhavn gebaut. Das Grundstück war etwas günstiger, erklärt Architekturguide Christiansen, weil der Blick auf das Wasser längst durch andere Häuser verstellt ist. 98 geförderte Wohnungen, neun Starterwohnungen, 25 barrierefreie Wohnungen, ein Kindergarten und Restaurants baut der Bauträger Domea. Die Mauern stehen bereits.

Die hohen Grundstückspreise machen es dem sozialen Wohnbau in Kopenhagen auch andernorts schwer. Resultat sind Kooperationen zwischen gewerblichen Bauträgern und Non-Profit-Organisationen: Wohnungen im Erdgeschoß werden mancherorts zu Sozialwohnungen. Die Wartezeit auf leistbare Wohnungen in Kopenhagen liege derzeit bei 50 Jahren, heißt es vonseiten des dänischen Wohnungsverbands „BL – Danmarks Almene Boliger“. Nachsatz: „In den Vororten könnten Sie schon morgen einziehen.“

Jenseits der Brücke

Eine einstündige Autofahrt entfernt liegt die südschwedische Stadt Malmö, die seit 2000 mit Kopenhagen über die Öresundbrücke verbunden ist. Auch Malmö kämpfte einst mit Bevölkerungsschwund und Beinahepleite. Heute leben hier Menschen aus 125 Nationalitäten. Je nachdem, wen man fragt, wird entweder von Bandenkriegen berichtet oder von einem guten Miteinander, in dem sich jeder sicher fühlen kann.

Auch in Malmö wird in einem früheren Industriegebiet ein neuer Stadtteil entwickelt. Einst befand sich hier die größte Schiffswerft der Welt, nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren ging es wirtschaftlich bergab. Seit 2001 wird mit dem Western Harbour ein neues Wohnviertel entwickelt. Derzeit gibt es 4500 Wohnungen, bis 2030 sollen es 11.000 sein.

Inspiration sei eine mittelalterliche Stadt gewesen, erzählt Anne Rossell vom städtischen Wohnungsunternehmen MKB. Die Straßen wurden eng und viele Plätze geplant, an denen sich Menschen treffen können. Entlang der Küste schlängelt sich eine Promenade, die im Sommer zum Sonnenbaden und Tangotanzen genutzt wird.

Schnell ist klar: Im Unterschied zu Nordhavn in Kopenhagen ist im Western Harbour Leben eingezogen. Hier ist ein bunter Mix aus Wohnungen und Reihenhäusern entstanden. Über all dem ragt der 190 Meter hohe Turning Torso, das höchste Gebäude Skandinaviens. Aber auch hier fehlt Leistbares. Die Durchschnittsmiete schätzt Rossell auf 15 Euro pro Quadratmeter. Selbst Projekte der Stadt sind nicht günstiger.

„Der Aufschwung, den diese beiden Städte gemacht haben, ist beachtlich“, fasste Markus Sturm, Obmann des Vereins für Wohnbauförderung, am Ende einer vom Verein organisierten Studienreise zusammen. Schade findet er, dass in neuen Stadtgebieten Kopenhagens sozialer Wohnbau nur in B-Lagen möglich ist. „Da muss man sozialpolitisch fragen, ob man das will.“ Manches könne man sich von den Dänen aber auch abschauen: den ganzheitlichen Ansatz bei der Stadtentwicklung zum Beispiel, bei der nicht nur jedes Grundstück für sich, sondern als Teil eines großen Ganzen gesehen wird. „In Österreich werden oft nur Siedlungen entwickelt.“

Die Reise erfolgte auf Einladung des Vereins für Wohnbauförderung.

Der Standard, Sa., 2018.10.20

03. Februar 2018Franziska Zoidl
Der Standard

Wenn die Baugruppe am Einfamilienhaus scheitert

Der ländliche Raum wird in Österreich von großen Einfamilienhäusern dominiert. Wer sich weniger Platz und mehr Gemeinschaft beim Wohnen wünscht, hat es dafür oft schwer. Positive Ausnahmen gibt es.

Der ländliche Raum wird in Österreich von großen Einfamilienhäusern dominiert. Wer sich weniger Platz und mehr Gemeinschaft beim Wohnen wünscht, hat es dafür oft schwer. Positive Ausnahmen gibt es.

Es gibt sie in der Seestadt Aspern, im Sonnwendviertel und in der Sargfabrik. Die Rede ist von Baugruppen, also Menschen, die sich zusammenschließen, um gemeinsam Wohnraum zu schaffen. Solche Wohnprojekte sind auf dem Land jedoch eine Rarität, weil vielerorts Einfamilienhäusern der Vorzug gegeben wird.

In Ottensheim, einer Marktgemeinde im Mühlviertel, fand sich 2014 eine Gruppe von Menschen, die dazu eine Alternative suchten. Das gemeinschaftliche Projekt „Cooheim“ ist seither auf 34 Erwachsene und 25 Kinder angewachsen. Ihr Plan: die Errichtung eines Hauses mit 25 Wohneinheiten auf einem zentral gelegenen Grundstück, das ihnen vom Stift Wilhering im Baurecht zur Verfügung gestellt werden soll.

Die Mitglieder wollen ihre Wohnungen weder kaufen noch mieten, sondern Nutzungsrechte erwerben. Auch Gemeinschaftsflächen, etwa eine Küche und Begegnungszonen, und öffentliche Räume für Menschen aus der Umgebung sollen entstehen.

An der dafür nötigen Umwidmung des Grundstücks ist die Baugruppe vor wenigen Tagen jedoch gescheitert: Der Ottensheimer Gemeinderat votierte in einer geheimen Abstimmung dagegen. „Wir sind an der derzeitigen Ortspolitik gescheitert“, sagt Ferdinand Kaineder, Mitglied der Baugruppe. Er spricht von einer „schweren Enttäuschung“ und macht für die Entscheidung Klientelpolitik, aber auch einen „in Österreich sehr ausgeprägten Besitzegoismus“ verantwortlich. Er glaubt, dass man sich in der Gemeinde diese neue Wohnform schlicht und einfach nicht vorstellen konnte.

Beim Gemeindeamt widerspricht man: Ottensheim, im Großraum Linz gelegen, will nur noch eingeschränkt wachsen – maximal zehn Prozent in den nächsten zehn Jahren, das gibt das örtliche Entwicklungskonzept vor. „Ich bin dem Projekt immer positiv gegenübergestanden“, betont Bürgermeister Franz Füreder (ÖVP). Für ihn ist „Cooheim“ daher nach wie vor aktuell, die mögliche Umwidmung soll in einem Jahr wieder evaluiert werden. Bei der Reihung aller nichtgenehmigten Anträge auf Neuwidmung sei „Cooheim“ erstgereiht.

Dass es Baugruppen auf dem Land oft schwer haben, bestätigt auch der Architekt und Stadtplaner Robert Temel von der Initiative Gemeinsam Bauen Wohnen. „Außerhalb von Wien und Niederösterreich gibt es so gut wie keine Projekte.“ Dafür gebe es eine Vielzahl an Gründen: „In vielen Gemeinden gibt es große Vorbehalte gegen diese Wohnform“, sagt er. Dabei würden Baugruppen Gemeinden auch Vorteile bringen: Verdichtete Wohnformen als Alternative zum Einfamilienhaus, eine gute Nutzungsmischung, Mobilitätskonzepte sowie aktive Bewohner. „Aber wenn es hart auf hart kommt, dann ist man am Ende doch oft wieder auf der Seite der Einfamilienhausbesitzer.“

Was auch daran liegen könnte, dass diese den Herrn Bürgermeister eher wählen werden, meinen Kritiker: „Es stimmt natürlich, dass eine Baugruppe das politische Spektrum in einem Ort verbreitert“, sagt Temel. Dass in einer Baugruppe aber nur Wähler einer bestimmten politischen Richtung vertreten sind, glaubt er nicht.

Auch der Architekt Fritz Matzinger erzählt von einem sehr bunt gemischten Publikum, das in seinen Wohnprojekten wohnt. Matzinger ist mit seinen Atriumhäusern so etwas wie ein Veteran des gemeinschaftlichen Wohnens. Sein Modell der Bauherrengemeinschaft, das er vor 42 Jahren erstmals verwirklichte, wird oft als Vorläufer der Baugruppen genannt. „Die Grundstücke auf dem Land sind billig, aber die Leute haben keine Information darüber, welche Alternative es zwischen Massenwohnbau und dem blöden Einfamilienhaus gibt“, kritisiert er.

Zuletzt hat der Architekt einen denkmalgeschützten Vierkanter in Garsten – erste urkundliche Erwähnung 1459 – umgebaut. Entstanden sind 20 Wohnungen, die Ende 2016 bezogen wurden. „Jeder Raum ist individuell“, sagt Matzinger. „Da kann kein Neubau mithalten.“ Zum Revitalisieren alter Substanz rät er auch der Ottensheimer Baugruppe. In Garsten sei man von der Idee jedenfalls begeistert gewesen. „Und die Unterstützung des Bürgermeisters ist im ländlichen Raum sehr wichtig.“

Wie es in Ottensheim jetzt weitergeht? Mitte Februar steht eine Versammlung der Baugruppe an, sagt Kaineder: „Dann schauen wir weiter.“

Der Standard, Sa., 2018.02.03

21. Oktober 2017Franziska Zoidl
Der Standard

Die Wohnung im Hochbunker

Neuerdings werden in Deutschland Hochbunker in guter Innenstadtlage zu wahren Spitzenpreisen verkauft. Das Ziel der Käufer: den grauen Betonklötzen neues und auch hochpreisiges Leben einzuhauchen. Die moderne Technik macht’s möglich. Nur wohin mit dem Beton?

Neuerdings werden in Deutschland Hochbunker in guter Innenstadtlage zu wahren Spitzenpreisen verkauft. Das Ziel der Käufer: den grauen Betonklötzen neues und auch hochpreisiges Leben einzuhauchen. Die moderne Technik macht’s möglich. Nur wohin mit dem Beton?

Zu haben: Ein 1943 erbauter, fünfgeschoßiger Bunker in Bremen mit 1,10 Meter dicken Stahlbetonwänden und einer Bruttogeschoßfläche von knapp 1000 m². Er hat kein einziges Fenster – und auch die Wasserversorgung ist laut Immobilieninserat „nicht mehr vorhanden“. Oder: Ein Hochbunker in Duisburg, der zwar über einige Fensteröffnungen im Obergeschoß verfügt, die aber alle zugemauert wurden.

Die für die Vermarktung dieser Hochbunker zuständige deutsche Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) hat aktuell zwölf Hochbunker im Angebot, für die auch auf der Immobilienmesse Expo Real in München vor kurzem die Werbetrommel gerührt wurde. „Diese Immobilien wurden 70 Jahre lang nicht angegriffen“, erklärte dort Jörg Musial von der BIMA. „Durch den technischen Fortschritt kann man den Bunker aber heute knacken.“

Immer häufiger werden diese Spezialimmobilien, die aus strategischen Gründen oft in heute begehrter Innenstadtlage gebaut wurden, in Wohnobjekte umgewandelt. Zuletzt sei sogar ein regelrechter Boom ausgebrochen, hieß es vonseiten der BIMA: 250 Bunker wurden in den letzten zehn Jahren bundesweit verkauft, 101 davon in Nordrhein-Westfalen, in der Regel mittels öffentlichen Bieterverfahrens. 70,5 Millionen Euro wurden damit lukriert. Die bezahlten Preise können durchaus beachtlich sein: Jüngst wechselte in Aachen ein denkmalgeschützter Bunker um 480.000 Euro den Besitzer.

Was möglich ist, zeigt ein aktuelles Projekt in Kassel: Der Bunker liegt gleich in der Nähe vom Büro der Architekten Groger Grund Schmidt und weckte daher deren Interesse. „Was man aus diesem Betonklotz machen könnte, hat uns fasziniert“, erklärt der Architekt Matthias Fronius. 2015 war Baustart, kürzlich wurden die zwölf Wohnungen mit 1400 m² Wohnfläche übergeben. „Von innen wurde der Bunker komplett entkernt“, erklärt Fronius. Auch das marode Dach wurde entfernt und dem Gebäude ein zweigeschoßiger Mansardenbau aufgesetzt. Zudem wurde ins Gebäude ein neues Treppenhaus hineingeschnitten.

Die Architekten Rainer Mielke und Claus Freudenberg haben das Potenzial der Bunker schon früh entdeckt. 1999 bauten sie ihren ersten Bunker um, Rainer Mielke residiert seither in einem Penthouse auf dem Dach. Zehn Bunker haben sie in Eigenregie, aber auch für private Auftraggeber transformiert, nicht alle wurden zu Wohnobjekten.

Fenster ausschneiden

Eine anfängliche Herausforderung sei das Ausschneiden der Fenster gewesen, erzählt Mielke. Heute wird mit Seilsägen gearbeitet, die zwei bis drei Tage für das Ausschneiden eines Fensters aus der zwischen 1,10 und zwei Meter dicken Stahlbetonwand brauchen. „Dann fängt das Problem aber erst an“, so Mielke. Denn die bis zu 25 Tonnen schweren Betonblöcke müssen irgendwie aus dem Gebäude geschafft werden.

Ein Problem, vor dem auch Architekt Fronius beim Bunker in Kassel stand, nachdem in sechsmonatiger Arbeit die Fenster ausgeschnitten worden waren. Die Lösung wurde in einem Autokran gefunden, der die Blöcke Stück für Stück aus dem Gebäude zog.

In den Gemäuern finden sich natürlich auch Überraschungen: So konnte beispielsweise bis heute niemand eine Erklärung für einen 70 Kubikmeter großen ausbetonierten Block auf dem Dach des Bunkers in Kassel finden. „Und im zweiten und dritten Obergeschoß waren Räume bis unter die Decke mit Sand gefüllt, da konnten wir natürlich im Vorhinein auch nicht hineinschauen“, so Fronius.

Den besonderen Reiz macht für Bunkerprofi Mielke aus, dass die Spezialimmobilien nur wenige tragende Wände haben, also individuelle Grundrisse möglich sind. „Wir lernen die Leute, für die wir bauen, gern kennen“, so die Architekten Mielke und Freudenberg: „Das geht im Bunker.“

Grundsätzlich seien die Interessenten heute buntgemischt. Bedenken aufgrund Geschichte der Gebäude und „der Angst, die hier erlebt worden ist“, habe es beim ersten Projekt bei einigen „esoterisch veranlagten“ Interessenten durchaus gegeben, sagt Mielke. Nach der Besichtigung einer bereits fertiggestellten Bunkerwohnung seien diese aber verflogen. Das Stichwort Bunker sorge aber natürlich immer für Interesse – auch wenn bei den fertigen Wohnungen nicht mehr viel an den Ursprungszustand erinnert.

Eine Wohnung im Bunker dürfe nämlich nie wie ein Bunker aussehen, erzählt Mielke. Gefragt seien große, lichtdurchflutete Wohnungen, keine engen Räume mit Fensterschlitzen. Außerdem habe die Oberfläche außen – wettergegerbter, mit Moos bewachsener Beton – eine unübertroffene Qualität. Bei einem aktuellen Projekt in Hamburg-Eilbek werden die Außenwände nur gereinigt.

Ein Nachteil der Substanz: „Energetisch ist so ein Bunker eine Katastrophe“, sagt Mielke. Die Stahlbetonwand biete keine Wärmedämmung, man müsse also komplett neu dämmen. Der einzige Vorteil des Stahlbetons sei, dass Temperaturextreme ausgeglichen werden.

Klar ist: Die Kosten für einen solchen Umbau sind beachtlich. In Kassel sei man im „höheren siebenstelligen Bereich“ gelegen, berichtet Fronius. „Es ist ein großes Abenteuer“, sagt der Architekt, der bereits ein weiteres, ähnliches Projekt im Auge hat: „Man sollte dieses Abenteuer aber wagen. Denn im Bunker wohnen kann nicht jeder.“

Überschaubares Angebot

Das Angebot ist tatsächlich begrenzt: 130 Bunker hat die BIMA noch im Bestand. Für eine Wohnnutzung eignet sich aber nur ein Bruchteil, etwa aufgrund der Lage, der Erfordernisse des Denkmalschutzes oder bestehender Mietverträge. Und auch die stark gestiegenen Preise machen es kleineren Bauträgern schwer, Projekte zu realisieren. Denn viel mehr als die Konkurrenz im Neubau könne man für die Wohnungen im Bunker nicht verlangen, meint Mielke. Beim Projekt in Hamburg beginnen die Quadratmeterpreise bei knapp unter 4000 Euro.

Wer nun Interesse hat: In Österreich ist das Angebot an Bunkern begrenzt. Die Sivbeg, 2005 zum Verkauf von Heeresimmobilien gegründet, hatte 2015 einen Hochsicherheits-(Erd-)Bunker im Burgenland im Angebot. Sie wurde aber 2016 aufgelöst, seither werden Verkäufe direkt vom Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport durchgeführt. Laut dessen Webseite steht derzeit jedoch kein Bunker zum Verkauf.

Der Standard, Sa., 2017.10.21

22. Juli 2017Franziska Zoidl
Der Standard

Wenn das Landhaus ein Tiny House ist

Immer mehr Menschen wollen platzsparend und autark wohnen. Ein österreichischer Anbieter sogenannter Tiny Houses will so auch aussterbende Orte auf dem Land beleben. Rechtlich ist aber noch vieles unklar.

Immer mehr Menschen wollen platzsparend und autark wohnen. Ein österreichischer Anbieter sogenannter Tiny Houses will so auch aussterbende Orte auf dem Land beleben. Rechtlich ist aber noch vieles unklar.

„Susi“ ist ein Büro im Grünen, „Oskar“ ein autarkes Kraftwerk: Die Vornamen stehen für Modelle des Wohnwagons, einer Holzhütte auf Rädern. Wer darin wohnen will, sucht Selbstbestimmtheit und verzichtet auf Platz. Denn die kleinen Häuser sind nur zwischen 15 und 33 m² groß. Zum Vergleich: Die Pro-Kopf-Wohnfläche liegt in Österreich im Schnitt bei fast 45 m².

Die sogenannte Tiny-House-Bewegung reduziert, ausgehend aus den USA, Wohnen auf das Wesentliche. Dahinter stehe für viele der Wunsch nach einem Leben, in dem sie nicht abhängig von einem Versorgernetz sind, erklärt Theresa Steininger. Sie ist die Geschäftsführerin von Wohnwagon. Seit 2015 ist ihr Produkt auf dem Markt, bisher wurden 24 Einheiten verkauft: „Diese Reduktion aufs Wesentliche wird von vielen als Luxus wahrgenommen.“

Billig ist das nicht: Das günstigste Modell, die „Susi“ mit sechs Metern Länge, beginnt bei 50.000 Euro, das Modell „Fanni“ mit zehn Metern Länge und ausziehbarem Erker kann auf bis zu 150.000 Euro kommen – das sind Quadratmeterpreise über 4000 Euro. Für die Kosten entscheidend ist die angestrebte Unabhängigkeit: „Autarkie ist teuer“, sagt Steininger.

Einige Wohnwagon-Modelle sind vollautark. Sie erzeugen mittels einer Fotovoltaikanlage Energie. Warmwasser und Heizwärme gibt es dank einer Kombination aus Solarenergie und wassergeführter Holzheizung, Frischwasser liefert die Grünkläranlage für Brauchwasser. Der Autarkiegrad liege bei 97 Prozent, sagt Steininger: „Die restlichen drei Prozent kriegt man über das Nutzerverhalten hin.“

Unter den Käufern seien 25-Jährige genauso wie 60-Jährige, die sich in der Pension verkleinern wollen. Besonders für das sich mancherorts ausdünnende Land könne man mit den Tiny Houses spannende Lösungen bieten: „Junge Generationen wollen sich heute nicht mehr mit dem Bau eines Einfamilienhauses zum Leben auf dem Land verpflichten“, sagt Steininger. Ein Wohnwagon aber könnte für zehn Jahre an der einen Stelle stehen und dann weiterziehen. Mittlerweile werde gezielt mit Gemeinden zusammengearbeitet. Als erstes Resultat gibt es online eine Stellplatzbörse.

Der Weg zum Tiny House ist aber nicht ganz unkompliziert. Viele Fragen sind offen. Etwa jene, welche Widmung dafür nötig ist. Man sei stark auf das Gutdünken des Bürgermeisters angewiesen, erzählt Steininger, bisher seien aber bei unterschiedlichen Widmungskategorien Lösungen gefunden worden. Auch die gewünschte Autarkie sei für viele Gemeinden neu, mancherorts werde dennoch auf einen Kanalanschluss bestanden. „Manchmal sind die lokalen Baubehörden aber auch dankbar, dass keiner nötig ist“, so Steininger.

Mittlerweile gibt es zahlreiche Anbieter von Kleinhäusern: Das Grazer Unternehmen Microloft bietet Fertigteilhäuser in Holzriegelbauweise an. Sie sind in zwei Größen erhältlich. Die Häuser werden vorgefertigt und sind dann auf der Baustelle innerhalb von zwei Tagen bezugsfertig, erzählt Geschäftsführer Arno Laneve. Derzeit werde auch daran gearbeitet, die Häuser autark zu machen – „das ist ein Trendthema“, sagt Laneve. Eigentümer vom 2013 gegründeten Unternehmen Microloft ist seit 2015 Sänger Andreas Gabalier mit seiner Volks-Rock ’n’ Roll Gmbh. Seither sei das Produkt optimiert worden, nun starte man durch, erzählt Gabalier, der als Eigentümer aber lieber im Hintergrund bleiben will.

Auch das burgenländische Unternehmen Eunido bietet vorgefertigte Designminihäuser, „Cubes“ genannt, an: „Ursprünglich haben wir unsere „Cubes“ als Home-Offices konzipiert. Dann haben wir bemerkt, dass immer mehr ihn als Wochenend- oder Singlehaus verwenden wollen“, erzählt Inhaber Dominikus Klawatsch. Die Zielgruppe – Designaffine und Umweltbewusste – würde zunehmend realisieren, dass man auch auf kleinem Raum – die Cubes starten bei 30 m² – elegant wohnen kann: „Viele sagen: Wofür brauche ich einen großen Wohnbereich, wenn ich keine Zeit habe, ihn zu nutzen?“

Eine Lösung für den großen Bedarf an leistbarem Wohnraum in Städten sieht Klawatsch in Tiny Houses aber nicht: Dafür seien die Produkte noch zu teuer, zudem seien Containersiedlungen keine Lösung: „Die Kleinhäuser sollten in die normale Baulandschaft integriert werden.“ Auch der Wohnwagon von Theresa Steininger kam bisher nicht in Städten zum Einsatz. Ein Kunde überlege nun aber, sich einen auf ein Dach in der Stadt zu stellen, erzählt sie.

Platzsparende Lösungen

Ob in der Stadt oder auf dem Land: Wer in ein Tiny House ziehen will, müsse seine Bedürfnisse genau kennen, betont Steininger. Der eine brauche beim Wohnen Platz für einen einmal wöchentlich stattfindenden Jodelkurs, der andere benötige Raum für das Aufbewahren von Plänen.

Platzsparende Lösungen gibt es viele: Der Esstisch kann im Wohnwagon ausgeklappt werden, eine Eckbank zum Doppelbett werden oder das Bett nach oben an die Decke gekurbelt werden. „Das Schöne ist, dass die Menschen sich schon lange vor dem Projekt bewusst reduzieren“, sagt Steininger. Heimwerker würden sich dann beispielsweise in eine Gemeinschaftswerkstatt einmieten. „Man fängt also an, sich in Gemeinschaftsstrukturen einzugliedern“, erzählt Steininger begeistert. „Die Behörden haben anfangs oft Angst vor Einsiedlern, am Ende entstehen aber immer dörfliche Strukturen.“

Der Standard, Sa., 2017.07.22

28. Januar 2017Franziska Zoidl
Der Standard

„Ein Hochhaus hat große Auswirkungen auf die Stadt“

Die einen wollen Wohnen mit Ausblick, die anderen sorgen sich ums Stadtbild: Hochhäuser vermehren sich auch in Wien. Architekturpsychologe Riklef Rambow erklärt, warum diese so emotional diskutiert werden.

Die einen wollen Wohnen mit Ausblick, die anderen sorgen sich ums Stadtbild: Hochhäuser vermehren sich auch in Wien. Architekturpsychologe Riklef Rambow erklärt, warum diese so emotional diskutiert werden.

Standard: In Wien, aber auch in deutschen Städten wie Frankfurt werden immer öfter Wohntürme gebaut. Eine gute Entwicklung?

Rambow: Der Imagewandel, den Wohnhochhäuser gerade vollziehen, scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Lange Zeit galten Hochhäuser als potenzielle soziale Brennpunkte und wurden als zum Wohnen ungeeignet erachtet. Denn Wohnen im Hochhaus kommt mit einer Reihe von Nachteilen daher, das ist bis heute so.

Standard: Welchen?

Rambow: Wenn man zum Beispiel oberhalb des sechsten oder siebten Stockwerks wohnt, dann hat man keinen direkten Bezug mehr zur untersten Ebene. Dann kann man etwa seine Kinder nicht mehr unten spielen lassen. Problematisch kann auch die Anzahl an Wohnungen sein, die an einem Erschließungsstrang hängen und nur über den Aufzug erreichbar sind. Das führt schnell zu Anonymität, geringer sozialer Kontrolle, zu Angsträumen und Verwahrlosung. Die beste Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist ein Concierge, der keine Fremden ins Haus lässt. Und dass die Wohnungen so teuer sind, dass nur Leute einziehen, die es sowieso nicht verkommen lassen.

Standard: Leistbares Wohnen entsteht also nicht?

Rambow: Im sozialen Wohnbau würde ich weiterhin davon abraten, zu großen Einheiten zurückzukehren, denn das würde wieder die Probleme von früher verursachen. Die Nachteile extremer Verdichtung müssen mit hohem finanziellem Aufwand kompensiert werden. Wir haben es bei dieser Renaissance des Wohnhochhauses also eindeutig mit hochpreisigem Wohnen zu tun. In New York entstehen derzeit beispielsweise extrem schlanke Wolkenkratzer, die von guten Architekten geplant werden. Das sind Angebote für Paare oder Singles, die sie oft nicht dauerhaft bewohnen. Der schlanke Grundriss sorgt für exzellente Sicht und Belichtung, erhöht aber die Kosten noch einmal immens. Für diese Klientel hat das Wohnen im Hochhaus erhebliche Vorteile.

Standard: Nämlich?

Rambow: Es ist ja nicht schlecht, wenn man im 17. Stock auf der Terrasse sitzt, sofern die Windverhältnisse passen und der Straßenlärm unten nur noch ein entferntes Grummeln ist. Der fehlende Kontakt zum Boden wird so sogar zum Vorteil für die Bewohner: keine Belästigung durch Lärm, Gestank, keine Einblicke und fantastische Fernsicht.

Standard: Von jenen, die von diesen Vorteilen wohl eher nicht profitieren, werden solche Türme oft emotional diskutiert. Warum?

Rambow: Die Wahrnehmung in der Bevölkerung ist nicht ganz zu Unrecht: Da kaufen sich Leute ein, die es sich leisten können, mit den Wirren des Alltags nichts zu tun zu haben. Ein Hochhaus hat ja große Auswirkungen auf die Stadt, besonders auf die Straßenebene. Dort ist es zugig und schattig, und es gibt einen Tiefgaragenschlund, der die Autos richtiggehend einsaugt. So bekommt man ein Bild der Stadt, das wenig mit sozialem Austausch zu tun hat.

Standard: Auch die Symbolik eines Hochhauses selbst ist wenig sozial. Es gilt als hierarchisches Gebäude.

Rambow: Man muss jetzt gar nicht mit der Phallussymbolik argumentieren – obwohl das auch nicht völlig falsch wäre. Man kann auch an den Turmbau zu Babel erinnern: Das Nach-oben-Bauen birgt immer hohes Risiko und ist nah an der Allmachtsfantasie. Die bekanntesten Hochhäuser waren immer bewusste Anstrengungen von Firmen oder Regierungen, ein machtvolles Zeichen zu setzen. Da gibt es nicht viel zu deuteln. Das ist eine bewusste Machtgeste – und die gefällt nicht allen. Mit dem Trump Tower haben wir derzeit ja ein extremes Beispiel täglich vor Augen.

Standard: In Wien wird oft kritisiert, dass ein Hochhaus nicht in das Stadtbild passt.

Rambow: Das große historische Potenzial von Städten wie Wien liegt in der Horizontalen. Den größten Reiz hat die Stadt in den sehr einheitlich gestalteten Gründerzeitvierteln, die höchstens sechsgeschoßig sind. Das ist ein sehr positiv besetztes Bild. Heute prallen aber oft zwei Vorstellungen von Stadt aufeinander: auf der einen Seite die europäische, fußgängerorientierte Stadt mit Boulevards und eher niedrigen Gebäuden, auf der anderen Seite die amerikanische Stadt, die in die Höhe und in die Breite wächst. Ein geplantes Hochhaus kann bei Menschen Ängste und Unwohlsein auslösen. Das spielt sich auf einer emotionalen Ebene ab, hat aber, wie gesagt, auch eine reale Grundlage. Jede Stadt sollte sich genau überlegen, wo Hochhäuser zugelassen werden. Denn der Stadt drohen dadurch gewisse Gefahren. Hochhäuser können zu einer Verödung führen und das Leben aus der Stadt förmlich absaugen. Es ist städtebaulich anspruchsvoll, Hochhäuser mit flacheren Bebauungen zu verzahnen.

Standard: Kennen Sie Positivbeispiele?

Rambow: Sicher New York. Niemand, der Manhattan schon einmal durchwandert hat, würde sagen: Ohne die Hochhäuser wäre es interessanter. Auch in Frankfurt haben die Hochhäuser alles in allem zu einer Qualitätssteigerung der Stadt und zu einem Gewinn an Charakter geführt.

Standard: Gewöhnen sich die Menschen irgendwann an umstrittene Türme?

Rambow: Manchmal ja und manchmal nein. Auf Gewöhnung zu spekulieren sollte kein Argument in der Diskussion über Architektur und Stadt sein. Es geht immer um fundierte Argumente für Qualität.

Standard: Wie könnte man die Akzeptanz erhöhen? Partizipation?

Rambow: Mit Partizipation kommt man bei dieser Thematik meines Erachtens kaum weiter – denn dann würde der Hochhausbau wohl in den meisten Fällen ganz abgelehnt werden. Ich denke, der beste Weg ist eine transparente, verlässliche und gut begründete Stadtplanung.

Standard: Könnten gestalterische Maßnahmen helfen?

Rambow: Vieles von dem, was geplant wird, ist durchaus von hoher gestalterischer Qualität. Das hilft, auch wenn es keine Garantie für Akzeptanz ist. Es gibt gestalterische Mittel, von denen ich abrate: Verspiegelte oder dunkle Komplettglasfassaden wirken oft verschlossen, außerdem kann es zu Blendeffekten für die Umgebung kommen. Sehr exaltierte, aufdringliche Formen, von denen man sich absieht, sind nicht förderlich, ebenso plumpe Proportionen. Eine gewisse Ensemblewirkung und Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft sind immer hilfreich. Das funktioniert nur mit guten Architekten und wohlmeinenden Bauherren, die bereit sind, sich auf einen Dialog mit der Stadt einzulassen, und nicht einfach irgendeinen Klopper hinstellen.

Der Standard, Sa., 2017.01.28

21. Januar 2017Franziska Zoidl
Der Standard

Gemeinsam bauen und im Clusterhaus wohnen

1100 Wohnungen sollen im Wohnquartier Wildgarten im 12. Bezirk entstehen. Auch drei von Baugruppen geplante Wohnbauten sind dabei. Baustart ist das Frühjahr 2018 – aktuell wird noch nach Mitbewohnern gesucht.

1100 Wohnungen sollen im Wohnquartier Wildgarten im 12. Bezirk entstehen. Auch drei von Baugruppen geplante Wohnbauten sind dabei. Baustart ist das Frühjahr 2018 – aktuell wird noch nach Mitbewohnern gesucht.

Noch ist es eine Brachfläche, bald soll das Quartier „Wildgarten – Wohnen am Rosenhügel“ entstehen. Die Baugruppen-Projekte, rot markiert, von links nach rechts: Willdawohnen, Rose Garden und Que[e]rbeet.

Wien – Bis 2022 soll im zwölften Bezirk mit dem Projekt „Wildgarten – Wohnen am Rosenhügel“ ein neues Wohnquartier entstehen: Fast 1100 Wohnungen sind am Fuß des Rosenhügels geplant. 600 freifinanzierte Miet- bzw. Eigentumswohnungen wird die Liegenschaftseigentümerin, die ARE Austrian Real Estate Development GmbH, bzw. deren Tochter, die Wildgarten Entwicklungsgesellschaft, errichten. Außerdem sind 100 Gemeindewohnungen und 300 geförderte Einheiten geplant.

Zusätzlich werden drei Baugruppen 85 Wohnungen errichten. Im November fiel die Wahl auf Willdawohnen, Rose Garden und Que[e]rbeet. Bis April haben diese nun Zeit, ihre Vorstellungen zu konkretisieren.

Ihre Bauplätze sind über das ganze Areal verteilt: „Die Baugruppen sollen für Belebung und Bewegung im Wildgarten sorgen“, sagt ARE-Pressesprecherin Sabine Gaggl. Daher sei ein besonderes Augenmerk auf die Erdgeschoßbereiche gelegt worden, die Cafés, Werkstätten und Co-Working-Spaces beherbergen werden. Wichtig sei bei der Auswahl der Baugruppen auch gewesen, dass diese die Werte des Wohnquartiers, beispielsweise Gemeinschaft und Vielfalt, mittragen.

Andreas Konecny, Initiator der Baugruppe Que[e]rbeet, ist schon so etwas wie ein alter Hase in der Baugruppen-Branche: Sein Projekt „Que[e]rbau“ in der Seestadt Aspern biegt gerade in die Zielgerade, auch am Hauptbahnhof hat er sich – allerdings erfolglos – um einen Bauplatz beworben. Anfang kommenden Jahres findet der Baustart im Wildgarten statt, bis Ende 2019 sollen die 30 Wohnungen bezogen sein.

„Unsere Zielgruppe sind Menschen, die für queere Lebensentwürfe offen sind“, erklärt Konecny. Bei „Que[e]rbeet“ wird eines von vier durch die Flächenwidmung vorgeschriebenen Gebäuden ein Atelierhaus für Künstler sein. In einem weiteren Haus sind Clusterwohnungen vorgesehen – drei bis fünf Kleinwohnungen, die sich eine Gemeinschaftsküche teilen. Als Zielgruppe dafür nennt Konecny Senioren und Studierende, aber auch Patchworkfamilien. Interesse dafür gebe es etwa von einer Familie, die minderjährige Flüchtlinge aufnehmen will.

In der Mitte des Areals wird „Rose Garden“ entstehen. Initiator ist der Architekt Georg Baldass, der in der Seestadt Aspern bereits das Baugruppenprojekt Pegasus geplant hat. „Wir haben damals gemerkt, dass es viele Interessenten gibt, die zwar in eine Baugruppe, aber nicht in die Seestadt wollen“, sagt er. Das Projekt mache aus, dass es nicht auf eine Zielgruppe beschränkt sei. „Wir sprechen alle an, die aus der typischen Mietwohnung und der Anonymität rauswollen“, erklärt der Architekt. Geplant ist beispielsweise eine gemeinschaftliche Bewirtschaftung der Dachgärten.

„Von der Planung her ist ein Baugruppenprojekt umfangreicher. Aber das merkt man am Ende auch“, sagt Baldass. Bei einer Baugruppe plant jeder Bewohner seine Wohnung mit dem Architekten. Am Ende würden daher keine zwei Wohnungen gleich ausschauen. Als Herausforderung im Wildgarten sieht Baldass auch die vorgeschriebene kleinteilige Bebauung, was wirtschaftlich schwierig umzusetzen sei.

„Willdawohnen“ im Westen des Areals wird im Gegensatz zu den anderen Projekten freifinanziert errichtet. „Die Verbindung von Stadt und Land war das Hauptanliegen der Gruppe“, erklärt Katharina Bayer von einszueins Architektur, die den Planungsprozess begleitet. Geplant sei ein „dreidimensionaler Garten“. Auch bei „Willdawohnen“ soll es neue Wohnformen wie Clusterwohnungen geben.

Dass die Planung mit einer Baugruppe langwierig ist, weil bis zur letzten Steckdose alles diskutiert wird, stimmt laut Bayer nicht. Es gebe eine soziokratische Struktur und Regeln dazu, wo die Grenzen der Partizipation liegen – etwa wenn es um die Kommunikation mit Bauprofessionisten geht: „So kann die Planung in einem normalen Planungszeitrahmen bewältigt werden.“

Alle drei Baugruppen sind noch auf der Suche nach Mitbewohnern. Informationen unter www.wildgarten.wien

Der Standard, Sa., 2017.01.21

30. September 2015Franziska Zoidl
Der Standard

Ein Planlos-Award inklusive i-Tüpfelchen

Die umstrittenen PPP-Projekte der Stadt Wien wurden am Dienstag mit dem „Planlos“-Award der IG Architektur bedacht

Die umstrittenen PPP-Projekte der Stadt Wien wurden am Dienstag mit dem „Planlos“-Award der IG Architektur bedacht

Zum dritten Mal wurde am Dienstag der Planlos-Award der Interessensgemeinschaft Architekturschaffender verliehen, der alle zwei Jahre an planerisch unvernünftige Entscheidungen in der Baukultur vergeben wird. Über den Sommer konnten Nominierungen abgegeben werden, aus den 45 Einreichungen wählte eine Jury dann drei Finalisten aus. Die potenziellen Gewinner wurden auch zur Preisverleihung im Wiener WUK eingeladen, erschienen ist aber niemand.

Drei Nominierungen, ...

Die erste Nominierung: der Standardausstattungskatalog des oberösterreichischen Wohnbaulandesrats Manfred Haimbuchner (FPÖ) für den geförderten Wohnbau, der am 1. Jänner 2015 in Kraft getreten ist. „Planer und Ausführende werden damit in ihrer Lösungskompetenz eingeschränkt“, so die IG Architektur. Langfristig komme es zu höheren Kosten und schlechterer Wohnqualität. Die Architekten Oliver Aschenbrenner und Franz Denk lasen als „Laudatio“ auf der Bühne aus dem Regelwerk vor und ernteten Lacher der versammelten Architektenschaft. Ihr Resumee: „Im Sinne der Einsparungsmaßnahmen schlagen wir vor, diese Richtlinien einzusparen.“

Eine weitere Nominierung ging an den Wettbewerb für einen Sportpark in Graz. Dieser wurde exemplarisch ausgewählt als Beispiel für Wettbewerbe, die für die Mehrzahl der Architekten aufgrund von „überzogenen Eignungskriterien“ und „einseitiger Auslegung des Bundesvergabegesetzes“ nicht zugänglich sind.

... ein „Sieger“

Letztendlich ging der acht Kilo schwere Betonklotz jedoch stellvertretend für die Stadt Wien an den (nicht anwesenden) Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) für die städtischen PPP-Verfahren: Dabei vergibt die öffentliche Hand öffentliche Bauten – darunter auch Kultur- und Bildungsbauten – an private Investoren."

Die IG Architektur kritisiert dabei den „Rückzug der öffentlichen Hand aus der inhaltlichen Verantwortung und die langfristig höhere Kosten“. „Unsere Kammer hat ein Jahr lang versucht, wenigstens architektonische und technische Standards vorzugeben. Wir sind an den Gespenstern des Sachzwangs gescheitert“, sagte Peter Bauer, Präsident der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten für Wien, Niederösterreich und Burgenland in seiner „Laudatio“.

„Wir werden nach der Wahl den Herrn Bürgermeister aufsuchen und ihm den Preis übergeben“, kündigte Matthias Finkentey, organisatorischer Leiter der IG Architektur, an. Er betonte aber auch, dass der Planlos-Award unpolitisch sei: „Die Verleihung an die Stadt ist kein politisches Statement“, sagte er. „Die Stadt Wien ist nämlich eine gute Stadt.“

„Unser Preis rüttelt auf“

Intern sei immer wieder auch diskutiert worden, warum ein Negativ-Preis vergeben werde. „Aber unser Preis rüttelt auf“, zeigte sich Marion Gruber, Sprecherin der IG Architektur, überzeugt. „Es passiert etwas“, meinte sie etwa im Hinblick auf den Sieger des letzten Planlos-Awards, das österreichische Normungsinstitut Austrian Standards (dessen Leiterin, Elisabeth Stampfl-Blaha, den Preis vor zwei Jahren übrigens persönlich abholte – siehe „Nachlese“). Seither sei die Normenflut immer wieder Thema.

Dieses Jahr habe man sich aber dafür entschieden, der Preisverleihung ein „i-Tüpfelchen“ aufzusetzen, so Finkentey. Daher wurde erstmals auch ein „Gut gemacht“ vergeben.

Der sichtlich überraschte Gewinner des Positiv-Preises war Daniel Hora von Megatabs Architekten. Sein Büro hatte sich an einem Wettbewerb im Frühsommer beteiligt, den die Kammer aber nicht freigegeben hatte, weil es sich dabei um ein PPP-Verfahren handelte.

Einreichung zurückgezogen

Unter Architekten sei damals diskutiert worden, wie auf den Wettbewerb zu reagieren sei. „Nicht teilnehmen ist wie nicht wählen gehen“, so Gruber. Daher haben am Ende 50 Architekturbüros Plakate zum Thema „Stop PPP“ entworfen und abgegeben.

Ursprünglich habe sein Büro „ganz normal am Wettbewerb teilgenommen“, so Hora: „Wir hatten schon abgegeben, als wir die Flut an E-Mails der Architektenschaft sahen“, so der Architekt. „Wir haben dann unsere Einreichung zurückgezogen.“ Für die Mitarbeiter sei diese Entscheidung „schon hart“ gewesen, viel Herzblut und Zeit sei in das Projekt geflossen. Dafür gab es Standing Ovations. „Solidarität ist ein Wert, der in der IG Architektur hochgehalten wird“, sagte Finkentey. Ob die Positiv-Anerkennung auch in zwei Jahren wieder verliehen wird, sei noch offen.

Der Standard, Mi., 2015.09.30

24. Januar 2015Franziska Zoidl
Der Standard

Leeren Schulen neuen Sinn geben

Die vierte Leerstandskonferenz widmete sich dem Thema Leerstand in Schulen in all seinen Aspekten: Selbst wenn eine Schule in Betrieb ist, stehen viele Flächen leer. Moderne Schulen sind daher in Cluster organisiert, haben keine Gänge - und flexible Wände.

Die vierte Leerstandskonferenz widmete sich dem Thema Leerstand in Schulen in all seinen Aspekten: Selbst wenn eine Schule in Betrieb ist, stehen viele Flächen leer. Moderne Schulen sind daher in Cluster organisiert, haben keine Gänge - und flexible Wände.

Kinder, die auf bunten Sitzmöbeln herumturnen, flink Schränke als Raumtrenner ausklappen und in einer unter die Stiege eingepassten Spielecke konzentriert lesen: Wände sucht man in der seit Herbst des Vorjahres eröffneten neuen Volksschule Feldkirchen in Oberösterreich ziemlich lange, Gänge sucht man gar vergeblich, berichtet Hemma Fasch vom Architekturbüro fasch&fuchs. Die Räume der Clusterschule sind mittels Möbeln oder Glasschiebewänden unterteilbar, „aber es gibt keinen Quadratmeter unnutzbare Fläche“. Sie vergleicht die Schule mit einem Marktplatz: „Klassen sind kein lärmisolierter Raum mehr.“ Das Konzept ist so modern, dass es regelmäßig Experten zum Lokalaugenschein in die Landgemeinde verschlägt.

Dass die Zukunft von Bildung nicht in Gebäuden mit endlos langen Gängen und daran aufgefädelten Klassenzimmern liegt, darüber ist man sich heute weitgehend einig. In traditionellen Gebäuden werden zudem Ressourcen verschenkt: Bis zu 50 Prozent der Flächen werden von Gängen beansprucht. Teilweise werden Schulen nur zu 25 Prozent der Zeit genutzt; nachmittags, abends und am Wochenende steht vieles leer.

Der sehr breiten Thematik Leerstand und Bildung nahm sich die vierte Leerstandskonferenz an, die vor wenigen Tagen in Leoben über die Bühne ging. Zum Thema „Auslastung: Nicht genügend. Schulen und ihre ungenutzten räumlichen Potenziale“ kamen Profis aus Politik, Bildung, Architektur und Raumplanung zusammen und diskutierten - unter Leitung von STANDARD-Architekturkritiker Wojciech Czaja - Schulkonzepte der Zukunft.

Der Konferenzstandort Leoben wurde nicht zufällig gewählt, berichtet Roland Gruber vom Architekturbüro „nonconform architektur vor ort“ (siehe Interview), das die Konferenz organisiert hatte. Themen wie Leerstand und Schrumpfung seien in der Kleinstadt dank Strukturwandel in der Industrie omnipräsent. Das zeigt auch ein Blick auf die Zahlen: Der Bezirk Leoben schrumpft - die Geburtenzahlen, die in den 1960er-Jahren noch bei rund 700 Geburten jährlich lagen, stehen heute bei stabilen 180 pro Jahr. Darauf musste sich auch die kommunale Schullandschaft erst einstellen: Die Volksschulen wurden bereits von acht auf fünf reduziert. Doch in Leoben schlummert Potenzial, ist sich Gruber sicher - etwa, was Zentrumsentwicklung und die Positionierung als Bildungsstandort angeht. „Man sieht hier viel neue Architektur“, meint er - z. B. das Leoben City Shopping, das aus einem ehemaligen Dominikanerkloster entstanden ist.

Gemeinsames Planen

Auch von Nachnutzungen ehemaliger Schulen als Hotels wurde auf der Konferenz berichtet. Unorthodoxe Ideen für Zwischennutzungen gibt es ebenfalls: In Deutschland wohnen etwa temporäre „Hauswächter“ gegen geringe Miete in leerstehenden Gebäuden, halten diese in Schuss - und schützen sie vor unerwünschten Gästen. Auch das Schulhaus der Gemeinde Warth am Arlberg steht aufgrund fehlender Schüler leer: Es wurde Ende der 1980er von Architekt Roland Gnaiger samt eigenem Schulmodell ersonnen. 50 Schüler der Volks- und Hauptschule wurden gemeinsam unterrichtet, wie der einstige Direktor Markus Schatzmann berichtete. „Wir sind aber dabei, der Schule neuen Sinn zu geben.“

Was bei der Konferenz klar wurde: Die Zukunft liegt in Kooperationen - zwischen Gemeinden, aber auch unterschiedlichen Bildungseinrichtungen. Vor allem aber liegt sie in der Zusammenarbeit mit allen Nutzern. Bei nonconform gibt es seit 2005 Ideenwerkstätten, die dem Planungsprozess vorausgehen. Im Bildungszentrum Donawitz bei Leoben sollen Volksschule, Neue Mittelschule und Polytechnische Schule fusioniert werden. „Ich glaube, dass die Richtung, die bei neuen Schulbauwerken beschritten wird, eine gute ist“, sagt Fasch. „Wenn man das damit vergleicht, wie über die Pädagogik gesprochen wird - dort dürfte man noch nicht so weit sein.“

Der Standard, Sa., 2015.01.24

24. Januar 2015Franziska Zoidl
Der Standard

„Die Wände gilt es zunehmend aufzulösen“

Roland Gruber vom Architekturbüro „nonconform architektur vor ort“ erzählt, wie Schulen heute geplant werden und was er sich von der öffentlichen Hand erwartet.

Roland Gruber vom Architekturbüro „nonconform architektur vor ort“ erzählt, wie Schulen heute geplant werden und was er sich von der öffentlichen Hand erwartet.

Standard: Warum nimmt sich Ihr Büro der Leerstandsthematik an?

Gruber: Wir arbeiten viel in Gemeinden und beschäftigen uns mit kommunaler Entwicklung. Die Themen ziehen sich durch: Wir haben als Ort die Identität verloren, rundherum entstehen Häuser und Handelsflächen - aber was machen wir im Zentrum? Da geht es immer um Strategien gegen Leerstand. Wir haben eine spezielle Methode, die „vor ort ideenwerkstatt“, entwickelt, um Projekte gemeinschaftlich anzugehen - damit nicht alle Verantwortung auf Bürgermeister oder Planer abgewälzt wird. So entstand die Idee zur Leerstandskonferenz.

Und warum Schulen?

Gruber: Wir beschäftigen uns mit Schulstandorten in Gemeinden - der leerstehenden Schule, derschlecht genutzten Schule - und da braucht es breite Beteiligung: Schulen kann man als Planer nicht mehr klassisch bewältigen, sondern man braucht immer die Nutzer. Wir haben ein historisch gewachsenes System, das wir alle aus unserer Schulzeit kennen. Das gilt es ins 21. Jahrhundert zu transformieren, Wände zunehmend aufzulösen und verschiedene Lernarrangements neu und veränderbar zu ordnen.

Leerstand polarisiert. Warum?

Gruber: Die Leute sind voller Emotion. Aber die Situation ist nicht so dramatisch wie in Teilen Deutschlands. Dort kann man sich Mut abschauen: etwa, wie Gemeinden Sensibilisierung organisieren - Kampagnen, Förderungs- und Abrissprogramme. Es gibt auch Erfolgsstorys, wo Leute sagen: Bevor dieses Haus abgerissen wird, ziehe ich ein. Aber das muss man erst in die Köpfe bringen.

Was muss die Politik tun?

Gruber: Die öffentliche Hand muss das aktiv zum Thema machen. Vieles, was an Leerstand da ist, müsste nicht sein. Manches steht einfach leer, weil es nicht auf den Markt kommt und niemand Verantwortung übernimmt. Leerstand sollte von der Gemeinschaft als Potenzial begriffen werden. Die Gemeindepolitik muss als Vorbild auftreten und zum Beispiel Leerstand im Zentrum bei Bedarf förderpolitisch mit leistbarer Wohnraumschaffung verknüpfen anstatt der weiteren Zersiedelung auf der grünen Wiese zuzustimmen. Es braucht Hausbesitzer-Stammtische und Koordinatoren für Ortszentren, also Ansprechpersonen, die angreifbar sind, steuern und über einen längeren Zeitraum da sind. Dann kann Veränderung gelingen.

Der Standard, Sa., 2015.01.24



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08. August 2014Franziska Zoidl
Der Standard

„Wir werden auch instrumentalisiert“

Der Denkmalschutz ist für die einen ein Feindbild, die anderen berufen sich auf ihn. Das Bundesdenkmalamt hat „Standards der Baudenkmalpflege“ verfasst, die Immobilienbesitzern die Angst vor dem Denkmalschutz nehmen sollen, erfuhr Franziska Zoidl von Bernd Euler-Rolle.

Der Denkmalschutz ist für die einen ein Feindbild, die anderen berufen sich auf ihn. Das Bundesdenkmalamt hat „Standards der Baudenkmalpflege“ verfasst, die Immobilienbesitzern die Angst vor dem Denkmalschutz nehmen sollen, erfuhr Franziska Zoidl von Bernd Euler-Rolle.

STANDARD: Immobilienbesitzer fürchten die Wertminderung eines Objekts, wenn es unter Denkmalschutz gestellt wird. Zu Recht?

Euler-Rolle: Natürlich haben viele zuerst einmal Sorge. Das hat in hohem Maße damit zu tun, dass sie nicht wissen, was auf sie zukommt, was ja ganz klar ist - so etwas macht man wahrscheinlich einmal im Leben, sofern man nicht beruflich damit zu tun hat. Man weiß nicht, wie das mit dem Bundesdenkmalamt wird. Außerdem machen viele Gerüchte die Runde, etwa, dass man dann keinen Nagel mehr einschlagen darf. Das sind Storys, die so überhaupt nicht stimmen. Das war einer der Ausgangspunkte für unsere Publikation Standards der Baudenkmalpflege.

STANDARD: Mit 416 Seiten ist das ja ein ziemlicher Schmöker geworden. Muss man das als Denkmalbesitzer alles lesen?

Euler-Rolle: Nein, es ist ein Nachschlagewerk. Unser Wunsch: Denkmalbesitzer sollen sich vorab ein bisschen mit den Regeln beschäftigen können. Dadurch wird Angst genommen. Außerdem können damit die Nutzungsüberlegungen schon in eine Richtung gelenkt werden, die dann zu einem Ergebnis führt. Das ist die Zauberformel: dass die, die ein Objekt besitzen und es verändern wollen, möglichst bald zu uns kommen. Konfliktpotenzial liegt ja in hohem Maße darin, dass oft die Planungen schon fertiggestellt sind, bevor man uns zurate zieht. Dann ist möglicherweise eine zu große Kluft zwischen dem, was ein Objekt an Veränderung noch verträgt, und dem, was schon geplant ist.

STANDARD: Gibt es vonseiten der Planer zu wenig Bewusstsein für den Denkmalschutz?

Euler-Rolle: Oft fehlt die individuelle Auseinandersetzung. Da möchte dann jemand 27 Wohnungen mit bestimmtem Grundriss, der dann überhaupt nicht mit dem historischen Grundriss zusammenpasst - anstatt den umgekehrten Weg zu gehen und zu fragen: Was kann das Objekt?

STANDARD: Das klingt nach viel zeitlichem Aufwand.

Euler-Rolle: Das spielt sicher eine Rolle. Darum ist diesem Erfassen auch ein großes Kapitel in unserem Buch gewidmet. Aber das, was man in diese Phase investiert, gewinnt man später dazu. Es geht ja nicht nur um die Kommunikation mit dem Denkmalschutz, sondern auch um ganz simple Fragen der Statik, der Haustechnik. Wenn ich den Bestand vorher gut kenne, arbeite ich mit ihm und stehe nicht auf einmal während der Bauführung vor einem Problem. Auch der gestalterische Ausgangspunkt birgt Konfliktpotenzial: Mitunter will ein Architekt seinen Gestus auf jeden Fall auf das Objekt übertragen.

STANDARD: Oft wird das Bundesdenkmalamt als Verhinderer gesehen. Zu Recht?

Euler-Rolle: Grundsätzlich sind wir Ermöglicher, aber es liegt im Wesen des Denkmalschutzes, dass es einen Punkt gibt, an dem man sagt: Das geht nicht. Das fügt sich nicht in das Objekt ein. Wenn ihr das jetzt macht, dann ist der Wert und das Besondere davon leider verloren. In Wahrheit sind die Konfliktfälle aber im einstelligen Prozentbereich.

STANDARD: Genau von diesen Konfliktfällen liest man aber dann.

Euler-Rolle: Wir stehen immer zwischen zwei Polen. Die einen sagen: Es steht viel zu viel unter Denkmalschutz. Die anderen: Ihr seid viel zu nachgiebig. Es ist eine Schiene, auf der man sich zwischen den Polen bewegt, und es gibt nicht immer nur einen Weg. Wir können nicht eine Käseglocke darüberstülpen, können aber auch nicht sagen: Macht, was ihr wollt.

STANDARD: Mit dem Resultat, dass nie alle glücklich sind.

Euler-Rolle: Es läuft eben nicht mehr so, dass es mit der einfachen Entscheidung einer Behörde getan ist. Man wird heute hinterfragt, und das ist auch gut so. Denkmalpflege heißt ja, Werte setzen und sie auch verteidigen. Diese Werte entstehen nicht in den Köpfen der Denkmalpfleger, sondern sie sind eine gesellschaftliche Einschätzung. Darum ist es für uns jetzt nicht besonders ungewöhnlich oder schwierig, unsere Entscheidungen mehr als früher zu erklären. Wir werden aber auch instrumentalisiert. Mitunter geht es darum, dass das schöne kleine Haus in der Nachbarschaft unbedingt erhalten werden muss, weil die Anrainer nicht wollen, dass da ein großes Haus mit mehr Parkplätzen entsteht. Da gibt es natürlich Enttäuschungen: Wenn das Objekt keinen besonderen Stellenwert hat, können wir nicht in die Presche springen.

STANDARD: Sie sagen, dass die Publikation „Standards der Baudenkmalpflege“ europaweit einzigartig ist.

Euler-Rolle: Es gibt schon allgemeine Leitlinien, aber was es nicht gibt, ist eine Antwort auf die Frage: Was heißt das konkret im Einzelfall? Vielleicht spiegelt unser Projekt auch den Stellenwert wider, den Denkmalpflege in Österreich hat. Es lebt als Kulturland in hohem Maße davon.

STANDARD: Wie verträgt sich das mit Ausbauten, die derzeit nur so aus den Dachgeschoßen schießen?

Euler-Rolle: Es ist oft so, dass man erst aus dem Erlebnis der Verluste erkennt, dass man sich um das eine oder andere mehr kümmern muss. Unser Zugang liegt in einer Differenzierung: Wenn es sich um einen entstehungszeitlichen barocken Dachstuhl mit Zimmermannszierschnitten handelt, dann wird man mitunter sagen müssen: Da geht es nicht. Es gibt auch historische Dachstühle, die vielleicht einfacher beschaffen sind und in einer zweiten oder dritten Phase erneuert wurden. Da ist unter Umständen die unveränderte Erhaltung des Dachstuhls nicht unbedingt nötig, um das wichtigste am Haus zu erhalten - aber nur unter bestimmten Voraussetzungen. Es ist ein schwieriges Thema, weil es hohen Druck gibt. In einem Haus, wo es langfristige Mietverhältnisse mit wenig Ertrag gibt, liegt die einzige Möglichkeit oft in der Dachzone. Aber wir können nicht alles ausgleichen, wenn der Hase woanders im Pfeffer liegt. Und man muss auch sagen: Objekte, wo ganze Luxusyachten auf den Dächern gelandet sind, stehen nicht unter Denkmalschutz.

STANDARD: Oft wird kritisiert, dass moderne Architektur zu wenig Beachtung im Denkmalschutz findet.

Euler-Rolle: Das österreichische Denkmalschutzgesetz kennt keine Zeitgrenze. Wir haben auch das Haas-Haus von Hans Hollein schon sehr früh unter Denkmalschutz gestellt. Was es aber schwierig macht, allerjüngste Objekte unter Denkmalschutz zu stellen, ist, ob es gelingt, den historischen Abstand - aus dem heraus ein Wert entsteht - ein bisschen vorwegzunehmen und zu sagen: Dieses Objekt wird ganz bestimmt für seine Zeit ein herausragender Vertreter.

Der Standard, Fr., 2014.08.08

22. Januar 2014Franziska Zoidl
Der Standard

Az W: Weniger Besucher und viel weniger Einnahmen

Finanzielle Einschränkungen machten sich zum 20. Geburtstag des Architekturzentrums Wien bemerkbar. Der Sparkurs geht weiter

Finanzielle Einschränkungen machten sich zum 20. Geburtstag des Architekturzentrums Wien bemerkbar. Der Sparkurs geht weiter

Mit den Worten „Wir haben nicht wahnsinnig viel zu berichten. Das ist ein gutes und ein schlechtes Zeichen“ begann Hannes Pflaum, Präsident des Vorstands des Architekturzentrum Wiens, bei einer Pressekonferenz am Mittwoch seinen Rückblick auf 2013. Ein gutes Zeichen deshalb, weil man trotz finanzieller Einschränkungen, über die das Az W seit Jahren klagt, im 20. Jahr seines Bestehens „zahlreiche herausragende Projekte“ realisieren konnte. Ein schlechtes, weil die finanzielle Situation trist bleibt: „Aber ich möchte heute nicht wieder in ein Lamento verfallen“, so Pflaum.

Seit 2001 wurden die Mittel der Stadt Wien für das Az W nicht erhöht, bereits seit 1995 sind die Förderungen durch den Bund unverändert, weshalb das Az W zunehmend auf Sponsoring und Kooperationen angewiesen ist. Das fehlende Budget macht sich auch im Angebot des Zentrums im MuseumsQuartier bemerkbar: „2013 war das erste Jahr, in dem alle Einsparungsmaßnahmen griffen“, so Geschäftsführerin Karin Lux. Von insgesamt 15 Ausstellungen war nur eine selbst produziert. Die Einschränkungen des Angebots hätten sich zwar in einem Besucherrückgang niedergeschlagen, dieser sei aber geringer als befürchtet ausgefallen.

Was in größeren Ausstellungen keinen Platz fand, wurde laut Lux in Form von Diskussionsveranstaltungen thematisiert - und das durchaus mit Erfolg: Die Veranstaltungen des Az W verzeichneten 2013 25 Prozent mehr Teilnehmer als im Vorjahr. Von den insgesamt 70.000 Besuchern, die das Architekturzentrum besuchten, haben laut Lux aber nur 16.000 Eintritt bezahlt. Der Rest habe die Gratisangebote, zum Beispiel Diskussionsveranstaltungen, genützt. Die Einnahmen seien daher „dramatisch zurückgegangen“.

Auch das Jahresprogramm für 2014 wurde bei der Pressekonferenz präsentiert: Ab März wird etwa „Think Global, Build Social!“ zu sehen sein, in dem aktuelle Beispiele von alternativer, sozialer Architektur gezeigt werden, ab Herbst gibt es eine Wanderausstellung über Antoni Gaudí. Auch Veranstaltungen, Architekturvermittlungsprogramme, Führungen und Touren stehen am Programm. Obwohl Hannes Pflaum betonte, dass das Az W seine Qualität nicht an Besucherzahlen messe, wünscht man sich für 2014 wohl doch mehr Besucher. „Wir hoffen, dass bei steigendem Publikumsinteresse vielleicht auch die Politik nachzieht“, so Lux. Ansonsten lebe man aber mit dem Mangel, so Dietmar Steiner, Direktor des Az W: „Ich komme gerade aus Berlin. Wir sind auch arm, aber sexy.“

Der Standard, Mi., 2014.01.22



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