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11. April 2014Barbara Hallmann
TEC21

Kluge Partnerwahl

Die Kinder in Buechen haben ein neues Schulhaus. Dass das eigenwillige Gebäude ohne Abstriche realisiert werden konnte, ist dem Mut der jungen Architektin zu verdanken – und dem Ingenieurbüro, das sie begleitet hat.

Die Kinder in Buechen haben ein neues Schulhaus. Dass das eigenwillige Gebäude ohne Abstriche realisiert werden konnte, ist dem Mut der jungen Architektin zu verdanken – und dem Ingenieurbüro, das sie begleitet hat.

Das Postauto von Rorschach fährt über den Hügel in einer weiten Kurve die Strasse nach Buechen hinunter. Rechts und links hundertjährige Häuser mit Holzschindelfassaden, dazwischen 1960er-Jahre-Bauten und immer wieder auch zeitgenössische Einfamilienhäuser. Von allem etwas, wohl ein typisches Dorf für diese Gegend. Und dann das: Der Bus fährt genau auf die Ecke eines Baus in Sichtbeton zu, der so gar nicht zu seiner Umgebung zu passen scheint. Der erste Eindruck lässt spontan an ein Tangram denken, das klassische Legespiel aus sieben verschiedenen Dreiecken. Der Bus kommt genau vor dem Schulhaus zum Stehen – es ist die einzige Haltestelle in der kleinen Teilgemeinde Buechen des Orts Thal. Buechen hat kein eigentliches Zentrum, keinen zentralen Platz, der die Ortsmitte markiert. Es gibt die Bushaltestelle, daneben einen Fussballplatz, ein Stück weiter die Kirche. Aber die neue Schule, eingeweiht im Sommer 2013, könnte ein solches Zentrum werden.

Doch gehen wir zurück auf null. Dort, wo heute die Grundschule steht, befand sich bis vor einigen Jahren ein Schulhaus von 1879, ein schwerer Bau mit markantem Sockel. Er entsprach nicht mehr den feuerpolizeilichen Sicherheitsanforderungen und schon gar nicht den Vorstellungen davon, wie Schule heute sein soll, mit Räumen für modernen Unterricht in ständig wechselnden Konstellationen. Also lobte die Gemeinde 2009 einen Wettbewerb mit Präqualifikation aus, in dem speziell auch junge Architekturbüros eine Chance erhielten. Gewonnen hat ihn Angela Deuber aus Chur. Die Architektin, die 2002 ihren Abschluss an der ETH gemacht hatte, konnte bis auf einen Stallumbau im Direktauftrag keinerlei Ausführungserfahrung vorweisen. Sie entschied sich für einen mutigen Vorschlag: einen Solitär, keinesfalls auf den ersten Blick gefällig oder leicht zu verstehen. Und die Jury entschloss sich, das Projekt auf dem ersten Platz zu rangieren.

Schliesslich hiessen die Thaler Bürger einen Kredit von 7.3 Mio. Fr. für das neue Schulhaus gut. Auch das zeugt von Mut – wenngleich die Entscheidung mit nur 52 mehr Ja- als Nein-Stimmen knapp ausging. Vor der Abstimmung galt es für Angela Deuber, öffentlich für ihren Vorschlag einzustehen. «Aber das war gar nicht so schwierig», erinnert sie sich. «Das Projekt ist am Ende leicht zu erklären, der Entwurf kann auf alle Anforderungen und Wünsche eingehen, und der gesamte Bau ist im Vergleich zu anderen Schulbauten günstig.» Nach der öffentlichen Diskussion gab es lediglich kleine Anpassungen, zum Beispiel Toiletten auf jedem Stockwerk statt wie ursprünglich geplant nur im untersten der drei Geschosse. Die Kostenschätzung – auch das mag angesichts der geringen Erfahrung der Architektin am Ende manchen Thaler Bürger, manche Bürgerin erstaunt haben – wurde am Ende nicht nur eingehalten, sondern unterboten. 630 Franken pro Kubikmeter standen auf der Schlussrechnung; ein akzeptabler Wert für einen Bau im Minergie-Standard.

Dass die Schule für vergleichsweise wenig Geld entstehen konnte und sich für eine etwaige Umnutzung doch flexibel zeigt, verdankt die Gemeinde vor allem der Konsequenz des Entwurfs: Angela Deuber entkoppelte die Trag- von der Raumstruktur und legte alle tragenden Elemente gut sichtbar in die äussere Schicht des Baus. Jedes Element im so entstandenen, regelmässigen Stützensystem ist nur so ausgeprägt, wie es statisch mit diesem Material tatsächlich notwendig war. Aus dieser Überlegung – und nicht etwa aus Formalismus heraus – ergeben sich auch die diagonalen Linien der Fassade und das Spiel zwischen massiv und leicht. Aus den Fluchttreppen an zwei der vier Gebäudeecken, aus dem Geländegefälle und aus den Kollisionen der Formen ergeben sich interessante Brüche, wie die zwei schrägen Stützen bei den Eingängen vorn und hinten. Im Inneren, wo die frei tragenden Decken statisch wirksame Bauteile überflüssig machen, dominieren rechte Winkel und damit klare Strukturen und Wege. Die statische Funktion jedes tragenden Bauteils ist im Prinzip ablesbar – wenn es die Lehrerinnen und Lehrer nur richtig erklären, können die Kinder leicht verstehen, wie dieses Haus funktioniert.

Doch die rein konstruktiv bedingten Formen vermitteln am Ende doch noch zwischen dem Schulhaus und seiner Umgebung: Beim Blick von drinnen nach draussen gleichen die stumpfen Winkel der Fenster denen der geneigten Dächer in der Umgebung; in der Perspektive greifen sie das Bild eines Dorfs am Hang auf, das Buechen ja ist. Und auch sonst interpretiert das Schulhaus ortsübliche Gegebenheiten neu: Ein Mäuerchen fasst das Wiesengrundstück, auf dem 19 Apfel- und ein Nussbaum stehen.

An der Geschichte des Schulhauses Buechen lässt sich ablesen, welche Vorteile es haben kann, junge Büros zu beauftragen, die über wenig oder keine Ausführungserfahrung verfügen. Angela Deuber wusste, dass diese erste Bauaufgabe ihr einiges abverlangen würde, und liess sich von erfahrenen Berufskollegen beraten. Sie bestand nachdrücklich darauf, einen versierten, von ihr selbst gewählten Bauleiter an der Seite zu haben – auch gegen anfängliche Widerstände des Auftraggebers. Aus dem gleichen Grund arbeitete die Architektin mit dem bewährten Ingenieursteam um Patrick Gartmann zusammen, das sie bereits kannte.

So sicherte sie ihren stark konstruktiv bedingten Entwurf bis zur Schlüsselübergabe – schliesslich wollte sie vermeiden, direkt bei der ersten Bauaufgabe in einen Teufelskreis von Zugeständnissen und Änderungen zu rutschen. Doch der wohl wichtigste Vorteil der jungen Architektin: Sie konnte sich während der gesamten Planungs- und Ausführungszeit ganz und gar dieser einen Baustelle widmen, hatte sie doch weder weitere Bauten in Realisierung noch ein Büro zu leiten und Mitarbeiter zu führen. Die Arbeit am Schulhaus war auch für Angela Deuber eine lehrreiche: Sie werde, so sagt sie, beim nächsten Projekt wieder so entschieden auftreten und für ihre Überzeugungen einstehen – wenn nicht sogar noch entschiedener.

Für Buechen ist das neue Schulhaus eine Erfolgsgeschichte. Dank ihm können die Kindergärtler und Unterstufenschüler im Dorf bleiben; dafür hatte sich der Gemeindepräsident – ein Buechener – vehement eingesetzt. Und der Ort gewinnt dank der ausdrucksstarken Architektur von Angela Deuber ein wiedererkennbares Zentrum, das Identität schaffen wird.

TEC21, Fr., 2014.04.11



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2014|15-16 Erstlingswerke

14. Februar 2014Barbara Hallmann
Marko Sauer
TEC21

Flexibel studieren

Die FHNW legt ihre Institute an vier Standorten zusammen. Die Kantone erstellen dafür imposante Neubauten, bei der Architektur kann die Schule kaum mitreden. Und sie will es auch gar nicht.

Die FHNW legt ihre Institute an vier Standorten zusammen. Die Kantone erstellen dafür imposante Neubauten, bei der Architektur kann die Schule kaum mitreden. Und sie will es auch gar nicht.

Aarau, Basel, Brugg-Windisch, Liestal, Muttenz, Olten, Solothurn und Zofingen: Das sind die aktuellen Standorte der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Sie vereint seit 2008 neun Hochschulen – und zwar bislang unter vielen Dächern. Doch die vier Trägerkantone Aargau, Solothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt fassten bereits bei den Verhandlungen zur Fusion der Hochschulen im Jahr 2004 den Entschluss, die Schulen auch baulich zusammenzuschliessen. In jedem Kanton entsteht ein Standort: in Brugg-Windisch, Olten, Muttenz und auf dem Basler Dreispitz-Areal. Für alle vier Standorte lobten die Kantone zwischen 2006 und 2011 Architekturwettbewerbe aus. Seit Ende 2013 ist die Hälfte der Projekte abgeschlossen: Die neuen Gebäude in Brugg-Windisch und Olten sind bezogen, die Neu- und Umbauten in Basel folgen in diesem Jahr. In Muttenz werden die Arbeiten erst beginnen; die Fertigstellung des Hochhauses mit Atrium ist für 2019 geplant.

Für die Standortgemeinden bringen die Neubauten wesentliche Impulse: Die zusätzlichen Studierenden werden die Orte beleben. Mit ihrer schieren Grösse senden die Projekte städtebauliche Signale aus. Doch beim Betrachten der Realisierungen wie der Projekte stellt sich die Frage, welche Strategie in Sachen «Corporate Architecture» dahintersteht. Eine genauere Betrachtung ergibt kein wirklich eindeutiges Bild. Auch die Aussagen der zentralen FHNW-Medienstelle zu den Neubauten lassen den Verdacht aufkommen: Nur der Standort spielte eine Rolle.

Die Nachfrage beim Leiter Immobilien & Infrastruktur der FHNW, Prof. Markus Baertschi, bringt deutliche Antworten: Die Fachhochschule hat gar keine Architekturstrategie – schliesslich ist sie nur Mieterin und nicht Bauherrin. Sie darf eine «raumscharfe» Wunschliste abgeben und mietet sich dann in die bauliche Hülle ein, die ihr der Kanton anhand der Vorgaben zur Verfügung stellt. «Das Wichtigste ist, dass die Funktion stimmt», betont Baertschi. Sich konsequent auf die Rolle als Mieterin zu beschränken, bedeute eine Erleichterung: Nur so könne eine Fachhochschule, in der viele Stimmen mitreden, überhaupt Neubauten auf die Beine stellen. Wäre sie selbst Bauherrin, würden die Wünsche der einzelnen Teil-Hochschulen das Projekt erschweren, verlängern und verteuern, mutmasst Baertschi. Für den Kanton dagegen zählt, dass die teure Investition flexibel und leicht umnutzbar ist, sollte die akademische Mieterschaft sich dereinst verkleinern, wachsen oder gar ausziehen.

Das Ergebnis dieser Arbeitsteilung zwischen Nutzer und Ersteller erinnert tatsächlich an eine Wohnüberbauung für wechselnde Mieter – durchweg solide und hochwertig in der Ausstattung, aber durch den Wunsch nach Flexibilität auch austauschbar. Die wahre Attraktivität der neuen Hochschulen liegt in ihrer zentralen Lage und der guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr: Sie stehen in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe. Die Studierenden sind schnell da – und auch schnell wieder weg. Das widerspricht nicht nur dem Campusgedanken der nordamerikanischen Universitäten, wo Leben und Arbeiten, Studium und Freizeit auf ein und demselben Gelände stattfinden, sondern auch der europäischen Vorstellung von der Hochschule, die mit ihren Bauten und Köpfen das Stadtleben prägt. Die neuen Fachhochschulen besetzen den Ort, wo sich einst die europäischen Universitäten befanden: das Zentrum der Stadt. Aber sie verleihen ihm keinen Charakter.

Studentenleben wird sich hier kaum einstellen: Die Häuser sind so geplant, dass die Lernenden mit dem Zug anreisen, die Vorlesungen besuchen und nach dem Seminar wieder wegpendeln. Zielstrebig und effizient organisieren die Fachhochschulen so die Aufnahme von Wissen. Ein langer Aufenthalt, Identifikation mit der Schule oder gar Stolz ist offenbar – zumindest von baulicher Seite – nicht vorgesehen. Zwar gibt es Verkaufsflächen und einige Wohnungen in den Neubauten der FHNW. Aber nirgends ist das Angebot wirklich urban und studierendengerecht. Zwei Beispiele zeigen exemplarisch, wie die Fachhochschulen ihre Standorte entwickeln.

Sauber getrennter Nutzungsmix

Vor einem knappen halben Jahr zogen die Mitarbeitenden und Studierenden der Pädagogischen Hochschule, der Hochschule für Technik und derjenigen für Wirtschaft in den zweiteiligen Neubau auf dem Windischer Markthallenareal neben dem Bahnhof Brugg. Die Pläne dazu stammen von Büro B Architektur und Planer AG aus Bern. Die polygonale Form der Neubauten reagiert auf die unregelmässige Form des Grundstücks und soll gleichzeitig nicht ganz alltägliche Aussenräume schaffen. Der offen gestaltete Platz westlich der Neubauten inszeniert sich als neues Zentrum des Hochschulquartiers und überbrückt die rund 200 Meter zwischen dem Bahnhof und den Hochschulgebäuden auf dem Klosterzelg-Areal, die Fritz Haller in den 1960er-Jahren für die HTL entwarf.

Die beiden frei stehenden Volumen von Büro B, vorgegeben vom Gestaltungsrichtplan, verbindet eine Passerelle im ersten bis fünften Obergeschoss. Um die beiden Hauptzugänge zu markieren, ist die Fassade im Erdgeschoss partiell zurückversetzt, doch will dieser Kunstgriff nicht so recht wirken: Der Neuankömmling nähert sich dem Bau etwas unsicher und findet den Eingang schliesslich doch eher zufällig als intuitiv – für ein öffentliches Gebäude etwas befremdlich.

Im Innern bilden die Mensa auf der einen Seite und ein 800 m² grosser Saal auf der anderen das räumliche Zentrum im Erdgeschoss der Baukörper. Der Saal wird auch als Stadtsaal für Brugg und Windisch genutzt; die eigens gegründete Campussaal Betriebs AG vermietet ihn an Veranstalter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur. In die Obergeschosse führen breite Treppen. Die grosszügigen, lichtdurchfluteten Korridore sind mit Arbeitsnischen und -plätzen versehen; sie sollen den Studentinnen und Studenten für das Selbststudium oder die Arbeit in kleinen Gruppen dienen. Die komplexe Struktur im Innern zwingt die ortsunkundige Besucherin zum Nachfragen – was aber auch in räumlich spannende Winkel führen kann.

Vom Erdgeschoss bis ins vierte Obergeschoss gruppieren sich um zwei Lichthöfe die offen gehaltenen Unterrichtsräume und Büros. Die Einrichtung der Unterrichtsräume ist standardisiert, um ihren Gebrauch möglichst flexibel zu machen. Weil der Campus ein lebendiges Stück Stadt sein soll, entschied man sich, im Erdgeschoss Verkaufsflächen unterzubringen; derzeit belegen unter anderem zwei kleine Supermärkte, eine Zahnarztpraxis und ein Café die ersten Flächen. 48 Wohnungen im Dachgeschoss tragen dazu bei, das Gebiet zu beleben. Die Bewohner erreichen sie über separate Eingänge im Erdgeschoss oder direkt aus der Tiefgarage. Inwiefern so Begegnungen zwischen Studierenden und Wohnungsmietern entstehen, ist fraglich. Vielleicht geschieht in dieser Hinsicht im Sommer mehr, wenn die Abende warm sind und der grosse Platz vor dem Neubau zur Begegnungszone für Studierende und die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers wird.

Tief gestapelt

Der Neubau der FHNW in Olten befindet sich ebenfalls unmittelbar hinter dem Bahnhof. Er bietet Platz für 1200 Studierende aus den Fachbereichen Angewandte Psychologie, Soziale Arbeit und Wirtschaft und wurde im Juni 2013 eröffnet. Das dreigeschossige Gebäude von Bauart Architekten und Planer wird durch eine leicht geknickte und teilweise zurückversetzte Bandfassade charakterisiert, die sanft zu den Eingängen leitet. Lang und flach dehnt sich das Haus neben den Gleisen aus.

Auch in Olten hält sich das Gebäude im Ausdruck gegen aussen zurück. Es besticht nicht durch Effekte, sondern strahlt Sorgfalt aus – und viel Aufmerksamkeit für die Details. Die Proportionen der Bandfenster wechseln ebenso wie die Höhen der Geschosse. Zusammen drücken sie das gegen oben enger werdende Raster der Struktur aus. Diese wiederum spiegelt die Funktion wider: Die Nutzungen mit grosser Belegung befinden sich im Erdgeschoss, darüber die Klassen- und Gruppenräume und zuoberst die Büros von Verwaltung und Lehre. Gedeckte Innenhöfe bieten Licht, Raum und Orientierung: Zwei Höfe gehen durch alle drei Stockwerke, und zwei verbinden lediglich die beiden oberen Geschosse.

So bescheiden sich das Haus gegen aussen gibt, so anspruchsvoll verfolgt es energetische Ziele. Zur Eröffnung ist eine Broschüre erschienen, die insbesondere die Energieeffizienz herausstreicht. Das Gebäude erfüllt die Vorgaben von Minergie-P-Eco. Die Architektur wird als anpassungsfähig, flexibel und nutzungsoffen beschrieben. Dies nimmt man dem Haus sofort ab, denn so präsentiert es sich auch: In seiner reinweissen Hochglanzästhetik entzieht es sich elegant einer eindeutigen Zuordnung. Ist dies die Architektur für eine smarte Gesellschaft, die ihre Inhalte und Räume jederzeit anpassen kann und sich dadurch alle Optionen offenhält? Die Künstlerin Verena Thürkauf hat dieses Motiv aufgenommen und einen wunderbaren Kontrast dazu geschaffen: Ihre klugen Sätze sind in die Wände geritzt – sie dringen durch Putz und Gipskarton bis auf die Mauern, die das Haus tragen. Wie eine Tätowierung, die sich nie mehr tilgen lässt.

TEC21, Fr., 2014.02.14



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2014|07-08 Bauen für die Fachhochschulen

01. November 2013Barbara Hallmann
Daniela Dietsche
TEC21

Ist die Branche zu träge?

Ganz im Unterschied zu den USA oder Skandinavien hat die digitale Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) in der Schweiz bisher noch nicht recht Fuss gefasst. Warum ist das so, und was müsste sich ändern? TEC21 hat Vertreter verschiedener Fachrichtungen mit sechs Thesen konfrontiert, die Kritiker gegen BIM anführen. Ein Vertreter aus einem Ingenieurunternehmen, ein Gebäudetechniker, ein Architekt und der Leiter Normen des SIA, die sich allesamt im Alltag mit der Technologie beschäftigen, halten manchmal vehement dagegen – und stimmen manchmal zu.

Ganz im Unterschied zu den USA oder Skandinavien hat die digitale Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) in der Schweiz bisher noch nicht recht Fuss gefasst. Warum ist das so, und was müsste sich ändern? TEC21 hat Vertreter verschiedener Fachrichtungen mit sechs Thesen konfrontiert, die Kritiker gegen BIM anführen. Ein Vertreter aus einem Ingenieurunternehmen, ein Gebäudetechniker, ein Architekt und der Leiter Normen des SIA, die sich allesamt im Alltag mit der Technologie beschäftigen, halten manchmal vehement dagegen – und stimmen manchmal zu.

TEC21: Wir möchten Sie im Gespräch mit verschiedenen Thesen konfrontieren, die man gegen BIM vorbringen könnte. These 1 lautet: BIM lohnt sich nur für komplexe Projekte. Ansonsten ist der Zusatzaufwand zu gross. Was sagen Sie dazu?

Rolf Mielebacher (R. M.): BIM nur für grosse Projekte zu nutzen wäre für den Anfang der falsche Ansatz: Das Projekt ist komplex und die Software nicht ganz einfach. Für den Einstieg ist ein normales Projekt sinnvoll.
Markus Gehri (M. G.): Ich finde, es kann auch bei kleinen Projekten nützen. Auch für ein normales Sechsfamilienhaus müssen viele Nachweise geführt werden – da bringt BIM Vorteile.
Jobst Willers (J. W.): Ich bin überzeugt, BIM wird nur bei komplexen Projekten wie Spitälern oder Industriebauten kommen, weil dort der Lebenszyklusnutzen massiv zum ­Tragen kommt.
M. G.: Da hat jetzt der Gebäudetechniker gesprochen, der Gebäude mit ausgeklügelter Technologie ausstatten möchte. Aber BIM fängt schon früher an, bei der Schalung, bei den Fenstern. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Sechsfamilienhaus ohne aufwendige Gebäudetechnik mit BIM projektiert wird.
Andreas Derrer (A. D.): Ich finde, nicht die Projektgrösse entscheidet, sondern der ­Detaillierungsgrad. Bei einem kleinen Ladengeschäft geht es nicht um die gleichen Themen wie bei einem Spital. Das Wichtigste ist für mich immer die Frage nach den Schnittstellen: Wie sammle ich die Informationen, wie bereite ich sie auf, und wie halte ich sie à jour?
R. M.: Gerade bei kleinen Projekten kann BIM Bauprozesse standardisieren. Die Bauwirtschaft möchte immer Unikate erschaffen. BIM könnte bei Käuferausbauten leicht Kosten sparen, wenn man beispielsweise Steckdosen und Wände zusammen verschieben kann, statt aufwendig alles einzeln anzupassen.

TEC21: These 2: Mit BIM entsteht für die Planer ein Zusatzaufwand, der nicht honoriert wird.

J. W.: Unsere bisherige Denkart in sechs SIA-Phasen steht uns im Weg. Wir sind das Arbeiten vom Groben ins Feine gewohnt.
M. G.: Ich glaube, die Leistung wird einfach zeitlich nach vorn verschoben. Im Idealfall entsteht im Vorprojekt bereits ein virtuelles Gebäude, bis hin zur letzten Schraube. Später gleicht sich das aus – sagt man –, weil bei der Realisierung weniger Kosten entstehen. Wie aber dieser Zusatzaufwand am Anfang mit den gesparten Kosten gegen Ende ausgeglichen und aufgeteilt wird, ist noch offen. Einfacher ist die Situation für einen GU oder TU.
J. W.: Ausserhalb dieser Unternehmen sieht es doch so aus: Wir haben oft ein Planerteam von acht oder mehr Ingenieurparteien. Drei davon haben von BIM keine Ahnung. Was macht man mit denen? Der Markt regelt das hoffentlich: Entweder verschwinden die Unkundigen, oder sie wenden BIM an.
A. D.: Viele sind sich nicht recht bewusst, was sie mit BIM erreichen möchten. Bei Spital­projekten in Kalifornien ist das Modellieren bis zur letzten Schraube unter anderem ein Grund dafür, den Genehmigungsprozess zu beschleunigen – weil der Ort, an dem die Schraube gesetzt wird, Einfluss auf die Erdbebensicherheit der abgehängten Decke hat. Dafür existiert dort eine Norm. Solange wir das in der Schweiz nicht haben, definieren wir selbst, wie detailliert modelliert werden soll – und folglich, welchen Zusatzaufwand wir generieren. Wir sehen das heute als eine Phase des Lernens an, die wir selbst steuern können.
R. M.: Wir haben bei uns jetzt einen BIM-Master angestellt. Die Chance, dass er vom ­Kunden separat vergütet wird, ist bei null. Man muss diverse Abmachungen treffen und überlegen, wer wann welche Information braucht, damit es für alle ein bisschen einfacher geht. Man bekommt nicht mehr Zeit dank BIM.
M. G.: Es besteht die Gefahr, dass die Bauherrschaft schon im Wettbewerb zu viel erwartet. Manchmal wird zum Beispiel gefordert, dass der behördliche Brandschutznachweis erbracht ist. Dafür muss man bereits im Wettbewerb wissen, welches Gerät eingesetzt wird und wo. Ein grosser Schweizer TU hat mir gesagt, dass bei ihm kein Wettbewerbsentwurf ohne ­Energienachweis angenommen wird. BIM kann das zwar, aber das bedeutet auch, dass der Aufwand im Wettbewerb quasi beliebig gross werden kann. Wird am Ende doch nicht gebaut, sieht es mit der Honorierung des bereits erbrachten Zusatzaufwands schlecht aus.

TEC21: Die dritte These lautet: Die Kommunikation über BIM zu organisieren passt nicht zu den gewohnten Abläufen in der Schweizer Baubranche mit ihren speziellen Bewilligungs- verfahren.
M. G.: Das ist momentan noch richtig. Die positiven Beispiele für BIM-Projekte kommen derzeit noch aus den USA und Skandinavien, aber dort sind ganz andere Vertragsformen üblich. Der SIA plant ein Arbeitspapier, das hierzulande übliche Zusammenarbeitsmodelle auflistet. Mit dieser Basis kann man nachdenken, wie BIM bei uns Erfolg haben könnte.
R. M.: Für die hiesigen Bauherren ist klar: Das wird heute noch angepasst, auch wenn ich morgen einziehe. Aber wenn du einer Ziegelei sagen kannst, dass du in 18 Monaten baust, bekommst du einen guten Preis. Das ist auch für den Kunden interessant. Nur: Die Gefahr von unzähligen Varianten und Änderungen verschiebt sich mit BIM nach vorn.
M. G.: Da machen unsere Gepflogenheiten ein Problem von BIM deutlich: Bei der Arbeit mit dem Modell muss man Änderungen direkt dort nachführen, bei der Arbeit mit Papier­plänen geht das recht unkompliziert mit Rotstift.

TEC21: These vier lautet: BIM behindert im Entwurf, weil die Software zu früh zu viele Informationen verlangt.
M. G.: Die frühe Phase, in der man entwickelt, dürfen wir nicht verlieren. Ein gutes BIM-Programm sollte zulassen, dass ich summarisch anfange und dann ins Detail gehe.
A. D.: Wenn im Wettbewerb verlangt würde, dass man ein Projekt schon in diesem Stadium mit 3-D komplett durchgeplant haben muss, dann wird das für uns zu einem Problem. Aber wenn es nur darum geht, Elemente als 3-D abzuliefern, die ohnehin zu einem Wettbewerbsprogramm gehören, dann geht das schon. Das Problem liegt eher darin, dass man sich anders organisieren muss, wenn man mit BIM statt mit 2-D arbeitet. Aber wir arbeiten in einem ersten Stadium noch immer auch mit Handskizzen.
R. M.: Beim Neubau sehe ich weniger Probleme. BIM ist nur so gut wie die Grundlage. Im Umbau müssen wir bei der Genauigkeit zulegen. Ist der Bestand so gut aufgenommen, dass das Modell funktioniert?

TEC21: These 5: Schweizer Bauherrschaften haben, anders als in Skandinavien oder den USA, kein Interesse an BIM.

J. W.: Wir sind eine träge Branche! Wenn der Bauherr nicht bestellt, passiert nichts. Aber vielleicht kommt jetzt die Wende, wenn selbst Stararchitekten per Stellenanzeige einen BIM-Koordinator suchen. In anderen Ländern verlangt der Gesetzgeber nach der Planung mit BIM. Unsere KBOB für öffentliche Bauten äussert sich vorläufig noch nicht dazu.
M. G.: Die Energiedirektoren könnten Treiber sein, wenn sie beschliessen, dass gewisse Nachweise bereits frühzeitig erbracht werden müssen.
R. M.: Der Druck auf die Branche wird kommen, wenn es sich herumspricht, dass man ein digitales Modell bestellen kann – oder wenn die Facility-Management-Branche darauf drängt. Aber seien wir ehrlich: Die Baubranche könnte diesem Druck auch zuvorkommen.

TEC21: Die letzte These: Vielerorts wird behauptet, die Technologie sei nicht ausgereift.

J. W.: Die Software ist sehr kompliziert. Wir brauchen eine Aus- und Weiterbildung. Die Ausbildung machen zurzeit aber hauptsächlich die Softwarelieferanten.
R. M.: Die Software selbst ist nicht das Problem, sondern ihre Anwendung. Und ich ­merke: Die Jungen in unserer Firma wollen BIM. Unser BIM-Master kommt aus der Software­industrie. Er ist damit beschäftigt, Informationen so zu übersetzen, dass wir sie darstellen können.
A. D.: Ich glaube, die Technologie ist nicht die grosse Frage. Es geht vielmehr darum, wie diese Methode unsere Abläufe neu organisiert. Wie kontrolliere ich das Modell? Und wie findet der Austausch statt? Schicke ich Formate wie pdf und dwg, dann weiss der andere, was er erwarten kann. Aber wenn ich ein Modell schicke? Wie bekommen wir welche Informationen wohin, und wie bekommen wir sie wieder raus? Wir können nicht so weiterarbeiten wie die letzten 20 Jahre, aber die jeweilige spezifische Software der einzelnen Disziplinen muss weiterhin einsetzbar bleiben. Sonst würde BIM eine massive Einschränkung bedeuten. Aber der Zwang zu einer intensiveren Zusammenarbeit und das grössere Vertrauen, das vorausgesetzt wird, könnten noch ein Hindernisgrund für den Einsatz von BIM sein. Denn ich muss meine Daten nicht nur abschicken, sondern mich auch dafür interessieren, wie sie angekommen sind. Kurz: Ich muss die Motivation haben, mich mit dem Blick der anderen Fachplaner darauf einzulassen.
M. G.: Aus meiner Sicht geht die Entwicklung dahin, dass weiterhin mit dem weichen Bleistift entworfen und die Dinge anschliessend im virtuellen Arbeitsraum fixiert werden. An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden: Das BIM-Modell ist ab einem gewissen Zeitpunkt fix und kann nicht auf der Baustelle wieder verworfen werden. Ich sehe das virtuelle Modell als Zwischenstufe zwischen Handskizze und fertigem Bauwerk. Der Zusatzaufwand, der dafür entsteht, muss sich wieder einspielen, weil die Endphase reibungsloser und fehlerfreier stattfinden kann.

TEC21, Fr., 2013.11.01



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|45 Schafft Bim Ordnung?

Presseschau 12

11. April 2014Barbara Hallmann
TEC21

Kluge Partnerwahl

Die Kinder in Buechen haben ein neues Schulhaus. Dass das eigenwillige Gebäude ohne Abstriche realisiert werden konnte, ist dem Mut der jungen Architektin zu verdanken – und dem Ingenieurbüro, das sie begleitet hat.

Die Kinder in Buechen haben ein neues Schulhaus. Dass das eigenwillige Gebäude ohne Abstriche realisiert werden konnte, ist dem Mut der jungen Architektin zu verdanken – und dem Ingenieurbüro, das sie begleitet hat.

Das Postauto von Rorschach fährt über den Hügel in einer weiten Kurve die Strasse nach Buechen hinunter. Rechts und links hundertjährige Häuser mit Holzschindelfassaden, dazwischen 1960er-Jahre-Bauten und immer wieder auch zeitgenössische Einfamilienhäuser. Von allem etwas, wohl ein typisches Dorf für diese Gegend. Und dann das: Der Bus fährt genau auf die Ecke eines Baus in Sichtbeton zu, der so gar nicht zu seiner Umgebung zu passen scheint. Der erste Eindruck lässt spontan an ein Tangram denken, das klassische Legespiel aus sieben verschiedenen Dreiecken. Der Bus kommt genau vor dem Schulhaus zum Stehen – es ist die einzige Haltestelle in der kleinen Teilgemeinde Buechen des Orts Thal. Buechen hat kein eigentliches Zentrum, keinen zentralen Platz, der die Ortsmitte markiert. Es gibt die Bushaltestelle, daneben einen Fussballplatz, ein Stück weiter die Kirche. Aber die neue Schule, eingeweiht im Sommer 2013, könnte ein solches Zentrum werden.

Doch gehen wir zurück auf null. Dort, wo heute die Grundschule steht, befand sich bis vor einigen Jahren ein Schulhaus von 1879, ein schwerer Bau mit markantem Sockel. Er entsprach nicht mehr den feuerpolizeilichen Sicherheitsanforderungen und schon gar nicht den Vorstellungen davon, wie Schule heute sein soll, mit Räumen für modernen Unterricht in ständig wechselnden Konstellationen. Also lobte die Gemeinde 2009 einen Wettbewerb mit Präqualifikation aus, in dem speziell auch junge Architekturbüros eine Chance erhielten. Gewonnen hat ihn Angela Deuber aus Chur. Die Architektin, die 2002 ihren Abschluss an der ETH gemacht hatte, konnte bis auf einen Stallumbau im Direktauftrag keinerlei Ausführungserfahrung vorweisen. Sie entschied sich für einen mutigen Vorschlag: einen Solitär, keinesfalls auf den ersten Blick gefällig oder leicht zu verstehen. Und die Jury entschloss sich, das Projekt auf dem ersten Platz zu rangieren.

Schliesslich hiessen die Thaler Bürger einen Kredit von 7.3 Mio. Fr. für das neue Schulhaus gut. Auch das zeugt von Mut – wenngleich die Entscheidung mit nur 52 mehr Ja- als Nein-Stimmen knapp ausging. Vor der Abstimmung galt es für Angela Deuber, öffentlich für ihren Vorschlag einzustehen. «Aber das war gar nicht so schwierig», erinnert sie sich. «Das Projekt ist am Ende leicht zu erklären, der Entwurf kann auf alle Anforderungen und Wünsche eingehen, und der gesamte Bau ist im Vergleich zu anderen Schulbauten günstig.» Nach der öffentlichen Diskussion gab es lediglich kleine Anpassungen, zum Beispiel Toiletten auf jedem Stockwerk statt wie ursprünglich geplant nur im untersten der drei Geschosse. Die Kostenschätzung – auch das mag angesichts der geringen Erfahrung der Architektin am Ende manchen Thaler Bürger, manche Bürgerin erstaunt haben – wurde am Ende nicht nur eingehalten, sondern unterboten. 630 Franken pro Kubikmeter standen auf der Schlussrechnung; ein akzeptabler Wert für einen Bau im Minergie-Standard.

Dass die Schule für vergleichsweise wenig Geld entstehen konnte und sich für eine etwaige Umnutzung doch flexibel zeigt, verdankt die Gemeinde vor allem der Konsequenz des Entwurfs: Angela Deuber entkoppelte die Trag- von der Raumstruktur und legte alle tragenden Elemente gut sichtbar in die äussere Schicht des Baus. Jedes Element im so entstandenen, regelmässigen Stützensystem ist nur so ausgeprägt, wie es statisch mit diesem Material tatsächlich notwendig war. Aus dieser Überlegung – und nicht etwa aus Formalismus heraus – ergeben sich auch die diagonalen Linien der Fassade und das Spiel zwischen massiv und leicht. Aus den Fluchttreppen an zwei der vier Gebäudeecken, aus dem Geländegefälle und aus den Kollisionen der Formen ergeben sich interessante Brüche, wie die zwei schrägen Stützen bei den Eingängen vorn und hinten. Im Inneren, wo die frei tragenden Decken statisch wirksame Bauteile überflüssig machen, dominieren rechte Winkel und damit klare Strukturen und Wege. Die statische Funktion jedes tragenden Bauteils ist im Prinzip ablesbar – wenn es die Lehrerinnen und Lehrer nur richtig erklären, können die Kinder leicht verstehen, wie dieses Haus funktioniert.

Doch die rein konstruktiv bedingten Formen vermitteln am Ende doch noch zwischen dem Schulhaus und seiner Umgebung: Beim Blick von drinnen nach draussen gleichen die stumpfen Winkel der Fenster denen der geneigten Dächer in der Umgebung; in der Perspektive greifen sie das Bild eines Dorfs am Hang auf, das Buechen ja ist. Und auch sonst interpretiert das Schulhaus ortsübliche Gegebenheiten neu: Ein Mäuerchen fasst das Wiesengrundstück, auf dem 19 Apfel- und ein Nussbaum stehen.

An der Geschichte des Schulhauses Buechen lässt sich ablesen, welche Vorteile es haben kann, junge Büros zu beauftragen, die über wenig oder keine Ausführungserfahrung verfügen. Angela Deuber wusste, dass diese erste Bauaufgabe ihr einiges abverlangen würde, und liess sich von erfahrenen Berufskollegen beraten. Sie bestand nachdrücklich darauf, einen versierten, von ihr selbst gewählten Bauleiter an der Seite zu haben – auch gegen anfängliche Widerstände des Auftraggebers. Aus dem gleichen Grund arbeitete die Architektin mit dem bewährten Ingenieursteam um Patrick Gartmann zusammen, das sie bereits kannte.

So sicherte sie ihren stark konstruktiv bedingten Entwurf bis zur Schlüsselübergabe – schliesslich wollte sie vermeiden, direkt bei der ersten Bauaufgabe in einen Teufelskreis von Zugeständnissen und Änderungen zu rutschen. Doch der wohl wichtigste Vorteil der jungen Architektin: Sie konnte sich während der gesamten Planungs- und Ausführungszeit ganz und gar dieser einen Baustelle widmen, hatte sie doch weder weitere Bauten in Realisierung noch ein Büro zu leiten und Mitarbeiter zu führen. Die Arbeit am Schulhaus war auch für Angela Deuber eine lehrreiche: Sie werde, so sagt sie, beim nächsten Projekt wieder so entschieden auftreten und für ihre Überzeugungen einstehen – wenn nicht sogar noch entschiedener.

Für Buechen ist das neue Schulhaus eine Erfolgsgeschichte. Dank ihm können die Kindergärtler und Unterstufenschüler im Dorf bleiben; dafür hatte sich der Gemeindepräsident – ein Buechener – vehement eingesetzt. Und der Ort gewinnt dank der ausdrucksstarken Architektur von Angela Deuber ein wiedererkennbares Zentrum, das Identität schaffen wird.

TEC21, Fr., 2014.04.11



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2014|15-16 Erstlingswerke

14. Februar 2014Barbara Hallmann
Marko Sauer
TEC21

Flexibel studieren

Die FHNW legt ihre Institute an vier Standorten zusammen. Die Kantone erstellen dafür imposante Neubauten, bei der Architektur kann die Schule kaum mitreden. Und sie will es auch gar nicht.

Die FHNW legt ihre Institute an vier Standorten zusammen. Die Kantone erstellen dafür imposante Neubauten, bei der Architektur kann die Schule kaum mitreden. Und sie will es auch gar nicht.

Aarau, Basel, Brugg-Windisch, Liestal, Muttenz, Olten, Solothurn und Zofingen: Das sind die aktuellen Standorte der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW. Sie vereint seit 2008 neun Hochschulen – und zwar bislang unter vielen Dächern. Doch die vier Trägerkantone Aargau, Solothurn, Basel-Landschaft und Basel-Stadt fassten bereits bei den Verhandlungen zur Fusion der Hochschulen im Jahr 2004 den Entschluss, die Schulen auch baulich zusammenzuschliessen. In jedem Kanton entsteht ein Standort: in Brugg-Windisch, Olten, Muttenz und auf dem Basler Dreispitz-Areal. Für alle vier Standorte lobten die Kantone zwischen 2006 und 2011 Architekturwettbewerbe aus. Seit Ende 2013 ist die Hälfte der Projekte abgeschlossen: Die neuen Gebäude in Brugg-Windisch und Olten sind bezogen, die Neu- und Umbauten in Basel folgen in diesem Jahr. In Muttenz werden die Arbeiten erst beginnen; die Fertigstellung des Hochhauses mit Atrium ist für 2019 geplant.

Für die Standortgemeinden bringen die Neubauten wesentliche Impulse: Die zusätzlichen Studierenden werden die Orte beleben. Mit ihrer schieren Grösse senden die Projekte städtebauliche Signale aus. Doch beim Betrachten der Realisierungen wie der Projekte stellt sich die Frage, welche Strategie in Sachen «Corporate Architecture» dahintersteht. Eine genauere Betrachtung ergibt kein wirklich eindeutiges Bild. Auch die Aussagen der zentralen FHNW-Medienstelle zu den Neubauten lassen den Verdacht aufkommen: Nur der Standort spielte eine Rolle.

Die Nachfrage beim Leiter Immobilien & Infrastruktur der FHNW, Prof. Markus Baertschi, bringt deutliche Antworten: Die Fachhochschule hat gar keine Architekturstrategie – schliesslich ist sie nur Mieterin und nicht Bauherrin. Sie darf eine «raumscharfe» Wunschliste abgeben und mietet sich dann in die bauliche Hülle ein, die ihr der Kanton anhand der Vorgaben zur Verfügung stellt. «Das Wichtigste ist, dass die Funktion stimmt», betont Baertschi. Sich konsequent auf die Rolle als Mieterin zu beschränken, bedeute eine Erleichterung: Nur so könne eine Fachhochschule, in der viele Stimmen mitreden, überhaupt Neubauten auf die Beine stellen. Wäre sie selbst Bauherrin, würden die Wünsche der einzelnen Teil-Hochschulen das Projekt erschweren, verlängern und verteuern, mutmasst Baertschi. Für den Kanton dagegen zählt, dass die teure Investition flexibel und leicht umnutzbar ist, sollte die akademische Mieterschaft sich dereinst verkleinern, wachsen oder gar ausziehen.

Das Ergebnis dieser Arbeitsteilung zwischen Nutzer und Ersteller erinnert tatsächlich an eine Wohnüberbauung für wechselnde Mieter – durchweg solide und hochwertig in der Ausstattung, aber durch den Wunsch nach Flexibilität auch austauschbar. Die wahre Attraktivität der neuen Hochschulen liegt in ihrer zentralen Lage und der guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr: Sie stehen in unmittelbarer Nähe der Bahnhöfe. Die Studierenden sind schnell da – und auch schnell wieder weg. Das widerspricht nicht nur dem Campusgedanken der nordamerikanischen Universitäten, wo Leben und Arbeiten, Studium und Freizeit auf ein und demselben Gelände stattfinden, sondern auch der europäischen Vorstellung von der Hochschule, die mit ihren Bauten und Köpfen das Stadtleben prägt. Die neuen Fachhochschulen besetzen den Ort, wo sich einst die europäischen Universitäten befanden: das Zentrum der Stadt. Aber sie verleihen ihm keinen Charakter.

Studentenleben wird sich hier kaum einstellen: Die Häuser sind so geplant, dass die Lernenden mit dem Zug anreisen, die Vorlesungen besuchen und nach dem Seminar wieder wegpendeln. Zielstrebig und effizient organisieren die Fachhochschulen so die Aufnahme von Wissen. Ein langer Aufenthalt, Identifikation mit der Schule oder gar Stolz ist offenbar – zumindest von baulicher Seite – nicht vorgesehen. Zwar gibt es Verkaufsflächen und einige Wohnungen in den Neubauten der FHNW. Aber nirgends ist das Angebot wirklich urban und studierendengerecht. Zwei Beispiele zeigen exemplarisch, wie die Fachhochschulen ihre Standorte entwickeln.

Sauber getrennter Nutzungsmix

Vor einem knappen halben Jahr zogen die Mitarbeitenden und Studierenden der Pädagogischen Hochschule, der Hochschule für Technik und derjenigen für Wirtschaft in den zweiteiligen Neubau auf dem Windischer Markthallenareal neben dem Bahnhof Brugg. Die Pläne dazu stammen von Büro B Architektur und Planer AG aus Bern. Die polygonale Form der Neubauten reagiert auf die unregelmässige Form des Grundstücks und soll gleichzeitig nicht ganz alltägliche Aussenräume schaffen. Der offen gestaltete Platz westlich der Neubauten inszeniert sich als neues Zentrum des Hochschulquartiers und überbrückt die rund 200 Meter zwischen dem Bahnhof und den Hochschulgebäuden auf dem Klosterzelg-Areal, die Fritz Haller in den 1960er-Jahren für die HTL entwarf.

Die beiden frei stehenden Volumen von Büro B, vorgegeben vom Gestaltungsrichtplan, verbindet eine Passerelle im ersten bis fünften Obergeschoss. Um die beiden Hauptzugänge zu markieren, ist die Fassade im Erdgeschoss partiell zurückversetzt, doch will dieser Kunstgriff nicht so recht wirken: Der Neuankömmling nähert sich dem Bau etwas unsicher und findet den Eingang schliesslich doch eher zufällig als intuitiv – für ein öffentliches Gebäude etwas befremdlich.

Im Innern bilden die Mensa auf der einen Seite und ein 800 m² grosser Saal auf der anderen das räumliche Zentrum im Erdgeschoss der Baukörper. Der Saal wird auch als Stadtsaal für Brugg und Windisch genutzt; die eigens gegründete Campussaal Betriebs AG vermietet ihn an Veranstalter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur. In die Obergeschosse führen breite Treppen. Die grosszügigen, lichtdurchfluteten Korridore sind mit Arbeitsnischen und -plätzen versehen; sie sollen den Studentinnen und Studenten für das Selbststudium oder die Arbeit in kleinen Gruppen dienen. Die komplexe Struktur im Innern zwingt die ortsunkundige Besucherin zum Nachfragen – was aber auch in räumlich spannende Winkel führen kann.

Vom Erdgeschoss bis ins vierte Obergeschoss gruppieren sich um zwei Lichthöfe die offen gehaltenen Unterrichtsräume und Büros. Die Einrichtung der Unterrichtsräume ist standardisiert, um ihren Gebrauch möglichst flexibel zu machen. Weil der Campus ein lebendiges Stück Stadt sein soll, entschied man sich, im Erdgeschoss Verkaufsflächen unterzubringen; derzeit belegen unter anderem zwei kleine Supermärkte, eine Zahnarztpraxis und ein Café die ersten Flächen. 48 Wohnungen im Dachgeschoss tragen dazu bei, das Gebiet zu beleben. Die Bewohner erreichen sie über separate Eingänge im Erdgeschoss oder direkt aus der Tiefgarage. Inwiefern so Begegnungen zwischen Studierenden und Wohnungsmietern entstehen, ist fraglich. Vielleicht geschieht in dieser Hinsicht im Sommer mehr, wenn die Abende warm sind und der grosse Platz vor dem Neubau zur Begegnungszone für Studierende und die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers wird.

Tief gestapelt

Der Neubau der FHNW in Olten befindet sich ebenfalls unmittelbar hinter dem Bahnhof. Er bietet Platz für 1200 Studierende aus den Fachbereichen Angewandte Psychologie, Soziale Arbeit und Wirtschaft und wurde im Juni 2013 eröffnet. Das dreigeschossige Gebäude von Bauart Architekten und Planer wird durch eine leicht geknickte und teilweise zurückversetzte Bandfassade charakterisiert, die sanft zu den Eingängen leitet. Lang und flach dehnt sich das Haus neben den Gleisen aus.

Auch in Olten hält sich das Gebäude im Ausdruck gegen aussen zurück. Es besticht nicht durch Effekte, sondern strahlt Sorgfalt aus – und viel Aufmerksamkeit für die Details. Die Proportionen der Bandfenster wechseln ebenso wie die Höhen der Geschosse. Zusammen drücken sie das gegen oben enger werdende Raster der Struktur aus. Diese wiederum spiegelt die Funktion wider: Die Nutzungen mit grosser Belegung befinden sich im Erdgeschoss, darüber die Klassen- und Gruppenräume und zuoberst die Büros von Verwaltung und Lehre. Gedeckte Innenhöfe bieten Licht, Raum und Orientierung: Zwei Höfe gehen durch alle drei Stockwerke, und zwei verbinden lediglich die beiden oberen Geschosse.

So bescheiden sich das Haus gegen aussen gibt, so anspruchsvoll verfolgt es energetische Ziele. Zur Eröffnung ist eine Broschüre erschienen, die insbesondere die Energieeffizienz herausstreicht. Das Gebäude erfüllt die Vorgaben von Minergie-P-Eco. Die Architektur wird als anpassungsfähig, flexibel und nutzungsoffen beschrieben. Dies nimmt man dem Haus sofort ab, denn so präsentiert es sich auch: In seiner reinweissen Hochglanzästhetik entzieht es sich elegant einer eindeutigen Zuordnung. Ist dies die Architektur für eine smarte Gesellschaft, die ihre Inhalte und Räume jederzeit anpassen kann und sich dadurch alle Optionen offenhält? Die Künstlerin Verena Thürkauf hat dieses Motiv aufgenommen und einen wunderbaren Kontrast dazu geschaffen: Ihre klugen Sätze sind in die Wände geritzt – sie dringen durch Putz und Gipskarton bis auf die Mauern, die das Haus tragen. Wie eine Tätowierung, die sich nie mehr tilgen lässt.

TEC21, Fr., 2014.02.14



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TEC21 2014|07-08 Bauen für die Fachhochschulen

01. November 2013Barbara Hallmann
Daniela Dietsche
TEC21

Ist die Branche zu träge?

Ganz im Unterschied zu den USA oder Skandinavien hat die digitale Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) in der Schweiz bisher noch nicht recht Fuss gefasst. Warum ist das so, und was müsste sich ändern? TEC21 hat Vertreter verschiedener Fachrichtungen mit sechs Thesen konfrontiert, die Kritiker gegen BIM anführen. Ein Vertreter aus einem Ingenieurunternehmen, ein Gebäudetechniker, ein Architekt und der Leiter Normen des SIA, die sich allesamt im Alltag mit der Technologie beschäftigen, halten manchmal vehement dagegen – und stimmen manchmal zu.

Ganz im Unterschied zu den USA oder Skandinavien hat die digitale Planungsmethode Building Information Modeling (BIM) in der Schweiz bisher noch nicht recht Fuss gefasst. Warum ist das so, und was müsste sich ändern? TEC21 hat Vertreter verschiedener Fachrichtungen mit sechs Thesen konfrontiert, die Kritiker gegen BIM anführen. Ein Vertreter aus einem Ingenieurunternehmen, ein Gebäudetechniker, ein Architekt und der Leiter Normen des SIA, die sich allesamt im Alltag mit der Technologie beschäftigen, halten manchmal vehement dagegen – und stimmen manchmal zu.

TEC21: Wir möchten Sie im Gespräch mit verschiedenen Thesen konfrontieren, die man gegen BIM vorbringen könnte. These 1 lautet: BIM lohnt sich nur für komplexe Projekte. Ansonsten ist der Zusatzaufwand zu gross. Was sagen Sie dazu?

Rolf Mielebacher (R. M.): BIM nur für grosse Projekte zu nutzen wäre für den Anfang der falsche Ansatz: Das Projekt ist komplex und die Software nicht ganz einfach. Für den Einstieg ist ein normales Projekt sinnvoll.
Markus Gehri (M. G.): Ich finde, es kann auch bei kleinen Projekten nützen. Auch für ein normales Sechsfamilienhaus müssen viele Nachweise geführt werden – da bringt BIM Vorteile.
Jobst Willers (J. W.): Ich bin überzeugt, BIM wird nur bei komplexen Projekten wie Spitälern oder Industriebauten kommen, weil dort der Lebenszyklusnutzen massiv zum ­Tragen kommt.
M. G.: Da hat jetzt der Gebäudetechniker gesprochen, der Gebäude mit ausgeklügelter Technologie ausstatten möchte. Aber BIM fängt schon früher an, bei der Schalung, bei den Fenstern. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein Sechsfamilienhaus ohne aufwendige Gebäudetechnik mit BIM projektiert wird.
Andreas Derrer (A. D.): Ich finde, nicht die Projektgrösse entscheidet, sondern der ­Detaillierungsgrad. Bei einem kleinen Ladengeschäft geht es nicht um die gleichen Themen wie bei einem Spital. Das Wichtigste ist für mich immer die Frage nach den Schnittstellen: Wie sammle ich die Informationen, wie bereite ich sie auf, und wie halte ich sie à jour?
R. M.: Gerade bei kleinen Projekten kann BIM Bauprozesse standardisieren. Die Bauwirtschaft möchte immer Unikate erschaffen. BIM könnte bei Käuferausbauten leicht Kosten sparen, wenn man beispielsweise Steckdosen und Wände zusammen verschieben kann, statt aufwendig alles einzeln anzupassen.

TEC21: These 2: Mit BIM entsteht für die Planer ein Zusatzaufwand, der nicht honoriert wird.

J. W.: Unsere bisherige Denkart in sechs SIA-Phasen steht uns im Weg. Wir sind das Arbeiten vom Groben ins Feine gewohnt.
M. G.: Ich glaube, die Leistung wird einfach zeitlich nach vorn verschoben. Im Idealfall entsteht im Vorprojekt bereits ein virtuelles Gebäude, bis hin zur letzten Schraube. Später gleicht sich das aus – sagt man –, weil bei der Realisierung weniger Kosten entstehen. Wie aber dieser Zusatzaufwand am Anfang mit den gesparten Kosten gegen Ende ausgeglichen und aufgeteilt wird, ist noch offen. Einfacher ist die Situation für einen GU oder TU.
J. W.: Ausserhalb dieser Unternehmen sieht es doch so aus: Wir haben oft ein Planerteam von acht oder mehr Ingenieurparteien. Drei davon haben von BIM keine Ahnung. Was macht man mit denen? Der Markt regelt das hoffentlich: Entweder verschwinden die Unkundigen, oder sie wenden BIM an.
A. D.: Viele sind sich nicht recht bewusst, was sie mit BIM erreichen möchten. Bei Spital­projekten in Kalifornien ist das Modellieren bis zur letzten Schraube unter anderem ein Grund dafür, den Genehmigungsprozess zu beschleunigen – weil der Ort, an dem die Schraube gesetzt wird, Einfluss auf die Erdbebensicherheit der abgehängten Decke hat. Dafür existiert dort eine Norm. Solange wir das in der Schweiz nicht haben, definieren wir selbst, wie detailliert modelliert werden soll – und folglich, welchen Zusatzaufwand wir generieren. Wir sehen das heute als eine Phase des Lernens an, die wir selbst steuern können.
R. M.: Wir haben bei uns jetzt einen BIM-Master angestellt. Die Chance, dass er vom ­Kunden separat vergütet wird, ist bei null. Man muss diverse Abmachungen treffen und überlegen, wer wann welche Information braucht, damit es für alle ein bisschen einfacher geht. Man bekommt nicht mehr Zeit dank BIM.
M. G.: Es besteht die Gefahr, dass die Bauherrschaft schon im Wettbewerb zu viel erwartet. Manchmal wird zum Beispiel gefordert, dass der behördliche Brandschutznachweis erbracht ist. Dafür muss man bereits im Wettbewerb wissen, welches Gerät eingesetzt wird und wo. Ein grosser Schweizer TU hat mir gesagt, dass bei ihm kein Wettbewerbsentwurf ohne ­Energienachweis angenommen wird. BIM kann das zwar, aber das bedeutet auch, dass der Aufwand im Wettbewerb quasi beliebig gross werden kann. Wird am Ende doch nicht gebaut, sieht es mit der Honorierung des bereits erbrachten Zusatzaufwands schlecht aus.

TEC21: Die dritte These lautet: Die Kommunikation über BIM zu organisieren passt nicht zu den gewohnten Abläufen in der Schweizer Baubranche mit ihren speziellen Bewilligungs- verfahren.
M. G.: Das ist momentan noch richtig. Die positiven Beispiele für BIM-Projekte kommen derzeit noch aus den USA und Skandinavien, aber dort sind ganz andere Vertragsformen üblich. Der SIA plant ein Arbeitspapier, das hierzulande übliche Zusammenarbeitsmodelle auflistet. Mit dieser Basis kann man nachdenken, wie BIM bei uns Erfolg haben könnte.
R. M.: Für die hiesigen Bauherren ist klar: Das wird heute noch angepasst, auch wenn ich morgen einziehe. Aber wenn du einer Ziegelei sagen kannst, dass du in 18 Monaten baust, bekommst du einen guten Preis. Das ist auch für den Kunden interessant. Nur: Die Gefahr von unzähligen Varianten und Änderungen verschiebt sich mit BIM nach vorn.
M. G.: Da machen unsere Gepflogenheiten ein Problem von BIM deutlich: Bei der Arbeit mit dem Modell muss man Änderungen direkt dort nachführen, bei der Arbeit mit Papier­plänen geht das recht unkompliziert mit Rotstift.

TEC21: These vier lautet: BIM behindert im Entwurf, weil die Software zu früh zu viele Informationen verlangt.
M. G.: Die frühe Phase, in der man entwickelt, dürfen wir nicht verlieren. Ein gutes BIM-Programm sollte zulassen, dass ich summarisch anfange und dann ins Detail gehe.
A. D.: Wenn im Wettbewerb verlangt würde, dass man ein Projekt schon in diesem Stadium mit 3-D komplett durchgeplant haben muss, dann wird das für uns zu einem Problem. Aber wenn es nur darum geht, Elemente als 3-D abzuliefern, die ohnehin zu einem Wettbewerbsprogramm gehören, dann geht das schon. Das Problem liegt eher darin, dass man sich anders organisieren muss, wenn man mit BIM statt mit 2-D arbeitet. Aber wir arbeiten in einem ersten Stadium noch immer auch mit Handskizzen.
R. M.: Beim Neubau sehe ich weniger Probleme. BIM ist nur so gut wie die Grundlage. Im Umbau müssen wir bei der Genauigkeit zulegen. Ist der Bestand so gut aufgenommen, dass das Modell funktioniert?

TEC21: These 5: Schweizer Bauherrschaften haben, anders als in Skandinavien oder den USA, kein Interesse an BIM.

J. W.: Wir sind eine träge Branche! Wenn der Bauherr nicht bestellt, passiert nichts. Aber vielleicht kommt jetzt die Wende, wenn selbst Stararchitekten per Stellenanzeige einen BIM-Koordinator suchen. In anderen Ländern verlangt der Gesetzgeber nach der Planung mit BIM. Unsere KBOB für öffentliche Bauten äussert sich vorläufig noch nicht dazu.
M. G.: Die Energiedirektoren könnten Treiber sein, wenn sie beschliessen, dass gewisse Nachweise bereits frühzeitig erbracht werden müssen.
R. M.: Der Druck auf die Branche wird kommen, wenn es sich herumspricht, dass man ein digitales Modell bestellen kann – oder wenn die Facility-Management-Branche darauf drängt. Aber seien wir ehrlich: Die Baubranche könnte diesem Druck auch zuvorkommen.

TEC21: Die letzte These: Vielerorts wird behauptet, die Technologie sei nicht ausgereift.

J. W.: Die Software ist sehr kompliziert. Wir brauchen eine Aus- und Weiterbildung. Die Ausbildung machen zurzeit aber hauptsächlich die Softwarelieferanten.
R. M.: Die Software selbst ist nicht das Problem, sondern ihre Anwendung. Und ich ­merke: Die Jungen in unserer Firma wollen BIM. Unser BIM-Master kommt aus der Software­industrie. Er ist damit beschäftigt, Informationen so zu übersetzen, dass wir sie darstellen können.
A. D.: Ich glaube, die Technologie ist nicht die grosse Frage. Es geht vielmehr darum, wie diese Methode unsere Abläufe neu organisiert. Wie kontrolliere ich das Modell? Und wie findet der Austausch statt? Schicke ich Formate wie pdf und dwg, dann weiss der andere, was er erwarten kann. Aber wenn ich ein Modell schicke? Wie bekommen wir welche Informationen wohin, und wie bekommen wir sie wieder raus? Wir können nicht so weiterarbeiten wie die letzten 20 Jahre, aber die jeweilige spezifische Software der einzelnen Disziplinen muss weiterhin einsetzbar bleiben. Sonst würde BIM eine massive Einschränkung bedeuten. Aber der Zwang zu einer intensiveren Zusammenarbeit und das grössere Vertrauen, das vorausgesetzt wird, könnten noch ein Hindernisgrund für den Einsatz von BIM sein. Denn ich muss meine Daten nicht nur abschicken, sondern mich auch dafür interessieren, wie sie angekommen sind. Kurz: Ich muss die Motivation haben, mich mit dem Blick der anderen Fachplaner darauf einzulassen.
M. G.: Aus meiner Sicht geht die Entwicklung dahin, dass weiterhin mit dem weichen Bleistift entworfen und die Dinge anschliessend im virtuellen Arbeitsraum fixiert werden. An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden: Das BIM-Modell ist ab einem gewissen Zeitpunkt fix und kann nicht auf der Baustelle wieder verworfen werden. Ich sehe das virtuelle Modell als Zwischenstufe zwischen Handskizze und fertigem Bauwerk. Der Zusatzaufwand, der dafür entsteht, muss sich wieder einspielen, weil die Endphase reibungsloser und fehlerfreier stattfinden kann.

TEC21, Fr., 2013.11.01



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