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23. April 2019Stefan Ender
Der Standard

Pink ist das neue Weiß Tel Avivs

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein....

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein....

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein. Hausherr in der 1864 erbauten Villa ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert das Jüdische Museum Hohenems, das dort seit kurzem die Ausstellung All About Tel Aviv-Jaffa zeigt.

Die Erfindung einer Stadt, so der Untertitel der Schau, wird hier vorgeführt. Etwa mit dem berühmten Foto der angeblichen Gründung Tel Avivs im Jahr 1909: In den Dünen nordöstlich der Hafenstadt Jaffa sieht man Mitglieder einer Siedlungsgenossenschaft beim Verlosen von Parzellen. Aber weder das Jahr noch die Verbindung zum historischen Akt konnten verifiziert werden.

Wahr ist, dass bereits in den 1920er-Jahren eine moderne, auf Sand gebaute Gartenstadt entstand. Eine „Bauhaus-Stadt“, wie Tel Aviv wegen der Gebäude aus dieser Zeit gern genannt wird, war die „Weiße Stadt“ am östlichen Mittelmeer aber nur beschränkt. Lediglich ein Architekt, der an der legendären Kunstschule studiert hat, hat in Tel Aviv Häuser gebaut: Arieh Sharon. Aber ein erfolgreiches „Branding“ gehört schon seit mehreren Jahrzehnten zum Markenzeichen der pulsierenden Millionenstadt: Im Moment wird Tel Aviv als die pulsierende, regenbogenbunte Partystadt vermarktet.

Es gehört zu den vielen Stärken dieser von Hannes Sulzenbacher , Ada Rinderer und Hanno Loewy kuratierten Ausstellung, dass sie nicht nur viele PR-Phrasen hinterfragt, sondern sich auch den dunklen Stellen Tel Avivs und ihrer Vergangenheit widmet: der Ghettoisierung und der Vertreibung der arabischen Bevölkerung von Jaffa, dem Umgang mit Flüchtlingen und Armutsmigranten aus Afrika, größenwahnsinnigen Bauprojekten, der Gentrifizierung, der ständig präsenten Bedrohung durch Attentate und Raketenangriffe.

Und was haben nun die vielen Orangenkisten mit der Geschichte dieser Stadt zu tun? In ihnen wird die berühmte Jaffa-Orange (die für die Palästinenser wiederum zum Symbol für ihre Vertreibung geworden ist) in die weite Welt hinaus exportiert – wenn auch nicht mehr in denselben Quantitäten wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die adaptierten Transportbehälter (und zahlreiche weiße Kuben) dienen als Präsentationsmöbel für die Ausstellungsobjekte. Zu kosten bekommt man die Jaffa-Orange leider nicht, das hätte die bitteren Wahrheiten dieser geschichts- und lehrreichen Städtetour wahrscheinlich zu sehr versüßt.

Der Standard, Di., 2019.04.23

29. Dezember 2012Stefan Ender
Der Standard

Schwarz-weißer Spielplatz der Musen

Bei Mozarts „Le nozze di Figaro“, der ersten Opernpremiere im neuen Erler Festspielhaus, überzeugen Sänger, Musiker und Inszenierung. Ein Star, der bleibt, ist die wundervolle Akustik des Hauses.

Bei Mozarts „Le nozze di Figaro“, der ersten Opernpremiere im neuen Erler Festspielhaus, überzeugen Sänger, Musiker und Inszenierung. Ein Star, der bleibt, ist die wundervolle Akustik des Hauses.

Erl - In den Mußezeiten des Menschen leisten die Musen Akkordarbeit. Während der Sonnenmonate Juli und August werden Seen, Schlossgärten, Burgen, Klosterhöfe und auch ganz profane Konzertsäle von Ost bis West bespielt, zu den christlichen Hochfesten Ostern und Pfingsten wird in diversen Mozart-Städten gesungen, gestrichen und geblasen. Den wahrscheinlich letzten weißen Fleck auf dem Terminplan haben nun die Tiroler Festspiele Erl besetzt: Von nun an wird auch in der stillsten Zeit des Jahres feste gespielt, von Stefanitag bis Dreikönig, im nigelnagelneuen Festspielhaus.

Delugan Meissl Associated Architects haben das Ding geplant, Festspielpräsident und -mäzen Hans Peter Haselsteiner hat das Gros der Rechnungen über 36 Millionen Euro bezahlt. Der aus der Gegend stammende Großindustrielle scheint es mit zwei lachenden Augen getan zu haben: Freudvoll und stolz sieht man ihn bei der ersten Opernpremiere im neuen Haus mit den Gästen plaudern.

Kantig und schroff steckt der nachtschwarze „Tarnkappenbomber“, so eine der optischen Spontanassoziationen der Erler Bevölkerung, im grünen Hügel; schräg steigt man treppauf unter sein mächtig sich vorwölbendes dunkles Dach. Im Foyer ist dann alles schneeweiß - eine Reverenz offenbar an den steinwurfnahen antipodischen Bau des Passionsspielhauses von Robert Schuller. Man fühlt sich wie im Inneren einer futuristischen Skulptur oder wie in einer gewagten Bauzeichnung. Ruhige, dunkle Holztöne (Akazie, unlackiert) folgen im Saal, steil steigen die 25 Sitzreihen empor. Der nobel wirkende Raum ist mehr breit als tief: Wie im Inneren eines Musikinstruments sollen sich die knapp 900 Zuhörer fühlen, nah dran und drin in der Musik. Man gibt Mozarts Le nozze di Figaro, der schwarze Vorhang öffnet sich, und man beschaut erst einmal reichlich weißglänzenden Bühnenboden wie den im Foyer. Jan Hax Halama (Bühne), dieser Schelm: Traut er dem braven Erler Festspielpublikum tatsächlich ein solches Feuerwerk an amourösen Irrungen und Wirrungen zu, wie es Mozart und Da Ponte hier abbrennen lassen?

Die angenehm requisitenarme, puristische Inszenierung von Gustav Kuhn ist in einem zeitlichen Niemandsland der kühlen Eleganz angesiedelt - für Letzteres zeichnen die wunderschönen Kostüme von Lenka Radecky verantwortlich. Kuhn setzt auf eine gekonnte, prägnante Personenführung: Don Bartolo (Johannes Schmidt), Marcellina (Rita Lucia Schneider) und speziell Don Basilio (Ferdinand von Bothmer) werden so zu liebenswerten Farbtupfern im Bild der klingenden Komödie, Radeckys eiscremefarbene Kostüme verdeutlichen dies auch optisch. Michael Kupfer präsentiert einen virilen Conte Almaviva, als Konterpart dazu gibt und singt Sabina von Walther eine Gräfin von schlichter Eleganz. Emily Righter umschwärmt als Cherubino alle Weiblichkeit mit Verve und wendig-hellem Sopran. Einen grundgütigen Figaro zeichnet der ausgewogen-kraftvoll singende Giulio Boschetti, das Herz dieses Stücks und auch dieser Aufführung ist die vokal und darstellerisch souveräne Susanna Sophie Gordeladzes.

Das Herz des neuen Festspielhauses aber ist die Akustik: Sie ist in den höchsten Tönen zu loben. Offeriert sie doch einen Nachhall von fast sakraler Üppigkeit ohne jede Einbuße an der Deutlichkeit der Diktion, dynamisiert sie doch die akustischen Vorgänge auf der Bühne und im großen Orchestergraben enorm (vielleicht einen Tick zu sehr?) und ermöglicht im Gegenzug eine unerhörte Delikatheit, eine flüsternde Intimität der Tonproduktion, wie sie etwa Gustav Kuhn und das junge, fingerfitte Festspielorchester oft bevorzugen (etwas enttäuschend jedoch die lauwarm-schlaffe Begleitung der Secco-Rezitative).

Werke der Moderne, des Belcanto und von Mozart sollen hier schwerpunktmäßig gezeigt werden. Und man muss sich fragen: Gibt es ein Opernhaus, dessen Akustik die Sänger mehr auf Händen trägt? Das ideale Haus für Mozart, das man sich in Salzburg schon so lange wünscht, es steht nun in Erl. Da werden sich nicht nur die Musen freuen.

Der Standard, Sa., 2012.12.29



verknüpfte Bauwerke
Festspielhaus der Tiroler Festspiele Erl

Presseschau 12

23. April 2019Stefan Ender
Der Standard

Pink ist das neue Weiß Tel Avivs

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein....

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein....

Im Keller der Villa Heimann-Rosenthal stehen im Moment sehr viele Orangenkisten herum. Hat die Dame des Hauses einen Spleen für Südfrüchte? Aber nein. Hausherr in der 1864 erbauten Villa ist seit mehr als einem Vierteljahrhundert das Jüdische Museum Hohenems, das dort seit kurzem die Ausstellung All About Tel Aviv-Jaffa zeigt.

Die Erfindung einer Stadt, so der Untertitel der Schau, wird hier vorgeführt. Etwa mit dem berühmten Foto der angeblichen Gründung Tel Avivs im Jahr 1909: In den Dünen nordöstlich der Hafenstadt Jaffa sieht man Mitglieder einer Siedlungsgenossenschaft beim Verlosen von Parzellen. Aber weder das Jahr noch die Verbindung zum historischen Akt konnten verifiziert werden.

Wahr ist, dass bereits in den 1920er-Jahren eine moderne, auf Sand gebaute Gartenstadt entstand. Eine „Bauhaus-Stadt“, wie Tel Aviv wegen der Gebäude aus dieser Zeit gern genannt wird, war die „Weiße Stadt“ am östlichen Mittelmeer aber nur beschränkt. Lediglich ein Architekt, der an der legendären Kunstschule studiert hat, hat in Tel Aviv Häuser gebaut: Arieh Sharon. Aber ein erfolgreiches „Branding“ gehört schon seit mehreren Jahrzehnten zum Markenzeichen der pulsierenden Millionenstadt: Im Moment wird Tel Aviv als die pulsierende, regenbogenbunte Partystadt vermarktet.

Es gehört zu den vielen Stärken dieser von Hannes Sulzenbacher , Ada Rinderer und Hanno Loewy kuratierten Ausstellung, dass sie nicht nur viele PR-Phrasen hinterfragt, sondern sich auch den dunklen Stellen Tel Avivs und ihrer Vergangenheit widmet: der Ghettoisierung und der Vertreibung der arabischen Bevölkerung von Jaffa, dem Umgang mit Flüchtlingen und Armutsmigranten aus Afrika, größenwahnsinnigen Bauprojekten, der Gentrifizierung, der ständig präsenten Bedrohung durch Attentate und Raketenangriffe.

Und was haben nun die vielen Orangenkisten mit der Geschichte dieser Stadt zu tun? In ihnen wird die berühmte Jaffa-Orange (die für die Palästinenser wiederum zum Symbol für ihre Vertreibung geworden ist) in die weite Welt hinaus exportiert – wenn auch nicht mehr in denselben Quantitäten wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die adaptierten Transportbehälter (und zahlreiche weiße Kuben) dienen als Präsentationsmöbel für die Ausstellungsobjekte. Zu kosten bekommt man die Jaffa-Orange leider nicht, das hätte die bitteren Wahrheiten dieser geschichts- und lehrreichen Städtetour wahrscheinlich zu sehr versüßt.

Der Standard, Di., 2019.04.23

29. Dezember 2012Stefan Ender
Der Standard

Schwarz-weißer Spielplatz der Musen

Bei Mozarts „Le nozze di Figaro“, der ersten Opernpremiere im neuen Erler Festspielhaus, überzeugen Sänger, Musiker und Inszenierung. Ein Star, der bleibt, ist die wundervolle Akustik des Hauses.

Bei Mozarts „Le nozze di Figaro“, der ersten Opernpremiere im neuen Erler Festspielhaus, überzeugen Sänger, Musiker und Inszenierung. Ein Star, der bleibt, ist die wundervolle Akustik des Hauses.

Erl - In den Mußezeiten des Menschen leisten die Musen Akkordarbeit. Während der Sonnenmonate Juli und August werden Seen, Schlossgärten, Burgen, Klosterhöfe und auch ganz profane Konzertsäle von Ost bis West bespielt, zu den christlichen Hochfesten Ostern und Pfingsten wird in diversen Mozart-Städten gesungen, gestrichen und geblasen. Den wahrscheinlich letzten weißen Fleck auf dem Terminplan haben nun die Tiroler Festspiele Erl besetzt: Von nun an wird auch in der stillsten Zeit des Jahres feste gespielt, von Stefanitag bis Dreikönig, im nigelnagelneuen Festspielhaus.

Delugan Meissl Associated Architects haben das Ding geplant, Festspielpräsident und -mäzen Hans Peter Haselsteiner hat das Gros der Rechnungen über 36 Millionen Euro bezahlt. Der aus der Gegend stammende Großindustrielle scheint es mit zwei lachenden Augen getan zu haben: Freudvoll und stolz sieht man ihn bei der ersten Opernpremiere im neuen Haus mit den Gästen plaudern.

Kantig und schroff steckt der nachtschwarze „Tarnkappenbomber“, so eine der optischen Spontanassoziationen der Erler Bevölkerung, im grünen Hügel; schräg steigt man treppauf unter sein mächtig sich vorwölbendes dunkles Dach. Im Foyer ist dann alles schneeweiß - eine Reverenz offenbar an den steinwurfnahen antipodischen Bau des Passionsspielhauses von Robert Schuller. Man fühlt sich wie im Inneren einer futuristischen Skulptur oder wie in einer gewagten Bauzeichnung. Ruhige, dunkle Holztöne (Akazie, unlackiert) folgen im Saal, steil steigen die 25 Sitzreihen empor. Der nobel wirkende Raum ist mehr breit als tief: Wie im Inneren eines Musikinstruments sollen sich die knapp 900 Zuhörer fühlen, nah dran und drin in der Musik. Man gibt Mozarts Le nozze di Figaro, der schwarze Vorhang öffnet sich, und man beschaut erst einmal reichlich weißglänzenden Bühnenboden wie den im Foyer. Jan Hax Halama (Bühne), dieser Schelm: Traut er dem braven Erler Festspielpublikum tatsächlich ein solches Feuerwerk an amourösen Irrungen und Wirrungen zu, wie es Mozart und Da Ponte hier abbrennen lassen?

Die angenehm requisitenarme, puristische Inszenierung von Gustav Kuhn ist in einem zeitlichen Niemandsland der kühlen Eleganz angesiedelt - für Letzteres zeichnen die wunderschönen Kostüme von Lenka Radecky verantwortlich. Kuhn setzt auf eine gekonnte, prägnante Personenführung: Don Bartolo (Johannes Schmidt), Marcellina (Rita Lucia Schneider) und speziell Don Basilio (Ferdinand von Bothmer) werden so zu liebenswerten Farbtupfern im Bild der klingenden Komödie, Radeckys eiscremefarbene Kostüme verdeutlichen dies auch optisch. Michael Kupfer präsentiert einen virilen Conte Almaviva, als Konterpart dazu gibt und singt Sabina von Walther eine Gräfin von schlichter Eleganz. Emily Righter umschwärmt als Cherubino alle Weiblichkeit mit Verve und wendig-hellem Sopran. Einen grundgütigen Figaro zeichnet der ausgewogen-kraftvoll singende Giulio Boschetti, das Herz dieses Stücks und auch dieser Aufführung ist die vokal und darstellerisch souveräne Susanna Sophie Gordeladzes.

Das Herz des neuen Festspielhauses aber ist die Akustik: Sie ist in den höchsten Tönen zu loben. Offeriert sie doch einen Nachhall von fast sakraler Üppigkeit ohne jede Einbuße an der Deutlichkeit der Diktion, dynamisiert sie doch die akustischen Vorgänge auf der Bühne und im großen Orchestergraben enorm (vielleicht einen Tick zu sehr?) und ermöglicht im Gegenzug eine unerhörte Delikatheit, eine flüsternde Intimität der Tonproduktion, wie sie etwa Gustav Kuhn und das junge, fingerfitte Festspielorchester oft bevorzugen (etwas enttäuschend jedoch die lauwarm-schlaffe Begleitung der Secco-Rezitative).

Werke der Moderne, des Belcanto und von Mozart sollen hier schwerpunktmäßig gezeigt werden. Und man muss sich fragen: Gibt es ein Opernhaus, dessen Akustik die Sänger mehr auf Händen trägt? Das ideale Haus für Mozart, das man sich in Salzburg schon so lange wünscht, es steht nun in Erl. Da werden sich nicht nur die Musen freuen.

Der Standard, Sa., 2012.12.29



verknüpfte Bauwerke
Festspielhaus der Tiroler Festspiele Erl

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