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13. August 2012Walter J. Ammann
TEC21

Risikokultur: integral denken

Um bei Katastrophen die Zahl der Todesopfer zu senken und das Ausmass der Schäden zu reduzieren, muss die Prävention stärker berücksichtigt werden. Integrales...

Um bei Katastrophen die Zahl der Todesopfer zu senken und das Ausmass der Schäden zu reduzieren, muss die Prävention stärker berücksichtigt werden. Integrales...

Um bei Katastrophen die Zahl der Todesopfer zu senken und das Ausmass der Schäden zu reduzieren, muss die Prävention stärker berücksichtigt werden. Integrales Risikomanagement zielt darauf ab, die Massnahmen im Risikokreislauf von Prävention, Intervention und Wiederinstandsetzung als gleichwertige Komponenten zu betrachten.

In den letzten zehn Jahren haben die Auswirkungen von schweren Naturkatastrophen wie Erdbeben, Wirbelstürmen, Hitzewellen und Überschwemmungen um rund 50 % zugenommen. Insbesondere in den Entwicklungsländern sind immer mehr Menschen betroffen und auf die kurzfristige Bereitstellung von medizinischer Notversorgung, Medikamenten, Wasser, Nahrungsmitteln, Kleidung und Unterkünften in Form internationaler humanitärer Hilfe angewiesen. Es ist davon auszugehen, dass durch die Klimaveränderung die meteorologisch bedingten Naturgefahren an Zahl und Intensität zunehmen werden. Umso mehr gilt es, neben der humanitären Hilfe in der Katastrophenphase präventive Massnahmen zu stärken und damit das Ausmass möglicher Katastrophen zu verringern. Investitionen in präventive Massnahmen stehen in Konkurrenz zu kurzfristig zu deckenden, dringlichen Bedürfnissen.[1] Ereignisse werden nicht zuletzt deshalb als Katastrophen wahrgenommen, weil sie die Gesellschaft in der Regel unerwartet treffen, auch wenn den meisten Ereignissen statistisch eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet werden kann. Im Eintrittsfall bleiben häufig nur Sekunden bis Stunden zur Reaktion. Die Reaktionszeit hängt ab von einem funktionsfähigen Frühwarnsystem, einem richtigen Verständnis und dementsprechendem Handeln der Bevölkerung. Bei sich schleichend entwickelnden Ereignissen wäre meist genügend Reaktionszeit vorhanden, doch häufig werden die nötigen Entscheidungen nicht getroffen und der richtige Interventionszeitpunkt verpasst. Einer der Gründe mag sein, dass Entscheidungsträger die Verantwortung für eine zu frühe oder für eine das Ausmass falsch einschätzende Entscheidung nicht tragen wollen.

Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit × möglicher Schaden

Im Umgang mit Katastrophen als Folge von Naturgefahren, aber auch mit technischen Grosskatastrophen hat sich die Einführung einer technisch basierten Risikogrösse als Mass für Sicherheit bewährt. Das Risiko wird dabei als mathematisches Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, mit der gefährliche Ereignisse bzw. Wirkungen eintreten, und dem zu erwartenden Schadensausmass definiert. Gefährliche Ereignisse werden charakterisiert durch die Häufigkeit und Intensität des Auftretens und durch die wahrscheinliche räumliche Verteilung der gefährlichen Wirkungen (Gefahrenpotenzial). Das Schadensausmass hängt zudem von der Expositionswahrscheinlichkeit ab, d. h. von der Wahrscheinlichkeit, mit der das Objekt der Gefährdung ausgesetzt ist. Eine Rolle spielen auch der Grad an Verletzlichkeit der betroffenen Personen, Tiere, Gebäude und Infrastrukturen. Das Schadensausmass richtet sich also nach Werten, die einer Gefahr ausgesetzt sind, und nach deren Verletzlichkeit; das Risiko kann für Personen als Todesfallrisiko, für Sachwerte als monetarisierbarer Schadenerwartungswert ausgedrückt werden.

Prävention, Intervention, Wiederinstandsetzung Abstimmen

Integrales Risikomanagement orientiert sich nicht mehr an Gefahren, sondern an Risiken. Es gründet auf der Risikoanalyse (Was kann geschehen?), der Risikobewertung (Was darf geschehen?) und der Schutzmassnahmenplanung (Was ist zu tun? Welches Schutzziel wird angestrebt?). Risikobasierte Massnahmenplanung ist vorausschauend, während bei der Gefahrenabwehr in der Regel erst nach einer Katastrophe gehandelt wird. Dieser in der Schweiz von der Nationalen Plattform Naturgefahren in den vergangenen Jahren stark forcierte Paradigmenwechsel bedeutet die Abkehr von der Gefahrenabwehr hin zur Risikokultur. Sie erlaubt, die Zusammenhänge bei der Beurteilung von Sicherheitsproblemen und dem Entscheid über Massnahmen transparent zu strukturieren. Das können sein: technisch-bauliche Massnahmen wie Hochwasserdämme oder erdbebenresistente Bauweisen; raumplanerische Massnahmen wie die Ausscheidung von Bauzonen auf der Basis von Gefahrenkarten; biologische Massnahmen wie Aufforstung oder vorsorgliche Impfungen im Gesundheitswesen.

«vorbeugen» oder «heilen»

Im Umgang mit Risiken geht es letztlich darum, ein akzeptiertes Sicherheitsniveau nach einheitlichen Kriterien zu gewährleisten, vorhandene Risiken zu mindern und neue zu vermeiden sowie vorhandene Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen. Ziel ist aber auch, im Fall einer eingetretenen Katastrophe zusätzliche Todesfälle und Sekundärschäden zu limitieren. Entscheidend ist, dass alle möglichen Massnahmen in die Planung einbezogen und nach gleichen und transparenten Kriterien beurteilt werden. Dabei ist der unterschiedlichen Wirkungsweise, der Funktionssicherheit und der zeitlichen Wirksamkeit der Massnahmen Rechnung zu tragen. Ziel muss sein, die Mittel entlang des gesamten Risikokreislaufes und unter Berücksichtigung der verschiedenen möglichen Massnahmen entlang der Risikoreduktionstreppe (Abb. 3) optimal einzusetzen. Die eingangs erwähnte humanitäre Hilfe ist eine der Möglichkeiten. Es kann dabei durchaus sein, dass eine Risikoanalyse zum Ergebnis kommt, dass eine professionelle Intervention nach einem Ereignis effizienter sein kann. Solange keine Menschenleben betroffen sind, muss «Vorbeugen» nicht immer billiger sein als «Heilen». Grundsätzlich sind in einer Risikoanalyse die Schadenarten zu berücksichtigen, die für die Entscheidung über die notwendigen Sicherheitsmassnahmen im konkreten Fall als massgebend erachtet werden. Der Schutz von Menschenleben hat dabei Vorrang, doch auch Infrastrukturen, Kulturgüter, politische Gemeinwesen und sozioökonomische Systeme müssen beachtet werden. Speziell bei diesen weisen die Erfahrungen der vergangenen Jahre darauf hin, dass deren Verletzlichkeit stark steigen kann und dies möglicherweise weit mehr zu einem Risikoanstieg beitragen dürfte als Veränderungen in den Gefährdungsszenarien und deren Intensität als Folge einer Klimaveränderung.

Das integrale Risikomanagement zielt darauf ab, risikomindernde Massnahmen entlang des gesamten Risikokreislaufs als gleichwertig zu betrachten. Dabei kommt Versicherungslösungen in der Instandstellungsphase eine wichtige Bedeutung zu (vgl. S. 23, «Was Versicherer aus Katastrophen lernen»). Leider ist es nach wie vor so, dass die Wirkungen der Schutzmassnahmen bezüglich Risikoreduktion bzw. der Gewinn an Sicherheit nur ansatzweise und häufig nur qualitativ erfasst werden können. Zudem wurden und werden Massnahmen oftmals unabhängig voneinander bzw. unkoordiniert geplant und umgesetzt.

Während mit präventiven Massnahmen vor allem die Verletzlichkeit von Personen und Sachwerten verringert werden soll, geht es bei Massnahmen in der Interventionsphase um eine Verbesserung der Resilienz. Resilienz bedeutet dabei die Fähigkeit eines geschädigten Systems, sich einer veränderten Situation anzupassen bzw. sich rasch wieder auf den Normalzustand zurückzubewegen. Im Gegensatz zur Präventionsphase, wo raumplanerische, technische, biologische und weitere sachbezogene Massnahmen getätigt werden, kommt in der Interventionsphase der Frühwarnung und Alarmierung und sowie den Einsatzkräften eine zentrale Rolle zu – der Feuerwehr, dem Zivilschutz, der Armee, der Polizei, der Sanität, den Spitälern und den technischen Diensten. Fehlentscheide und verzögerte Einsätze führen zu weiteren Schäden und Todesopfern, auch bei den Einsatzkräften selbst.

Den Willen zur ZUsammenarbeit stärken

Eine risikobasierte, integrale Massnahmenplanung ist ein wichtiger und anspruchsvoller Schritt im Umgang mit Risiken und Sicherheit, besonders wenn dieser Ansatz auch auf den Umgang mit der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ausgeweitet wird («One Health»-Ansatz). Das Konzept beruht darauf, dass alle Arten von Massnahmen konsequent aufgrund ihrer risikoreduzierenden Wirkung und nach dem gleichen methodischen Grundprinzip (Risikokonzept) beurteilt werden. Risikobeurteilung ist heute noch stark auf die Prävention ausgerichtet und schliesst die Beurteilung von Interventionsmassnahmen oft nicht ein. Allerdings muss gesagt sein, dass es für die risikobasierte Beurteilung der Wirkungsmechanismen von Interventionsmassnahmen wenig Erfahrungen, Grundlagen und Daten gibt. Zudem existieren klar abgegrenzte Zuständigkeitsbereiche für die Prävention auf der einen Seite und für die (humanitäre) Intervention und die Wiederinstandsetzung auf der anderen Seite, mit oft wenig Durchlässigkeit, Transparenz und Wille zur Zusammenarbeit. Humanitäre Hilfe ist nicht nachhaltig. Die Spendenabhängigkeit von Einzelpersonen, Institutionen und Regierungen führt zu vielen Partikulärinteressen, die einen effizienten Mitteleinsatz im Sinne des beschriebenen Risikokonzeptes kaum zulassen. Der stark politisch motivierte «Return on Donations» müsste vermehrt einem risikobasierten, Massnahmen optimierenden «Return on Investments» Platz machen. Entwicklungsgesellschaften und Entwicklungsbanken sind künftig stärker gefordert, ihre Bemühungen in der Prävention zu stärken und Risikotransfer-Lösungen zu unterstützen, die eine rasche Refinanzierung von Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen nach einer Katastrophe erlauben. Allenfalls liessen sich vermehrt hybride Systeme im Sinne der Public-Private-Partnership bzw. einer Public-Private-Donorship einsetzen, um die Effizienz der eingesetzten Mittel zu verbessern und mehr Anreize für eine Zusammenarbeit aller Beteiligten zu setzen.


Anmerkungen:
[01] Als Beispiel: Gemäss FAO wurden 2010 925 Mio. Hungerleidende gezählt – Tendenz steigend. Betroffen sind mittlerweile rund 15% der Weltbevölkerung. Allerdings wäre genügend nutzbare Landwirtschaftsfläche vorhanden, um die gesamte Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren; fehlende Infrastrukturen bzw. der schlechte Zustand von Eisenbahnlinien, Strassen und Binnenhäfen und ungenügende Logistik spielen eine zentrale Rolle. Langfristige Investitionen in Infrastrukturen, aber auch kurzfristige Verbesserungen von bestehenden Logistikkonzepten sind nötig
[02] IDRC Davos 2012; www.idrc.info
[03] Bei den sogenannten NaTech-Katastrophen handelt es sich um Ereignisse, die primär eine naturbedingte Ursache haben – Erdbeben, Hurrikane, Überschwemmungen etc. – und zu Schäden an Bauwerken und Einrichtungen führen, von denen ihrerseits eine Gefährdung für Personen und Sachwerte ausgehen kann. Beispiele sind durch Erdbeben beschädigte Chemieanlagen oder Kernkraftwerke, die kaskadenartig zu weiteren Risiken und Schäden führen können. Eines der folgenreichsten Ereignisse mit dieser Art kaskadenartiger Effekte ist das Tohoku-Kanto-Erdbeben vom 11. März 2011 in Ostjapan

TEC21, Mo., 2012.08.13



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Um bei Katastrophen die Zahl der Todesopfer zu senken und das Ausmass der Schäden zu reduzieren, muss die Prävention stärker berücksichtigt werden. Integrales...

Um bei Katastrophen die Zahl der Todesopfer zu senken und das Ausmass der Schäden zu reduzieren, muss die Prävention stärker berücksichtigt werden. Integrales...

Um bei Katastrophen die Zahl der Todesopfer zu senken und das Ausmass der Schäden zu reduzieren, muss die Prävention stärker berücksichtigt werden. Integrales Risikomanagement zielt darauf ab, die Massnahmen im Risikokreislauf von Prävention, Intervention und Wiederinstandsetzung als gleichwertige Komponenten zu betrachten.

In den letzten zehn Jahren haben die Auswirkungen von schweren Naturkatastrophen wie Erdbeben, Wirbelstürmen, Hitzewellen und Überschwemmungen um rund 50 % zugenommen. Insbesondere in den Entwicklungsländern sind immer mehr Menschen betroffen und auf die kurzfristige Bereitstellung von medizinischer Notversorgung, Medikamenten, Wasser, Nahrungsmitteln, Kleidung und Unterkünften in Form internationaler humanitärer Hilfe angewiesen. Es ist davon auszugehen, dass durch die Klimaveränderung die meteorologisch bedingten Naturgefahren an Zahl und Intensität zunehmen werden. Umso mehr gilt es, neben der humanitären Hilfe in der Katastrophenphase präventive Massnahmen zu stärken und damit das Ausmass möglicher Katastrophen zu verringern. Investitionen in präventive Massnahmen stehen in Konkurrenz zu kurzfristig zu deckenden, dringlichen Bedürfnissen.[1] Ereignisse werden nicht zuletzt deshalb als Katastrophen wahrgenommen, weil sie die Gesellschaft in der Regel unerwartet treffen, auch wenn den meisten Ereignissen statistisch eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit zugeordnet werden kann. Im Eintrittsfall bleiben häufig nur Sekunden bis Stunden zur Reaktion. Die Reaktionszeit hängt ab von einem funktionsfähigen Frühwarnsystem, einem richtigen Verständnis und dementsprechendem Handeln der Bevölkerung. Bei sich schleichend entwickelnden Ereignissen wäre meist genügend Reaktionszeit vorhanden, doch häufig werden die nötigen Entscheidungen nicht getroffen und der richtige Interventionszeitpunkt verpasst. Einer der Gründe mag sein, dass Entscheidungsträger die Verantwortung für eine zu frühe oder für eine das Ausmass falsch einschätzende Entscheidung nicht tragen wollen.

Risiko = Eintrittswahrscheinlichkeit × möglicher Schaden

Im Umgang mit Katastrophen als Folge von Naturgefahren, aber auch mit technischen Grosskatastrophen hat sich die Einführung einer technisch basierten Risikogrösse als Mass für Sicherheit bewährt. Das Risiko wird dabei als mathematisches Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, mit der gefährliche Ereignisse bzw. Wirkungen eintreten, und dem zu erwartenden Schadensausmass definiert. Gefährliche Ereignisse werden charakterisiert durch die Häufigkeit und Intensität des Auftretens und durch die wahrscheinliche räumliche Verteilung der gefährlichen Wirkungen (Gefahrenpotenzial). Das Schadensausmass hängt zudem von der Expositionswahrscheinlichkeit ab, d. h. von der Wahrscheinlichkeit, mit der das Objekt der Gefährdung ausgesetzt ist. Eine Rolle spielen auch der Grad an Verletzlichkeit der betroffenen Personen, Tiere, Gebäude und Infrastrukturen. Das Schadensausmass richtet sich also nach Werten, die einer Gefahr ausgesetzt sind, und nach deren Verletzlichkeit; das Risiko kann für Personen als Todesfallrisiko, für Sachwerte als monetarisierbarer Schadenerwartungswert ausgedrückt werden.

Prävention, Intervention, Wiederinstandsetzung Abstimmen

Integrales Risikomanagement orientiert sich nicht mehr an Gefahren, sondern an Risiken. Es gründet auf der Risikoanalyse (Was kann geschehen?), der Risikobewertung (Was darf geschehen?) und der Schutzmassnahmenplanung (Was ist zu tun? Welches Schutzziel wird angestrebt?). Risikobasierte Massnahmenplanung ist vorausschauend, während bei der Gefahrenabwehr in der Regel erst nach einer Katastrophe gehandelt wird. Dieser in der Schweiz von der Nationalen Plattform Naturgefahren in den vergangenen Jahren stark forcierte Paradigmenwechsel bedeutet die Abkehr von der Gefahrenabwehr hin zur Risikokultur. Sie erlaubt, die Zusammenhänge bei der Beurteilung von Sicherheitsproblemen und dem Entscheid über Massnahmen transparent zu strukturieren. Das können sein: technisch-bauliche Massnahmen wie Hochwasserdämme oder erdbebenresistente Bauweisen; raumplanerische Massnahmen wie die Ausscheidung von Bauzonen auf der Basis von Gefahrenkarten; biologische Massnahmen wie Aufforstung oder vorsorgliche Impfungen im Gesundheitswesen.

«vorbeugen» oder «heilen»

Im Umgang mit Risiken geht es letztlich darum, ein akzeptiertes Sicherheitsniveau nach einheitlichen Kriterien zu gewährleisten, vorhandene Risiken zu mindern und neue zu vermeiden sowie vorhandene Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen. Ziel ist aber auch, im Fall einer eingetretenen Katastrophe zusätzliche Todesfälle und Sekundärschäden zu limitieren. Entscheidend ist, dass alle möglichen Massnahmen in die Planung einbezogen und nach gleichen und transparenten Kriterien beurteilt werden. Dabei ist der unterschiedlichen Wirkungsweise, der Funktionssicherheit und der zeitlichen Wirksamkeit der Massnahmen Rechnung zu tragen. Ziel muss sein, die Mittel entlang des gesamten Risikokreislaufes und unter Berücksichtigung der verschiedenen möglichen Massnahmen entlang der Risikoreduktionstreppe (Abb. 3) optimal einzusetzen. Die eingangs erwähnte humanitäre Hilfe ist eine der Möglichkeiten. Es kann dabei durchaus sein, dass eine Risikoanalyse zum Ergebnis kommt, dass eine professionelle Intervention nach einem Ereignis effizienter sein kann. Solange keine Menschenleben betroffen sind, muss «Vorbeugen» nicht immer billiger sein als «Heilen». Grundsätzlich sind in einer Risikoanalyse die Schadenarten zu berücksichtigen, die für die Entscheidung über die notwendigen Sicherheitsmassnahmen im konkreten Fall als massgebend erachtet werden. Der Schutz von Menschenleben hat dabei Vorrang, doch auch Infrastrukturen, Kulturgüter, politische Gemeinwesen und sozioökonomische Systeme müssen beachtet werden. Speziell bei diesen weisen die Erfahrungen der vergangenen Jahre darauf hin, dass deren Verletzlichkeit stark steigen kann und dies möglicherweise weit mehr zu einem Risikoanstieg beitragen dürfte als Veränderungen in den Gefährdungsszenarien und deren Intensität als Folge einer Klimaveränderung.

Das integrale Risikomanagement zielt darauf ab, risikomindernde Massnahmen entlang des gesamten Risikokreislaufs als gleichwertig zu betrachten. Dabei kommt Versicherungslösungen in der Instandstellungsphase eine wichtige Bedeutung zu (vgl. S. 23, «Was Versicherer aus Katastrophen lernen»). Leider ist es nach wie vor so, dass die Wirkungen der Schutzmassnahmen bezüglich Risikoreduktion bzw. der Gewinn an Sicherheit nur ansatzweise und häufig nur qualitativ erfasst werden können. Zudem wurden und werden Massnahmen oftmals unabhängig voneinander bzw. unkoordiniert geplant und umgesetzt.

Während mit präventiven Massnahmen vor allem die Verletzlichkeit von Personen und Sachwerten verringert werden soll, geht es bei Massnahmen in der Interventionsphase um eine Verbesserung der Resilienz. Resilienz bedeutet dabei die Fähigkeit eines geschädigten Systems, sich einer veränderten Situation anzupassen bzw. sich rasch wieder auf den Normalzustand zurückzubewegen. Im Gegensatz zur Präventionsphase, wo raumplanerische, technische, biologische und weitere sachbezogene Massnahmen getätigt werden, kommt in der Interventionsphase der Frühwarnung und Alarmierung und sowie den Einsatzkräften eine zentrale Rolle zu – der Feuerwehr, dem Zivilschutz, der Armee, der Polizei, der Sanität, den Spitälern und den technischen Diensten. Fehlentscheide und verzögerte Einsätze führen zu weiteren Schäden und Todesopfern, auch bei den Einsatzkräften selbst.

Den Willen zur ZUsammenarbeit stärken

Eine risikobasierte, integrale Massnahmenplanung ist ein wichtiger und anspruchsvoller Schritt im Umgang mit Risiken und Sicherheit, besonders wenn dieser Ansatz auch auf den Umgang mit der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ausgeweitet wird («One Health»-Ansatz). Das Konzept beruht darauf, dass alle Arten von Massnahmen konsequent aufgrund ihrer risikoreduzierenden Wirkung und nach dem gleichen methodischen Grundprinzip (Risikokonzept) beurteilt werden. Risikobeurteilung ist heute noch stark auf die Prävention ausgerichtet und schliesst die Beurteilung von Interventionsmassnahmen oft nicht ein. Allerdings muss gesagt sein, dass es für die risikobasierte Beurteilung der Wirkungsmechanismen von Interventionsmassnahmen wenig Erfahrungen, Grundlagen und Daten gibt. Zudem existieren klar abgegrenzte Zuständigkeitsbereiche für die Prävention auf der einen Seite und für die (humanitäre) Intervention und die Wiederinstandsetzung auf der anderen Seite, mit oft wenig Durchlässigkeit, Transparenz und Wille zur Zusammenarbeit. Humanitäre Hilfe ist nicht nachhaltig. Die Spendenabhängigkeit von Einzelpersonen, Institutionen und Regierungen führt zu vielen Partikulärinteressen, die einen effizienten Mitteleinsatz im Sinne des beschriebenen Risikokonzeptes kaum zulassen. Der stark politisch motivierte «Return on Donations» müsste vermehrt einem risikobasierten, Massnahmen optimierenden «Return on Investments» Platz machen. Entwicklungsgesellschaften und Entwicklungsbanken sind künftig stärker gefordert, ihre Bemühungen in der Prävention zu stärken und Risikotransfer-Lösungen zu unterstützen, die eine rasche Refinanzierung von Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen nach einer Katastrophe erlauben. Allenfalls liessen sich vermehrt hybride Systeme im Sinne der Public-Private-Partnership bzw. einer Public-Private-Donorship einsetzen, um die Effizienz der eingesetzten Mittel zu verbessern und mehr Anreize für eine Zusammenarbeit aller Beteiligten zu setzen.


Anmerkungen:
[01] Als Beispiel: Gemäss FAO wurden 2010 925 Mio. Hungerleidende gezählt – Tendenz steigend. Betroffen sind mittlerweile rund 15% der Weltbevölkerung. Allerdings wäre genügend nutzbare Landwirtschaftsfläche vorhanden, um die gesamte Weltbevölkerung ausreichend zu ernähren; fehlende Infrastrukturen bzw. der schlechte Zustand von Eisenbahnlinien, Strassen und Binnenhäfen und ungenügende Logistik spielen eine zentrale Rolle. Langfristige Investitionen in Infrastrukturen, aber auch kurzfristige Verbesserungen von bestehenden Logistikkonzepten sind nötig
[02] IDRC Davos 2012; www.idrc.info
[03] Bei den sogenannten NaTech-Katastrophen handelt es sich um Ereignisse, die primär eine naturbedingte Ursache haben – Erdbeben, Hurrikane, Überschwemmungen etc. – und zu Schäden an Bauwerken und Einrichtungen führen, von denen ihrerseits eine Gefährdung für Personen und Sachwerte ausgehen kann. Beispiele sind durch Erdbeben beschädigte Chemieanlagen oder Kernkraftwerke, die kaskadenartig zu weiteren Risiken und Schäden führen können. Eines der folgenreichsten Ereignisse mit dieser Art kaskadenartiger Effekte ist das Tohoku-Kanto-Erdbeben vom 11. März 2011 in Ostjapan

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