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08. November 2014Olga Grimm-Weissert
Neue Zürcher Zeitung

Grosse Sammlung unter einem Hut

Seit den 1980er Jahren litt das Musée d'Ethnographie de Genève (MEG) unter Platznot. Nun präsentiert es seine Sammlung sowie eine eindrückliche Ausstellung über Perus Moche-Könige in einem gelungenen Erweiterungsbau.

Seit den 1980er Jahren litt das Musée d'Ethnographie de Genève (MEG) unter Platznot. Nun präsentiert es seine Sammlung sowie eine eindrückliche Ausstellung über Perus Moche-Könige in einem gelungenen Erweiterungsbau.

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verknüpfte Bauwerke
Musée d'Ethnographie de Genève

29. Juli 2011Olga Grimm-Weissert
Neue Zürcher Zeitung

Von der Libelle zum Kristallglas

Olga Grimm-Weissert ⋅ Mit ihren geschwungenen Linien und ihren oft von der Tierwelt inspirierten Formen verkörpern René Laliques Schmuckkreationen den...

Olga Grimm-Weissert ⋅ Mit ihren geschwungenen Linien und ihren oft von der Tierwelt inspirierten Formen verkörpern René Laliques Schmuckkreationen den...

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21. Juni 2006Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Reliquien-Fisch und Ahnenkult

Entsprechend dem Wunsch von Jacques Chirac, der um jeden Preis ein Stammeskunstmuseum in Paris erbauen wollte, wurde das von Jean Nouvel konzipierte Musée du quai Branly gestern vom französischen Präsidenten eröffnet.

Entsprechend dem Wunsch von Jacques Chirac, der um jeden Preis ein Stammeskunstmuseum in Paris erbauen wollte, wurde das von Jean Nouvel konzipierte Musée du quai Branly gestern vom französischen Präsidenten eröffnet.

Das Musée du quai Branly - eine Mammutkonstruktion in unmittelbarer Nähe des Eiffelturms. Eine Institution mit Zukunft, die - neben dem ethnografischen Museum, der Pflege der Sammlungen, deren systematischer Restaurierung sowie Forschungstätigkeit - eine Art quicklebendiges Pompidou-Zentrum für außereuropäische Kulturen, mit Kino, Tanz und Musikveranstaltungen werden soll.

Jean Nouvels Bau ist in vieler Hinsicht eindrucksvoll: an der Nordseite, entlang der Seine (am quai Branly) steht eine 200 Meter lange und zwölf Meter hohe gebogene Glasmauer, die gegen Lärm schützt. Sie geht in eine „Vegetationsmauer“ über, die sich über ein Museumsbürohaus mit 800 Quadratmeter Grünpflanzen erstreckt. Ein Spezialpatent garantiert die immergrüne Vegetation dieses Hauses. Hinter der Glasmauer führt der Weg abwärts, unter das zentrale Museumsgebäude, das in einem 18.000 Quadratmeter großen Garten liegt. Das 220 Meter lange, auf Metallpfeilern stehende Hauptgebäude wirkt wegen seiner fast schwebenden Lage leicht.

In unregelmäßigen Abständen sind unterschiedlich große Kuben, die Architekt Nouvel „Schachteln“ nennt, in roten bis braunen Erdfarben, an der Nordfassade angebracht. In ihrem Inneren sind Ausstellungskabinette für bestimmte Sammelgebiete eingerichtet. Die durchaus diskutable Museografie erarbeiteten Architekt Nouvel und der Exdirektor des Centre Pompidou, Germain Viatte. Man kann den Herren nicht gerade gratulieren, denn die Hitze und der Geruch in diesen „Schachteln“ waren bereits vor der Publikumseröffnung am 23. 6. ziemlich unangenehm.

Der Museumskomplex mit seinen vier Gebäuden, die Restaurierung, Inventarisierung sowie numerische und fotografische Erfassung der 300.000 Objekte (wovon nur 3500 gezeigt werden) kostete insgesamt offiziell 232,5 Millionen Euro. Das 1998 bewilligte Budget wurde um 38,68 Prozent überschritten, und nicht um neun Prozent, wie das Pressematerial erklärt. Was für die Franzosen offensichtlich kein Problem darstellt. Der Wunsch des Präsidenten ist Befehl. Basta.

Das stellten auch etwa 200 wie verlorene Schafe im Halbdunkeln des Museums herumirrende Journalisten am Tag vor Chiracs Eröffnungsbesuch fest. Das zuständige Kuratorenpersonal oder sonstige Verantwortliche des Museums glänzten durch Abwesenheit. Nur Architekt Nouvel improvisierte eine Presserunde in der Eingangshalle.

Von dort steigt man über eine weiße, kurvige Rampe à la Guggenheim zur Ausstellungsfläche hinauf. Die Rampe umringt einen Glasturm, in dem die 9500 Musikinstrumente der Sammlung, auf sechs Stockwerke und 620 Quadratmeter verteilt, geordnet und nummeriert liegen.

„Niemandsland“

Die breite Rampe führt in ein schummriges Niemandsland, d. h. das eigentliche Museum, dessen 220 Meter lange Ausstellungsfläche auf ein Stockwerk konzentriert ist. Die Sonderausstellungen erreicht man dann über Treppen. Da die meist aus empfindlichen Materialien hergestellten Stammeskunstobjekte gegen Licht geschützt sein müssen, tappt das Publikum also ziemlich im Dunkeln.

Die präsentierte Sammlung ist etwas weniger spektakulär als erwartet und nur sehr summarisch beschrieben. Sie stammt aus Afrika, Ozeanien, Asien sowie Nord- und Südamerika. Im afrikanischen Teil, der mit 70.000 Objekten am besten bestückt ist, findet man z. B. Baoulé-Masken oder Ahnenkult-Statuen von der Elfenbeinkünste.

Im Ozeanien-Teil beeindruckt ein Reliquien-Fisch von der Santa-Ana-Insel: Ein ähnlicher Fisch wurde am Wochenende in Paris für 714.800 Euro versteigert. Kaum hat man ein kanadisches Objekt entdeckt, steht man auch schon vor einer anthropomorphen Statue mit Raubtierkopf aus Costa Rica (zirka 1000-1500) und wundert sich über das kunterbunte Gemisch. Als wäre wirklich wenig Platz für die Tribal Art, die doch der Grund für diesen aufwändigen Museumsbau war.

Drei verwirrende Sonderausstellungen verstärken den Eindruck, dass hier ein Museum errichtet wurde, das Spezialisten vorbehalten ist - das heißt: seiner eigentlichen Aufgabe vorläufig noch nicht gerecht wird.

Der Standard, Mi., 2006.06.21



verknüpfte Bauwerke
Musée du Quai Branly

23. Januar 2002Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Techno im Kuratorenparadies

Lionel Jospin eröffnete am Montag einen lebendigen und experimentellen Kunst-Supermarkt im rechten Flügel des Palais de Tokyo in Paris. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal entkernten das Art-déco-Gebäude.

Lionel Jospin eröffnete am Montag einen lebendigen und experimentellen Kunst-Supermarkt im rechten Flügel des Palais de Tokyo in Paris. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal entkernten das Art-déco-Gebäude.

Paris - Passend zum Webzeitalter heißt die neue Einrichtung für zeitgenössische Kunst im Palais de Tokyo „Site de création contemporaine“. Sämtliche künstlerische Ausdrucksformen, bildende Kunst, Videofilme und -spiele, Tanz, Performances und Mode bis hin zum asiatischen Lifestyle (z. B. einen Stand mit farbenfrohen Nutz- losigkeiten zum Einheits-ein-Euro-Preis) vereint die Site.

Eine riesige Ausstellungshalle, die nur durch eine Längswand unterteilt ist, sowie drei (offene) Säle und ein umfunktionierter Wandelgang im ersten Stock bieten gut 5000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

Ein Mäzen installierte Videoscreens, aus diskret angebrachten Lautsprechern tönt Musik. Österreichs Bauchklang-Gruppe produziert sich beim viertägigen Eröffnungsprogramm in den Abendstunden, die künftig Techno-Flair versprechen. Das Palais de Tokyo ist ab 29. Jänner täglich außer Montag von 12 bis 24 Uhr geöffnet. Eine Bar, ein (zukünftiges) Restaurant, eine Kunstbuchhandlung runden das Angebot ab.

Die beiden Direktoren, der Theoretiker Nicolas Bourriaud (36) und der Eventmacher Jérôme Sans (41), der bereits in der Wiener Secession und in Salzburg aktiv war, schwören auf ein Schlüsselwort, das sowohl architektonisch wie symbolisch als Konzept durchgezogen wird: Durchlässigkeit. Den Durchblick behindernde Mauern im späten Art-déco-Gebäude Palais de Tokyo (Weltausstellung 1937) wurden von den Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal (Café Una, Museumsquartier Wien) niedergerissen. Man gibt sich offen für alle(s).

Die ausgestellte „fragile“ Kunst ist international geprägt. Held der Eröffnungsschau ist Navin Rawanchaikul: Die Trennwand des Gebäudes wurde von ihm mit einer Plakatfiktion beklebt, auf der ein „Curatorman“, der am 22. 1 .2002 in Paris seine große Zeit erlebte, fünfzig Jahre später auf einen jungen Kunstmanager trifft, der ihn belehrt, dass alle Museen der Welt geschlossen sind und die Kunst nur noch Markt ist: ART = (M)ART. Die beiden Kunst(markt)helden stehen auch als Skulpturen vor einem wegen Kuratorenkrankheit geschlossenen Kunststandl.

Mit diesem Projekt kann nur jenes von Beat Streuli konkurrieren, der die schmalen, hohen Fenster im Eingangsbereich mit Porträtfotos beklebte. Eine umstrittene Ästhetik: Die Besucher brauchen Humor, denn das Gebäude, das immerhin für zirka 4,6 Millionen Euro umgebaut wurde, gleicht einer Baustelle.


Kooperation mit Wien

„Wir wollten lieber in Künstlerisches denn in geputzte Wände investieren“, verkünden die seit ihrer Nominierung vor zwei Jahren heftig attackierten Kuratoren. Trash, Chaos, Ephemeres, rasche Reaktion und kurzfristige Planung gehören zum Konzept ihres Kreativlabors, das mit der Kunsthalle Wien kooperieren wird.

Zeitgleich mit der großen Kunstmaschine wurde vorige Woche ein kleiner zeitgenössischer Kunstraum - Le Plateau - eröffnet, der auf eine lokale Bürgerinitiative zurückgeht. Dort ist die Kunst noch fragiler (bis unsichtbar, was nicht nur an den Kunstwelt-Menschenmassen lag), und der Ort wurde nach drei Tagen auch gleich wieder (bis März) geschlossen. Denn: (M)ART bedeutet Mammon.

Der Standard, Mi., 2002.01.23



verknüpfte Bauwerke
Palais de Tokyo

15. Dezember 2001Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Virtuell ist alles realisiert

Im Centre Georges Pompidou blickt Jean Nouvel auf sich selbst zurück: Er lädt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zu einer virtuellen Reise durch seine Ideen vom urbanen Raum.

Im Centre Georges Pompidou blickt Jean Nouvel auf sich selbst zurück: Er lädt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zu einer virtuellen Reise durch seine Ideen vom urbanen Raum.

Paris - Ein wie ein Regenbogen schillerndes Autoporträt präsentiert uns Jean Nouvel im Centre Georges Pompidou. Der Architekt als Stadtplaner, der konzeptuell und kontextuell vorgeht: „Keiner meiner Bauten ignoriert, wo er sich befindet“, lautet einer seiner zentralen Sätze. Auf 1100 Quadratmeter Ausstellungsfläche präsentiert sich der 57-Jährige auf unübliche, weil völlig virtuelle Weise:

Er projiziert Bilder seiner bloß angedachten, im Computer simulierten und nicht realisierten Projekte sowie der Architekturen, die in der Realisierungsphase bzw. im Bau sind. Zehn Gebäude, die in einem langen Saal in Realgröße als Diashow ablaufen, vermitteln die Illusion, sich im Inneren der Bauten zu bewegen.

„Indem man Architektur zeigt, begreift man die Materie, das Spiel des Lichts, die Nähe zum urbanen Kontext“, kommentiert Nouvel. Die von Georges Fessy fotografierten Ein-, Aus- und Anblicke beginnen mit dem Pariser Institut du Monde Arabe, zeigen die Lyoner Staatsoper, die Berliner Galeries Lafayette und natürlich den Wiener Gasometer.

Apropos Wien: Ein Gerücht geht um, dass Jean Nouvel an der Akademie zum Architekturprofessor ernannt werden könnte. Seine Antwort ist ein kategorisches „Bedaure, ich habe keine Zeit! Ich reise so viel in der Welt herum, dass ich in der restliche Zeit in meiner Pariser Agentur, wo derzeit mehr als 100 Leute arbeiten, die Projekte weiterbringen muss.“ Die Wiener müssen also noch warten, bis sie die hohe, massige, stets schwarz gekleidete Gestalt des charismatischen Glatzkopfes als Professor erleben können.


Show für alle

Die Pompidou-Kuratorin Chantal Béret definiert Nouvels Schau so: „Weder ausufernd noch objektiv noch retrospektiv noch didaktisch noch wissenschaftlich, wendet sich die Ausstellung nicht an die Eingeweihten: Erwarten Sie weder Pläne noch Modelle.“ Die Ausstellung präsentiert also nichts Abstraktes. Nouvel bricht - wie auch bei seinen Architekturen (und wie bereits das „neu“ in seinem Name ankündigt) - mit Standards, experimentiert, bringt Neues: bunt bewegtes Bildmaterial, kleine Filme auf Minibildschirmen (von Alain Fleischer gefilmt).

Selbstverständlich findet man seine (Bau-)Konstanten oder fixen Ideen wieder: Der Parcours ist dunkel, Licht und Farbe kommen nur durch die Projektionen oder die von hinten beleuchteten Diapositive in die Gänge. Gleich der erste Saal illustriert Nouvels Methode: ein relativ kleiner, quadratischer Raum mit schwarz spiegelndem Marmorboden, in dessen Wände große Dias mit 200 Projekten eingelassen sind. Ein Licht-Juwelen-Kaleidoskop, dessen Farbenfreude eine lebenslustige Begrüßung für die Besucher ist. Dessen glänzender Marmorboden jedoch diejenigen, die unter Schwindelgefühlen leiden, verunsichert.

Auf die Frage, ob er bewusst mit der Angst der Menschen spiele, nimmt Nouvel die nächste schon voraus und antwortet: „Wegen des Schwindelgefühls? Die Leute müssen ja nicht in meine Gebäude hineingehen, wenn ihnen das nicht behagt.“ Eine souveränere Replik wäre dem heurigen Preisträger des japanischen Praemium Imperiale würdiger gewesen. Aber sie entspricht auch dem, was in der Ausstellung illustriert wird: Jean Nouvel hat gern Recht. Deshalb demonstriert er auch im Centre Pompidou, inwiefern seine städteplanerischen Projekte, z. B. das von der Bibliothèque National de France bis zum Institut du Monde Arabe als „Seine Rive Gauche“ bezeichnete, mit Grünflächen kontextuell durchdachte Konzept, besser gewesen wäre als die Fleckerlteppichpraxis ohne jegliche Einheit, für die die Stadt Paris sich in den 90er-Jahren entschieden hat.

Unter den in der Planungsphase befindlichen Bauten lockt Nouvels (immer wiederkehrende) Idee eines endlosen Turms, den er nun an einem Kreisverkehr in Barcelona als „irisierenden Phallus“ bauen wird. Die Ausstellung wandert in den nächsten Jahren um die Welt.


[Bis 4. März 2002 ]

Der Standard, Sa., 2001.12.15

03. Januar 2000Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Politur eines Kulturjuwels

Das „Beaubourg“, wie das Centre Georges Pompidou genannt wird, zeigt sich 2000 im neuen Glanz: Um eine Milliarde Schilling wurde der Kulturtanker flott gemacht.

Das „Beaubourg“, wie das Centre Georges Pompidou genannt wird, zeigt sich 2000 im neuen Glanz: Um eine Milliarde Schilling wurde der Kulturtanker flott gemacht.

Am 1. Jänner 2000 um elf Uhr öffnete das rundum neu strukturierte Centre Georges Pompidou wiederum seine Pforten. Architekt Renzo Piano, der das 1977 eröffnete Centre gemeinsam mit Richard Rogers entworfen hatte, übernahm auch die Konzeption der Umbauten, die 1152 Milliarden Schilling kosteten und zwei Jahre dauerten, während derer das Centre seinen Betrieb teilweise aufrecht erhielt. Erst seit Sommer blieb das pluridisziplinäre Zentrum geschlossen.

Seine Wiedereröffnung am 1.1.2000 hatte Symbolwirkung für die Zukunftsorientierung im Sinne des „Beaubourg-Effektes“, wie Philosoph Jean Baudrillard den Erfolg des Centre einmal nannte. Das Centre Pompidou, nach der Straße an seiner Rückseite auch „Beaubourg“ genannt, erlangte weltweit Modellcharakter. Die Koexistenz des modernen Museums, des Centre de Création Industrielle, der zeitgenössischen Musik im IRCAM (Institut de Recherche et de Coordination Accoustique-Musique), einer Bibliothek mit freiem Zugang, die auch am Sonntag geöffnet ist, von Sälen für Tanz, Theater, Film oder Kolloquien ist eine Erfolgsformel.

Da aber statt der täglich erwarteten 5000 Zuschauer im Schnitt 25.000 das Pompidou besuchten, machten Abnützungserscheinungen Bauarbeiten erforderlich. Man benützte diese zu einer klareren Strukturierung der sechs Stockwerke.

Die Büros, ursprünglich nicht in den Räumen des Centre vorgesehen, wurden ausgegliedert, was sowohl der Bibliothek, die nun über zwei Stockwerke verteilt ist, wie auch dem Museum zugute kommt, das über zwei Stockwerke verfügt. Das Forum im Erdgeschoß, früher ein schwierig zu nützendes Loch, gewährt nun einen übersichtlichen Eingang. Die famose Rolltreppe an der Fassade, die einen herrlichen Blick auf Paris ermöglicht, ist nicht mehr kostenlos zu benützen, was die Touristen sicher ärgern wird. Auch die Öffnungszeiten wurden geändert: Man kann bereits ab elf Uhr, dafür aber nur noch bis 21 Uhr im „Beaubourg“ Kultur tanken.

Den Bühnenkünsten, die zuletzt unter akutem Budgetmangel litten und dementsprechend nicht mehr kreativ dem Zeitgeist Paroli boten, wird mit der neuen Beaubourg-Formel mehr Platz eingeräumt, budgetär wie räumlich. Werner Spies, seit zwei Jahren Direktor des, wie er meint, „virtuellen Museums“, da es seit seinem Amtsantritt nur auf Sparflamme mit kleinen Ausstellungen funktionierte, ist sehr zufrieden mit seinen neuen Räumen und der „offenen Hängung“ der Werke. Er konfrontierte z. B. Bacon mit Giacometti, was er den „Dialog“ zwischen zwei Jahrhundert-Künstlern nennt.

Als Verantwortlicher des Werkverzeichnisses von Max Ernst räumte der deutsche Kunsthistoriker und Ex-FAZ-Redakteur Ernst einen privilegierten Platz ein. Pikanterweise haben die französischen Gewerkschaften gleich für den Eröffnungstag einen Streik angesagt: Das Aufsichtspersonal des Centre ist mit seinen Arbeitszeiten nicht zufrieden und fühlt sich von den jeweiligen Direktoren missachtet, „die die Leitung von Beaubourg nur als Trittbrett für eine lukrativere Karriereleiter benützen, ohne sich um die Kontinuität zu scheren“.

Die erste große Ausstellung, Le temps, vite (Die Zeit, schnell), wird am 13. Jänner eröffnet und die Probe aufs Exempel werden, ob der derzeitige Präsident des Centre, Jean-Jacques Aillagon, der mehr Einfluss auf die Programmierung hat als seine Vorgänger, mit den Marksteine setzenden Ausstellungen der 80er Schritt halten kann.

Der Standard, Mo., 2000.01.03



verknüpfte Bauwerke
Centre Pompidou

28. Dezember 1999Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Im Glasschatzhaus der Kunstzeitalter

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac möchte seinem Vorgänger Mitterrand nacheifern, indem er einen architektonischen Markstein setzt: das künftige Museum der Künste und Zivilisationen (Musée des arts et civilisations) am Quai Branly, ganz nahe dem Eiffelturm.

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac möchte seinem Vorgänger Mitterrand nacheifern, indem er einen architektonischen Markstein setzt: das künftige Museum der Künste und Zivilisationen (Musée des arts et civilisations) am Quai Branly, ganz nahe dem Eiffelturm.

Nach Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs wurde der französische Stararchitekt Jean Nouvel mit dem Bau beauftragt. 14 Tage nachdem Nouvel den Wettbewerb für den Ausbau des Madrider Museums Reina Sofia gewonnen hatte, kürte eine Jury das durch Grünflächen luftig erweiterte Museumsprojekt des 55-jährigen Franzosen.

Die Bauarbeiten, für die umgerechnet 2,2 Milliarden Schilling vorgesehen sind, sollen 2001 beginnen; die Eröffnung des Museums ist für 2004 vorgesehen. Nouvels preisgekröntes Projekt sieht zum Quai Branly hin eine seiner erprobten Glaswände vor, auf die er Bäume serigraphieren lässt, um der Ökologie zu genügen. Auch soll die Glasfront den Straßenlärm abwehren. Hinter der Wand pflanzt Gartenarchitekt Gilles Clément hohe Eichen, die die Besucher in andere Welten versetzen. In einer Stahl- und Glaspassage wird man mit den ersten Objekten konfrontiert.

Jean Nouvel wählte dunkles Holz, Stuck, Stahl und Glas, gedeckte Farben wie Ocker, Dunkelbraun und Schwarz, um die Präsenz ferner „Kulturen“ physisch spürbar zu machen. Insgesamt verfügt Nouvel über 2,5 Hektar Gesamtfläche, wovon auf den Museumsbau 30.000 Quadratmeter entfallen, 7500 Quadratmeter auf Grünflächen vor und hinter dem Gebäude.


Vier Kulturkreise

Das Musée des arts et civilisations, derzeit auch Musée du Quai Branly genannt, soll vier Kulturkreise thematisieren: Afrika, Nord- und Südamerika, Ozeanien. Seine Aufgaben (sowie seine Finanzierung, Leitung und politische Strukturierung) schließen traditionelle Museumsarbeit (Konservierung und Pflege der Sammlungen, Ausstellungen auf den 2000 Quadratmetern im Untergeschoß) und Forschungsarbeit ein. Das Kultur-und das Unterrichtsministerium teilen sich die Gesamtkosten zu gleichen Teilen. Die Wahl einer Mediathek, eines Auditoriums, aber auch eines Restaurants in einem abgeflachten Kuppelbau sind die logische Konsequenz dieser Doppelfunktion.

Die baulichen Vorgaben für das Museum wurden unter der Leitung des 43-jährigen Generaldirektors Stéphane Martin gemeinsam mit Kurator Germain Viatte und dem Ethnologen Maurice Godelier erarbeitet. Martin, der 2000 über ein Jahresbudget von 42 Millionen Schilling disponiert, stellte auch die Jury zusammen, die er präsidierte und deren Wahl er „seinem“ Präsidenten Chirac vorlegte, der sie genehmigte.

Die politische Konstellation an der Spitze des Teams ist proporzgemäß: Martin und Viatte sind Mannen von Chirac, Godelier, den Unterrichtsminister Claude Allègre ernannte, sowie Nouvel sind Sozialisten.

Dem Museumsprojekt ging eine langjährige und für Frankreich ziemlich heftige Polemik voraus. Die Ursprungsidee eines schicken Völkerkundemuseums geht auf Chirac-Intimus Jacques Kerchache zurück. Da Kerchache Händler und Sammler war, kam sofort der Verdacht auf, er würde seine höchstpersönlichen Interessen via Präsident vertreten.

Seit der Ernennung von Stéphane Martin vor einem Jahr glätteten sich die Wogen. Derzeit bereitet Kerchache einen „Ableger“ des zukünftigen Museums im Louvre vor, wo 140 von ihm ausgesuchte Objekte aus den staatlichen Sammlungen des Musée de l'Homme bzw. dem Musée national des Arts d'Afrique et d'Océanie ab April 2000 ausgestellt werden. Da er die mit 300 Millionen Schilling veranschlagten Ankäufe für die Sammlung des Musée du Quai Branly ohne Funktion „überwacht“, nennt ihn Stéphan Martin den „politischen Pfadfinder der Ankäufe“.

Der Standard, Di., 1999.12.28

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Presseschau 12

08. November 2014Olga Grimm-Weissert
Neue Zürcher Zeitung

Grosse Sammlung unter einem Hut

Seit den 1980er Jahren litt das Musée d'Ethnographie de Genève (MEG) unter Platznot. Nun präsentiert es seine Sammlung sowie eine eindrückliche Ausstellung über Perus Moche-Könige in einem gelungenen Erweiterungsbau.

Seit den 1980er Jahren litt das Musée d'Ethnographie de Genève (MEG) unter Platznot. Nun präsentiert es seine Sammlung sowie eine eindrückliche Ausstellung über Perus Moche-Könige in einem gelungenen Erweiterungsbau.

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Musée d'Ethnographie de Genève

29. Juli 2011Olga Grimm-Weissert
Neue Zürcher Zeitung

Von der Libelle zum Kristallglas

Olga Grimm-Weissert ⋅ Mit ihren geschwungenen Linien und ihren oft von der Tierwelt inspirierten Formen verkörpern René Laliques Schmuckkreationen den...

Olga Grimm-Weissert ⋅ Mit ihren geschwungenen Linien und ihren oft von der Tierwelt inspirierten Formen verkörpern René Laliques Schmuckkreationen den...

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21. Juni 2006Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Reliquien-Fisch und Ahnenkult

Entsprechend dem Wunsch von Jacques Chirac, der um jeden Preis ein Stammeskunstmuseum in Paris erbauen wollte, wurde das von Jean Nouvel konzipierte Musée du quai Branly gestern vom französischen Präsidenten eröffnet.

Entsprechend dem Wunsch von Jacques Chirac, der um jeden Preis ein Stammeskunstmuseum in Paris erbauen wollte, wurde das von Jean Nouvel konzipierte Musée du quai Branly gestern vom französischen Präsidenten eröffnet.

Das Musée du quai Branly - eine Mammutkonstruktion in unmittelbarer Nähe des Eiffelturms. Eine Institution mit Zukunft, die - neben dem ethnografischen Museum, der Pflege der Sammlungen, deren systematischer Restaurierung sowie Forschungstätigkeit - eine Art quicklebendiges Pompidou-Zentrum für außereuropäische Kulturen, mit Kino, Tanz und Musikveranstaltungen werden soll.

Jean Nouvels Bau ist in vieler Hinsicht eindrucksvoll: an der Nordseite, entlang der Seine (am quai Branly) steht eine 200 Meter lange und zwölf Meter hohe gebogene Glasmauer, die gegen Lärm schützt. Sie geht in eine „Vegetationsmauer“ über, die sich über ein Museumsbürohaus mit 800 Quadratmeter Grünpflanzen erstreckt. Ein Spezialpatent garantiert die immergrüne Vegetation dieses Hauses. Hinter der Glasmauer führt der Weg abwärts, unter das zentrale Museumsgebäude, das in einem 18.000 Quadratmeter großen Garten liegt. Das 220 Meter lange, auf Metallpfeilern stehende Hauptgebäude wirkt wegen seiner fast schwebenden Lage leicht.

In unregelmäßigen Abständen sind unterschiedlich große Kuben, die Architekt Nouvel „Schachteln“ nennt, in roten bis braunen Erdfarben, an der Nordfassade angebracht. In ihrem Inneren sind Ausstellungskabinette für bestimmte Sammelgebiete eingerichtet. Die durchaus diskutable Museografie erarbeiteten Architekt Nouvel und der Exdirektor des Centre Pompidou, Germain Viatte. Man kann den Herren nicht gerade gratulieren, denn die Hitze und der Geruch in diesen „Schachteln“ waren bereits vor der Publikumseröffnung am 23. 6. ziemlich unangenehm.

Der Museumskomplex mit seinen vier Gebäuden, die Restaurierung, Inventarisierung sowie numerische und fotografische Erfassung der 300.000 Objekte (wovon nur 3500 gezeigt werden) kostete insgesamt offiziell 232,5 Millionen Euro. Das 1998 bewilligte Budget wurde um 38,68 Prozent überschritten, und nicht um neun Prozent, wie das Pressematerial erklärt. Was für die Franzosen offensichtlich kein Problem darstellt. Der Wunsch des Präsidenten ist Befehl. Basta.

Das stellten auch etwa 200 wie verlorene Schafe im Halbdunkeln des Museums herumirrende Journalisten am Tag vor Chiracs Eröffnungsbesuch fest. Das zuständige Kuratorenpersonal oder sonstige Verantwortliche des Museums glänzten durch Abwesenheit. Nur Architekt Nouvel improvisierte eine Presserunde in der Eingangshalle.

Von dort steigt man über eine weiße, kurvige Rampe à la Guggenheim zur Ausstellungsfläche hinauf. Die Rampe umringt einen Glasturm, in dem die 9500 Musikinstrumente der Sammlung, auf sechs Stockwerke und 620 Quadratmeter verteilt, geordnet und nummeriert liegen.

„Niemandsland“

Die breite Rampe führt in ein schummriges Niemandsland, d. h. das eigentliche Museum, dessen 220 Meter lange Ausstellungsfläche auf ein Stockwerk konzentriert ist. Die Sonderausstellungen erreicht man dann über Treppen. Da die meist aus empfindlichen Materialien hergestellten Stammeskunstobjekte gegen Licht geschützt sein müssen, tappt das Publikum also ziemlich im Dunkeln.

Die präsentierte Sammlung ist etwas weniger spektakulär als erwartet und nur sehr summarisch beschrieben. Sie stammt aus Afrika, Ozeanien, Asien sowie Nord- und Südamerika. Im afrikanischen Teil, der mit 70.000 Objekten am besten bestückt ist, findet man z. B. Baoulé-Masken oder Ahnenkult-Statuen von der Elfenbeinkünste.

Im Ozeanien-Teil beeindruckt ein Reliquien-Fisch von der Santa-Ana-Insel: Ein ähnlicher Fisch wurde am Wochenende in Paris für 714.800 Euro versteigert. Kaum hat man ein kanadisches Objekt entdeckt, steht man auch schon vor einer anthropomorphen Statue mit Raubtierkopf aus Costa Rica (zirka 1000-1500) und wundert sich über das kunterbunte Gemisch. Als wäre wirklich wenig Platz für die Tribal Art, die doch der Grund für diesen aufwändigen Museumsbau war.

Drei verwirrende Sonderausstellungen verstärken den Eindruck, dass hier ein Museum errichtet wurde, das Spezialisten vorbehalten ist - das heißt: seiner eigentlichen Aufgabe vorläufig noch nicht gerecht wird.

Der Standard, Mi., 2006.06.21



verknüpfte Bauwerke
Musée du Quai Branly

23. Januar 2002Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Techno im Kuratorenparadies

Lionel Jospin eröffnete am Montag einen lebendigen und experimentellen Kunst-Supermarkt im rechten Flügel des Palais de Tokyo in Paris. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal entkernten das Art-déco-Gebäude.

Lionel Jospin eröffnete am Montag einen lebendigen und experimentellen Kunst-Supermarkt im rechten Flügel des Palais de Tokyo in Paris. Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal entkernten das Art-déco-Gebäude.

Paris - Passend zum Webzeitalter heißt die neue Einrichtung für zeitgenössische Kunst im Palais de Tokyo „Site de création contemporaine“. Sämtliche künstlerische Ausdrucksformen, bildende Kunst, Videofilme und -spiele, Tanz, Performances und Mode bis hin zum asiatischen Lifestyle (z. B. einen Stand mit farbenfrohen Nutz- losigkeiten zum Einheits-ein-Euro-Preis) vereint die Site.

Eine riesige Ausstellungshalle, die nur durch eine Längswand unterteilt ist, sowie drei (offene) Säle und ein umfunktionierter Wandelgang im ersten Stock bieten gut 5000 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

Ein Mäzen installierte Videoscreens, aus diskret angebrachten Lautsprechern tönt Musik. Österreichs Bauchklang-Gruppe produziert sich beim viertägigen Eröffnungsprogramm in den Abendstunden, die künftig Techno-Flair versprechen. Das Palais de Tokyo ist ab 29. Jänner täglich außer Montag von 12 bis 24 Uhr geöffnet. Eine Bar, ein (zukünftiges) Restaurant, eine Kunstbuchhandlung runden das Angebot ab.

Die beiden Direktoren, der Theoretiker Nicolas Bourriaud (36) und der Eventmacher Jérôme Sans (41), der bereits in der Wiener Secession und in Salzburg aktiv war, schwören auf ein Schlüsselwort, das sowohl architektonisch wie symbolisch als Konzept durchgezogen wird: Durchlässigkeit. Den Durchblick behindernde Mauern im späten Art-déco-Gebäude Palais de Tokyo (Weltausstellung 1937) wurden von den Architekten Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal (Café Una, Museumsquartier Wien) niedergerissen. Man gibt sich offen für alle(s).

Die ausgestellte „fragile“ Kunst ist international geprägt. Held der Eröffnungsschau ist Navin Rawanchaikul: Die Trennwand des Gebäudes wurde von ihm mit einer Plakatfiktion beklebt, auf der ein „Curatorman“, der am 22. 1 .2002 in Paris seine große Zeit erlebte, fünfzig Jahre später auf einen jungen Kunstmanager trifft, der ihn belehrt, dass alle Museen der Welt geschlossen sind und die Kunst nur noch Markt ist: ART = (M)ART. Die beiden Kunst(markt)helden stehen auch als Skulpturen vor einem wegen Kuratorenkrankheit geschlossenen Kunststandl.

Mit diesem Projekt kann nur jenes von Beat Streuli konkurrieren, der die schmalen, hohen Fenster im Eingangsbereich mit Porträtfotos beklebte. Eine umstrittene Ästhetik: Die Besucher brauchen Humor, denn das Gebäude, das immerhin für zirka 4,6 Millionen Euro umgebaut wurde, gleicht einer Baustelle.


Kooperation mit Wien

„Wir wollten lieber in Künstlerisches denn in geputzte Wände investieren“, verkünden die seit ihrer Nominierung vor zwei Jahren heftig attackierten Kuratoren. Trash, Chaos, Ephemeres, rasche Reaktion und kurzfristige Planung gehören zum Konzept ihres Kreativlabors, das mit der Kunsthalle Wien kooperieren wird.

Zeitgleich mit der großen Kunstmaschine wurde vorige Woche ein kleiner zeitgenössischer Kunstraum - Le Plateau - eröffnet, der auf eine lokale Bürgerinitiative zurückgeht. Dort ist die Kunst noch fragiler (bis unsichtbar, was nicht nur an den Kunstwelt-Menschenmassen lag), und der Ort wurde nach drei Tagen auch gleich wieder (bis März) geschlossen. Denn: (M)ART bedeutet Mammon.

Der Standard, Mi., 2002.01.23



verknüpfte Bauwerke
Palais de Tokyo

15. Dezember 2001Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Virtuell ist alles realisiert

Im Centre Georges Pompidou blickt Jean Nouvel auf sich selbst zurück: Er lädt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zu einer virtuellen Reise durch seine Ideen vom urbanen Raum.

Im Centre Georges Pompidou blickt Jean Nouvel auf sich selbst zurück: Er lädt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, zu einer virtuellen Reise durch seine Ideen vom urbanen Raum.

Paris - Ein wie ein Regenbogen schillerndes Autoporträt präsentiert uns Jean Nouvel im Centre Georges Pompidou. Der Architekt als Stadtplaner, der konzeptuell und kontextuell vorgeht: „Keiner meiner Bauten ignoriert, wo er sich befindet“, lautet einer seiner zentralen Sätze. Auf 1100 Quadratmeter Ausstellungsfläche präsentiert sich der 57-Jährige auf unübliche, weil völlig virtuelle Weise:

Er projiziert Bilder seiner bloß angedachten, im Computer simulierten und nicht realisierten Projekte sowie der Architekturen, die in der Realisierungsphase bzw. im Bau sind. Zehn Gebäude, die in einem langen Saal in Realgröße als Diashow ablaufen, vermitteln die Illusion, sich im Inneren der Bauten zu bewegen.

„Indem man Architektur zeigt, begreift man die Materie, das Spiel des Lichts, die Nähe zum urbanen Kontext“, kommentiert Nouvel. Die von Georges Fessy fotografierten Ein-, Aus- und Anblicke beginnen mit dem Pariser Institut du Monde Arabe, zeigen die Lyoner Staatsoper, die Berliner Galeries Lafayette und natürlich den Wiener Gasometer.

Apropos Wien: Ein Gerücht geht um, dass Jean Nouvel an der Akademie zum Architekturprofessor ernannt werden könnte. Seine Antwort ist ein kategorisches „Bedaure, ich habe keine Zeit! Ich reise so viel in der Welt herum, dass ich in der restliche Zeit in meiner Pariser Agentur, wo derzeit mehr als 100 Leute arbeiten, die Projekte weiterbringen muss.“ Die Wiener müssen also noch warten, bis sie die hohe, massige, stets schwarz gekleidete Gestalt des charismatischen Glatzkopfes als Professor erleben können.


Show für alle

Die Pompidou-Kuratorin Chantal Béret definiert Nouvels Schau so: „Weder ausufernd noch objektiv noch retrospektiv noch didaktisch noch wissenschaftlich, wendet sich die Ausstellung nicht an die Eingeweihten: Erwarten Sie weder Pläne noch Modelle.“ Die Ausstellung präsentiert also nichts Abstraktes. Nouvel bricht - wie auch bei seinen Architekturen (und wie bereits das „neu“ in seinem Name ankündigt) - mit Standards, experimentiert, bringt Neues: bunt bewegtes Bildmaterial, kleine Filme auf Minibildschirmen (von Alain Fleischer gefilmt).

Selbstverständlich findet man seine (Bau-)Konstanten oder fixen Ideen wieder: Der Parcours ist dunkel, Licht und Farbe kommen nur durch die Projektionen oder die von hinten beleuchteten Diapositive in die Gänge. Gleich der erste Saal illustriert Nouvels Methode: ein relativ kleiner, quadratischer Raum mit schwarz spiegelndem Marmorboden, in dessen Wände große Dias mit 200 Projekten eingelassen sind. Ein Licht-Juwelen-Kaleidoskop, dessen Farbenfreude eine lebenslustige Begrüßung für die Besucher ist. Dessen glänzender Marmorboden jedoch diejenigen, die unter Schwindelgefühlen leiden, verunsichert.

Auf die Frage, ob er bewusst mit der Angst der Menschen spiele, nimmt Nouvel die nächste schon voraus und antwortet: „Wegen des Schwindelgefühls? Die Leute müssen ja nicht in meine Gebäude hineingehen, wenn ihnen das nicht behagt.“ Eine souveränere Replik wäre dem heurigen Preisträger des japanischen Praemium Imperiale würdiger gewesen. Aber sie entspricht auch dem, was in der Ausstellung illustriert wird: Jean Nouvel hat gern Recht. Deshalb demonstriert er auch im Centre Pompidou, inwiefern seine städteplanerischen Projekte, z. B. das von der Bibliothèque National de France bis zum Institut du Monde Arabe als „Seine Rive Gauche“ bezeichnete, mit Grünflächen kontextuell durchdachte Konzept, besser gewesen wäre als die Fleckerlteppichpraxis ohne jegliche Einheit, für die die Stadt Paris sich in den 90er-Jahren entschieden hat.

Unter den in der Planungsphase befindlichen Bauten lockt Nouvels (immer wiederkehrende) Idee eines endlosen Turms, den er nun an einem Kreisverkehr in Barcelona als „irisierenden Phallus“ bauen wird. Die Ausstellung wandert in den nächsten Jahren um die Welt.


[Bis 4. März 2002 ]

Der Standard, Sa., 2001.12.15

03. Januar 2000Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Politur eines Kulturjuwels

Das „Beaubourg“, wie das Centre Georges Pompidou genannt wird, zeigt sich 2000 im neuen Glanz: Um eine Milliarde Schilling wurde der Kulturtanker flott gemacht.

Das „Beaubourg“, wie das Centre Georges Pompidou genannt wird, zeigt sich 2000 im neuen Glanz: Um eine Milliarde Schilling wurde der Kulturtanker flott gemacht.

Am 1. Jänner 2000 um elf Uhr öffnete das rundum neu strukturierte Centre Georges Pompidou wiederum seine Pforten. Architekt Renzo Piano, der das 1977 eröffnete Centre gemeinsam mit Richard Rogers entworfen hatte, übernahm auch die Konzeption der Umbauten, die 1152 Milliarden Schilling kosteten und zwei Jahre dauerten, während derer das Centre seinen Betrieb teilweise aufrecht erhielt. Erst seit Sommer blieb das pluridisziplinäre Zentrum geschlossen.

Seine Wiedereröffnung am 1.1.2000 hatte Symbolwirkung für die Zukunftsorientierung im Sinne des „Beaubourg-Effektes“, wie Philosoph Jean Baudrillard den Erfolg des Centre einmal nannte. Das Centre Pompidou, nach der Straße an seiner Rückseite auch „Beaubourg“ genannt, erlangte weltweit Modellcharakter. Die Koexistenz des modernen Museums, des Centre de Création Industrielle, der zeitgenössischen Musik im IRCAM (Institut de Recherche et de Coordination Accoustique-Musique), einer Bibliothek mit freiem Zugang, die auch am Sonntag geöffnet ist, von Sälen für Tanz, Theater, Film oder Kolloquien ist eine Erfolgsformel.

Da aber statt der täglich erwarteten 5000 Zuschauer im Schnitt 25.000 das Pompidou besuchten, machten Abnützungserscheinungen Bauarbeiten erforderlich. Man benützte diese zu einer klareren Strukturierung der sechs Stockwerke.

Die Büros, ursprünglich nicht in den Räumen des Centre vorgesehen, wurden ausgegliedert, was sowohl der Bibliothek, die nun über zwei Stockwerke verteilt ist, wie auch dem Museum zugute kommt, das über zwei Stockwerke verfügt. Das Forum im Erdgeschoß, früher ein schwierig zu nützendes Loch, gewährt nun einen übersichtlichen Eingang. Die famose Rolltreppe an der Fassade, die einen herrlichen Blick auf Paris ermöglicht, ist nicht mehr kostenlos zu benützen, was die Touristen sicher ärgern wird. Auch die Öffnungszeiten wurden geändert: Man kann bereits ab elf Uhr, dafür aber nur noch bis 21 Uhr im „Beaubourg“ Kultur tanken.

Den Bühnenkünsten, die zuletzt unter akutem Budgetmangel litten und dementsprechend nicht mehr kreativ dem Zeitgeist Paroli boten, wird mit der neuen Beaubourg-Formel mehr Platz eingeräumt, budgetär wie räumlich. Werner Spies, seit zwei Jahren Direktor des, wie er meint, „virtuellen Museums“, da es seit seinem Amtsantritt nur auf Sparflamme mit kleinen Ausstellungen funktionierte, ist sehr zufrieden mit seinen neuen Räumen und der „offenen Hängung“ der Werke. Er konfrontierte z. B. Bacon mit Giacometti, was er den „Dialog“ zwischen zwei Jahrhundert-Künstlern nennt.

Als Verantwortlicher des Werkverzeichnisses von Max Ernst räumte der deutsche Kunsthistoriker und Ex-FAZ-Redakteur Ernst einen privilegierten Platz ein. Pikanterweise haben die französischen Gewerkschaften gleich für den Eröffnungstag einen Streik angesagt: Das Aufsichtspersonal des Centre ist mit seinen Arbeitszeiten nicht zufrieden und fühlt sich von den jeweiligen Direktoren missachtet, „die die Leitung von Beaubourg nur als Trittbrett für eine lukrativere Karriereleiter benützen, ohne sich um die Kontinuität zu scheren“.

Die erste große Ausstellung, Le temps, vite (Die Zeit, schnell), wird am 13. Jänner eröffnet und die Probe aufs Exempel werden, ob der derzeitige Präsident des Centre, Jean-Jacques Aillagon, der mehr Einfluss auf die Programmierung hat als seine Vorgänger, mit den Marksteine setzenden Ausstellungen der 80er Schritt halten kann.

Der Standard, Mo., 2000.01.03



verknüpfte Bauwerke
Centre Pompidou

28. Dezember 1999Olga Grimm-Weissert
Der Standard

Im Glasschatzhaus der Kunstzeitalter

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac möchte seinem Vorgänger Mitterrand nacheifern, indem er einen architektonischen Markstein setzt: das künftige Museum der Künste und Zivilisationen (Musée des arts et civilisations) am Quai Branly, ganz nahe dem Eiffelturm.

Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac möchte seinem Vorgänger Mitterrand nacheifern, indem er einen architektonischen Markstein setzt: das künftige Museum der Künste und Zivilisationen (Musée des arts et civilisations) am Quai Branly, ganz nahe dem Eiffelturm.

Nach Ausschreibung eines internationalen Architekturwettbewerbs wurde der französische Stararchitekt Jean Nouvel mit dem Bau beauftragt. 14 Tage nachdem Nouvel den Wettbewerb für den Ausbau des Madrider Museums Reina Sofia gewonnen hatte, kürte eine Jury das durch Grünflächen luftig erweiterte Museumsprojekt des 55-jährigen Franzosen.

Die Bauarbeiten, für die umgerechnet 2,2 Milliarden Schilling vorgesehen sind, sollen 2001 beginnen; die Eröffnung des Museums ist für 2004 vorgesehen. Nouvels preisgekröntes Projekt sieht zum Quai Branly hin eine seiner erprobten Glaswände vor, auf die er Bäume serigraphieren lässt, um der Ökologie zu genügen. Auch soll die Glasfront den Straßenlärm abwehren. Hinter der Wand pflanzt Gartenarchitekt Gilles Clément hohe Eichen, die die Besucher in andere Welten versetzen. In einer Stahl- und Glaspassage wird man mit den ersten Objekten konfrontiert.

Jean Nouvel wählte dunkles Holz, Stuck, Stahl und Glas, gedeckte Farben wie Ocker, Dunkelbraun und Schwarz, um die Präsenz ferner „Kulturen“ physisch spürbar zu machen. Insgesamt verfügt Nouvel über 2,5 Hektar Gesamtfläche, wovon auf den Museumsbau 30.000 Quadratmeter entfallen, 7500 Quadratmeter auf Grünflächen vor und hinter dem Gebäude.


Vier Kulturkreise

Das Musée des arts et civilisations, derzeit auch Musée du Quai Branly genannt, soll vier Kulturkreise thematisieren: Afrika, Nord- und Südamerika, Ozeanien. Seine Aufgaben (sowie seine Finanzierung, Leitung und politische Strukturierung) schließen traditionelle Museumsarbeit (Konservierung und Pflege der Sammlungen, Ausstellungen auf den 2000 Quadratmetern im Untergeschoß) und Forschungsarbeit ein. Das Kultur-und das Unterrichtsministerium teilen sich die Gesamtkosten zu gleichen Teilen. Die Wahl einer Mediathek, eines Auditoriums, aber auch eines Restaurants in einem abgeflachten Kuppelbau sind die logische Konsequenz dieser Doppelfunktion.

Die baulichen Vorgaben für das Museum wurden unter der Leitung des 43-jährigen Generaldirektors Stéphane Martin gemeinsam mit Kurator Germain Viatte und dem Ethnologen Maurice Godelier erarbeitet. Martin, der 2000 über ein Jahresbudget von 42 Millionen Schilling disponiert, stellte auch die Jury zusammen, die er präsidierte und deren Wahl er „seinem“ Präsidenten Chirac vorlegte, der sie genehmigte.

Die politische Konstellation an der Spitze des Teams ist proporzgemäß: Martin und Viatte sind Mannen von Chirac, Godelier, den Unterrichtsminister Claude Allègre ernannte, sowie Nouvel sind Sozialisten.

Dem Museumsprojekt ging eine langjährige und für Frankreich ziemlich heftige Polemik voraus. Die Ursprungsidee eines schicken Völkerkundemuseums geht auf Chirac-Intimus Jacques Kerchache zurück. Da Kerchache Händler und Sammler war, kam sofort der Verdacht auf, er würde seine höchstpersönlichen Interessen via Präsident vertreten.

Seit der Ernennung von Stéphane Martin vor einem Jahr glätteten sich die Wogen. Derzeit bereitet Kerchache einen „Ableger“ des zukünftigen Museums im Louvre vor, wo 140 von ihm ausgesuchte Objekte aus den staatlichen Sammlungen des Musée de l'Homme bzw. dem Musée national des Arts d'Afrique et d'Océanie ab April 2000 ausgestellt werden. Da er die mit 300 Millionen Schilling veranschlagten Ankäufe für die Sammlung des Musée du Quai Branly ohne Funktion „überwacht“, nennt ihn Stéphan Martin den „politischen Pfadfinder der Ankäufe“.

Der Standard, Di., 1999.12.28

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