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06. Februar 2004Verena Mayer
Der Standard

Kein Stein auf dem anderen

Der italienische Architekt Fabio Novembre gestaltete in Berlin für Bisazza - Marktführer in Sachen Mosaik - einen Schauraum ohne Einrichtung, der vor allem Vergänglichkeit veranschaulichen soll

Der italienische Architekt Fabio Novembre gestaltete in Berlin für Bisazza - Marktführer in Sachen Mosaik - einen Schauraum ohne Einrichtung, der vor allem Vergänglichkeit veranschaulichen soll

Eine Stadt in der Warteschleife. Man hat sich in Berlin damit abgefunden, dass aus den hochtrabenden Plänen nichts geworden ist, und kann doch nicht aufhören zu hoffen, dass noch irgendetwas nachkommt. Hauptsache, man harrt lange genug aus. Nirgendwo ist dieses Gefühl stärker zu spüren als im alten Berliner Westen, zwischen Kurfürstendamm und Savignyplatz, dort, wo sich seit den 80er-Jahren nicht einmal die Namen der Kneipen verändert haben, geschweige denn das Publikum.

Hier bildet die Kantstraße eine Achse des gelebten Stillstandes, den Anfang macht die Paris Bar mit ihren Bohemiens, die seit Jahrzehnten in die Gläser starren und vom großen Durchbruch träumen, mögen die Haare inzwischen auch grau geworden sein und die Gesichter faltig. Am anderen Ende der Kantstraße hat noch immer Zweitausendeins seine Filiale, der Lieblingsbuchversand der 68er-Bewegung, der die Vergänglichkeit seiner Visionen schon im Namen trägt.

So wundert es einen nicht, wenn man in der Kantstraße folgende Worte liest: „Wohin gehen wir?/ Nicht weit./ Doch, doch, lass uns doch weit weggehen von hier./ Wir können nicht./ Warum nicht?/ Wir müssen morgen wiederkommen./ Warum?/ Um auf Godot zu warten.“ Es ist dies der letzte Dialog zwischen Wladimir und Estragon, und diese Sätze bilden, wenngleich in der Originalsprache, das Herzstück eines neuen Showrooms des italienischen Mosaikherstellers Bisazza.

Becketts Text ist wie alles in diesem Raum aus Mosaiksteinchen zusammengesetzt, die Worte sind in Weiß und Gold auf schwarzen Grund geschrieben, sie beginnen oben an einer Wand und laufen dann über Boden und Treppen hinab ins Untergeschoß. Er habe unweigerlich an „Warten auf Godot“ denken müssen, wenn er an Berlin gedacht habe, sagte der italienische Architekt Fabio Novembre, der den Showroom entworfen hat. Und so hat der Raum mehr von einer Wartehalle als von einem Geschäftslokal, das zur kostspieligen Badezimmergestaltung anregen soll.

Eine Wand geht in eine steinerne Bank über, sonst gibt es, bis auf ein Tischchen, keine Einrichtung. Eine Art Portal, gefliest in einer dieser kleinteiligen Schwarz-Weiß-Kombinationen, die einen bei längerem Hinsehen schwindlig werden lassen, strukturiert den Raum. Im hinteren Teil, gegenüber dem Godot-Spruch, befindet sich eine übermannshohe Maske, die von der Form her den Masken der griechischen Tragödie nachempfunden ist.

Auf der einen Seite aus Stahl, auf der anderen mit einem Goldmosaik belegt, steht sie da wie eine Aussichtsplattform, doch wenn man von hinten durch die Sehschlitze blickt, sieht man Becketts Text an der Wand gegenüber. An der Warteposition ändert eben auch die Perspektive nichts. Wenn man dann aus der Maske hervortritt, spiegelt man sich in blankem Stahl. Spiegelungen sind ein Hauptthema des 1966 geborenen Fabio Novembre, der unter anderem in Italien, Hongkong und New York zahlreiche Geschäfte, Bars, Restaurants und andere Gebäude gestaltete und mit ihnen sinnliche Kunsträume schuf.

Blickt man durch die Glasfront der Auslage, hat man als erstes zwei riesige Augen aus Mosaiksteinen vor sich. Die Augen sind so beleuchtet, dass die Mosaiksteine Bewegungen auf der Straße als Schatten wiedergeben - es ist, als würde etwas in den Augen aufblitzen. Auch wirken die beiden Mosaik-Augen in ihren Blautönen wie ins Unendliche vergrößerte Ausschnitte aus Fernsehbildern. Das ist ziemlich postmodern, aber wahrscheinlich ist das genau der richtige Einsatz von Mosaiksteinen: Die einzelnen Teile bilden eine Struktur und lösen sie im selben Moment wieder auf. Novembre ist ein Meister darin, die Struktur von Dingen abzubilden, selbst im Kommerziellen. Von ihm stammt übrigens auch das wohl pfiffigste Lederwarengeschäft der Welt, der Showroom Tardini in New York: Durch einen kahlen Raum hat Novembre einfach ein Mosaik im Schlangenledermuster gezogen. Die Muster der Mosaike werden in einen Computer eingegeben, der dann die Anordnung der zwei mal zwei Zentimeter großen Steine errechnet. Es verwandeln sich also digitale Einheiten in harte Mosaiksteine, und diese Steine bilden - wie im Bisazza-Showroom in Gestalt der beiden Riesenaugen - dann erst recht wieder ein mediales Verhältnis ab.

Das sind Spiegelfechtereien vom Ironischsten, das luxuriöse Material der Steine und die mit den Mosaiken verbundene teure Arbeit werden durch die Motive, die am Ende zu sehen sind, bloßgestellt. So wie alles Materielle: Der Betrachter ist zwar von Gold umgeben, aber das Gold ist nur die Innenseite einer riesigen Maske. Fabio Novembre hat der traditionellen Form des Mosaiks eines ihrer wichtigsten Motive wiedergegeben - die Vanitas. Was im Bisazza-Showroom eigentlich dargestellt wird, ist aus Steinen gemachte Vergänglichkeit.

Der beste Witz aber ist im Keller. In einem Raum im Souterrain ist ein großer Bildschirm angebracht, links und rechts an den Wänden befinden sich weiche Sitze mit weißen Bezügen. Das sieht aus wie eine Lounge und soll auch eine sein, wahrscheinlich gibt es in keiner anderen Stadt mehr Lounges als in Berlin. Hierhin mündet der Dialog aus „Warten auf Godot“, mit den Worten „Gehen wir“ endet der Text vor den gemütlichen Sitzen. Die Lounge ist damit bei sich selbst, ein Sinnbild des ewigen Wartens und des Hockenbleibens, ein Abbild auch von Berlin.


[Showroom Bisazza, Berlin, Kantstraße 150.
Montag bis Freitag, 10 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 16 Uhr. Infos: www.bisazza.com]

Der Standard, Fr., 2004.02.06



verknüpfte Bauwerke
Showroom Bisazza

07. Juli 2000Verena Mayer
Der Standard

Ein Umspannwerk für Stil-Ströme

Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener...

Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener...

Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener Straße ist der Prenzlauer Berg nicht die Gegend der Künstler und Freiberufler, als die der Bezirk bekannt (und mittlerweile fast unerschwinglich) geworden ist. Hier sind die wenigsten Häuser saniert und kaum Dachböden ausgebaut, es gibt keine gestylten Bars und keine originellen Läden. Die nahegelegene Schönhauser Allee ist eine tosende Durchzugstraße, die überirdischen Gleise der S-Bahn-Trasse gehen wie ein dicker Strich durch das Viertel. Einige Häuserblöcke weiter beginnt der Arbeiterbezirk Wedding.

Ein Museum, hier? In einer Gegend, die so dynamisch und hauptstädtisch ist wie ein Schrebergarten im Winter? Und ausgerechnet eines für Design? In seiner Heimstätte, Weil am Rhein, ist das Vitra Design Museum in einem gestylt-dekonstruktivistischen Neubau untergebracht, den Frank O. Gehry entworfen hat. In Berlin hat das Museum nun ein verlassenes Umspannwerk in Randlage bezogen, das die Berliner Elektrizitätswerke, wie 42 andere auch, aufgeben mussten, weil sich die Wiedervereinigung eben auch in diesem Spannungsfeld bemerkbar gemacht hatte.

Doch die neue Zweigstelle des aus einer Stiftung der Möbelfirma Vitra hervorgegangenen Museums bietet auf den zweiten Blick weitaus mehr Vorzüge als den, nun einen Fuß in der Tür des Berliner Metropolenlebens zu haben. Das ehemalige Umspannwerk, einst „Kathedrale der Elektrifizierung“ genannt, ist ein eindrucksvolles Denkmal von Industrie-Architektur. Wie ein mittelalterliches Kloster mutet das Backstein-Gebäude mit schmalen hohen Fenstern, den verschachtelten Höfen und dem doppelbögigen Spitzportal an, das der Architekt Hans Heinrich Müller 1925 gebaut hat. Schmiedeeiserne Treppen führen geschwungen wie die Doppel-Helix einer DNS in ovale Überwachungstürme, die mit Kuppeln aus Milchglas überdacht sind und aus Sicherheitsgründen mit grünem Marmor verkleidet wurden. Nur drei Leute haben in dem 8000 Quadratmeter großen Gebäude gearbeitet - ein Meister und zwei Schaltmonteure.

Wie ein gotisches Kirchenschiff ist das Herz des Gebäudes - die mehr als hundert Meter lange, acht Meter hohe, aber nur sieben Meter breite Transformatorenhalle. Sie wurde mit dezenten architektonischen Eingriffen, für das Museum adaptiert. Ein neuer Eingang, ein paar Milchglaswände, eine Bar, ein kleiner Museumsshop - mehr wurde an dem Raum nicht verändert. Herausgekommen ist eine Ausstellungshalle, die das Erhabene einer Kathedrale mit dem Spartanischen eines unbearbeiteten Lofts vereint. „Nicht schalten, hier wird gearbeitet“ ist noch auf vergilbten Schildern zu lesen, die zwischen die Leitungen geklemmt sind.

Die Funktion eines Umspannwerks, vereinfacht es ein Mitarbeiter der Berliner Elektrizitätswerke bei einer Führung in die Eingeweide des Werks, sei es, den vielen Strom, der mit einer riesigen Spannung auf die Hauptstadt einprassle, so aufzubereiten, dass jeder Haushalt etwas damit anfangen könne. Im Wesentlichen ist das auch das Prinzip der neuen Zweigstelle des Vitra Design Museums. Strömungen, so vielfältig und unterschiedlich sie auch sein mögen, sollen von hier verarbeitet und gebündelt werden, sagt Mateo Kries, der die Dependance leiten wird.

Zur Eröffnung wurde aus dem Stammhaus die Ausstellung über Verner Panton übernommen. Der 1998 verstorbene dänische Designer gilt als Klassiker seines Metiers. Er hat aus den unzähligen postmodernen Konzepten, die in den Sechziger und Siebziger Jahren so im Raum standen, Entwürfe für diese knallbunten Stühle, Lampen und Wohnlandschaften destilliert, die man schon so oft gesehen hat, dass sie - wie der stapelbare Freischwinger aus Kunststoff - in einem kollektiven Gedächtnis festgeschrieben sind, ohne dass man sich eines Urhebers bewusst wäre. Es sei ihm unerträglich, meinte Panton, „in ein Wohnzimmer zu kommen und sofort zu wissen, dass man hier den ganzen Abend festsitzt“. Er schraubte Rollen an die Unterseite seiner Möbel, manche hängte er an Schnüren auf. Mit seinen farbigen „Phantasy Landscapes“ sind bis heute Konferenzraum und Kantine des „Spiegel“ gestaltet.

Wie das Museum in Weil am Rhein muss sich auch die Berliner Filiale selbst erhalten. Für den Anfang werden daher auf dem 1000 Quadratmeter großen Areal vorerst die großen Ausstellungen des Stammhauses übernommen und durch Sonderveranstaltungen ergänzt. Doch das Umspannwerk soll keine Abspielstation alter Hits aus Weil am Rhein werden, sondern sich als kulturelles Netzwerk für ein größeres Einzugsgebiet etablieren, meint Kries. Auf den Erläuterungstafeln wurde daher als vierte Sprache Polnisch gewählt.

Vitra Design Museum Berlin
Kopenhagener Straße 58, D-10437 Berlin

Der Standard, Fr., 2000.07.07

28. Januar 2000Verena Mayer
Der Standard

Symbolischer Baubeginn für Holocaust-Mahnmal

„Zehn Jahre Reden sind genug“, steht auf einem Plakat, das jemand an den Zaun vor ein fußballfeldergroßes Stück Berliner Ödland geklebt hat. Am Donnerstag...

„Zehn Jahre Reden sind genug“, steht auf einem Plakat, das jemand an den Zaun vor ein fußballfeldergroßes Stück Berliner Ödland geklebt hat. Am Donnerstag...

„Zehn Jahre Reden sind genug“, steht auf einem Plakat, das jemand an den Zaun vor ein fußballfeldergroßes Stück Berliner Ödland geklebt hat. Am Donnerstag wurde nach einem Jahrzehnt der Diskussion symbolisch mit dem Bau des Berliner Holocaust-Mahnmals begonnen: In Anwesenheit von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Johannes Rau wurden auf dem brachen Gelände südlich des ehemaligen „Führerbunkers“ zwei Hinweistafeln enthüllt. Nur eine Geste, ein Willenszeichen, aber ein wichtiges Symbol, wie betont wurde.

Denn bis heute ist so gut wie alles an dem Mahnmal nur symbolisch: der Ort - es gibt wegen ungeklärter Eigentumsfragen noch keine offizielle Genehmigung. Das Konzept, 2700 wellenförmige Stelen, die ein Labyrinth bilden - darüber wird noch verhandelt. Das Datum des Baubeginns, das Jahr 2001, steht ebenfalls noch nicht fest.

Einer fehlte allerdings bei dem Festakt: und zwar ausgerechnet die wichtigste Symbolfigur, der politische Repräsentant Berlins. Weil Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) den Mahnmalsentwurf von Architekt Paul Eisenmann als „erschlagende Betonlandschaft“ ablehnt, blieb er der Feier fern. Diepgens angekündigte symbolische Absenz hatte schon im Vorfeld heftige Reaktionen ausgelöst. Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh warf Diepgen „ganz schlechten politischen Stil“ vor. Kritik kam auch von der SPD.

Wie es nach der symbolischen Zeremonie weitergeht, ist unklar. Fast sicher ist, dass sich der bereits auf 2001 verschobene Baubeginn erneut verzögern wird.


„Forum für Gewissen“

Stockholm - Am zweiten Tag der Stockholmer Holocaust-Konferenz wurde der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz feierlich begangen. Auf der Gedenkveranstaltung im schwedischen Reichstag dankte Avraham Burg, Parlamentspräsident der israelischen Knesset, Schweden und Ministerpräsident Göran Persson für die Initiierung der Konferenz.

Auf der Eröffnungszeremonie am Mittwoch hatte Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel den Vorschlag unterbreitet, das internationale Holocaust-Forum zu institutionalisieren. Persson griff die Idee auf und kündigte ein „jährliches Stockholmer Forum für Gewissen und Menschlichkeit“ an.

Der Standard, Fr., 2000.01.28



verknüpfte Bauwerke
Holocaust Mahnmal

Presseschau 12

06. Februar 2004Verena Mayer
Der Standard

Kein Stein auf dem anderen

Der italienische Architekt Fabio Novembre gestaltete in Berlin für Bisazza - Marktführer in Sachen Mosaik - einen Schauraum ohne Einrichtung, der vor allem Vergänglichkeit veranschaulichen soll

Der italienische Architekt Fabio Novembre gestaltete in Berlin für Bisazza - Marktführer in Sachen Mosaik - einen Schauraum ohne Einrichtung, der vor allem Vergänglichkeit veranschaulichen soll

Eine Stadt in der Warteschleife. Man hat sich in Berlin damit abgefunden, dass aus den hochtrabenden Plänen nichts geworden ist, und kann doch nicht aufhören zu hoffen, dass noch irgendetwas nachkommt. Hauptsache, man harrt lange genug aus. Nirgendwo ist dieses Gefühl stärker zu spüren als im alten Berliner Westen, zwischen Kurfürstendamm und Savignyplatz, dort, wo sich seit den 80er-Jahren nicht einmal die Namen der Kneipen verändert haben, geschweige denn das Publikum.

Hier bildet die Kantstraße eine Achse des gelebten Stillstandes, den Anfang macht die Paris Bar mit ihren Bohemiens, die seit Jahrzehnten in die Gläser starren und vom großen Durchbruch träumen, mögen die Haare inzwischen auch grau geworden sein und die Gesichter faltig. Am anderen Ende der Kantstraße hat noch immer Zweitausendeins seine Filiale, der Lieblingsbuchversand der 68er-Bewegung, der die Vergänglichkeit seiner Visionen schon im Namen trägt.

So wundert es einen nicht, wenn man in der Kantstraße folgende Worte liest: „Wohin gehen wir?/ Nicht weit./ Doch, doch, lass uns doch weit weggehen von hier./ Wir können nicht./ Warum nicht?/ Wir müssen morgen wiederkommen./ Warum?/ Um auf Godot zu warten.“ Es ist dies der letzte Dialog zwischen Wladimir und Estragon, und diese Sätze bilden, wenngleich in der Originalsprache, das Herzstück eines neuen Showrooms des italienischen Mosaikherstellers Bisazza.

Becketts Text ist wie alles in diesem Raum aus Mosaiksteinchen zusammengesetzt, die Worte sind in Weiß und Gold auf schwarzen Grund geschrieben, sie beginnen oben an einer Wand und laufen dann über Boden und Treppen hinab ins Untergeschoß. Er habe unweigerlich an „Warten auf Godot“ denken müssen, wenn er an Berlin gedacht habe, sagte der italienische Architekt Fabio Novembre, der den Showroom entworfen hat. Und so hat der Raum mehr von einer Wartehalle als von einem Geschäftslokal, das zur kostspieligen Badezimmergestaltung anregen soll.

Eine Wand geht in eine steinerne Bank über, sonst gibt es, bis auf ein Tischchen, keine Einrichtung. Eine Art Portal, gefliest in einer dieser kleinteiligen Schwarz-Weiß-Kombinationen, die einen bei längerem Hinsehen schwindlig werden lassen, strukturiert den Raum. Im hinteren Teil, gegenüber dem Godot-Spruch, befindet sich eine übermannshohe Maske, die von der Form her den Masken der griechischen Tragödie nachempfunden ist.

Auf der einen Seite aus Stahl, auf der anderen mit einem Goldmosaik belegt, steht sie da wie eine Aussichtsplattform, doch wenn man von hinten durch die Sehschlitze blickt, sieht man Becketts Text an der Wand gegenüber. An der Warteposition ändert eben auch die Perspektive nichts. Wenn man dann aus der Maske hervortritt, spiegelt man sich in blankem Stahl. Spiegelungen sind ein Hauptthema des 1966 geborenen Fabio Novembre, der unter anderem in Italien, Hongkong und New York zahlreiche Geschäfte, Bars, Restaurants und andere Gebäude gestaltete und mit ihnen sinnliche Kunsträume schuf.

Blickt man durch die Glasfront der Auslage, hat man als erstes zwei riesige Augen aus Mosaiksteinen vor sich. Die Augen sind so beleuchtet, dass die Mosaiksteine Bewegungen auf der Straße als Schatten wiedergeben - es ist, als würde etwas in den Augen aufblitzen. Auch wirken die beiden Mosaik-Augen in ihren Blautönen wie ins Unendliche vergrößerte Ausschnitte aus Fernsehbildern. Das ist ziemlich postmodern, aber wahrscheinlich ist das genau der richtige Einsatz von Mosaiksteinen: Die einzelnen Teile bilden eine Struktur und lösen sie im selben Moment wieder auf. Novembre ist ein Meister darin, die Struktur von Dingen abzubilden, selbst im Kommerziellen. Von ihm stammt übrigens auch das wohl pfiffigste Lederwarengeschäft der Welt, der Showroom Tardini in New York: Durch einen kahlen Raum hat Novembre einfach ein Mosaik im Schlangenledermuster gezogen. Die Muster der Mosaike werden in einen Computer eingegeben, der dann die Anordnung der zwei mal zwei Zentimeter großen Steine errechnet. Es verwandeln sich also digitale Einheiten in harte Mosaiksteine, und diese Steine bilden - wie im Bisazza-Showroom in Gestalt der beiden Riesenaugen - dann erst recht wieder ein mediales Verhältnis ab.

Das sind Spiegelfechtereien vom Ironischsten, das luxuriöse Material der Steine und die mit den Mosaiken verbundene teure Arbeit werden durch die Motive, die am Ende zu sehen sind, bloßgestellt. So wie alles Materielle: Der Betrachter ist zwar von Gold umgeben, aber das Gold ist nur die Innenseite einer riesigen Maske. Fabio Novembre hat der traditionellen Form des Mosaiks eines ihrer wichtigsten Motive wiedergegeben - die Vanitas. Was im Bisazza-Showroom eigentlich dargestellt wird, ist aus Steinen gemachte Vergänglichkeit.

Der beste Witz aber ist im Keller. In einem Raum im Souterrain ist ein großer Bildschirm angebracht, links und rechts an den Wänden befinden sich weiche Sitze mit weißen Bezügen. Das sieht aus wie eine Lounge und soll auch eine sein, wahrscheinlich gibt es in keiner anderen Stadt mehr Lounges als in Berlin. Hierhin mündet der Dialog aus „Warten auf Godot“, mit den Worten „Gehen wir“ endet der Text vor den gemütlichen Sitzen. Die Lounge ist damit bei sich selbst, ein Sinnbild des ewigen Wartens und des Hockenbleibens, ein Abbild auch von Berlin.


[Showroom Bisazza, Berlin, Kantstraße 150.
Montag bis Freitag, 10 bis 19 Uhr, Samstag 11 bis 16 Uhr. Infos: www.bisazza.com]

Der Standard, Fr., 2004.02.06



verknüpfte Bauwerke
Showroom Bisazza

07. Juli 2000Verena Mayer
Der Standard

Ein Umspannwerk für Stil-Ströme

Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener...

Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener...

Die Gegend im Nordosten-Berlins, in dem das Vitra Design Museum seine erste Dependance bekommen hat, ist alles andere als hip. Auf der Höhe der Kopenhagener Straße ist der Prenzlauer Berg nicht die Gegend der Künstler und Freiberufler, als die der Bezirk bekannt (und mittlerweile fast unerschwinglich) geworden ist. Hier sind die wenigsten Häuser saniert und kaum Dachböden ausgebaut, es gibt keine gestylten Bars und keine originellen Läden. Die nahegelegene Schönhauser Allee ist eine tosende Durchzugstraße, die überirdischen Gleise der S-Bahn-Trasse gehen wie ein dicker Strich durch das Viertel. Einige Häuserblöcke weiter beginnt der Arbeiterbezirk Wedding.

Ein Museum, hier? In einer Gegend, die so dynamisch und hauptstädtisch ist wie ein Schrebergarten im Winter? Und ausgerechnet eines für Design? In seiner Heimstätte, Weil am Rhein, ist das Vitra Design Museum in einem gestylt-dekonstruktivistischen Neubau untergebracht, den Frank O. Gehry entworfen hat. In Berlin hat das Museum nun ein verlassenes Umspannwerk in Randlage bezogen, das die Berliner Elektrizitätswerke, wie 42 andere auch, aufgeben mussten, weil sich die Wiedervereinigung eben auch in diesem Spannungsfeld bemerkbar gemacht hatte.

Doch die neue Zweigstelle des aus einer Stiftung der Möbelfirma Vitra hervorgegangenen Museums bietet auf den zweiten Blick weitaus mehr Vorzüge als den, nun einen Fuß in der Tür des Berliner Metropolenlebens zu haben. Das ehemalige Umspannwerk, einst „Kathedrale der Elektrifizierung“ genannt, ist ein eindrucksvolles Denkmal von Industrie-Architektur. Wie ein mittelalterliches Kloster mutet das Backstein-Gebäude mit schmalen hohen Fenstern, den verschachtelten Höfen und dem doppelbögigen Spitzportal an, das der Architekt Hans Heinrich Müller 1925 gebaut hat. Schmiedeeiserne Treppen führen geschwungen wie die Doppel-Helix einer DNS in ovale Überwachungstürme, die mit Kuppeln aus Milchglas überdacht sind und aus Sicherheitsgründen mit grünem Marmor verkleidet wurden. Nur drei Leute haben in dem 8000 Quadratmeter großen Gebäude gearbeitet - ein Meister und zwei Schaltmonteure.

Wie ein gotisches Kirchenschiff ist das Herz des Gebäudes - die mehr als hundert Meter lange, acht Meter hohe, aber nur sieben Meter breite Transformatorenhalle. Sie wurde mit dezenten architektonischen Eingriffen, für das Museum adaptiert. Ein neuer Eingang, ein paar Milchglaswände, eine Bar, ein kleiner Museumsshop - mehr wurde an dem Raum nicht verändert. Herausgekommen ist eine Ausstellungshalle, die das Erhabene einer Kathedrale mit dem Spartanischen eines unbearbeiteten Lofts vereint. „Nicht schalten, hier wird gearbeitet“ ist noch auf vergilbten Schildern zu lesen, die zwischen die Leitungen geklemmt sind.

Die Funktion eines Umspannwerks, vereinfacht es ein Mitarbeiter der Berliner Elektrizitätswerke bei einer Führung in die Eingeweide des Werks, sei es, den vielen Strom, der mit einer riesigen Spannung auf die Hauptstadt einprassle, so aufzubereiten, dass jeder Haushalt etwas damit anfangen könne. Im Wesentlichen ist das auch das Prinzip der neuen Zweigstelle des Vitra Design Museums. Strömungen, so vielfältig und unterschiedlich sie auch sein mögen, sollen von hier verarbeitet und gebündelt werden, sagt Mateo Kries, der die Dependance leiten wird.

Zur Eröffnung wurde aus dem Stammhaus die Ausstellung über Verner Panton übernommen. Der 1998 verstorbene dänische Designer gilt als Klassiker seines Metiers. Er hat aus den unzähligen postmodernen Konzepten, die in den Sechziger und Siebziger Jahren so im Raum standen, Entwürfe für diese knallbunten Stühle, Lampen und Wohnlandschaften destilliert, die man schon so oft gesehen hat, dass sie - wie der stapelbare Freischwinger aus Kunststoff - in einem kollektiven Gedächtnis festgeschrieben sind, ohne dass man sich eines Urhebers bewusst wäre. Es sei ihm unerträglich, meinte Panton, „in ein Wohnzimmer zu kommen und sofort zu wissen, dass man hier den ganzen Abend festsitzt“. Er schraubte Rollen an die Unterseite seiner Möbel, manche hängte er an Schnüren auf. Mit seinen farbigen „Phantasy Landscapes“ sind bis heute Konferenzraum und Kantine des „Spiegel“ gestaltet.

Wie das Museum in Weil am Rhein muss sich auch die Berliner Filiale selbst erhalten. Für den Anfang werden daher auf dem 1000 Quadratmeter großen Areal vorerst die großen Ausstellungen des Stammhauses übernommen und durch Sonderveranstaltungen ergänzt. Doch das Umspannwerk soll keine Abspielstation alter Hits aus Weil am Rhein werden, sondern sich als kulturelles Netzwerk für ein größeres Einzugsgebiet etablieren, meint Kries. Auf den Erläuterungstafeln wurde daher als vierte Sprache Polnisch gewählt.

Vitra Design Museum Berlin
Kopenhagener Straße 58, D-10437 Berlin

Der Standard, Fr., 2000.07.07

28. Januar 2000Verena Mayer
Der Standard

Symbolischer Baubeginn für Holocaust-Mahnmal

„Zehn Jahre Reden sind genug“, steht auf einem Plakat, das jemand an den Zaun vor ein fußballfeldergroßes Stück Berliner Ödland geklebt hat. Am Donnerstag...

„Zehn Jahre Reden sind genug“, steht auf einem Plakat, das jemand an den Zaun vor ein fußballfeldergroßes Stück Berliner Ödland geklebt hat. Am Donnerstag...

„Zehn Jahre Reden sind genug“, steht auf einem Plakat, das jemand an den Zaun vor ein fußballfeldergroßes Stück Berliner Ödland geklebt hat. Am Donnerstag wurde nach einem Jahrzehnt der Diskussion symbolisch mit dem Bau des Berliner Holocaust-Mahnmals begonnen: In Anwesenheit von Bundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Johannes Rau wurden auf dem brachen Gelände südlich des ehemaligen „Führerbunkers“ zwei Hinweistafeln enthüllt. Nur eine Geste, ein Willenszeichen, aber ein wichtiges Symbol, wie betont wurde.

Denn bis heute ist so gut wie alles an dem Mahnmal nur symbolisch: der Ort - es gibt wegen ungeklärter Eigentumsfragen noch keine offizielle Genehmigung. Das Konzept, 2700 wellenförmige Stelen, die ein Labyrinth bilden - darüber wird noch verhandelt. Das Datum des Baubeginns, das Jahr 2001, steht ebenfalls noch nicht fest.

Einer fehlte allerdings bei dem Festakt: und zwar ausgerechnet die wichtigste Symbolfigur, der politische Repräsentant Berlins. Weil Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) den Mahnmalsentwurf von Architekt Paul Eisenmann als „erschlagende Betonlandschaft“ ablehnt, blieb er der Feier fern. Diepgens angekündigte symbolische Absenz hatte schon im Vorfeld heftige Reaktionen ausgelöst. Mahnmal-Initiatorin Lea Rosh warf Diepgen „ganz schlechten politischen Stil“ vor. Kritik kam auch von der SPD.

Wie es nach der symbolischen Zeremonie weitergeht, ist unklar. Fast sicher ist, dass sich der bereits auf 2001 verschobene Baubeginn erneut verzögern wird.


„Forum für Gewissen“

Stockholm - Am zweiten Tag der Stockholmer Holocaust-Konferenz wurde der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz feierlich begangen. Auf der Gedenkveranstaltung im schwedischen Reichstag dankte Avraham Burg, Parlamentspräsident der israelischen Knesset, Schweden und Ministerpräsident Göran Persson für die Initiierung der Konferenz.

Auf der Eröffnungszeremonie am Mittwoch hatte Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel den Vorschlag unterbreitet, das internationale Holocaust-Forum zu institutionalisieren. Persson griff die Idee auf und kündigte ein „jährliches Stockholmer Forum für Gewissen und Menschlichkeit“ an.

Der Standard, Fr., 2000.01.28



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