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28. September 2018Leonid Leiva
TEC21

Später Lohn für gutes Bauen

Anders als bei Neubauten sind die gestalterischen Freiheiten für eine Erneuerung im Bestand oft gering. Dass eine Wohnsiedlung dennoch verbessert werden kann, stellt die Zürcher Genossenschaft ­E­igengrund unter Beweis. Das Instandsetzungsprojekt meistert zentrale Nachhaltigkeitshürden, auch dank erhaltener Qualitäten.

Anders als bei Neubauten sind die gestalterischen Freiheiten für eine Erneuerung im Bestand oft gering. Dass eine Wohnsiedlung dennoch verbessert werden kann, stellt die Zürcher Genossenschaft ­E­igengrund unter Beweis. Das Instandsetzungsprojekt meistert zentrale Nachhaltigkeitshürden, auch dank erhaltener Qualitäten.

Die Genossenschaft Eigengrund hat ihre Wohnsiedlung Winzerhalde in Zürich Höngg instand gesetzt und trotz denkmalpflegerischer Vorgaben eine Zertifizierung nach dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) angestrebt. Die kammartig angeordnete Wohnsiedlung entstand zwischen 1982 und 1984; das Areal direkt am Limmat­ufer gehört der Stadt Zürich und wurde im Baurecht zur Verfügung gestellt. 1985 wurde ihr die «Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich» zuteil. 2013 fand die fast 2 ha grosse Überbauung Aufnahme im lokalen Inventar der schützenswerten Bauten und im Inventar der Gartendenkmalpflege.

Die besondere städtebauliche Qualität – die fliessenden Übergänge zwischen Bau­körpern und Aussenraum – ist sicher ihrer attraktiven Lage zu verdanken. Ein weiteres Markenzeichen der Winzerhalde ist die ausdrucksstarke Fassade mit sichtbarer Betontrag­struktur und rotem Sichtbackstein. Die Vielfalt der Grundrisse und die Vorgärten sorgen aus­serdem dafür, dass die Mietwohnungen nahezu den Charakter von Eigenheimen besitzen.

Die Überbauung haben die Siedlungsgenossenschaft Eigengrund und eine private Immobilienfirma vor 36 Jahren gemeinsam realisiert. Der genossenschaftliche Anteil am Westrand umfasst ein knapp 6000 m² grosses Grundstück und drei von acht Mehrfamilienhäusern. Ihrerseits belegen die 43 Genossenschaftswohnungen eine Geschossfläche von 8686 m². Die Ausnützungsziffer liegt bei 1.3.

Mitwirkung der Bewohnerschaft

Vor zwei Jahren hat die Genossenschaft eine Instandsetzung in Angriff genommen. Sie umfasst die Erneuerung von Küche und Bad, eine Sanierung der Haustechnik, energetische Verbesserungen an der Gebäudehülle sowie punktuelle gestalterische Aufwertungen im Innen- und Aussenraum. Der Entscheid, die Eingriffe mit einer SNBS-Zertifizierung zu kombinieren, fiel gleich zu Beginn. «Unser Bekenntnis zur sozialen Nachhaltigkeit deckt sich gut mit dem hohen Stellenwert, der dieser Dimension beim Gebäudestandard zukommt», sagt Eigengrund-Geschäftsführer Christian Zopfi. Dazu wurde ein internes Mitwirkungsverfahren durchgeführt, bei dem die Mieterschaft eigene Wünsche postulieren konnte. Zur Umgestaltung der Küchen wurden zwei bis drei Varianten zur Auswahl gestellt.

Diese Partizipation erhielt in der SNBS-Prüfung zwar gute Noten. Für das Projekt selbst ergaben sich daraus aber auch nachteilige Effekte: Weil sich die Bewohner gegen neue Zugänge im Aussenbereich wehrten, musste die Genossenschaft auf geplante Verbesserungen verzichten.

Die Meinung der Betroffenen fasste man dennoch zu einem Schwerpunkt dieser Instandsetzung ­zusammen: Ein Teil der Geschosswohnungen sollte ­bar­rierefrei werden, was mit einer Neuorganisation von Erd- und Untergeschoss in der Nordzeile verbunden war. Als weitere Kettenreaktion löste der neue, hindernisfreie Zugang im Aussenraum eine Aufwertung des benachbarten Spielplatzes aus. Die Genossenschaft konnte damit wichtige Punkte für das Nachhaltigkeitszertifikat sammeln. Denn an sich ist die Hindernisfreiheit für Gebäudeerneuerungen keine Pflicht. Gemäss Joëlle Zimmerli von der SNBS-Zertifizierungsstelle gilt es hierbei abzuwägen, in welchem Verhältnis der Verbesserungsaufwand steht. «Würde dies zu einer starken Erhöhung der Mietpreise führen, kann man dies auch nicht sozial nachhaltig nennen.»

Neuverglasung statt Wärmedämmung

Mit dem Erneuerungsprogramm waren Fahrländer Scherrer Architekten, Zürich, betraut, die sich dafür in einem Planerwahlverfahren qualifizieren konnten.

Als grösste Herausforderung für den begleitenden Zertifizierungsprozess nennt Büromitinhaber Gregor Scherrer den engen gestalterischen Spielraum. Jegliche Verbesserungen waren mit niederschwelligen Mass­nahmen zu erreichen.

Sowohl die Denkmalpflege als auch die Bauherrschaft wünschte eine sanfte Sanierung; etwa an der Gebäudehülle: Das Zweischalenmauerwerk mit 5 cm Originaldämmung entsprach nicht mehr den aktuellen Anforderungen an die Energieeffizienz. Aber weil die Fassade integral denkmalgeschützt ist, kamen zusätzliche Dämmschichten nicht infrage. Ausserdem war das Flachdach erst vor etwa zehn Jahren saniert worden, weshalb «keine Verbesserungen vorgenommen werden konnten», sagt Architekt Scherrer.

Stattdessen konzentrierte man sich auf eine Erneuerung der Fenster respektive auf den Ersatz der Verglasung. Man beliess die breiten Rahmen der Kämpferfenster und spannte neue Isoliergläser ein, mit hoher Lichtdurchlässigkeit und tiefem U-Wert. So wird der Verlust von Transmissionswärme minimiert, bei Maxi­mierung des Tageslichteintrags. Im Innern wurden Küche und Bad erneuert. Einige Nasszellen erhielten Duschwannen mit integrierter Wärmerückgewinnung. Insgesamt blieb die Eingriffstiefe der Instandsetzung gering; damit aber gelang es, die Bilanz der grauen Energie zu optimieren und bei diesem Nachhaltigkeitskriterium eine weitere gute Benotung einzufahren.

Ins Auge gefasst wurde ursprünglich auch eine Nutzung des Regenwassers zur Bewässerung der ­Vorgärten. Damit wären die Anforderungen an eine nachhaltige Siedlungsentwässerung erfüllt gewesen.

Allerdings hätte man dafür zwei Speichertanks im UG bereit­stellen müssen. Weil die Genossenschaft davon abkam, fiel die Bewertung zwar ungenügend aus. Aber selbst die externen SNBS-Examinatoren hielten diese Massnahmen für unverhältnismässig, weswegen dies ausnahmsweise akzeptiert worden sei, bestätigt Zimmerli.

Zwar verzichtete man auf Versickerung und Retention des Meteorwassers, dafür wurde die Umgebung naturnah umgestaltet und dadurch ökologisch aufgewertet. Vor der Instandsetzung waren die Vor­gärten banale Rasenflächen; nun gedeihen hier Blütenpflanzen. Eine Neubepflanzung musste sowieso in Betracht gezogen werden. Die Abdichtung der darunter liegenden Tiefgarage war zu ersetzen. Weitere Verbesserungen im Aussenraum profitierten von Änderungen im Mobilitätsverhalten der Bewohner. So sind ehemalige Autoparkplätze am Siedlungseingang nun für Velos reserviert. Ebenso konnten unbenutzte Parkfelder in der Tiefgarage in Lager-, Bastelräume oder Veloabstellplätze umgenutzt werden. Die Neugestaltung der Umgebung schlug sich daher auch in der Nachhaltigkeitsbewertung à la SNBS positiv nieder.

Etliche Hürden waren dagegen bei anderen Themen zu meistern, insbesondere bei der Raumluftqualität, beim winterlichen Wärmeschutz und beim Primär­energieverbrauch im Betrieb. Anfänglich konnten die Anforderungen nicht erfüllt werden. Den Durchbruch ermöglichte jedoch ein vereinfachtes Lüftungsprinzip. Es dient der Steigerung des Komforts und der Energie­effizienz, entspricht aber nicht einer konventionellen kontrollierten, mechanischen Lüftungsanlage. Auch hier liessen die SNBS-Prüfer Augenmass walten: Man akzeptierte das präsentierte und im Endeffekt installierte System mit automatisierter Nachströmung.

Anpassen der Standardvorgaben

Wie flexibel der SNBS-Standard mit den Anforderungen an eine gute Raumluftqualität umgeht, zeigte sich in der Winzerhalde ein weiteres Mal: Weil die Aussenluft in Höngg mit viel Feinstaub belastet ist, sollte an sich so wenig davon wie möglich in die Innenräume gelangen. Insofern wäre ein kontrolliertes Lüftungssystem mit Zuluftfilter erforderlich gewesen, um den Grenzwert einzuhalten. Allerdings wäre eine solche Installation mit einem verhältnismässig hohen Aufwand verbunden gewesen. Man einigte sich, auch angesichts der grünen Wohnlage, auf einen Kompromiss und akzeptierte die effektiv ausgeführten Lüftungsmassnahmen für eine genügende Note.

Demgegenüber kämpft die Genossenschaft noch um eine befriedigende Energielösung. Zur Reduktion des Primärenergiebedarfs wird ein Wärmeverbund mit der Siedlungsnachbarschaft angestrebt. Ein gemein­samer Anschluss an das klimafreundliche Energienetz der städtischen Abwasserreinigungsanlage Werd­hölzli soll die bestehende Ölheizung ablösen. Diese Umstellung kann in der SNBS-Zertifizierung allerdings erst bewertet werden, wenn die Wärmelieferverträge unterzeichnet sind. Weitere solche Pendenzen werden ebenfalls abgearbeitet. So fehlt der Nachweis, dass die Radongrenzwerte eingehalten sind; die Messungen in den Wohnungen sind aber kurz vor dem Abschluss.

Instrument für die Projektsteuerung

Grundsätzlich wird für ein SNBS-Zertifikat verlangt, dass alle Nachhaltigkeitsdimensionen mit der Mindestnote 4 erfüllt werden können. Doch bei Erneuerungen wie der Wohnsiedlung Winzerhalde sind Abwei­chungen zulässig. Dazu zählen neben dem hindernisfreien Bauen weitere die Themen wie Nutzungsflexibilität, Tageslicht oder Schallschutz.

Und auch sonst scheint Verhandlungsspielraum zu bestehen, wenn es Aufwand und Nutzen einzelner Massnahmen zu beurteilen gibt. Eine positive Erfahrung für Architekt Scherrer war daher auch die Zusammenarbeit mit den SNBS-Prüfern: «Die Umsetzung ist mit gewisser Flexibilität erfolgt.»

Zusammenfassend empfiehlt er, den Zertifizierungsstandard als Steuerungsinstrument zu nutzen und die Kriterien unbedingt ab Planungsstart anzuwenden. «Vor allem eine ungünstige Lage, eine niedrige Qualität der Gebäudesubstanz oder Einschränkungen bei den Eingriffsvarianten können eine gute Bewertung grundsätzlich verunmöglichen.» Ebenso gibt es Verbesserungsbedarf: «Die Struktur des Standards ist kompliziert, und der Aufwand darf nicht unterschätzt werden.»

Welche Projektverbesserungen speziell der SNBS-Zertifizierung zu verdanken sind, lässt sich gemäss Eigen­grund-Geschäftsführer Zopfi im Nachhinein nur bedingt abschätzen, «da wir den Standard schon in einer frühen Planungsphase eingesetzt haben». Höchstwahrscheinlich hätte man auf Radonmessungen verzichtet und wohl auch nicht mehr Veloparkplätze eingerichtet, als die Stadt bereits von sich verlangt hat. Insofern hat die Genossenschaft Eigengrund im Prinzip übererfüllt; als schöne Belohnung winkt nun aber die erstmalige Nachhaltigkeitszertifizierung für eine erneuerte Wohnsiedlung.

TEC21, Fr., 2018.09.28



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2018|39 SNBS – Stren­ges Ras­ter, fle­xi­ble An­wen­dung

08. Juni 2012Leonid Leiva
TEC21

Nanoprodukte für den Bau

Für den Baubereich sind eine ganze Reihe von Nanomaterialien auf dem Markt, an anderen wird noch geforscht. Von ihrem Einsatz verspricht man sich neben funktionellen auch ökologische und ökonomische Vorteile.
Trotzdem haben Nanomaterialien im Baubereich bisher bei weitem nicht die wirtschaftliche Bedeutung wie in anderen Branchen. Das liegt vor allem an den hohen Kosten für die Entwicklung neuer Produkte, am hohen Preis dieser Produkte und am mangelnden Wissen über deren Einsatzmöglichkeiten.

Für den Baubereich sind eine ganze Reihe von Nanomaterialien auf dem Markt, an anderen wird noch geforscht. Von ihrem Einsatz verspricht man sich neben funktionellen auch ökologische und ökonomische Vorteile.
Trotzdem haben Nanomaterialien im Baubereich bisher bei weitem nicht die wirtschaftliche Bedeutung wie in anderen Branchen. Das liegt vor allem an den hohen Kosten für die Entwicklung neuer Produkte, am hohen Preis dieser Produkte und am mangelnden Wissen über deren Einsatzmöglichkeiten.

Die älteste und wohl auch bekannteste Nanolösung im Baubereich sind selbstreinigende Oberflächen. Glas, Dachziegel oder Keramikplatten, die sich den sogenannten Lotuseffekt zunutze machen, gibt es schon seit Mitte der 1990er-Jahre. Die Oberflächen werden dabei durch den Einsatz von Nanomaterialien, hauptsächlich Nanosilica (Silziumdioxid), zunächst hydrophob, das heisst wasserabweisend, gemacht. Werden die Oberflächen dann auch sehr fein strukturiert, verstärken Kapillareffekte die wasserabweisenden Kräfte zusätzlich; die Oberflächen werden superhydrophob. Wassertropfen perlen sichtbar ab und kommen schon unter kleinen Neigungswinkeln ins Rollen, wobei sie Schmutzpartikel mitnehmen. Dieser bei Lotusblättern natürlich vorkommende Effekt (Abb. 1) wird nanotechnologisch durch den gezielten Einbau von Rauigkeiten an den Oberflächen nachgeahmt, etwa, indem man darauf kleine Noppen einritzt. Den Wassertropfen fehlen dann die Haftstellen, und auch die physiko-chemisch bedingte Verminderung der Adhäsionskräfte behindert das Anschmiegen an das Substrat. Allerdings heisst selbstreinigend nicht, dass die Reinigungsarbeiten komplett wegfallen; sie werden bloss in längeren Zyklen notwendig, wobei die superhydrophoben Eigenschaften mit der Zeit nachlassen: Die Rauigkeit nutzt sich infolge der mechanischen Kräfte, denen sie bei Reinigungsarbeiten oder durch Witterungseinflüsse ausgesetzt ist, mit der Zeit ab.

Neben der Selbstreinigung bringt die Superhydrophobie je nach Werkstoff auch begehrte Eigenschaften wie Verfaulungs- oder Korrosionsschutz für Holz, Beton oder Stahl. Allerdings ist die Wirkung nicht immer so spektakulär wie in den Broschüren der Hersteller behauptet wird. So haben Untersuchungen an vielen Nanobeschichtungen für Holz ergeben, dass bei den behandelten Bauteilen flüssiges Wasser gut abgeschirmt wird, Wasserdampf aber praktisch ungehindert ins Holz eindringt. Quellen und Schwinden der Bauteile sowie eine Verfärbung der Oberfläche können also nicht vermieden werden.[1] Umgekehrt zur Superhydrophobie können Oberflächen auch superhydrophil, also sehr stark wasseranziehend, gemacht werden. Dies ist besonders bei Glasoberflächen wie zum Beispiel Spiegeln als Antibeschlagmassnahme wirkungsvoll. Durch Hydrophilierung wird der Benetzungswinkel der kleinen Wassertropfen, die zum Beschlag führen, verringert. Statt abperlender Tropfen bildet sich auf superhydrophilen Oberflächen deshalb ein gleichmässiger dünner Wasserfilm, der die Sicht weniger stark beeinträchtigt.

Ersatz für toxische Biozide

Nanoprodukte können auch herkömmliche Produkte ersetzen, denen sie aus ökonomischer oder ökologischer Sicht überlegen sind. Ein Beispiel: Um den Befall von Oberflächen durch Mikroorganismen wie Pilze, Algen oder Bakterien einzuschränken, werden heutzutage häufig Biozide benutzt, die für aquatische Lebewesen toxisch sind. Diese Substanzen können bei Regen ausgewaschen werden und gelangen schliesslich in Oberflächengewässer und Grundwasser. Um diese Umweltbelastung zu vermeiden, werden als Alternative seit vielen Jahren Nanopartikel, etwa aus Silber oder Titandioxid, eingesetzt. Das keimtötende Vermögen von Silber ist seit Jahrhunderten bekannt – nicht umsonst war das Besteck früher aus Silber. Etwas neuer ist die Erkenntnis, dass einige Nanopartikel – unter anderem Silber oder Titandioxid – fotokatalytische Eigenschaften besitzen: Die Partikel können bei Absorption von Licht Sauerstoffradikale freisetzen, die wiederum durch chemische Reaktionen Bakterien abtöten. Inzwischen sind auch einige auf diesem bakteriziden Effekt von Nanopartikeln basierende Produkte in Innenraum- oder Fassadenfarben sowie Lacken und sogar als Beschichtung auf dünnen Keramikfliesen kommerziell erhältlich und werden beispielsweise in Spitälern eingesetzt. Allerdings ist die biozide Wirkung von Partikeln wie Nanosilber zwar bei vielen Bakterienarten erwiesen, Algen und Pilze bleiben aber in den meisten Fällen verschont. Dies verhält sich also nicht anders als bei den konventionellen organischen Bioziden, die ebenfalls nur spezifisch gegen gewisse Pilz- oder Algenarten eingesetzt werden können. Folglich werden die Nanobiozide zurzeit oft den konventionellen Bioziden beigemischt, um eine möglichst breite Wirksamkeit zu erzielen. Ausserdem werden die Nanopartikel ebenfalls ausgewaschen und gelangen somit in die Gewässer. Die ökologischen Folgen werden zurzeit noch erforscht.

Fotokatalytische Eigenschaften werden aber nicht nur bei Fassaden genutzt. Auch bei Produkten, die als Beschichtung von Pflastersteinen eingesetzt werden, um die Luftqualität in städtischen Aussenräumen zu verbessern, kommen fotokatalytische Nanopartikel zum Zug. Die in diesen Produkten enthaltenen, durch Licht aktivierbaren Nanopartikel können die Reaktion von Sauerstoff mit Stickstoffoxiden begünstigen und somit zum Abbau dieser Luftschadstoffe beitragen.

Nanogele zur Wärme- und Schalldämmung

Angesichts der dringenden Notwendigkeit, Gebäude energieeffizienter zu machen, werden in Zukunft vor allem jene Nanoprodukte gefragt sein, die zu Energieeinsparungen verhelfen können. Vielversprechend ist in diesem Zusammenhang beispielsweise Nanogel, das zur Wärme- und Schalldämmung von Fassaden eingesetzt werden kann. Erste Produkte sind bereits auf dem Markt. Nanogel hat deutlich tiefere U-Werte als alle konventionellen Pendants, ist aber in der Anschaffung rund zehnmal so teuer wie die marktübliche Steinwolle. In Form von Flocken oder Körnern in dünnen Hohlschichten von zweischaligem Mauerwerk eingesetzt, kann sich Nanogel wegen der viel besseren thermischen Isolierung langfristig dennoch lohnen, zumal bei einem starken Anstieg der Energiepreise. Ausserdem vergrössert sich dank den dünneren Wänden auch die nutzbare Fläche.

Nanogel besteht aus einem labyrinthartigen Netzwerk aus Silikatnanoteilchen und organischen Molekülen, die im Sol-Gel-Verfahren miteinander verbunden werden. Wird diesem Konglomerat das bei diesem Verfahren verwendete Lösemittel entzogen, bleibt ein von nanometer- grossen, luftgefüllten Poren durchsetztes Gel zurück (Abb. 2, 3). Die Kleinheit der Poren ist die Ursache für die guten dämmenden Eigenschaften des Nanogels, da sich die Luftmoleküle darin nicht frei fortbewegen können und somit kaum Wärme und Schall transportieren. Nanogele sind äusserst leichte Materialien, da sie zu rund 95% aus Luft bestehen. Dabei besitzen sie dennoch eine ausreichende Festigkeit. Zudem sind sie transluzent. In Isolierverglasungen eingesetzt haben sie deshalb auch optische Vorzüge: Selbst an bewölkten Tagen lassen die mit dem durscheinenden Nanogel versehenen Fenster ein gewisses Mass an Helligkeit in die Innenräume.

Intelligente Gläser regulieren den Wärme- und Lichteintrag

Auch Materialien, die eine Kontrolle über den Wärme- und Lichteintrag durch natürliches Licht ermöglichen, könnten einen Beitrag zur Energieeffizienz leisten. Hierzu gehören etwa thermochrome Materialien, die ihre Farbe je nach Umgebungstemperatur ändern. So kann etwa an besonders heissen Tagen durch Verfärbung des Glases dessen Lichtdurchlässigkeit und somit der Wärmeeintrag reduziert werden. Fortgeschrittene Produkte in diesem Bereich zielen darauf ab, nur den infraroten Teil des natürlichen Lichtspektrums nicht durchzulassen, wodurch nur die Wärme draussen bleibt, während das Glas für sichtbares Licht nach wie vor transparent ist. Diese Form der passiven Regulierung der Lichtdurchlässigkeit ist aber noch nicht ganz ausgereift.

Bereits seit einigen Jahren im Einsatz sind hingegen elektrochrome Materialien, bei denen das Anlegen einer elektrischen Spannung die Farbänderung bewirkt (Abb. 4). Elektrochrome Materialien sind seit 1968 bekannt, aber erst die Entwicklung von modernen Verfahren zur Abscheidung sehr dünner Filme hat ihre Anwendung bei Verglasungen ins Blickfeld gerückt. Nach dem Farbwechsel behalten die Materialien dank ihrem elektrochemischen Gedächtnis die eingestellte Farbe ohne weiteren Energieverbrauch.

Bei Metalloxiden wird die Farbänderung durch eine Redoxreaktion verursacht. Das elektrochrome Material liegt hier in Form einer sehr dünnen Metallschicht vor (beispielsweise aus Wolfram, Nickel oder Molybdän). Ein Nachteil der Metalloxide besteht darin, dass sie mit bis zu 60 Sekunden eine relativ lange Ansprechzeit haben (die Zeit, bis die Farbänderung komplett abgeschlossen ist). Auch sind die Materialien empfindlich auf Umwelteinflüsse wie Änderungen des pH-Wertes und der Luftfeuchtigkeit und sollten deshalb luftdicht versiegelt werden. Die Technik hat sich bisher in Bürogebäuden bewährt, für Wohnhäuser blieb sie aufgrund der zunächst notwendigen zentralen Steuerung mit entsprechender Gebäudeautomation lange Zeit zu komplex. Inzwischen gibt es aber auch Hersteller, die eine dezentrale Schaltung durch Knopfdruck anbieten. Grundsätzlich schnellere Schaltzeiten bieten die molekularen Farbstoffe; daher wird diese Materialklasse derzeit von den meisten Forschungsgruppen verfolgt. Molekulare Farbstoffe bieten den zusätzlichen Vorteil, dass sie nicht nur zur Temperaturregulierung, sondern auch als Solarzelle – etwa die sogenannte Grätzel-Zelle[2] – fungieren können, womit sie im Sinne der Energieeffizienz eine Doppelfunktion erfüllen.

Effizientere und dünnere Solarzellen

Gerade aus der Herstellung von Solarzellen ist die Nanotechnologie nicht mehr wegzudenken. Die weitverbreiteten Zellen aus kristallinem Silizium etwa erhalten durch nanometerdünne Antireflexbeschichtungen nicht nur ästhetischere Farben, sondern haben auch eine höhere Leistung, da mehr Licht eingefangen und somit der Wirkungsgrad verbessert wird. Entscheidend ist die Nanotechnologie aber vor allem für die Dünnschichtsolarzellen, bei denen die aktive Schicht der Zelle selbst nur wenige hundert Nanometer dünn sein kann. Die Dünnschichttechnologie bietet sich als ideale Lösung für die seit Jahren propagierte gebäudeintegrierte Fotovoltaik an. Da die Zellen hier auf dünnen, flexiblen Folien aufgetragen werden können, ist die Installation auf Dächern und an Fassaden mit viel weniger Aufwand möglich, und das Resultat ist eine unauffällige «solare Haut» des Gebäudes. Nur in Sachen Wirkungsgrad stehen die Dünnschichtsolarzellen ihren Pendants aus kristallinem Silizium nach, aber auch hier wird mithilfe von Nanotechnologie an Konzepten wie mehrschichtigen Tandemzellen mit einem besseren Ertrag geforscht.

Ultrahochfester Beton

Grosse Hoffnungen setzt man auch in Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT: carbon nanotubes), eine Art aufgerollte Variante von Grafit (Abb. 4, S. 17). Sie weisen eine viel höhere Zug-, Druck- und Biegefestigkeit auf als Stahl und Beton. CNT wurden 1991 entdeckt und aufgrund ihrer hervorragenden elektrischen, thermischen und mechanischen Eigenschaften rasch als Wundermaterial angepriesen. Bereits ein paar Jahre nach ihrer Entdeckung waren Methoden entwickelt, um CNT in grossen Mengen zu synthetisieren. Dennoch ist die grossskalige technologische Anwendung nicht so weit vorangeschritten wie anfänglich erhofft.

In Beton dispergiert würde eine kleine Menge an CNT genügen, um die Festigkeit um ein Vielfaches zu erhöhen. Allerdings ist der so herstellbare ultrahochfeste Beton ein Nischenprodukt: Der Bedarf sei sehr gering, und nur wenige Kunden seien bereit, die höheren Preise zu bezahlen, sagt Andreas Leeman, Gruppenleiter Betontechnologie an der Empa. Verbesserungen der Festigkeit, Lebensdauer und Verarbeitbarkeit von Beton und Mörtel werden schon heute durch den Einsatz von Nanosilica als Zusatzstoff erzielt. Die Nanopartikel führen aufgrund ihrer kleineren Dimensionen zu geringeren Porengrössen, was die Druckfestigkeit erhöht und die Durchlässigkeit für Wasser und andere Substanzen verringert. Dadurch nimmt die Dauerhaftigkeit des Baumaterials zu. Andererseits muss eine gute Dispersion der Nanopartikel durch geeignete Durchmischung gewährleistet sein, denn die Nanoteilchen neigen dazu, Agglomerate zu bilden, und diese Verklumpung wirkt sich wiederum negativ auf die Festigkeit aus.

Ökonomische Bedeutung der Nanotechnologie

Schätzungen zufolge beträgt das weltweite Marktvolumen von Nanomaterialien schon heute rund 14 Mrd. Dollar jährlich.[3] Eine Studie der amerikanischen National Science Foundation (NSF) von 2001 prognostizierte für das Jahr 2011 eine Hebelwirkung der Nanotechnologien, also den durch Nanotechnologie direkt oder indirekt geschaffenen Mehrwert von 1000 Mrd. Dollar.[4] Bis 2015 soll sich diese Hebelwirkung laut einem Bericht des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung gar auf 3000 Mrd. Dollar belaufen.[5] In der Baubranche ist eine wirtschaftlich derart bedeutende Verbreitung der Nanotechnologie bis heute jedoch ausgeblieben. Eine im Auftrag der European Federation of Building and Woodworkers erstellte und von der Europäischen Union finanzierte Studie kam 2009 zum Schluss, dass Nanoprodukte in der Branche nur bei einer Handvoll Anwendungen zu finden seien und diese fast ausschliesslich von grossen Unternehmen entwickelt würden.[6] Die EU-Studie identifizierte mangelndes Wissen über Verfügbarkeit und Einsatzmöglichkeiten sowie zu hohe Preise als Hauptgründe für die geringe Präsenz von Nanoprodukten in der europäischen Bauindustrie. Ausserdem wurde das Fehlen von gut dotierten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bei den meisten Unternehmen der Branche als Hemmschuh ausgemacht. Die wissensintensive Entwicklung von nanooptimierten Produkten könnten sich demnach fast nur die grossen Akteure der bauchemischen Industrie leisten. So geht die Nanotechnologie an den KMU der Baubranche weitgehend vorbei. Nur im Fall einer engen Zusammenarbeit mit Hochschulen wie bei Spin-offs fanden die Studienautoren KMU mit eigenen Nanoprodukten.

Trotzdem ist zu erwarten, dass Nanotechnologien zukünftig auch im Baugewerbe eine grössere Präsenz erlangen werden. Experten weisen darauf hin, dass die Branche bei technischen Neuerungen in der Regel zehn Jahre hinterherhinkt, da sie sehr preisempfindlich ist, Normen einzuhalten sind und Forschung eher am Anfang der Wertschöpfungskette betrieben wird. Aber mit den Fortschritten in anderen Industriesparten wird sich früher oder später die erschwingliche Qualität einstellen, die auf der Baustelle gefragt ist.


Anmerkungen/Literatur:
[01] P. Niemz et al.: Untersuchungen zur Verbesserung des Eindringverhaltens und der Fixierung von Imprägniermitteln bei der Vergütung von Holz mit nanoskaligen Materialien. Interner Bericht, 2009
[02] Die Grätzel-Zelle, eine Farbstoff-Solarzelle, wurde Anfang der 1990er-Jahre von Prof. Michael Grätzel von der EPFL Lausanne erfunden
[03] www.bccresearch.com/report/NANO31D.html
[04] NSF: Societal implications of nanoscience and nanotechnology. National Science Foundation, 2001
[05] BMBF: nano.DE-Report 2009. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn, Berlin, 2009
[06] F.A. van Broekhuizen, J.C. van Broekhuizen: Nano-products in the European construction industry, State of the art 2009. EFBWW, FIEC, Amsterdam, 2009

– Produktliste für Nanomaterialien der BG Bau: www.bgbau.de/praev/fachinformationen/ gefahrstoffe/nano/pdf-files/nano-liste.pdf

TEC21, Fr., 2012.06.08



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2012|24 Nanotechnologie

25. November 2011Leonid Leiva
TEC21

Klimafreundliches Bauen geht in den Untergrund

Erdwärmespeicher ermöglichen die saisonale Speicherung von sommerlicher Abwärme im Untergrund, damit sie im Winter zum Heizen genutzt werden kann. Bei der Konzeption solcher Speicher gilt es, den Bauaufwand gegen die gewünschte Speichertemperatur abzuwägen. Vor allem in dicht bebauten Gebieten mit Wohn- und Gewerbegebäuden bietet sich die Integration in ein Anergienetz an, das Gebäude mit unterschiedlichen thermischen Bedürfnissen miteinander verbindet.

Erdwärmespeicher ermöglichen die saisonale Speicherung von sommerlicher Abwärme im Untergrund, damit sie im Winter zum Heizen genutzt werden kann. Bei der Konzeption solcher Speicher gilt es, den Bauaufwand gegen die gewünschte Speichertemperatur abzuwägen. Vor allem in dicht bebauten Gebieten mit Wohn- und Gewerbegebäuden bietet sich die Integration in ein Anergienetz an, das Gebäude mit unterschiedlichen thermischen Bedürfnissen miteinander verbindet.

Der emissionsarme Betrieb von Gebäuden ist im Zuge des Klimawandels zu einer wichtigen Rahmenbedingung modernen Bauens geworden. Gebäude, deren Beheizung und Kühlung möglichst ohne fossile Brennstoffe auskommt, sind ein wichtiger Beitrag dazu. Ein Konzept, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist die saisonale Speicherung von niederwertiger Wärme und Kälte im Gründungsbereich von Gebäuden. Diese erst seit ein paar Jahrzehnten zunächst theoretisch verfolgte Idee sieht die Lagerung von überschüssiger Sommerwärme im Untergrund vor sowie deren späteren Bezug zu Heizzwecken im Winter, entweder direkt oder mittels Wärmepumpen. Das Konzept ermöglicht gleichzeitig die Speicherung von Kälte zur Kühlung in den Sommermonaten: Indem die Wärme während der kalten Jahreszeit vollständig aus dem Speicher bezogen wird, entsteht dort eine Wärmesenke, in die der sommerliche Wärmeüberschuss befördert werden kann. Dieser Wärmeüberschuss, der gespeichert wird, stammt von Kühlprozessen, Industrieprozessen, anderen Abwärmequellen oder aus Solarkollektoren. Durch die saisonale Speicherung ergibt sich somit ein doppelter Gewinn: Zum einen wird der Bedarf an aufwendiger Kühlung reduziert und zum anderen die Abwärme, die bisher an die Umgebung abgegeben wurde, vorerst gespeichert und später im Gebäude selbst genutzt – Energiekreisläufe werden geschlossen.

Konzeption von Erdwärme speichern

In den Untergrund geleitet wird die Wärme mittels Erdwärmesonden. Die Bohrtiefen, in denen die Speicher angelegt werden, reichen von 20 bis 250 Metern. Durch die U-förmigen Sonden aus Polyethylen fliesst eine Flüssigkeit – Wasser oder ein Gemisch aus Wasser und Glykol, die als Wärmeträger fungiert. Das Bohrloch wird um die Sonden herum mit einem Material verfüllt, das den Wärmeübertragungswiderstand zwischen Wärmeträgerfluid in der Sonde und umgebendem Erdreich senkt (vgl. Artikel «Optimierung von Erdwärmesonden» S. 11). Die Sonden werden in Rastern oder als konzentrische Ringe angeordnet mit einem Abstand zwischen den Sonden, der je nach der angestrebten Temperaturverteilung und Bohrtiefe zwischen 2 und 7 Metern schwanken kann. Oft wird die Wärme nur im zentralen Bereich gespeichert – mit dem Ergebnis, dass die Mitte des Speichers eine höhere Temperatur aufweist als dessen Randbereich. Extrahiert wird die Wärme dann zunächst aus dem äusseren, kälteren Bereich und später aus der wärmeren Region in der Mitte. Dieses Be- und Entladekonzept minimiert die Wärmeverluste, die sich durch die Angleichung der Speichertemperatur an jene der Umgebung des Erdwärmespeichers ergeben würden. Insgesamt können diese Verluste bis zu 20 % der gespeicherten Energie ausmachen.

Erforderliche Eigenschaften des Untergrundes

Ideal für einen Erdwärmespeicher ist der Untergrund, wenn er aus wassergesättigten Tonen oder Tonsteinen besteht. Neben einer relativ hohen Wärmeleitfähigkeit des Erdreichs ist auch eine geringe Wasserdurchlässigkeit wichtig, denn die Präsenz von Grundwasser ist einem Erdwärmespeicher generell abträglich. Wasser, vor allem wenn es grosse Strömungsgeschwindigkeiten aufweist, kann die Wärme sehr effizient vom Speicher wegtragen. Deshalb wird ein Erdwärmespeicher in der Regel oberhalb des Grundwasserhorizonts angelegt. Dies limitiert an manchem Standort die erreichbare Bohrtiefe und somit die mittlere Temperatur im Speicher, aber dieser Nachteil kann in den meisten Fällen mit mehr Sonden wettgemacht werden. Dies allerdings vergrössert die vom Speicher in Anspruch genommene Fläche. Die Wärmeleitfähigkeit des Untergrundes sollte weder zu hoch noch zu tief sein: Ist sie zu tief, kann nur wenig Wärme übertragen werden, ist sie zu hoch, mehren sich die Verluste. Grundwasser kann zwar als Speicher dienen, aber nur, wenn die Strömungsgeschwindigkeit tief ist.

Wärmenutzung via Erdwärmesonden oder direkt

Eine bei der Planung eines Erdwärmespeichers häufig auftretende Fragestellung betrifft die optimale Bohrtiefe. Je tiefer gebohrt wird, desto höher wird die mittlere Erdtemperatur, die dann näher bei der Speichertemperatur zu liegen kommt. Durch den kleineren Temperaturgradient werden die Wärmeverluste minimiert. Doch Bohrungen sind teuer: Die Kosten pro Bohrmeter schwanken je nach Untergrund zwischen 60 und 120 Franken. Und in der Regel braucht ein Erdwärmespeicher zwischen 30 und mehreren hundert Sonden. Deshalb muss das Optimum der Bohrtiefe zwischen Speichertemperatur, mittlerer Erdtemperatur, Menge bzw. Temperatur der Abwärme und Bohrkosten gesucht werden.

Die Investition in einen Speicher ist abhängig von dessen Grösse. Die Grösse wiederum hängt eng mit der Frage nach der erwünschten Speichertemperatur sowie mit der Entscheidung zusammen, ob Wärmepumpen verwendet werden oder die Wärme direkt extrahiert wird. Ist der Speicher für hohe Temperaturen (über 50 °C) ausgelegt, muss er ein grosses Volumen einnehmen. Dies liegt daran, dass es bei grösseren Volumina leichter ist, das Oberflächen-Volumen-Verhältnis und somit die Wärmeverluste durch Kontakt mit der kälteren Umgebung zu reduzieren. Höhere Temperaturen bieten den Vorteil, dass die Wärme direkt, also ohne Veredelung durch eine Wärmepumpe, genutzt werden kann. Das heisst, bei der Entscheidung über Grösse und Temperatur des Speichers muss der Bauaufwand gegen die Investition in eine Wärmepumpe abgewogen werden.

Anergienetze nutzen Synergien

Matthias Sulzer, Geschäftsführer der Gebäudetechnikfirma Lauber Iwisa AG und Dozent für Energie- und Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern, beschäftigt sich mit dem systemischen Verhalten von Erdwärmespeichern. Er ist ein Befürworter von eher tiefen Speichertemperaturen unter Verwendung von Wärmepumpen, denn tiefe Speichertemperaturen ermöglichen auch die Speicherung von tiefwertiger Energie (Anergie, vgl. Kasten und Abb. 1 S. 21), wie sie in vielen Prozessen als Abwärme anfällt. Die Speicher sollten dann entsprechend in ein Anergienetz integriert werden. Solche Anergienetze nutzen Niedertemperaturwärme (8 bis 20 °C) aus Kühlprozessen, Tunnelwärme oder Solarwärme aus einem Verbund von Wohn- und Gewerbegebäuden. Durch deren thermische Vernetzung lassen sich die Synergien zwischen den Gebäuden nutzen, weil Bürogebäude eher Kühlungsbedarf haben, während Wohnhäuser hauptsächlich Heizwärme brauchen. Die aus der Kühlung der Bürogebäude anfallende Überschusswärme kann daher zur Beheizung von Wohnungen genutzt werden. Weil die beiden Prozesse in verschiedenen Jahreszeiten stattfinden, sind dafür allerdings Langzeitspeicher notwendig. Aus diesem Anergienetz können Wärmepumpen laut Sulzer günstig und effizient mit Quellwärme versorgt werden. Somit müsse nicht jeder einzelne Hausbesitzer eigene, teure und schlecht genutzte Erdwärmesonden bohren. «Und das Bankgebäude zwei Strassen weiter muss nicht mit grossen Investitionen die Abwärme aus dem Serverraum über Kühltürme an die Umwelt abgeben.»

Verschiedene Ansätze in der Praxis

Dieser Ansatz wird inzwischen auch bei Projekten verfolgt, die ursprünglich als Hochtemperaturspeicher konzipiert wurden. In Neckarsulm (D) beispielsweise wurde ein Erdwärmespeicher für Temperaturen bis 70 °C geplant, damit eine Direktnutzung möglich wäre. Nach zehn Jahren Betriebserfahrung wird er nun gemäss Empfehlungen von Experten der Universität Stuttgart in ein neues Nutzungskonzept überführt und mit einer Wärmepumpe kombiniert.[1] Dadurch gewinnt das System an Robustheit, denn dank der Wärmepumpe ist es weniger empfindlich gegen Schwankungen der Speichertemperatur. Bei einer direkten Nutzung würde die Heizung nicht funktionieren, wenn der Speicher zu «kalt» ist. Von Anfang an mit einem Niedertemperatur-Anergienetz geplant wurde das Areal «Suurstoffi », das derzeit als neues Quartier in der Gemeinde Risch Rotkreuz ZG entsteht (Abb. 2–5).[2] Die Überbauung mit rund 600 Wohnungen und 2500 Arbeitsplätzen soll mithilfe eines saisonalen Erdwärmespeichers ihren Wärmebedarf völlig CO2-frei decken. Eine Fotovoltaikanlage vor Ort deckt den Strombedarf sämtlicher haustechnischer Anlagen. Ähnliche Konzepte werden auf dem Hönggerberg-Campus der ETH Zürich, bei der Familienheim- Genossenschaft Zürich sowie auf dem Richti-Areal in Wallisellen ZH implementiert (vgl. Kasten S. 24).

Auf höhere Speichertemperaturen für eine Direktnutzung der Wärme ohne Wärmepumpen setzt hingegen Basler & Hofmann beim eigenen Geschäftsgebäude in Esslingen, das vor rund einem Jahr fertiggestellt wurde (Abb. 8). Dessen Beheizung stützt sich auf Erdwärmespeicher im Untergrund. Die Direktnutzung des Speichers soll dank einem modernen Heizsystem mit einer tiefen Vorlauftemperatur von 26 °C möglich sein, denn dadurch genügt es, den Speicher im Sommer auf rund 35 °C aufzuwärmen. Die Planer wussten, dass diese Temperatur erst nach fünf Jahren erreichbar wäre. Das hatten Berechnungen der Fachhochschule Tessin gezeigt und daraufhin war der Einsatz einer Wärmepumpe zur Heizunterstützung in den ersten Heizperioden vorgesehen worden. Aber eine Überraschung kam hinzu: Zu Beginn der ersten Heizperiode nach dem Erstbezug des Gebäudes im Oktober 2010 hatte der Speicher noch nicht die geplante Temperatur von 28 °C erreicht, sondern erst 23 °C. Dies wird vonseiten der Planer bei Basler & Hofmann in erster Linie auf das Auftreten von Hangwasser im Bereich des Speichers zurückgeführt. Das Hangwasser habe Wärme aus den oberen Metern des Speichers weggetragen. Wenn es gelingt, das Durchsickern von Wasser zu verhindern, sollte sich der Speicher in den vorgesehenen fünf Jahren aber in den optimalen Temperaturbereich einschwingen. Allerdings bleibt die genaue Temperatur im Speicher nach wie vor von kaum kalkulierbaren Faktoren abhängig wie von der Sonneneinstrahlung und deren zeitlicher Verteilung, von der Aussentemperatur im Winter oder vom Komfortbedürfnis der Nutzer. In Esslingen zum Beispiel ging man bei der Planung von einer Raumtemperatur von 21 °C im Winter aus; die Nutzer fanden es aber erst bei 23 °C behaglich, sodass dem Speicher entsprechend mehr Wärme entnommen werden musste. Die lange «Einfahrtzeit», bis die Speicher mit Wärme gefüllt sind und optimal genutzt werden können, ist ein weiterer Grund, der für niedrige Speichertemperaturen spricht. Ein Speicher mit einer Temperatur bis zu 20 °C würde sich laut Sulzer in weniger als drei Jahren füllen. Sulzer ist überzeugt, dass Erdwärmespeicher in Kombination mit Wärmepumpen und Anergienetzen einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz in der Schweiz leisten können.

Wenn in den nächsten 20 Jahren die klima- und energiepolitischen Ziele umgesetzt werden sollen, müsse man mindestens 60 % der Ölheizungen (ca. 30 000 GWh/a) durch Wärmepumpen ersetzen. Sulzer:«Um diese Wärmepumpen vor allem in dicht bebauten Gebieten effizient und kostengünstig zu versorgen, sind Anergienetze erforderlich.» Erdwärmespeicher würden den Ausgleich zwischen Wärmeeintrag in und Wärmebezug aus dem Anergienetz gewährleisten. «Ich bin überzeugt», sagt Sulzer, «dass solitäre Wärmespeicher und Wärmegewinnungsanlagen in dicht bebauten Gebieten weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll sind. Eine thermische Vernetzung solcher Gebiete ist ebenso sinnvoll wie die heutige elektrische Vernetzung.»


Anmerkungen / Literatur:
[01] Mündliche Auskunft von Thorwald Ritter, Stadtwerke Neckarsulm (D)
[02] www.suurstoffi.ch – Thomas Schmidt, Hans Müller-Steinhagen: Erdsonden- und Aquifer-Wärmespeicher in Deutschland. OTTI Profiforum Oberflächennahe Geothermie, Regenstauf, 14.–15. April 2005

TEC21, Fr., 2011.11.25



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TEC21 2011|48 Erdwärme

Presseschau 12

28. September 2018Leonid Leiva
TEC21

Später Lohn für gutes Bauen

Anders als bei Neubauten sind die gestalterischen Freiheiten für eine Erneuerung im Bestand oft gering. Dass eine Wohnsiedlung dennoch verbessert werden kann, stellt die Zürcher Genossenschaft ­E­igengrund unter Beweis. Das Instandsetzungsprojekt meistert zentrale Nachhaltigkeitshürden, auch dank erhaltener Qualitäten.

Anders als bei Neubauten sind die gestalterischen Freiheiten für eine Erneuerung im Bestand oft gering. Dass eine Wohnsiedlung dennoch verbessert werden kann, stellt die Zürcher Genossenschaft ­E­igengrund unter Beweis. Das Instandsetzungsprojekt meistert zentrale Nachhaltigkeitshürden, auch dank erhaltener Qualitäten.

Die Genossenschaft Eigengrund hat ihre Wohnsiedlung Winzerhalde in Zürich Höngg instand gesetzt und trotz denkmalpflegerischer Vorgaben eine Zertifizierung nach dem Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) angestrebt. Die kammartig angeordnete Wohnsiedlung entstand zwischen 1982 und 1984; das Areal direkt am Limmat­ufer gehört der Stadt Zürich und wurde im Baurecht zur Verfügung gestellt. 1985 wurde ihr die «Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich» zuteil. 2013 fand die fast 2 ha grosse Überbauung Aufnahme im lokalen Inventar der schützenswerten Bauten und im Inventar der Gartendenkmalpflege.

Die besondere städtebauliche Qualität – die fliessenden Übergänge zwischen Bau­körpern und Aussenraum – ist sicher ihrer attraktiven Lage zu verdanken. Ein weiteres Markenzeichen der Winzerhalde ist die ausdrucksstarke Fassade mit sichtbarer Betontrag­struktur und rotem Sichtbackstein. Die Vielfalt der Grundrisse und die Vorgärten sorgen aus­serdem dafür, dass die Mietwohnungen nahezu den Charakter von Eigenheimen besitzen.

Die Überbauung haben die Siedlungsgenossenschaft Eigengrund und eine private Immobilienfirma vor 36 Jahren gemeinsam realisiert. Der genossenschaftliche Anteil am Westrand umfasst ein knapp 6000 m² grosses Grundstück und drei von acht Mehrfamilienhäusern. Ihrerseits belegen die 43 Genossenschaftswohnungen eine Geschossfläche von 8686 m². Die Ausnützungsziffer liegt bei 1.3.

Mitwirkung der Bewohnerschaft

Vor zwei Jahren hat die Genossenschaft eine Instandsetzung in Angriff genommen. Sie umfasst die Erneuerung von Küche und Bad, eine Sanierung der Haustechnik, energetische Verbesserungen an der Gebäudehülle sowie punktuelle gestalterische Aufwertungen im Innen- und Aussenraum. Der Entscheid, die Eingriffe mit einer SNBS-Zertifizierung zu kombinieren, fiel gleich zu Beginn. «Unser Bekenntnis zur sozialen Nachhaltigkeit deckt sich gut mit dem hohen Stellenwert, der dieser Dimension beim Gebäudestandard zukommt», sagt Eigengrund-Geschäftsführer Christian Zopfi. Dazu wurde ein internes Mitwirkungsverfahren durchgeführt, bei dem die Mieterschaft eigene Wünsche postulieren konnte. Zur Umgestaltung der Küchen wurden zwei bis drei Varianten zur Auswahl gestellt.

Diese Partizipation erhielt in der SNBS-Prüfung zwar gute Noten. Für das Projekt selbst ergaben sich daraus aber auch nachteilige Effekte: Weil sich die Bewohner gegen neue Zugänge im Aussenbereich wehrten, musste die Genossenschaft auf geplante Verbesserungen verzichten.

Die Meinung der Betroffenen fasste man dennoch zu einem Schwerpunkt dieser Instandsetzung ­zusammen: Ein Teil der Geschosswohnungen sollte ­bar­rierefrei werden, was mit einer Neuorganisation von Erd- und Untergeschoss in der Nordzeile verbunden war. Als weitere Kettenreaktion löste der neue, hindernisfreie Zugang im Aussenraum eine Aufwertung des benachbarten Spielplatzes aus. Die Genossenschaft konnte damit wichtige Punkte für das Nachhaltigkeitszertifikat sammeln. Denn an sich ist die Hindernisfreiheit für Gebäudeerneuerungen keine Pflicht. Gemäss Joëlle Zimmerli von der SNBS-Zertifizierungsstelle gilt es hierbei abzuwägen, in welchem Verhältnis der Verbesserungsaufwand steht. «Würde dies zu einer starken Erhöhung der Mietpreise führen, kann man dies auch nicht sozial nachhaltig nennen.»

Neuverglasung statt Wärmedämmung

Mit dem Erneuerungsprogramm waren Fahrländer Scherrer Architekten, Zürich, betraut, die sich dafür in einem Planerwahlverfahren qualifizieren konnten.

Als grösste Herausforderung für den begleitenden Zertifizierungsprozess nennt Büromitinhaber Gregor Scherrer den engen gestalterischen Spielraum. Jegliche Verbesserungen waren mit niederschwelligen Mass­nahmen zu erreichen.

Sowohl die Denkmalpflege als auch die Bauherrschaft wünschte eine sanfte Sanierung; etwa an der Gebäudehülle: Das Zweischalenmauerwerk mit 5 cm Originaldämmung entsprach nicht mehr den aktuellen Anforderungen an die Energieeffizienz. Aber weil die Fassade integral denkmalgeschützt ist, kamen zusätzliche Dämmschichten nicht infrage. Ausserdem war das Flachdach erst vor etwa zehn Jahren saniert worden, weshalb «keine Verbesserungen vorgenommen werden konnten», sagt Architekt Scherrer.

Stattdessen konzentrierte man sich auf eine Erneuerung der Fenster respektive auf den Ersatz der Verglasung. Man beliess die breiten Rahmen der Kämpferfenster und spannte neue Isoliergläser ein, mit hoher Lichtdurchlässigkeit und tiefem U-Wert. So wird der Verlust von Transmissionswärme minimiert, bei Maxi­mierung des Tageslichteintrags. Im Innern wurden Küche und Bad erneuert. Einige Nasszellen erhielten Duschwannen mit integrierter Wärmerückgewinnung. Insgesamt blieb die Eingriffstiefe der Instandsetzung gering; damit aber gelang es, die Bilanz der grauen Energie zu optimieren und bei diesem Nachhaltigkeitskriterium eine weitere gute Benotung einzufahren.

Ins Auge gefasst wurde ursprünglich auch eine Nutzung des Regenwassers zur Bewässerung der ­Vorgärten. Damit wären die Anforderungen an eine nachhaltige Siedlungsentwässerung erfüllt gewesen.

Allerdings hätte man dafür zwei Speichertanks im UG bereit­stellen müssen. Weil die Genossenschaft davon abkam, fiel die Bewertung zwar ungenügend aus. Aber selbst die externen SNBS-Examinatoren hielten diese Massnahmen für unverhältnismässig, weswegen dies ausnahmsweise akzeptiert worden sei, bestätigt Zimmerli.

Zwar verzichtete man auf Versickerung und Retention des Meteorwassers, dafür wurde die Umgebung naturnah umgestaltet und dadurch ökologisch aufgewertet. Vor der Instandsetzung waren die Vor­gärten banale Rasenflächen; nun gedeihen hier Blütenpflanzen. Eine Neubepflanzung musste sowieso in Betracht gezogen werden. Die Abdichtung der darunter liegenden Tiefgarage war zu ersetzen. Weitere Verbesserungen im Aussenraum profitierten von Änderungen im Mobilitätsverhalten der Bewohner. So sind ehemalige Autoparkplätze am Siedlungseingang nun für Velos reserviert. Ebenso konnten unbenutzte Parkfelder in der Tiefgarage in Lager-, Bastelräume oder Veloabstellplätze umgenutzt werden. Die Neugestaltung der Umgebung schlug sich daher auch in der Nachhaltigkeitsbewertung à la SNBS positiv nieder.

Etliche Hürden waren dagegen bei anderen Themen zu meistern, insbesondere bei der Raumluftqualität, beim winterlichen Wärmeschutz und beim Primär­energieverbrauch im Betrieb. Anfänglich konnten die Anforderungen nicht erfüllt werden. Den Durchbruch ermöglichte jedoch ein vereinfachtes Lüftungsprinzip. Es dient der Steigerung des Komforts und der Energie­effizienz, entspricht aber nicht einer konventionellen kontrollierten, mechanischen Lüftungsanlage. Auch hier liessen die SNBS-Prüfer Augenmass walten: Man akzeptierte das präsentierte und im Endeffekt installierte System mit automatisierter Nachströmung.

Anpassen der Standardvorgaben

Wie flexibel der SNBS-Standard mit den Anforderungen an eine gute Raumluftqualität umgeht, zeigte sich in der Winzerhalde ein weiteres Mal: Weil die Aussenluft in Höngg mit viel Feinstaub belastet ist, sollte an sich so wenig davon wie möglich in die Innenräume gelangen. Insofern wäre ein kontrolliertes Lüftungssystem mit Zuluftfilter erforderlich gewesen, um den Grenzwert einzuhalten. Allerdings wäre eine solche Installation mit einem verhältnismässig hohen Aufwand verbunden gewesen. Man einigte sich, auch angesichts der grünen Wohnlage, auf einen Kompromiss und akzeptierte die effektiv ausgeführten Lüftungsmassnahmen für eine genügende Note.

Demgegenüber kämpft die Genossenschaft noch um eine befriedigende Energielösung. Zur Reduktion des Primärenergiebedarfs wird ein Wärmeverbund mit der Siedlungsnachbarschaft angestrebt. Ein gemein­samer Anschluss an das klimafreundliche Energienetz der städtischen Abwasserreinigungsanlage Werd­hölzli soll die bestehende Ölheizung ablösen. Diese Umstellung kann in der SNBS-Zertifizierung allerdings erst bewertet werden, wenn die Wärmelieferverträge unterzeichnet sind. Weitere solche Pendenzen werden ebenfalls abgearbeitet. So fehlt der Nachweis, dass die Radongrenzwerte eingehalten sind; die Messungen in den Wohnungen sind aber kurz vor dem Abschluss.

Instrument für die Projektsteuerung

Grundsätzlich wird für ein SNBS-Zertifikat verlangt, dass alle Nachhaltigkeitsdimensionen mit der Mindestnote 4 erfüllt werden können. Doch bei Erneuerungen wie der Wohnsiedlung Winzerhalde sind Abwei­chungen zulässig. Dazu zählen neben dem hindernisfreien Bauen weitere die Themen wie Nutzungsflexibilität, Tageslicht oder Schallschutz.

Und auch sonst scheint Verhandlungsspielraum zu bestehen, wenn es Aufwand und Nutzen einzelner Massnahmen zu beurteilen gibt. Eine positive Erfahrung für Architekt Scherrer war daher auch die Zusammenarbeit mit den SNBS-Prüfern: «Die Umsetzung ist mit gewisser Flexibilität erfolgt.»

Zusammenfassend empfiehlt er, den Zertifizierungsstandard als Steuerungsinstrument zu nutzen und die Kriterien unbedingt ab Planungsstart anzuwenden. «Vor allem eine ungünstige Lage, eine niedrige Qualität der Gebäudesubstanz oder Einschränkungen bei den Eingriffsvarianten können eine gute Bewertung grundsätzlich verunmöglichen.» Ebenso gibt es Verbesserungsbedarf: «Die Struktur des Standards ist kompliziert, und der Aufwand darf nicht unterschätzt werden.»

Welche Projektverbesserungen speziell der SNBS-Zertifizierung zu verdanken sind, lässt sich gemäss Eigen­grund-Geschäftsführer Zopfi im Nachhinein nur bedingt abschätzen, «da wir den Standard schon in einer frühen Planungsphase eingesetzt haben». Höchstwahrscheinlich hätte man auf Radonmessungen verzichtet und wohl auch nicht mehr Veloparkplätze eingerichtet, als die Stadt bereits von sich verlangt hat. Insofern hat die Genossenschaft Eigengrund im Prinzip übererfüllt; als schöne Belohnung winkt nun aber die erstmalige Nachhaltigkeitszertifizierung für eine erneuerte Wohnsiedlung.

TEC21, Fr., 2018.09.28



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TEC21 2018|39 SNBS – Stren­ges Ras­ter, fle­xi­ble An­wen­dung

08. Juni 2012Leonid Leiva
TEC21

Nanoprodukte für den Bau

Für den Baubereich sind eine ganze Reihe von Nanomaterialien auf dem Markt, an anderen wird noch geforscht. Von ihrem Einsatz verspricht man sich neben funktionellen auch ökologische und ökonomische Vorteile.
Trotzdem haben Nanomaterialien im Baubereich bisher bei weitem nicht die wirtschaftliche Bedeutung wie in anderen Branchen. Das liegt vor allem an den hohen Kosten für die Entwicklung neuer Produkte, am hohen Preis dieser Produkte und am mangelnden Wissen über deren Einsatzmöglichkeiten.

Für den Baubereich sind eine ganze Reihe von Nanomaterialien auf dem Markt, an anderen wird noch geforscht. Von ihrem Einsatz verspricht man sich neben funktionellen auch ökologische und ökonomische Vorteile.
Trotzdem haben Nanomaterialien im Baubereich bisher bei weitem nicht die wirtschaftliche Bedeutung wie in anderen Branchen. Das liegt vor allem an den hohen Kosten für die Entwicklung neuer Produkte, am hohen Preis dieser Produkte und am mangelnden Wissen über deren Einsatzmöglichkeiten.

Die älteste und wohl auch bekannteste Nanolösung im Baubereich sind selbstreinigende Oberflächen. Glas, Dachziegel oder Keramikplatten, die sich den sogenannten Lotuseffekt zunutze machen, gibt es schon seit Mitte der 1990er-Jahre. Die Oberflächen werden dabei durch den Einsatz von Nanomaterialien, hauptsächlich Nanosilica (Silziumdioxid), zunächst hydrophob, das heisst wasserabweisend, gemacht. Werden die Oberflächen dann auch sehr fein strukturiert, verstärken Kapillareffekte die wasserabweisenden Kräfte zusätzlich; die Oberflächen werden superhydrophob. Wassertropfen perlen sichtbar ab und kommen schon unter kleinen Neigungswinkeln ins Rollen, wobei sie Schmutzpartikel mitnehmen. Dieser bei Lotusblättern natürlich vorkommende Effekt (Abb. 1) wird nanotechnologisch durch den gezielten Einbau von Rauigkeiten an den Oberflächen nachgeahmt, etwa, indem man darauf kleine Noppen einritzt. Den Wassertropfen fehlen dann die Haftstellen, und auch die physiko-chemisch bedingte Verminderung der Adhäsionskräfte behindert das Anschmiegen an das Substrat. Allerdings heisst selbstreinigend nicht, dass die Reinigungsarbeiten komplett wegfallen; sie werden bloss in längeren Zyklen notwendig, wobei die superhydrophoben Eigenschaften mit der Zeit nachlassen: Die Rauigkeit nutzt sich infolge der mechanischen Kräfte, denen sie bei Reinigungsarbeiten oder durch Witterungseinflüsse ausgesetzt ist, mit der Zeit ab.

Neben der Selbstreinigung bringt die Superhydrophobie je nach Werkstoff auch begehrte Eigenschaften wie Verfaulungs- oder Korrosionsschutz für Holz, Beton oder Stahl. Allerdings ist die Wirkung nicht immer so spektakulär wie in den Broschüren der Hersteller behauptet wird. So haben Untersuchungen an vielen Nanobeschichtungen für Holz ergeben, dass bei den behandelten Bauteilen flüssiges Wasser gut abgeschirmt wird, Wasserdampf aber praktisch ungehindert ins Holz eindringt. Quellen und Schwinden der Bauteile sowie eine Verfärbung der Oberfläche können also nicht vermieden werden.[1] Umgekehrt zur Superhydrophobie können Oberflächen auch superhydrophil, also sehr stark wasseranziehend, gemacht werden. Dies ist besonders bei Glasoberflächen wie zum Beispiel Spiegeln als Antibeschlagmassnahme wirkungsvoll. Durch Hydrophilierung wird der Benetzungswinkel der kleinen Wassertropfen, die zum Beschlag führen, verringert. Statt abperlender Tropfen bildet sich auf superhydrophilen Oberflächen deshalb ein gleichmässiger dünner Wasserfilm, der die Sicht weniger stark beeinträchtigt.

Ersatz für toxische Biozide

Nanoprodukte können auch herkömmliche Produkte ersetzen, denen sie aus ökonomischer oder ökologischer Sicht überlegen sind. Ein Beispiel: Um den Befall von Oberflächen durch Mikroorganismen wie Pilze, Algen oder Bakterien einzuschränken, werden heutzutage häufig Biozide benutzt, die für aquatische Lebewesen toxisch sind. Diese Substanzen können bei Regen ausgewaschen werden und gelangen schliesslich in Oberflächengewässer und Grundwasser. Um diese Umweltbelastung zu vermeiden, werden als Alternative seit vielen Jahren Nanopartikel, etwa aus Silber oder Titandioxid, eingesetzt. Das keimtötende Vermögen von Silber ist seit Jahrhunderten bekannt – nicht umsonst war das Besteck früher aus Silber. Etwas neuer ist die Erkenntnis, dass einige Nanopartikel – unter anderem Silber oder Titandioxid – fotokatalytische Eigenschaften besitzen: Die Partikel können bei Absorption von Licht Sauerstoffradikale freisetzen, die wiederum durch chemische Reaktionen Bakterien abtöten. Inzwischen sind auch einige auf diesem bakteriziden Effekt von Nanopartikeln basierende Produkte in Innenraum- oder Fassadenfarben sowie Lacken und sogar als Beschichtung auf dünnen Keramikfliesen kommerziell erhältlich und werden beispielsweise in Spitälern eingesetzt. Allerdings ist die biozide Wirkung von Partikeln wie Nanosilber zwar bei vielen Bakterienarten erwiesen, Algen und Pilze bleiben aber in den meisten Fällen verschont. Dies verhält sich also nicht anders als bei den konventionellen organischen Bioziden, die ebenfalls nur spezifisch gegen gewisse Pilz- oder Algenarten eingesetzt werden können. Folglich werden die Nanobiozide zurzeit oft den konventionellen Bioziden beigemischt, um eine möglichst breite Wirksamkeit zu erzielen. Ausserdem werden die Nanopartikel ebenfalls ausgewaschen und gelangen somit in die Gewässer. Die ökologischen Folgen werden zurzeit noch erforscht.

Fotokatalytische Eigenschaften werden aber nicht nur bei Fassaden genutzt. Auch bei Produkten, die als Beschichtung von Pflastersteinen eingesetzt werden, um die Luftqualität in städtischen Aussenräumen zu verbessern, kommen fotokatalytische Nanopartikel zum Zug. Die in diesen Produkten enthaltenen, durch Licht aktivierbaren Nanopartikel können die Reaktion von Sauerstoff mit Stickstoffoxiden begünstigen und somit zum Abbau dieser Luftschadstoffe beitragen.

Nanogele zur Wärme- und Schalldämmung

Angesichts der dringenden Notwendigkeit, Gebäude energieeffizienter zu machen, werden in Zukunft vor allem jene Nanoprodukte gefragt sein, die zu Energieeinsparungen verhelfen können. Vielversprechend ist in diesem Zusammenhang beispielsweise Nanogel, das zur Wärme- und Schalldämmung von Fassaden eingesetzt werden kann. Erste Produkte sind bereits auf dem Markt. Nanogel hat deutlich tiefere U-Werte als alle konventionellen Pendants, ist aber in der Anschaffung rund zehnmal so teuer wie die marktübliche Steinwolle. In Form von Flocken oder Körnern in dünnen Hohlschichten von zweischaligem Mauerwerk eingesetzt, kann sich Nanogel wegen der viel besseren thermischen Isolierung langfristig dennoch lohnen, zumal bei einem starken Anstieg der Energiepreise. Ausserdem vergrössert sich dank den dünneren Wänden auch die nutzbare Fläche.

Nanogel besteht aus einem labyrinthartigen Netzwerk aus Silikatnanoteilchen und organischen Molekülen, die im Sol-Gel-Verfahren miteinander verbunden werden. Wird diesem Konglomerat das bei diesem Verfahren verwendete Lösemittel entzogen, bleibt ein von nanometer- grossen, luftgefüllten Poren durchsetztes Gel zurück (Abb. 2, 3). Die Kleinheit der Poren ist die Ursache für die guten dämmenden Eigenschaften des Nanogels, da sich die Luftmoleküle darin nicht frei fortbewegen können und somit kaum Wärme und Schall transportieren. Nanogele sind äusserst leichte Materialien, da sie zu rund 95% aus Luft bestehen. Dabei besitzen sie dennoch eine ausreichende Festigkeit. Zudem sind sie transluzent. In Isolierverglasungen eingesetzt haben sie deshalb auch optische Vorzüge: Selbst an bewölkten Tagen lassen die mit dem durscheinenden Nanogel versehenen Fenster ein gewisses Mass an Helligkeit in die Innenräume.

Intelligente Gläser regulieren den Wärme- und Lichteintrag

Auch Materialien, die eine Kontrolle über den Wärme- und Lichteintrag durch natürliches Licht ermöglichen, könnten einen Beitrag zur Energieeffizienz leisten. Hierzu gehören etwa thermochrome Materialien, die ihre Farbe je nach Umgebungstemperatur ändern. So kann etwa an besonders heissen Tagen durch Verfärbung des Glases dessen Lichtdurchlässigkeit und somit der Wärmeeintrag reduziert werden. Fortgeschrittene Produkte in diesem Bereich zielen darauf ab, nur den infraroten Teil des natürlichen Lichtspektrums nicht durchzulassen, wodurch nur die Wärme draussen bleibt, während das Glas für sichtbares Licht nach wie vor transparent ist. Diese Form der passiven Regulierung der Lichtdurchlässigkeit ist aber noch nicht ganz ausgereift.

Bereits seit einigen Jahren im Einsatz sind hingegen elektrochrome Materialien, bei denen das Anlegen einer elektrischen Spannung die Farbänderung bewirkt (Abb. 4). Elektrochrome Materialien sind seit 1968 bekannt, aber erst die Entwicklung von modernen Verfahren zur Abscheidung sehr dünner Filme hat ihre Anwendung bei Verglasungen ins Blickfeld gerückt. Nach dem Farbwechsel behalten die Materialien dank ihrem elektrochemischen Gedächtnis die eingestellte Farbe ohne weiteren Energieverbrauch.

Bei Metalloxiden wird die Farbänderung durch eine Redoxreaktion verursacht. Das elektrochrome Material liegt hier in Form einer sehr dünnen Metallschicht vor (beispielsweise aus Wolfram, Nickel oder Molybdän). Ein Nachteil der Metalloxide besteht darin, dass sie mit bis zu 60 Sekunden eine relativ lange Ansprechzeit haben (die Zeit, bis die Farbänderung komplett abgeschlossen ist). Auch sind die Materialien empfindlich auf Umwelteinflüsse wie Änderungen des pH-Wertes und der Luftfeuchtigkeit und sollten deshalb luftdicht versiegelt werden. Die Technik hat sich bisher in Bürogebäuden bewährt, für Wohnhäuser blieb sie aufgrund der zunächst notwendigen zentralen Steuerung mit entsprechender Gebäudeautomation lange Zeit zu komplex. Inzwischen gibt es aber auch Hersteller, die eine dezentrale Schaltung durch Knopfdruck anbieten. Grundsätzlich schnellere Schaltzeiten bieten die molekularen Farbstoffe; daher wird diese Materialklasse derzeit von den meisten Forschungsgruppen verfolgt. Molekulare Farbstoffe bieten den zusätzlichen Vorteil, dass sie nicht nur zur Temperaturregulierung, sondern auch als Solarzelle – etwa die sogenannte Grätzel-Zelle[2] – fungieren können, womit sie im Sinne der Energieeffizienz eine Doppelfunktion erfüllen.

Effizientere und dünnere Solarzellen

Gerade aus der Herstellung von Solarzellen ist die Nanotechnologie nicht mehr wegzudenken. Die weitverbreiteten Zellen aus kristallinem Silizium etwa erhalten durch nanometerdünne Antireflexbeschichtungen nicht nur ästhetischere Farben, sondern haben auch eine höhere Leistung, da mehr Licht eingefangen und somit der Wirkungsgrad verbessert wird. Entscheidend ist die Nanotechnologie aber vor allem für die Dünnschichtsolarzellen, bei denen die aktive Schicht der Zelle selbst nur wenige hundert Nanometer dünn sein kann. Die Dünnschichttechnologie bietet sich als ideale Lösung für die seit Jahren propagierte gebäudeintegrierte Fotovoltaik an. Da die Zellen hier auf dünnen, flexiblen Folien aufgetragen werden können, ist die Installation auf Dächern und an Fassaden mit viel weniger Aufwand möglich, und das Resultat ist eine unauffällige «solare Haut» des Gebäudes. Nur in Sachen Wirkungsgrad stehen die Dünnschichtsolarzellen ihren Pendants aus kristallinem Silizium nach, aber auch hier wird mithilfe von Nanotechnologie an Konzepten wie mehrschichtigen Tandemzellen mit einem besseren Ertrag geforscht.

Ultrahochfester Beton

Grosse Hoffnungen setzt man auch in Kohlenstoff-Nanoröhrchen (CNT: carbon nanotubes), eine Art aufgerollte Variante von Grafit (Abb. 4, S. 17). Sie weisen eine viel höhere Zug-, Druck- und Biegefestigkeit auf als Stahl und Beton. CNT wurden 1991 entdeckt und aufgrund ihrer hervorragenden elektrischen, thermischen und mechanischen Eigenschaften rasch als Wundermaterial angepriesen. Bereits ein paar Jahre nach ihrer Entdeckung waren Methoden entwickelt, um CNT in grossen Mengen zu synthetisieren. Dennoch ist die grossskalige technologische Anwendung nicht so weit vorangeschritten wie anfänglich erhofft.

In Beton dispergiert würde eine kleine Menge an CNT genügen, um die Festigkeit um ein Vielfaches zu erhöhen. Allerdings ist der so herstellbare ultrahochfeste Beton ein Nischenprodukt: Der Bedarf sei sehr gering, und nur wenige Kunden seien bereit, die höheren Preise zu bezahlen, sagt Andreas Leeman, Gruppenleiter Betontechnologie an der Empa. Verbesserungen der Festigkeit, Lebensdauer und Verarbeitbarkeit von Beton und Mörtel werden schon heute durch den Einsatz von Nanosilica als Zusatzstoff erzielt. Die Nanopartikel führen aufgrund ihrer kleineren Dimensionen zu geringeren Porengrössen, was die Druckfestigkeit erhöht und die Durchlässigkeit für Wasser und andere Substanzen verringert. Dadurch nimmt die Dauerhaftigkeit des Baumaterials zu. Andererseits muss eine gute Dispersion der Nanopartikel durch geeignete Durchmischung gewährleistet sein, denn die Nanoteilchen neigen dazu, Agglomerate zu bilden, und diese Verklumpung wirkt sich wiederum negativ auf die Festigkeit aus.

Ökonomische Bedeutung der Nanotechnologie

Schätzungen zufolge beträgt das weltweite Marktvolumen von Nanomaterialien schon heute rund 14 Mrd. Dollar jährlich.[3] Eine Studie der amerikanischen National Science Foundation (NSF) von 2001 prognostizierte für das Jahr 2011 eine Hebelwirkung der Nanotechnologien, also den durch Nanotechnologie direkt oder indirekt geschaffenen Mehrwert von 1000 Mrd. Dollar.[4] Bis 2015 soll sich diese Hebelwirkung laut einem Bericht des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung gar auf 3000 Mrd. Dollar belaufen.[5] In der Baubranche ist eine wirtschaftlich derart bedeutende Verbreitung der Nanotechnologie bis heute jedoch ausgeblieben. Eine im Auftrag der European Federation of Building and Woodworkers erstellte und von der Europäischen Union finanzierte Studie kam 2009 zum Schluss, dass Nanoprodukte in der Branche nur bei einer Handvoll Anwendungen zu finden seien und diese fast ausschliesslich von grossen Unternehmen entwickelt würden.[6] Die EU-Studie identifizierte mangelndes Wissen über Verfügbarkeit und Einsatzmöglichkeiten sowie zu hohe Preise als Hauptgründe für die geringe Präsenz von Nanoprodukten in der europäischen Bauindustrie. Ausserdem wurde das Fehlen von gut dotierten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen bei den meisten Unternehmen der Branche als Hemmschuh ausgemacht. Die wissensintensive Entwicklung von nanooptimierten Produkten könnten sich demnach fast nur die grossen Akteure der bauchemischen Industrie leisten. So geht die Nanotechnologie an den KMU der Baubranche weitgehend vorbei. Nur im Fall einer engen Zusammenarbeit mit Hochschulen wie bei Spin-offs fanden die Studienautoren KMU mit eigenen Nanoprodukten.

Trotzdem ist zu erwarten, dass Nanotechnologien zukünftig auch im Baugewerbe eine grössere Präsenz erlangen werden. Experten weisen darauf hin, dass die Branche bei technischen Neuerungen in der Regel zehn Jahre hinterherhinkt, da sie sehr preisempfindlich ist, Normen einzuhalten sind und Forschung eher am Anfang der Wertschöpfungskette betrieben wird. Aber mit den Fortschritten in anderen Industriesparten wird sich früher oder später die erschwingliche Qualität einstellen, die auf der Baustelle gefragt ist.


Anmerkungen/Literatur:
[01] P. Niemz et al.: Untersuchungen zur Verbesserung des Eindringverhaltens und der Fixierung von Imprägniermitteln bei der Vergütung von Holz mit nanoskaligen Materialien. Interner Bericht, 2009
[02] Die Grätzel-Zelle, eine Farbstoff-Solarzelle, wurde Anfang der 1990er-Jahre von Prof. Michael Grätzel von der EPFL Lausanne erfunden
[03] www.bccresearch.com/report/NANO31D.html
[04] NSF: Societal implications of nanoscience and nanotechnology. National Science Foundation, 2001
[05] BMBF: nano.DE-Report 2009. Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn, Berlin, 2009
[06] F.A. van Broekhuizen, J.C. van Broekhuizen: Nano-products in the European construction industry, State of the art 2009. EFBWW, FIEC, Amsterdam, 2009

– Produktliste für Nanomaterialien der BG Bau: www.bgbau.de/praev/fachinformationen/ gefahrstoffe/nano/pdf-files/nano-liste.pdf

TEC21, Fr., 2012.06.08



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2012|24 Nanotechnologie

25. November 2011Leonid Leiva
TEC21

Klimafreundliches Bauen geht in den Untergrund

Erdwärmespeicher ermöglichen die saisonale Speicherung von sommerlicher Abwärme im Untergrund, damit sie im Winter zum Heizen genutzt werden kann. Bei der Konzeption solcher Speicher gilt es, den Bauaufwand gegen die gewünschte Speichertemperatur abzuwägen. Vor allem in dicht bebauten Gebieten mit Wohn- und Gewerbegebäuden bietet sich die Integration in ein Anergienetz an, das Gebäude mit unterschiedlichen thermischen Bedürfnissen miteinander verbindet.

Erdwärmespeicher ermöglichen die saisonale Speicherung von sommerlicher Abwärme im Untergrund, damit sie im Winter zum Heizen genutzt werden kann. Bei der Konzeption solcher Speicher gilt es, den Bauaufwand gegen die gewünschte Speichertemperatur abzuwägen. Vor allem in dicht bebauten Gebieten mit Wohn- und Gewerbegebäuden bietet sich die Integration in ein Anergienetz an, das Gebäude mit unterschiedlichen thermischen Bedürfnissen miteinander verbindet.

Der emissionsarme Betrieb von Gebäuden ist im Zuge des Klimawandels zu einer wichtigen Rahmenbedingung modernen Bauens geworden. Gebäude, deren Beheizung und Kühlung möglichst ohne fossile Brennstoffe auskommt, sind ein wichtiger Beitrag dazu. Ein Konzept, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist die saisonale Speicherung von niederwertiger Wärme und Kälte im Gründungsbereich von Gebäuden. Diese erst seit ein paar Jahrzehnten zunächst theoretisch verfolgte Idee sieht die Lagerung von überschüssiger Sommerwärme im Untergrund vor sowie deren späteren Bezug zu Heizzwecken im Winter, entweder direkt oder mittels Wärmepumpen. Das Konzept ermöglicht gleichzeitig die Speicherung von Kälte zur Kühlung in den Sommermonaten: Indem die Wärme während der kalten Jahreszeit vollständig aus dem Speicher bezogen wird, entsteht dort eine Wärmesenke, in die der sommerliche Wärmeüberschuss befördert werden kann. Dieser Wärmeüberschuss, der gespeichert wird, stammt von Kühlprozessen, Industrieprozessen, anderen Abwärmequellen oder aus Solarkollektoren. Durch die saisonale Speicherung ergibt sich somit ein doppelter Gewinn: Zum einen wird der Bedarf an aufwendiger Kühlung reduziert und zum anderen die Abwärme, die bisher an die Umgebung abgegeben wurde, vorerst gespeichert und später im Gebäude selbst genutzt – Energiekreisläufe werden geschlossen.

Konzeption von Erdwärme speichern

In den Untergrund geleitet wird die Wärme mittels Erdwärmesonden. Die Bohrtiefen, in denen die Speicher angelegt werden, reichen von 20 bis 250 Metern. Durch die U-förmigen Sonden aus Polyethylen fliesst eine Flüssigkeit – Wasser oder ein Gemisch aus Wasser und Glykol, die als Wärmeträger fungiert. Das Bohrloch wird um die Sonden herum mit einem Material verfüllt, das den Wärmeübertragungswiderstand zwischen Wärmeträgerfluid in der Sonde und umgebendem Erdreich senkt (vgl. Artikel «Optimierung von Erdwärmesonden» S. 11). Die Sonden werden in Rastern oder als konzentrische Ringe angeordnet mit einem Abstand zwischen den Sonden, der je nach der angestrebten Temperaturverteilung und Bohrtiefe zwischen 2 und 7 Metern schwanken kann. Oft wird die Wärme nur im zentralen Bereich gespeichert – mit dem Ergebnis, dass die Mitte des Speichers eine höhere Temperatur aufweist als dessen Randbereich. Extrahiert wird die Wärme dann zunächst aus dem äusseren, kälteren Bereich und später aus der wärmeren Region in der Mitte. Dieses Be- und Entladekonzept minimiert die Wärmeverluste, die sich durch die Angleichung der Speichertemperatur an jene der Umgebung des Erdwärmespeichers ergeben würden. Insgesamt können diese Verluste bis zu 20 % der gespeicherten Energie ausmachen.

Erforderliche Eigenschaften des Untergrundes

Ideal für einen Erdwärmespeicher ist der Untergrund, wenn er aus wassergesättigten Tonen oder Tonsteinen besteht. Neben einer relativ hohen Wärmeleitfähigkeit des Erdreichs ist auch eine geringe Wasserdurchlässigkeit wichtig, denn die Präsenz von Grundwasser ist einem Erdwärmespeicher generell abträglich. Wasser, vor allem wenn es grosse Strömungsgeschwindigkeiten aufweist, kann die Wärme sehr effizient vom Speicher wegtragen. Deshalb wird ein Erdwärmespeicher in der Regel oberhalb des Grundwasserhorizonts angelegt. Dies limitiert an manchem Standort die erreichbare Bohrtiefe und somit die mittlere Temperatur im Speicher, aber dieser Nachteil kann in den meisten Fällen mit mehr Sonden wettgemacht werden. Dies allerdings vergrössert die vom Speicher in Anspruch genommene Fläche. Die Wärmeleitfähigkeit des Untergrundes sollte weder zu hoch noch zu tief sein: Ist sie zu tief, kann nur wenig Wärme übertragen werden, ist sie zu hoch, mehren sich die Verluste. Grundwasser kann zwar als Speicher dienen, aber nur, wenn die Strömungsgeschwindigkeit tief ist.

Wärmenutzung via Erdwärmesonden oder direkt

Eine bei der Planung eines Erdwärmespeichers häufig auftretende Fragestellung betrifft die optimale Bohrtiefe. Je tiefer gebohrt wird, desto höher wird die mittlere Erdtemperatur, die dann näher bei der Speichertemperatur zu liegen kommt. Durch den kleineren Temperaturgradient werden die Wärmeverluste minimiert. Doch Bohrungen sind teuer: Die Kosten pro Bohrmeter schwanken je nach Untergrund zwischen 60 und 120 Franken. Und in der Regel braucht ein Erdwärmespeicher zwischen 30 und mehreren hundert Sonden. Deshalb muss das Optimum der Bohrtiefe zwischen Speichertemperatur, mittlerer Erdtemperatur, Menge bzw. Temperatur der Abwärme und Bohrkosten gesucht werden.

Die Investition in einen Speicher ist abhängig von dessen Grösse. Die Grösse wiederum hängt eng mit der Frage nach der erwünschten Speichertemperatur sowie mit der Entscheidung zusammen, ob Wärmepumpen verwendet werden oder die Wärme direkt extrahiert wird. Ist der Speicher für hohe Temperaturen (über 50 °C) ausgelegt, muss er ein grosses Volumen einnehmen. Dies liegt daran, dass es bei grösseren Volumina leichter ist, das Oberflächen-Volumen-Verhältnis und somit die Wärmeverluste durch Kontakt mit der kälteren Umgebung zu reduzieren. Höhere Temperaturen bieten den Vorteil, dass die Wärme direkt, also ohne Veredelung durch eine Wärmepumpe, genutzt werden kann. Das heisst, bei der Entscheidung über Grösse und Temperatur des Speichers muss der Bauaufwand gegen die Investition in eine Wärmepumpe abgewogen werden.

Anergienetze nutzen Synergien

Matthias Sulzer, Geschäftsführer der Gebäudetechnikfirma Lauber Iwisa AG und Dozent für Energie- und Gebäudetechnik an der Hochschule Luzern, beschäftigt sich mit dem systemischen Verhalten von Erdwärmespeichern. Er ist ein Befürworter von eher tiefen Speichertemperaturen unter Verwendung von Wärmepumpen, denn tiefe Speichertemperaturen ermöglichen auch die Speicherung von tiefwertiger Energie (Anergie, vgl. Kasten und Abb. 1 S. 21), wie sie in vielen Prozessen als Abwärme anfällt. Die Speicher sollten dann entsprechend in ein Anergienetz integriert werden. Solche Anergienetze nutzen Niedertemperaturwärme (8 bis 20 °C) aus Kühlprozessen, Tunnelwärme oder Solarwärme aus einem Verbund von Wohn- und Gewerbegebäuden. Durch deren thermische Vernetzung lassen sich die Synergien zwischen den Gebäuden nutzen, weil Bürogebäude eher Kühlungsbedarf haben, während Wohnhäuser hauptsächlich Heizwärme brauchen. Die aus der Kühlung der Bürogebäude anfallende Überschusswärme kann daher zur Beheizung von Wohnungen genutzt werden. Weil die beiden Prozesse in verschiedenen Jahreszeiten stattfinden, sind dafür allerdings Langzeitspeicher notwendig. Aus diesem Anergienetz können Wärmepumpen laut Sulzer günstig und effizient mit Quellwärme versorgt werden. Somit müsse nicht jeder einzelne Hausbesitzer eigene, teure und schlecht genutzte Erdwärmesonden bohren. «Und das Bankgebäude zwei Strassen weiter muss nicht mit grossen Investitionen die Abwärme aus dem Serverraum über Kühltürme an die Umwelt abgeben.»

Verschiedene Ansätze in der Praxis

Dieser Ansatz wird inzwischen auch bei Projekten verfolgt, die ursprünglich als Hochtemperaturspeicher konzipiert wurden. In Neckarsulm (D) beispielsweise wurde ein Erdwärmespeicher für Temperaturen bis 70 °C geplant, damit eine Direktnutzung möglich wäre. Nach zehn Jahren Betriebserfahrung wird er nun gemäss Empfehlungen von Experten der Universität Stuttgart in ein neues Nutzungskonzept überführt und mit einer Wärmepumpe kombiniert.[1] Dadurch gewinnt das System an Robustheit, denn dank der Wärmepumpe ist es weniger empfindlich gegen Schwankungen der Speichertemperatur. Bei einer direkten Nutzung würde die Heizung nicht funktionieren, wenn der Speicher zu «kalt» ist. Von Anfang an mit einem Niedertemperatur-Anergienetz geplant wurde das Areal «Suurstoffi », das derzeit als neues Quartier in der Gemeinde Risch Rotkreuz ZG entsteht (Abb. 2–5).[2] Die Überbauung mit rund 600 Wohnungen und 2500 Arbeitsplätzen soll mithilfe eines saisonalen Erdwärmespeichers ihren Wärmebedarf völlig CO2-frei decken. Eine Fotovoltaikanlage vor Ort deckt den Strombedarf sämtlicher haustechnischer Anlagen. Ähnliche Konzepte werden auf dem Hönggerberg-Campus der ETH Zürich, bei der Familienheim- Genossenschaft Zürich sowie auf dem Richti-Areal in Wallisellen ZH implementiert (vgl. Kasten S. 24).

Auf höhere Speichertemperaturen für eine Direktnutzung der Wärme ohne Wärmepumpen setzt hingegen Basler & Hofmann beim eigenen Geschäftsgebäude in Esslingen, das vor rund einem Jahr fertiggestellt wurde (Abb. 8). Dessen Beheizung stützt sich auf Erdwärmespeicher im Untergrund. Die Direktnutzung des Speichers soll dank einem modernen Heizsystem mit einer tiefen Vorlauftemperatur von 26 °C möglich sein, denn dadurch genügt es, den Speicher im Sommer auf rund 35 °C aufzuwärmen. Die Planer wussten, dass diese Temperatur erst nach fünf Jahren erreichbar wäre. Das hatten Berechnungen der Fachhochschule Tessin gezeigt und daraufhin war der Einsatz einer Wärmepumpe zur Heizunterstützung in den ersten Heizperioden vorgesehen worden. Aber eine Überraschung kam hinzu: Zu Beginn der ersten Heizperiode nach dem Erstbezug des Gebäudes im Oktober 2010 hatte der Speicher noch nicht die geplante Temperatur von 28 °C erreicht, sondern erst 23 °C. Dies wird vonseiten der Planer bei Basler & Hofmann in erster Linie auf das Auftreten von Hangwasser im Bereich des Speichers zurückgeführt. Das Hangwasser habe Wärme aus den oberen Metern des Speichers weggetragen. Wenn es gelingt, das Durchsickern von Wasser zu verhindern, sollte sich der Speicher in den vorgesehenen fünf Jahren aber in den optimalen Temperaturbereich einschwingen. Allerdings bleibt die genaue Temperatur im Speicher nach wie vor von kaum kalkulierbaren Faktoren abhängig wie von der Sonneneinstrahlung und deren zeitlicher Verteilung, von der Aussentemperatur im Winter oder vom Komfortbedürfnis der Nutzer. In Esslingen zum Beispiel ging man bei der Planung von einer Raumtemperatur von 21 °C im Winter aus; die Nutzer fanden es aber erst bei 23 °C behaglich, sodass dem Speicher entsprechend mehr Wärme entnommen werden musste. Die lange «Einfahrtzeit», bis die Speicher mit Wärme gefüllt sind und optimal genutzt werden können, ist ein weiterer Grund, der für niedrige Speichertemperaturen spricht. Ein Speicher mit einer Temperatur bis zu 20 °C würde sich laut Sulzer in weniger als drei Jahren füllen. Sulzer ist überzeugt, dass Erdwärmespeicher in Kombination mit Wärmepumpen und Anergienetzen einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz in der Schweiz leisten können.

Wenn in den nächsten 20 Jahren die klima- und energiepolitischen Ziele umgesetzt werden sollen, müsse man mindestens 60 % der Ölheizungen (ca. 30 000 GWh/a) durch Wärmepumpen ersetzen. Sulzer:«Um diese Wärmepumpen vor allem in dicht bebauten Gebieten effizient und kostengünstig zu versorgen, sind Anergienetze erforderlich.» Erdwärmespeicher würden den Ausgleich zwischen Wärmeeintrag in und Wärmebezug aus dem Anergienetz gewährleisten. «Ich bin überzeugt», sagt Sulzer, «dass solitäre Wärmespeicher und Wärmegewinnungsanlagen in dicht bebauten Gebieten weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll sind. Eine thermische Vernetzung solcher Gebiete ist ebenso sinnvoll wie die heutige elektrische Vernetzung.»


Anmerkungen / Literatur:
[01] Mündliche Auskunft von Thorwald Ritter, Stadtwerke Neckarsulm (D)
[02] www.suurstoffi.ch – Thomas Schmidt, Hans Müller-Steinhagen: Erdsonden- und Aquifer-Wärmespeicher in Deutschland. OTTI Profiforum Oberflächennahe Geothermie, Regenstauf, 14.–15. April 2005

TEC21, Fr., 2011.11.25



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