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14. Dezember 2020Bert Rebhandl
Der Standard

Die Leeren der Geschichte

Nach 20 Jahren Bauzeit wird im Zentrum Berlins das Humboldt-Forum eröffnet. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des 1950 in der DDR abgerissenen Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum?

Nach 20 Jahren Bauzeit wird im Zentrum Berlins das Humboldt-Forum eröffnet. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des 1950 in der DDR abgerissenen Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum?

Die Nachricht klingt widersinnig, und sie ist es in vielerlei Hinsicht auch: Am kommenden Mittwoch wird in Berlin nach fast zwanzig Jahren Bauzeit das Humboldt-Forum eröffnet. Wegen der Corona-Pandemie allerdings nur digital – man kann den Neubau auf dem Berliner Schlossplatz vorerst nur virtuell kennenlernen, bis auf weiteres muss die Homepage das aufwiegen, was man von außen eben keineswegs erahnen kann.

Denn das alte, im Krieg beschädigte Hohenzollern-Schloss, das von der DDR-Führung 1950 in einem hochsymbolischen Akt gesprengt wurde, steht nun in den überlieferten Dimensionen und mit einer Rekonstruktion seiner barocken Fassade (samt Kuppel und Goldkreuz!) wieder da.

Glanz und Glorie

Da es aber keinen Kaiser mehr gibt, der einziehen könnte, und überhaupt mit Preußens Glanz und Glorie heute nicht mehr so leicht Staat zu machen ist, ist das Schloss im Inneren etwas ganz anderes: ein moderner Museumskomplex, von dem allerdings im Winter 2020 unklarer denn je ist, was er künftig leisten könnte.

Warum nun die Eile? Bei einer Pressebegehung vergangene Woche wurde deutlich, dass das Gebäude zwar so gut wie fertiggestellt ist, aber eben auch weitgehend leer steht. Die wichtigen Inhalte werden alle erst im nächsten Jahr zugänglich, und zwar zu wichtigen Teilen erst im Herbst 2021. Man hätte gut und gern so lange noch warten können.

Ungeduld der Leitung

Stattdessen findet nun eine offizielle Eröffnung statt, die keine ist, und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Politik mit häppchenweise verabreichten Teilschließungen des öffentlichen Lebens um den richtigen Kurs in der Gesundheitskrise ringt. Die merkwürdige Ungeduld der Leitung des Humboldt-Forums passt aber zur ganzen Geschichte seiner Entstehung. Denn diese stand von Beginn an im Zeichen falscher Horizonte: Beim Humboldt-Forum wurde häufig groß, aber selten zeitgemäß gedacht.

Dass es überhaupt zu einem Neubau auf dem Schlossplatz kam, verdankt sich einer konservativen Lobby-Gruppe, die außer einer Sehnsucht nach einem Übersprung zurück hinter das 20. Jahrhundert intellektuell nichts zu bieten hatte. Dass der Palast der Republik, das wichtigste repräsentative Gebäude der DDR, dafür abgerissen werden musste, passte zu der naiven Berliner Hauptstadt-Euphorie der frühen Nullerjahre, erwies sich aber schnell als geschichtspolitische Dummheit ersten Ranges. Die Idee eines Humboldt-Forums sollte schließlich alles auf einen guten Kurs bringen: Wenn schon ein neues Schloss, dann soll es erstens nicht so heißen, und zweitens soll es für etwas stehen, was sich stadttouristisch exzellent vermarkten lässt – für eine Begegnung von Kulturen.

Flughafenfunktionalität

Die ethnologischen Sammlungen und die asiatische Kunst aus den Beständen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (heute klingt schon der Name der Institution dubios) sollten aus dem bürgerlichen Randbezirk Dahlem in die Mitte der Stadt übersiedeln. Und die Brüder Humboldt, Forscher und Reisende aus der Zeit der Berliner Klassik um 1800, sollten der ganzen Sache einen klingenden Namen geben.

Der Berliner Architekt Franco Stella entwarf dazu die entsprechende Kompromissbildung: ein riesiges Ding mit zwei unterschiedlich geprägten Innenhöfen, einer traditionalistischen Außenhaut und einer eleganten, aber auch ein wenig steril wirkenden Flughafenfunktionalität im Inneren.

Das Barock, das die Schloss-Fans sich wieder zurückgewünscht hatten, existiert nur noch als Zitat. Eine ähnliche Belebung, wie sie das Wiener Museumsquartier mehr oder weniger sofort nach Eröffnung erzielt hat, kann man sich für das Humboldt-Forum nicht leicht vorstellen. Immerhin hat der Platz vor dem Berliner Dom und der Museumsinsel, der bei gutem Wetter stark frequentierte Lustgarten, nun auch nach Süden hin wieder etwas vor sich. In der DDR diente der Schlossplatz nämlich vor allem als Aufmarschzone für die bei der kommunistischen Führung beliebten Massenornamente.

Gänzlich unvorbereitet zeigten sich seit 2002 im Lauf der Jahre die zuständigen Stellen bezüglich der zunehmenden Intensivierung der postkolonialen Debatten. Dass in Nigeria vor einem Monat ein beeindruckender Entwurf für ein Edo Museum of West African Art in der Stadt Benin präsentiert wurde, ist auch für Berlin von Bedeutung.

Denn längst geht es nicht mehr um „partnerschaftliche Prozesse“, wie es Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums, immer noch kalmierend formuliert. Bei vielen Beständen, die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in das Humboldt-Forum eingebracht werden sollen, handelt es sich definitiv um Raubkunst. Sie werden irgendwann zur Restitution anstehen. Notabene die besonders attraktiven Benin-Bronzen, aber auch viele andere Artefakte aus der Zeit des lange verdrängten (weil oberflächlich als dilettantisch weggewischten und verdrängten) deutschen Kolonialismus.

Verwunschener Ort

Allerdings könnten sich diese Themen für das Humboldt-Forum auch als Bereicherung erweisen. Wenn es gelingt, die deutsche Geschichtspolitik über die Erinnerung der nationalsozialistischen Verbrechen hinaus auf eine grundsätzliche Reflexion der Stellung des Landes in globalen Zusammenhängen zu öffnen, dann könnte sich dieser im Moment konzeptuell ziemlich verwunschen wirkende Ort seine Berechtigung noch verdienen.

p humboldtforum.org

Der Standard, Mo., 2020.12.14

16. Juli 2019Bert Rebhandl
Der Standard

Der neue Gründergeist von Berlin

Im Volksmund wird das neue Gebäude „die teuerste Garderobe der Welt“ genannt. Jetzt wurde David Chipperfields James-Simon-Galerie in Berlin endlich eröffnet. Freunde des Klassizismus jubeln.

Im Volksmund wird das neue Gebäude „die teuerste Garderobe der Welt“ genannt. Jetzt wurde David Chipperfields James-Simon-Galerie in Berlin endlich eröffnet. Freunde des Klassizismus jubeln.

Deutschland war spät dran, als im Jahr 1898 eine Orient-Gesellschaft gegründet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es unter den europäischen Mächten einen regelrechten Wettlauf um Kulturgüter. Frankreich hatte den Louvre, England das British Museum, in Berlin gab es eine Museumsinsel.

Die Orient-Gesellschaft sollte nach Schätzen suchen, wo einst die Bibel entstanden war: im Vorderen Orient zwischen dem Nil im Westen und Euphrat und Tigris im Osten. Einer der wichtigsten Förderer dieser Grabungen war der jüdische Baumwollhändler James Simon. Im ägyptischen Tell el-Amarna hatte er 1911 die alleinige Grabungslizenz, und so kam eine Statue in seinen Besitz, die heute zu den berühmtesten Museumsobjekten weltweit zählt: die Nofretete.

Seit dem vergangenen Wochenende erinnert nun ein eigenes Gebäude an den Mäzen, der Berlin diese Trophäe schließlich schenkte. Am Samstag wurde mit einem rege besuchten Publikumstag die James-Simon-Galerie eröffnet. Der Bau des Architekten David Chipperfield hatte eine komplizierte Vorgeschichte, die sich nun überzeugend auflöste.

Bis 1993 reicht der Masterplan Museumsinsel zurück. Eine zentrale Idee bei diesem Plan war die Errichtung eines Eingangsgebäudes, das alle fünf Institutionen verbinden sollte: das Alte und das Neue Museum, die Alte Nationalgalerie, das Bode-Museum und das Pergamonmuseum.

Chipperfields erster Entwurf stieß auf heftigen Widerstand: Er wollte mit Glas und Stahl einen Akzent setzen. Dagegen formierte sich eine Allianz, die im Herzen der wiedervereinigten Stadt Preußens Glanz und Glorie neu erleben wollte. Mit seinem nun verwirklichten Gebäude kommt Chipperfield allen Freunden des Klassizismus deutlich entgegen, ohne sich ihnen wirklich anzubiedern.

Säulenhalle oder Tempel

Da der Bauplatz direkt am Kupfergraben eine schlanke Kubatur erforderlich machte, ist das Bild einer Säulenhalle nun die naheliegende Assoziation. Die James-Simon-Galerie ist in Sachen Markenbildung nicht ganz so spektakulär wie die Pyramide von I. M. Pei in Paris, aber sie schließt in jedem Fall die Museumsinsel auch zeichenhaft, wenngleich von einer entlegenen Ecke her, auf.

Dass man die elegante Freitreppe hinauf zum Eingang vor allem aus ästhetischen Gründen bewältigen muss, merkt man, sobald man drin ist: dort geht es wieder eine Etage tiefer, zu den Tickets.

Die Verbindung zum Neuen Museum, das bereits fertig saniert ist, verläuft unterirdisch. In noch eher ferner Zukunft dürfte die Archäologische Promenade liegen, ein geplanter Verbindungsweg zwischen allen fünf Institutionen unter Tage. Zum Pergamonmuseum, das seit 2012 bei teilweise laufendem Betrieb generalsaniert wird, geht es derzeit auch schon, aber eben nur in die Bereiche, die gerade nicht gesperrt sind. Mit einem Vortragssaal und einem Bereich für kleinere Sonderausstellungen versucht die James-Simon-Galerie der volksmündlichen Skepsis zu begegnen, es handle sich bei dem neuen Gebäude um „die teuerste Garderobe der Welt“. Tatsächlich waren die Kosten mehrfach nach oben revidiert worden, was bei der langen Planungsgeschichte aber auch kaum zu vermeiden ist.

Leeres Humboldtforum

Die größeren Zusammenhänge bekommt man dann in den Blick, wenn man aus der James-Simon-Galerie wieder ins Freie tritt. Da sieht man gegenüber die Kuppel des neu errichteten Stadtschlosses, derzeit noch verborgen hinter Baugerüsten. Das Schloss war einst ein Herrschaftsgebäude, das in der Zeit der DDR gesprengt wurde. Dass der Palast der Republik, das zentrale ideologische Gebäude der DDR, nach 1989 abgerissen und durch einen Nachbau des alten Schlosses ersetzt wurde, war der größte Sieg der konservativen Stadtplaner nach der Wende.

Weil die Berliner Republik aber kein weiteres Herrschaftsgebäude braucht, wird nun auch das Schloss ein Museum: Noch in diesem Jahr soll es als Humboldtforum eröffnet werden. Da sich allerdings inzwischen herausstellte, dass die baulichen Anforderungen für Ausstellungen in diesem Jahr noch nicht erreicht werden, wird das Schloss, das man nicht mehr so nennen soll, vorerst leer eröffnet. Das war so nicht geplant, ist aber eine stimmige Geste angesichts der zahlreichen offenen Fragen, wo die „außereuropäischen“ Kulturgüter eigentlich hingehören, die im Humboldtforum gezeigt werden sollen.

In jedem Fall passt die repräsentative Landschaft, die sich südlich und nördlich des Boulevards Unter den Linden auf der Insel zwischen Spree und Spreekanal schon deutlich erkennen lässt, gut zu der aktuellen Atmosphäre in Berlin. Denn Parallelen zum späten 19. Jahrhundert und damit zur Ära von James Simon sind durchaus erkennbar. In der Stadt herrscht ein neuer Gründergeist, der allerdings deutlich andere Züge trägt als vor 120 Jahren.

Eine bürgerliche Metropole wird Berlin wohl nur noch in Zitatform. Und da passt die James-Simon-Galerie mit ihrer kühlen Erinnerung an eine echte Klassik bestens dazu.

Der Standard, Di., 2019.07.16



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James-Simon-Galerie

24. November 2016Bert Rebhandl
Der Standard

Ber­li­ner Bier­zelt im Back­stein­man­tel

In Ber­lin wälzt man sehr kon­kret ein „Bau­vor­ha­ben, auf das die gan­ze Welt schaut“: Für ein neu­es Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts un­mit­tel­bar ne­ben der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie ha­ben die Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron den Zu­schlag er­hal­ten.

In Ber­lin wälzt man sehr kon­kret ein „Bau­vor­ha­ben, auf das die gan­ze Welt schaut“: Für ein neu­es Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts un­mit­tel­bar ne­ben der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie ha­ben die Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron den Zu­schlag er­hal­ten.

Berlin - Das Jahr 2021 wer­den sich so man­che Bürg­er­in­nen und Bür­ger von Ber­lin schon ein­mal im Ka­len­der no­tiert ha­ben. 2021 soll näm­lich auf ei­nem der kul­tur­po­li­tisch wich­tigs­ten Plät­ze der Stadt ein neu­es Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts er­öff­nen.

Es ist ein „Bau­vor­ha­ben, auf das die gan­ze Welt schaut“, wie die deut­sche Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Mo­ni­ka Grüt­ters selbst­be­wusst ver­kün­de­te. In fünf Jah­ren soll auf dem Kul­tur­fo­rum, un­mit­tel­bar ne­ben der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie von Mies van der Ro­he, die ge­ra­de re­no­viert wird, ein Ge­bäu­de ste­hen, das die Bas­ler Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron ge­plant ha­ben und mit dem sie ei­nen der meist­be­ach­te­ten Wett­be­wer­be der jüngs­ten Zeit ge­won­nen ha­ben. Seit ver­gan­ge­ner Wo­che sind al­le Ein­rei­chun­gen aus­ge­stellt, und die in­te­res­sier­te Öf­fent­lich­keit kann sich ein Bild von den Mög­lich­kei­ten und Ge­fah­ren ma­chen, die mit die­sem Ort ver­bun­den sind.

Das Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts, mit dem die Ber­li­ner Kul­tur­po­li­tik vor al­lem un­ter Klaus Wo­we­reit lan­ge schwan­ger ge­gan­gen war, wird an ei­nem ar­chi­tek­to­nisch höchst strah­lungs­rei­chen Ort er­rich­tet. Das schwe­ben­de Dach der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie ist nur ei­ne der Her­aus­for­de­run­gen, auf die sich die teil­neh­men­den Bü­ros ei­nen Reim ma­chen muss­ten. Un­mit­tel­bar ne­ben dem zu be­bau­en­den Grund­stück an der Pots­da­mer Stra­ße liegt die St.-Matt­häi-Kir­che aus dem 19. Jahr­hun­dert, west­lich steigt ei­ne Pi­az­zet­ta leicht zur Ge­mäl­de­ga­le­rie an, nörd­lich do­mi­nie­ren die Phil­har­mo­nie und der Kam­mer­mu­sik­saal von Hans Scha­roun den Ho­ri­zont, öst­lich des­sen Staats­bi­blio­thek, je­weils in Alu­gold.

Zu all dem kam nach der Wen­de der neue Pots­da­mer Platz mit sei­nem Hoch­haus­por­tal, das wie ei­ne Kür­zest­fas­sung der Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te auf das Durch­ein­an­der ein paar hun­dert Me­ter wei­ter her­über­strahlt.

Selbst­be­wuss­te Ge­ste

Wer da noch mit­hal­ten will, muss ent­we­der ei­ne ein­zi­ge, deut­li­che Ge­ste set­zen oder selbst ei­nen ver­schach­tel­ten Ent­wurf ris­kie­ren, der sich in al­le Rich­tun­gen selbst­be­wusst „ver­neigt“. Wie so häu­fig bei ih­ren Bau­ten ha­ben Her­zog und de Meu­ron für das M20, wie es in­zwi­schen schon ge­läu­fig ab­ge­kürzt wird, et­was vor­ge­schla­gen, was ge­ni­al ein­fach wirkt.

Al­ler­dings auch ein we­nig ge­wöh­nungs­be­dürf­tig: Denn die er­ste As­so­zia­ti­on ist bei nicht we­ni­gen die mit ei­nem Bier­zelt oder ei­ner rie­si­gen La­ger­hal­le. Letz­te­res ist durch­aus ge­wollt, wo­bei die ge­plan­te Back­stein­fass­ade, an de­ren De­tails noch ge­ar­bei­tet wird, den Ein­druck mas­si­ver Kom­pakt­heit wohl ab­schwä­chen wird. Und in­nen soll sich dann oh­ne­hin die dif­fe­ren­zier­te Viel­falt bie­ten, die auch we­gen der ge­misch­ten Auf­ga­ben des Ge­bäu­des not­wen­dig ist, das nicht zu­letzt in die­ser Hin­sicht auch Aus­druck der wan­kel­mü­ti­gen Ber­li­ner Kul­tur­po­li­tik ist. Sie lie­fert sich im­mer wie­der stark pri­va­ten Samm­lern aus.

Im Ver­gleich mit den rest­li­chen Kan­di­da­ten fällt auf je­den Fall auf, dass die Ju­ry un­ter der Lei­tung des Stutt­gar­ter Ar­chi­tek­ten Ar­no Le­de­rer den größ­ten Ent­wurf ge­wählt hat. Her­zog und de Meu­ron ge­hen räum­lich auf das Äu­ßers­te – sehr na­he an die Kir­che und in der An­sicht vom Pots­da­mer Platz aus, die auf dem wich­tigs­ten Si­mu­la­ti­ons­fo­to zu se­hen ist, doch recht her­me­tisch. Und zwar von al­len Sei­ten, wäh­rend zum Bei­spiel das dä­ni­sche Bü­ro 3XN zur Stra­ße hin ei­nen Rie­gel setz­te, da­hin­ter aber ei­nen öf­fent­li­chen Platz an­bot. Das geht schon in die Rich­tung der viel­leicht ra­di­kal­sten Ein­rei­chung von Sou Fu­ji­mo­to aus To­kio: Hier ver­schwin­det das M20 mehr oder we­ni­ger un­ter den sanf­ten Wel­len ei­ner Dach­kons­truk­ti­on, die sich als „Hü­gel­land­schaft“ in al­le Rich­tun­gen eher ver­läuft als auf­schwingt. Das war dann doch zu we­nig „land­mark“ für Ber­lin.

Mit dem zwei­ten Platz für das dä­ni­sche Bü­ro Lund­gaard & Tran­berg ließ die Ju­ry aber auch ei­ne deut­li­che Ge­gen­po­si­ti­on zu Her­zog und de Meu­ron zu: ein kur­vi­ges, or­ga­nisch wir­ken­des Gan­zes, das ein we­nig an die Nord­ischen Bot­schaf­ten er­in­nert, ein Ar­chi­tek­tur­denk­mal aus der frü­hen Zeit nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung. Das Fach­pu­bli­kum wird sich die Aus­stel­lung im Kul­tur­fo­rum, die ein Schul­bei­spiel für mo­der­ne Mu­se­ums­ar­chi­tek­tur­kon­zep­te dar­stellt, na­tür­lich an­ders an­schau­en als die meis­ten Be­woh­ner der Stadt, die an der Stel­le, an der das M20 er­rich­tet wer­den wird, sel­ten vor­bei­kom­men, es sei denn, dass sie mit dem Au­to vor­bei­sau­sen. Sie wer­den das Er­öff­nungs­da­tum 2021 auch dann mit ge­büh­ren­der Skep­sis ver­bu­chen, wenn sie von der lan­ge über­fäl­lig ge­we­se­nen Elb­phil­har­mo­nie von Her­zog und de Meu­ron we­nig No­tiz ge­nom­men ha­ben. Ih­nen reicht das Bei­spiel des Flug­ha­fens Ber­lin-Brand­en­burg, um ein­fach mal ab­zu­war­ten, was am En­de draus wird.

Der Standard, Do., 2016.11.24



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Museum der Moderne Berlin - Wettbewerb

13. Juni 2013Bert Rebhandl
Der Standard

Von der Erotik des Hauses

Die Berliner Akademie der Künste ehrt ihr Mitglied Gustav Peichl mit dem schönen Band „Die Zeichnung ist die Sprache der Architekten“

Die Berliner Akademie der Künste ehrt ihr Mitglied Gustav Peichl mit dem schönen Band „Die Zeichnung ist die Sprache der Architekten“

Dass jedes Haus auch „erogene Zonen“ hat, würde man bei einem Gang durch eine moderne Großstadt nicht sofort bemerken. Doch für Gustav Peichl, den 1928 geborenen österreichischen Architekten, ist es eine Hauptaufgabe in seinem Beruf, diese Zonen zu entdecken oder während des Entwerfens zu finden.

Dabei hilft ihm oft ein einfaches Mittel: die Zeichnung. Der leichte Strich, mit dem der auch als Karikaturist bedeutende Peichl seine Skizzen anfertigt, lässt sich durchaus als erotische Passion begreifen.

Und so ist es nur verständlich, wenn der Materialkomplex, den er kürzlich anlässlich einer stilvollen Ehrung der Berliner Akademie der Künste übergab, eine deutliche grafische Schlagseite hat. 3196 Zeichnungen sind enthalten, daneben nur zwei Kisten mit Schriften.

Peichl ist also kein Theoretiker, jedenfalls kein wortreicher, wie manch anderer in seiner Zunft. Und doch hat er es nun zu einem „Bestandsbildner“ gebracht - so nennt man das, wenn jemand Archiven etwas hinterlässt, worüber sich dereinst Historiker und Interpreten die Köpfe zerbrechen können.

Also zum Beispiel über die erogenen Zonen der PEA-Phospat- Eliminationsanlage in der Buddestraße in Berlin-Tegel, auf gut Deutsch: einer Kläranlage, die auf einer ersten Entwurfszeichnung wie eine auf einem sanften Hügel errichtete Schiffsbrücke aussieht (eine der Laudatorinnen sprach da von „Hammerhai“).

Es war die erste Berliner Arbeit von Peichl, der Entwurf stammt aus dem Jahre 1980, fünf Jahre später stand das Gebäude, das mit seiner nautischen Metaphorik sehr klar und zugleich doch differenziert ist. In Tegel baute er drei Jahre später auch noch ein Wohnhaus, das auf einer ähnlichen Semantik beruht - zwei gewichtige Bauten, die Architekturtouristen an einem Nachmittag schaffen.
Der Berliner Neubau

Es traf sich gut, dass Peichl just rund um ein wichtiges Datum in Berlin war. Die Grundsteinlegung für den historisierenden Neubau des Berliner Schlosses veranlasste ihn noch einmal, seiner „Angst“ Ausdruck zu verleihen, „wie es mit dem Schloss weitergeht“. Zur Erinnerung: Im Jahr 2000 hatte sich Gustav Peichl mit einem Beitrag über Ein Bauwerk der bewegten deutschen Geschichte in der „FAZ“ zu Wort gemeldet und eine Position bezogen, die den inzwischen abgerissenen Palast der Republik (das zentrale Gebäude der DDR) in die Überlegungen miteinbezog.

Nun wollte er im Detail nicht mehr darauf eingehen, ließ aber mit einer Bemerkung doch durchklingen, wie er zu manchen Berliner Prestigebauten steht: Die Hauptstadt „hat ein großes Problem mit dem Maßstab“. Einen Kollegen nahm er davon namentlich aus: Axel Schultes. Dessen Kanzleramt komme zwar keineswegs dezent daher, die Flagship-Anmutung desselben werde allerdings durch interessante Gliederungen und elegante Eingliederung in den Großraum des Regierungsviertels gemildert.

„Checks and balances“, das würde man mit Blick auf die Demokratie sagen, die sich hier repräsentiert und der Gustav Peichl durch eine Ehrenerklärung an seinen Bauherren und Freund Helmut Kohl eine weitere Reverenz erwies.

Die Akademie der Künste honorierte den neuen Bestand und ihr verdienstvolles Mitglied mit einem schönen Band „Die Zeichnung ist die Sprache der Architekten“. Gustav Peichl spricht diese Sprache besonders verständlich.

Der Standard, Do., 2013.06.13



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Peichl Gustav

20. April 2013Bert Rebhandl
Der Standard

Das Museum, der Motor der Stadt

Der Wiener Architekt András Pálffy über die Zukunft des Verhältnisses von Stadt und Museum

Der Wiener Architekt András Pálffy über die Zukunft des Verhältnisses von Stadt und Museum

In der Akademie der Künste in Berlin ist derzeit die Ausstellung „Kultur:Stadt“ zu sehen, Pálffy hielt dort letztes Wochenende einen Vortrag.

STANDARD: Sie haben in Ihrem Vortrag in Berlin darüber gesprochen, wie architektonische Interventionen in kulturellem Auftrag auf Städte einwirken.

Pálffy: Ja, ich habe vor allem über den Museumsbegriff in seiner ganzen Entwicklung gesprochen. Das Thema Museum beginnt ja schon in der Renaissance. In diesem Sinne tragen diese Institutionen einen Bildungsauftrag in sich, der sehr weit zurückreicht. Heute allerdings haben Museen zum Teil ganz andere Aufgaben, wie etwa die Schaffung von städtischen Kulturräumen.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel für diese städtischen Kulturräume nennen?

Pálffy: Ich kann Ihnen gleich zwei nennen! Das eine ist das Centre Pompidou in Paris, bei dem sich die Architektur vom Artefakt vollkommen abgetrennt hat. Das war ein sehr kräftiger, symbolischer Schritt, der sehr gut aufgezeigt hat, in welchem Maß ein Museum ein städtischer Ort ist. Die zweite Entwicklung war das Guggenheim-Museum in Bilbao. Ich denke, das ist das womöglich wichtigste neuere Beispiel für „Entertainment“ in der Architektur. Es beweist, dass man mit einem Museum auch Standortqualität erzeugen kann.

STANDARD: Ist das Museum ein öffentlicher Ort?

Pálffy: Ja und nein. Sehr oft werden Museen heute nicht mehr von den knappen öffentlichen Kassen finanziert, sondern von Privaten. Das passiert immer häufiger. So kommt es beispielsweise, dass der französische Industrielle Pinault seine Sammlung in Venedig im Palazzo Grassi zeigt.

STANDARD: Gibt es Parallelen zwischen den italienischen Bürgerstädten und den heutigen Metropolen, die in einer globalen Aufmerksamkeitskonkurrenz stehen?

Pálffy: Die gibt es zweifellos. Zurückzuführen ist das auf den Punkt der Wahrnehmung, auf Aspekte der Vermessbarkeit des eigenen Standortes. Ich habe in diesem Zusammenhang den Studiolo von Federico da Montefeltro gezeigt, ein architektonisches Meisterwerk aus Urbino, in dem der Humanismus sich als Intarsie abbildet, als ein Zitat in die Zukunft. Aber ein Stadtgefüge bleibt letztendlich immer das, was es ist. Es gibt Orte des Übergangs, es gibt Orte der Bewegung, und es gibt Orte des Privaten und des Öffentlichen. Daran wird sich meiner Meinung nach auch in Zukunft nichts fundamental ändern.

STANDARD: Eines der Modelle in der Ausstellung ist die von Ihnen geplante Generali Foundation in Wien. Wie geht es Ihnen damit im Rückblick?

Pálffy: Die Generali Foundation fügt sich in eine sehr konkrete Umgebung ein. Durch die Reibungsflächen mit dem Umfeld entsteht erst die Signifikanz. Es ging damals nicht um den Versuch, eine Ikone zu entwickeln. Ganz im Gegenteil. Wir wollten neue Ideen ausprobieren, etwa in Hinsicht auf die Beleuchtung, die von anderen Firmen inzwischen sogar schon patentiert wurden. Die Generali ist nach wie vor ein Ort, der gut funktioniert und der eine beachtliche, international bewunderte Sammlung hat.

STANDARD: Wenn man einen Nachmittag im Centre Pompidou, in der Tate Modern oder im Wiener MQ verbringt, könnte man meinen, der Kulturbegriff würde sich zunehmend vom Museum emanzipieren.

Pálffy: Nein, das glaube ich nicht. Ich sehe drei Tendenzen: Das eine ist, dass man zwei verschiedene Formen der Öffentlichkeit zusammenbringt und versucht, daraus einen Mehrwert zu generieren. Ein Beispiel dafür wäre das Guggenheim-Museum in Las Vegas. Da hat man versucht, ein paar van Goghs in eine Entertainment-Umgebung zu hängen. Auf diese Weise kommt man an neue Publikumsschichten heran. So ähnlich funktioniert das auch in Dubai. Das zweite Modell beruht darauf, dass ein Museum heute auch ein Ort des Aufenthalts ist. Das Themenspektrum wird kontinuierlich erweitert. Und es entstehen dabei Synergien. So gibt es mittlerweile Museen mit angeschlossenem Haubenrestaurant und Apple-Store. Und das dritte Moment ist, dass man die Institution Museum dazu benützt, einen Standort weiterzuentwickeln und eine gewisse Durchmischung zu schaffen. So gesehen dient Kultur als Motor für Quartiersentwicklung. Das ist wohl die größte Neuerung im Kulturbetrieb. Bilbao ist ein perfektes Beispiel dafür.

STANDARD: Für den Durchgang durch die Berliner Ausstellung „Kultur:Stadt“ muss man einen Tablet-Computer ausleihen. Gefällt Ihnen das?

Pálffy: Ich glaube und hoffe, dass Präsenzfragen dadurch nicht obsolet werden. Es mag zwar umfangreiche Formen des Zugangs geben, die das Netz in einer gewaltigen Bandbreite bietet. Aber das Zusammensuchen ist auch mit einem Aufwand verbunden. Das wird oft außer Acht gelassen. Die neuen Medien haben beachtliches Potenzial, Inhalte zu transportieren. In den alten Lebensbereichen hat das schon durchaus seinen Stellenwert gefunden. Doch nicht zuletzt werfen die neuen Medien Fragen zu Original und Kopie auf. Im Netz werden Sie überwiegend nur Kopien finden.

Der Standard, Sa., 2013.04.20



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Pálffy András

20. April 2013Bert Rebhandl
Der Standard

Ein bisschen Bilbao für alle

In der Akademie der Künste in Berlin ist derzeit die Ausstellung „Kultur:Stadt“ zu sehen

In der Akademie der Künste in Berlin ist derzeit die Ausstellung „Kultur:Stadt“ zu sehen

Beim Betreten der Ausstellung Kultur:Stadt in der Berliner Akademie der Künste stößt man erst einmal auf ein großes Modell des Kulturforums, mit dem sich Westberlin auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges seinerzeit als Ort der Freiheit deklarieren wollte. Die Philharmonie von Hans Scharoun sollte in Sichtweite der Systemgrenze und der späteren Mauer ein Zeichen für die kulturellen Werte setzen, die sich die westlichen Demokratien zugutehalten.

Doch wie es so ist mit großen Plänen: Sie überfordern manchmal die dafür zuständigen Behörden. Und so blieb das Kulturforum unvollständig und läuft nun in der Ausstellung als „Beleg für die Abwesenheit kultureller Visionen“ (wie übrigens auch der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, der ja als eine Art Fassadenzauber konzipiert ist).

Wer Visionen hat, geht heute meistens nicht zum Arzt, sondern zum Architekten. So entstehen ständig neue, wegweisende Gebäudekomplexe mit einer Zweckwidmung, die im engeren oder weiteren Sinn als kulturell zu bezeichnen ist. Diesem Zusammenhang widmet sich die Schau Kultur:Stadt mit einer bemerkenswerten Übersichtskonzeption:

In einem großen Raum in dem von Hans Düttmann geplanten Bau am Hanseatenweg sind gut drei Dutzend Modelle aufgestellt, die von der Tate Modern in London bis zum Opernhaus in Sydney so ziemlich alle wesentlichen Kulturbauten aus den letzten Jahrzehnten repräsentieren. Den nötigen Kontext vermittelt einem der Tablet-Computer, den man am Eingang ausgeborgt hat. Oder aber man liest klassisch in den Katalog ein, denn die Modelle stehen, obwohl sie miteinander kommunizieren, allesamt doch recht unvermittelt im Raum.

Jeder Städtetourist wird den einen oder anderen gezeigten Bau schon einmal persönlich aufgesucht haben und nun ein wenig staunen, was in der Perspektive, die das Modell ermöglicht, alles erkennbar wird – zum Beispiel der Dachgarten der Generali Foundation in Wien (siehe Gespräch mit András Pálffy). „Kultur als Zweck und Mittel“ ist dabei ein leitendes Interesse. Doch inwiefern dienen die Bauten der Präsentation von Kultur? Und inwiefern schaffen sie selbst eine neue Kultur, in der Städte sich eine Identität zu geben versuchen?

Der millionenfach zitierte „Bilbao-Effekt“, von dem William J. R. Curtis im Katalog schreibt, verleitete einige spanische Kommunen dazu, das vermeintliche Erfolgsrezept der baskischen Industrie- und Hafenstadt nachzuahmen. Auch sie wollten teilhaben an großer, medial gigantischer Stararchitektur à la Frank Gehry und den Synergien von Stadt und Kultur. Es ist genau dieser sichtbar werdende globale Zusammenhang, der sich durch die Vielzahl der gezeigten Kulturbauten aufdrängt.

Im Abschreiten der Modelle werden Ähnlichkeiten deutlich, zugleich bleiben die Gebäude aber ohne Kontext im Raum stehen. So geht es einem häufig ja auch an den Orten selbst: Man ist da und zugleich in einer medialen Parallelwelt aus Vorstellungen und Images und versucht, das irgendwie zusammenzukriegen. Gerade dafür ist die Ausstellung Kultur:Stadt ein interessantes urbanes Labor. (Bert Rebhandl, Album, DER STANDARD, 20./21.4.2013)

„Kultur:Stadt“, Akademie der Künste, Berlin. Bis 26. Mai.

Der Standard, Sa., 2013.04.20

09. Mai 2005Bert Rebhandl
Der Standard

Gedenken, nicht Geschäft

Am morgigen Dienstag wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Peter Eisenmans Stelenfeld, in Berlin offiziell eröffnet. Es gibt der Shoah ihre Singularität zurück, indem es jede Erzählbarkeit der Ereignisse verneint.

Am morgigen Dienstag wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Peter Eisenmans Stelenfeld, in Berlin offiziell eröffnet. Es gibt der Shoah ihre Singularität zurück, indem es jede Erzählbarkeit der Ereignisse verneint.

Gerhard Schröder wünschte sich „einen Ort, an den man gerne geht“. Nun hat er ihn bekommen. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird absehbarerweise ein Erfolg. In bester Berliner Lage - an der Touristenmeile zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz - liegt das Stelenfeld von Peter Eisenman, das am Dienstag feierlich der Öffentlichkeit übergeben wird. Von allen Seiten werden die Menschen künftig in dieses Labyrinth ohne Zentrum hineingehen können.

Sie können über die Oberfläche der Betonstelen streichen, die mit einer Substanz der Firma Degussa gegen Graffiti immunisiert wurde. Sie können Andacht üben oder den Ort als Abenteuerspielplatz nutzen. Und sie können sich am Ort der Information das Mindestwissen über die Shoah, den Genozid an den Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft, aneignen. Die meisten werden auch danach von einem Besuch des „Holocaust-Mahnmals“ sprechen, denn dieser Begriff hat sich eingebürgert, ungeachtet aller problematischen Konnotationen der Bezeichnung „Holocaust“.

Großes Zeichen

Das Denkmal wird ein Erfolg werden, weil es die vielen Schwierigkeiten, die ihm zugrunde liegen, nicht mehr erkennen lässt. Es hebt sie auf in ein großes Zeichen, von dem der Architekt jede inhaltliche Bestimmung fern zu halten versucht. Kein Gräberfeld möchte er sehen, keinen Wald, nur Stelen, deren Muster zugleich geometrisch und wellenförmig bestimmt ist.

Als die Journalistin Lea Rosh und der Historiker Eberhard Jäckel im Jahr 1988 begannen, sich für ein Denkmal stark zu machen, regierte Helmut Kohl in Bonn. Berlin war eine geteilte Stadt, und die offizielle DDR begriff sich als Staat gewordenes antifaschistisches Mahnmal. Die Bundesrepublik hatte gerade einen Historikerstreit hinter sich gebracht, in dem die Singularität der NS-Verbrechen als Eckstein ihres demokratischen Selbstverständnisses kodifiziert wurde.

Erst vor dem Hintergrund eines wiedervereinigten Landes und der „Berliner Republik“ bekam das geplante Denkmal eine neue kontroverse Qualität als „negatives“ Nationaldenkmal. Martin Walser sprach für die große Gruppe der Denkmalgegner, als er sich gegen eine „Monumentalisierung der Schande“ aussprach. Seine Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998 galt spezifisch dem „fußballfeldgroßen Albtraum“ im Zentrum Berlins, allgemeiner aber der deutschen Geschichtspolitik als solcher, mit Auschwitz als „Drohroutine“.

Die unausgesprochene Pointe von Walsers Einlassung war, dass er das Mahnmal als Massenmedium begriff, als eine institutionalisierte, immer währende Kommunikation zur Erinnerung an Schuld, und damit als steinernes Hindernis auf dem Weg zur „Normalisierung“ des deutschen Verhältnisses zur eigenen Geschichte. Nun, da das Denkmal fertig und durch einen Ort der Information auch noch inhaltlich gegen seine eigene Abstraktionsleistung versichert ist, stellt sich heraus, dass das Gegenteil richtig sein wird.

Die Eröffnung zum Abschluss einer langen Bau- und Diskussionsgeschichte ist der letzte Schritt auf dem Weg einer Normalisierung, die die Massenmedien längst vollzogen haben. Einen Tag vor dem Staatsakt zeigt das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit dem Dokudrama Speer und er einen weiteren mit größter Aufmerksamkeit erwarteten Film über einen Protagonisten des Dritten Reichs.

Interesse an Tätern

Heinrich Breloers Dreiteiler, in dem Albert Speer, der vermeintliche „gute Nazi“, nicht nur des Mitwissens über die Judenvernichtung, sondern auch der direkten bürokratischen Beihilfe dazu überführt wird, ist das wichtigste gegenwärtige Indiz dafür, dass das Interesse sich zunehmend auf die Täter konzentriert. Von ihnen ist wesentlich mehr audiovisuelles Material überliefert, während das Wissen über die Opfer sich vorwiegend aus den Berichten von Überlebenden und aus der Sicht der Befreier ergibt. Auf diese indirekte Zeugenlage haben die Medien schon früh durch Fiktionalisierung reagiert. Fernsehserien wie Holocaust oder Spielfilme wie Schindlers Liste stehen kanonisch für die Opfergeschichte. Auf diesen Zusammenhang einer pädagogisch vereinfachenden Anschaulichkeit reagiert das Mahnmal wesentlich stärker als auf die „Schande“.

Eisenman gibt der Shoah ihre Singularität zurück, indem er das Ereignis der Erzählbarkeit wieder entzieht. Damit sanktioniert das Denkmal (das de facto übrigens viel narrativer ist, als der Urheber und die offizielle Rezeption es zugestehen wollen) alle Formen der Vermittlung, weil es selber das historische Geschehen als unvermittelte Setzung für die Dauer des Bestehens einer deutschen Demokratie symbolisch festhält.

Es sanktioniert aber auch die Ausbeutung des Nazimythos durch Filme wie Der Untergang, weil es als offizielles Denkmal den Unterschied zwischen Gedenken und Geschäft aufrichtet, den das „Histotainment“ so lange mit aufklärerischen Absichten verleugnen musste. Darin liegt eine „Normalisierung“, die von den Initiatoren nicht beabsichtigt sein konnte, aber für den Moment die eigentliche Leistung dieses Bauwerks darstellt.

Der Standard, Mo., 2005.05.09



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Holocaust Mahnmal

07. Mai 2005Bert Rebhandl
Der Standard

Vier Räume der Erinnerung

Vier Tage vor der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Mahnmal“) wurde am Freitag in Berlin zum ersten Mal der...

Vier Tage vor der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Mahnmal“) wurde am Freitag in Berlin zum ersten Mal der...

Vier Tage vor der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Mahnmal“) wurde am Freitag in Berlin zum ersten Mal der Ort der Information zugänglich gemacht. Diese Ergänzung zum Stelenfeld des Architekten Peter Eisenman war vom Deutschen Bundestag 1999 beschlossen worden. Auf knappem Raum in einem unterirdischen Komplex am Südostrand des Denkmalgeländes wird dort in Hinkunft eine stark verdichtete Dokumentation der Vernichtung der europäischen Juden während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland zu sehen sein. Der Zugang erfolgt zwischen den Stelen, die am Rand - wo das Niveau des Denkmals höher ist als in der Mitte - noch relativ niedrig sind.

Sechs Großaufnahmen von jüdischen Opfern der Shoah stehen stellvertretend für die sechs Millionen, derer gedacht werden soll. Die vier Räume, die zusammen einen quadratischen Grundriss ergeben, reagieren auf den Grundriss des Stelenmusters. In den ersten „Raum der Dimensionen“ sind über den ganzen Boden hin Platten vom Umfang der Stelen eingelassen, auf denen kurze Textpassagen jeweils fragmentarische Berichte über Tötungen enthalten.

An der Wand werden nach der „Nationalitätenstruktur der Opfer“ die Zahlen aufgelistet. Polen hatte mit über drei Millionen jüdischen Toten den größten Verlust zu beklagen. Ein „Raum der Familien“ schließt an den „Raum der Dimensionen“ an. Hier haben die befassten Historiker jüdische Familienchroniken erstellt, die jeweils von einem Gruppenbild ausgehen. Der Verbleib der einzelnen Familienmitglieder während und nach des Kriegs wird rekonstruiert, wodurch die Vernichtung eine lebensweltliche Dimension jenseits der bloßen Zahlen bekommt. Im dritten „Raum der Namen“ werden kurze Biografien von Opfern akustisch vorgetragen, im vierten „Raum der Orte“ bekommt die Vernichtungspolitik eine Topographie.

Reduktion, Abstraktion

„Wir wollen nicht mit Yad Vashem in Konkurrenz treten“, sagte Hans-Erhard Haverkampf, der Geschäftsführer der Denkmal-Stiftung in Anspielung auf die Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem. Der Ort der Information in Berlin funktioniert, wie das Denkmal selbst, durch Reduktion und Abstraktion.

Am Dienstag wird es in Berlin durch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse feierlich eröffnet werden.

Der Standard, Sa., 2005.05.07



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Presseschau 12

14. Dezember 2020Bert Rebhandl
Der Standard

Die Leeren der Geschichte

Nach 20 Jahren Bauzeit wird im Zentrum Berlins das Humboldt-Forum eröffnet. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des 1950 in der DDR abgerissenen Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum?

Nach 20 Jahren Bauzeit wird im Zentrum Berlins das Humboldt-Forum eröffnet. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des 1950 in der DDR abgerissenen Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum?

Die Nachricht klingt widersinnig, und sie ist es in vielerlei Hinsicht auch: Am kommenden Mittwoch wird in Berlin nach fast zwanzig Jahren Bauzeit das Humboldt-Forum eröffnet. Wegen der Corona-Pandemie allerdings nur digital – man kann den Neubau auf dem Berliner Schlossplatz vorerst nur virtuell kennenlernen, bis auf weiteres muss die Homepage das aufwiegen, was man von außen eben keineswegs erahnen kann.

Denn das alte, im Krieg beschädigte Hohenzollern-Schloss, das von der DDR-Führung 1950 in einem hochsymbolischen Akt gesprengt wurde, steht nun in den überlieferten Dimensionen und mit einer Rekonstruktion seiner barocken Fassade (samt Kuppel und Goldkreuz!) wieder da.

Glanz und Glorie

Da es aber keinen Kaiser mehr gibt, der einziehen könnte, und überhaupt mit Preußens Glanz und Glorie heute nicht mehr so leicht Staat zu machen ist, ist das Schloss im Inneren etwas ganz anderes: ein moderner Museumskomplex, von dem allerdings im Winter 2020 unklarer denn je ist, was er künftig leisten könnte.

Warum nun die Eile? Bei einer Pressebegehung vergangene Woche wurde deutlich, dass das Gebäude zwar so gut wie fertiggestellt ist, aber eben auch weitgehend leer steht. Die wichtigen Inhalte werden alle erst im nächsten Jahr zugänglich, und zwar zu wichtigen Teilen erst im Herbst 2021. Man hätte gut und gern so lange noch warten können.

Ungeduld der Leitung

Stattdessen findet nun eine offizielle Eröffnung statt, die keine ist, und das ausgerechnet in einer Zeit, in der die Politik mit häppchenweise verabreichten Teilschließungen des öffentlichen Lebens um den richtigen Kurs in der Gesundheitskrise ringt. Die merkwürdige Ungeduld der Leitung des Humboldt-Forums passt aber zur ganzen Geschichte seiner Entstehung. Denn diese stand von Beginn an im Zeichen falscher Horizonte: Beim Humboldt-Forum wurde häufig groß, aber selten zeitgemäß gedacht.

Dass es überhaupt zu einem Neubau auf dem Schlossplatz kam, verdankt sich einer konservativen Lobby-Gruppe, die außer einer Sehnsucht nach einem Übersprung zurück hinter das 20. Jahrhundert intellektuell nichts zu bieten hatte. Dass der Palast der Republik, das wichtigste repräsentative Gebäude der DDR, dafür abgerissen werden musste, passte zu der naiven Berliner Hauptstadt-Euphorie der frühen Nullerjahre, erwies sich aber schnell als geschichtspolitische Dummheit ersten Ranges. Die Idee eines Humboldt-Forums sollte schließlich alles auf einen guten Kurs bringen: Wenn schon ein neues Schloss, dann soll es erstens nicht so heißen, und zweitens soll es für etwas stehen, was sich stadttouristisch exzellent vermarkten lässt – für eine Begegnung von Kulturen.

Flughafenfunktionalität

Die ethnologischen Sammlungen und die asiatische Kunst aus den Beständen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (heute klingt schon der Name der Institution dubios) sollten aus dem bürgerlichen Randbezirk Dahlem in die Mitte der Stadt übersiedeln. Und die Brüder Humboldt, Forscher und Reisende aus der Zeit der Berliner Klassik um 1800, sollten der ganzen Sache einen klingenden Namen geben.

Der Berliner Architekt Franco Stella entwarf dazu die entsprechende Kompromissbildung: ein riesiges Ding mit zwei unterschiedlich geprägten Innenhöfen, einer traditionalistischen Außenhaut und einer eleganten, aber auch ein wenig steril wirkenden Flughafenfunktionalität im Inneren.

Das Barock, das die Schloss-Fans sich wieder zurückgewünscht hatten, existiert nur noch als Zitat. Eine ähnliche Belebung, wie sie das Wiener Museumsquartier mehr oder weniger sofort nach Eröffnung erzielt hat, kann man sich für das Humboldt-Forum nicht leicht vorstellen. Immerhin hat der Platz vor dem Berliner Dom und der Museumsinsel, der bei gutem Wetter stark frequentierte Lustgarten, nun auch nach Süden hin wieder etwas vor sich. In der DDR diente der Schlossplatz nämlich vor allem als Aufmarschzone für die bei der kommunistischen Führung beliebten Massenornamente.

Gänzlich unvorbereitet zeigten sich seit 2002 im Lauf der Jahre die zuständigen Stellen bezüglich der zunehmenden Intensivierung der postkolonialen Debatten. Dass in Nigeria vor einem Monat ein beeindruckender Entwurf für ein Edo Museum of West African Art in der Stadt Benin präsentiert wurde, ist auch für Berlin von Bedeutung.

Denn längst geht es nicht mehr um „partnerschaftliche Prozesse“, wie es Hartmut Dorgerloh, der Generalintendant des Humboldt-Forums, immer noch kalmierend formuliert. Bei vielen Beständen, die von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in das Humboldt-Forum eingebracht werden sollen, handelt es sich definitiv um Raubkunst. Sie werden irgendwann zur Restitution anstehen. Notabene die besonders attraktiven Benin-Bronzen, aber auch viele andere Artefakte aus der Zeit des lange verdrängten (weil oberflächlich als dilettantisch weggewischten und verdrängten) deutschen Kolonialismus.

Verwunschener Ort

Allerdings könnten sich diese Themen für das Humboldt-Forum auch als Bereicherung erweisen. Wenn es gelingt, die deutsche Geschichtspolitik über die Erinnerung der nationalsozialistischen Verbrechen hinaus auf eine grundsätzliche Reflexion der Stellung des Landes in globalen Zusammenhängen zu öffnen, dann könnte sich dieser im Moment konzeptuell ziemlich verwunschen wirkende Ort seine Berechtigung noch verdienen.

p humboldtforum.org

Der Standard, Mo., 2020.12.14

16. Juli 2019Bert Rebhandl
Der Standard

Der neue Gründergeist von Berlin

Im Volksmund wird das neue Gebäude „die teuerste Garderobe der Welt“ genannt. Jetzt wurde David Chipperfields James-Simon-Galerie in Berlin endlich eröffnet. Freunde des Klassizismus jubeln.

Im Volksmund wird das neue Gebäude „die teuerste Garderobe der Welt“ genannt. Jetzt wurde David Chipperfields James-Simon-Galerie in Berlin endlich eröffnet. Freunde des Klassizismus jubeln.

Deutschland war spät dran, als im Jahr 1898 eine Orient-Gesellschaft gegründet wurde. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es unter den europäischen Mächten einen regelrechten Wettlauf um Kulturgüter. Frankreich hatte den Louvre, England das British Museum, in Berlin gab es eine Museumsinsel.

Die Orient-Gesellschaft sollte nach Schätzen suchen, wo einst die Bibel entstanden war: im Vorderen Orient zwischen dem Nil im Westen und Euphrat und Tigris im Osten. Einer der wichtigsten Förderer dieser Grabungen war der jüdische Baumwollhändler James Simon. Im ägyptischen Tell el-Amarna hatte er 1911 die alleinige Grabungslizenz, und so kam eine Statue in seinen Besitz, die heute zu den berühmtesten Museumsobjekten weltweit zählt: die Nofretete.

Seit dem vergangenen Wochenende erinnert nun ein eigenes Gebäude an den Mäzen, der Berlin diese Trophäe schließlich schenkte. Am Samstag wurde mit einem rege besuchten Publikumstag die James-Simon-Galerie eröffnet. Der Bau des Architekten David Chipperfield hatte eine komplizierte Vorgeschichte, die sich nun überzeugend auflöste.

Bis 1993 reicht der Masterplan Museumsinsel zurück. Eine zentrale Idee bei diesem Plan war die Errichtung eines Eingangsgebäudes, das alle fünf Institutionen verbinden sollte: das Alte und das Neue Museum, die Alte Nationalgalerie, das Bode-Museum und das Pergamonmuseum.

Chipperfields erster Entwurf stieß auf heftigen Widerstand: Er wollte mit Glas und Stahl einen Akzent setzen. Dagegen formierte sich eine Allianz, die im Herzen der wiedervereinigten Stadt Preußens Glanz und Glorie neu erleben wollte. Mit seinem nun verwirklichten Gebäude kommt Chipperfield allen Freunden des Klassizismus deutlich entgegen, ohne sich ihnen wirklich anzubiedern.

Säulenhalle oder Tempel

Da der Bauplatz direkt am Kupfergraben eine schlanke Kubatur erforderlich machte, ist das Bild einer Säulenhalle nun die naheliegende Assoziation. Die James-Simon-Galerie ist in Sachen Markenbildung nicht ganz so spektakulär wie die Pyramide von I. M. Pei in Paris, aber sie schließt in jedem Fall die Museumsinsel auch zeichenhaft, wenngleich von einer entlegenen Ecke her, auf.

Dass man die elegante Freitreppe hinauf zum Eingang vor allem aus ästhetischen Gründen bewältigen muss, merkt man, sobald man drin ist: dort geht es wieder eine Etage tiefer, zu den Tickets.

Die Verbindung zum Neuen Museum, das bereits fertig saniert ist, verläuft unterirdisch. In noch eher ferner Zukunft dürfte die Archäologische Promenade liegen, ein geplanter Verbindungsweg zwischen allen fünf Institutionen unter Tage. Zum Pergamonmuseum, das seit 2012 bei teilweise laufendem Betrieb generalsaniert wird, geht es derzeit auch schon, aber eben nur in die Bereiche, die gerade nicht gesperrt sind. Mit einem Vortragssaal und einem Bereich für kleinere Sonderausstellungen versucht die James-Simon-Galerie der volksmündlichen Skepsis zu begegnen, es handle sich bei dem neuen Gebäude um „die teuerste Garderobe der Welt“. Tatsächlich waren die Kosten mehrfach nach oben revidiert worden, was bei der langen Planungsgeschichte aber auch kaum zu vermeiden ist.

Leeres Humboldtforum

Die größeren Zusammenhänge bekommt man dann in den Blick, wenn man aus der James-Simon-Galerie wieder ins Freie tritt. Da sieht man gegenüber die Kuppel des neu errichteten Stadtschlosses, derzeit noch verborgen hinter Baugerüsten. Das Schloss war einst ein Herrschaftsgebäude, das in der Zeit der DDR gesprengt wurde. Dass der Palast der Republik, das zentrale ideologische Gebäude der DDR, nach 1989 abgerissen und durch einen Nachbau des alten Schlosses ersetzt wurde, war der größte Sieg der konservativen Stadtplaner nach der Wende.

Weil die Berliner Republik aber kein weiteres Herrschaftsgebäude braucht, wird nun auch das Schloss ein Museum: Noch in diesem Jahr soll es als Humboldtforum eröffnet werden. Da sich allerdings inzwischen herausstellte, dass die baulichen Anforderungen für Ausstellungen in diesem Jahr noch nicht erreicht werden, wird das Schloss, das man nicht mehr so nennen soll, vorerst leer eröffnet. Das war so nicht geplant, ist aber eine stimmige Geste angesichts der zahlreichen offenen Fragen, wo die „außereuropäischen“ Kulturgüter eigentlich hingehören, die im Humboldtforum gezeigt werden sollen.

In jedem Fall passt die repräsentative Landschaft, die sich südlich und nördlich des Boulevards Unter den Linden auf der Insel zwischen Spree und Spreekanal schon deutlich erkennen lässt, gut zu der aktuellen Atmosphäre in Berlin. Denn Parallelen zum späten 19. Jahrhundert und damit zur Ära von James Simon sind durchaus erkennbar. In der Stadt herrscht ein neuer Gründergeist, der allerdings deutlich andere Züge trägt als vor 120 Jahren.

Eine bürgerliche Metropole wird Berlin wohl nur noch in Zitatform. Und da passt die James-Simon-Galerie mit ihrer kühlen Erinnerung an eine echte Klassik bestens dazu.

Der Standard, Di., 2019.07.16



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James-Simon-Galerie

24. November 2016Bert Rebhandl
Der Standard

Ber­li­ner Bier­zelt im Back­stein­man­tel

In Ber­lin wälzt man sehr kon­kret ein „Bau­vor­ha­ben, auf das die gan­ze Welt schaut“: Für ein neu­es Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts un­mit­tel­bar ne­ben der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie ha­ben die Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron den Zu­schlag er­hal­ten.

In Ber­lin wälzt man sehr kon­kret ein „Bau­vor­ha­ben, auf das die gan­ze Welt schaut“: Für ein neu­es Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts un­mit­tel­bar ne­ben der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie ha­ben die Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron den Zu­schlag er­hal­ten.

Berlin - Das Jahr 2021 wer­den sich so man­che Bürg­er­in­nen und Bür­ger von Ber­lin schon ein­mal im Ka­len­der no­tiert ha­ben. 2021 soll näm­lich auf ei­nem der kul­tur­po­li­tisch wich­tigs­ten Plät­ze der Stadt ein neu­es Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts er­öff­nen.

Es ist ein „Bau­vor­ha­ben, auf das die gan­ze Welt schaut“, wie die deut­sche Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Mo­ni­ka Grüt­ters selbst­be­wusst ver­kün­de­te. In fünf Jah­ren soll auf dem Kul­tur­fo­rum, un­mit­tel­bar ne­ben der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie von Mies van der Ro­he, die ge­ra­de re­no­viert wird, ein Ge­bäu­de ste­hen, das die Bas­ler Ar­chi­tek­ten Her­zog und de Meu­ron ge­plant ha­ben und mit dem sie ei­nen der meist­be­ach­te­ten Wett­be­wer­be der jüngs­ten Zeit ge­won­nen ha­ben. Seit ver­gan­ge­ner Wo­che sind al­le Ein­rei­chun­gen aus­ge­stellt, und die in­te­res­sier­te Öf­fent­lich­keit kann sich ein Bild von den Mög­lich­kei­ten und Ge­fah­ren ma­chen, die mit die­sem Ort ver­bun­den sind.

Das Mu­se­um des 20. Jahr­hun­derts, mit dem die Ber­li­ner Kul­tur­po­li­tik vor al­lem un­ter Klaus Wo­we­reit lan­ge schwan­ger ge­gan­gen war, wird an ei­nem ar­chi­tek­to­nisch höchst strah­lungs­rei­chen Ort er­rich­tet. Das schwe­ben­de Dach der Neu­en Na­tio­nal­ga­le­rie ist nur ei­ne der Her­aus­for­de­run­gen, auf die sich die teil­neh­men­den Bü­ros ei­nen Reim ma­chen muss­ten. Un­mit­tel­bar ne­ben dem zu be­bau­en­den Grund­stück an der Pots­da­mer Stra­ße liegt die St.-Matt­häi-Kir­che aus dem 19. Jahr­hun­dert, west­lich steigt ei­ne Pi­az­zet­ta leicht zur Ge­mäl­de­ga­le­rie an, nörd­lich do­mi­nie­ren die Phil­har­mo­nie und der Kam­mer­mu­sik­saal von Hans Scha­roun den Ho­ri­zont, öst­lich des­sen Staats­bi­blio­thek, je­weils in Alu­gold.

Zu all dem kam nach der Wen­de der neue Pots­da­mer Platz mit sei­nem Hoch­haus­por­tal, das wie ei­ne Kür­zest­fas­sung der Ar­chi­tek­tur­ge­schich­te auf das Durch­ein­an­der ein paar hun­dert Me­ter wei­ter her­über­strahlt.

Selbst­be­wuss­te Ge­ste

Wer da noch mit­hal­ten will, muss ent­we­der ei­ne ein­zi­ge, deut­li­che Ge­ste set­zen oder selbst ei­nen ver­schach­tel­ten Ent­wurf ris­kie­ren, der sich in al­le Rich­tun­gen selbst­be­wusst „ver­neigt“. Wie so häu­fig bei ih­ren Bau­ten ha­ben Her­zog und de Meu­ron für das M20, wie es in­zwi­schen schon ge­läu­fig ab­ge­kürzt wird, et­was vor­ge­schla­gen, was ge­ni­al ein­fach wirkt.

Al­ler­dings auch ein we­nig ge­wöh­nungs­be­dürf­tig: Denn die er­ste As­so­zia­ti­on ist bei nicht we­ni­gen die mit ei­nem Bier­zelt oder ei­ner rie­si­gen La­ger­hal­le. Letz­te­res ist durch­aus ge­wollt, wo­bei die ge­plan­te Back­stein­fass­ade, an de­ren De­tails noch ge­ar­bei­tet wird, den Ein­druck mas­si­ver Kom­pakt­heit wohl ab­schwä­chen wird. Und in­nen soll sich dann oh­ne­hin die dif­fe­ren­zier­te Viel­falt bie­ten, die auch we­gen der ge­misch­ten Auf­ga­ben des Ge­bäu­des not­wen­dig ist, das nicht zu­letzt in die­ser Hin­sicht auch Aus­druck der wan­kel­mü­ti­gen Ber­li­ner Kul­tur­po­li­tik ist. Sie lie­fert sich im­mer wie­der stark pri­va­ten Samm­lern aus.

Im Ver­gleich mit den rest­li­chen Kan­di­da­ten fällt auf je­den Fall auf, dass die Ju­ry un­ter der Lei­tung des Stutt­gar­ter Ar­chi­tek­ten Ar­no Le­de­rer den größ­ten Ent­wurf ge­wählt hat. Her­zog und de Meu­ron ge­hen räum­lich auf das Äu­ßers­te – sehr na­he an die Kir­che und in der An­sicht vom Pots­da­mer Platz aus, die auf dem wich­tigs­ten Si­mu­la­ti­ons­fo­to zu se­hen ist, doch recht her­me­tisch. Und zwar von al­len Sei­ten, wäh­rend zum Bei­spiel das dä­ni­sche Bü­ro 3XN zur Stra­ße hin ei­nen Rie­gel setz­te, da­hin­ter aber ei­nen öf­fent­li­chen Platz an­bot. Das geht schon in die Rich­tung der viel­leicht ra­di­kal­sten Ein­rei­chung von Sou Fu­ji­mo­to aus To­kio: Hier ver­schwin­det das M20 mehr oder we­ni­ger un­ter den sanf­ten Wel­len ei­ner Dach­kons­truk­ti­on, die sich als „Hü­gel­land­schaft“ in al­le Rich­tun­gen eher ver­läuft als auf­schwingt. Das war dann doch zu we­nig „land­mark“ für Ber­lin.

Mit dem zwei­ten Platz für das dä­ni­sche Bü­ro Lund­gaard & Tran­berg ließ die Ju­ry aber auch ei­ne deut­li­che Ge­gen­po­si­ti­on zu Her­zog und de Meu­ron zu: ein kur­vi­ges, or­ga­nisch wir­ken­des Gan­zes, das ein we­nig an die Nord­ischen Bot­schaf­ten er­in­nert, ein Ar­chi­tek­tur­denk­mal aus der frü­hen Zeit nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung. Das Fach­pu­bli­kum wird sich die Aus­stel­lung im Kul­tur­fo­rum, die ein Schul­bei­spiel für mo­der­ne Mu­se­ums­ar­chi­tek­tur­kon­zep­te dar­stellt, na­tür­lich an­ders an­schau­en als die meis­ten Be­woh­ner der Stadt, die an der Stel­le, an der das M20 er­rich­tet wer­den wird, sel­ten vor­bei­kom­men, es sei denn, dass sie mit dem Au­to vor­bei­sau­sen. Sie wer­den das Er­öff­nungs­da­tum 2021 auch dann mit ge­büh­ren­der Skep­sis ver­bu­chen, wenn sie von der lan­ge über­fäl­lig ge­we­se­nen Elb­phil­har­mo­nie von Her­zog und de Meu­ron we­nig No­tiz ge­nom­men ha­ben. Ih­nen reicht das Bei­spiel des Flug­ha­fens Ber­lin-Brand­en­burg, um ein­fach mal ab­zu­war­ten, was am En­de draus wird.

Der Standard, Do., 2016.11.24



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Museum der Moderne Berlin - Wettbewerb

13. Juni 2013Bert Rebhandl
Der Standard

Von der Erotik des Hauses

Die Berliner Akademie der Künste ehrt ihr Mitglied Gustav Peichl mit dem schönen Band „Die Zeichnung ist die Sprache der Architekten“

Die Berliner Akademie der Künste ehrt ihr Mitglied Gustav Peichl mit dem schönen Band „Die Zeichnung ist die Sprache der Architekten“

Dass jedes Haus auch „erogene Zonen“ hat, würde man bei einem Gang durch eine moderne Großstadt nicht sofort bemerken. Doch für Gustav Peichl, den 1928 geborenen österreichischen Architekten, ist es eine Hauptaufgabe in seinem Beruf, diese Zonen zu entdecken oder während des Entwerfens zu finden.

Dabei hilft ihm oft ein einfaches Mittel: die Zeichnung. Der leichte Strich, mit dem der auch als Karikaturist bedeutende Peichl seine Skizzen anfertigt, lässt sich durchaus als erotische Passion begreifen.

Und so ist es nur verständlich, wenn der Materialkomplex, den er kürzlich anlässlich einer stilvollen Ehrung der Berliner Akademie der Künste übergab, eine deutliche grafische Schlagseite hat. 3196 Zeichnungen sind enthalten, daneben nur zwei Kisten mit Schriften.

Peichl ist also kein Theoretiker, jedenfalls kein wortreicher, wie manch anderer in seiner Zunft. Und doch hat er es nun zu einem „Bestandsbildner“ gebracht - so nennt man das, wenn jemand Archiven etwas hinterlässt, worüber sich dereinst Historiker und Interpreten die Köpfe zerbrechen können.

Also zum Beispiel über die erogenen Zonen der PEA-Phospat- Eliminationsanlage in der Buddestraße in Berlin-Tegel, auf gut Deutsch: einer Kläranlage, die auf einer ersten Entwurfszeichnung wie eine auf einem sanften Hügel errichtete Schiffsbrücke aussieht (eine der Laudatorinnen sprach da von „Hammerhai“).

Es war die erste Berliner Arbeit von Peichl, der Entwurf stammt aus dem Jahre 1980, fünf Jahre später stand das Gebäude, das mit seiner nautischen Metaphorik sehr klar und zugleich doch differenziert ist. In Tegel baute er drei Jahre später auch noch ein Wohnhaus, das auf einer ähnlichen Semantik beruht - zwei gewichtige Bauten, die Architekturtouristen an einem Nachmittag schaffen.
Der Berliner Neubau

Es traf sich gut, dass Peichl just rund um ein wichtiges Datum in Berlin war. Die Grundsteinlegung für den historisierenden Neubau des Berliner Schlosses veranlasste ihn noch einmal, seiner „Angst“ Ausdruck zu verleihen, „wie es mit dem Schloss weitergeht“. Zur Erinnerung: Im Jahr 2000 hatte sich Gustav Peichl mit einem Beitrag über Ein Bauwerk der bewegten deutschen Geschichte in der „FAZ“ zu Wort gemeldet und eine Position bezogen, die den inzwischen abgerissenen Palast der Republik (das zentrale Gebäude der DDR) in die Überlegungen miteinbezog.

Nun wollte er im Detail nicht mehr darauf eingehen, ließ aber mit einer Bemerkung doch durchklingen, wie er zu manchen Berliner Prestigebauten steht: Die Hauptstadt „hat ein großes Problem mit dem Maßstab“. Einen Kollegen nahm er davon namentlich aus: Axel Schultes. Dessen Kanzleramt komme zwar keineswegs dezent daher, die Flagship-Anmutung desselben werde allerdings durch interessante Gliederungen und elegante Eingliederung in den Großraum des Regierungsviertels gemildert.

„Checks and balances“, das würde man mit Blick auf die Demokratie sagen, die sich hier repräsentiert und der Gustav Peichl durch eine Ehrenerklärung an seinen Bauherren und Freund Helmut Kohl eine weitere Reverenz erwies.

Die Akademie der Künste honorierte den neuen Bestand und ihr verdienstvolles Mitglied mit einem schönen Band „Die Zeichnung ist die Sprache der Architekten“. Gustav Peichl spricht diese Sprache besonders verständlich.

Der Standard, Do., 2013.06.13



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20. April 2013Bert Rebhandl
Der Standard

Das Museum, der Motor der Stadt

Der Wiener Architekt András Pálffy über die Zukunft des Verhältnisses von Stadt und Museum

Der Wiener Architekt András Pálffy über die Zukunft des Verhältnisses von Stadt und Museum

In der Akademie der Künste in Berlin ist derzeit die Ausstellung „Kultur:Stadt“ zu sehen, Pálffy hielt dort letztes Wochenende einen Vortrag.

STANDARD: Sie haben in Ihrem Vortrag in Berlin darüber gesprochen, wie architektonische Interventionen in kulturellem Auftrag auf Städte einwirken.

Pálffy: Ja, ich habe vor allem über den Museumsbegriff in seiner ganzen Entwicklung gesprochen. Das Thema Museum beginnt ja schon in der Renaissance. In diesem Sinne tragen diese Institutionen einen Bildungsauftrag in sich, der sehr weit zurückreicht. Heute allerdings haben Museen zum Teil ganz andere Aufgaben, wie etwa die Schaffung von städtischen Kulturräumen.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel für diese städtischen Kulturräume nennen?

Pálffy: Ich kann Ihnen gleich zwei nennen! Das eine ist das Centre Pompidou in Paris, bei dem sich die Architektur vom Artefakt vollkommen abgetrennt hat. Das war ein sehr kräftiger, symbolischer Schritt, der sehr gut aufgezeigt hat, in welchem Maß ein Museum ein städtischer Ort ist. Die zweite Entwicklung war das Guggenheim-Museum in Bilbao. Ich denke, das ist das womöglich wichtigste neuere Beispiel für „Entertainment“ in der Architektur. Es beweist, dass man mit einem Museum auch Standortqualität erzeugen kann.

STANDARD: Ist das Museum ein öffentlicher Ort?

Pálffy: Ja und nein. Sehr oft werden Museen heute nicht mehr von den knappen öffentlichen Kassen finanziert, sondern von Privaten. Das passiert immer häufiger. So kommt es beispielsweise, dass der französische Industrielle Pinault seine Sammlung in Venedig im Palazzo Grassi zeigt.

STANDARD: Gibt es Parallelen zwischen den italienischen Bürgerstädten und den heutigen Metropolen, die in einer globalen Aufmerksamkeitskonkurrenz stehen?

Pálffy: Die gibt es zweifellos. Zurückzuführen ist das auf den Punkt der Wahrnehmung, auf Aspekte der Vermessbarkeit des eigenen Standortes. Ich habe in diesem Zusammenhang den Studiolo von Federico da Montefeltro gezeigt, ein architektonisches Meisterwerk aus Urbino, in dem der Humanismus sich als Intarsie abbildet, als ein Zitat in die Zukunft. Aber ein Stadtgefüge bleibt letztendlich immer das, was es ist. Es gibt Orte des Übergangs, es gibt Orte der Bewegung, und es gibt Orte des Privaten und des Öffentlichen. Daran wird sich meiner Meinung nach auch in Zukunft nichts fundamental ändern.

STANDARD: Eines der Modelle in der Ausstellung ist die von Ihnen geplante Generali Foundation in Wien. Wie geht es Ihnen damit im Rückblick?

Pálffy: Die Generali Foundation fügt sich in eine sehr konkrete Umgebung ein. Durch die Reibungsflächen mit dem Umfeld entsteht erst die Signifikanz. Es ging damals nicht um den Versuch, eine Ikone zu entwickeln. Ganz im Gegenteil. Wir wollten neue Ideen ausprobieren, etwa in Hinsicht auf die Beleuchtung, die von anderen Firmen inzwischen sogar schon patentiert wurden. Die Generali ist nach wie vor ein Ort, der gut funktioniert und der eine beachtliche, international bewunderte Sammlung hat.

STANDARD: Wenn man einen Nachmittag im Centre Pompidou, in der Tate Modern oder im Wiener MQ verbringt, könnte man meinen, der Kulturbegriff würde sich zunehmend vom Museum emanzipieren.

Pálffy: Nein, das glaube ich nicht. Ich sehe drei Tendenzen: Das eine ist, dass man zwei verschiedene Formen der Öffentlichkeit zusammenbringt und versucht, daraus einen Mehrwert zu generieren. Ein Beispiel dafür wäre das Guggenheim-Museum in Las Vegas. Da hat man versucht, ein paar van Goghs in eine Entertainment-Umgebung zu hängen. Auf diese Weise kommt man an neue Publikumsschichten heran. So ähnlich funktioniert das auch in Dubai. Das zweite Modell beruht darauf, dass ein Museum heute auch ein Ort des Aufenthalts ist. Das Themenspektrum wird kontinuierlich erweitert. Und es entstehen dabei Synergien. So gibt es mittlerweile Museen mit angeschlossenem Haubenrestaurant und Apple-Store. Und das dritte Moment ist, dass man die Institution Museum dazu benützt, einen Standort weiterzuentwickeln und eine gewisse Durchmischung zu schaffen. So gesehen dient Kultur als Motor für Quartiersentwicklung. Das ist wohl die größte Neuerung im Kulturbetrieb. Bilbao ist ein perfektes Beispiel dafür.

STANDARD: Für den Durchgang durch die Berliner Ausstellung „Kultur:Stadt“ muss man einen Tablet-Computer ausleihen. Gefällt Ihnen das?

Pálffy: Ich glaube und hoffe, dass Präsenzfragen dadurch nicht obsolet werden. Es mag zwar umfangreiche Formen des Zugangs geben, die das Netz in einer gewaltigen Bandbreite bietet. Aber das Zusammensuchen ist auch mit einem Aufwand verbunden. Das wird oft außer Acht gelassen. Die neuen Medien haben beachtliches Potenzial, Inhalte zu transportieren. In den alten Lebensbereichen hat das schon durchaus seinen Stellenwert gefunden. Doch nicht zuletzt werfen die neuen Medien Fragen zu Original und Kopie auf. Im Netz werden Sie überwiegend nur Kopien finden.

Der Standard, Sa., 2013.04.20



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Pálffy András

20. April 2013Bert Rebhandl
Der Standard

Ein bisschen Bilbao für alle

In der Akademie der Künste in Berlin ist derzeit die Ausstellung „Kultur:Stadt“ zu sehen

In der Akademie der Künste in Berlin ist derzeit die Ausstellung „Kultur:Stadt“ zu sehen

Beim Betreten der Ausstellung Kultur:Stadt in der Berliner Akademie der Künste stößt man erst einmal auf ein großes Modell des Kulturforums, mit dem sich Westberlin auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges seinerzeit als Ort der Freiheit deklarieren wollte. Die Philharmonie von Hans Scharoun sollte in Sichtweite der Systemgrenze und der späteren Mauer ein Zeichen für die kulturellen Werte setzen, die sich die westlichen Demokratien zugutehalten.

Doch wie es so ist mit großen Plänen: Sie überfordern manchmal die dafür zuständigen Behörden. Und so blieb das Kulturforum unvollständig und läuft nun in der Ausstellung als „Beleg für die Abwesenheit kultureller Visionen“ (wie übrigens auch der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses, der ja als eine Art Fassadenzauber konzipiert ist).

Wer Visionen hat, geht heute meistens nicht zum Arzt, sondern zum Architekten. So entstehen ständig neue, wegweisende Gebäudekomplexe mit einer Zweckwidmung, die im engeren oder weiteren Sinn als kulturell zu bezeichnen ist. Diesem Zusammenhang widmet sich die Schau Kultur:Stadt mit einer bemerkenswerten Übersichtskonzeption:

In einem großen Raum in dem von Hans Düttmann geplanten Bau am Hanseatenweg sind gut drei Dutzend Modelle aufgestellt, die von der Tate Modern in London bis zum Opernhaus in Sydney so ziemlich alle wesentlichen Kulturbauten aus den letzten Jahrzehnten repräsentieren. Den nötigen Kontext vermittelt einem der Tablet-Computer, den man am Eingang ausgeborgt hat. Oder aber man liest klassisch in den Katalog ein, denn die Modelle stehen, obwohl sie miteinander kommunizieren, allesamt doch recht unvermittelt im Raum.

Jeder Städtetourist wird den einen oder anderen gezeigten Bau schon einmal persönlich aufgesucht haben und nun ein wenig staunen, was in der Perspektive, die das Modell ermöglicht, alles erkennbar wird – zum Beispiel der Dachgarten der Generali Foundation in Wien (siehe Gespräch mit András Pálffy). „Kultur als Zweck und Mittel“ ist dabei ein leitendes Interesse. Doch inwiefern dienen die Bauten der Präsentation von Kultur? Und inwiefern schaffen sie selbst eine neue Kultur, in der Städte sich eine Identität zu geben versuchen?

Der millionenfach zitierte „Bilbao-Effekt“, von dem William J. R. Curtis im Katalog schreibt, verleitete einige spanische Kommunen dazu, das vermeintliche Erfolgsrezept der baskischen Industrie- und Hafenstadt nachzuahmen. Auch sie wollten teilhaben an großer, medial gigantischer Stararchitektur à la Frank Gehry und den Synergien von Stadt und Kultur. Es ist genau dieser sichtbar werdende globale Zusammenhang, der sich durch die Vielzahl der gezeigten Kulturbauten aufdrängt.

Im Abschreiten der Modelle werden Ähnlichkeiten deutlich, zugleich bleiben die Gebäude aber ohne Kontext im Raum stehen. So geht es einem häufig ja auch an den Orten selbst: Man ist da und zugleich in einer medialen Parallelwelt aus Vorstellungen und Images und versucht, das irgendwie zusammenzukriegen. Gerade dafür ist die Ausstellung Kultur:Stadt ein interessantes urbanes Labor. (Bert Rebhandl, Album, DER STANDARD, 20./21.4.2013)

„Kultur:Stadt“, Akademie der Künste, Berlin. Bis 26. Mai.

Der Standard, Sa., 2013.04.20

09. Mai 2005Bert Rebhandl
Der Standard

Gedenken, nicht Geschäft

Am morgigen Dienstag wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Peter Eisenmans Stelenfeld, in Berlin offiziell eröffnet. Es gibt der Shoah ihre Singularität zurück, indem es jede Erzählbarkeit der Ereignisse verneint.

Am morgigen Dienstag wird das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Peter Eisenmans Stelenfeld, in Berlin offiziell eröffnet. Es gibt der Shoah ihre Singularität zurück, indem es jede Erzählbarkeit der Ereignisse verneint.

Gerhard Schröder wünschte sich „einen Ort, an den man gerne geht“. Nun hat er ihn bekommen. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas wird absehbarerweise ein Erfolg. In bester Berliner Lage - an der Touristenmeile zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz - liegt das Stelenfeld von Peter Eisenman, das am Dienstag feierlich der Öffentlichkeit übergeben wird. Von allen Seiten werden die Menschen künftig in dieses Labyrinth ohne Zentrum hineingehen können.

Sie können über die Oberfläche der Betonstelen streichen, die mit einer Substanz der Firma Degussa gegen Graffiti immunisiert wurde. Sie können Andacht üben oder den Ort als Abenteuerspielplatz nutzen. Und sie können sich am Ort der Information das Mindestwissen über die Shoah, den Genozid an den Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft, aneignen. Die meisten werden auch danach von einem Besuch des „Holocaust-Mahnmals“ sprechen, denn dieser Begriff hat sich eingebürgert, ungeachtet aller problematischen Konnotationen der Bezeichnung „Holocaust“.

Großes Zeichen

Das Denkmal wird ein Erfolg werden, weil es die vielen Schwierigkeiten, die ihm zugrunde liegen, nicht mehr erkennen lässt. Es hebt sie auf in ein großes Zeichen, von dem der Architekt jede inhaltliche Bestimmung fern zu halten versucht. Kein Gräberfeld möchte er sehen, keinen Wald, nur Stelen, deren Muster zugleich geometrisch und wellenförmig bestimmt ist.

Als die Journalistin Lea Rosh und der Historiker Eberhard Jäckel im Jahr 1988 begannen, sich für ein Denkmal stark zu machen, regierte Helmut Kohl in Bonn. Berlin war eine geteilte Stadt, und die offizielle DDR begriff sich als Staat gewordenes antifaschistisches Mahnmal. Die Bundesrepublik hatte gerade einen Historikerstreit hinter sich gebracht, in dem die Singularität der NS-Verbrechen als Eckstein ihres demokratischen Selbstverständnisses kodifiziert wurde.

Erst vor dem Hintergrund eines wiedervereinigten Landes und der „Berliner Republik“ bekam das geplante Denkmal eine neue kontroverse Qualität als „negatives“ Nationaldenkmal. Martin Walser sprach für die große Gruppe der Denkmalgegner, als er sich gegen eine „Monumentalisierung der Schande“ aussprach. Seine Rede in der Frankfurter Paulskirche 1998 galt spezifisch dem „fußballfeldgroßen Albtraum“ im Zentrum Berlins, allgemeiner aber der deutschen Geschichtspolitik als solcher, mit Auschwitz als „Drohroutine“.

Die unausgesprochene Pointe von Walsers Einlassung war, dass er das Mahnmal als Massenmedium begriff, als eine institutionalisierte, immer währende Kommunikation zur Erinnerung an Schuld, und damit als steinernes Hindernis auf dem Weg zur „Normalisierung“ des deutschen Verhältnisses zur eigenen Geschichte. Nun, da das Denkmal fertig und durch einen Ort der Information auch noch inhaltlich gegen seine eigene Abstraktionsleistung versichert ist, stellt sich heraus, dass das Gegenteil richtig sein wird.

Die Eröffnung zum Abschluss einer langen Bau- und Diskussionsgeschichte ist der letzte Schritt auf dem Weg einer Normalisierung, die die Massenmedien längst vollzogen haben. Einen Tag vor dem Staatsakt zeigt das öffentlich-rechtliche Fernsehen mit dem Dokudrama Speer und er einen weiteren mit größter Aufmerksamkeit erwarteten Film über einen Protagonisten des Dritten Reichs.

Interesse an Tätern

Heinrich Breloers Dreiteiler, in dem Albert Speer, der vermeintliche „gute Nazi“, nicht nur des Mitwissens über die Judenvernichtung, sondern auch der direkten bürokratischen Beihilfe dazu überführt wird, ist das wichtigste gegenwärtige Indiz dafür, dass das Interesse sich zunehmend auf die Täter konzentriert. Von ihnen ist wesentlich mehr audiovisuelles Material überliefert, während das Wissen über die Opfer sich vorwiegend aus den Berichten von Überlebenden und aus der Sicht der Befreier ergibt. Auf diese indirekte Zeugenlage haben die Medien schon früh durch Fiktionalisierung reagiert. Fernsehserien wie Holocaust oder Spielfilme wie Schindlers Liste stehen kanonisch für die Opfergeschichte. Auf diesen Zusammenhang einer pädagogisch vereinfachenden Anschaulichkeit reagiert das Mahnmal wesentlich stärker als auf die „Schande“.

Eisenman gibt der Shoah ihre Singularität zurück, indem er das Ereignis der Erzählbarkeit wieder entzieht. Damit sanktioniert das Denkmal (das de facto übrigens viel narrativer ist, als der Urheber und die offizielle Rezeption es zugestehen wollen) alle Formen der Vermittlung, weil es selber das historische Geschehen als unvermittelte Setzung für die Dauer des Bestehens einer deutschen Demokratie symbolisch festhält.

Es sanktioniert aber auch die Ausbeutung des Nazimythos durch Filme wie Der Untergang, weil es als offizielles Denkmal den Unterschied zwischen Gedenken und Geschäft aufrichtet, den das „Histotainment“ so lange mit aufklärerischen Absichten verleugnen musste. Darin liegt eine „Normalisierung“, die von den Initiatoren nicht beabsichtigt sein konnte, aber für den Moment die eigentliche Leistung dieses Bauwerks darstellt.

Der Standard, Mo., 2005.05.09



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Holocaust Mahnmal

07. Mai 2005Bert Rebhandl
Der Standard

Vier Räume der Erinnerung

Vier Tage vor der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Mahnmal“) wurde am Freitag in Berlin zum ersten Mal der...

Vier Tage vor der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Mahnmal“) wurde am Freitag in Berlin zum ersten Mal der...

Vier Tage vor der feierlichen Eröffnung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas („Holocaust-Mahnmal“) wurde am Freitag in Berlin zum ersten Mal der Ort der Information zugänglich gemacht. Diese Ergänzung zum Stelenfeld des Architekten Peter Eisenman war vom Deutschen Bundestag 1999 beschlossen worden. Auf knappem Raum in einem unterirdischen Komplex am Südostrand des Denkmalgeländes wird dort in Hinkunft eine stark verdichtete Dokumentation der Vernichtung der europäischen Juden während der Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland zu sehen sein. Der Zugang erfolgt zwischen den Stelen, die am Rand - wo das Niveau des Denkmals höher ist als in der Mitte - noch relativ niedrig sind.

Sechs Großaufnahmen von jüdischen Opfern der Shoah stehen stellvertretend für die sechs Millionen, derer gedacht werden soll. Die vier Räume, die zusammen einen quadratischen Grundriss ergeben, reagieren auf den Grundriss des Stelenmusters. In den ersten „Raum der Dimensionen“ sind über den ganzen Boden hin Platten vom Umfang der Stelen eingelassen, auf denen kurze Textpassagen jeweils fragmentarische Berichte über Tötungen enthalten.

An der Wand werden nach der „Nationalitätenstruktur der Opfer“ die Zahlen aufgelistet. Polen hatte mit über drei Millionen jüdischen Toten den größten Verlust zu beklagen. Ein „Raum der Familien“ schließt an den „Raum der Dimensionen“ an. Hier haben die befassten Historiker jüdische Familienchroniken erstellt, die jeweils von einem Gruppenbild ausgehen. Der Verbleib der einzelnen Familienmitglieder während und nach des Kriegs wird rekonstruiert, wodurch die Vernichtung eine lebensweltliche Dimension jenseits der bloßen Zahlen bekommt. Im dritten „Raum der Namen“ werden kurze Biografien von Opfern akustisch vorgetragen, im vierten „Raum der Orte“ bekommt die Vernichtungspolitik eine Topographie.

Reduktion, Abstraktion

„Wir wollen nicht mit Yad Vashem in Konkurrenz treten“, sagte Hans-Erhard Haverkampf, der Geschäftsführer der Denkmal-Stiftung in Anspielung auf die Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem. Der Ort der Information in Berlin funktioniert, wie das Denkmal selbst, durch Reduktion und Abstraktion.

Am Dienstag wird es in Berlin durch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse feierlich eröffnet werden.

Der Standard, Sa., 2005.05.07



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Holocaust Mahnmal

16. Dezember 2004Bert Rebhandl
Der Standard

Das Schweigen des Mahnmals

Lange und heftig wurden Form und Ort des Berliner Holocaust-Mahnmals diskutiert: Am Mittwoch wurde die letzte Stele der von Peter Eisenman konzipierten Gedächtnisstätte, die erst im Mai vollends fertig gebaut sein wird, gesetzt.

Lange und heftig wurden Form und Ort des Berliner Holocaust-Mahnmals diskutiert: Am Mittwoch wurde die letzte Stele der von Peter Eisenman konzipierten Gedächtnisstätte, die erst im Mai vollends fertig gebaut sein wird, gesetzt.

Er möchte „die Psyche des Menschen für das Unbewusste und Verdrängte öffnen“, hat der Architekt Peter Eisenman kürzlich in einem Interview gesagt. Am Mittwoch wurde in Berlin die letzte Stele für das Holocaust-Mahnmal gesetzt, das Eisenman entworfen hat. Die Gedenkstätte ist damit nicht fertig, an dem unterirdischen Dokumentationszentrum wird noch gebaut, erst im Mai 2005 soll der ganze Komplex seiner Bestimmung überantwortet werden.

Wenn diese Bestimmung auch niemals eindeutig definiert wurde, so ist sie nun doch nicht mehr zu übersehen: Die Berliner Republik bekommt mit dem Holocaust-Mahnmal ihr gedächtnispolitisches Zentrum. Die räumliche Nähe zum Reichstag und zum Brandenburger Tor stellt nicht nur historische Kontinuität her, sie sorgt auch dafür, dass die Touristen um das fußballfeldgroße Areal nicht herumkommen. So entsteht im Idealfall jener Effekt der Öffnung, den Peter Eisenman sich erhofft.

Er setzt dazu auf eine abstrakte Raumerfahrung, die der von Daniel Libeskinds Jüdischem Museum verwandt ist: Von außen sieht das Holocaust-Mahnmal in erster Linie skulptural aus, ein starkes Zeichen ohne Deutung. In der Begehung erst ermöglicht es jene Kontemplation, die der Erinnerung an die Ermordung der europäischen Juden gerecht werden kann.

In dem Interview mit der Zeit hat Eisenman das Schweigen des Mahnmals mit dem Schweigen eines Psychoanalytikers verglichen, ohne näher darauf einzugehen, welche komplizierten Prozesse er damit insinuiert: Denn in erster Linie werden es Passanten sein, die an der Gedenkstätte vorbeikommen. Viele der „analytischen“ Situationen, die Eisenman sich erhofft, werden zufällig entstehen. Menschen aus vielen Ländern stehen dann eigentlich einem Staat gegenüber, der sich in dem Holocaust-Mahnmal mit einer Vorgeschichte identifiziert, von der er sich damit gleichzeitig absetzt.

Es kann dabei nicht mehr um deutsche Schuld und Verantwortung der Nachgeborenen allein gehen. Das Mahnmal bekommt unweigerlich eine menschheitliche Dimension. Die architektonische Form hält dabei die Balance zwischen diesen beiden Formen des Gedenkens: dem persönlichen und dem allgemeinen, das die Republik in Form des Mahnmals gewissermaßen repräsentativ leistet.

Die Stelen, die in unterschiedlicher Höhe, aber mit gleich bleibendem Abstand von 95 Zentimetern zueinander angebracht sind, sind die Sprache des Mahnmals. Es spricht nach außen und schweigt nach innen. Die Entstehungsgeschichte, die bis in die 80er zurückreicht und das wiedervereinigte Deutschland zu einigen Grundsatzdebatten zwang, gehört zu diesem Ort unabdingbar dazu.

Der Standard, Do., 2004.12.16



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Holocaust Mahnmal

26. Mai 2003Bert Rebhandl
Der Standard

Weltläufige Nabelschau

Mit der Ausstellung „Idee Europa“ eröffnet das Deutsche Historische Museum seine Pforten: Stararchitekt I. M. Pei bann die Idee einer allmählich zusammen- wachsenden Welt in einem Berliner Prachtbau von internationalem Glanz.

Mit der Ausstellung „Idee Europa“ eröffnet das Deutsche Historische Museum seine Pforten: Stararchitekt I. M. Pei bann die Idee einer allmählich zusammen- wachsenden Welt in einem Berliner Prachtbau von internationalem Glanz.

Europa ist ein Haus, das schwer in Ordnung zu halten ist. Auf einer steirischen Völkertafel aus dem Jahr 1725 stand zum Beispiel schon zu lesen, dass „der Teutsche“ eine wesentliche Untugend hat: Er ist „verschwenderisch“. Hans Eichel würde dies vermutlich zähneknirschend unterschreiben. Der „Bolack“ hingegen bleibt mit allen Ambitionen an die Scholle gebunden. „Sein Leben endet: Im Stall“, und nicht im Irak, schreibt der Geopolitiker aus der Steiermark, dessen Einschätzungen vielleicht wirkmächtiger sind, als den Politikern lieb ist.

Eine Föderation aus Nationen mit kultureller Vielfalt will Europa eines Tages sein, und auch eine Metapher gibt es: das gemeinsame Haus. Wenn an diesem Samstag das Deutsche Historische Museum in Berlin mit einer Ausstellung über Idee Europa - Entwürfe zum „Ewigen Frieden“ wiedereröffnet, so tritt dieses Bild aber schon wieder in den Hintergrund, weil es ein außergewöhnliches neues Gebäude zu bestaunen gibt.

Der sinoamerikanische Architekt I. M. Pei hat hinter das Zeughaus Unter den Linden eine Ausstellungshalle gebaut, in deren universalistischer Eleganz die Schau über das sich zusammenraufende Europa fast ein wenig provinziell wirken muss.

Dem Gebäude gilt der Stolz der Berliner Republik, getrübt ist dies allein durch die Tatsache, dass es eine Erfindung von Helmut Kohl ist. Auf einem Videoausschnitt ist der Kanzler der Wiedervereinigung zu sehen, wie er in monumentaler Leutseligkeit den Bauherren macht. In Paris hat I. M. Pei mit seiner Pyramide für den Louvre die Repräsentationsachse der Seine-Stadt entscheidend zentriert.

In Berlin hingegen steht sein Werk ein wenig abseits des Boulevards Unter den Linden, schräg hinter der Neuen Wache von Schinkel und in Nähe der Museumsinsel. Die Besucher werden das Historische Museum künftig von dieser Seite her betreten, an der eine verglaste Wendeltreppe die Zugänge eröffnet.


Zugang Zeughaus

Klarer entfaltet sich die Architektur allerdings über den Zugang durch das Zeughaus, das ab 2004 die ständige Ausstellung des Deutschen Historischen Museums beherbergen soll. Der barocke Schlüterhof wird durch ein neues Glas-Stahl-Dach zu einem grandiosen Forum. Von diesem Innenhof führt der Weg eine Ebene tiefer in den Pei-Bau, der sich in dieser Perspektive mit betörender Leichtigkeit von ganz unten in den Berliner Himmel schraubt.

In einer kleinen Ausstellung werden I. M. Peis bisherige Museumsbauten dokumentiert, wodurch Berlin in eine nicht unwillkommene Genealogie mit Washington und Paris gerät. Die Ausstellung Idee Europa hingegen hat Amerika weniger im Blick als Asien und einen Rest der Welt, der den Kartografen lange als eine Terra incognita galt. Alle Entwürfe zum „Ewigen Frieden“ haben schließlich mit Landesgrenzen und Völkerrecht zu tun, bei aller Langlebigkeit des mythologischen Überbaus.

In dieser Perspektive sitzt Europa bekanntlich auf dem Rücken eines Stiers, der wahlweise von Herkules oder von Picasso in die Schranken gewiesen wird. Die Fruchtbarkeitssymbolik auf das deutsche Bruttosozialprodukt oder die polnische Landwirtschaft direkt anzuwenden, würde vermutlich eine diffizile Ausstellung ergeben.

Idee Europa aber steht ganz im Zeichen der legitimierenden Debatten, die seit 1945 das Zusammenwachsen begleiten. Das Bild vom „Strom der Zeiten“, der an einer Quelle entspringt und sich dann in ein Delta mit Feinverästelungen ausdifferenziert, setzt schließlich auch einen See und irgendwann ein Meer voraus, in das sich die Zukunft friedlich ergießen wird.

Die Metapher vom Meer Europa hat sich, trotz Braudel, nicht durchgesetzt, deswegen hängen im Deutschen Historischen Museum viele Bilder und Landkarten an Wänden. Sie bilden ein Haus, für das I. M. Pei ein Weltgebäude geschaffen hat.

Der Standard, Mo., 2003.05.26



verknüpfte Bauwerke
Deutsches Historisches Museum - Ausstellungshalle

05. Juli 2001Bert Rebhandl
Der Standard

Ein diplomatischer, aber selbstbewusster Auftritt

Das von Hans Hollein entworfene Gebäude liegt an einem historisch markanten Ort

Das von Hans Hollein entworfene Gebäude liegt an einem historisch markanten Ort

Es sind nur ein paar Hausnummern, aber sie bedeuten einen historischen Schritt: Die neue österreichische Botschaft in Berlin befindet sich unweit jener Adresse Bendlerstraße 15, an der die Erste Republik ihre Gesandtschaft in Deutschland unterhielt, die sich mit dem Anschluss im Jahr 1938 erübrigte. Das neue, von Hans Hollein entworfene Gebäude liegt in derselben Straße, die nun allerdings den Namen des wichtigsten deutschen Widerstandskämpfers trägt: In der Stauffenbergstraße manifestiert sich die Überwindung des Faschismus und die Berliner Gedenkkultur.

Österreichs neue offizielle Adresse lautet Tiergartenstraße 12, aber die Seite zur Stauffenbergstraße liegt keineswegs nach rückwärts, sondern verbindet das Terrain besonders stark mit der Geschichte Berlins. Die Bundesimmobiliengesellschaft hat sich einen markanten Ort gesichert, unmittelbar an der Erholungslandschaft des Tiergarten und an der Rückseite des Kulturforums und der Philharmonie von Hans Scharoun.

Hollein konnte sich mit seinem 1998 bei einem Wettbewerb siegreichen Entwurf auch ein wenig dafür schadlos halten, dass er schon 1983/84 das Internationale Gutachterverfahren Kulturforum gewonnen hatte. Sein damaliges Konzept geriet aber in die Mühlen der Baubürokratie und wurde 1989 aufgrund der neuen städtebaulichen Situation zu den Akten gelegt.

Das Botschaftsgebäude liegt auf der Rückseite jenes ehemaligen Westberliner Kulturareals, womit es das anschließende Diplomatenviertel eröffnet, und zwar durchaus vorwitzig. Schon das Grundstück weist mit seiner nordöstlichen Spitze deutlich in das Regierungsviertel. Hollein betont diese Tendenz noch, indem er in diese Richtung die zentrale Idee seines Baus orientiert: Ein „skulptural-expressives“ grünes Kupferdach, das sich wie eine lockere Fönfrisur über die eigentlichen Botschaftsräume legt.

Nach Osten liegt die Konsularabteilung, deren ruhige Fassade ihren Eigenwillen diskret durchsetzt, um die behördlichen Vorgänge nicht zu stören. Nach Westen weisen in einem stark differenzierten Block die Wohnräume des Botschafters. In direkter Nachbarschaft liegen die Vertretung des Landes Baden-Württemberg und die Botschaft Ägyptens, an der noch gebaut wird.

Für Österreich erweist sich die Tatsache eines Neubaus als Glücksfall, in dem sich auch das Selbstverständnis der Zweiten Republik bekundet: Das Land kann sich an einem historisch markanten Ort gänzlich neu entwerfen, während zum Beispiel die ehemaligen Achsenmächte Italien und Japan ihre von deutschen Architekten errichteten und im Krieg weitgehend zerstörten Botschaftsgebäude in einer konservativen Weise wiederherstellen mussten. Österreich dagegen stellt sich mit seiner Vertretung bei der neuen europäischen Großmacht auch architektonisch in eine Assoziationslinie mit Ländern wie den nordischen, deren aufsehenerregende Botschaften unweit des Hollein-Baus liegen. Eine politische Semantik liegt vielleicht in der Weise, wie Hollein die Teile seines Gebäudes integriert hat: Gesten der Verbindlichkeit nach allen Seiten ergeben insgesamt einen diplomatischen, aber selbstbewussten Auftritt.

Der Standard, Do., 2001.07.05



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Österreichische Botschaft

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