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Filigranes Stahlfachwerk

Die 1937 eröffnete und vom Luzerner Bauingenieur Rudolf Dick gebaute Haggenbrücke über die Sitter bei St. Gallen ist einer der höchsten Fussgängerstege in Europa. Bereits bei der Einweihung aber erwies sie sich als sehr schwingungsanfällig, sodass sie auch nach Nachbesserungen nur teilweise für die vorgesehene Nutzung freigegeben werden konnte. Von 2009 bis 2010 setzten Basler & Hofmann das Bauwerk instand – unter strengen technischen Anforderungen und ebensolchen Auflagen seitens des Umwelt und Denkmalschutzes sowie mit akrobatischen Arbeitsbedingungen.

Die 1937 eröffnete und vom Luzerner Bauingenieur Rudolf Dick gebaute Haggenbrücke über die Sitter bei St. Gallen ist einer der höchsten Fussgängerstege in Europa. Bereits bei der Einweihung aber erwies sie sich als sehr schwingungsanfällig, sodass sie auch nach Nachbesserungen nur teilweise für die vorgesehene Nutzung freigegeben werden konnte. Von 2009 bis 2010 setzten Basler & Hofmann das Bauwerk instand – unter strengen technischen Anforderungen und ebensolchen Auflagen seitens des Umwelt und Denkmalschutzes sowie mit akrobatischen Arbeitsbedingungen.

Richtig freuen konnten sich die Gäste bei der Einweihung der vom Luzerner Bauingenieur Rudolf Dick erbauten Haggenbrücke am 24. Oktober im Jahr 1937 kaum: Die Menschenmassen, die das spektakuläre Bauwerk mit seinen bis zu 80 m hohen Stützen besichtigen wollten, versetzten die Brücke in starke Schwingungen (Abb. 1). Schnell kamen Zweifel an ihrer Tragsicherheit auf. Dick bemass die Profile des ursprünglichen Fachwerks sehr knapp und stufte sie äusserst fein ab, um das dazumal wertvolle Material effizient einzusetzen. Projektänderungen während der Ausführung, wie die Vergrösserung der Spannweite eines Feldes, erhöhten die Ausnutzung der Querschnitte zusätzlich. Fritz Stüssi, damals Professor an der ETH Zürich, stellte mit einer statischen Überprüfung fest, dass die Bemessung nicht nur knapp war, sondern die zulässige Spannung in einzelnen Fachwerkstäben überschritten wurde. Bereits zwei Jahre nach dem Eröffnungsfest wurden deshalb einzelne Diagonalen und Gurtstäbe im Endfeld des Oberbaus sowie Stützenköpfe und Stützen verstärkt. Weil das Schwingungsverhalten damit aber nicht verbessert werden konnte, durfte die Brücke, die ursprünglich für Fuhrwerke bis zu 8 t ausgelegt war, in der Folge nur noch mit Ausnahmegenehmigung befahren werden und diente vor allem als Fuss- und Veloverbindung zwischen den beiden Gemeinden St. Gallen und Stein im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Der Volksmund nannte die Brücke passend «Ganggelibrogg».

Zustandserfassung 70 Jahre später – im Jahr 2007 – wiesen Fahrbahnplatte und Fundamente Schäden auf. Zwar war der Korrosionsschutz der Stahlkonstruktion in den 1980er-Jahren erneuert worden, sie zeigte aber bereits wieder starke Verschleisserscheinungen. Aus diesem Grund wurde eine vollständige Instandsetzung unumgänglich. Die Stadt St. Gallen und die Gemeinde Stein erteilten dem Ingenieurbüro Basler & Hofmann Ende 2007 den Auftrag, eine Zustandserfassung, eine statische Überprüfung und ein Instandsetzungsprojekt auszuarbeiten. Ziel war es, das Bauwerk längerfristig als Geh- und Radwegbrücke zu erhalten und es so instand zu setzen, dass es den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht. Das Schwingungsverhalten der Brücke sollten die Ingenieure deutlich verbessern.

Für die Erfassung des Istzustandes nahmen die Bauingenieure die Schäden auf (Abb. 6), untersuchten das Material und überprüften die Statik. Sie liessen sich von der Feuerwehr abseilen und inspizierten die gesamte Brücke visuell. Bereits vom Geotechniker erstellte Untersuchungen der Fundamente und Filmaufnahmen vom Überbau zogen sie in die Beurteilung mit ein. Die Fundamente waren vor allem durch Steinschlag, Unterspülung durch die Sitter und Erddruck gefährdet. Am Stahlfachwerk zeigten sich zum Teil grossflächige Korrosionsschäden und Auftreibungen, d.h. Verformungen von eng aneinanderliegenden Blechen infolge Volumenzunahme durch Korrosionsprodukte. Die auf dem Fachwerkträger liegende Stahlbeton-Fahrbahnplatte wies Betonabplatzungen an der Unterseite, freiliegende Bewehrungseisen, undichte Fugen und Übergänge sowie einen abgenutzten Belag auf. Die Entwässerung leitete zudem das Wasser direkt auf das Stahlfachwerk.

Um die Tragsicherheit des Stahlfachwerks beurteilen zu können, entnahm man einen Diagonalstab, den die Empa Dübendorf auf Zugfestigkeit, Kerbschlagzähigkeit, chemische Zusammensetzung und Aufbau des Korrosionsschutzes untersuchte. Aufgrund der chemischen Analyse konnte das untersuchte Profil einem Thomasstahl zugeordnet werden, der nach SIA 263 einem heutigen Stahl S 235JR entspräche. Der alte Korrosionsschutz war zweischichtig, mit stark variabler Stärke von 130 μm bis 900 μm. Es wurden beträchtliche Zinkgehalte (40 g/m2), aber nur geringe Blei- (5 g/m2) und praktisch keine PCB-Gehalte gemessen.

Zeuge der At. Galler Industriebaukunst

Die Brücke ist im schweizerischen Inventar der Kulturgüter als Objekt von nationaler Bedeutung eingetragen. Denn sie ist mit ihrer äusserst filigranen und materialsparenden Konstruktionsart Teil des Ensembles der St. Galler Industriekeimzellen und gilt als wichtiger Zeuge der Ingenieurbaukunst im letzten Jahrhundert – obwohl sie eigentlich eine technische Panne ist. Die notwendig gewordenen Eingriffe in das bestehende Fachwerksystem sollten gemäss dem Denkmalschutz bei vertretbaren Sicherheitsrisiken vermieden oder zumindest minimiert werden. Die Struktur, das genietete Geländer und die Kandelaber sollten erhalten bleiben.

Statische Überprüfung

Für die statische Überprüfung modellierten die Bauingenieure die Brücke mit einem räumlichen Stabtragwerksprogramm – basierend auf gut erhaltenen Archivplänen. Dann erfolgte die Prüfung mit den gültigen Lasten gemäss SIA 260 und 261. Die Ingenieure ermittelten die Tragsicherheit der einzelnen Stäbe und Anschlüsse mit den Schnittkräften nach Theorie I. Ordnung. Die untersuchten Anschlüsse erfüllten die Tragsicherheit. Eine begrenzte Anzahl Stäbe überschritt allerdings die Normwerte bezüglich Ausnutzungsgraden Ed/Rd um 5 bis 27 %; die kritischen Stäbe befinden sich vor allem im Überbau.

Um die Schwingungsanfälligkeit der Brücke genauer zu untersuchen, wurden Messungen und Eigenfrequenzberechnungen durchgeführt. Die Eigenfrequenzen gemäss SIA 260 liegen in dem für Fussgängerverkehr kritischen Bereich von 1.6 bis 4.5 Hz in vertikaler und von <1.3 Hz in horizontaler Richtung. Die gemessene vertikale Schwinggeschwindigkeit, die bereits ein bis zwei rennende Personen anregen können, beträgt 17.1 mm/s und ist grösser als der von der DIN 4150 vorgegebene Grenzwert von 5 mm/s. Die starken horizontalen Auslenkungen wiederum können dazu führen, dass Personen aus dem Tritt geraten. Allerdings müssten viele Personen die Brücke begehen, bis die horizontale Schwingung deutlich wahrnehmbar würde – was eher selten vorkommt. Für die tägliche Nutzung sind deshalb vor allem die vertikalen Schwingungen von Bedeutung.

Gewicht reduzieren und Dämpfung erhöhen

Das Instandsetzungsprojekt stellte vor allem die hohen Ausnutzungsgrade und die Schwingungsanfälligkeit in den Vordergrund. Zum einen sollten Tragsicherheit und Schwingungsverhalten deutlich verbessert werden, gleichzeitig aber durfte die Leichtigkeit der Konstruktion aus Denkmalschutzgründen nicht verunklärt werden. Eine orthotrope Stahlplatte mit einem Gussasphaltbelag ersetzt die Fahrbahnplatte aus Beton. Damit reduziert sich das Gewicht der Fahrbahnplatte einschliesslich Belag von 413 kg/m2 auf 280 kg/m2. Diese Gewichtsreduktion und der Verbund der neuen Stahlplatte mit den Obergurten verbesserten das statische Verhalten deutlich. Der Ausnutzungsgrad Ed/Rd der massgebenden pfeilernahen Stäbe des Untergurtes und der Streben verringerte sich von 1.27 auf 1.09, und die Eigenfrequenz fv von etwa 2.5 Hz erhöhte sich leicht, wodurch die Brücke etwas steifer wurde. Dennoch blieben zwölf Druck- und vier Zugstreben unter den normgemässen Sicherheiten. Für sie planten die Ingenieure Profilergänzungen und Verstärkungen ein. Da sich mit der leichteren Stahlplatte allein die Tragwerkssteifigkeit und das Schwingungsverhalten nur geringfügig verbessert, empfahlen die Ingenieure, Schwingungsdämpfer einzusetzen (Abb. 5). Wegen der hohen technischen und ästhetischen Anforderungen, insbesondere bezüglich Denkmalschutz, konnte man keine Standardprodukte verwenden, sondern es mussten massgeschneiderte Dämpfer entwickelt werden. Insgesamt reduzieren nun vier vertikale und zwei horizontale Dämpfer die Schwingungen um etwa den Faktor 3. Die Dämpfungen wurden von 0.5 auf etwa 2.5% angehoben.

Neuer Korrosionsschutz

Für die Erneuerung des Korrosionsschutzes wurden verschiedene Varianten geprüft. Wäre die gesamte Brücke für die Arbeiten eingehaust worden, hätte dies infolge Windlasten eine massive Zusatzbelastung für die filigranen Pfeiler bedeutet, die Abspannungen hätten aufnehmen müssen – und dies in einem engen Flusstal mit Hochspannungsleitungen. Die Planenden begrenzten die Einhausung deshalb auf rund 35 m lange Etappen. Im restlichen Bereich wurde der Korrosionsschutz im Freikletterverfahren instand gesetzt (Abb. 4). Der eingehauste Bereich erhielt einen dreischichtigen Korrosionsschutz, und im nicht eingehausten Bereich brachten die Kletterer von Hand zwei Schichten auf. Die Instandsetzungsarbeiten in schwindelerregender Höhe stellten extreme Anforderungen an die Beteiligten: Zehn Fachkräfte mit einer Kletterausbildung für Arbeiten am hängenden Seil führten die Erneuerung von rund 5700 m² Korrosionsschutz aus. Die Suva besprach vor Beginn der Arbeiten das Sicherheits- und Rettungskonzept und probte allfällige Bergungsmassnahmen. Da unter der Haggenbrücke eine Hochspannungsleitung durchführt, wurden die Arbeiten frühzeitig mit dem Kraftwerksbetreiber abgestimmt und die Leitung zeitweise abgeschaltet.

Umweltschutzmassnahmen

Die Bauarbeiten wurden in enger Zusammenarbeit mit den kantonalen Umweltämtern ausgeführt. Um zu verhindern, dass schadstoffhaltiger Korrosionsschutzbelag in die Umwelt gelangt, ergriff man Schutzmassnahmen, wie mobile Zelte im Bereich der Fahrbahn oder Rucksackstaubsauger für die Freikletterer. Bei zwei Pfeilern stellten die Fachkräfte während der Ausführung höhere Bleigehalte fest als sondiert. Um die Schadstoffe aufzufangen, montierte man zusätzliche, fächerförmige Auffangvliese um die Pfeiler. Unterhalb der Brücke wurden monatlich Kontrollmessungen durchgeführt. Sie zeigten während der entsprechenden Bauarbeiten etwas erhöhte, jedoch tolerierbare Schadstoffemissionen. Die letzten Arbeiten an der filigranen Konstruktion wurden vor einem Jahr abgeschlossen. Seither präsentiert sich der Fussgängersteg aufgefrischt, und es können neben Fussgängern und Velos nun auch Mopeds und Unterhaltsfahrzeuge bis 3.5 t auf die Brücke.

TEC21, Fr., 2011.06.10



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2011|24 Brücken mit Geschichte

Bauwerk in Bewegung

Gebäude bewegen sich, erfahren Setzungen, Stauchungen und werden durch Wind oder Erdbeben in Schwingungen versetzt. Je höher das Gebäude, desto stärker machen sich diese Bewegungen bemerkbar. Sie spielten auch beim Bau des Mobimo Towers in Zürich West eine zentrale Rolle. Um eine präzise Ausführung und eine sichere Umsetzung der planerischen Arbeit zu gewähren, berechneten und simulierten die Bauingenieure von Basler & Hofmann die Bewegungen akribisch und überprüften sie im Bauzustand kontinuierlich.

Gebäude bewegen sich, erfahren Setzungen, Stauchungen und werden durch Wind oder Erdbeben in Schwingungen versetzt. Je höher das Gebäude, desto stärker machen sich diese Bewegungen bemerkbar. Sie spielten auch beim Bau des Mobimo Towers in Zürich West eine zentrale Rolle. Um eine präzise Ausführung und eine sichere Umsetzung der planerischen Arbeit zu gewähren, berechneten und simulierten die Bauingenieure von Basler & Hofmann die Bewegungen akribisch und überprüften sie im Bauzustand kontinuierlich.

Bereits während der Bauzeit führen die grossen Eigenlasten von Hochhäusern zu Setzungen, Verkippungen und Stauchungen der Tragelemente. Ausserdem versetzen äussere Kräfte aus Wind und Erdbeben das Bauwerk in Schwingungen. Die Herausforderung für die Planenden besteht für solche Bauwerke darin, diese Bewegungen möglichst exakt zu prognostizieren und zu kontrollieren. Denn die Bewegungen können die Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes zum Beispiel durch unzulässige Verformungen der Decken beeinträchtigen, und für die Tragsicherheit sind sie insofern relevant, als sie übermässige Zwangsbeanspruchungen in den Geschossdecken und der Bodenplatte verursachen können. Es stellen sich bei der Planung von Hochhäusern im Speziellen Fragen wie: Auf welche Weise interagieren Untergrund und Fundation unter der grossen Belastung? Wie stark werden die vertikalen Tragwerkelemente gestaucht? Welche Eigenschwingung zeigt das Gebäude? Und wie gross ist die Kopfbeschleunigung in den oberen Stockwerken?

Projektierende Ingenieure berechnen und simulieren die Bewegungen im Vorfeld. Doch erst in der Bauphase können die Prognosen überprüft und allfällige Korrekturen am Bauwerk vorgenommen werden. Den Überwachungsmessungen und Baukontrollen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Auch bei den vor Ort durchgeführten Vermessungsarbeiten müssen die Gebäudebewegungen berücksichtigt werden, um Messfehler auszuschliessen. Die Ingenieure von Basler & Hofmann führten auch am 80 Meter hohen Mobimo Tower im Stadtteil Zürich West – er wird Mitte 2011 eröffnet – ebendiese erforderlichen Überwachungsmessungen und Baukontrollen bereits während der Bauphase durch.

Setzungen bereits während der Ausführung

Der Mobimo Tower ruht auf einer 30 bis 40 m mächtigen Schicht aus Limmatschotter. Die Fundation für das 65 000 t schwere Bauwerk besteht aus einer kombinierten Pfahl-Platten- Gründung mit einer 1.50 m starken Bodenplatte und 16 etwa 20 m langen, schwimmenden Bohrpfählen. Rund 40 % der Gebäudelast werden über Pfähle in den Untergrund abgetragen – dies haben Gleitmikrometermessungen an drei Pfählen bestätigt. Die restliche Gebäudelast trägt die Bodenplatte flach in den Schotter ab.

Die Ingenieure berechneten mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) eine mittlere Setzung für das Gesamtgebäude von etwa 50 mm und eine maximale im besonders belasteten Innenbereich von 65 mm (Abb. 7). Gegenüber den angrenzenden Erweiterungsbauten, die zeitgleich im Bau sind (Abb. 5), war mit einer Setzungsdifferenz von 20 mm zu rechnen. Der komplette Turm wurde deshalb ab Bodenplatte um 20 mm höher als die Sollkote gebaut. Während des Rohbaus bis zum 14. Obergeschoss musste mit den markantesten Setzungen gerechnet werden – etwa 50 % der gesamthaft prognostizierten. Deshalb war das Hochhaus ab Unterkante Bodenplatte bis Erdgeschoss vorerst von der benachbarten Parkgarage mit einer Setzungsgasse entkoppelt. Erst als sich ewa 90 % der Setzungen eingestellt hatten, wurde die Gasse zubetoniert.

Differenzielle Stauchung der Tragelemente

Neben der Setzung spielt die Stauchung der vertikalen Tragelemente eine zentrale Rolle für die Planung und Ausführung des Tragwerks. Die mit dem Baufortschritt zunehmende Last staucht den Kern aus 50 cm starken Ortbetonwänden, die vorfabrizierten Betoninnenstützen und die tragende Fassade mit den Betonaussenstützen. Am stärksten werden die Innenstützen belastet und verformt (Abb. 6). Um die differenzielle Stauchung und Setzung gegenüber anderen Bauteilen auszugleichen und um ein unzulässiges Deckengefälle in den Innenräumen zu verhindern – der Bemessung wurden die Werte für die Gebrauchstauglichkeit nach SIA-Norm 260 zugrunde gelegt –, sind die Innenstützen ab dem zweiten Stockwerk um 10 mm überhöht eingebaut worden.

Verschiebung der Fassadenelemente

Da sich ein Hochhaus nicht nur während des Baus, sondern auch nach der Fertigstellung infolge Windeinwirkung bewegt, darf die Fassade nicht steif wie ein Panzer sein – sie muss die Bewegung mitmachen können. Die errechnete Auslenkung infolge von Wind bestimmte beim Mobimo Tower die minimal mögliche Fugenbreite zwischen den Natursteinplatten, damit diese bei starkem Wind nicht gegeneinanderstossen, was zu Schäden an den Fassadenplatten führen würde. Die Fuge ist mit 8 mm Stärke über alle Stockwerke konstant, wobei sie in den unteren drei aus ästhetischen Gründen dauerelastisch verfugt und oben offen belassen ist. Entsprechend präzise muss die Fassade abgesteckt und montiert sowie die Deformation der Decken berücksichtigt werden.

Im Windkanal prüfen

Damit sich die künftigen Nutzerinnen und Nutzer im Hochhaus wohlfühlen, darf das Gebäude nicht zu sehr im Wind schwanken. Um diese Schwankungen abzuschätzen, bestimmten die Ingenieure mit FEM die Eigenfrequenzen des Mobimo Towers: f1 = 0.4 Hz, f2 = 0.5 Hz, f3 = 0.52 Hz, f4 = 2.03 Hz. Grundsätzlich gibt es keine Normvorgaben, doch weiss man, dass tiefe Eigenfrequenzen bezüglich Windeinwirkung problematisch sind. Die im Windkanal durchgeführten Versuche bestätigten aber, dass der Turm wenig schwingungsanfällig ist. Mit den zusätzlich durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen am Rohbau ermittelte man schliesslich die effektiven Eigenfrequenzen. Sie sind höher als prognostiziert, womit das Hochhaus weniger anfällig für dynamische Windeinwirkungen ist als vermutet.

Vermessung des Rohba us während ruhiger Stunden

Die Setzung der Bodenplatte sowie die Stauchung der vertikalen Tragelemente wurden mit jedem zweiten zusätzlichen Geschoss überprüft. Mittels Präzisionsnivellement vermassen die Ingenieure die Höhenkoten von insgesamt 16 Messpunkten bei den Kernwänden und Stützen. Die Stockwerkshöhen können wegen der Setzungen und Stauchungen nicht absolut über das Fixpunktnetz gemessen werden, da sich sonst die Raumhöhen veränderten. Die Vermessungsingenieure vermassen deshalb gegen einen sich mitbewegenden Fixpunkt auf der Bodenplatte des Bauwerks. Mit zunehmender Höhe galt es ausserdem, die Windeinwirkung zu berücksichtigen und die Vermessungsarbeiten in möglichst windstillen Phasen durchzuführen. Auch die Bauarbeiten setzen das Gebäude in Bewegung: Die am Bauwerk befestigten Krane führten zum Beispiel zu Auslenkungen der Gebäudeachse, und schwere Baugeräte verursachten Vibrationen. Die Vermessungsarbeiten liefen deshalb häufig in Randstunden, über den Mittag oder nachts. Bei der Interpretation der Messergebnisse spielt die Temperatur während der Vermessungsarbeiten eine entscheidende Rolle. Eine Temperaturdifferenz zwischen zwei Messungen von zum Beispiel 10 °C führt bei einem 80 m hohen Gebäude zu einer Differenz von 8 mm – was beim Mobimo Tower bereits etwa 25 % der gesamthaft prognostizierten Stauchungen der Innenstützen im obersten Geschoss bedeutet. Man zeichnete die Temperaturen deshalb während der Messungen auf. Ein weiterer Einflussfaktor sind Grundwasserbewegungen. Sie führen zu Setzungen oder zu Auftrieb und schlagen sich direkt in den Vermessungsergebnissen nieder. Bei der Interpretation der Ergebnisse müssen diese Einflüsse herausgefiltert werden.

Während die Stauchungen von Stützen und Wänden im erwarteten Bereich lagen, erwies sich der Untergrund als steifer, denn die effektive Setzung betrug nur rund ein Drittel der aufgrund der Bodenkennwerte berechneten Werte. Die Bodenplatte setzte sich beinahe gleichmässig mit einer maximalen Neigung von 1:3000. Es waren somit keine Ausgleichsmassnahmen nötig. Dennoch waren die präzisen und ausführlichen, aber in dem für dieses Bauwerk üblichen Rahmen liegenden Vermessungsarbeiten und Bodenuntersuchungen gerechtfertigt, denn aus diesen Anstrengungen resultiert die erreichte Ausführungsqualität.

TEC21, Fr., 2011.04.08



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2011|15 Normiert und präzisiert

Presseschau 12

Filigranes Stahlfachwerk

Die 1937 eröffnete und vom Luzerner Bauingenieur Rudolf Dick gebaute Haggenbrücke über die Sitter bei St. Gallen ist einer der höchsten Fussgängerstege in Europa. Bereits bei der Einweihung aber erwies sie sich als sehr schwingungsanfällig, sodass sie auch nach Nachbesserungen nur teilweise für die vorgesehene Nutzung freigegeben werden konnte. Von 2009 bis 2010 setzten Basler & Hofmann das Bauwerk instand – unter strengen technischen Anforderungen und ebensolchen Auflagen seitens des Umwelt und Denkmalschutzes sowie mit akrobatischen Arbeitsbedingungen.

Die 1937 eröffnete und vom Luzerner Bauingenieur Rudolf Dick gebaute Haggenbrücke über die Sitter bei St. Gallen ist einer der höchsten Fussgängerstege in Europa. Bereits bei der Einweihung aber erwies sie sich als sehr schwingungsanfällig, sodass sie auch nach Nachbesserungen nur teilweise für die vorgesehene Nutzung freigegeben werden konnte. Von 2009 bis 2010 setzten Basler & Hofmann das Bauwerk instand – unter strengen technischen Anforderungen und ebensolchen Auflagen seitens des Umwelt und Denkmalschutzes sowie mit akrobatischen Arbeitsbedingungen.

Richtig freuen konnten sich die Gäste bei der Einweihung der vom Luzerner Bauingenieur Rudolf Dick erbauten Haggenbrücke am 24. Oktober im Jahr 1937 kaum: Die Menschenmassen, die das spektakuläre Bauwerk mit seinen bis zu 80 m hohen Stützen besichtigen wollten, versetzten die Brücke in starke Schwingungen (Abb. 1). Schnell kamen Zweifel an ihrer Tragsicherheit auf. Dick bemass die Profile des ursprünglichen Fachwerks sehr knapp und stufte sie äusserst fein ab, um das dazumal wertvolle Material effizient einzusetzen. Projektänderungen während der Ausführung, wie die Vergrösserung der Spannweite eines Feldes, erhöhten die Ausnutzung der Querschnitte zusätzlich. Fritz Stüssi, damals Professor an der ETH Zürich, stellte mit einer statischen Überprüfung fest, dass die Bemessung nicht nur knapp war, sondern die zulässige Spannung in einzelnen Fachwerkstäben überschritten wurde. Bereits zwei Jahre nach dem Eröffnungsfest wurden deshalb einzelne Diagonalen und Gurtstäbe im Endfeld des Oberbaus sowie Stützenköpfe und Stützen verstärkt. Weil das Schwingungsverhalten damit aber nicht verbessert werden konnte, durfte die Brücke, die ursprünglich für Fuhrwerke bis zu 8 t ausgelegt war, in der Folge nur noch mit Ausnahmegenehmigung befahren werden und diente vor allem als Fuss- und Veloverbindung zwischen den beiden Gemeinden St. Gallen und Stein im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Der Volksmund nannte die Brücke passend «Ganggelibrogg».

Zustandserfassung 70 Jahre später – im Jahr 2007 – wiesen Fahrbahnplatte und Fundamente Schäden auf. Zwar war der Korrosionsschutz der Stahlkonstruktion in den 1980er-Jahren erneuert worden, sie zeigte aber bereits wieder starke Verschleisserscheinungen. Aus diesem Grund wurde eine vollständige Instandsetzung unumgänglich. Die Stadt St. Gallen und die Gemeinde Stein erteilten dem Ingenieurbüro Basler & Hofmann Ende 2007 den Auftrag, eine Zustandserfassung, eine statische Überprüfung und ein Instandsetzungsprojekt auszuarbeiten. Ziel war es, das Bauwerk längerfristig als Geh- und Radwegbrücke zu erhalten und es so instand zu setzen, dass es den heutigen Sicherheitsanforderungen entspricht. Das Schwingungsverhalten der Brücke sollten die Ingenieure deutlich verbessern.

Für die Erfassung des Istzustandes nahmen die Bauingenieure die Schäden auf (Abb. 6), untersuchten das Material und überprüften die Statik. Sie liessen sich von der Feuerwehr abseilen und inspizierten die gesamte Brücke visuell. Bereits vom Geotechniker erstellte Untersuchungen der Fundamente und Filmaufnahmen vom Überbau zogen sie in die Beurteilung mit ein. Die Fundamente waren vor allem durch Steinschlag, Unterspülung durch die Sitter und Erddruck gefährdet. Am Stahlfachwerk zeigten sich zum Teil grossflächige Korrosionsschäden und Auftreibungen, d.h. Verformungen von eng aneinanderliegenden Blechen infolge Volumenzunahme durch Korrosionsprodukte. Die auf dem Fachwerkträger liegende Stahlbeton-Fahrbahnplatte wies Betonabplatzungen an der Unterseite, freiliegende Bewehrungseisen, undichte Fugen und Übergänge sowie einen abgenutzten Belag auf. Die Entwässerung leitete zudem das Wasser direkt auf das Stahlfachwerk.

Um die Tragsicherheit des Stahlfachwerks beurteilen zu können, entnahm man einen Diagonalstab, den die Empa Dübendorf auf Zugfestigkeit, Kerbschlagzähigkeit, chemische Zusammensetzung und Aufbau des Korrosionsschutzes untersuchte. Aufgrund der chemischen Analyse konnte das untersuchte Profil einem Thomasstahl zugeordnet werden, der nach SIA 263 einem heutigen Stahl S 235JR entspräche. Der alte Korrosionsschutz war zweischichtig, mit stark variabler Stärke von 130 μm bis 900 μm. Es wurden beträchtliche Zinkgehalte (40 g/m2), aber nur geringe Blei- (5 g/m2) und praktisch keine PCB-Gehalte gemessen.

Zeuge der At. Galler Industriebaukunst

Die Brücke ist im schweizerischen Inventar der Kulturgüter als Objekt von nationaler Bedeutung eingetragen. Denn sie ist mit ihrer äusserst filigranen und materialsparenden Konstruktionsart Teil des Ensembles der St. Galler Industriekeimzellen und gilt als wichtiger Zeuge der Ingenieurbaukunst im letzten Jahrhundert – obwohl sie eigentlich eine technische Panne ist. Die notwendig gewordenen Eingriffe in das bestehende Fachwerksystem sollten gemäss dem Denkmalschutz bei vertretbaren Sicherheitsrisiken vermieden oder zumindest minimiert werden. Die Struktur, das genietete Geländer und die Kandelaber sollten erhalten bleiben.

Statische Überprüfung

Für die statische Überprüfung modellierten die Bauingenieure die Brücke mit einem räumlichen Stabtragwerksprogramm – basierend auf gut erhaltenen Archivplänen. Dann erfolgte die Prüfung mit den gültigen Lasten gemäss SIA 260 und 261. Die Ingenieure ermittelten die Tragsicherheit der einzelnen Stäbe und Anschlüsse mit den Schnittkräften nach Theorie I. Ordnung. Die untersuchten Anschlüsse erfüllten die Tragsicherheit. Eine begrenzte Anzahl Stäbe überschritt allerdings die Normwerte bezüglich Ausnutzungsgraden Ed/Rd um 5 bis 27 %; die kritischen Stäbe befinden sich vor allem im Überbau.

Um die Schwingungsanfälligkeit der Brücke genauer zu untersuchen, wurden Messungen und Eigenfrequenzberechnungen durchgeführt. Die Eigenfrequenzen gemäss SIA 260 liegen in dem für Fussgängerverkehr kritischen Bereich von 1.6 bis 4.5 Hz in vertikaler und von <1.3 Hz in horizontaler Richtung. Die gemessene vertikale Schwinggeschwindigkeit, die bereits ein bis zwei rennende Personen anregen können, beträgt 17.1 mm/s und ist grösser als der von der DIN 4150 vorgegebene Grenzwert von 5 mm/s. Die starken horizontalen Auslenkungen wiederum können dazu führen, dass Personen aus dem Tritt geraten. Allerdings müssten viele Personen die Brücke begehen, bis die horizontale Schwingung deutlich wahrnehmbar würde – was eher selten vorkommt. Für die tägliche Nutzung sind deshalb vor allem die vertikalen Schwingungen von Bedeutung.

Gewicht reduzieren und Dämpfung erhöhen

Das Instandsetzungsprojekt stellte vor allem die hohen Ausnutzungsgrade und die Schwingungsanfälligkeit in den Vordergrund. Zum einen sollten Tragsicherheit und Schwingungsverhalten deutlich verbessert werden, gleichzeitig aber durfte die Leichtigkeit der Konstruktion aus Denkmalschutzgründen nicht verunklärt werden. Eine orthotrope Stahlplatte mit einem Gussasphaltbelag ersetzt die Fahrbahnplatte aus Beton. Damit reduziert sich das Gewicht der Fahrbahnplatte einschliesslich Belag von 413 kg/m2 auf 280 kg/m2. Diese Gewichtsreduktion und der Verbund der neuen Stahlplatte mit den Obergurten verbesserten das statische Verhalten deutlich. Der Ausnutzungsgrad Ed/Rd der massgebenden pfeilernahen Stäbe des Untergurtes und der Streben verringerte sich von 1.27 auf 1.09, und die Eigenfrequenz fv von etwa 2.5 Hz erhöhte sich leicht, wodurch die Brücke etwas steifer wurde. Dennoch blieben zwölf Druck- und vier Zugstreben unter den normgemässen Sicherheiten. Für sie planten die Ingenieure Profilergänzungen und Verstärkungen ein. Da sich mit der leichteren Stahlplatte allein die Tragwerkssteifigkeit und das Schwingungsverhalten nur geringfügig verbessert, empfahlen die Ingenieure, Schwingungsdämpfer einzusetzen (Abb. 5). Wegen der hohen technischen und ästhetischen Anforderungen, insbesondere bezüglich Denkmalschutz, konnte man keine Standardprodukte verwenden, sondern es mussten massgeschneiderte Dämpfer entwickelt werden. Insgesamt reduzieren nun vier vertikale und zwei horizontale Dämpfer die Schwingungen um etwa den Faktor 3. Die Dämpfungen wurden von 0.5 auf etwa 2.5% angehoben.

Neuer Korrosionsschutz

Für die Erneuerung des Korrosionsschutzes wurden verschiedene Varianten geprüft. Wäre die gesamte Brücke für die Arbeiten eingehaust worden, hätte dies infolge Windlasten eine massive Zusatzbelastung für die filigranen Pfeiler bedeutet, die Abspannungen hätten aufnehmen müssen – und dies in einem engen Flusstal mit Hochspannungsleitungen. Die Planenden begrenzten die Einhausung deshalb auf rund 35 m lange Etappen. Im restlichen Bereich wurde der Korrosionsschutz im Freikletterverfahren instand gesetzt (Abb. 4). Der eingehauste Bereich erhielt einen dreischichtigen Korrosionsschutz, und im nicht eingehausten Bereich brachten die Kletterer von Hand zwei Schichten auf. Die Instandsetzungsarbeiten in schwindelerregender Höhe stellten extreme Anforderungen an die Beteiligten: Zehn Fachkräfte mit einer Kletterausbildung für Arbeiten am hängenden Seil führten die Erneuerung von rund 5700 m² Korrosionsschutz aus. Die Suva besprach vor Beginn der Arbeiten das Sicherheits- und Rettungskonzept und probte allfällige Bergungsmassnahmen. Da unter der Haggenbrücke eine Hochspannungsleitung durchführt, wurden die Arbeiten frühzeitig mit dem Kraftwerksbetreiber abgestimmt und die Leitung zeitweise abgeschaltet.

Umweltschutzmassnahmen

Die Bauarbeiten wurden in enger Zusammenarbeit mit den kantonalen Umweltämtern ausgeführt. Um zu verhindern, dass schadstoffhaltiger Korrosionsschutzbelag in die Umwelt gelangt, ergriff man Schutzmassnahmen, wie mobile Zelte im Bereich der Fahrbahn oder Rucksackstaubsauger für die Freikletterer. Bei zwei Pfeilern stellten die Fachkräfte während der Ausführung höhere Bleigehalte fest als sondiert. Um die Schadstoffe aufzufangen, montierte man zusätzliche, fächerförmige Auffangvliese um die Pfeiler. Unterhalb der Brücke wurden monatlich Kontrollmessungen durchgeführt. Sie zeigten während der entsprechenden Bauarbeiten etwas erhöhte, jedoch tolerierbare Schadstoffemissionen. Die letzten Arbeiten an der filigranen Konstruktion wurden vor einem Jahr abgeschlossen. Seither präsentiert sich der Fussgängersteg aufgefrischt, und es können neben Fussgängern und Velos nun auch Mopeds und Unterhaltsfahrzeuge bis 3.5 t auf die Brücke.

TEC21, Fr., 2011.06.10



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2011|24 Brücken mit Geschichte

Bauwerk in Bewegung

Gebäude bewegen sich, erfahren Setzungen, Stauchungen und werden durch Wind oder Erdbeben in Schwingungen versetzt. Je höher das Gebäude, desto stärker machen sich diese Bewegungen bemerkbar. Sie spielten auch beim Bau des Mobimo Towers in Zürich West eine zentrale Rolle. Um eine präzise Ausführung und eine sichere Umsetzung der planerischen Arbeit zu gewähren, berechneten und simulierten die Bauingenieure von Basler & Hofmann die Bewegungen akribisch und überprüften sie im Bauzustand kontinuierlich.

Gebäude bewegen sich, erfahren Setzungen, Stauchungen und werden durch Wind oder Erdbeben in Schwingungen versetzt. Je höher das Gebäude, desto stärker machen sich diese Bewegungen bemerkbar. Sie spielten auch beim Bau des Mobimo Towers in Zürich West eine zentrale Rolle. Um eine präzise Ausführung und eine sichere Umsetzung der planerischen Arbeit zu gewähren, berechneten und simulierten die Bauingenieure von Basler & Hofmann die Bewegungen akribisch und überprüften sie im Bauzustand kontinuierlich.

Bereits während der Bauzeit führen die grossen Eigenlasten von Hochhäusern zu Setzungen, Verkippungen und Stauchungen der Tragelemente. Ausserdem versetzen äussere Kräfte aus Wind und Erdbeben das Bauwerk in Schwingungen. Die Herausforderung für die Planenden besteht für solche Bauwerke darin, diese Bewegungen möglichst exakt zu prognostizieren und zu kontrollieren. Denn die Bewegungen können die Gebrauchstauglichkeit des Gebäudes zum Beispiel durch unzulässige Verformungen der Decken beeinträchtigen, und für die Tragsicherheit sind sie insofern relevant, als sie übermässige Zwangsbeanspruchungen in den Geschossdecken und der Bodenplatte verursachen können. Es stellen sich bei der Planung von Hochhäusern im Speziellen Fragen wie: Auf welche Weise interagieren Untergrund und Fundation unter der grossen Belastung? Wie stark werden die vertikalen Tragwerkelemente gestaucht? Welche Eigenschwingung zeigt das Gebäude? Und wie gross ist die Kopfbeschleunigung in den oberen Stockwerken?

Projektierende Ingenieure berechnen und simulieren die Bewegungen im Vorfeld. Doch erst in der Bauphase können die Prognosen überprüft und allfällige Korrekturen am Bauwerk vorgenommen werden. Den Überwachungsmessungen und Baukontrollen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Auch bei den vor Ort durchgeführten Vermessungsarbeiten müssen die Gebäudebewegungen berücksichtigt werden, um Messfehler auszuschliessen. Die Ingenieure von Basler & Hofmann führten auch am 80 Meter hohen Mobimo Tower im Stadtteil Zürich West – er wird Mitte 2011 eröffnet – ebendiese erforderlichen Überwachungsmessungen und Baukontrollen bereits während der Bauphase durch.

Setzungen bereits während der Ausführung

Der Mobimo Tower ruht auf einer 30 bis 40 m mächtigen Schicht aus Limmatschotter. Die Fundation für das 65 000 t schwere Bauwerk besteht aus einer kombinierten Pfahl-Platten- Gründung mit einer 1.50 m starken Bodenplatte und 16 etwa 20 m langen, schwimmenden Bohrpfählen. Rund 40 % der Gebäudelast werden über Pfähle in den Untergrund abgetragen – dies haben Gleitmikrometermessungen an drei Pfählen bestätigt. Die restliche Gebäudelast trägt die Bodenplatte flach in den Schotter ab.

Die Ingenieure berechneten mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) eine mittlere Setzung für das Gesamtgebäude von etwa 50 mm und eine maximale im besonders belasteten Innenbereich von 65 mm (Abb. 7). Gegenüber den angrenzenden Erweiterungsbauten, die zeitgleich im Bau sind (Abb. 5), war mit einer Setzungsdifferenz von 20 mm zu rechnen. Der komplette Turm wurde deshalb ab Bodenplatte um 20 mm höher als die Sollkote gebaut. Während des Rohbaus bis zum 14. Obergeschoss musste mit den markantesten Setzungen gerechnet werden – etwa 50 % der gesamthaft prognostizierten. Deshalb war das Hochhaus ab Unterkante Bodenplatte bis Erdgeschoss vorerst von der benachbarten Parkgarage mit einer Setzungsgasse entkoppelt. Erst als sich ewa 90 % der Setzungen eingestellt hatten, wurde die Gasse zubetoniert.

Differenzielle Stauchung der Tragelemente

Neben der Setzung spielt die Stauchung der vertikalen Tragelemente eine zentrale Rolle für die Planung und Ausführung des Tragwerks. Die mit dem Baufortschritt zunehmende Last staucht den Kern aus 50 cm starken Ortbetonwänden, die vorfabrizierten Betoninnenstützen und die tragende Fassade mit den Betonaussenstützen. Am stärksten werden die Innenstützen belastet und verformt (Abb. 6). Um die differenzielle Stauchung und Setzung gegenüber anderen Bauteilen auszugleichen und um ein unzulässiges Deckengefälle in den Innenräumen zu verhindern – der Bemessung wurden die Werte für die Gebrauchstauglichkeit nach SIA-Norm 260 zugrunde gelegt –, sind die Innenstützen ab dem zweiten Stockwerk um 10 mm überhöht eingebaut worden.

Verschiebung der Fassadenelemente

Da sich ein Hochhaus nicht nur während des Baus, sondern auch nach der Fertigstellung infolge Windeinwirkung bewegt, darf die Fassade nicht steif wie ein Panzer sein – sie muss die Bewegung mitmachen können. Die errechnete Auslenkung infolge von Wind bestimmte beim Mobimo Tower die minimal mögliche Fugenbreite zwischen den Natursteinplatten, damit diese bei starkem Wind nicht gegeneinanderstossen, was zu Schäden an den Fassadenplatten führen würde. Die Fuge ist mit 8 mm Stärke über alle Stockwerke konstant, wobei sie in den unteren drei aus ästhetischen Gründen dauerelastisch verfugt und oben offen belassen ist. Entsprechend präzise muss die Fassade abgesteckt und montiert sowie die Deformation der Decken berücksichtigt werden.

Im Windkanal prüfen

Damit sich die künftigen Nutzerinnen und Nutzer im Hochhaus wohlfühlen, darf das Gebäude nicht zu sehr im Wind schwanken. Um diese Schwankungen abzuschätzen, bestimmten die Ingenieure mit FEM die Eigenfrequenzen des Mobimo Towers: f1 = 0.4 Hz, f2 = 0.5 Hz, f3 = 0.52 Hz, f4 = 2.03 Hz. Grundsätzlich gibt es keine Normvorgaben, doch weiss man, dass tiefe Eigenfrequenzen bezüglich Windeinwirkung problematisch sind. Die im Windkanal durchgeführten Versuche bestätigten aber, dass der Turm wenig schwingungsanfällig ist. Mit den zusätzlich durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen am Rohbau ermittelte man schliesslich die effektiven Eigenfrequenzen. Sie sind höher als prognostiziert, womit das Hochhaus weniger anfällig für dynamische Windeinwirkungen ist als vermutet.

Vermessung des Rohba us während ruhiger Stunden

Die Setzung der Bodenplatte sowie die Stauchung der vertikalen Tragelemente wurden mit jedem zweiten zusätzlichen Geschoss überprüft. Mittels Präzisionsnivellement vermassen die Ingenieure die Höhenkoten von insgesamt 16 Messpunkten bei den Kernwänden und Stützen. Die Stockwerkshöhen können wegen der Setzungen und Stauchungen nicht absolut über das Fixpunktnetz gemessen werden, da sich sonst die Raumhöhen veränderten. Die Vermessungsingenieure vermassen deshalb gegen einen sich mitbewegenden Fixpunkt auf der Bodenplatte des Bauwerks. Mit zunehmender Höhe galt es ausserdem, die Windeinwirkung zu berücksichtigen und die Vermessungsarbeiten in möglichst windstillen Phasen durchzuführen. Auch die Bauarbeiten setzen das Gebäude in Bewegung: Die am Bauwerk befestigten Krane führten zum Beispiel zu Auslenkungen der Gebäudeachse, und schwere Baugeräte verursachten Vibrationen. Die Vermessungsarbeiten liefen deshalb häufig in Randstunden, über den Mittag oder nachts. Bei der Interpretation der Messergebnisse spielt die Temperatur während der Vermessungsarbeiten eine entscheidende Rolle. Eine Temperaturdifferenz zwischen zwei Messungen von zum Beispiel 10 °C führt bei einem 80 m hohen Gebäude zu einer Differenz von 8 mm – was beim Mobimo Tower bereits etwa 25 % der gesamthaft prognostizierten Stauchungen der Innenstützen im obersten Geschoss bedeutet. Man zeichnete die Temperaturen deshalb während der Messungen auf. Ein weiterer Einflussfaktor sind Grundwasserbewegungen. Sie führen zu Setzungen oder zu Auftrieb und schlagen sich direkt in den Vermessungsergebnissen nieder. Bei der Interpretation der Ergebnisse müssen diese Einflüsse herausgefiltert werden.

Während die Stauchungen von Stützen und Wänden im erwarteten Bereich lagen, erwies sich der Untergrund als steifer, denn die effektive Setzung betrug nur rund ein Drittel der aufgrund der Bodenkennwerte berechneten Werte. Die Bodenplatte setzte sich beinahe gleichmässig mit einer maximalen Neigung von 1:3000. Es waren somit keine Ausgleichsmassnahmen nötig. Dennoch waren die präzisen und ausführlichen, aber in dem für dieses Bauwerk üblichen Rahmen liegenden Vermessungsarbeiten und Bodenuntersuchungen gerechtfertigt, denn aus diesen Anstrengungen resultiert die erreichte Ausführungsqualität.

TEC21, Fr., 2011.04.08



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