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17. April 2003Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Vogelhaus und Leuchtspiegel

Das Museum für Angewandte Kunst in Köln widmet Ettore Sottsass, dem Altmeister des italienischen Designs, eine Retrospektive. Zu sehen sind Zeichnungen, Modelle und Photographien von Architekturprojekten aus den letzten zwanzig Jahren, Möbel aus der legendären Memphis-Kollektion sowie neuere skulpturale Objekte.

Das Museum für Angewandte Kunst in Köln widmet Ettore Sottsass, dem Altmeister des italienischen Designs, eine Retrospektive. Zu sehen sind Zeichnungen, Modelle und Photographien von Architekturprojekten aus den letzten zwanzig Jahren, Möbel aus der legendären Memphis-Kollektion sowie neuere skulpturale Objekte.

Zweifellos gehört Ettore Sottsass zu den einflussreichsten Vertretern des italienischen Designs im 20. Jahrhundert. Berühmt wurde der 1917 in Innsbruck geborene Gestalter, der in Turin Architektur studierte und 1947 sein Büro für Architektur- und Designprojekte in Mailand gründete, durch legendäre Entwürfe wie die rote Reiseschreibmaschine «Valentina» (1969). Sie entstand während seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Olivetti.

Sottsass gelang es immer wieder, technische Geräte mittels Farbigkeit und eleganter Formen in Objekte zu verwandeln, die man auch gerne ansah. 1981 gründete Sottsass zusammen mit Freunden - darunter Andrea Branzi, Hans Hollein, Michele de Lucchi, Marco Zanini und Shiro Kuramata - die Gruppe Memphis, die sich mit ihren bunten, skulpturalen Objekten gegen das Diktat eines nüchternen Funktionalismus wandte. Möbel und Wohnobjekte sollten nicht mehr nur unauffällig ihren Dienst erfüllen, sondern auch Gefühle auslösen. Kostbare und billige Materialien sowie auffallende Muster und grelle Farben wurden unbekümmert gemischt. Sottsass umschrieb die Intention, die er damit verfolgte, folgendermassen: «Design zu machen heisst für mich nicht, einem Produkt Form zu geben (. . .). Für mich ist Design eine Art und Weise, das Leben zu diskutieren, soziale Beziehungen, die Politik, das Essen und sogar das Design selbst.» Die Gruppe Memphis löste kontroverse Reaktionen aus, doch ihr Einfluss auf die Entwicklung des Designs war einschneidend und ist auch heute noch wirksam.


Designskulpturen

Sottsass entwarf aber auch Gegenstände für den Alltag, mit denen er grossen Erfolg hatte. Dies zeigt die weite Verbreitung der zahlreichen Kreationen, die er für Alessi entwarf: beispielsweise das Besteck «Nuovo Milano». Einem einfachen Bistrobesteck gab er eine etwas elegantere, schnittigere Linie, die den feinen Unterschied ausmacht und das Formgefühl des Designers aufzeigt. Allerdings stehen nicht solche Erzeugnisse im Zentrum der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Köln, sondern in erster Linie spektakuläre, oft geradezu skulpturale Arbeiten wie etwa der Spiegel «Ultrafragola» von 1970, dessen gewelltes Kunststoffgehäuse beleuchtbar ist, oder Designobjekte, die er meist in kleinen Editionen für Galeristen wie den Belgier Ernest Mourmans zeichnete. Erwähnt sei hier eine teilweise blattvergoldete Bar aus Laminat und einem Holz, das sich durch seine ungewöhnliche Maserierung auszeichnet.

Zusammen mit seiner Mitarbeitergruppe Sottsass Associati, der Architekten wie Marco Zanini, Johanna Grawunder und Mike Ryan angehören, widmete er sich seit Mitte der achtziger Jahre vermehrt auch der Baukunst. Die Ausstellung stellt 26 Projekte anhand von Zeichnungen, Plänen, Fotos und Modellen vor. Die Palette reicht von Einfamilienhäusern in Belgien, Italien, der Schweiz und den USA bis hin zu einer Fabrik in Moskau, einem Museum in Ravenna und einem Golfklub in China. Als geradezu exzentrisch darf man das Birdhouse bezeichnen, das Sottsass zwischen 1995 und 1999 für Ernest Mourmans im belgischen Lanaken realisierte. Der Bau besteht aus unterschiedlich geformten, puzzleartig zusammengesetzten Teilen, die durch Innenhöfe und Gärten miteinander verbunden sind, und erinnert an weitläufige römische Villen. Zudem ist eine Voliere für exotische Vögel so in das Gebäude integriert, dass man diese von überall im Haus her sehen kann.


Hülle und Interieur

Charakteristisch für die meisten Bauten von Sottsass ist die auf die Architektur abgestimmte Inneneinrichtung. Er verwendet für die Gestaltung der Interieurs die gleiche Sorgfalt wie für die Konzeption und Aussengestaltung der Bauten. Dafür gebraucht er, ähnlich wie für seine skulpturalen Designobjekte, ausgesuchte Materialien und scheut sich auch nicht vor ungewöhnlichen Kombinationen und Farben. Das 1992 vollendete Haus Cei in der Toskana hingegen sieht von aussen aus, als sei es von einem Kind gezeichnet worden. Die architektonischen Grundelemente sind bewusst überdeutlich dargestellt. So besitzt das Haus, das aus einem quadratischen Block besteht, ein akzentuiertes Satteldach aus rotem Aluminium. Ebenso bildhaft eingesetzt sind die Eingangstür und die gelb gerahmten Fenster.

Formal stark reduziert ist auch die an der Zürcher Goldküste gelegene Villa eines bekannten Schweizer Galeristen. Sie besteht aus einem dreistöckigen Wohngebäude und einem Garagenhaus. Beide sind mit dunkelgrauem Schiefer verkleidet, welcher die blockhafte Erscheinung zusätzlich betont. Einzig ein weisser, auskragender Eingang unterbricht die geometrische Form. Es besteht kein Zweifel: Bei Sottsass ist ein Haus ein Haus - und nichts anderes. Und das soll sichtbar sein. Der farbenprächtige Innenausbau steht im Gegensatz zur schillernd-düsteren äusseren Erscheinung des Hauses. Ettore Sottsass' kunstnahe Arbeitsweise zeigt sich auch in seinen Zeichnungen, die über sein ganzes langes Leben - er ist jetzt 85 Jahre alt - in grosser Zahl entstanden. Erstmals können in der Kölner Ausstellung 50 Originalzeichnungen aus seinem Privatbesitz gezeigt werden.


[Bis zum 25. Mai im Museum für Angewandte Kunst in Köln. Eine Gratisbroschüre mit dem Verzeichnis der Exponate und kurzen erläuternden Texten liegt auf.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.04.17

07. Februar 2003Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Leben in Kissen und Regalen

Impressionen von der internationalen Möbelmesse Köln

Impressionen von der internationalen Möbelmesse Köln

Im Wohndesign sind seit einiger Zeit futuristische Welten wieder im Trend. Das zeigte sich im Januar auch auf der Kölner Möbelmesse, wo visionäre Entwürfe die Sonderschauen dominierten, während auf den Messeständen der meisten Firmen das kuschelige Ambiente, in das man sich aus dem Alltag flüchtet, immer wichtiger wird.


In die «Designwelten» von Karim Rashid aus New York und Konstantin Grcic aus München konnte man jüngst in Köln eintauchen. Die beiden Shootingstars der Designszene wollten anlässlich der jeweils im Januar stattfindenden Möbelmesse mit ihren zwischen «organischem Futurismus» und der «Poesie des Einfachen» anzusiedelnden Entwürfen «scheinbar gegensätzliche Trendphänomene, die sich in einer pluralistischen Gesellschaft zeitgleich entwickeln können», aufzeigen. Grcic, zweifellos einer der begabtesten Vertreter eines verfeinerten Purismus, zwingt uns in seinem «Ideal House» zu einem Leben inmitten von Regalen. Der Bewohner dieses «Lebensraum-Archivs» bewegt sich in einem Sessel an einer kranartigen Vorrichtung zwischen den Wänden. Rashids Installation hingegen suggeriert ein Ambiente, das auf einer organisch-weichen Formenwelt beruht. Dabei folgt er einer klassischen Einteilung der Wohnräume und nimmt die jetzt wieder modische Ästhetik der sechziger Jahre auf. Designer wie Joe Colombo postulierten derart kompakte, in sich funktionierende Wohnungseinheiten schon vor nahezu einem halben Jahrhundert als provokative Vorschläge für ein zukünftiges Wohnen. Rashid putzt diese heute mit knalligen Farben und Mustern sowie modernster Technologie auf. Sein «Idealhaus» verfolgt wohl vor allem den Zweck, das sonst in Köln vorherrschende langweilige Einerlei der Stile und das Fehlen von zündenden Ideen im Bereich des Möbeldesigns zu kaschieren.


Lebendige Schweizer Szene

Die Präsentationen der einzelnen Firmen auf dem Messegelände, die ja nach Köln kommen, um ihre Produkte zu verkaufen und so das Zuhause der nahen Zukunft zu bestimmen, verkörperten hingegen einen anderen Geist. Da spürte man wenig Interesse an futuristischen Wohnideen. Vielmehr geht der breite Trend hin zum Sich-Einkuscheln. Das gilt auch für den Möbelmarkt, dem es zurzeit nicht gut geht. Mühe bekunden vor allem diejenigen Unternehmen, die sich bezüglich Fertigungsstandard und Formgebung im Mittelfeld bewegen. Kleinere, auf hochwertiges Design spezialisierte Firmen scheinen unter dem Einbruch weniger zu leiden. Ihre Nischenprodukte sprachen stets ein ganz bestimmtes Publikum an, und das ist geblieben. So sah man bei einigen Schweizer Firmen, die diesem Profil entsprechen, auch diesmal interessante neue Produkte.

Röthlisberger-Kollektion, die wie schon in den letzten Jahren zusammen mit dem Forum 8 als Gruppe innovativer Schweizer Hersteller auftrat, zeigte ihre «Tour d'Oï», einen drehbaren, frei im Raum aufstellbaren Turm aus vier übereinander liegenden Kuben mit neu entwickelten magnetgeführten Schiebetüren. Abwechselnd um 90 Grad gedreht, sind die Kuben von zwei gegenüberliegenden Seiten her benutzbar - offen oder mit einem transluzenten Vertikalschieber abgeschirmt. Die vier Stauräume von 46 Zentimetern Seitenlänge können mit einem eingesetzten Regalfachwerk aufgeteilt werden. Innovative Technologie, perfekte Fertigung und originelles Design finden hier zusammen. Das vom Westschweizer Atelier Oï, das einem breiteren Publikum auch durch seine Interventionen auf der Arteplage in Neuenburg zum Begriff geworden ist, entwickelte Möbel ist einer der Preisträger des renommierten «iF Design Award 2003».

Von Willy Guhl, dem Doyen des Schweizer Designs, stammt der Tisch «Perreuse» (bei Röthlisberger), der seinen vor 56 Jahren kreierten berühmten Bankstuhl ergänzt. Guhls Tischkonstruktion mit einer dreiteiligen Latte basiert auf zwei selbständig stehenden Brettbrücken in Nussbaum- oder Eichenholz. Sie bilden in Doppelfunktion Tischbein wie Teil der Platte, die mit Zugstangen verbunden sind. Für die Längsplatte dieser ebenso einfachen wie genialen Konstruktion sind je nach Tischfunktion verschiedene hitze- und gebrauchsresistente Materialien einsetzbar. Auch Wogg bietet einen innovativen Tisch an. Hier war wieder das Atelier Oï am Werk. Das Kernstück dieses neuen, «Endless» genannten Tisches bildet eine Konstruktion aus zwei Aluminiumtragprofilen, die durch Abstandhalter verbunden werden. So kann nach Bedarf ein Tisch bis zu sechs Metern Länge zusammengestellt werden. Die Rohrfüsse werden mittels eines kräftigen Gewindes direkt ins Tragprofil eingeschraubt und können jederzeit problemlos demontiert werden. Das Besondere des Tischkonzeptes besteht in seinen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, da die Tischplatte unterteilt werden kann. Dazwischenliegende Freiräume dienen als Kabelkanäle oder als schalenartige Unterbrüche in der Tischfläche - ein ausgeklügelter Hightech-Tisch, der in bester Schweizer Tradition funktionales Design mit eleganter Form vereint.

Doch auch renommierte internationale Hersteller arbeiten gerne mit Schweizer Gestaltern. So zeigt die Firma Classicon, die auch die Reeditionen von Eileen Gray in ihrem Programm hat und mit ihren Klassikern in Zeiten der Unsicherheit sehr erfolgreich ist, das Sideboard «Nemea» von Alfredo Häberli, das sich in zwei Richtungen ausziehen lässt. In jeder Stufe wirkt es mit seiner weissen Oberfläche in schimmerndem Lack elegant, so dass man es sich gut neben einem Möbel von Eileen Gray oder Jean Michel Frank vorstellen kann. Damit passt es aber auch bestens ins anspruchsvolle Programm der deutschen Firma.


Entwürfe von berühmten Architekten

Dass sich berühmte Architekten immer wieder an den Entwurf von Möbeln wagen, ist nichts Neues. So entwarf Helmut Jahn in Zusammenarbeit mit Yorgo Lykouria für Classicon den Tisch «Ulysses». Als Refektoriumstisch eines mittelalterlichen Klosters, der ins 21. Jahrhundert transponiert worden ist, will ihn Jahn verstanden wissen. Seine ungewöhnliche Oberfläche aus einer mit dem Laser bearbeiteten Edelstahlplatte, die auf Acryl aufliegt, erinnert tatsächlich an die Struktur von Jahns Hochhäusern. Der passende Hocker «Naiad» hat dank seinem mit Gel gefüllten Fahrradsattel eine bequem federnde Sitzfläche. Hightech neben kuscheligen Kissenbergen - das Wohnen der Zukunft?

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.02.07

04. November 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Kreativer Austausch

Der 9. Designers' Saturday in Langenthal

Der 9. Designers' Saturday in Langenthal

Als Begegnungsort von Architekten, Gestaltern, Produzenten und einem interessierten Publikum will der alle zwei Jahre Anfang November in Langenthal durchgeführte Designers' Saturday verstanden sein. Nachdem die Veranstaltung in jüngster Zeit immer mehr Messecharakter angenommen hatte, besannen sich die Veranstalter - alles in Langenthal und Umgebung ansässige Firmen - auf den ursprünglichen Ideenaustausch. Das hat dem Designers' Saturday, der sich gestern Sonntag auch dem Laienpublikum öffnete, nur gut getan. Von durchgehend hohem Niveau waren die Präsentationen der Gastgeber und der von ihnen eingeladenen Möbel- und Textilfirmen aus dem In- und Ausland.

Den Besuchern wurden Prototypen und Ideen für neue Produkte vorgestellt, so bei Création Baumann eine semitransparente Textilfolie, die dank einseitiger Kautschukbeschichtung an der Fensterscheibe haftet. Einblick in die Vielfalt textiler Kreationen gab zudem die stimmungsvolle Inszenierung «Licht, Sicht und Schall», die unter anderem mit einem tönenden Vorhang aufwarten konnte. Der angestrebte kreative Austausch zwischen Produzenten, Vermittlern und Verbrauchern funktionierte. Bei der von Ruckstuhl eingeladenen Firma Vitra stellten Ronan und Erwan Bouroullec, zwei Stars der jüngsten Designergeneration, ihre Visionen zur Bürogestaltung der Zukunft persönlich vor. Und Hannes Wettstein sorgte mit seiner neusten Stuhlkreation für Horgen Glarus in den Räumen von Création Baumann für Grossandrang. Bei der Gemeinschaftspräsentation des Forum 8 in einem ehemaligen Bauernhaus neben dem Design-Center fiel der «Kleiderbutler» von Christophe Marchand (für Wogg) als Novum auf, während Lehni auf die wiedergewonnenen Rechte an Donald Judds Metallmöbeln hinwies.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.11.04

06. September 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Zurück zu den Wurzeln

Am ersten Wochenende im November findet in Langenthal seit 1987 im Zweijahresturnus der Designers' Saturday statt. Jedes Jahr verzeichnete der Anlass,...

Am ersten Wochenende im November findet in Langenthal seit 1987 im Zweijahresturnus der Designers' Saturday statt. Jedes Jahr verzeichnete der Anlass,...

Am ersten Wochenende im November findet in Langenthal seit 1987 im Zweijahresturnus der Designers' Saturday statt. Jedes Jahr verzeichnete der Anlass, bei dem die vor Ort ansässigen Firmen ihre Produktionsstätten und Showrooms am Samstag dem Fachpublikum und am Sonntag weiteren interessierten Kreisen öffnen, mehr Besucher. Auch die Zahl der Firmen aus dem In- und Ausland, die als zahlende Gäste der Langenthaler Produzenten ebenfalls ausstellen, nahm jährlich zu. Am siebten und achten Designers' Saturday verzeichnete man je 10 000 Besucher.

Die Erfolgsgeschichte des Designers' Saturday hat aber auch ihre Kehrseite. Der Anlass, der ursprünglich als Gedankenaustausch zwischen Herstellern, Inneneinrichtern und Architekten gedacht war, geriet immer mehr zur eigentlichen Messe, auf der Produkte präsentiert, nicht aber Diskussionen geführt wurden. Am neunten Designers' Saturday, der am 2. und 3. November 2002 stattfindet, soll nun nicht einfach das Produkt im Vordergrund stehen, sondern der Weg, der zu ihm führt. Namhafte Gestalter wie Hannes Wettstein, Ronan und Erwan Bouroullec sowie Matali Crasset werden in Kurzreferaten ihre Designkonzepte zur Diskussion stellen, ebenso werden die verantwortlichen Direktoren verschiedener Firmen das Gespräch mit den Besuchern persönlich suchen, wie es anfangs dem Konzept des Designers' Saturday, dessen Idee ursprünglich aus New York stammt, entsprach. Vermehrt werden Installationen gezeigt, die über eine reine Produktepräsentation hinausgehen und zur Auseinandersetzung mit einem zukunftsweisenden Gestaltungsprozess anregen sollen. Im Vorfeld des nächsten Designers' Saturday findet am 1. November im Design-Center Langenthal ein Symposium zum Thema «Begegnung mit der Zukunft» statt, das unter der Leitung von Martin Heller steht.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.09.06

03. Mai 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Althergebrachte Formen und neue Technologien

Ein Rückblick auf die Mailänder Möbelmesse

Ein Rückblick auf die Mailänder Möbelmesse

Formale Anleihen an das Möbeldesign der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre standen auch am diesjährigen Salone del Mobile in Mailand, der vom 10. bis zum 15. April stattfand, im Vordergrund. Dank neuen Technologien und Materialien kann man diese Formensprachen heute aber feiner und raffinierter umsetzen. Innovationen waren deshalb in erster Linie in der Anwendung und Erprobung von Technologien und Materialien auszumachen. Durchaus mit überraschenden Ergebnissen und unerwarteten Effekten, sowohl im Hochpreissektor wie bei erschwinglicheren Angeboten.

«Plastic, was für ein Luxus», verkündet die Firma Kartell, die seit mehr als 50 Jahren auf Möbel aus Kunststoff spezialisiert ist und stets erstklassige Designer mit zugkräftigen Namen beschäftigt. Jedes Jahr werden neue Kunststofferzeugnisse vorgestellt. Waren es letztes Jahr das farbige, transparente Polykarbonat und die im Rotationsverfahren hergestellten, aus einem einzigen in der Masse gefärbten Stück Polyethylen bestehenden Nachahmungen von voluminösen Polstermöbeln in barocker Formensprache von Philippe Starck, so war es dieses Jahr «Eva», ein Sessel von Marc Sadler, dessen schlichte, sanft gekurvte Sitzschale und dessen zierliche Metallstruktur die siebziger Jahre aufleben liessen. Doch der neue Sitz besteht aus einem halbweichen Plasticmaterial, das den Körper fast so bequem aufnimmt wie ein gepolstertes Möbel. Dieser weiche Plastic, den man in einem Injektionsverfahren in Form bringt, wurde laut Kartell so erstmals in den Möbelbereich eingeführt. Die daraus gefertigten Sessel sind in verschiedenen, bald diskreten, bald kräftigen Farben zu haben.

Produziert Kartell bewusst relativ erschwingliche Möbel, die aber stets mit grossen Designernamen verbunden sind und so den Kunststoff zu einem auch von verwöhnten Kreisen akzeptierten Material gemacht haben, geht die Mailänder Edelfirma Sawaya & Moroni andere Wege. Sie empfängt nicht an der Messe, sondern in ihrem dreistöckigen Showroom an der noblen Via Manzoni. Alle Möbel und Accessoires, die sie ediert, sind erlesen und sehr teuer. Daher spricht sie eine Kundschaft an, die viel Geld für Möbel ausgibt, aber nicht Antiquitäten, sondern aufwendig verarbeitete, exklusive Stücke von Zaha Hadid, Jean Nouvel oder William Sawaya schätzt. Der Besuch in diesem Showroom ist immer ein besonderes Erlebnis. Entweder thront Zaha Hadid höchst persönlich - barock in voluminöse Kleider von Issey Miyake gehüllt - erhöht auf einem ihrer schnittigen Sofas und lässt ihre Stilettos über den Köpfen des sie bewundernden Publikums baumeln, um ab und zu einer besonders wichtigen Person duldsam ein paar Fragen zu beantworten. Oder dann stösst man auf dem Rundgang auf einen wild blinkenden Salontisch, dessen ausgeklügelten Mechanismus der Hausherr, Signor Moroni, gerne selbst erläutert. «Iké» heisst der niedrige Tisch mit dem geheimnisvollem Lichtspiel von John Meda, einem Professor für Computertechnik am MIT von Boston. Bei wechselndem Lichteinfall - schon eine Handbewegung über der Oberfläche genügt - beginnen sich die im Glas eingelassenen Sensoren (LED) wie ein Fischschwarm nach allen Seiten zu bewegen. Die Oberfläche des Tischchens fängt an zu leben und entwickelt eine ganz eigene Lichtdynamik.

Auch die Leuchte «Sora» hat John Meda für Sawaya & Moroni ausgetüftelt. Sie antwortet über Sensoren, die mit einem Mikrophon verbunden sind, auf die Töne der Umgebung mit wechselndem Licht. Will man von seiner Lieblingsfarbe begrüsst werden, kann man die Leuchte entsprechend programmieren. Durch ein einfaches «Ciao!» strahlt sie sofort das gewünschte Licht aus. Im grauen Mailand sei ein sanftes Rosa empfohlen. Vor dem gekurvten Sessel «Maxima» von William Sawaya diskutierten einige Schweizer Designer interessiert: Sie rätselten, wie man einen so extrem geschwungenen Sessel aus Polyurethan in einem einzigen Guss herstellen könne. Das Geheimnis wurde nicht gelüftet.

Neu bei Driade Store ist die Möbelfamilie «Tokyo-Pop» von Tokujin Yoshioka. Wie die von Starck für Kartell entworfenen Möbel sind sie im Rotationsverfahren hergestellt, das es ermöglicht, Sessel oder Sofas aus Polyethylen in einem Stück mit hohlem Innenraum zu formen. Ihre Vorläufer wurden im freskengeschmückten Showroom ebenfalls gezeigt. Sie bestehen aus einer Folie mit wabenartiger Struktur, die sich - auseinander gezogen - dem menschlichen Körper anpasst und somit eine ideale Form für das Sitzmöbel liefern soll. Eher objektartig wirkt dagegen das organisch aus elastischem Gewebe geformte und mit Leuchtperlen gefüllte Sofa «Superblob», das Karim Rashid, der Bruder des in Amerika zum Kultarchitekten avancierten Hani Rashid, für Edra entworfen hat. Neben solchen Design-Experimenten kommen bei Driade, Kartell und anderen Firmen stets von neuem die obligaten Stühle von Philippe Starck zum Zuge. Obwohl die Zahl seiner Entwürfe kaum mehr zu zählen ist, sind seine Möbel nach wie vor Verkaufsmagnete.

Die Möbelmesse Mailand wird jedes Jahr durch verschiedene Ausstellungen ergänzt, die auch den Nichtfachleuten zugänglich sind. Dieses Jahr war es der «Grand Hotel Salone», wo renommierte Designer und Architekten wie Jean Nouvel, Zaha Hadid, Vico Magistretti, Matteo Thun u. a. ihr ideales, oft futuristisches Hotelzimmer für eine ihnen zugewiesene Stadt entwarfen. Immer besser besucht und qualitativ von Jahr zu Jahr hochstehender ist der «Salone Satellite», wo von einer internationalen Jury ausgewählte, noch unbekannte Designer aus aller Welt ihre Produkte, auch Prototypen, die auf einen Hersteller warten, ausstellen können.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.05.03

01. März 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Möbel von Jean Prouvé

Mit verschiedenen Ausstellungen wurde im letzten Jahr der 100. Geburtstag des französischen Architekten und Gestalters Jean Prouvé (1901-1984) gefeiert....

Mit verschiedenen Ausstellungen wurde im letzten Jahr der 100. Geburtstag des französischen Architekten und Gestalters Jean Prouvé (1901-1984) gefeiert....

Mit verschiedenen Ausstellungen wurde im letzten Jahr der 100. Geburtstag des französischen Architekten und Gestalters Jean Prouvé (1901-1984) gefeiert. Dabei fielen gerade auch Prouvés Möbel durch ihre innovative Konstruktion und ihr formales Raffinement auf. Jetzt hat die Basler Firma Vitra von der Familie des Architekten den Nachlass von Prouvé erworben, der zu den wichtigsten Gestaltern des 20. Jahrhunderts gehört und sich somit nahtlos in die Kollektion von Vitra einfügt. Die Firma hat grosse Erfahrung in der Reedition von Designklassikern. Das beweist etwa die Verbreitung und Beliebtheit ihrer Wiederauflagen der Möbel von Charles und Ray Eames. Dabei bemüht sich Vitra um grösstmögliche Originaltreue, ersetzt die früher oft noch weitgehend handwerkliche Arbeit heute aber durch industrielle Produktion, die meist ein noch präziseres Schaffen als zur Entstehungszeit der Möbel ermöglicht. Die ersten Reeditionen der Prouvé-Möbel wurden vor wenigen Tagen im Musée des arts décoratifs in Paris vorgestellt: Die Stühle «Standard», «Antony» und «Cité», die Tische «Trapèze», «EM» und «Granito» sowie die Stehleuchte «Potence» sind die ersten Prouvé-Werke, die nun wieder in originalgetreuer Anfertigung erhältlich sind.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01

01. Februar 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Elegante Erfindungen

Eindrücke von der Internationalen Möbelmesse Köln 2002

Eindrücke von der Internationalen Möbelmesse Köln 2002

Ist am Salone, der grossen italienischen Möbelschau im April, das Rahmenprogramm mit seinen Cocktails in noblen Showrooms oder in heruntergekommenen Lagerhallen - je nach Stil des einladenden Labels - fast genauso wichtig wie der Besuch der Messe selber, passt sich nun auch Köln diesem Trend vermehrt an. Das umfangreiche Rahmenprogramm «Passagen» umfasste Mitte Januar nicht weniger als 113 Termine. Da Mailand zudem mit seinem «Salone Salite» seit einigen Jahren dem Nachwuchs eine Plattform bietet, wo er seine Werke, die meist noch keinen Produzenten haben, vorstellen kann, hat nun auch die Kölner Messeleitung eingesehen, dass sie im weitläufigen Messegelände Jungdesignern und Schulen Gelegenheit geben kann, ihre Werke zu zeigen. Das lockert das Nebeneinander der Stände auf und bringt frischen Wind in die Hallen.

So führte zum ersten Mal eine «Red Route» den Besucher zu diesen verschiedenen Spezialthemen: etwa zu den «Wohnvisionen», wo Schüler verschiedener deutscher Designhochschulen ihre Vorstellungen künftigen Wohnens zeigten, oder zum «Spin of . . . », wo man auf Prototypen von 20 Newcomern der internationalen Designszene traf. Der Schweizer Beat Karrer präsentierte hier seinen «Take away» genannten Arbeitsplatz zum Mitnehmen, der in einem praktischen Koffer Platz findet, während Barbara Ambrosz aus Wien mit einem ungewöhnlichen Sitz- und Liegemöbel aufwartete, das aus einer weichen gepolsterten Stoffhülle, aus Versteifungsplatten und Verbindungen besteht. Im entfalteten Zustand funktioniert es als Liegefläche, spannt man die Seitenteile zusammen, entsteht ein Sitzraum. Für die Präsentationen solcher junger Ideen ist eine Messe wie Köln der ideale Ort, denn wo sonst treffen sich in so kurzer Zeit so viele Möbelhersteller und Agenten. Dazu war sicher auch der «Future Point» wichtig, der den deutschen Fachhochschulen zum Gedankenaustausch und zur Präsentation diente. Auf der «Red Route» werden aber auch Trends aufgezeigt, die - laut Zukunftsspezialisten - unser Wohnen in den kommenden Jahren beeinflussen werden. Diese prophezeien, dass künftig Licht nicht mehr allein zur Erhellung unserer Räume dienen, sondern diese als wichtiges skulpturales Element prägen werde. Gelegentlich sind die Leuchtkörper auch direkt in die Möbel integriert, wie bei einem Korpus von Interlübke, der je nach Stimmung verschiedenfarbiges Licht ausstrahlt.

Nur mit gelegentlichen Überraschungen warteten hingegen die «normalen» Messestände des 14 Hallen umfassenden Messegeländes auf. Bei den Polstermöbelherstellern fiel sofort auf, dass immer noch die oft wie Matratzen abgesteppten niedrigen, dafür extrem breiten und tiefen Sofas en vogue sind. Wie in den siebziger Jahren können sie aus verschiedenen Einzelteilen zu eigentlichen Wohnlandschaften zusammengestellt werden. Diese sehen zwar schön aus, verstellen einen luftigen Loft nicht mit schwerem Polster, passen aber doch wohl nur in wenige herkömmliche Wohnungen. Besser eignet sich da die runde Kuschelinsel von de Sede, in die man sich am Feierabend niederlassen kann und dank andockbaren Tischen für den Fernseher, das Essen und Trinken usw. auch nicht wieder aufstehen muss. Wenn man dazu ein von der Ex-Miss-Schweiz Patricia Fässler entworfenes Kissen mit Schmetterlingsapplikationen oder Nerzpompons assortiert, ist man bequem für den Abend, wenn man sich auch nicht so elegant fühlt wie auf den flachen Sofas und Liegen der italienischen Firmen.

Daneben sah man häufig breite, dünn gepolsterte Sessel auf filigranen Metallkufen, die den weiterhin sehr augenfälligen Trend zu den siebziger Jahren aufnehmen und verfeinern. Entgegen den Prognosen sind Möbelstücke, die bewusst einen extremen Minimalismus pflegen, wieder im Vormarsch. Da sind zum Beispiel die neuen Beistelltische aus rot lackiertem Blech des Münchner Designers Konstantin Grcic für ClassiCon, eine Firma, die sich auf die Reedition der Klassiker von Eileen Gray spezialisiert hat. «Chaos» nennt Grcic seine verschiedenartig geformten, schwenkbaren Tischchen, die man nach Belieben kombinieren und gebrauchen kann. Mobilität und Mehrfachfunktionalität sind bei fast allen Firmen ein Thema. Bei vielen sehen die Relaxsessel, Auszugtische usw. denn auch nach krampfhafter Tüftelei aus. Einigen ist es aber gelungen, Möbel herzustellen, die viel können und doch noch schön aussehen. Zum Beispiel die Liege «MaRe» von Christophe Marchand für Team by Wellis, deren Mechanik so elegant eingebaut ist, dass niemand an einen Spitalsessel denkt. Und die Schweizer Firma Wogg hat ihrem im letzten Jahr mit Erfolg gezeigten Bett von Atelier Oï neu auch noch einen praktischen Unterbau gegeben. Unter dem Bett kann nun ein Schubladensystem eingeschoben werden, das fast einen Schrank ersetzen kann.

Wie Wogg trat auch Röthlisberger traditionsgemäss im Rahmen des «Forum 8» auf. Diese Firma zeigte einen Regalschrank mit neuartigem Gleitmechanismus, der auf einem Magnet basiert. Dadurch lässt sich die kreisförmige Drehtür rundum drehen, und die Öffnungen erlauben verschiedene optische Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten. Konsequent erweiterte die auf Aluminium spezialisierte Firma Lehni ihr Sortiment mit einem Tisch und einer Bank von Andreas Christen. Aluminium ist immer noch ein Trendmaterial, das man pur oder in Kombination mit anderen Materialien antrifft. Eine weitere interessante Konstruktion zeigte die kleine deutsche Firma Nils Holger Moormann: Der Designer Axel Kufus hat ein Regal entwickelt, bei dem sich die Seitenteile in vier unterschiedlichen Höhen in die Fachböden einsetzen lassen. «Egal» hat er es genannt, denn wie immer man auch die einzelnen Teile kombiniert, es wird stets ein brauchbares Möbel daraus.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.02.01

01. Juni 2001Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Hommage an Palladio

Tadao Andos Benetton-Kommunikationszentrum bei Treviso

Tadao Andos Benetton-Kommunikationszentrum bei Treviso

Die venezianische Terra ferma leuchtet im Dunst des Frühlingslichts, von weitem schimmert eine weisse Betonarchitektur durch die Obstplantagen. Bescheidene Bauernhöfe, gackernde Hühner und verstreute Einfamilienhäuser aus den sechziger Jahren bilden die nähere Umgebung zu Tadao Andos Kommunikationszentrum für Benetton in Villorba bei Treviso. Und dann erblickt man durch das fahle Licht auch noch die hoch aufragenden Pfeiler einer neuartigen Hängestruktur der Benetton-Firmenzentrale, die von Afra und Tobia Scarpa erbaut wurde. - Ando hingegen hat in seinem Bau der Weite der Landschaft, vor allem aber der Architektur Palladios, die im benachbarten Vicenza und in dessen Umgebung mit Meisterwerken wie der Basilica und der Villa Rotonda zugegen ist, seine Hommage erwiesen. Demgemäss strukturiert er den Gebäudekomplex und dessen Aussenanlage durch Säulen. Der Japaner hat die Kenntnis der Architektur des Veneto bei seinen zahlreichen Besuchen vor Ort erworben - nicht nur im Zusammenhang mit dem Bauauftrag, sondern bereits früher, als er sich als Autodidakt sein Wissen auf Reisen durch Europa aneignete. So konnte denn der «Betonspezialist» und Pritzkerpreisträger, der bisher nur selten ausserhalb seiner Heimat gebaut hatte, ganz eigenwillig auf die architektonisch reiche Umgebung reagieren.


Sorgfältiges Handwerk

Vor acht Jahren schon begannen die Planungen für das Projekt «Fabrica» - Luciano Benettons internationales Zentrum für Kommunikationsforschung für junge Gestalter, die hier für ein Jahr praktische Erfahrung in der Realisierung konkreter Projekte in den Bereichen Mode, Industriedesign, Kommunikation, Photographie, Film und neue Medien sammeln können. Realisiert wurde die «Fabrica» (Werkstatt) auf einem rund 51 000 Quadratmeter grossen Areal in zwei Abschnitten. Als Erstes wurden unter der Ägide von Ando die eher bescheidene Villa Pastega Manera und ihre Nebengebäude aus dem 17. Jahrhundert restauriert und teilweise umgestaltet (1993-95). Der ellipsenförmige Zentralraum der Villa besticht heute durch die Harmonie von Farben und Licht. Die Wände wurden in beigem Stucco veneziano von lokalen Handwerkern geschaffen. Den Steinboden und Details wie das Holzgeländer und das Mobiliar stimmte der Architekt in feinen Nuancen aufeinander ab. In den Seitenflügeln baute man ein grosses Auditorium ein, das sich als halbrunde Betonwand aus den alten Mauern wölbt. Alt und Neu sind klar unterscheidbar und ergänzen sich spannungsreich. Die Nachbarschaft der Villa hebt die Feinheiten der Betonwand besonders hervor, deren handwerkliche Qualität auch Ando lobt. Die lokalen Techniker stünden in nichts den besten Betonspezialisten Japans nach und hielten damit eine handwerkliche Tradition der Moderne hoch, wie sie in Italien von Carlo Scarpa initiiert worden sei.

Den Innenhof hat Ando mit einer Reihe von freistehenden Säulen mit stumpfen, korinthischen Kapitellen quer durchschnitten. Sie spiegeln sich suggestiv in den Wasserbecken. Diese ziehen sich jetzt weiter durch das neue gradlinige Hauptgebäude bis zur äussersten Achse der «Fabrica». Die Säulen als wichtigstes Motiv des Ando-Baues tauchen dann im acht Meter in den Boden versenkten Innenhof wieder auf, an den sich der Grossteil der Schulungs- und Arbeitsräume anschliesst. Dieser neue Teil konnte nach einem längeren, bürokratisch-politisch bedingten Baustopp vor wenigen Monaten eingeweiht werden. Damit die natürliche Schönheit der Landschaft voll zur Geltung komme, so Ando, habe er den Grossteil der Architektur unter das Bodenniveau gelegt. Tatsächlich erscheint die neue Konstruktion, die nie die Höhe der alten Villa überschreitet, als schmaler Architekturstreifen in der Landschaft. Als Zentrum der Begegnungsstätte dient der elliptische Innenhof. Ein wegen der sich überschneidenden Linien etwas manieriert wirkender Treppenabgang überwindet die Niveauunterschiede des Geländes zwischen der Villa und dem Innenhof: eine theatralische Inszenierung - fast wie bei Palladios Villen.


Weitgehend gelungenes Experiment

Allerdings muten dann im Innern die Unterrichtsräume eher bescheiden und beengend an. Wichtigstes Element ist eine Treppenspirale, die durch eine runde Öffnung im Dach Tageslicht erhält: ein schöner, spannungsvoller Raum, der als reines architektonisches Repräsentationsobjekt dasteht. Wie oft ihn die Redaktionsmitglieder der Benetton-Zeitschrift «Colors», die hier ihre Büros haben, durchschreiten oder wie sie ein Filmmacher aus einem Drittweltland wahrnimmt, der in der «Fabrica» eine erstklassige Infrastruktur zur Produktion seines Filmes nutzen kann, sei dahingestellt. Wie einst einflussreiche Adelige Palladio als Architekt für den Bau repräsentativer und architektonisch innovativer Villen verpflichteten, so wagt heute der Industrielle Luciano Benetton das Experiment, mit einem japanischen Architekten zu bauen. Das Unternehmen ist interessant und das Resultat, das auch etwas kosten durfte, weitgehend gelungen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.06.01



verknüpfte Bauwerke
Villa Pastega Manera (Zubau)

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Presseschau 12

17. April 2003Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Vogelhaus und Leuchtspiegel

Das Museum für Angewandte Kunst in Köln widmet Ettore Sottsass, dem Altmeister des italienischen Designs, eine Retrospektive. Zu sehen sind Zeichnungen, Modelle und Photographien von Architekturprojekten aus den letzten zwanzig Jahren, Möbel aus der legendären Memphis-Kollektion sowie neuere skulpturale Objekte.

Das Museum für Angewandte Kunst in Köln widmet Ettore Sottsass, dem Altmeister des italienischen Designs, eine Retrospektive. Zu sehen sind Zeichnungen, Modelle und Photographien von Architekturprojekten aus den letzten zwanzig Jahren, Möbel aus der legendären Memphis-Kollektion sowie neuere skulpturale Objekte.

Zweifellos gehört Ettore Sottsass zu den einflussreichsten Vertretern des italienischen Designs im 20. Jahrhundert. Berühmt wurde der 1917 in Innsbruck geborene Gestalter, der in Turin Architektur studierte und 1947 sein Büro für Architektur- und Designprojekte in Mailand gründete, durch legendäre Entwürfe wie die rote Reiseschreibmaschine «Valentina» (1969). Sie entstand während seiner langjährigen Zusammenarbeit mit Olivetti.

Sottsass gelang es immer wieder, technische Geräte mittels Farbigkeit und eleganter Formen in Objekte zu verwandeln, die man auch gerne ansah. 1981 gründete Sottsass zusammen mit Freunden - darunter Andrea Branzi, Hans Hollein, Michele de Lucchi, Marco Zanini und Shiro Kuramata - die Gruppe Memphis, die sich mit ihren bunten, skulpturalen Objekten gegen das Diktat eines nüchternen Funktionalismus wandte. Möbel und Wohnobjekte sollten nicht mehr nur unauffällig ihren Dienst erfüllen, sondern auch Gefühle auslösen. Kostbare und billige Materialien sowie auffallende Muster und grelle Farben wurden unbekümmert gemischt. Sottsass umschrieb die Intention, die er damit verfolgte, folgendermassen: «Design zu machen heisst für mich nicht, einem Produkt Form zu geben (. . .). Für mich ist Design eine Art und Weise, das Leben zu diskutieren, soziale Beziehungen, die Politik, das Essen und sogar das Design selbst.» Die Gruppe Memphis löste kontroverse Reaktionen aus, doch ihr Einfluss auf die Entwicklung des Designs war einschneidend und ist auch heute noch wirksam.


Designskulpturen

Sottsass entwarf aber auch Gegenstände für den Alltag, mit denen er grossen Erfolg hatte. Dies zeigt die weite Verbreitung der zahlreichen Kreationen, die er für Alessi entwarf: beispielsweise das Besteck «Nuovo Milano». Einem einfachen Bistrobesteck gab er eine etwas elegantere, schnittigere Linie, die den feinen Unterschied ausmacht und das Formgefühl des Designers aufzeigt. Allerdings stehen nicht solche Erzeugnisse im Zentrum der Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst in Köln, sondern in erster Linie spektakuläre, oft geradezu skulpturale Arbeiten wie etwa der Spiegel «Ultrafragola» von 1970, dessen gewelltes Kunststoffgehäuse beleuchtbar ist, oder Designobjekte, die er meist in kleinen Editionen für Galeristen wie den Belgier Ernest Mourmans zeichnete. Erwähnt sei hier eine teilweise blattvergoldete Bar aus Laminat und einem Holz, das sich durch seine ungewöhnliche Maserierung auszeichnet.

Zusammen mit seiner Mitarbeitergruppe Sottsass Associati, der Architekten wie Marco Zanini, Johanna Grawunder und Mike Ryan angehören, widmete er sich seit Mitte der achtziger Jahre vermehrt auch der Baukunst. Die Ausstellung stellt 26 Projekte anhand von Zeichnungen, Plänen, Fotos und Modellen vor. Die Palette reicht von Einfamilienhäusern in Belgien, Italien, der Schweiz und den USA bis hin zu einer Fabrik in Moskau, einem Museum in Ravenna und einem Golfklub in China. Als geradezu exzentrisch darf man das Birdhouse bezeichnen, das Sottsass zwischen 1995 und 1999 für Ernest Mourmans im belgischen Lanaken realisierte. Der Bau besteht aus unterschiedlich geformten, puzzleartig zusammengesetzten Teilen, die durch Innenhöfe und Gärten miteinander verbunden sind, und erinnert an weitläufige römische Villen. Zudem ist eine Voliere für exotische Vögel so in das Gebäude integriert, dass man diese von überall im Haus her sehen kann.


Hülle und Interieur

Charakteristisch für die meisten Bauten von Sottsass ist die auf die Architektur abgestimmte Inneneinrichtung. Er verwendet für die Gestaltung der Interieurs die gleiche Sorgfalt wie für die Konzeption und Aussengestaltung der Bauten. Dafür gebraucht er, ähnlich wie für seine skulpturalen Designobjekte, ausgesuchte Materialien und scheut sich auch nicht vor ungewöhnlichen Kombinationen und Farben. Das 1992 vollendete Haus Cei in der Toskana hingegen sieht von aussen aus, als sei es von einem Kind gezeichnet worden. Die architektonischen Grundelemente sind bewusst überdeutlich dargestellt. So besitzt das Haus, das aus einem quadratischen Block besteht, ein akzentuiertes Satteldach aus rotem Aluminium. Ebenso bildhaft eingesetzt sind die Eingangstür und die gelb gerahmten Fenster.

Formal stark reduziert ist auch die an der Zürcher Goldküste gelegene Villa eines bekannten Schweizer Galeristen. Sie besteht aus einem dreistöckigen Wohngebäude und einem Garagenhaus. Beide sind mit dunkelgrauem Schiefer verkleidet, welcher die blockhafte Erscheinung zusätzlich betont. Einzig ein weisser, auskragender Eingang unterbricht die geometrische Form. Es besteht kein Zweifel: Bei Sottsass ist ein Haus ein Haus - und nichts anderes. Und das soll sichtbar sein. Der farbenprächtige Innenausbau steht im Gegensatz zur schillernd-düsteren äusseren Erscheinung des Hauses. Ettore Sottsass' kunstnahe Arbeitsweise zeigt sich auch in seinen Zeichnungen, die über sein ganzes langes Leben - er ist jetzt 85 Jahre alt - in grosser Zahl entstanden. Erstmals können in der Kölner Ausstellung 50 Originalzeichnungen aus seinem Privatbesitz gezeigt werden.


[Bis zum 25. Mai im Museum für Angewandte Kunst in Köln. Eine Gratisbroschüre mit dem Verzeichnis der Exponate und kurzen erläuternden Texten liegt auf.]

Neue Zürcher Zeitung, Do., 2003.04.17

07. Februar 2003Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Leben in Kissen und Regalen

Impressionen von der internationalen Möbelmesse Köln

Impressionen von der internationalen Möbelmesse Köln

Im Wohndesign sind seit einiger Zeit futuristische Welten wieder im Trend. Das zeigte sich im Januar auch auf der Kölner Möbelmesse, wo visionäre Entwürfe die Sonderschauen dominierten, während auf den Messeständen der meisten Firmen das kuschelige Ambiente, in das man sich aus dem Alltag flüchtet, immer wichtiger wird.


In die «Designwelten» von Karim Rashid aus New York und Konstantin Grcic aus München konnte man jüngst in Köln eintauchen. Die beiden Shootingstars der Designszene wollten anlässlich der jeweils im Januar stattfindenden Möbelmesse mit ihren zwischen «organischem Futurismus» und der «Poesie des Einfachen» anzusiedelnden Entwürfen «scheinbar gegensätzliche Trendphänomene, die sich in einer pluralistischen Gesellschaft zeitgleich entwickeln können», aufzeigen. Grcic, zweifellos einer der begabtesten Vertreter eines verfeinerten Purismus, zwingt uns in seinem «Ideal House» zu einem Leben inmitten von Regalen. Der Bewohner dieses «Lebensraum-Archivs» bewegt sich in einem Sessel an einer kranartigen Vorrichtung zwischen den Wänden. Rashids Installation hingegen suggeriert ein Ambiente, das auf einer organisch-weichen Formenwelt beruht. Dabei folgt er einer klassischen Einteilung der Wohnräume und nimmt die jetzt wieder modische Ästhetik der sechziger Jahre auf. Designer wie Joe Colombo postulierten derart kompakte, in sich funktionierende Wohnungseinheiten schon vor nahezu einem halben Jahrhundert als provokative Vorschläge für ein zukünftiges Wohnen. Rashid putzt diese heute mit knalligen Farben und Mustern sowie modernster Technologie auf. Sein «Idealhaus» verfolgt wohl vor allem den Zweck, das sonst in Köln vorherrschende langweilige Einerlei der Stile und das Fehlen von zündenden Ideen im Bereich des Möbeldesigns zu kaschieren.


Lebendige Schweizer Szene

Die Präsentationen der einzelnen Firmen auf dem Messegelände, die ja nach Köln kommen, um ihre Produkte zu verkaufen und so das Zuhause der nahen Zukunft zu bestimmen, verkörperten hingegen einen anderen Geist. Da spürte man wenig Interesse an futuristischen Wohnideen. Vielmehr geht der breite Trend hin zum Sich-Einkuscheln. Das gilt auch für den Möbelmarkt, dem es zurzeit nicht gut geht. Mühe bekunden vor allem diejenigen Unternehmen, die sich bezüglich Fertigungsstandard und Formgebung im Mittelfeld bewegen. Kleinere, auf hochwertiges Design spezialisierte Firmen scheinen unter dem Einbruch weniger zu leiden. Ihre Nischenprodukte sprachen stets ein ganz bestimmtes Publikum an, und das ist geblieben. So sah man bei einigen Schweizer Firmen, die diesem Profil entsprechen, auch diesmal interessante neue Produkte.

Röthlisberger-Kollektion, die wie schon in den letzten Jahren zusammen mit dem Forum 8 als Gruppe innovativer Schweizer Hersteller auftrat, zeigte ihre «Tour d'Oï», einen drehbaren, frei im Raum aufstellbaren Turm aus vier übereinander liegenden Kuben mit neu entwickelten magnetgeführten Schiebetüren. Abwechselnd um 90 Grad gedreht, sind die Kuben von zwei gegenüberliegenden Seiten her benutzbar - offen oder mit einem transluzenten Vertikalschieber abgeschirmt. Die vier Stauräume von 46 Zentimetern Seitenlänge können mit einem eingesetzten Regalfachwerk aufgeteilt werden. Innovative Technologie, perfekte Fertigung und originelles Design finden hier zusammen. Das vom Westschweizer Atelier Oï, das einem breiteren Publikum auch durch seine Interventionen auf der Arteplage in Neuenburg zum Begriff geworden ist, entwickelte Möbel ist einer der Preisträger des renommierten «iF Design Award 2003».

Von Willy Guhl, dem Doyen des Schweizer Designs, stammt der Tisch «Perreuse» (bei Röthlisberger), der seinen vor 56 Jahren kreierten berühmten Bankstuhl ergänzt. Guhls Tischkonstruktion mit einer dreiteiligen Latte basiert auf zwei selbständig stehenden Brettbrücken in Nussbaum- oder Eichenholz. Sie bilden in Doppelfunktion Tischbein wie Teil der Platte, die mit Zugstangen verbunden sind. Für die Längsplatte dieser ebenso einfachen wie genialen Konstruktion sind je nach Tischfunktion verschiedene hitze- und gebrauchsresistente Materialien einsetzbar. Auch Wogg bietet einen innovativen Tisch an. Hier war wieder das Atelier Oï am Werk. Das Kernstück dieses neuen, «Endless» genannten Tisches bildet eine Konstruktion aus zwei Aluminiumtragprofilen, die durch Abstandhalter verbunden werden. So kann nach Bedarf ein Tisch bis zu sechs Metern Länge zusammengestellt werden. Die Rohrfüsse werden mittels eines kräftigen Gewindes direkt ins Tragprofil eingeschraubt und können jederzeit problemlos demontiert werden. Das Besondere des Tischkonzeptes besteht in seinen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten, da die Tischplatte unterteilt werden kann. Dazwischenliegende Freiräume dienen als Kabelkanäle oder als schalenartige Unterbrüche in der Tischfläche - ein ausgeklügelter Hightech-Tisch, der in bester Schweizer Tradition funktionales Design mit eleganter Form vereint.

Doch auch renommierte internationale Hersteller arbeiten gerne mit Schweizer Gestaltern. So zeigt die Firma Classicon, die auch die Reeditionen von Eileen Gray in ihrem Programm hat und mit ihren Klassikern in Zeiten der Unsicherheit sehr erfolgreich ist, das Sideboard «Nemea» von Alfredo Häberli, das sich in zwei Richtungen ausziehen lässt. In jeder Stufe wirkt es mit seiner weissen Oberfläche in schimmerndem Lack elegant, so dass man es sich gut neben einem Möbel von Eileen Gray oder Jean Michel Frank vorstellen kann. Damit passt es aber auch bestens ins anspruchsvolle Programm der deutschen Firma.


Entwürfe von berühmten Architekten

Dass sich berühmte Architekten immer wieder an den Entwurf von Möbeln wagen, ist nichts Neues. So entwarf Helmut Jahn in Zusammenarbeit mit Yorgo Lykouria für Classicon den Tisch «Ulysses». Als Refektoriumstisch eines mittelalterlichen Klosters, der ins 21. Jahrhundert transponiert worden ist, will ihn Jahn verstanden wissen. Seine ungewöhnliche Oberfläche aus einer mit dem Laser bearbeiteten Edelstahlplatte, die auf Acryl aufliegt, erinnert tatsächlich an die Struktur von Jahns Hochhäusern. Der passende Hocker «Naiad» hat dank seinem mit Gel gefüllten Fahrradsattel eine bequem federnde Sitzfläche. Hightech neben kuscheligen Kissenbergen - das Wohnen der Zukunft?

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.02.07

04. November 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Kreativer Austausch

Der 9. Designers' Saturday in Langenthal

Der 9. Designers' Saturday in Langenthal

Als Begegnungsort von Architekten, Gestaltern, Produzenten und einem interessierten Publikum will der alle zwei Jahre Anfang November in Langenthal durchgeführte Designers' Saturday verstanden sein. Nachdem die Veranstaltung in jüngster Zeit immer mehr Messecharakter angenommen hatte, besannen sich die Veranstalter - alles in Langenthal und Umgebung ansässige Firmen - auf den ursprünglichen Ideenaustausch. Das hat dem Designers' Saturday, der sich gestern Sonntag auch dem Laienpublikum öffnete, nur gut getan. Von durchgehend hohem Niveau waren die Präsentationen der Gastgeber und der von ihnen eingeladenen Möbel- und Textilfirmen aus dem In- und Ausland.

Den Besuchern wurden Prototypen und Ideen für neue Produkte vorgestellt, so bei Création Baumann eine semitransparente Textilfolie, die dank einseitiger Kautschukbeschichtung an der Fensterscheibe haftet. Einblick in die Vielfalt textiler Kreationen gab zudem die stimmungsvolle Inszenierung «Licht, Sicht und Schall», die unter anderem mit einem tönenden Vorhang aufwarten konnte. Der angestrebte kreative Austausch zwischen Produzenten, Vermittlern und Verbrauchern funktionierte. Bei der von Ruckstuhl eingeladenen Firma Vitra stellten Ronan und Erwan Bouroullec, zwei Stars der jüngsten Designergeneration, ihre Visionen zur Bürogestaltung der Zukunft persönlich vor. Und Hannes Wettstein sorgte mit seiner neusten Stuhlkreation für Horgen Glarus in den Räumen von Création Baumann für Grossandrang. Bei der Gemeinschaftspräsentation des Forum 8 in einem ehemaligen Bauernhaus neben dem Design-Center fiel der «Kleiderbutler» von Christophe Marchand (für Wogg) als Novum auf, während Lehni auf die wiedergewonnenen Rechte an Donald Judds Metallmöbeln hinwies.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.11.04

06. September 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Zurück zu den Wurzeln

Am ersten Wochenende im November findet in Langenthal seit 1987 im Zweijahresturnus der Designers' Saturday statt. Jedes Jahr verzeichnete der Anlass,...

Am ersten Wochenende im November findet in Langenthal seit 1987 im Zweijahresturnus der Designers' Saturday statt. Jedes Jahr verzeichnete der Anlass,...

Am ersten Wochenende im November findet in Langenthal seit 1987 im Zweijahresturnus der Designers' Saturday statt. Jedes Jahr verzeichnete der Anlass, bei dem die vor Ort ansässigen Firmen ihre Produktionsstätten und Showrooms am Samstag dem Fachpublikum und am Sonntag weiteren interessierten Kreisen öffnen, mehr Besucher. Auch die Zahl der Firmen aus dem In- und Ausland, die als zahlende Gäste der Langenthaler Produzenten ebenfalls ausstellen, nahm jährlich zu. Am siebten und achten Designers' Saturday verzeichnete man je 10 000 Besucher.

Die Erfolgsgeschichte des Designers' Saturday hat aber auch ihre Kehrseite. Der Anlass, der ursprünglich als Gedankenaustausch zwischen Herstellern, Inneneinrichtern und Architekten gedacht war, geriet immer mehr zur eigentlichen Messe, auf der Produkte präsentiert, nicht aber Diskussionen geführt wurden. Am neunten Designers' Saturday, der am 2. und 3. November 2002 stattfindet, soll nun nicht einfach das Produkt im Vordergrund stehen, sondern der Weg, der zu ihm führt. Namhafte Gestalter wie Hannes Wettstein, Ronan und Erwan Bouroullec sowie Matali Crasset werden in Kurzreferaten ihre Designkonzepte zur Diskussion stellen, ebenso werden die verantwortlichen Direktoren verschiedener Firmen das Gespräch mit den Besuchern persönlich suchen, wie es anfangs dem Konzept des Designers' Saturday, dessen Idee ursprünglich aus New York stammt, entsprach. Vermehrt werden Installationen gezeigt, die über eine reine Produktepräsentation hinausgehen und zur Auseinandersetzung mit einem zukunftsweisenden Gestaltungsprozess anregen sollen. Im Vorfeld des nächsten Designers' Saturday findet am 1. November im Design-Center Langenthal ein Symposium zum Thema «Begegnung mit der Zukunft» statt, das unter der Leitung von Martin Heller steht.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.09.06

03. Mai 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Althergebrachte Formen und neue Technologien

Ein Rückblick auf die Mailänder Möbelmesse

Ein Rückblick auf die Mailänder Möbelmesse

Formale Anleihen an das Möbeldesign der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre standen auch am diesjährigen Salone del Mobile in Mailand, der vom 10. bis zum 15. April stattfand, im Vordergrund. Dank neuen Technologien und Materialien kann man diese Formensprachen heute aber feiner und raffinierter umsetzen. Innovationen waren deshalb in erster Linie in der Anwendung und Erprobung von Technologien und Materialien auszumachen. Durchaus mit überraschenden Ergebnissen und unerwarteten Effekten, sowohl im Hochpreissektor wie bei erschwinglicheren Angeboten.

«Plastic, was für ein Luxus», verkündet die Firma Kartell, die seit mehr als 50 Jahren auf Möbel aus Kunststoff spezialisiert ist und stets erstklassige Designer mit zugkräftigen Namen beschäftigt. Jedes Jahr werden neue Kunststofferzeugnisse vorgestellt. Waren es letztes Jahr das farbige, transparente Polykarbonat und die im Rotationsverfahren hergestellten, aus einem einzigen in der Masse gefärbten Stück Polyethylen bestehenden Nachahmungen von voluminösen Polstermöbeln in barocker Formensprache von Philippe Starck, so war es dieses Jahr «Eva», ein Sessel von Marc Sadler, dessen schlichte, sanft gekurvte Sitzschale und dessen zierliche Metallstruktur die siebziger Jahre aufleben liessen. Doch der neue Sitz besteht aus einem halbweichen Plasticmaterial, das den Körper fast so bequem aufnimmt wie ein gepolstertes Möbel. Dieser weiche Plastic, den man in einem Injektionsverfahren in Form bringt, wurde laut Kartell so erstmals in den Möbelbereich eingeführt. Die daraus gefertigten Sessel sind in verschiedenen, bald diskreten, bald kräftigen Farben zu haben.

Produziert Kartell bewusst relativ erschwingliche Möbel, die aber stets mit grossen Designernamen verbunden sind und so den Kunststoff zu einem auch von verwöhnten Kreisen akzeptierten Material gemacht haben, geht die Mailänder Edelfirma Sawaya & Moroni andere Wege. Sie empfängt nicht an der Messe, sondern in ihrem dreistöckigen Showroom an der noblen Via Manzoni. Alle Möbel und Accessoires, die sie ediert, sind erlesen und sehr teuer. Daher spricht sie eine Kundschaft an, die viel Geld für Möbel ausgibt, aber nicht Antiquitäten, sondern aufwendig verarbeitete, exklusive Stücke von Zaha Hadid, Jean Nouvel oder William Sawaya schätzt. Der Besuch in diesem Showroom ist immer ein besonderes Erlebnis. Entweder thront Zaha Hadid höchst persönlich - barock in voluminöse Kleider von Issey Miyake gehüllt - erhöht auf einem ihrer schnittigen Sofas und lässt ihre Stilettos über den Köpfen des sie bewundernden Publikums baumeln, um ab und zu einer besonders wichtigen Person duldsam ein paar Fragen zu beantworten. Oder dann stösst man auf dem Rundgang auf einen wild blinkenden Salontisch, dessen ausgeklügelten Mechanismus der Hausherr, Signor Moroni, gerne selbst erläutert. «Iké» heisst der niedrige Tisch mit dem geheimnisvollem Lichtspiel von John Meda, einem Professor für Computertechnik am MIT von Boston. Bei wechselndem Lichteinfall - schon eine Handbewegung über der Oberfläche genügt - beginnen sich die im Glas eingelassenen Sensoren (LED) wie ein Fischschwarm nach allen Seiten zu bewegen. Die Oberfläche des Tischchens fängt an zu leben und entwickelt eine ganz eigene Lichtdynamik.

Auch die Leuchte «Sora» hat John Meda für Sawaya & Moroni ausgetüftelt. Sie antwortet über Sensoren, die mit einem Mikrophon verbunden sind, auf die Töne der Umgebung mit wechselndem Licht. Will man von seiner Lieblingsfarbe begrüsst werden, kann man die Leuchte entsprechend programmieren. Durch ein einfaches «Ciao!» strahlt sie sofort das gewünschte Licht aus. Im grauen Mailand sei ein sanftes Rosa empfohlen. Vor dem gekurvten Sessel «Maxima» von William Sawaya diskutierten einige Schweizer Designer interessiert: Sie rätselten, wie man einen so extrem geschwungenen Sessel aus Polyurethan in einem einzigen Guss herstellen könne. Das Geheimnis wurde nicht gelüftet.

Neu bei Driade Store ist die Möbelfamilie «Tokyo-Pop» von Tokujin Yoshioka. Wie die von Starck für Kartell entworfenen Möbel sind sie im Rotationsverfahren hergestellt, das es ermöglicht, Sessel oder Sofas aus Polyethylen in einem Stück mit hohlem Innenraum zu formen. Ihre Vorläufer wurden im freskengeschmückten Showroom ebenfalls gezeigt. Sie bestehen aus einer Folie mit wabenartiger Struktur, die sich - auseinander gezogen - dem menschlichen Körper anpasst und somit eine ideale Form für das Sitzmöbel liefern soll. Eher objektartig wirkt dagegen das organisch aus elastischem Gewebe geformte und mit Leuchtperlen gefüllte Sofa «Superblob», das Karim Rashid, der Bruder des in Amerika zum Kultarchitekten avancierten Hani Rashid, für Edra entworfen hat. Neben solchen Design-Experimenten kommen bei Driade, Kartell und anderen Firmen stets von neuem die obligaten Stühle von Philippe Starck zum Zuge. Obwohl die Zahl seiner Entwürfe kaum mehr zu zählen ist, sind seine Möbel nach wie vor Verkaufsmagnete.

Die Möbelmesse Mailand wird jedes Jahr durch verschiedene Ausstellungen ergänzt, die auch den Nichtfachleuten zugänglich sind. Dieses Jahr war es der «Grand Hotel Salone», wo renommierte Designer und Architekten wie Jean Nouvel, Zaha Hadid, Vico Magistretti, Matteo Thun u. a. ihr ideales, oft futuristisches Hotelzimmer für eine ihnen zugewiesene Stadt entwarfen. Immer besser besucht und qualitativ von Jahr zu Jahr hochstehender ist der «Salone Satellite», wo von einer internationalen Jury ausgewählte, noch unbekannte Designer aus aller Welt ihre Produkte, auch Prototypen, die auf einen Hersteller warten, ausstellen können.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.05.03

01. März 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Möbel von Jean Prouvé

Mit verschiedenen Ausstellungen wurde im letzten Jahr der 100. Geburtstag des französischen Architekten und Gestalters Jean Prouvé (1901-1984) gefeiert....

Mit verschiedenen Ausstellungen wurde im letzten Jahr der 100. Geburtstag des französischen Architekten und Gestalters Jean Prouvé (1901-1984) gefeiert....

Mit verschiedenen Ausstellungen wurde im letzten Jahr der 100. Geburtstag des französischen Architekten und Gestalters Jean Prouvé (1901-1984) gefeiert. Dabei fielen gerade auch Prouvés Möbel durch ihre innovative Konstruktion und ihr formales Raffinement auf. Jetzt hat die Basler Firma Vitra von der Familie des Architekten den Nachlass von Prouvé erworben, der zu den wichtigsten Gestaltern des 20. Jahrhunderts gehört und sich somit nahtlos in die Kollektion von Vitra einfügt. Die Firma hat grosse Erfahrung in der Reedition von Designklassikern. Das beweist etwa die Verbreitung und Beliebtheit ihrer Wiederauflagen der Möbel von Charles und Ray Eames. Dabei bemüht sich Vitra um grösstmögliche Originaltreue, ersetzt die früher oft noch weitgehend handwerkliche Arbeit heute aber durch industrielle Produktion, die meist ein noch präziseres Schaffen als zur Entstehungszeit der Möbel ermöglicht. Die ersten Reeditionen der Prouvé-Möbel wurden vor wenigen Tagen im Musée des arts décoratifs in Paris vorgestellt: Die Stühle «Standard», «Antony» und «Cité», die Tische «Trapèze», «EM» und «Granito» sowie die Stehleuchte «Potence» sind die ersten Prouvé-Werke, die nun wieder in originalgetreuer Anfertigung erhältlich sind.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01

01. Februar 2002Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Elegante Erfindungen

Eindrücke von der Internationalen Möbelmesse Köln 2002

Eindrücke von der Internationalen Möbelmesse Köln 2002

Ist am Salone, der grossen italienischen Möbelschau im April, das Rahmenprogramm mit seinen Cocktails in noblen Showrooms oder in heruntergekommenen Lagerhallen - je nach Stil des einladenden Labels - fast genauso wichtig wie der Besuch der Messe selber, passt sich nun auch Köln diesem Trend vermehrt an. Das umfangreiche Rahmenprogramm «Passagen» umfasste Mitte Januar nicht weniger als 113 Termine. Da Mailand zudem mit seinem «Salone Salite» seit einigen Jahren dem Nachwuchs eine Plattform bietet, wo er seine Werke, die meist noch keinen Produzenten haben, vorstellen kann, hat nun auch die Kölner Messeleitung eingesehen, dass sie im weitläufigen Messegelände Jungdesignern und Schulen Gelegenheit geben kann, ihre Werke zu zeigen. Das lockert das Nebeneinander der Stände auf und bringt frischen Wind in die Hallen.

So führte zum ersten Mal eine «Red Route» den Besucher zu diesen verschiedenen Spezialthemen: etwa zu den «Wohnvisionen», wo Schüler verschiedener deutscher Designhochschulen ihre Vorstellungen künftigen Wohnens zeigten, oder zum «Spin of . . . », wo man auf Prototypen von 20 Newcomern der internationalen Designszene traf. Der Schweizer Beat Karrer präsentierte hier seinen «Take away» genannten Arbeitsplatz zum Mitnehmen, der in einem praktischen Koffer Platz findet, während Barbara Ambrosz aus Wien mit einem ungewöhnlichen Sitz- und Liegemöbel aufwartete, das aus einer weichen gepolsterten Stoffhülle, aus Versteifungsplatten und Verbindungen besteht. Im entfalteten Zustand funktioniert es als Liegefläche, spannt man die Seitenteile zusammen, entsteht ein Sitzraum. Für die Präsentationen solcher junger Ideen ist eine Messe wie Köln der ideale Ort, denn wo sonst treffen sich in so kurzer Zeit so viele Möbelhersteller und Agenten. Dazu war sicher auch der «Future Point» wichtig, der den deutschen Fachhochschulen zum Gedankenaustausch und zur Präsentation diente. Auf der «Red Route» werden aber auch Trends aufgezeigt, die - laut Zukunftsspezialisten - unser Wohnen in den kommenden Jahren beeinflussen werden. Diese prophezeien, dass künftig Licht nicht mehr allein zur Erhellung unserer Räume dienen, sondern diese als wichtiges skulpturales Element prägen werde. Gelegentlich sind die Leuchtkörper auch direkt in die Möbel integriert, wie bei einem Korpus von Interlübke, der je nach Stimmung verschiedenfarbiges Licht ausstrahlt.

Nur mit gelegentlichen Überraschungen warteten hingegen die «normalen» Messestände des 14 Hallen umfassenden Messegeländes auf. Bei den Polstermöbelherstellern fiel sofort auf, dass immer noch die oft wie Matratzen abgesteppten niedrigen, dafür extrem breiten und tiefen Sofas en vogue sind. Wie in den siebziger Jahren können sie aus verschiedenen Einzelteilen zu eigentlichen Wohnlandschaften zusammengestellt werden. Diese sehen zwar schön aus, verstellen einen luftigen Loft nicht mit schwerem Polster, passen aber doch wohl nur in wenige herkömmliche Wohnungen. Besser eignet sich da die runde Kuschelinsel von de Sede, in die man sich am Feierabend niederlassen kann und dank andockbaren Tischen für den Fernseher, das Essen und Trinken usw. auch nicht wieder aufstehen muss. Wenn man dazu ein von der Ex-Miss-Schweiz Patricia Fässler entworfenes Kissen mit Schmetterlingsapplikationen oder Nerzpompons assortiert, ist man bequem für den Abend, wenn man sich auch nicht so elegant fühlt wie auf den flachen Sofas und Liegen der italienischen Firmen.

Daneben sah man häufig breite, dünn gepolsterte Sessel auf filigranen Metallkufen, die den weiterhin sehr augenfälligen Trend zu den siebziger Jahren aufnehmen und verfeinern. Entgegen den Prognosen sind Möbelstücke, die bewusst einen extremen Minimalismus pflegen, wieder im Vormarsch. Da sind zum Beispiel die neuen Beistelltische aus rot lackiertem Blech des Münchner Designers Konstantin Grcic für ClassiCon, eine Firma, die sich auf die Reedition der Klassiker von Eileen Gray spezialisiert hat. «Chaos» nennt Grcic seine verschiedenartig geformten, schwenkbaren Tischchen, die man nach Belieben kombinieren und gebrauchen kann. Mobilität und Mehrfachfunktionalität sind bei fast allen Firmen ein Thema. Bei vielen sehen die Relaxsessel, Auszugtische usw. denn auch nach krampfhafter Tüftelei aus. Einigen ist es aber gelungen, Möbel herzustellen, die viel können und doch noch schön aussehen. Zum Beispiel die Liege «MaRe» von Christophe Marchand für Team by Wellis, deren Mechanik so elegant eingebaut ist, dass niemand an einen Spitalsessel denkt. Und die Schweizer Firma Wogg hat ihrem im letzten Jahr mit Erfolg gezeigten Bett von Atelier Oï neu auch noch einen praktischen Unterbau gegeben. Unter dem Bett kann nun ein Schubladensystem eingeschoben werden, das fast einen Schrank ersetzen kann.

Wie Wogg trat auch Röthlisberger traditionsgemäss im Rahmen des «Forum 8» auf. Diese Firma zeigte einen Regalschrank mit neuartigem Gleitmechanismus, der auf einem Magnet basiert. Dadurch lässt sich die kreisförmige Drehtür rundum drehen, und die Öffnungen erlauben verschiedene optische Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten. Konsequent erweiterte die auf Aluminium spezialisierte Firma Lehni ihr Sortiment mit einem Tisch und einer Bank von Andreas Christen. Aluminium ist immer noch ein Trendmaterial, das man pur oder in Kombination mit anderen Materialien antrifft. Eine weitere interessante Konstruktion zeigte die kleine deutsche Firma Nils Holger Moormann: Der Designer Axel Kufus hat ein Regal entwickelt, bei dem sich die Seitenteile in vier unterschiedlichen Höhen in die Fachböden einsetzen lassen. «Egal» hat er es genannt, denn wie immer man auch die einzelnen Teile kombiniert, es wird stets ein brauchbares Möbel daraus.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.02.01

01. Juni 2001Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Hommage an Palladio

Tadao Andos Benetton-Kommunikationszentrum bei Treviso

Tadao Andos Benetton-Kommunikationszentrum bei Treviso

Die venezianische Terra ferma leuchtet im Dunst des Frühlingslichts, von weitem schimmert eine weisse Betonarchitektur durch die Obstplantagen. Bescheidene Bauernhöfe, gackernde Hühner und verstreute Einfamilienhäuser aus den sechziger Jahren bilden die nähere Umgebung zu Tadao Andos Kommunikationszentrum für Benetton in Villorba bei Treviso. Und dann erblickt man durch das fahle Licht auch noch die hoch aufragenden Pfeiler einer neuartigen Hängestruktur der Benetton-Firmenzentrale, die von Afra und Tobia Scarpa erbaut wurde. - Ando hingegen hat in seinem Bau der Weite der Landschaft, vor allem aber der Architektur Palladios, die im benachbarten Vicenza und in dessen Umgebung mit Meisterwerken wie der Basilica und der Villa Rotonda zugegen ist, seine Hommage erwiesen. Demgemäss strukturiert er den Gebäudekomplex und dessen Aussenanlage durch Säulen. Der Japaner hat die Kenntnis der Architektur des Veneto bei seinen zahlreichen Besuchen vor Ort erworben - nicht nur im Zusammenhang mit dem Bauauftrag, sondern bereits früher, als er sich als Autodidakt sein Wissen auf Reisen durch Europa aneignete. So konnte denn der «Betonspezialist» und Pritzkerpreisträger, der bisher nur selten ausserhalb seiner Heimat gebaut hatte, ganz eigenwillig auf die architektonisch reiche Umgebung reagieren.


Sorgfältiges Handwerk

Vor acht Jahren schon begannen die Planungen für das Projekt «Fabrica» - Luciano Benettons internationales Zentrum für Kommunikationsforschung für junge Gestalter, die hier für ein Jahr praktische Erfahrung in der Realisierung konkreter Projekte in den Bereichen Mode, Industriedesign, Kommunikation, Photographie, Film und neue Medien sammeln können. Realisiert wurde die «Fabrica» (Werkstatt) auf einem rund 51 000 Quadratmeter grossen Areal in zwei Abschnitten. Als Erstes wurden unter der Ägide von Ando die eher bescheidene Villa Pastega Manera und ihre Nebengebäude aus dem 17. Jahrhundert restauriert und teilweise umgestaltet (1993-95). Der ellipsenförmige Zentralraum der Villa besticht heute durch die Harmonie von Farben und Licht. Die Wände wurden in beigem Stucco veneziano von lokalen Handwerkern geschaffen. Den Steinboden und Details wie das Holzgeländer und das Mobiliar stimmte der Architekt in feinen Nuancen aufeinander ab. In den Seitenflügeln baute man ein grosses Auditorium ein, das sich als halbrunde Betonwand aus den alten Mauern wölbt. Alt und Neu sind klar unterscheidbar und ergänzen sich spannungsreich. Die Nachbarschaft der Villa hebt die Feinheiten der Betonwand besonders hervor, deren handwerkliche Qualität auch Ando lobt. Die lokalen Techniker stünden in nichts den besten Betonspezialisten Japans nach und hielten damit eine handwerkliche Tradition der Moderne hoch, wie sie in Italien von Carlo Scarpa initiiert worden sei.

Den Innenhof hat Ando mit einer Reihe von freistehenden Säulen mit stumpfen, korinthischen Kapitellen quer durchschnitten. Sie spiegeln sich suggestiv in den Wasserbecken. Diese ziehen sich jetzt weiter durch das neue gradlinige Hauptgebäude bis zur äussersten Achse der «Fabrica». Die Säulen als wichtigstes Motiv des Ando-Baues tauchen dann im acht Meter in den Boden versenkten Innenhof wieder auf, an den sich der Grossteil der Schulungs- und Arbeitsräume anschliesst. Dieser neue Teil konnte nach einem längeren, bürokratisch-politisch bedingten Baustopp vor wenigen Monaten eingeweiht werden. Damit die natürliche Schönheit der Landschaft voll zur Geltung komme, so Ando, habe er den Grossteil der Architektur unter das Bodenniveau gelegt. Tatsächlich erscheint die neue Konstruktion, die nie die Höhe der alten Villa überschreitet, als schmaler Architekturstreifen in der Landschaft. Als Zentrum der Begegnungsstätte dient der elliptische Innenhof. Ein wegen der sich überschneidenden Linien etwas manieriert wirkender Treppenabgang überwindet die Niveauunterschiede des Geländes zwischen der Villa und dem Innenhof: eine theatralische Inszenierung - fast wie bei Palladios Villen.


Weitgehend gelungenes Experiment

Allerdings muten dann im Innern die Unterrichtsräume eher bescheiden und beengend an. Wichtigstes Element ist eine Treppenspirale, die durch eine runde Öffnung im Dach Tageslicht erhält: ein schöner, spannungsvoller Raum, der als reines architektonisches Repräsentationsobjekt dasteht. Wie oft ihn die Redaktionsmitglieder der Benetton-Zeitschrift «Colors», die hier ihre Büros haben, durchschreiten oder wie sie ein Filmmacher aus einem Drittweltland wahrnimmt, der in der «Fabrica» eine erstklassige Infrastruktur zur Produktion seines Filmes nutzen kann, sei dahingestellt. Wie einst einflussreiche Adelige Palladio als Architekt für den Bau repräsentativer und architektonisch innovativer Villen verpflichteten, so wagt heute der Industrielle Luciano Benetton das Experiment, mit einem japanischen Architekten zu bauen. Das Unternehmen ist interessant und das Resultat, das auch etwas kosten durfte, weitgehend gelungen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.06.01



verknüpfte Bauwerke
Villa Pastega Manera (Zubau)

02. März 2001Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Ein poetischer Grenzgänger

Ausstellung Alessandro Mendini in Vicenza

Ausstellung Alessandro Mendini in Vicenza

Der unkonventionelle Architekt und Designer Alessandro Mendini zeigt sich in Vicenza als Gestalter von grosser Konsequenz. In seinem Schaffen strebt er nicht danach, neue Formen zu erfinden, sondern Alltagsgegenständen eine neue Seele einzuhauchen.

In der Schaufensterauslage einer schönen alten Pasticceria in Vicenza begegnet man der Miniatur des pointillistisch dekorierten «Proust-Sessels» von Alessandro Mendini inmitten von Gebäck und Schokolade. Vor dem historischen Café Garibaldi auf der Piazza dei Signori, dem Hauptplatz der Stadt, steht eine bunte Mosaikstele und in der Loggia del Capitaniato, einem Spätwerk von Palladio, ein Porsche, den ein buntes geometrisches Muster unregelmässig überzieht. Beides sind Werke von Mendini, der dieses Jahr 70 Jahre alt wird. Aus diesem Grund ehrt ihn Vicenza gegenwärtig in der Basilica Palladiana mit einer umfassenden Retrospektive.


Die Melancholie des Gestalters

Mehr als 130 Objekte aus dreissig Jahren reihen sich wie auf einer Bühne im Halbkreis unter dem hohen, an einen Schiffsbug erinnernden Dachstuhl der Basilica. Es sind Möbel, Leuchten, Haushaltgeräte, Uhren, Vasen, Teppiche, Architekturmodelle, Zeitschriften, grossformatige, mit Autolack ausgeführte Gemälde und ganze Wohnszenerien: Mendini bewegt sich in der Tat «tra le arti», wie schon der Untertitel der Ausstellung verheisst. Alle Objekte leuchten bunt und sind von auffälligen Dekorationen überzogen - inspiriert vom Pointillismus, vom Futurismus, vom tschechischen Kubismus, von Kandinsky, aber auch vom Kitsch der fünfziger Jahre. Mendini mischt alles unbekümmert und stösst damit unweigerlich auf heftige Ablehnung oder auf glühende Anerkennung.

Was bei einem isoliert betrachteten Objekt Mendinis befremdend wirken kann, beeindruckt im Überblick. Mit grosser Konsequenz verfolgt er das Prinzip der Dekoration seit über dreissig Jahren in seiner Tätigkeit als Designer, Architekt und Firmenberater u. a. von Alessi und von Swatch. Als einflussreicher Chefredaktor von Zeitschriften wie «Domus» und «Casabella» hat er dieses Prinzip theoretisch untermauert. So schrieb er 1981 im Manifest der von ihm initiierten Designergruppe Alchimia: «Es existiert heute keine Originalität mehr. Die Erfindung neuer Formen wird ersetzt durch die Variationen an Dekorationen und Oberflächen. Das Design ist Re-Design. Entwerfen ist Dekorieren.»

Im Zeichen von «Re-Design» setzte er schon 1978 einem banalen Alltagssofa schnittige Formen auf, die Gemälden von Kandinsky entliehen waren. Design-Ikonen wie den Sessel «Wassily» von Marcel Breuer verfremdete er in seiner «Bauhaus-Kollektion» 1979 mit bunten Wolkenstrukturen, und dem berühmten Stuhl «Superleggera» von Gio Ponti verlieh er Flügel in Form aufgesetzter Fähnchen. Die Rückenlehne des «Zig-Zag»-Stuhles von Rietveld verlängerte er in einer Kreuzform, so dass er an eine Art Bischofsthron oder an ein gezacktes Grabkreuz erinnert.

Ironie ist eine treibende Kraft für Mendini. Sie ist bei ihm gepaart mit einer tiefen Melancholie, die aus der Erkenntnis resultiert, dass alles schon gemacht worden ist. Mendini reagiert spielerisch auf diese Situation: Die Alltagsgegenstände werden zu Spielzeugen, an denen man sich wie ein Kind erfreut und die so etwas Poesie ins graue Dasein und in die Monotonie der Arbeit bringen. Einem Zapfenzieher gibt Mendini einen Frauenkopf und gestaltet seinen Körper wie einen bunten Faltenrock. Einer seiner neusten Würfe ist der «Cioccolator», eine Rechenmaschine in der gar nicht so absurden Form einer Schokoladetafel. Man rechnet, indem man auf die in weichem Plastic gehaltenen Schokoquadrate tippt - und freut sich über die zum Spiel gewordene Arbeit.

Sowohl in der Produktegestaltung wie in der Architektur arbeitet Mendini, der seit 1989 in Mailand mit seinem Bruder das Studio Mendini betreibt, ganz bewusst mit anderen Designern, Künstlern und Architekten zusammen. Als künstlerischer Berater von Alessi initiierte er beispielsweise 1992 die Serie «100% Make-up», für die er selber eine Vase entwarf und 100 Persönlichkeiten, darunter namhafte Künstler und Architekten, einlud, diese zu dekorieren. So entstand eine limitierte Edition von insgesamt 10 000 Vasen. Sie sind heute Sammelobjekte. Als Art Director von Swatch konnte er diese Idee auch für ein kommerziell orientiertes Industrieprojekt anwenden. Die gleiche Uhr hatte ihren stets neuen Auftritt allein dank den wechselnden Dekorationen, deren Urheber in der Regel anonym blieben.


Architektur als Collage

Für Swatch gestaltete er auch das Grundkonzept für die weltweiten Shops; und im Auftrag von Alberto Alessi konzipierte er die Casa della Felicità (1983-1988). Dabei entwarf er ein Grundkonzept und betraute daraufhin befreundete Architekten wie Aldo Rossi, Ettore Sottsass und Riccardo Dalisi mit der Ausführung eines jeweils in sich unabhängigen Trakts. Dasselbe Prinzip wandte er erneut beim Museum in Groningen (1988-1994) an, wo er den Eingangsbereich selber gestaltete, für die einzelnen, als Gebäude in sich abgeschlossenen Abteilungen aber internationale Baukünstler und Designer wie Coop Himmelblau, Michele de Lucchi und Philippe Starck beauftragte. Entstanden ist eine ungewöhnliche Architektur-Collage. Mendinis neuste architektonische Arbeiten umfassen die Neugestaltung der Tore und Passagen des Maghetti-Viertels in Lugano sowie des Parks der Villa comunale in Neapel. Ausserdem harren die Projekte für zwei neue Metrostationen in Neapel und für einen Flügel der Stazione Termini der Realisierung.

Alessandro Mendini hat die Konsequenzen des reproduzierbaren Kunstwerkes, wie es Walter Benjamin formulierte, in neu durchdachter Weise auf den industriell gefertigten Gebrauchsgegenstand übertragen. Er überlagert diesen mit Kunst und gibt ihm so neben einem neuen Aussehen eine neue Seele - was letztlich einer Gratwanderung gleichkommt. Mendini lässt sich bewusst auf keine Stilrichtung festlegen. Die attraktive Ausstellung in Vicenza zeigt seinen ungewöhnlichen Weg exemplarisch auf.


[Bis 25. März in Vicenza, danach vom 10. April bis zum 30. Juni im Palacio Real de Pedralbes, Barcelona, und vom 19. August bis zum 21. Oktober im Westfälischen Landesmuseum, Münster. Katalog: Alessandro Mendini. Cose, progetti, architetture. Hrsg. Peter Weiss. Electa, Milano 2001. 200 S., Lit. 80 000.-.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.03.02

07. April 2000Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Spiel mit Massstäben

An der Grenze zwischen der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz, im malerischen Kleinstädtchen La Neuveville am Bielersee, hat die Gruppe Oï...

An der Grenze zwischen der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz, im malerischen Kleinstädtchen La Neuveville am Bielersee, hat die Gruppe Oï...

An der Grenze zwischen der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz, im malerischen Kleinstädtchen La Neuveville am Bielersee, hat die Gruppe Oï in einer alten Kleinfabrik ihr Atelier. Aurel Aebi, Armand Louis und Patrick Reymond sehen sich als Grenzgänger zwischen den beiden Landesteilen, aber auch zwischen Design, Innenarchitektur und Architektur. Sie planen für die Landesausstellung 2002 die Arteplage Neuenburg. Gleichzeitig arbeiten sie für die Swatch Group, für die sie Büros umbauen und Messestände und Displays konzipieren. Sie entwerfen zudem Möbel und Accessoires für Ikea und Wogg sowie Leuchten für Belux. Sie bauen Einfamilienhäuser und Fischerhäuschen; und für die Neugestaltung des öffentlichen Raumes in Biels Innenstadt entwarfen sie Parkbänke und Lampen.

Kleine Objekte tragen ebenso den Stempel der Gruppe Oï wie grosse Architekturentwürfe. Bewusst wollen sich die drei Gestalter, die seit 1991 zusammenarbeiten, nicht auf bestimmte Spezialgebiete festlegen, sondern mit der Massstäblichkeit ihrer Werke spielen. Ihr erstes gemeinsames Projekt war ihre Abschlussarbeit als Innenarchitekten. Damals kreierten sie eine multifunktionale Hygienesäule, die das herkömmliche Badezimmer ersetzt. Seither betrachten sie die Arbeit in der Gruppe als grossen Vorteil, da jeder eigene Facetten in die Arbeit mit einbringt. Vieles entwickle sich bei ihnen in Gesprächen, bei denen jeder Partner für ein Projekt seine Assoziationen formuliere und bebildere, erzählt Aebi. Ihr Studio soll eine relativ kleine kreative Zelle bleiben. Für grosse Projekte wie die Landesausstellung oder die Gestaltung der Bieler Innenstadt arbeitet Oï mit auswärtigen Spezialisten zusammen.

Spielerisch nähern sie sich ihren Projekten an: Die Idee zur Ellipsenform beispielsweise, die sie der Arteplage zum Thema «Natur und Künstlichkeit» geben, entstand bei einem Experiment, bei dem sie Öl ins Wasser tröpfeln liessen und die dabei entstehenden Figuren studierten. Die künstlichen Schilfhalme, die die Arteplage umgeben, verdanken ihre Form einer Handvoll Spaghetti. Sich sanft im Wind wiegend, werden sie dereinst die Ausstellungsbesucher empfangen. Abends werden sie - von Solarstrom gespeist - aufleuchten.

Auch für eine Parkbank für die Bieler Innenstadt (1998) wurde eine aussergewöhnliche Form gewählt. Holz verformt sich mit der Zeit automatisch. Die Gestalter von Oï wollten dieser Entwicklung zuvorkommen: Sie verformten die Holzlatten selber, indem sie sie in die Bankstruktur einspannten und dadurch zum stabilen Element machten. Dasselbe Prinzip wenden sie nun auch für eine Brücke über die Thielle an. Diese führt quasi über den «Röstigraben», was durch die vertikal an die Brückengeländer gesetzten Holzelemente mit Inschriften in Deutsch und Französisch unterstrichen wird. Die Struktur der Brücke erinnert an eine Handorgel. Verkleinert findet man diese Form dann bei einer Hängeleuchte aus Polycarbonat wieder. Das Erproben derselben Idee in verschiedenen Massstäben für ganz unterschiedliche Objekte empfinden Aebi, Louis und Reymond als besonders reizvoll. Spannung als ein Leitmotiv findet man auch beim Wanddiener aus rezyklierten Petflaschen, der sich - an die Wand montiert - entfaltet, «entspannt» und so seine Dienste anbietet. Traditionelle wie innovative Materialien auch auf unübliche Anwendungsmöglichkeiten zu erproben, ist ihnen ein wichtiger Arbeitsanreiz. Dieses kreative Vorgehen führt immer wieder zu überraschenden Resultaten.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.04.07

04. Februar 2000Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Marginalien der Designgeschichte

Wenn renommierte Firmen an der Möbelmesse in Köln mit berühmten Architektennamen auftrumpfen, so ist ihnen der Medienerfolg sicher. Seien es nun die Gebrüder...

Wenn renommierte Firmen an der Möbelmesse in Köln mit berühmten Architektennamen auftrumpfen, so ist ihnen der Medienerfolg sicher. Seien es nun die Gebrüder...

Wenn renommierte Firmen an der Möbelmesse in Köln mit berühmten Architektennamen auftrumpfen, so ist ihnen der Medienerfolg sicher. Seien es nun die Gebrüder Thonet aus Frankenberg, deren Firma mit Bugholzmöbeln Geschichte geschrieben hat, oder italienische Firmen auf der Suche nach internationalem Erfolg wie Montina. Norman Forster und Jean Nouvel gehören, das wird niemand bestreiten, zur Garde der global mit Erfolg tätigen Architekten. Ab und zu entstehen da auch Möbel, die als Nebenprodukte zu den architektonischen Grossprojekten entstehen.

Wie gross bei diesen Objekten der entwerferische Anteil der Architekten ist, sei dahingestellt. Gleichwohl reissen sich die Möbelfirmen um solche Produkte mit Starnimbus. Oft scheint dies eine Verlegenheitslösung zu sein, weil die Möbel nicht exakt ins Kollektionsprogramm passen, aber ein gewisses Prestige versprechen. Solche Beispiele waren im Januar an der Kölner Möbelmesse zu sehen: etwa das von Forster and Partners in Zusammenhang mit dem Berliner Reichstagsumbau erarbeitete Stuhl- und Tischprogramm «Thonet S 900» oder die von Nouvel und seinen Mitarbeitern ursprünglich für das Kultur- und Kongresszentrum Luzern entworfene Montina- Kollektion. Die beiden Firmen produzieren die Möbel dieser Architekten nun auch für den Haus- und Bürogebrauch.

Beim Betrachten der Erzeugnisse erinnert man sich mit Nostalgie an die Architektenmöbel aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Eileen Gray kreierte ihre Möbel und Wohnaccessoires seinerzeit auf Mass für die Häuser, die sie für ihre Freunde baute. Die französische Innenarchitektin Andrée Putman und die deutsche Firma Classicon haben sie vor rund 15 Jahren wieder an die Öffentlichkeit gebracht und reediert. Die Möbel von Le Corbusier und Charlotte Perriand haben ihren Siegeszug als Inbegriff des guten Geschmackes erst angetreten, als sie die italienische Firma Cassina in exklusivem Rahmen neu herstellte. Als «Volksmöbel» im Sinne des Bauhauses haben sie nie Erfolg gehabt. Auch Beispiele aus späterer Zeit drängen sich zum Vergleich auf: Mario Botta stand, als er seine Möbel entwarf, die dann von der italienischen Firma Alias produziert wurden, erst am Anfang des internationalen Renommees. Es ging damals weit mehr um das Produkt als um einen prestigeträchtigen Namen. Und die Stühle und Tische von Max Bill aus den fünfziger Jahren stellt die Schweizer Firma Horgen Glarus, die seit 1882 besteht, immer noch her - und zwar heute mit neuem Verkaufserfolg. Nicht zu vergessen die Stühle von Max Ernst Haefeli und Werner Max Moser, die seit den zwanziger und dreissiger Jahren in ihrem Programm sind.

Auch wenn ein gewisser Nostalgiefaktor bei ihrem erneuten Erfolg mitspielt, ist diesen Produkten eine durchdachte Qualität eben nicht abzusprechen. Doch inzwischen hat sich die Situation umgekehrt: Ein Produkt lässt sich heute allein über den Namen des Entwerfers anpreisen. Aber lässt es sich auf Dauer auch verkaufen? Noch scheinen gewisse Möbelfirmen an Entwürfen interessiert zu sein, wenn der Name des Architekten einen publikumswirksamen Auftritt verspricht, selbst wenn das Produkt nicht den erhofften Absatz garantiert.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.02.04

03. Dezember 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Karge Designwelt

Alle zwei Jahre wird der international ausgeschriebene Design-Preis Schweiz verliehen. Die in sechs Kategorien - Industrial Design, Möbel Design, Service...

Alle zwei Jahre wird der international ausgeschriebene Design-Preis Schweiz verliehen. Die in sechs Kategorien - Industrial Design, Möbel Design, Service...

Alle zwei Jahre wird der international ausgeschriebene Design-Preis Schweiz verliehen. Die in sechs Kategorien - Industrial Design, Möbel Design, Service Design, Textil Design, Verdienste sowie Willy-Guhl-Preis für Diplomarbeiten - ausgezeichneten Objekte werden anschliessend im Kunstmuseum Solothurn ausgestellt. Diesmal wirkten die erstprämierten Objekte von der Büroleuchte «Aero» von Sottsass Associati über den Papierteppich bis zu den medizinischen Geräten wie dem Prothesenwerkzeug «Caulking gun» von Slobodan Tepic und dem «Twinsulin»-Set für Diabetiker in den klassischen Museumssälen sehr verloren. Sicher müssen etwa die Gebrauchsobjekte nicht unnötig inszeniert werden, aber die Ausstellungsarchitektur von Roland Eberle ist doch allzu spröde ausgefallen.

Der von Gefängnisinsassen hergestellte Papierteppich in edlem sattem Schwarz ist schön, in der Produktion vorbildlich und erst noch originell verpackt, aber doch zu wenig innovativ für eine Auszeichnung mit einem Preis, der gerne als international wichtig dargestellt wird. Und bei den mit einer Anerkennung versehenen «Schoeller Comfor Temp»-Textilien, die dank eingearbeiteten Mikrokapseln Temperaturschwankungen ausgleichen, hätte man gerne etwas mehr als ein lieblos hindrapiertes Stück Stoff gesehen. Ärgerlich ist auch, dass im Falle des aufblasbaren Sofas von Ikea nicht das von der Jury ausgewählte, mit einem halbtransparenten Stoff bezogene Stück ausgestellt ist. Gemäss Jury war eben dieses Spiel von Transparenzen für den Anerkennungspreis ausschlaggebend. Das jetzt aber mit einem banalen Bezug präsentierte Möbel wäre in dieser Form wohl nie ausgezeichnet worden. - Dem Verleger Lars Müller gönnt man hingegen den Preis für Verdienste, und begeisterte Radfahrer wissen die Dienste der Stiftung Veloland Schweiz, an die der erste Preis für Service Design ging, aus eigener Erfahrung zu schätzen. (Bis 9. Januar)


[ Katalog: Beiheft zur Zeitschrift Hochparterre 11/99. 63 S., Fr. 10.- (im Museum und am Kiosk erhältlich). ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.12.03

11. August 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Blick zurück in die Zukunft

Schwedisches Design war in den fünfziger Jahren stilbestimmend. Eine helle, leichte Wohnwelt in Holz und Stoffen wurde hier entwickelt, die sich wohltuend...

Schwedisches Design war in den fünfziger Jahren stilbestimmend. Eine helle, leichte Wohnwelt in Holz und Stoffen wurde hier entwickelt, die sich wohltuend...

Schwedisches Design war in den fünfziger Jahren stilbestimmend. Eine helle, leichte Wohnwelt in Holz und Stoffen wurde hier entwickelt, die sich wohltuend von den schweren Möbeln jener Zeit, aber auch von der kühlen Distanziertheit der Bauhaus-Möbel abhob. Bezeichnenderweise konnten sich die Möbel aus gebogenem Chromstahl auch später fast nur in Intellektuellenkreisen durchsetzen, die Möbel aus dem Norden hingegen sprachen sofort breite Schichten an. Massgeblich zur Verbreitung des nordischen und vorab des schwedischen Designs trug eine Ausstellung im südschwedischen Helsingborg bei. Die Schweden erinnern sich gerne an die legendäre «H55», die Musterzimmer zeigte, deren Einrichtungen noch immer Wohnqualität ausstrahlen. Zu Ende des Jahrhunderts haben sich nun verschiedene Unternehmen aus Schweden zusammengetan, um den damals richtungsweisenden Event mit heutigen Vorzeichen zu wiederholen.

Der Zeitpunkt ist nicht schlecht gewählt, verändert sich das Wohnen gegenwärtig doch in vieler Hinsicht. Wohn- und Arbeitsbereich werden zusammengelegt und verschmelzen so zu einer mehr oder weniger geglückten Einheit. Soll man dabei den Computer in einem geeigneten Möbel verstecken oder ganz selbstverständlich in die Wohnung integrieren? Antworten auf diese und andere Fragen versprach die «H99» in Helsingborg - und hält sie leider nicht. Ein weltweit operierendes schwedisches Möbelunternehmen war Hauptsponsor der Schau und versprach eine Reihe von innovativen Vorschlägen. Eine zukunftsträchtige Perspektive für ein Unternehmen, das zeitgemässe Möbel und Wohnaccessoires für wenig Geld zugänglich machen will. Doch was zukunftsweisend hätte sein sollen, entpuppte sich im Hey-Pavillon von Ikea als rückwärtsgewandte Phantasie eines Installationskünstlers älteren Jahrgangs. Wer will denn heute noch den Computer im Küchenschrank hinter geblümten Vorhängen verstecken und wer in einem unaufgeräumten Bad am PC arbeiten? Auch wenn einen die Ironie, die man hinter diesen Präsentationen vermuten kann, amüsiert, sind solch verstaubte Installationen - auch in künstlerischer Hinsicht - kaum von Interesse, geschweige denn von praktischem Nutzen. Vom schwedischen Möbelgiganten hätte man lieber pragmatische Vorschläge im Sinne des von ihm angepriesenen «demokratischen Designs» gesehen.

Direkt an die Ideale der «H55» knüpft die Jubiläumsschau zum schwedischen Design an, die in einem aus Originalmaterial rekonstruierten Pavillon aus dem Jahre 1955 stattfindet. Darin ist eine kleine Auswahl an Glaswaren und Porzellan zu sehen, die zusammen mit den Möbeln den nordischen Stil der fünfziger Jahre am besten repräsentieren. Aber auch ein Blick in die Zukunft wurde dem Besucher gewährt, durch den Ein- Mann-Helikopter von Mikael Edoff zum Beispiel, in dem der Pilot freischwebend in den Gurten hängt. Breiter einsetzbar ist wohl der scheibenförmige Staubsauger von Electrolux, der, individuell programmierbar, ohne menschliche Hilfe putzt. Die selbe Firma stellte einen futuristischen Kühlschrank vor, der seinen Inhalt selbständig verwaltet und via Internet Nachschub ordert. Hier immerhin war etwas von dem in der Vorschau zur «H99» versprochenen Blick in die Zukunft spürbar. Hübsch war auch die Idee, Inneneinrichter aus verschiedenen Ländern zur Ausstattung von sieben Wohnwagen einzuladen. Während die Schweden dem Miniraum eine optimale Wohnqualität verleihen wollten, richtete ihr italienischer Kollege den engen Raum einzig zum Espressotrinken und Pastaessen mit Freunden ein.

Rechtzeitig zur «H99» wurde auch die imposante Neuüberbauung des Hafenviertels Norra Hamnen fertiggestellt. Musterwohnungen in den Bauten verschiedener schwedischer Architekturbüros aus Göteborg, Helsingborg, Malmö und Stockholm sowie des bekannten dänischen Architektenteams Tegnestuen Vandkunsten aus Kopenhagen sind Teil der «H99». Die Wohnanlage samt Restaurants, Ateliers und Park befindet sich auf dem Gelände der «H99». Die meisten Wohnungen der lichten Überbauung mit viel Glas sind bereits bezogen. So werden ihre Bewohner, die sich in diesen Sommertagen gerne in den luftigen Veranden mit Blick auf das Meer und die Küste Dänemarks aufhalten, automatisch Teil der Ausstellung. Die eher behäbigen Möbel in den verglasten Balkonen kontrastieren mit der Möblierung der Musterwohnung. Die dänische Stadt Helsingör auf der anderen Seite des Öresunds beteiligt sich mit kleinen ergänzenden Ausstellungen an der «H99».

Neue Zürcher Zeitung, Mi., 1999.08.11

07. Juni 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Vom Kinderstuhl bis zum Fabrikgebäude

Das Werk von Marco Zanuso, dem heute 83jährigen Architekten und Designer aus Mailand, reicht von der berühmten schwarzen Fernsehkiste und dem ersten Plasticstuhl für Kinder bis zu dem 1998 vollendeten Neubau des Piccolo Teatro. Eine Retrospektive im Palazzo dell'Arte der Triennale in Mailand widmet sich nun dem breitangelegten Schaffen des Altmeisters.

Das Werk von Marco Zanuso, dem heute 83jährigen Architekten und Designer aus Mailand, reicht von der berühmten schwarzen Fernsehkiste und dem ersten Plasticstuhl für Kinder bis zu dem 1998 vollendeten Neubau des Piccolo Teatro. Eine Retrospektive im Palazzo dell'Arte der Triennale in Mailand widmet sich nun dem breitangelegten Schaffen des Altmeisters.

Die Schau im Palazzo dell'Arte der Triennale in Mailand empfängt mit einer installationsähnlichen Anhäufung von Marco Zanusos Designikonen: die Kunststoffstühle «K4999» für Kinder (1959-1964) und die heute zu raren Sammlerstücken gewordenen Fernsehapparate des Typs «Black ST 201» von 1969 stapeln sich zu Türmen. Daraufhin ist die Ausstellung in drei Bereiche unterteilt: Sie präsentieren die gestalterischen und architektonischen Arbeiten für die Industrie, die Wohnhäuser und schliesslich öffentliche Gebäude wie Spitäler und Theater. Auf robusten, roh verschraubten Gestellen, die der Baukonstruktion entlehnt sind, reihen sich in den drei Abteilungen Photos, Modelle, Pläne, Industrieprodukte und Möbel aneinander. Dazwischen schlängelt sich Zanusos modular zusammensetzbares Sitzsystem «Lombico» von 1967, dessen Form heute wieder sehr im Trend ist.

Das Gesamtwerk von Marco Zanuso ist gross und von einer erstaunlichen Vielfalt. Laut Katalog hat er rund 100 Bauten und um die 150 Designobjekte realisiert, die im Projektstadium verbliebenen nicht mit eingerechnet. Sechsmal wurde dem heute 83jährigen Mailänder Architekten und Designer der Compasso d'Oro, der wichtigste Design-Preis Italiens, verliehen. In den Jahren 1958 bis 1977 unterhielt er zusammen mit Richard Sapper, einer anderen «grauen Eminenz» des Industrial Design, in Mailand ein Architektur- und Design-Büro. Von 1961 bis 1991 war er Professor an der Architekturabteilung des Polytechnikums von Mailand. Zanuso ist weder als Architekt noch als Designer zum Medienstar geworden wie etwa Ettore Sottsass oder Achille Castiglione. Sein Werk ist viel weniger an die Person gebunden als das seiner Kollegen - und dies obschon Zanuso die perfekte Verkörperung des Designer-Architekten darstellt. Oft entwarf er Industriebauten für Firmen, deren Produkte er zum Teil auch zeichnete. So baute er für Olivetti zwischen 1954 und 1972 Fabriken in Argentinien, Brasilien und Italien, gestaltete in den sechziger Jahren aber auch Olivetti-Maschinen. Das Fabrikgebäude von Necchi in Pavia (1960/1961) stammt ebenso von seiner Hand wie auch die berühmt gewordenen Necchi-Nähmaschinen jener Zeit.

Zum Kultobjekt ist sein kubisches Radio «TS 502» (1962/1963) geworden, das beim Gebrauch in zwei Hälften auseinandergeschoben wird. Das Telefon «Grillo» (1966/1967) nahm die Form des Handys vorweg, bei dem man das Mikrophon beim Sprechen hinausklappt. Auch im Möbeldesign gelangen Zanuso einige Pionierleistungen, oft in Zusammenarbeit mit Sapper. Zum Beispiel der Stuhl «Lambda» (1964), der aus insgesamt zehn gestanzten, dünnen Metallblechen besteht. Wegen der komplizierten handwerklichen Montage der Einzelteile kippte der Stuhl jedoch bald wieder aus der Produktion. Ein grosser Verkaufserfolg wurde hingegen der elegant geschwungene Sessel «Lady» (1951), der auf einer neuartigen Metallstruktur aufbaute. Bei Zanuso steht die Konstruktion auch bei der Möbelgestaltung immer im Vordergrund, er gilt denn auch als der «grösste Rationalist» des italienischen Nachkriegsdesigns.

In den fünfziger Jahren zeichnete Zanuso vor allem auch Möbel für Kinder: etwa den berühmt gewordenen Plasticstuhl. Auch hier standen die Möbel aber in Funktion zur Architektur. Zanuso erbaute damals nämlich verschiedene Waisenhäuser, Kindergärten und Spielplätze und entwarf auch deren Ausrüstung. Neben den Fabriken und Bürogebäuden - in den siebziger und frühen achtziger Jahren kamen Grossaufträge u. a. für IBM hinzu - fallen die Wohnhäuser auf, die in Form und Material perfekt in die Landschaft integriert sind. Das Ferienhaus auf der Isola di Cavallo (1981-1988) ist so in weisse Kuben unterteilt, dass es in der felsigen Meeresküste kaum auffällt. Das langgestreckte, eingeschossige Haus in Lydenburg in Südafrika (1970-1972) nimmt mit den bewachsenen Flachdächern und den grauen Natursteinmauern die Farben der Umgebung auf und ist in seiner unauffälligen Grosszügigkeit ein Spiegel der weiten Landschaft. Das Haus Sapper am Ufer des Comersees gleicht sich mit seinen heute verwitterten Holzschindeln der es umgebenden Natur an. Ein typisches Produkt des «Tüftlers» Zanuso ist das Minihaus «Spazio» (1986), das - in Containerform geliefert - sich in kürzester Zeit zum Zwei-Zimmer-Gebäude mit Küche und Bad auseinanderklappen lässt. (Bis 30. Juni)

[ Katalog: Marco Zanuso. Architetto. Hrsg. Manolo de Giorgi. Skira Editore, Milano 1999. 326 S., 70 000 L. ]

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 1999.06.07

10. Mai 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Stühle aus 100 Jahren

Mit Erfolg hat das Vitra Design Museum in der Ausstellung «Masterpieces» Highlights seiner Sammlung, die mehr als 3000 Objekte umfasst, auf Welttournee...

Mit Erfolg hat das Vitra Design Museum in der Ausstellung «Masterpieces» Highlights seiner Sammlung, die mehr als 3000 Objekte umfasst, auf Welttournee...

Mit Erfolg hat das Vitra Design Museum in der Ausstellung «Masterpieces» Highlights seiner Sammlung, die mehr als 3000 Objekte umfasst, auf Welttournee geschickt. Seither wurden die Bestände laufend ergänzt. Nun stellt das Museum die Design-Geschichte der letzten 100 Jahre in 100 Stühlen dar. Stücke, die die Design-Geschichte des 20. Jahrhunderts schrieben, sind in Originalen aus der Zeit vertreten. So beginnt die Schau im Gehry-Bau mit dem spektakulären Argyle Street-Chair mit extrem hoher Rückenlehne von Mackintosh, ein besonders seltenes Sammlerstück, das vor genau 100 Jahren entstanden ist. Ein weiteres Liebhaberstück ist der Sessel von Carlo Bugatti, eine abenteuerliche Kombination aus gehämmertem Kupfer, bemaltem Pergamentleder und exquisiten Holzintarsien, das dem Geschmack des Fin de siècle nach orientalisierendem Prunk entsprach. Andere Pionierstücke, die das Herz des Kenners entzücken, sind der Klappstuhl MC 769 aus Metall von Pierre Chareau, der sich wie ein Fächer vor- und zurückschiebt, sowie ein simpler Stuhl von Eileen Gray von 1926/27, dessen azurblau bemaltes Metallgestell wirkungsvoll kontrastiert mit dem Geflecht von Sitzfläche und Rückenlehne.

Es versteht sich, dass diese Design-Kostbarkeiten alle möglichst unangetastet im Originalzustand ihrer Entstehungszeit verblieben sind und auch nicht auf Reise gehen können. Nur robuste Stücke werden die geplante Ausstellungstournee durch Europa mitmachen. Die späteren Stilepochen sind naturgemäss mit weniger Raritäten dokumentiert. Da kann sich durchaus auch ein fabrikneues Stück einschleichen, wie der Wiggle Side-Chair aus Wellkarton von Frank O. Gehry von 1972, den Vitra heute wieder ediert. Viele der gezeigten Stühle sind Marksteine der Designgeschichte, andere, vor allem jene aus den achtziger und neunziger Jahren, entsprechen der persönlichen Auswahl des Ausstellungskurators Serge Mauduit. Die Schau liefert aber auch Informationen: Auf einem Monitor kann der Besucher verfolgen, wie die klassischen Bugholz-Stühle heute hergestellt werden. Insgesamt sieben filmische Aufzeichnungen wichtiger noch gebräuchlicher Produktionsmethoden ergänzen die chronologisch aufgebaute Schau; weitere Informationen geben Tafeln mit einleitenden Texten zu den einzelnen Stilepochen. (Bis 30. Mai).

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 1999.05.10

07. Mai 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Realität gewordene Traumobjekte

Das Museum für Gegenwartskunst Luigi Pecci in Prato zeigt das Schaffen des heute 82jährigen Ettore Sottsass und seiner jungen Associati aus den Jahren 1980 bis 1999. Spielte früher das Design die Hauptrolle, so wird die Architektur bei Sottsass Associati jetzt immer wichtiger.

Das Museum für Gegenwartskunst Luigi Pecci in Prato zeigt das Schaffen des heute 82jährigen Ettore Sottsass und seiner jungen Associati aus den Jahren 1980 bis 1999. Spielte früher das Design die Hauptrolle, so wird die Architektur bei Sottsass Associati jetzt immer wichtiger.

In einem Alter, da sich andere zur Ruhe setzen, gründete Ettore Sottsass jun. mit 63 Jahren seine Sottsass Associati im Verbund mit jungen internationalen Gestaltern und Architekten. Und ein Jahr später, 1981, mischte er mit der Gruppe Memphis die italienische Designwelt neu auf. Damals war der 1917 in Innsbruck geborene italienische Architekt längst ein berühmter Mann. Seit 1958 entwarf er Schreibmaschinen und Computer für Olivetti und machte innovatives Gestalten auch für das Industrial Design zum Thema und Marktfaktor. Legendär wurde die Reiseschreibmaschine Valentine von 1969, die durch ihre leuchtend rote Farbe vom banalen, grauen Gebrauchsgegenstand zum Objekt mit ausgeprägtem Eigencharakter mutierte.


Fliessende Grenzen

Eine klar definierte physische Präsenz zeichnet alle seine Objekte der sechziger und siebziger Jahren aus, als er zu einem Hauptvertreter des Radical Design wurde, das sich gegen eine Banalisierung des Alltags und seiner Gegenstände wandte. Poesie sollte wieder Einzug halten in die Wohnräume und Büros, zum Beispiel mit dem Standspiegel Ultrafragola von 1970, der den Betrachter nachts in ein mildes rosafarbenes Licht taucht, das der breite wellenförmige Rahmen verströmt. Vollends zu Guru-Status kam Sottsass mit der Gründung der Gruppe Memphis, deren Objekte alle überkommenen Regeln von rein funktionalem Design über den Haufen warfen: Möbel und Gegenstände in bizarren Formen und voller Farben wie aus einer Traumwelt. Die Grenzen zwischen Kunst und Design, zwischen angewandter und bildender Kunst waren bei Sottsass stets fliessend. Dadurch hat sein Schaffen stets polarisiert - und tut es immer noch.

In Prato ist ein Querschnitt - «frammenti», so der Untertitel der Ausstellung - des Schaffens von Sottsass und seinen Associati von 1980 bis 1999 zu sehen. Partner von Sottsass sind heute Marco Zanini, Johanna Grawunder, Mike Ryan, Mario Milizia und James Irvine. Zum Studio-Mailand, das rund 35 Personen beschäftigt, zählen neben Designern und Architekten heute auch Graphiker, die entsprechende Aufträge realisieren - ein modernes, ganzheitliches Arbeitskonzept. So umfasst die Ausstellung eine breite Spannweite an Arbeiten, die vom Plakat für die Filmbiennale Venedig bis zum Modell des kürzlich fertiggestellten Flughafens Malpensa 2000 bei Mailand reichen. Sympathischerweise stellt sich Sottsass selber in keiner Weise ins Zentrum der Ausstellung, auch wenn er in allen Arbeiten als Kopf und Seele allgegenwärtig ist. Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter - von der Telefonistin bis zum Computerspezialisten - stellt sich am Eingang der Schau auf Tafeln mit einer sehr persönlichen Auswahl an Photos selber vor - unter ihnen unauffällig auch Altmeister und Übervater Ettore.

Wichtige Werke aus den frühen achtziger Jahren sind die Showrooms für die Bekleidungsfirma Esprit, einer davon auch in Zürich. Jedes Element der Innenarchitektur hat einen spezifischen Eigencharakter, der sich in Form, Farbe und Material manifestiert. Das Resultat sind Räume, die geprägt sind durch die Präsenz von Einzelteilen wie wuchtigen farbigen Säulen, bunten Teppichböden, markanten Treppenaufgängen oder mit unübersehbaren Laminatmustern überzogenen klobigen Möbeln - wahrlich keine kühl funktionalen Interieurs, sondern solche, die Fröhlichkeit und viel Vitalität ausstrahlen und einen unverwechselbaren Stil einleiteten. Mit dem Haus Wolf, das Sottsass 1987-89 zusammen mit der jungen amerikanischen Architektin Johanna Grawunder in Colorado für einen Kunstsammler baute, wurde das erste Haus einer ganzen Serie realisiert. Die Ausstellung in Prato macht mit zahlreichen Originalmodellen und grossformatigen Photographien deutlich, dass sich der Akzent des Schaffens von Sottsass Associati immer mehr vom Design und von der reinen Innenarchitektur Richtung Architektur verlagerte. Wobei bei allen Häusern - meist luxuriöse Villen mit viel Umschwung - auch den Innenräumen eine wichtige Rolle zukommt. Entsprechend sind sie durch Einbauten und Möblierung bis ins Detail definiert. Das Design fällt nicht weg, sondern ist in die Architektur integriert. Zudem werden die Design- Objekte - ineinandergeschachtelte turmartige Regale beispielsweise, bei denen jedes Einzelelement eine andere Oberflächenstruktur und -farbe hat - zusehends zu Kleinarchitekturen. Ihnen sind in Prato wie auch den Keramiken von Sottsass, die weniger Gebrauchsobjekte denn Skulpturen sind, eigene Kabinette eingerichtet, die ihren Kunstcharakter unterstreichen. Möbel wie Architekturen begleitet Sottsass mit farbigen Skizzen, die ihn auch als begabten Maler und Zeichner ausweisen.


Interesse an Architektur

Das Haus Wolf, das eine neue Ära bei Sottsass Associati einläutete, besteht aus einer Ansammlung von einfachen architektonischen Einzelteilen. Es ist aus verschieden grossen, kubischen Elementen, die sich in der Oberflächenstruktur, Farbe oder Materialisierung unterscheiden, scheinbar zufällig wie von Kinderhand zusammengestellt. Der weitläufige Aussenraum ist in die Gestaltung mit einbezogen. Nicht «Monument», sondern «Ort» soll das Haus sein, betont Sottsass. Sowohl die Design-Objekte wie auch die Häuser von Sottsass Associati scheinen aus einer anderen, einer Traumwelt zu stammen.

Überraschenderweise werden diese Traumvorstellungen bei Sottsass dann aber wirklich in real existierende, einzigartige Objekte und Bauten umgesetzt. Alle diese Schöpfungen haben eine Dimension, die weit über ihren Gebrauchswert hinausweist, unsere Phantasie anregt und befriedigt. Nach dem Haus Wolf folgten sich die Architekturentwürfe Schlag auf Schlag, einige kamen allerdings über das Projekt nicht hinaus. Gebaut wurden u. a. das Haus Olabuenaga in Hawaii (1989-97), das das Prinzip des Hauses Wolf weiterführt, ein Golfklub mit Hotel in China (1994-96) und ein Haus für den Galeristen Bruno Bischofberger bei Zürich (1991-98). Der letzte grosse Auftrag an Sottsass Associati war der Innenausbau des Flughafens Malpensa 2000 bei Mailand (1994-98). Hier wurde versucht, die Hektik eines Durchgangsorts mit klar definierten architektonischen, auf eine menschliche Dimension zugeschnittenen Strukturen in prägnanten, aber zurückhaltenden Farben zu beruhigen. (Bis 30. Mai)


[Katalog: Sottsass Associati. 1980-1999. Frammenti. Hrsg. Milco Carboni, Rizzoli, Mailand 1999. 280 S., Lit. 49 000. Englische Ausgabe bei Universe Publishing, New York 1999.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.05.07

05. März 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Extravagante Interieurs

Der Architekt Riccardo Blumer ist in der Schweiz vor allem durch seinen Stuhl «Laleggera» bekannt geworden, für den er 1997 den Design-Preis Schweiz bekam. Der Schweizer, der in Italien lebt, ist aber auch ein Spezialist für ungewöhnliche Interieurs.

Der Architekt Riccardo Blumer ist in der Schweiz vor allem durch seinen Stuhl «Laleggera» bekannt geworden, für den er 1997 den Design-Preis Schweiz bekam. Der Schweizer, der in Italien lebt, ist aber auch ein Spezialist für ungewöhnliche Interieurs.

Sein Ziel sei, Innenräume von all dem zu befreien, was den Fluss des Tageslichtes behindere, erklärt Riccardo Blumer. Er findet dafür so ungewöhnliche Lösungen wie das elipsenförmige Badezimmer mit Wänden aus ineinandergestellten U-Glas-Teilen, die er bis dreiviertel der Höhe mit zerkleinertem Rezyklierglas füllt. So behält das Bad, das im Zentrum der Wohnung steht, Sichtschutz, lässt das Licht jedoch durch den Raum strömen. Seine Vorliebe für den Werkstoff Glas kommt auch in der Umstrukturierung des Atriums eines Kulturzentrums in Bergamo zum Tragen. Halbkreisförmige, satinierte Glasteile hat er zur wellenartig geschwungenen Wand zusammengesetzt, die nun den Saal zweiteilt, ohne den Lichtfluss zu unterbrechen. Ihre Basis besteht aus einem Holzsockel, und die im Deckenabschluss eingelassenen Leuchten verleihen ihr einen szenographischen Effekt. Geschwungene Linien geben auch einem Haus bei Como, das Blumer umgebaut hat, ein extravagantes Flair. Eine ellipsenförmige Treppe windet sich von der doppelgeschossigen Eingangshalle ins Obergeschoss mit den Wohnräumen. Die übereinandergesetzten Fenster des Eingangsbereichs hat der Architekt an der Aussenwand mit diagonal gesetzten wellenförmigen Sonnensegeln verkleidet, die die Halle in ein stets wechselndes Licht tauchen.

Die erste eigenständige architektonische Arbeit des 1959 geborenen Blumer, der am Polytechnikum in Mailand Architektur studiert hat und, nach längerer Tätigkeit bei Mario Botta, seit 1989 ein eigenes Studio in Morosolo bei Varese hat, sind zwei Bürotürme im östlich von Mailand gelegenen Industriequartier. Die unattraktive Lage an zwei sich kreuzenden Autobahnen brachte Blumer auf die Idee, die zeichenhaften Bauten vor allem durch Oberlichtöffnungen mit Tageslicht zu versehen. Die prägnanten quadratischen Elemente, die sich aussen schräg aufwärts vom runden Gebäude abheben, geben diesem ein ungewöhnliches und auffallendes Aussehen. Dieses hat jedoch nicht Selbstzweck, sondern ist von Blumers Devise des Tageslicht-Flusses im Innenraum bedingt. Nicht die reine Form, sondern die Funktionalität sei ihm in Architektur und Design oberstes Anliegen, betont Blumer. Nie dürfe die äussere Form eine Eigendynamik entwickeln.

Die Freude am Experiment - mit der Form wie mit dem Material - gibt seinen Werken, Möbeln wie Interieurs, etwas Spielerisches. Für das luxuriöse Appartement einer alten Dame hat er Glas mit unregelmässiger Oberfläche mit einer Spiegelfolie hinterlegt und damit die Wände des Badezimmers ausgekleidet. Dem Bett hat er ein muschelförmiges Kopfteil gegeben. Und der geräumige Wandschrank besitzt eine handorgelartig gefaltete Front, in der sich Spiegelglas mit satiniertem Glas abwechselt. Die theatralische Wirkung wäre des Boudoirs eines Hollywood-Stars aus der Stummfilmzeit würdig! Auch der berühmte, für Alias kreierte Stuhl «Laleggera», für den Blumer neben dem Design-Preis Schweiz 1998 in Italien auch den «Oscar» der Designpreise, den «Compasso d'oro», bekommen hat, geht auf seine Freude am Materialexperiment zurück. Nur gerade 3,390 kg wiegt der stapelbare Stuhl dank einer Konstruktion, wie sie ähnlich im Segelflugzeugbau eingesetzt wird. In das aus einem Stück bestehende Gestell aus Holz wird eine Einlage aus Polyurethan eingelassen. Der Stuhl ist längst ein Grosserfolg und bewährt sich auch in öffentlichen Gebäuden - etwa dem Versammlungssaal von Bottas Synagoge in Tel Aviv.

Auch Blumers Lampe «Helios» für Lumina basiert auf einem «zweckentfremdeten» Einsatz eines Materials: Der hinterleuchtete Kranz aus der Bürste eines Kaminfegers gibt die Strahlen ab. Wie der Untertitel «Intersezioni» des jetzt erschienenen Buches zeigt, interessiert Blumer die Beziehung zwischen Architektur und Design, wie sie in Umstrukturierungen von Wohnungen und Wohnhäusern zum Tragen kommt, ganz besonders. Seine Umbauten zeichnen sich nicht nur durch die Neudefinition der Räume aus, sondern weit mehr durch prägnante Einbauten - Treppen, Regale, Schränke usw. In solchen Objekten kann sich Blumers spielerischer und experimenteller Umgang mit Form und Material am besten entfalten. - Das neue Buch, das sechs Umbauten aus den Jahren 1994 bis 1998 zeigt, wurde Mitte Februar im Centro Culturale Svizzero in Mailand vorgestellt. Gleichzeitig war in einer leider nur eine Woche dauernden Ausstellung ein Querschnitt durch Riccardo Blumers vielfältiges Schaffen zu sehen.

[Riccardo Blumer. Intersezioni. Hrsg. Gabriele Cappellato. Skira editore, Mailand 1999. 64 S., 58 Abb., Lit. 38 000.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.03.05

05. Februar 1999Irene Meier
Neue Zürcher Zeitung

Klassiker, Stahlrohrmöbel und Leuchten

An der Internationalen Möbelmesse Köln, die dieses Jahr in der zweiten Januarhälfte stattfand, wurde der Blick vorwärts und rückwärts gewandt. Eine Rückbesinnung auf die Klassiker stand bei einigen Firmen im Zentrum. Erstmals mit dabei waren dieses Jahr die Leuchtenfirmen, von denen einige mit interessanten Neuentwicklungen überraschten.

An der Internationalen Möbelmesse Köln, die dieses Jahr in der zweiten Januarhälfte stattfand, wurde der Blick vorwärts und rückwärts gewandt. Eine Rückbesinnung auf die Klassiker stand bei einigen Firmen im Zentrum. Erstmals mit dabei waren dieses Jahr die Leuchtenfirmen, von denen einige mit interessanten Neuentwicklungen überraschten.

Zum Ende des Jahrhunderts haben sich Traditionsfirmen wie Thonet Frankenberg, «wb form» Zürich sowie Horgen-Glarus auf ihre Geschichte besonnen und sind in Köln mit Klassikern des Möbeldesigns aufgetreten. Die Möbel aus verchromtem Stahlrohr von Mies van der Rohe, Mart Stam und Marcel Breuer sind eng mit dem Namen der Firma Thonet Frankenberg verbunden. Stahlrohrmöbel waren in den späten zwanziger und den frühen dreissiger Jahren die logische Weiterführung der Bugholzmöbel, für die Thonet namengebend war. Dieses Jahr präsentierte die Firma aus Deutschland in Köln rund 40 Möbel aus verchromtem Stahlrohr nun erstmals als attraktives Gesamtensemble, einige davon in Reeditionen. Nahtlos reihen sich ein Regal und eine Garderobe der beiden jungen Schweizer Gestalter Alfredo Häberli und Christophe Marchand in den Reigen der historischen Stühle und Sessel ein. Gebogenes Stahlrohr war letztes Jahr auch bei italienischen Firmen wiederaufgetaucht, so in einem Sessel von Antonio Citterio, der als ein Trendsetter der Branche gilt. Wer sich schon immer an Klassiker mit klarer Form gehalten hat, ist mit seinem angestammten Mobiliar nun plötzlich topaktuell: Die Chromstahlmöbel entsprechen dem Trend zur kühlen Eleganz und Sachlichkeit und fügen sich zudem im modischen Stilmix gut ein.

Spezialitäten für Designliebhaber

Auf Tradition setzt auch die «wb form», eine Partnerin von Wohnbedarf Zürich. In einer Sonderschau präsentierte sie zusammen mit der Firma Horgen-Glarus in der Agrippina-Werft im Rheinauhafen eine Hommage an Max Bill als Werkschau von Tischen, Hockern und Stühlen aus den fünfziger Jahren, der Zeit von Bills Tätigkeit an der Hochschule für Gestaltung in Ulm. Die Möbel werden von Horgen-Glarus, einer der ältesten Möbelfabriken der Schweiz (seit 1882), hergestellt. Zu ihrem Sortiment gehören auch die sogenannten Typenmöbel von Werner Max Moser und Max Ernst Häfeli aus den zwanziger und dreissiger Jahren, die bei Liebhabern von klarem Design wieder beliebt sind. Erstmals trat die traditionsreiche Firma aus Glarus mit ihren Klassikern, aber auch Neuentwürfen von Hannes Wettstein und Urs Esposito in Köln auf, und das gleich doppelt, neben der Sonderschau mit «wb form», war sie auch mit einem eigenen Stand in den Messehallen präsent. Offenbar rechnet man für hochpreisliche Designklassik durchaus mit einem internationalen Absatzmarkt.

Selbstverständlich erfreuen aber Neuentdeckungen beim Messerundgang mehr als die - noch so raffiniert präsentierte - Wiederbegegnung mit alten Bekannten. Gerne schaut man sich auch an, was kleine Firmen sich übers Jahr so ausgedacht haben. Da begegnet man bei Nils Holger Moormann einem Regal von Konstantin Grcic, das seine Standfestigkeit auch nicht verliert, wenn daran gerüttelt wird.

Experimente mit Sperrholz

Naturfarbenes Birkensperrholz, ein Material aus dem Flugzeugbau, hat sich zu einem Lieblingsmaterial experimenteller Designer gemausert. Entgegen einer verbreiteten Meinung ist es allerdings nicht billig. Finnisches Flugzeugsperrholz verwendet der Schweizer Designer Ubald Klug schon längere Zeit. Für seinen Kofferschrank «Shell» (für Röthlisberger-Kollektion), dessen Innenleben aus Behälterschalen besteht, die aus extragrossen Birkensperrholzplatten zum Hohlkörper gebogen wurden, hat er eben den begehrten internationalen Designpreis Baden-Württemberg bekommen. Dasselbe hochwertige Material - Birkensperrholz nature, in fünf Schichten zu einer 3 mm starken Platte verleimt - hat er nun zum Garderobenständer in Ährenform namens «Spiga» gebogen. Röthlisberger-Kollektion hat ihn in Köln im Rahmen des Forums 8 auf dem Rheinauhafen-Gelände erstmals gezeigt.

Auch die Gestalter der Galerie Blau experimentieren mit Birkensperrholz. Das Regal «abstract plane» besteht ausschliesslich aus hauchdünnen Sperrholzteilen und vermag bei nur 3 Kilogramm Eigengewicht 80 Kilogramm zu tragen! Das aus präzisionsgefrästen Teilen bestehende Regal wird mit wenigen Handgriffen zusammengesteckt. Auch das zweite Regal des kleinen Möbelvertriebs aus Berlin überrascht wegen seiner ausgeklügelten Konstruktion: Das faltbare Regalsystem «rs folder» aus robustem Birkenmultiplex in verschiedenen Ausführungen wird als Paket vormontiert geliefert. Mit wenigen Handgriffen aufgeklappt und mit dem Rückenkreuz fixiert, ist es sofort einsatzfähig. Das Standardmodell ist in der Höhe wie in der Breite anbaubar. Und wer will, kann «Fünf Liter Licht», die Leuchte, die aus einem Sauerkraut-Topf auf eleganten Beinen besteht, dazustellen.

Innovative Leuchten

Erstmals hatten dieses Jahr auch Leuchtenfirmen Zutritt zur Internationalen Möbelmesse in Köln. Alternierend zur Euroluce in Mailand, soll sie in Zukunft alle zwei Jahre stattfinden. Diese Erweiterung des Messeangebotes ist mitverantwortlich, dass dieses Jahr der bisherige Besucherrekord mit insgesamt rund 123 000 Besuchern deutlich übertroffen wurde. Sicher ist es hilfreich und praktisch, wenn man sich an derselben Veranstaltung über Trends im Möbeldesign wie auch im Leuchtenbereich informieren kann, die sich ja ergänzen sollten. Die Schweizer Leuchtenfirma Belux hatte mit ihrer Angebotspalette an verschiedenartigen Produkten einen der überzeugendsten Auftritte im Kölner Leuchten-Center. Der Leuchtenspezialist aus Wohlen versteht es, technologische Innovation und attraktives Design beispielhaft zu vereinen. Eine typische Belux-Neuentwicklung ist die Deckenschiene, mit der sich eine Pendelleuchte jeweils auf einer Länge von 80 cm horizontal verschieben lässt. Ein patentierter Mechanismus, der für den Anwender unsichtbar bleibt, sorgt für ein müheloses Gleiten des elektrischen Anschlusses. Mehrere Belux-Schienen lassen sich zu einer Einheit von beliebig vielen Elementen aneinanderfügen und erlauben so im Heim-, Office- oder Restaurantbereich eine neue, flexible Lichtorganisation.

Futuristisch mutet die Wand- und Deckenleuchte «Surve» an. Aus saturiertem Acrylglas in verschiedenen Farben gefertigt, ist sie eine edle und energiesparend ausgerüstete Neuinterpretation der verpönten Fluoreszenzleuchte. Die Pendelleuchte «Optic» von Martin Huwiler ist in ihrer Kombination von Technik und Form ebenso ein Novum: Sie besteht aus einer Präzisions-Fresnel-Linse mit einem Durchmesser von 45 cm, die lediglich von einem dünnen Seil getragen wird. Die Lichtquelle in Form einer blendfreien 100-Watt-Niedervoltlampe an der Decke durchleuchtet die unter ihr schwebende Linse, die das Licht, über einem Esstisch etwa, gleichmässig verteilt. Durch eine einfache Berührung des Seiles lässt sich die Lampe schalten und die Helligkeit stufenlos regulieren. Auch mit «Diogenes» von King Miranda lassen sich Beleuchtungsprobleme zu Hause spielend lösen, denn sie ist zugleich Steh- und Leseleuchte. Aus Aluminium gefertigt, enthält sie in ihrem «Kopf» sowohl eine 400-Watt-Halogenlampe für die Ausleuchtung des Raumes, wie auch eine 50-Watt-Niedervolt- Halogenlampe, die als beliebig richtbares Leselicht dient. Beide Lichtquellen sind unabhängig voneinander schaltbar. Ältere Modelle aktualisierte Belux blitzschnell: Die Arbeitsleuchte «Edisson» von Urs und Carmen Greutmann ist neu auch in transparenten Farben zu haben, die auf das Computer-Erfolgsmodell iMac abgestimmt sind.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.02.05

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