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21. März 2009Claus Käpplinger
zuschnitt

Lückenfüller mit Distanz

Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“...

Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“...

Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“ des neuen Bauweisen gegenüber wenig aufgeschlossenen Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Doch gerade dort haben nun zwei Architekten ostdeutscher Herkunft den Beweis angetreten, dass sehr wohl sein kann, was nicht sein darf, nämlich eine siebengeschossige Wohnbau-Holzkonstruktion im gründerzeitlichen Karree. Mit etwas Chuzpe und viel Intelligenz gelang es den Architekten Tom Kaden und Thomas Klingbeil, alle Bedenkenträger auszumanövrieren und einer Baugruppe ein auch räumlich bemerkenswertes Haus zu schaffen.

Den Anfang machte das Projekt „E3“ (für Esmarchstraße 3) von drei Bauinteressenten, die ihren Weg zu den Architekten fanden. Nach dem derzeit in Berlin sehr populären Modell der „Baugruppe“ – einer Bauherrengemeinschaft ohne Bauträger – wollten sie in der Gegend ein Holzhaus bauen, wo sie und die Architekten lebten, nämlich im Szenequartier Prenzlauer Berg. Gezielt wandten sie sich an Kaden Klingbeil, da diese schon viele Holzhäuser gebaut hatten, wenngleich nur an der Peripherie und im Umland Berlins. Eine Baulücke und drei weitere Parteien waren rasch gefunden für ein Hausbauprojekt, das den Blockrand bewusst nicht völlig schließt und jedem Passanten mit seinem abgesetzten Treppenturm ins Auge fällt.

Selbst nach der neuen Berliner Bauordnung von 2006, die fünfgeschossige Holzbauten erlaubt (zuvor nur drei!), dürfte es das Haus „E3“ eigentlich nicht geben. Doch schon früh suchten die Architekten den Kontakt mit der Feuerwehr und einmal mehr erwiesen sich dabei die Feuerpraktiker aufgeschlossener als die Baubehörden. Doch ihre Zustimmung allein reichte nicht, wie auch nicht die Unterstützung prominenter Politiker und der Medien.

Die Baubehörden bestanden weiterhin auf Besprinklerung und einen zweiten Rettungsweg, was höhere Kosten und weniger Wohnraum bedeutet hätte. Erst die Gutachten zweier externer Spezialisten, eines Prüfstatikers aus München und eines Brandprüfers aus Leipzig, ermöglichten den Bau mit dem Nachweis, dass die Holzkonstruktion in der Tat ein vergleichbares Sicherheitsniveau wie ein Haus in konventioneller Massivbauweise besitzt.
Was ist nun an der Esmarchstraße entstanden?

Ein recht pragmatisches Haus ohne jedwede Accessoires, dem man von außen nie und von innen kaum ansieht, dass es aus Holz gebaut ist. Verputzt ist es und gibt nur mit einem zarten Putzrelief zu erkennen, dass es sich um einen Holzskelettbau mit aussteifenden Massivholzwänden handelt, wobei auch seine drei, vermeintlich aleatorisch verteilten Fensterformate Hinweis auf die Dimensionierung seiner Konstruktion geben. Seine Stützen und Riegel bestehen aus Brettschichtholz, das aufgrund regional nicht vorhandenen Know-hows in Süddeutschland gefertigt wurde. Fast alle hölzernen Teile sind eingepackt in eine nicht brennbare Kapselung aus Gipsfaserplatten, um die normalerweise geltenden F90-Anforderungen durch die Kapselklasse K60 zu umgehen: Alle tragende Teile dürfen sich über mindestens 60 Minuten nicht entzünden. Einzig die Untersicht der weit spannenden Holzbetonverbunddecken blieb unverkleidet. Ausgeführt aus 16 Zentimeter starken Holzlamellen und einer darüber liegenden 10 cm dicken Betonschicht entsprechen die Decken der Feuerklasse F90. Über eigens entwickelte Knotenblech-Verbindungen ließen sie sich rasch und problemlos montieren, wie die mit Andreaskreuzen ausgesteiften Wandfüllungen ihre Aufgabe aufs Einfachste lösten.

Alle Etagenräume sind um zwei kompakte Versorgungskerne aus Beton organisiert, sodass ihr Raumfluss durch keine tragenden Innenwände gestört wird. Frei konnten hier die Eigentümer ihre Grundrisse für Wohnungen zwischen 120 und 150 m² wählen, deren Flächendifferenzen jeweils ganz unterschiedlich große Terrassenräume zu Straße und Treppenturm ergaben. Und zudem hatten die Eigentümer noch die freie Wahl, wieviel private Balkonfläche sie an der Hofseite des Hauses wünschten.

Doch der besondere räumliche Clou sind die völlig unerwarteten Terrassenräume und ihre Zwischenräume zum offenen Betontreppenhaus. Dieses nämlich platzierten die Architekten zur Straße hin entlang einer Brandwand als eine Art „soziale Plastik“. Aus dem Holzhaus ausgelagert wurden Treppe und Aufzug, die Etagenwohnungen sind über eingehängte Betonbrücken zugänglich. Damit wurde nicht nur die Variabilität der Grundrisse erhöht und den Wohnungen von drei Seiten Tageslicht verschafft, sondern auch ein höchst spannender sozialer Raum geschaffen, der so gar nicht ins Bild vom fest gefügten und verschlossenen steinernen Block passen will. Einen unverwechselbaren Zwischen-Raum für Stadt und Hausgemeinschaft schafften sich hier die Architekten, die sich noch während des Planungsprozesses entschieden, mit ihrem Büro ins Erdgeschoss einzuziehen.

Fast schon selbstredend handelt es sich auch um ein energetisch vorbildliches Haus, dessen Primärenergieaufwand für den Rohbau bei lediglich 30 Prozent einer traditionellen Massivkonstruktion lag. Mit hochwertiger Dämmung und Wärmeschutzverglasung ausgestattet und mit Fernwärme beheizt, liegt sein Energiebedarf weit unter 40 kWh/m2.

Überzeugende Zahlen und geschicktes Agieren haben den beiden in Dresden und Berlin-Weißensee ausgebildeten Architekten in kürzester Zeit ein öffentliches Renomee verschafft, sodass sie schon an einem weit größeren Holzhaus-Projekt in Berlin arbeiten, dessen Zwischenräume und Funktionsmischungen noch erstaunlicher ausfallen werden. An ihrem Projekt „E3“ bedauern sie nur, dass die sichtbaren Holzdecken aus Kostengründen nur in Fichte und nicht in Weißtanne ausgeführt werden konnten. Und der Kritiker kann allein bedauern, dass es nicht noch mehr solcher mutiger und strukturell gedachter Hausprojekte in Berlin gibt.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



verknüpfte Bauwerke
e3 Siebengeschossiges Wohnhaus



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zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

29. Januar 2003Claus Käpplinger
ORF.at

Beredter Monolith

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin steht für ein doppeltes historisches Trauma

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin steht für ein doppeltes historisches Trauma

Gegründet als eines der ersten Nazi-KZs, in dem u. a. auch der Bundeskanzler des von Deutschland „angeschlossenen“ Österreich einsaß, wurde es nach der Befreiung 1945 von den Sowjets als „Speziallager“ weitergenutzt.

Nach der schwierigen DDR-Periode holte ein rechtsradikaler Brandanschlag den Ort in das öffentliche Bewusstsein zurück. Das daraufhin erstellte neue didaktische Konzept der Anlage beinhaltet jetzt auch eine Gedenkstätte, die hermetische Geschlossenheit bei innerer Nutzungsfreiheit bietet.

Der Neubau eines Museums zum „Sowjetischen Speziallager 7/1“ ist Teil dieses neuen Konzeptes. Mit einem nahezu hermetischen Monolithen schufen die Frankfurter Architekten Till Schneider und Michael Schumacher einen faszinierend neuen Baukörper, der nun vor allem mit seinem Verschwinden die heutige Abwesenheit des Terrors vor Ort eindringlich vermittelt.


Rückkehr der Erinnerung

In erschreckender Kontinuität hatten die Sowjets in den ersten Nachkriegsjahren die Lager weiter genutzt, um nun dort alle ihre realen oder auch nur vermeintlichen Gegner zu internieren, von denen viele an Krankheiten oder Hunger starben. Viele Klischees der Propaganda des Kalten Krieges mussten dabei überwunden werden. Weder Nationalsozialisten noch Sozialdemokraten stellten so die Mehrheit der Internierten dar, sondern eigentlich unpolitische Bürger wie auch sowjetische Fremdarbeiter und Gefangene, die sich 1945 auf Reichsgebiet befanden. Zugleich musste aber auch vermieden werden, dass dieser Terror nun nicht einfach mit dem Holocaust gleichgesetzt wird.


Nahezu monolithisches Gedenken

Für diesen Prozess kommt dem Konzentrationslager Sachsenhausen eine besondere Bedeutung zu. Handelt es sich doch um eines der ersten Konzentrationslager der Nazis, das u.a. die prominentesten Gegner der Nazis aufnahm und von dem aus später das ganze System der Vernichtungslager gesteuert wurde. Grund genug es zur nationalen Gedenkstätte zu erheben, zumal sich der Ort Oranienburg, zu dem heute Sachsenhausen gehört, in der Nähe der neu-alten deutschen Hauptstadt Berlin befindet.

Entgegen der pompösen Memorialanlage aus kommunistischen Zeiten ist ihr Konzept jedoch heute dezidiert dezentral, das Information und Auseinandersetzung über viele über das Gelände verteilte Stationen bietet. Eigene, persönliche Wege sollen heute die Besucher wählen können, denen in historischen Gebäude wie auch Neubauten unterschiedliche Schwerpunktsetzungen geboten werden.

Einer dieser Schwerpunkte ist das neue Museum für das „Sowjetische Speziallager 7/1“ auf dem Gelände des früheren Prominenten-KZs, dessen Gebäude heute weitgehend verschwunden sind, wo u. a. Holzhäuser standen, die nach Bundeskanzler Kurt Schuschnigg als prominentestem österreichischen Häftling benannt waren.


Versenkter Neubau

Hier entschied sich die Gedenkstättenleitung für ein zweigeteiltes Konzept, das Informationen zum Prominenten-KZ in den wenigen erhaltenen Backsteinbaracken bietet und in einem Neubau die Geschichte des sowjetischen Lagers Sachsenhausen konzentriert.

Aus einem eingeladenen Wettbewerb gingen dabei 1998 die Frankfurter Architekten Schneider + Schumacher hervor, deren Entwurf ausgesprochen komplex die Vergangenheit des Ortes widerspiegelt.

So wählten sie als Ort ihres Quaders genau die Gelenkstelle zwischen Lager und dem externen Lagerfriedhof aus. Außerdem versenkten sie ihren Bau um knapp einen Meter unter das Bodenniveau, um nicht mit den niedrigen Bauhöhen des Bestands in Konkurrenz zu treten. Und sie gestalteten ihren Baukörper nahezu monolithisch geschlossen, der nur an drei seiner Ecken sparsame Öffnungen aufweist: zum Friedhof, zu den erhaltenen Baracken und nicht zuletzt zum Haupteingang des Lagers.


Innen und außen

Nur schwer wahrnehmbar sind von außen ebenso die Dimensionen des Quaders, der 2,8 m in der Höhe, 33 m in der Länge und 20 m in der Breite misst. Seltsam glatt und immateriell wirkt der Beton, der eigentlich nur als reine Geometrie oder Reflexionsfläche wahrgenommen werden kann. Von ganz anderer Art sind hingegen die Innenseiten der Stahlbetonfertigteile, die stark gesäuert eine betont haptisch-raue Oberfläche erhielten. Doch zuvor müssen sie den Orkus des Eingangs durchschreiten, der kaum Auskunft gibt, was sich hinter ihm befindet.

Dank einer geschickten Ausstellungsarchitektur von Stefan Haslbeck wurden die 700 Exponate in objektartigen Tischen konzentriert, die sich streng linear in die klare Geometrie des Gebäudes implantierten. Über das Schicksal von 60.000 Menschen geben sie Auskunft, von denen 12.000 an Hunger und Krankheiten starben.

Der Hermetik der äußeren Erscheinung folgt hier sehr persönliche Erfahrung, von den vielen Schicksalen, aber auch der Möglichkeit einer inneren Freiheit der Person oder eines Raumes, der zwar überaus klare Grenzen, doch nur schwer festlegbare Dimensionen besitzt.


Befreiende Eindringlichkeit

Multifunktional und nur mit einem Minimum an Raumdefinitionen und Details auskommend, ist erneut den Architekten Till Schneider und Michael Schumacher Erstaunliches gelungen. Sie, die etwa vor einem Jahrzehnt die freche rote Info-Box für den Potsdamer Platz bauten, haben hier an einem historisch schwer belasteten Ort ein Werk ernster wie ebenso befreiender Eindringlichkeit geschaffen.

Ein Werk aber auch, das kongenial an die wiederhergestellte, doch nicht restaurierte Brandbaracke der Architeken Braun+Vogt anknüpft, das ebenso zu den Ausstellungsstationen wie auch der bald beginnenden Landschaftstransformation von HG Merz auf dem KZ-Kerngelände passt und hoffentlich die Politiker dazu ermutigt, endlich Daniel Libeskinds Wettbewerbsprojekt „Hope Incision“ für das ehemalige SS-Truppenlager zu realisieren.


[Den ungekürzten Originalbeitrag von Claus Käpplinger finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

ORF.at, Mi., 2003.01.29



verknüpfte Bauwerke
Museum sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1

Presseschau 12

21. März 2009Claus Käpplinger
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Lückenfüller mit Distanz

Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“...

Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“...

Ein Siebengeschosser in Holzbauweise inmitten der Stadt? – Vor Jahren noch hätte dies niemand für möglich gehalten, insbesondere nicht im „steinernen Berlin“ des neuen Bauweisen gegenüber wenig aufgeschlossenen Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Doch gerade dort haben nun zwei Architekten ostdeutscher Herkunft den Beweis angetreten, dass sehr wohl sein kann, was nicht sein darf, nämlich eine siebengeschossige Wohnbau-Holzkonstruktion im gründerzeitlichen Karree. Mit etwas Chuzpe und viel Intelligenz gelang es den Architekten Tom Kaden und Thomas Klingbeil, alle Bedenkenträger auszumanövrieren und einer Baugruppe ein auch räumlich bemerkenswertes Haus zu schaffen.

Den Anfang machte das Projekt „E3“ (für Esmarchstraße 3) von drei Bauinteressenten, die ihren Weg zu den Architekten fanden. Nach dem derzeit in Berlin sehr populären Modell der „Baugruppe“ – einer Bauherrengemeinschaft ohne Bauträger – wollten sie in der Gegend ein Holzhaus bauen, wo sie und die Architekten lebten, nämlich im Szenequartier Prenzlauer Berg. Gezielt wandten sie sich an Kaden Klingbeil, da diese schon viele Holzhäuser gebaut hatten, wenngleich nur an der Peripherie und im Umland Berlins. Eine Baulücke und drei weitere Parteien waren rasch gefunden für ein Hausbauprojekt, das den Blockrand bewusst nicht völlig schließt und jedem Passanten mit seinem abgesetzten Treppenturm ins Auge fällt.

Selbst nach der neuen Berliner Bauordnung von 2006, die fünfgeschossige Holzbauten erlaubt (zuvor nur drei!), dürfte es das Haus „E3“ eigentlich nicht geben. Doch schon früh suchten die Architekten den Kontakt mit der Feuerwehr und einmal mehr erwiesen sich dabei die Feuerpraktiker aufgeschlossener als die Baubehörden. Doch ihre Zustimmung allein reichte nicht, wie auch nicht die Unterstützung prominenter Politiker und der Medien.

Die Baubehörden bestanden weiterhin auf Besprinklerung und einen zweiten Rettungsweg, was höhere Kosten und weniger Wohnraum bedeutet hätte. Erst die Gutachten zweier externer Spezialisten, eines Prüfstatikers aus München und eines Brandprüfers aus Leipzig, ermöglichten den Bau mit dem Nachweis, dass die Holzkonstruktion in der Tat ein vergleichbares Sicherheitsniveau wie ein Haus in konventioneller Massivbauweise besitzt.
Was ist nun an der Esmarchstraße entstanden?

Ein recht pragmatisches Haus ohne jedwede Accessoires, dem man von außen nie und von innen kaum ansieht, dass es aus Holz gebaut ist. Verputzt ist es und gibt nur mit einem zarten Putzrelief zu erkennen, dass es sich um einen Holzskelettbau mit aussteifenden Massivholzwänden handelt, wobei auch seine drei, vermeintlich aleatorisch verteilten Fensterformate Hinweis auf die Dimensionierung seiner Konstruktion geben. Seine Stützen und Riegel bestehen aus Brettschichtholz, das aufgrund regional nicht vorhandenen Know-hows in Süddeutschland gefertigt wurde. Fast alle hölzernen Teile sind eingepackt in eine nicht brennbare Kapselung aus Gipsfaserplatten, um die normalerweise geltenden F90-Anforderungen durch die Kapselklasse K60 zu umgehen: Alle tragende Teile dürfen sich über mindestens 60 Minuten nicht entzünden. Einzig die Untersicht der weit spannenden Holzbetonverbunddecken blieb unverkleidet. Ausgeführt aus 16 Zentimeter starken Holzlamellen und einer darüber liegenden 10 cm dicken Betonschicht entsprechen die Decken der Feuerklasse F90. Über eigens entwickelte Knotenblech-Verbindungen ließen sie sich rasch und problemlos montieren, wie die mit Andreaskreuzen ausgesteiften Wandfüllungen ihre Aufgabe aufs Einfachste lösten.

Alle Etagenräume sind um zwei kompakte Versorgungskerne aus Beton organisiert, sodass ihr Raumfluss durch keine tragenden Innenwände gestört wird. Frei konnten hier die Eigentümer ihre Grundrisse für Wohnungen zwischen 120 und 150 m² wählen, deren Flächendifferenzen jeweils ganz unterschiedlich große Terrassenräume zu Straße und Treppenturm ergaben. Und zudem hatten die Eigentümer noch die freie Wahl, wieviel private Balkonfläche sie an der Hofseite des Hauses wünschten.

Doch der besondere räumliche Clou sind die völlig unerwarteten Terrassenräume und ihre Zwischenräume zum offenen Betontreppenhaus. Dieses nämlich platzierten die Architekten zur Straße hin entlang einer Brandwand als eine Art „soziale Plastik“. Aus dem Holzhaus ausgelagert wurden Treppe und Aufzug, die Etagenwohnungen sind über eingehängte Betonbrücken zugänglich. Damit wurde nicht nur die Variabilität der Grundrisse erhöht und den Wohnungen von drei Seiten Tageslicht verschafft, sondern auch ein höchst spannender sozialer Raum geschaffen, der so gar nicht ins Bild vom fest gefügten und verschlossenen steinernen Block passen will. Einen unverwechselbaren Zwischen-Raum für Stadt und Hausgemeinschaft schafften sich hier die Architekten, die sich noch während des Planungsprozesses entschieden, mit ihrem Büro ins Erdgeschoss einzuziehen.

Fast schon selbstredend handelt es sich auch um ein energetisch vorbildliches Haus, dessen Primärenergieaufwand für den Rohbau bei lediglich 30 Prozent einer traditionellen Massivkonstruktion lag. Mit hochwertiger Dämmung und Wärmeschutzverglasung ausgestattet und mit Fernwärme beheizt, liegt sein Energiebedarf weit unter 40 kWh/m2.

Überzeugende Zahlen und geschicktes Agieren haben den beiden in Dresden und Berlin-Weißensee ausgebildeten Architekten in kürzester Zeit ein öffentliches Renomee verschafft, sodass sie schon an einem weit größeren Holzhaus-Projekt in Berlin arbeiten, dessen Zwischenräume und Funktionsmischungen noch erstaunlicher ausfallen werden. An ihrem Projekt „E3“ bedauern sie nur, dass die sichtbaren Holzdecken aus Kostengründen nur in Fichte und nicht in Weißtanne ausgeführt werden konnten. Und der Kritiker kann allein bedauern, dass es nicht noch mehr solcher mutiger und strukturell gedachter Hausprojekte in Berlin gibt.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



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e3 Siebengeschossiges Wohnhaus



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zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

29. Januar 2003Claus Käpplinger
ORF.at

Beredter Monolith

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin steht für ein doppeltes historisches Trauma

Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Berlin steht für ein doppeltes historisches Trauma

Gegründet als eines der ersten Nazi-KZs, in dem u. a. auch der Bundeskanzler des von Deutschland „angeschlossenen“ Österreich einsaß, wurde es nach der Befreiung 1945 von den Sowjets als „Speziallager“ weitergenutzt.

Nach der schwierigen DDR-Periode holte ein rechtsradikaler Brandanschlag den Ort in das öffentliche Bewusstsein zurück. Das daraufhin erstellte neue didaktische Konzept der Anlage beinhaltet jetzt auch eine Gedenkstätte, die hermetische Geschlossenheit bei innerer Nutzungsfreiheit bietet.

Der Neubau eines Museums zum „Sowjetischen Speziallager 7/1“ ist Teil dieses neuen Konzeptes. Mit einem nahezu hermetischen Monolithen schufen die Frankfurter Architekten Till Schneider und Michael Schumacher einen faszinierend neuen Baukörper, der nun vor allem mit seinem Verschwinden die heutige Abwesenheit des Terrors vor Ort eindringlich vermittelt.


Rückkehr der Erinnerung

In erschreckender Kontinuität hatten die Sowjets in den ersten Nachkriegsjahren die Lager weiter genutzt, um nun dort alle ihre realen oder auch nur vermeintlichen Gegner zu internieren, von denen viele an Krankheiten oder Hunger starben. Viele Klischees der Propaganda des Kalten Krieges mussten dabei überwunden werden. Weder Nationalsozialisten noch Sozialdemokraten stellten so die Mehrheit der Internierten dar, sondern eigentlich unpolitische Bürger wie auch sowjetische Fremdarbeiter und Gefangene, die sich 1945 auf Reichsgebiet befanden. Zugleich musste aber auch vermieden werden, dass dieser Terror nun nicht einfach mit dem Holocaust gleichgesetzt wird.


Nahezu monolithisches Gedenken

Für diesen Prozess kommt dem Konzentrationslager Sachsenhausen eine besondere Bedeutung zu. Handelt es sich doch um eines der ersten Konzentrationslager der Nazis, das u.a. die prominentesten Gegner der Nazis aufnahm und von dem aus später das ganze System der Vernichtungslager gesteuert wurde. Grund genug es zur nationalen Gedenkstätte zu erheben, zumal sich der Ort Oranienburg, zu dem heute Sachsenhausen gehört, in der Nähe der neu-alten deutschen Hauptstadt Berlin befindet.

Entgegen der pompösen Memorialanlage aus kommunistischen Zeiten ist ihr Konzept jedoch heute dezidiert dezentral, das Information und Auseinandersetzung über viele über das Gelände verteilte Stationen bietet. Eigene, persönliche Wege sollen heute die Besucher wählen können, denen in historischen Gebäude wie auch Neubauten unterschiedliche Schwerpunktsetzungen geboten werden.

Einer dieser Schwerpunkte ist das neue Museum für das „Sowjetische Speziallager 7/1“ auf dem Gelände des früheren Prominenten-KZs, dessen Gebäude heute weitgehend verschwunden sind, wo u. a. Holzhäuser standen, die nach Bundeskanzler Kurt Schuschnigg als prominentestem österreichischen Häftling benannt waren.


Versenkter Neubau

Hier entschied sich die Gedenkstättenleitung für ein zweigeteiltes Konzept, das Informationen zum Prominenten-KZ in den wenigen erhaltenen Backsteinbaracken bietet und in einem Neubau die Geschichte des sowjetischen Lagers Sachsenhausen konzentriert.

Aus einem eingeladenen Wettbewerb gingen dabei 1998 die Frankfurter Architekten Schneider + Schumacher hervor, deren Entwurf ausgesprochen komplex die Vergangenheit des Ortes widerspiegelt.

So wählten sie als Ort ihres Quaders genau die Gelenkstelle zwischen Lager und dem externen Lagerfriedhof aus. Außerdem versenkten sie ihren Bau um knapp einen Meter unter das Bodenniveau, um nicht mit den niedrigen Bauhöhen des Bestands in Konkurrenz zu treten. Und sie gestalteten ihren Baukörper nahezu monolithisch geschlossen, der nur an drei seiner Ecken sparsame Öffnungen aufweist: zum Friedhof, zu den erhaltenen Baracken und nicht zuletzt zum Haupteingang des Lagers.


Innen und außen

Nur schwer wahrnehmbar sind von außen ebenso die Dimensionen des Quaders, der 2,8 m in der Höhe, 33 m in der Länge und 20 m in der Breite misst. Seltsam glatt und immateriell wirkt der Beton, der eigentlich nur als reine Geometrie oder Reflexionsfläche wahrgenommen werden kann. Von ganz anderer Art sind hingegen die Innenseiten der Stahlbetonfertigteile, die stark gesäuert eine betont haptisch-raue Oberfläche erhielten. Doch zuvor müssen sie den Orkus des Eingangs durchschreiten, der kaum Auskunft gibt, was sich hinter ihm befindet.

Dank einer geschickten Ausstellungsarchitektur von Stefan Haslbeck wurden die 700 Exponate in objektartigen Tischen konzentriert, die sich streng linear in die klare Geometrie des Gebäudes implantierten. Über das Schicksal von 60.000 Menschen geben sie Auskunft, von denen 12.000 an Hunger und Krankheiten starben.

Der Hermetik der äußeren Erscheinung folgt hier sehr persönliche Erfahrung, von den vielen Schicksalen, aber auch der Möglichkeit einer inneren Freiheit der Person oder eines Raumes, der zwar überaus klare Grenzen, doch nur schwer festlegbare Dimensionen besitzt.


Befreiende Eindringlichkeit

Multifunktional und nur mit einem Minimum an Raumdefinitionen und Details auskommend, ist erneut den Architekten Till Schneider und Michael Schumacher Erstaunliches gelungen. Sie, die etwa vor einem Jahrzehnt die freche rote Info-Box für den Potsdamer Platz bauten, haben hier an einem historisch schwer belasteten Ort ein Werk ernster wie ebenso befreiender Eindringlichkeit geschaffen.

Ein Werk aber auch, das kongenial an die wiederhergestellte, doch nicht restaurierte Brandbaracke der Architeken Braun+Vogt anknüpft, das ebenso zu den Ausstellungsstationen wie auch der bald beginnenden Landschaftstransformation von HG Merz auf dem KZ-Kerngelände passt und hoffentlich die Politiker dazu ermutigt, endlich Daniel Libeskinds Wettbewerbsprojekt „Hope Incision“ für das ehemalige SS-Truppenlager zu realisieren.


[Den ungekürzten Originalbeitrag von Claus Käpplinger finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

ORF.at, Mi., 2003.01.29



verknüpfte Bauwerke
Museum sowjetisches Speziallager Nr. 7/Nr. 1

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