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Hörsaalwohnen

Nur Denkmäler, die genutzt werden, leben und überleben; doch der Denkmalstatus schreckt Bauherrenpläne in der Regel ab. Oft heißt dann der letzte Ausweg »Bewahren durch Entkernen«: Während der Bauherr im Innern maximale Freiheiten erhält, wird äußerlich die Kulisse eines historischen Gebäudes konserviert. Dass dieser oft problematische Kompromiss durchaus erfolgreich sein kann, beweist die Sanierung und Umnutzung eines Hörsaalgebäudes von 1956 in Erfurt zu einem Luxuswohn- und Geschäftshaus.

Nur Denkmäler, die genutzt werden, leben und überleben; doch der Denkmalstatus schreckt Bauherrenpläne in der Regel ab. Oft heißt dann der letzte Ausweg »Bewahren durch Entkernen«: Während der Bauherr im Innern maximale Freiheiten erhält, wird äußerlich die Kulisse eines historischen Gebäudes konserviert. Dass dieser oft problematische Kompromiss durchaus erfolgreich sein kann, beweist die Sanierung und Umnutzung eines Hörsaalgebäudes von 1956 in Erfurt zu einem Luxuswohn- und Geschäftshaus.

Ein Hörsaal als Wohnraum. Das klingt nach reichlich Platz und großzügigen Möglichkeiten; nach häuslicher Behaglichkeit, wo einst konzentrierte wissenschaftliche Lehre stattfand. Eine solche Umnutzung ist nicht unbedingt nahe liegend, umfassende Eingriffe scheinen unausweichlich. Brisant wird diese Idee, wenn es sich beim Bestandsbau um ein Denkmal handelt – wie beim Alten Hörsaal in der Erfurter Gorki-Straße, der von hks Architekten aus Erfurt umgebaut wurde.

Das würdevolle Baudenkmal im Stil der Nationalen Tradition der frühen DDR ist ein sachlich-schlichter und präzise in sein Umfeld eingesetzter urbaner Baustein. Seine rationale, offene Grundstruktur hat fraglos die Neunutzung und den Umbau begünstigt. Allerdings konfrontiert die Transformation zu einem Wohn- und Geschäftshaus historisch-semantische Gegebenheiten mit aktuellen nutzungstechnischen Belangen. Während etwa die historische Fassade weitgehend gewahrt wurde, entstanden im Innern Wohnungen und Gewerberäume, die kaum noch mit der äußeren Erscheinung korrespondieren. Hinter den hohen Fensterstreifen des massiven Hörsaalgebäudes verbergen sich jetzt etagierte Wohnungen und kleinteilige Praxisräume. Trotzdem herrscht allgemeine Zufriedenheit: Der Denkmalschutz kann ein gefährdetes Bestandsgebäude als gesichert zu den Akten legen – und mit dem Luxuswohnkonzept ist auch für eine angemessene Nutzung des Gebäudes gesorgt.

Unauffälliger Umbau

Die Umnutzung zum Wohn- und Geschäftshaus erkennt man erst beim Betreten des 2008 nach zehnmonatiger Bauzeit fertiggestellten Gebäudes oder bei einem Blick auf die Rückfassade. Während die großen Originaltreppenhäuser erhalten blieben, bekamen alle weiteren Bereiche neue Nutzungen und Zuschnitte. Vor allem der Hörsaal ist verschwunden. An seiner Stelle wurden Eigentumswohnungen über mehrere Etagen mit einer Größe von 225 m² bzw. 238 m² eingebaut, deren offene Grundrisse über integrierte Treppen und eingeschnittene Lufträume verbunden sind. Galerien ermöglichen spannende Durchblicke zwischen den Geschossen: dreidimensionales Wohnen. Die Zwischendecken mit den vertikalen Fenstern der Fassade abzustimmen, war nicht leicht – aber der frühere Hörsaal ermöglichte es, den neuen Wohnräumen eine Großzügigkeit zu geben, die beeindruckend ist. Die Decken konnten im Wesentlichen im bestehenden Stahlbetonskelett des Gebäudes verankert werden, so dass im Inneren keine zusätzlichen Tragstrukturen nötig wurden. Mit Rücksicht auf die bestehenden Fensterformate entstanden unterschiedliche Geschosshöhen, die das Raumerlebnis durchaus bereichern.

Beim Umbau des Hörsaals zum Wohnraum hat man generell hohe Standards angesetzt. Neben einem individuellen Zuschnitt der Räume wurde auf edle Materialien und inszenatorische Lichtakzente besonderer Wert gelegt. In den Wohnräumen mit den deckenhohen Fenstern kontrastiert eine puristisch-helle Farbgebung mit dunklen, edlen Parkettfussböden aus Räuchereiche. Behaglichkeit erzeugen auch die klimatischen Bedingungen: Flächenheizungen in den Fußböden und Wänden sorgen im Zusammenspiel mit der Betonkernaktivierung für eine gleichmäßige Temperaturabstrahlung. Jegliche Dämmung wurde im Hinblick auf den Fassadenerhalt innen angebracht.

Weniger großzügig sind im Vergleich zu den Eigentumswohnungen die medizinischen Praxen angelegt: die vorhandenen großen Volumen wurden einfach zugebaut. Hier wird deutlich, dass im Rahmen der ursprünglichen Gebäudestruktur weniger das Prinzip »Entkernung« als die Idee der »Verdichtung« und Flächenmaximierung maßgeblich war – den räumlichen Anforderungen der neuen Nutzer geschuldet. Da war nicht viel zu entfernen, vielmehr wurde zusätzlich eingebaut.

Den kräftigen Eingriffen im Innenraum steht die Beibehaltung des äußeren Erscheinungsbildes gegenüber. Schäden an der Fassade wurden bei der Sanierung glatt geputzt und so exponiert. Horizontal eingeschnittene Fensterbänder bilden allenfalls vorsichtige Gegenakzente; sie waren dem Denkmalamt ohne weiteres zu vermitteln. Die thematische Gegenüberstellung Alt-Neu äußert sich geometrisch: vertikal versus horizontal. Das gilt vor allem für die an der Hoffassade angebrachten Balkone, die am deutlichsten auf die neue Wohnnutzung verweisen. Spätestens hier wird die Innen-Außen-Korrespondenz aufgehoben: was einmal Hörsaal war (und im Übrigen noch danach aussieht), ist nun eine Stadtvilla. Hier offenbaren sich die semantischen Brüche, die mit solchen Umnutzungen einhergehen. Die Gebäude sind nicht mehr ehrlich oder aufrichtig.

Der Altbau

Entstanden war der Alte Hörsaal der ehemaligen Erfurter Frauenklinik und medizinischen Akademie – ein sogenanntes Lehrkrankenhaus – aus dem Geiste einer Sachlichkeit, die auch ideologisches Programm war. 1956 nach einem Entwurf von Adolf Lang vollendet, wurde das Gebäude als ein Zeichen der neuen (sozialistischen) Zeit und ihrer Werte verstanden, welches bewusst der mittelalterlichen Altstadt Erfurts wie auch der bourgeoisen Brühler Vorstadt entgegen gestellt wurde. Die optische Erscheinung des aufrechten Baukörpers mit seinen hoch aufstrebenden Fenstern wie auch sein ehemals geräumiger Innenraum (Platz für 165 Zuhörer) assoziiert eher einen Kirchenbau. Das Kalksteinrelief von Helmut Braun über dem Haupteingang entrollt eine ideologische Mustertapete zum Thema »Frauenheilkunde für das Volk«. Das war notwendige künstlerische Propaganda, um die Schlichtheit und Neutralität der Architektur, die sicherlich den baulichen Möglichkeiten ihrer Zeit geschuldet war, zu kompensieren.

Im Vorfeld der Sanierung wurde das Gebäude von Stadt und Land zur privaten Nutzung veräußert. In einem Bieterverfahren, an dem sich auch Initiatoren eines freikirchlichen Gemeindezentrums beteiligt hatten, siegte dann ein Konzept, das neben der Wahrung denkmalpflegerischer Interessen eine Flächenmaximierung vorsah. Dennoch stand wohl die wirtschaftliche Frage bei der öffentlichen Hand im Vordergrund. Eine gemeinschaftlich-öffentliche Nutzung wurde nicht unbedingt gesucht. Dabei war der Impuls der Architekten, die zugleich zur Eigentümergemeinschaft des Objekts gehören, hinsichtlich der künftigen Nutzung von vorn herein klar: Ziel war die Schaffung eines angemessenen Wohnraums für die eigene Familie.

Mit dem Entscheid zur Sanierung als Wohn- und Geschäftshaus wurde die historische Bedeutung des ehemals öffentlichen Gebäudes also bewusst zurückgenommen und zugunsten seiner Nutzbarkeit privatisiert. Die Privatisierung ehemals öffentlicher Baudenkmäler ist allgemein nicht unproblematisch. Wenn Architekten historische Gebäude, die einmal Gesellschaft und Öffentlichkeit prägten, zur schönen Verpackung reduzieren, stellt sich die Frage, inwieweit die Idee der öffentlichen Repräsentation eines gesellschaftlich-geschichtlichen Konsenses überhaupt noch erwünscht und möglich ist. Damit steht und fällt die Sinnfälligkeit eines Denkmalschutzes, der auf mehr abzielt als nur den Erhalt physischer Bausubstanz oder gar nur des äußeren Erscheinungsbildes von Gebäuden.

Ein Zukunftsmodell?

Der Verdienst der Planer und Bauherren steht außer Frage, für den prominenten Altbau eine probate neue Verwendung gefunden zu haben. Sie haben eine bauliche Lösung für die Nachnutzung und Revitalisierung des Gebäudes entwickelt, die für vergleichbare Fälle einen hohen Standard definiert. Der Kompromiss einer bestandsfreundlichen Sanierung bei gleichzeitiger zweckgemäßer Zergliederung im Innern wahrt die Interessen von Denkmalamt und Nutzern. Die Substanz wurde weitgehend bewahrt, während man beim Ausbau das opulente Raumangebot im Objekt kreativ zu nutzen verstand.

db, Di., 2010.05.11



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db 2010|05 Umnutzung

13. Januar 2010Jörg Rainer Noennig
db

Forschung im Kompaktformat

Die Idee des MP3-Formats auf den Entwurf eines Forschungsgebäudes angewendet - so ließe sich das Konzept für das Institut für Digitale Medientechnologie kurz beschreiben. Auf dem Uni-Campus Ilmenau ist ein solides, kompaktes und auf den zweiten Blick vielschichtiges Gebäude entstanden, das weit mehr als nur »Medienfassade« ist.

Die Idee des MP3-Formats auf den Entwurf eines Forschungsgebäudes angewendet - so ließe sich das Konzept für das Institut für Digitale Medientechnologie kurz beschreiben. Auf dem Uni-Campus Ilmenau ist ein solides, kompaktes und auf den zweiten Blick vielschichtiges Gebäude entstanden, das weit mehr als nur »Medienfassade« ist.

Vor ungefähr 30 Jahren entstand eine aufregende neue Wissenschaft, geradezu ein Hype – Multimedia. Bisher Unmögliches wurde Wirklichkeit: einander fremde Welten wie Hi-Fi und Fotografie, Telefon und Video, Unterhaltungsspiel und Computergrafik verschmolzen miteinander. »Interface Design« war das Schlagwort der Stunde. Dabei entstanden immer umfangreichere Datenstrukturen, deren Handhabbarkeit zur Herausforderung wurde. Das Problem der Datenkomprimierung war virulent. Ein Forschungsteam an der TU Ilmenau hatte schließlich die Zauberformel: MP3. Inzwischen kennt fast jeder das Format, mit dem sich umfangreiche Daten komprimieren, speichern und transportieren lassen. Solche Fortschritte haben die Medientechnologien längst als seriöse Wissenschaft etabliert und die ehemalige Randdisziplin zur wirtschaftlichen Triebkraft gemacht. Die Pionierphase ist vorüber; was einmal verrückt und »New Economy« war, ist heute arriviert und »Big Business«.

So erscheint es auch überaus konsequent, dass Volker Staab Architekten für das Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie in Ilmenau ein auf den ersten Blick konservatives Gebäude entworfen haben, das völlig ohne Hype auskommt. Der unaufdringliche Bau auf dem Campus der TU strahlt vor allem Zurückhaltung, Nüchternheit und Sachlichkeit aus. Die Gestaltung ist gründlich, aber nicht vordergründig. Das Gebäude ist kein schneller »optischer Erfolg«, es will keine Show-Architektur sein. Erst auf den zweiten Blick wird es attraktiv und beginnt seine architektonischen Qualitäten zu entfalten. Um sich dann in der Nahdistanz, im Detail, als wahres Schmuckstück zu erweisen.

Vielfalt und Reichtum aus der Nähe, Unauffälligkeit und Zurückhaltung aus der Distanz – auch der städtebauliche Auftritt des Gebäudes ordnet sich diesem Gedanken unter. Mit seinen zwei Geschossen ist der Bau relativ niedrig, ein Pavillon, der sich als kompakter Baustein ins Gefüge des sich rasch entwickelnden, jedoch noch locker gefügten Campus einordnet. Unauffälligkeit auch beim Zugang: Die beiden Eingänge befinden sich paradoxerweise mitten im Gebäude. Anstelle eines imposanten Foyers zur Straßenseite hin verbergen sich beim Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) die Eingänge in klösterlich wirkenden Innenhöfen, in die man durch zwei tunnelartige Durchgänge gelangt. Auch hier keine Show, keine unnötige Gestaltung. Die asketische Kargheit zeigt deutlich: Das ist kein bequemes Gebäude. Hier soll auf fokussierte wissenschaftliche Arbeit eingestimmt werden, hier ist Konzentration gefordert.

Konzentriert und kompakt

Konzentration und Kompaktheit: Das sind die Themen, die sich am Gebäude in immer neuen Variationen manifestieren. So ging es schon bei der Standortplanung um die Konzentration und »Defragmentierung« des bereits bestehenden, jedoch über verschiedene Orte in Ilmenau verstreuten Instituts. Der zentrale Neubau sollte die Arbeitsgruppen in solcher Weise zusammenfassen, dass intensiver Austausch und neue Kooperationen möglich werden: das Gebäude als Ideenverdichter.

Die bauliche Kompaktheit des Gebäudes ist wiederum eine symbolische Übersetzung des eigentlichen Forschungsthemas des IDMT. Die Komprimierung großer Datenmengen in praktische MP3-Formate wurde architektonisch gedacht: Es galt, für ein komplexes Raumprogramm eine adäquate bauliche Verdichtungsform zu finden – das Gebäude als Datenpaket. Auch in der konkreten Raumbildung erweist sich das Gebäude als hochverdichteter, wenn nicht gar labyrinthischer Ort. Mit der Dichte des Funktionsprogramms (Akustikstudios, Vortragssäle, Besprechungsräume, Labore, Büros u. a.) korrespondiert eine Dichte der räumlichen Zuschnitte und Durchwegungen. Hier war auf wenig Fläche viel Nutzung unterzubringen. Die ins Innere verlegten Eingänge bringen dabei klare Vorteile: man ist bereits mitten im Gebäude. Vom Doppelfoyer (öffentlich/nichtöffentlich) verteilen sich windmühlenartig die Erschließungen und mäandern um die Forschungsbereiche wie auch die vier Innenhöfe. Der kreuzförmig um die zentralen Akustik-Labore entwickelte Grundriss ist sicherlich nicht der übersichtlichste – eine Folge der Komprimierung. Die Raumfolgen und Wegeführungen wurden dennoch einfach lesbar gemacht, indem man die Korridore in Kommunikationszonen mit großen Außenfenstern auslaufen ließ bzw. den Schlüsselstellen im Gebäude auf pragmatische Weise »ein Gesicht verlieh«: In allen Gängen hängen inzwischen großformatige Porträtfotografien. Vor allem aber macht sich die Orientierung im Gebäude an den vier Innenhöfen fest. Der Blick in diese künstlichen Mikrolandschaften verankert einerseits die eigene Position im Gebäude, zum anderen erinnert er die Erforscher der medialen und virtuellen Räume an die natürliche Welt »da draußen«, selbst wenn diese sich hier in Form karger Meditationsräume präsentiert. Auch im Innenraum – zumindest in den öffentlichen Bereichen – herrscht asketische Aufgeräumtheit. Die Material- und Farbpalette wurde auf ein Minimum beschränkt: Zurückhaltung, Homogenität und Einheitlichkeit bestimmen das Ambiente. In der dreiwertigen Farbskala (Schwarzbraun, Beige, Eloxal) treten wichtige Blickpunkte in dunklem Erscheinungsbild hervor, z. B. die optisch auf Deckenhöhe gestreckten Türen. Im Kontrast zu den gediegenen Foyer- und Gangbereichen präsentieren sich die eigentlichen Büro- und Laborarbeitsplätze robuster. Sie müssen dem gesunden Chaos widerstehen, das die meist jungen Forscher auf ihren Schreibtischen entfachen. Hier stapeln sich zwischen Computern und Handbüchern vor allem Musikgeräte: E-Pianos, Kopfhörer, Mikrofone oder Mischpulte. Die Informatiker und Elektroniker, die hier ohne feste Arbeitszeiten forschen und bei der Arbeit im Büro laute Rockmusik hören, sind ohne Zweifel musikbegeisterte »Geeks«. Sie sind mit Spaß bei der Sache – das ist ihre Welt, keine trockene Wissenschaft.

Oberfläche und Tiefe

Das Ilmenauer IDMT ist eine hermetische Erscheinung, aber dennoch keine Black Box. Vor allem die ambivalente Außenhülle erlaubt Aufschlüsse – wenn auch subtile – über das Ungewöhnliche, das im Inneren vorgeht. Materialwahl, Fassadenteilung und Fugenbildung verdeutlichen: es geht um Schnittstellen, komplexe Anpassungen und Fügungen unterschiedlicher Technologien und »Rohstoffe«. Die Arbeit der Medientechniker wird hier kongenial als architektonisches Interfacedesign auf die Fassade gebracht. Mit seiner warmtönigen Materialität erzeugt das Puzzle aus kleinformatigen GFK-Paneelen einen frischen Kontrast zu den notorischen Glas-Stahl- oder Dämmputz-Fassaden, mit denen andere Institutsbauten die Universitätsgelände überhäufen. Den Fugengestaltungen und Eckausbildungen ist anzusehen, dass viel Aufmerksamkeit in die Gebäudehülle geflossen ist. Sie ist wohl das, was man allgemein als »Architektenfassade« bezeichnet: etwas selbstreferentiell, sperrig und widerspenstig. Sie besitzt eine Hintergründigkeit, deren Ordnungen und Ideen sich nicht auf Anhieb erschließen. Der zweite Blick jedoch belohnt den Betrachter. Vor allem in der Nahdistanz erschließt sich eine Vielfalt von Ideen, die in dieser baulichen Haut angelegt sind.

Zum einen sollte eine perfekte Oberfläche entstehen; im Zeitalter hochgepixelter Bilderwelten, von »High-fidelity« und »High-definition« wird der glanzvolle visuelle Auftritt immer mehr zur Notwendigkeit. Wie nur wenige andere Bauaufgaben bot sich das IDMT zur Verwirklichung des alten Architektentraumes von der glatten, superflachen Fassade an. Die sich dieser Wunschvorstellung üblicherweise widersetzende Fenestrierung (Profile, Öffnungsflügel, Sonnnenschutzlamellen) haben die Architekten und ihre Fassadenfirma elegant und einfach gelöst. Während die eigentlichen Fenster in der Wandleibung verschwinden, werden sie außen durch Prallscheiben oberflächenbündig abgedeckt, die oben und unten geöffnet sind. Während auf diese Weise die manuelle Bürolüftung wie auch der Schallschutz zur Straße hin abgesichert sind, konnte ein außen liegender Sonnenschutz untergebracht werden, dessen Lamellen dennoch in der Fassade verschwinden und so vor mechanischer Beanspruchung geschützt sind. Das Strich- code-Stakkato der Fensterreihen (ein stets nahe liegendes Thema, wenn Assoziationen zur digitalen Welt hergestellt werden sollen) erweist sich nicht als geometrischer Formalismus, sondern reflektiert die Anordnung der Arbeitsplätze im Inneren des Gebäudes. Am Rhythmus und der Größe der Öffnungen zeichnen sich die Gebäudefunktionen eindeutig ab: Büroarbeitsplätze (Schlitze), Kommunikationszonen und Pausenbereiche (große Fenster), Eingänge und Foyers (voluminöse Aussparungen). Alle Öffnungen wie auch alle Fassadenpaneele sind mit eloxierten Aluminium-Rahmen eingefasst, die als ebenso flache wie schmale »Zierleisten« das Patchwork der Fassadenpaneele mit den Fenstern vernähen. Hier entsteht eine komplexe Ordnung in der Fläche, die auf unerwartete Weise handwerklich, filigran und präzise ist. Dieser Oberfläche war zudem eine erlebbare Tiefe zu verleihen. Denn zumindest für die Forscher und Wissenschaftler verbirgt sich hinter der scheinbaren Untiefe der digitalen Medien und ihrer Bilderschirmoberflächlichkeit eine Vielzahl komplexer Tiefenstrukturen.

Eine erste Ordnung der Tiefe erzeugen am Baukörper die großen ausgesparten Volumina der Eingänge und Innenhöfe. Sie transformieren den schlichten Pavillon-Kubus in eine Großskulptur, die mit Zwischenschichten und Übergangsbereichen schrittweise vom Außenraum ins Gebäudeinnere vermittelt. Vor allem aber sind es die eigenartig changierenden, je nach Lichteinfall anders erscheinenden GFK-Paneele der Außenfassade, die mit ihrer eigenartigen Färbung und Transluzenz wie auch mit dem feingliedrigen, »gewobenen« Fugenbild eine Ahnung von Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität suggerieren, wie sie nur wenigen Gebäudehüllen glückt. Bei aller Künstlichkeit erscheint diese Fassade belebt und natürlich, sie »atmet«.

Schlichtes Juwel

Das Gebäude verweigert sich – trotz seiner thematischen Widmung – demonstrativem Hightech. Die tatsächlichen technischen Raffinessen spielen sich im Verborgenen ab: Die hochtechnisierten, schalltoten Räume, die eigentlichen Fokuspunkte des Instituts, liegen in der Mitte des Gebäudes und reichen teilweise über drei Geschosse bis in den Keller. Noch tiefer führt das aufwendige Niedrig-Temperatur-Heizsystem, welches das Gebäude über Erdsonden versorgt. Die als Pilotprojekt geförderte Anlage war die wohl einzige Position im Gebäude überhaupt, für die ein großzügiges Budget bereitstand. Insgesamt war in nur kurzer Projektlaufzeit (2006-08) ein Gebäude zu realisieren, dessen hohe Ausstattungskosten extrem reduzierte Baukosten erzwangen – umso erstaunlicher ist daher der solide, teilweise edle Eindruck, den das Gebäude hervorzurufen vermag.

Insgesamt wird diese Gediegenheit geschickt ausbalanciert: unkonventionelle und einfache Materialien, kluge und einfache Detail-Lösungen sowie ein hohes Maß an formaler Abstraktion erzeugen eine Atmosphäre, die dezent und nüchtern ist. Der Entwicklungsgeschwindigkeit und Kurzlebigkeit der Medientechnologien wird eine Atmosphäre der Wertigkeit, Ruhe und Sachlichkeit gegenüber gestellt, die immer mehr auch von dieser Disziplin selbst eingefordert wird. Es wurde ein angenehm unaufgeregtes Gebäude geschaffen, das Hochtechnologie mit sensibler Handwerklichkeit gekonnt zusammenführt, die Handwerklichkeit eines Juweliers, der selbst mit schlichten Materialien präzise umzugehen und zu gestalten weiß.

db, Mi., 2010.01.13



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db 2010|01 Forschen

Presseschau 12

Hörsaalwohnen

Nur Denkmäler, die genutzt werden, leben und überleben; doch der Denkmalstatus schreckt Bauherrenpläne in der Regel ab. Oft heißt dann der letzte Ausweg »Bewahren durch Entkernen«: Während der Bauherr im Innern maximale Freiheiten erhält, wird äußerlich die Kulisse eines historischen Gebäudes konserviert. Dass dieser oft problematische Kompromiss durchaus erfolgreich sein kann, beweist die Sanierung und Umnutzung eines Hörsaalgebäudes von 1956 in Erfurt zu einem Luxuswohn- und Geschäftshaus.

Nur Denkmäler, die genutzt werden, leben und überleben; doch der Denkmalstatus schreckt Bauherrenpläne in der Regel ab. Oft heißt dann der letzte Ausweg »Bewahren durch Entkernen«: Während der Bauherr im Innern maximale Freiheiten erhält, wird äußerlich die Kulisse eines historischen Gebäudes konserviert. Dass dieser oft problematische Kompromiss durchaus erfolgreich sein kann, beweist die Sanierung und Umnutzung eines Hörsaalgebäudes von 1956 in Erfurt zu einem Luxuswohn- und Geschäftshaus.

Ein Hörsaal als Wohnraum. Das klingt nach reichlich Platz und großzügigen Möglichkeiten; nach häuslicher Behaglichkeit, wo einst konzentrierte wissenschaftliche Lehre stattfand. Eine solche Umnutzung ist nicht unbedingt nahe liegend, umfassende Eingriffe scheinen unausweichlich. Brisant wird diese Idee, wenn es sich beim Bestandsbau um ein Denkmal handelt – wie beim Alten Hörsaal in der Erfurter Gorki-Straße, der von hks Architekten aus Erfurt umgebaut wurde.

Das würdevolle Baudenkmal im Stil der Nationalen Tradition der frühen DDR ist ein sachlich-schlichter und präzise in sein Umfeld eingesetzter urbaner Baustein. Seine rationale, offene Grundstruktur hat fraglos die Neunutzung und den Umbau begünstigt. Allerdings konfrontiert die Transformation zu einem Wohn- und Geschäftshaus historisch-semantische Gegebenheiten mit aktuellen nutzungstechnischen Belangen. Während etwa die historische Fassade weitgehend gewahrt wurde, entstanden im Innern Wohnungen und Gewerberäume, die kaum noch mit der äußeren Erscheinung korrespondieren. Hinter den hohen Fensterstreifen des massiven Hörsaalgebäudes verbergen sich jetzt etagierte Wohnungen und kleinteilige Praxisräume. Trotzdem herrscht allgemeine Zufriedenheit: Der Denkmalschutz kann ein gefährdetes Bestandsgebäude als gesichert zu den Akten legen – und mit dem Luxuswohnkonzept ist auch für eine angemessene Nutzung des Gebäudes gesorgt.

Unauffälliger Umbau

Die Umnutzung zum Wohn- und Geschäftshaus erkennt man erst beim Betreten des 2008 nach zehnmonatiger Bauzeit fertiggestellten Gebäudes oder bei einem Blick auf die Rückfassade. Während die großen Originaltreppenhäuser erhalten blieben, bekamen alle weiteren Bereiche neue Nutzungen und Zuschnitte. Vor allem der Hörsaal ist verschwunden. An seiner Stelle wurden Eigentumswohnungen über mehrere Etagen mit einer Größe von 225 m² bzw. 238 m² eingebaut, deren offene Grundrisse über integrierte Treppen und eingeschnittene Lufträume verbunden sind. Galerien ermöglichen spannende Durchblicke zwischen den Geschossen: dreidimensionales Wohnen. Die Zwischendecken mit den vertikalen Fenstern der Fassade abzustimmen, war nicht leicht – aber der frühere Hörsaal ermöglichte es, den neuen Wohnräumen eine Großzügigkeit zu geben, die beeindruckend ist. Die Decken konnten im Wesentlichen im bestehenden Stahlbetonskelett des Gebäudes verankert werden, so dass im Inneren keine zusätzlichen Tragstrukturen nötig wurden. Mit Rücksicht auf die bestehenden Fensterformate entstanden unterschiedliche Geschosshöhen, die das Raumerlebnis durchaus bereichern.

Beim Umbau des Hörsaals zum Wohnraum hat man generell hohe Standards angesetzt. Neben einem individuellen Zuschnitt der Räume wurde auf edle Materialien und inszenatorische Lichtakzente besonderer Wert gelegt. In den Wohnräumen mit den deckenhohen Fenstern kontrastiert eine puristisch-helle Farbgebung mit dunklen, edlen Parkettfussböden aus Räuchereiche. Behaglichkeit erzeugen auch die klimatischen Bedingungen: Flächenheizungen in den Fußböden und Wänden sorgen im Zusammenspiel mit der Betonkernaktivierung für eine gleichmäßige Temperaturabstrahlung. Jegliche Dämmung wurde im Hinblick auf den Fassadenerhalt innen angebracht.

Weniger großzügig sind im Vergleich zu den Eigentumswohnungen die medizinischen Praxen angelegt: die vorhandenen großen Volumen wurden einfach zugebaut. Hier wird deutlich, dass im Rahmen der ursprünglichen Gebäudestruktur weniger das Prinzip »Entkernung« als die Idee der »Verdichtung« und Flächenmaximierung maßgeblich war – den räumlichen Anforderungen der neuen Nutzer geschuldet. Da war nicht viel zu entfernen, vielmehr wurde zusätzlich eingebaut.

Den kräftigen Eingriffen im Innenraum steht die Beibehaltung des äußeren Erscheinungsbildes gegenüber. Schäden an der Fassade wurden bei der Sanierung glatt geputzt und so exponiert. Horizontal eingeschnittene Fensterbänder bilden allenfalls vorsichtige Gegenakzente; sie waren dem Denkmalamt ohne weiteres zu vermitteln. Die thematische Gegenüberstellung Alt-Neu äußert sich geometrisch: vertikal versus horizontal. Das gilt vor allem für die an der Hoffassade angebrachten Balkone, die am deutlichsten auf die neue Wohnnutzung verweisen. Spätestens hier wird die Innen-Außen-Korrespondenz aufgehoben: was einmal Hörsaal war (und im Übrigen noch danach aussieht), ist nun eine Stadtvilla. Hier offenbaren sich die semantischen Brüche, die mit solchen Umnutzungen einhergehen. Die Gebäude sind nicht mehr ehrlich oder aufrichtig.

Der Altbau

Entstanden war der Alte Hörsaal der ehemaligen Erfurter Frauenklinik und medizinischen Akademie – ein sogenanntes Lehrkrankenhaus – aus dem Geiste einer Sachlichkeit, die auch ideologisches Programm war. 1956 nach einem Entwurf von Adolf Lang vollendet, wurde das Gebäude als ein Zeichen der neuen (sozialistischen) Zeit und ihrer Werte verstanden, welches bewusst der mittelalterlichen Altstadt Erfurts wie auch der bourgeoisen Brühler Vorstadt entgegen gestellt wurde. Die optische Erscheinung des aufrechten Baukörpers mit seinen hoch aufstrebenden Fenstern wie auch sein ehemals geräumiger Innenraum (Platz für 165 Zuhörer) assoziiert eher einen Kirchenbau. Das Kalksteinrelief von Helmut Braun über dem Haupteingang entrollt eine ideologische Mustertapete zum Thema »Frauenheilkunde für das Volk«. Das war notwendige künstlerische Propaganda, um die Schlichtheit und Neutralität der Architektur, die sicherlich den baulichen Möglichkeiten ihrer Zeit geschuldet war, zu kompensieren.

Im Vorfeld der Sanierung wurde das Gebäude von Stadt und Land zur privaten Nutzung veräußert. In einem Bieterverfahren, an dem sich auch Initiatoren eines freikirchlichen Gemeindezentrums beteiligt hatten, siegte dann ein Konzept, das neben der Wahrung denkmalpflegerischer Interessen eine Flächenmaximierung vorsah. Dennoch stand wohl die wirtschaftliche Frage bei der öffentlichen Hand im Vordergrund. Eine gemeinschaftlich-öffentliche Nutzung wurde nicht unbedingt gesucht. Dabei war der Impuls der Architekten, die zugleich zur Eigentümergemeinschaft des Objekts gehören, hinsichtlich der künftigen Nutzung von vorn herein klar: Ziel war die Schaffung eines angemessenen Wohnraums für die eigene Familie.

Mit dem Entscheid zur Sanierung als Wohn- und Geschäftshaus wurde die historische Bedeutung des ehemals öffentlichen Gebäudes also bewusst zurückgenommen und zugunsten seiner Nutzbarkeit privatisiert. Die Privatisierung ehemals öffentlicher Baudenkmäler ist allgemein nicht unproblematisch. Wenn Architekten historische Gebäude, die einmal Gesellschaft und Öffentlichkeit prägten, zur schönen Verpackung reduzieren, stellt sich die Frage, inwieweit die Idee der öffentlichen Repräsentation eines gesellschaftlich-geschichtlichen Konsenses überhaupt noch erwünscht und möglich ist. Damit steht und fällt die Sinnfälligkeit eines Denkmalschutzes, der auf mehr abzielt als nur den Erhalt physischer Bausubstanz oder gar nur des äußeren Erscheinungsbildes von Gebäuden.

Ein Zukunftsmodell?

Der Verdienst der Planer und Bauherren steht außer Frage, für den prominenten Altbau eine probate neue Verwendung gefunden zu haben. Sie haben eine bauliche Lösung für die Nachnutzung und Revitalisierung des Gebäudes entwickelt, die für vergleichbare Fälle einen hohen Standard definiert. Der Kompromiss einer bestandsfreundlichen Sanierung bei gleichzeitiger zweckgemäßer Zergliederung im Innern wahrt die Interessen von Denkmalamt und Nutzern. Die Substanz wurde weitgehend bewahrt, während man beim Ausbau das opulente Raumangebot im Objekt kreativ zu nutzen verstand.

db, Di., 2010.05.11



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db 2010|05 Umnutzung

13. Januar 2010Jörg Rainer Noennig
db

Forschung im Kompaktformat

Die Idee des MP3-Formats auf den Entwurf eines Forschungsgebäudes angewendet - so ließe sich das Konzept für das Institut für Digitale Medientechnologie kurz beschreiben. Auf dem Uni-Campus Ilmenau ist ein solides, kompaktes und auf den zweiten Blick vielschichtiges Gebäude entstanden, das weit mehr als nur »Medienfassade« ist.

Die Idee des MP3-Formats auf den Entwurf eines Forschungsgebäudes angewendet - so ließe sich das Konzept für das Institut für Digitale Medientechnologie kurz beschreiben. Auf dem Uni-Campus Ilmenau ist ein solides, kompaktes und auf den zweiten Blick vielschichtiges Gebäude entstanden, das weit mehr als nur »Medienfassade« ist.

Vor ungefähr 30 Jahren entstand eine aufregende neue Wissenschaft, geradezu ein Hype – Multimedia. Bisher Unmögliches wurde Wirklichkeit: einander fremde Welten wie Hi-Fi und Fotografie, Telefon und Video, Unterhaltungsspiel und Computergrafik verschmolzen miteinander. »Interface Design« war das Schlagwort der Stunde. Dabei entstanden immer umfangreichere Datenstrukturen, deren Handhabbarkeit zur Herausforderung wurde. Das Problem der Datenkomprimierung war virulent. Ein Forschungsteam an der TU Ilmenau hatte schließlich die Zauberformel: MP3. Inzwischen kennt fast jeder das Format, mit dem sich umfangreiche Daten komprimieren, speichern und transportieren lassen. Solche Fortschritte haben die Medientechnologien längst als seriöse Wissenschaft etabliert und die ehemalige Randdisziplin zur wirtschaftlichen Triebkraft gemacht. Die Pionierphase ist vorüber; was einmal verrückt und »New Economy« war, ist heute arriviert und »Big Business«.

So erscheint es auch überaus konsequent, dass Volker Staab Architekten für das Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie in Ilmenau ein auf den ersten Blick konservatives Gebäude entworfen haben, das völlig ohne Hype auskommt. Der unaufdringliche Bau auf dem Campus der TU strahlt vor allem Zurückhaltung, Nüchternheit und Sachlichkeit aus. Die Gestaltung ist gründlich, aber nicht vordergründig. Das Gebäude ist kein schneller »optischer Erfolg«, es will keine Show-Architektur sein. Erst auf den zweiten Blick wird es attraktiv und beginnt seine architektonischen Qualitäten zu entfalten. Um sich dann in der Nahdistanz, im Detail, als wahres Schmuckstück zu erweisen.

Vielfalt und Reichtum aus der Nähe, Unauffälligkeit und Zurückhaltung aus der Distanz – auch der städtebauliche Auftritt des Gebäudes ordnet sich diesem Gedanken unter. Mit seinen zwei Geschossen ist der Bau relativ niedrig, ein Pavillon, der sich als kompakter Baustein ins Gefüge des sich rasch entwickelnden, jedoch noch locker gefügten Campus einordnet. Unauffälligkeit auch beim Zugang: Die beiden Eingänge befinden sich paradoxerweise mitten im Gebäude. Anstelle eines imposanten Foyers zur Straßenseite hin verbergen sich beim Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) die Eingänge in klösterlich wirkenden Innenhöfen, in die man durch zwei tunnelartige Durchgänge gelangt. Auch hier keine Show, keine unnötige Gestaltung. Die asketische Kargheit zeigt deutlich: Das ist kein bequemes Gebäude. Hier soll auf fokussierte wissenschaftliche Arbeit eingestimmt werden, hier ist Konzentration gefordert.

Konzentriert und kompakt

Konzentration und Kompaktheit: Das sind die Themen, die sich am Gebäude in immer neuen Variationen manifestieren. So ging es schon bei der Standortplanung um die Konzentration und »Defragmentierung« des bereits bestehenden, jedoch über verschiedene Orte in Ilmenau verstreuten Instituts. Der zentrale Neubau sollte die Arbeitsgruppen in solcher Weise zusammenfassen, dass intensiver Austausch und neue Kooperationen möglich werden: das Gebäude als Ideenverdichter.

Die bauliche Kompaktheit des Gebäudes ist wiederum eine symbolische Übersetzung des eigentlichen Forschungsthemas des IDMT. Die Komprimierung großer Datenmengen in praktische MP3-Formate wurde architektonisch gedacht: Es galt, für ein komplexes Raumprogramm eine adäquate bauliche Verdichtungsform zu finden – das Gebäude als Datenpaket. Auch in der konkreten Raumbildung erweist sich das Gebäude als hochverdichteter, wenn nicht gar labyrinthischer Ort. Mit der Dichte des Funktionsprogramms (Akustikstudios, Vortragssäle, Besprechungsräume, Labore, Büros u. a.) korrespondiert eine Dichte der räumlichen Zuschnitte und Durchwegungen. Hier war auf wenig Fläche viel Nutzung unterzubringen. Die ins Innere verlegten Eingänge bringen dabei klare Vorteile: man ist bereits mitten im Gebäude. Vom Doppelfoyer (öffentlich/nichtöffentlich) verteilen sich windmühlenartig die Erschließungen und mäandern um die Forschungsbereiche wie auch die vier Innenhöfe. Der kreuzförmig um die zentralen Akustik-Labore entwickelte Grundriss ist sicherlich nicht der übersichtlichste – eine Folge der Komprimierung. Die Raumfolgen und Wegeführungen wurden dennoch einfach lesbar gemacht, indem man die Korridore in Kommunikationszonen mit großen Außenfenstern auslaufen ließ bzw. den Schlüsselstellen im Gebäude auf pragmatische Weise »ein Gesicht verlieh«: In allen Gängen hängen inzwischen großformatige Porträtfotografien. Vor allem aber macht sich die Orientierung im Gebäude an den vier Innenhöfen fest. Der Blick in diese künstlichen Mikrolandschaften verankert einerseits die eigene Position im Gebäude, zum anderen erinnert er die Erforscher der medialen und virtuellen Räume an die natürliche Welt »da draußen«, selbst wenn diese sich hier in Form karger Meditationsräume präsentiert. Auch im Innenraum – zumindest in den öffentlichen Bereichen – herrscht asketische Aufgeräumtheit. Die Material- und Farbpalette wurde auf ein Minimum beschränkt: Zurückhaltung, Homogenität und Einheitlichkeit bestimmen das Ambiente. In der dreiwertigen Farbskala (Schwarzbraun, Beige, Eloxal) treten wichtige Blickpunkte in dunklem Erscheinungsbild hervor, z. B. die optisch auf Deckenhöhe gestreckten Türen. Im Kontrast zu den gediegenen Foyer- und Gangbereichen präsentieren sich die eigentlichen Büro- und Laborarbeitsplätze robuster. Sie müssen dem gesunden Chaos widerstehen, das die meist jungen Forscher auf ihren Schreibtischen entfachen. Hier stapeln sich zwischen Computern und Handbüchern vor allem Musikgeräte: E-Pianos, Kopfhörer, Mikrofone oder Mischpulte. Die Informatiker und Elektroniker, die hier ohne feste Arbeitszeiten forschen und bei der Arbeit im Büro laute Rockmusik hören, sind ohne Zweifel musikbegeisterte »Geeks«. Sie sind mit Spaß bei der Sache – das ist ihre Welt, keine trockene Wissenschaft.

Oberfläche und Tiefe

Das Ilmenauer IDMT ist eine hermetische Erscheinung, aber dennoch keine Black Box. Vor allem die ambivalente Außenhülle erlaubt Aufschlüsse – wenn auch subtile – über das Ungewöhnliche, das im Inneren vorgeht. Materialwahl, Fassadenteilung und Fugenbildung verdeutlichen: es geht um Schnittstellen, komplexe Anpassungen und Fügungen unterschiedlicher Technologien und »Rohstoffe«. Die Arbeit der Medientechniker wird hier kongenial als architektonisches Interfacedesign auf die Fassade gebracht. Mit seiner warmtönigen Materialität erzeugt das Puzzle aus kleinformatigen GFK-Paneelen einen frischen Kontrast zu den notorischen Glas-Stahl- oder Dämmputz-Fassaden, mit denen andere Institutsbauten die Universitätsgelände überhäufen. Den Fugengestaltungen und Eckausbildungen ist anzusehen, dass viel Aufmerksamkeit in die Gebäudehülle geflossen ist. Sie ist wohl das, was man allgemein als »Architektenfassade« bezeichnet: etwas selbstreferentiell, sperrig und widerspenstig. Sie besitzt eine Hintergründigkeit, deren Ordnungen und Ideen sich nicht auf Anhieb erschließen. Der zweite Blick jedoch belohnt den Betrachter. Vor allem in der Nahdistanz erschließt sich eine Vielfalt von Ideen, die in dieser baulichen Haut angelegt sind.

Zum einen sollte eine perfekte Oberfläche entstehen; im Zeitalter hochgepixelter Bilderwelten, von »High-fidelity« und »High-definition« wird der glanzvolle visuelle Auftritt immer mehr zur Notwendigkeit. Wie nur wenige andere Bauaufgaben bot sich das IDMT zur Verwirklichung des alten Architektentraumes von der glatten, superflachen Fassade an. Die sich dieser Wunschvorstellung üblicherweise widersetzende Fenestrierung (Profile, Öffnungsflügel, Sonnnenschutzlamellen) haben die Architekten und ihre Fassadenfirma elegant und einfach gelöst. Während die eigentlichen Fenster in der Wandleibung verschwinden, werden sie außen durch Prallscheiben oberflächenbündig abgedeckt, die oben und unten geöffnet sind. Während auf diese Weise die manuelle Bürolüftung wie auch der Schallschutz zur Straße hin abgesichert sind, konnte ein außen liegender Sonnenschutz untergebracht werden, dessen Lamellen dennoch in der Fassade verschwinden und so vor mechanischer Beanspruchung geschützt sind. Das Strich- code-Stakkato der Fensterreihen (ein stets nahe liegendes Thema, wenn Assoziationen zur digitalen Welt hergestellt werden sollen) erweist sich nicht als geometrischer Formalismus, sondern reflektiert die Anordnung der Arbeitsplätze im Inneren des Gebäudes. Am Rhythmus und der Größe der Öffnungen zeichnen sich die Gebäudefunktionen eindeutig ab: Büroarbeitsplätze (Schlitze), Kommunikationszonen und Pausenbereiche (große Fenster), Eingänge und Foyers (voluminöse Aussparungen). Alle Öffnungen wie auch alle Fassadenpaneele sind mit eloxierten Aluminium-Rahmen eingefasst, die als ebenso flache wie schmale »Zierleisten« das Patchwork der Fassadenpaneele mit den Fenstern vernähen. Hier entsteht eine komplexe Ordnung in der Fläche, die auf unerwartete Weise handwerklich, filigran und präzise ist. Dieser Oberfläche war zudem eine erlebbare Tiefe zu verleihen. Denn zumindest für die Forscher und Wissenschaftler verbirgt sich hinter der scheinbaren Untiefe der digitalen Medien und ihrer Bilderschirmoberflächlichkeit eine Vielzahl komplexer Tiefenstrukturen.

Eine erste Ordnung der Tiefe erzeugen am Baukörper die großen ausgesparten Volumina der Eingänge und Innenhöfe. Sie transformieren den schlichten Pavillon-Kubus in eine Großskulptur, die mit Zwischenschichten und Übergangsbereichen schrittweise vom Außenraum ins Gebäudeinnere vermittelt. Vor allem aber sind es die eigenartig changierenden, je nach Lichteinfall anders erscheinenden GFK-Paneele der Außenfassade, die mit ihrer eigenartigen Färbung und Transluzenz wie auch mit dem feingliedrigen, »gewobenen« Fugenbild eine Ahnung von Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität suggerieren, wie sie nur wenigen Gebäudehüllen glückt. Bei aller Künstlichkeit erscheint diese Fassade belebt und natürlich, sie »atmet«.

Schlichtes Juwel

Das Gebäude verweigert sich – trotz seiner thematischen Widmung – demonstrativem Hightech. Die tatsächlichen technischen Raffinessen spielen sich im Verborgenen ab: Die hochtechnisierten, schalltoten Räume, die eigentlichen Fokuspunkte des Instituts, liegen in der Mitte des Gebäudes und reichen teilweise über drei Geschosse bis in den Keller. Noch tiefer führt das aufwendige Niedrig-Temperatur-Heizsystem, welches das Gebäude über Erdsonden versorgt. Die als Pilotprojekt geförderte Anlage war die wohl einzige Position im Gebäude überhaupt, für die ein großzügiges Budget bereitstand. Insgesamt war in nur kurzer Projektlaufzeit (2006-08) ein Gebäude zu realisieren, dessen hohe Ausstattungskosten extrem reduzierte Baukosten erzwangen – umso erstaunlicher ist daher der solide, teilweise edle Eindruck, den das Gebäude hervorzurufen vermag.

Insgesamt wird diese Gediegenheit geschickt ausbalanciert: unkonventionelle und einfache Materialien, kluge und einfache Detail-Lösungen sowie ein hohes Maß an formaler Abstraktion erzeugen eine Atmosphäre, die dezent und nüchtern ist. Der Entwicklungsgeschwindigkeit und Kurzlebigkeit der Medientechnologien wird eine Atmosphäre der Wertigkeit, Ruhe und Sachlichkeit gegenüber gestellt, die immer mehr auch von dieser Disziplin selbst eingefordert wird. Es wurde ein angenehm unaufgeregtes Gebäude geschaffen, das Hochtechnologie mit sensibler Handwerklichkeit gekonnt zusammenführt, die Handwerklichkeit eines Juweliers, der selbst mit schlichten Materialien präzise umzugehen und zu gestalten weiß.

db, Mi., 2010.01.13



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